Kitabı oku: «Marsch der Könige», sayfa 2
Merek blickte mit weit aufgerissenen Augen zu Thor hinüber.
Der Wärter schüttelte den Kopf und rappelte sich auf, um Thor zu schnappen. Doch Thor spürte die Kraft noch in sich brennen, und als der Wärter auf die Beine kam und auf ihn zusteuerte, rannte Thor los, sprang in die Luft und versetzte ihm einen Tritt in die Brust. Thor fühlte eine nie gekannte Kraft durch seinen Körper fließen und hörte ein Krachen, als sein Tritt den großen Mann durch die Luft schleuderte, in die Wand schmetterte und er zu einem Häufchen am Boden zusammensackte, diesmal wirklich bewusstlos.
Merek stand vor Schreck erstarrt da, und Thor wusste genau, was er zu tun hatte. Er packte die Axt, eilte hinüber, hielt Mereks Fessel gegen den Stein und schlug zu. Ein großer Funke flog durch die Luft, und die Eisenkette war durchtrennt. Merek zuckte zusammen, hob dann den Kopf und blickte auf die Kette hinunter, die zu seinen Füßen hinabbaumelte; er erkannte, dass er frei war.
Er starrte Thor mit offenem Mund an.
„Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll“, sagte Merek. „Ich weiß nicht, wie du das getan hast, was immer es war, oder wer du bist—oder was du bist—aber du hast mir das Leben gerettet. Ich stehe in deiner Schuld. Und das nehme ich sehr ernst.“
„Du schuldest mir gar nichts“, sagte Thor.
„Falsch“, sagte Merek, streckte die Hand aus und fasste Thor am Unterarm. „Du bist jetzt mein Bruder. Und ich werde es dir zurückzahlen. Irgendwie. Irgendwann.“
Mit diesen Worten drehte Merek sich um, eilte durch die offene Zellentür und rannte den Korridor entlang, unter den Rufen der anderen Gefangenen.
Thor blickte hinüber und sah den bewusstlosen Wärter, die offenstehende Zellentür, und wusste, dass auch er handeln musste. Die Rufe der Gefangenen wurden lauter.
Thor trat hinaus, blickte in beide Richtungen und entschied, in die entgegengesetzte Richtung zu Merek zu laufen. Immerhin konnten sie so nicht beide zugleich erwischt werden.
KAPITEL DREI
Thor rannte durch die Nacht, durch das Chaos auf den Straßen von Königshof, erstaunt über den Tumult um ihn herum. Die Straßen waren überfüllt, Scharen von Menschen eilten in aufgewühltem Durcheinander umher. Viele trugen Fackeln, die die Nacht erhellten und dunkle Schatten auf die Gesichter warfen, während regelmäßig die Burgglocken erklangen. Es war ein dumpfes Läuten, ein Glockenschlag jede Minute, und Thor wusste, was das bedeutete: Tod. Totenglocken. Und in dieser Nacht gab es im Königreich nur eine Person, für die die Glocken läuten würden: den König.
Thors Herz klopfte schneller, und er wunderte sich. Der Dolch aus seinem Traum blitzte vor seinen Augen auf. War es echt gewesen?
Er musste es genau wissen. Er packte einen Passanten, einen Jungen, der in die entgegengesetzte Richtung rannte.
„Wohin läufst du?“, forderte Thor. „Was soll dieser ganze Aufruhr?“
„Hast du es nicht gehört?“, schoss der Junge fieberhaft zurück. „Unser König liegt im Sterben! Erstochen! Vor dem Königstor sammeln sich schon Meuten und warten auf Nachricht. Wenn es wahr ist, ist das für uns alle schrecklich. Kannst du dir das vorstellen? Ein Land ohne König?“
Mit diesen Worten fegte der Junge Thors Hand fort, drehte sich um und lief zurück in die Nacht.
Thor stand mit pochendem Herzen da und wollte die Wirklichkeit um ihn herum nicht wahrhaben. Seine Träume, seine Vorahnungen—sie waren mehr als nur Einbildung. Er hatte die Zukunft gesehen. Zweimal. Und das machte ihm Angst. Seine Kräfte waren tiefer, als er geahnt hatte, und sie schienen mit jedem Tag stärker zu werden. Wohin würde das alles führen?
Thor stand da und dachte darüber nach, was er als nächstes tun sollte. Er war ausgebrochen, doch nun hatte er keine Ahnung, wohin er sich wenden konnte. Bestimmt würde innerhalb weniger Augenblicke die königliche Garde—und womöglich ganz Königshof—nach ihm fahnden. Die Tatsache, dass Thor ausgebrochen war, würde ihn nur noch schuldiger aussehen lassen. Andererseits—würde die Tatsache, dass MacGil erstochen wurde, während Thor eingesperrt war, ihn nicht entlasten? Oder würde es so aussehen, als wäre er Teil einer Verschwörung?
Thor konnte kein Risiko eingehen. Anscheinend war niemand im Königreich in der Stimmung für Vernunft—es war, als wollten rundum alle nur Blut sehen. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit würden sie ihn als Sündenbock hernehmen. Er brauchte einen Unterschlupf, einen Ort, an den er gehen konnte, um die Sache auszusitzen und seinen Namen reinzuwaschen. Am sichersten wäre es weit weg von hier. Er sollte fliehen, in seinem Heimatdorf Zuflucht suchen—oder sogar noch weiter weg, so weit weg von hier wie nur möglich.
Doch Thor wollte nicht einfach den sichersten Weg gehen; das sah ihm nicht ähnlich. Er wollte hierbleiben, seinen Namen reinwaschen, seinen Posten in der Legion behalten. Er war kein Feigling und er würde nicht davonlaufen. Am meisten jedoch wollte er MacGil sehen, bevor er starb—falls er überhaupt noch lebte. Er musste ihn sehen. Er zermarterte sich mit Schuldgefühlen darüber, dass er es nicht geschafft hatte, den Anschlag aufzuhalten. Warum war er dazu verdammt worden, den Tod des Königs vorherzusehen, wenn es nichts gab, was er dagegen tun konnte? Und warum hatte er einen Giftanschlag gesehen, wenn er in Wahrheit erstochen werden sollte?
Während Thor so dastand und überlegte, fiel es ihm ein: Reece. Reece war der Einzige, dem er trauen konnte, ihn nicht auszuliefern und ihm vielleicht sogar Unterschlupf zu gewähren. Er hatte das Gefühl, dass Reece ihm glauben würde. Er wusste, dass Thors Liebe zu seinem Vater echt war, und wenn es irgendjemanden gab, der Thors Namen reinwaschen konnte, dann war es Reece. Er musste ihn finden.
Thor lief durch die Seitengassen und bahnte sich seinen Weg durch die Menge, vom Königstor weg und an die Burg heran. Er wusste, wo Reece sein Zimmer hatte—im Ostflügel, nahe an der Außenmauer zur Stadt—und er konnte nur hoffen, dass Reece sich darin aufhielt. Falls er da war, konnte er vielleicht auf sich aufmerksam machen, und er könnte ihn in die Burg schmuggeln. Thor hatte das ungute Gefühl, dass er bald erkannt werden würde, wenn er sich noch lange hier auf der Straße aufhielt. Und sobald die Meute ihn erkennen würde, würden sie ihn in Stücke reißen.
Thor bog in eine Gasse nach der anderen, seine Füße rutschten über die Schlammpfützen dieser Sommernacht, und schließlich erreichte er die Steinmauer der äußeren Brustwehr. Er lief knapp an der Mauer entlang, unter den wachsamen Blicken der Soldaten hinweg, die alle paar Fuß weit postiert waren.
Als er Reeces Fenster erreichte, las er einen glatten Stein vom Boden auf. Zum Glück hatten sie seine alte, treue Steinschleuder übersehen, als sie ihn entwaffneten. Er zog sie vom Gürtel, platzierte den Stein und schleuderte ihn.
Mit seinem unfehlbaren Ziel schickte Thor den Stein über die Burgmauer und perfekt durch das offene Fenster von Reeces Zimmer. Thor konnte hören, wie er drinnen gegen die Wand klackte, dann duckte er sich eng gegen die Mauer, um den Blicken der königlichen Wachen zu entgehen, die bei dem Geräusch aufblickten, und wartete.
Einige Augenblicke lang geschah gar nichts, und Thors Herz sank, als er sich dachte, dass Reece wohl doch nicht in seinem Zimmer war. Falls nicht, würde Thor von hier fliehen müssen; es gab keinen anderen möglichen Zufluchtsort für ihn. Mit pochendem Herzen hielt er den Atem an und wartete, die Öffnung von Reeces Fenster nicht aus den Augen lassend.
Nach einer gefühlten Ewigkeit war Thor gerade dabei, sich abzuwenden, als er eine Gestalt bemerkte, die den Kopf zum Fenster hinausstreckte, beide Hände fest auf das Fensterbrett gestützt, und fragend um sich blickte.
Thor stand auf, huschte ein Paar Schritte von der Mauer weg und winkte mit einem weit ausgestreckten Arm.
Reece blickte hinunter und bemerkte ihn. Sein Gesicht leuchtete auf, als er ihn erkannte—das war sogar von hier aus im Licht der Fackeln zu erkennen—und Thor stellte erleichtert fest, dass es ein freudiger Ausdruck war. Das sagte ihm alles, was er wissen musste: Reece würde ihn nicht ausliefern.
Reece bedeutete ihm, zu warten, und Thor huschte zurück an die Mauer und duckte sich gerade rechtzeitig, als ein Wachmann sich in seine Richtung drehte.
Thor wusste nicht, wie lange er schon wartete; er war jederzeit darauf gefasst, vor den Wachen davonlaufen zu müssen. Endlich tauchte Reece auf. Er platze keuchend durch eine Tür in der Außenmauer und blickte sich in beide Richtungen nach Thor um.
Als er ihn entdeckte, eilte Reece zu ihm und umarmte ihn. Thor war überglücklich. Er hörte ein Winseln und blickte zu seiner Freude auf Krohn hinunter, der in Reeces Hemd eingerollt war. Krohn sprang geradezu aus dem Hemd, als Reece ihn hochhob und Thor überreichte.
Krohn—das rasend wachsende weiße Leopardenjunge, dem Thor das Leben gerettet hatte—sprang Thor in die Arme, und Thor drückte es fest an sich, während es winselte und jauchzte und sein Gesicht leckte.
Reece lächelte.
„Als sie dich abführten, hat er versucht, dir zu folgen, und ich nahm ihn an mich, damit er in Sicherheit war.“
Thor ergriff dankbar Reeces Unterarm. Dann lachte er, da Krohn ihn immer wilder ableckte.
„Ich hab dich auch vermisst, Junge“, lachte Thor und gab ihm einen Kuss zurück. „Still jetzt, sonst hören uns noch die Wachen.“
Krohn wurde ruhig, als würde er verstehen.
„Wie bist du entkommen?“, fragte Reece überrascht.
Thor zuckte die Schultern. Er wusste nicht genau, was er sagen sollte. Es war ihm immer noch unangenehm, über seine Kräfte zu sprechen, die er nicht verstand. Er wollte nicht, dass andere ihn als Abnormität betrachteten.
„Ich hatte Glück, schätze ich“, erwiderte er. „Ich sah eine Gelegenheit und packte sie.“
„Fast ein Wunder, dass du nicht schon von einer Menschenmeute zerfetzt worden bist“, sagte Reece.
„Es ist dunkel“, sagte Thor. „Ich glaube nicht, dass mich jemand erkannt hat. Zumindest noch nicht.“
„Ist dir klar, dass jeder Soldat des Königreichs nach dir sucht? Weißt du schon, dass jemand auf meinen Vater eingestochen hat?“
Thor nickte ernst. „Wie geht es ihm?“
Reeces Gesicht verdüsterte sich.
„Nicht gut“, antwortete er grimmig. „Er liegt im Sterben.“
Thor war am Boden zerstört; als wäre es sein eigener Vater.
„Du weißt, dass ich nichts damit zu tun hatte, nicht wahr?“, fragte Thor hoffnungsvoll. Ihm war egal, was alle anderen dachten, doch sein bester Freund, MacGils jüngster Sohn, musste wissen, dass er unschuldig war.
„Klar doch“, sagte Reece. „Sonst würde ich wohl kaum hier stehen.“
Thor fühlte eine Welle der Erleichterung und packte Reece dankbar an der Schulter.
„Aber der Rest des Königreichs wird nicht so vertrauensselig sein wie ich“, fügte Reece hinzu. „Der sicherste Ort für dich ist weit weg von hier. Ich gebe dir mein schnellstes Pferd und ein Proviantpaket, und schicke dich von hier davon. Du musst dich verstecken, bis sich hier alles beruhigt hat und sie den wahren Mörder gefunden haben. Jetzt gerade kann niemand hier klar denken.“
Thor schüttelte den Kopf.
„Ich kann hier nicht weg“, sagte er. „So würde ich nur schuldig erscheinen. Ich muss den anderen klarmachen, dass ich nichts getan habe. Ich kann nicht vor meinen Problemen davonlaufen. Ich muss meinen Namen reinwaschen.“
Reece schüttelte den Kopf.
„Wenn du hierbleibst, finden sie dich. Sie werden dich wieder einsperren—und dann hinrichten—wenn dich die Meute nicht vorher erwischt.“
„Das Risiko muss ich eingehen“, sagte Thor.
Reece starrte ihn lange und eingehend an, und sein Ausdruck änderte sich von Besorgnis zu Anerkennung. Schließlich nickte er bedächtig.
„Du bist stolz. Und dumm. Sehr dumm. Genau das mag ich an dir.“
Reece lächelte. Thor lächelte zurück.
„Ich muss deinen Vater spreichen“, sagte Thor. „Ich muss eine Gelegenheit haben, ihm von Angesicht zu Angesicht zu erklären, dass ich es nicht war, dass ich nichts damit zu tun hatte. Falls er beschließt, mich zu verurteilen, so sei es. Aber ich brauche eine Chance. Ich will, dass er es weiß. Das ist alles, worum ich dich bitte.“
Reece starrte ihn eingehend an und machte sich ein Bild von seinem Freund. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, nickte er.
„Ich kann dich zu ihm bringen. Ich kenne einen Hintereingang in seine Kammer. Es ist riskant—und wenn du einmal drin bist, bist du auf dich allein gestellt. Es gibt keinen Weg hinaus. Es gibt dann nichts mehr, was ich noch für dich tun kann. Es könnte deinen Tod bedeuten. Bist du sicher, dass du das riskieren möchtest?“
Thor nickte mit todernster Zustimmung.
„Also gut dann“, sagte Reece, griff plötzlich nach unten und warf Thor einen Umhang zu.
Thor fing ihn auf und blickte ihn erstaunt an; er erkannte, dass Reece dies von Anfang an geplant hatte.
Reece lächelte Thor zu.
„Ich wusste, du würdest dumm genug sein, hier bleiben zu wollen. Ich hätte von meinem besten Freund nichts Geringeres erwartet.“
KAPITEL VIER
Gareth stapfte in seiner Kammer auf und ab und ließ die nervenzerrüttenden Ereignisse der Nacht Revue passieren. Er konnte nicht fassen, was beim Festmahl passiert war; wie alles so schiefgehen konnte. Er konnte kaum glauben, dass dieser dumme Junge, dieser Außenseiter Thor, irgendwie von seinem Giftkomplott Wind bekommen hatte—und es noch dazu tatsächlich geschafft hatte, den Kelch abzufangen. Gareth dachte an den Moment zurück, als er Thor aufspringen und den Kelch umwerfen sah; als er den Kelch am Steinboden aufschlagen hörte; als er zusah, wie der Wein sich über den Boden ergoss, und mit ihm all seine Träume und Mühen.
In dem Moment war Gareth ruiniert gewesen. Alles, wofür er gelebt hatte, war zerschmettert. Und als dieser Hund den Wein aufleckte und tot umfiel—da wusste er, er war erledigt. Er sah sein ganzes Leben an sich vorüberziehen, sah sich schon entlarvt, für den versuchten Mord an seinem Vater zu lebenslangem Kerker verurteilt. Oder noch schlimmer, exekutiert. Es war idiotisch gewesen. Er hätte diesen Plan niemals ausführen, diese Hexe niemals besuchen sollen.
Zumindest hatte Gareth schnell reagiert, die Chance ergriffen, aufzuspringen und der erste zu sein, der den Verdacht auf Thor lenkte. Rückblickend war er stolz auf sich für die schnelle Reaktion. Es war eine Eingebung gewesen, und zu seinem Erstaunen schien es funktioniert zu haben. Sie hatten Thor abgeführt und das Festmahl hatte sich wieder beruhigt. Natürlich war es danach nicht mehr dasselbe, aber zumindest schien der Verdacht fest auf dem Jungen zu sitzen.
Gareth konnte nur beten, dass es dabei blieb. Das letzte Attentat auf einen MacGil lag Jahrzehnte zurück und Gareth fürchtete, es würde Untersuchungen geben; dass die Tat genauer hinterfragt werden würde. Rückblickend war es töricht gewesen, ihn vergiften zu wollen. Sein Vater war unverwundbar. Gareth hätte das wissen sollen. Er hatte sich übernommen. Und nun wurde er das Gefühl nicht los, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Verdacht auf ihn fallen würde. Er würde alles tun müssen, was er konnte, um Thors Schuld zu beweisen und ihn hinrichten zu lassen, bevor es zu spät war.
Zumindest hatte Gareth es wieder einigermaßen gutgemacht: nach dem gescheiterten Versuch hatte er das Attentat abgeblasen. Nun fühlte sich Gareth erleichtert. Nachdem er zusehen musste, wie das Komplott scheiterte, war ihm klar geworden, dass es tief in ihm einen Teil gab, der seinen Vater gar nicht töten wollte, dessen Blut nicht an seinen Händen haben wollte. Er würde nicht König werden. Er würde vielleicht nie König werden. Doch nach den Ereignissen dieses Abends war das für ihn in Ordnung. Zumindest würde er frei sein. Er würde den Stress dieser ganzen Sache nicht noch einmal aushalten: die Geheimnisse, die Verhüllungen, die ständige Angst, entlarvt zu werden. Es war zu viel für ihn.
Während er hin und her stapfte, immer später in die Nacht hinein, begann er schließlich, sich langsam zu beruhigen. Gerade als er sich wieder wie er selbst fühlte und sich auf das Zubettgehen vorbereiten wollte, krachte plötzlich die Tür hinter ihm auf. Herein stürmte Firth, die Augen weit aufgerissen, kopflos, als würde er verfolgt werden.
„Er ist tot!“, schrie Firth. „Er ist tot! Ich habe ihn umgebracht. Er ist tot!“
Firth war hysterisch, er jaulte geradezu, und Gareth hatte keine Ahnung, wovon er redete. War er betrunken?
Firth rannte kreischend, schreiend, mit den Armen wedelnd durch das Zimmer—und da erst bemerkte Gareth seine blutüberströmten Hände, seine blutbefleckte gelbe Tunika.
Gareths Herz setzte aus. Firth hatte gerade jemanden getötet. Aber wen?
„Wer ist tot?“, forderte Gareth. „Von wem sprichst du?“
Aber Firth war hysterisch und konnte sich nicht konzentrieren. Gareth rannte zu ihm, packte ihn fest an den Schultern und schüttelte ihn.
„Antworte mir!“
Firth öffnete die Augen und starrte, seine Augen wie die eines wilden Pferdes.
„Dein Vater! Der König! Er ist tot! Durch meine Hände!“
Die Worte trafen Gareth, als hätte ihm jemand ein Messer ins eigene Herz gestoßen.
Er starrte mit weit aufgerissenen Augen zurück; spürte, wie sein ganzer Körper taub wurde. Er lockerte seinen Griff, trat einen Schritt zurück und versuchte, Atem zu schöpfen. Er konnte an all dem Blut erkennen, dass Firth die Wahrheit sagte. Er konnte es nicht im Ansatz begreifen. Firth? Der Stalljunge? Der Willensschwächste unter allen seinen Freunden? Soll seinen Vater ermordet haben?
„Aber...wie ist das möglich?“, keuchte Gareth. „Wann?“
„Es geschah in seinem Gemach“, sagte Firth. „Gerade eben. Ich habe ihn erstochen.“
Langsam erfasste er die Bedeutung dieser Nachricht und kam wieder zu Sinnen; er bemerkte die offene Tür, rannte zu ihr und schlug sie zu, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie von keinen Wachen gesehen worden waren. Zum Glück war der Korridor leer. Er zog den schweren eisernen Riegel vor.
Er eilte durch das Zimmer zurück. Firth war immer noch hysterisch, und Gareth musste ihn beruhigen. Er brauchte Antworten.
Er packte ihn an den Schultern, drehte ihn herum und zog ihm den Handrücken gerade so fest übers Gesicht, dass er stockte. Endlich sammelte sich Firth.
„Erzähl mir alles“, befahl Gareth kühl. „Erzähl mir genau, was passiert ist. Warum hast du das getan?“
„Was meinst du, warum?“, fragte Firth verwirrt. „Du wolltest ihn töten. Dein Gift hat nicht funktioniert. Ich dachte, ich könne dir helfen. Ich dachte, das war es, was du wolltest.“
Gareth schüttelte den Kopf. Er packte Firth am Hemd und schüttelte ihn, wieder und wieder.
„Warum hast du das getan!?“, schrie Gareth.
Gareth fühlte, wie seine ganze Welt in Stücke brach. Er stellte schockiert fest, dass es ihm um seinen Vater tatsächlich leid tat. Er konnte es nicht verstehen. Nur wenige Stunden zuvor hatte er nichts mehr gewollt, als ihn vergiftet zu sehen, tot an der Tafel. Nun traf ihn der Gedanke an seine Ermordung wie der Tod eines besten Freundes. Er fühlte sich von Reue überwältigt. Ein Teil von ihm wollte überhaupt nicht, dass er starb—besonders nicht so. Nicht durch Firths Hände. Und nicht durch eine Klinge.
„Ich verstehe nicht“, quengelte Firth. „Erst vor ein paar Stunden hast du selbst versucht, ihn umzubringen. Dein Kelch-Komplott. Ich dachte, du würdest dankbar sein!“
Zu seiner eigenen Überraschung holte Gareth aus und zog Firth die Hand übers Gesicht.
„Ich habe dir nicht aufgetragen, das zu tun!“, fauchte Gareth. „Ich habe niemals erwähnt, dass du das tun sollst. Warum hast du ihn umgebracht? Sieh dich nur an. Du bist voll Blut. Jetzt sind wir beide erledigt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Wachen uns erwischen.“
„Niemand hat es gesehen“, quengelte Firth. „Ich bin zwischen den Schichtwechsel gehuscht. Niemand hat mich bemerkt.“
„Und wo ist die Waffe?“
„Ich habe sie nicht zurückgelassen“, sagte Firth voll Stolz. „Ich bin nicht dumm. Ich habe sie entsorgt.“
„Und welche Klinge hast du verwendet?“, fragte Gareth, und seine Gedanken wirbelten um die möglichen Auswirkungen herum. Er war von Bedauern zu Sorge übergegangen. Sein Verstand brütete über jedem Detail der Spur, die dieser unbeholfene Narr möglicherweise zurückgelassen hatte; jedem Detail, das zu ihm führen könnte.
„Ich habe eine verwendet, die sich nicht zurückverfolgen lässt“, sagte Firth mit Stolz auf sich selbst. „Es war eine zierlose, anonyme Klinge. Ich habe sie im Stall gefunden. Da waren noch vier andere, die genau gleich aussahen. Sie kann nicht zurückverfolgt werden“, wiederholte er.
Gareth fühlte sein Herz in den Magen rutschen.
„War es ein kurzes Messer mit rotem Griff und geschwungener Klinge? In einer Halterung an der Wand neben meinem Pferd?“
Firth nickte als Antwort, Zweifel in den Augen.
Gareth starrte ihn finster an.
„Du Narr. Natürlich lässt sich diese Klinge zurückverfolgen!“
„Aber es waren keine Markierungen darauf!“, protestierte Firth mit ängstlich zitternder Stimme.
„Auf der Klinge sind keine Markierungen—aber der Griff trägt ein Zeichen!“, schrie Gareth. „Auf der Unterseite! Du hast es dir nicht sorgfältig angesehen. Du Idiot.“ Gareth trat mit rotem Gesicht vor. „Das Emblem meines Pferdes ist darunter hineingeschnitzt. Jeder, der die königliche Familie gut kennt, kann diese Klinge zu mir zurückverfolgen.“
Er starrte Firth an, der aus der Bahn geworfen schien. Er wollte ihn umbringen.
„Was hast du damit gemacht?“, forderte Gareth. „Sag mir, dass du sie bei dir hast. Sag mir, dass du sie mit zurückgebracht hast. Bitte.“
Firth schluckte.
„Ich habe sie sorgfältig entsorgt. Niemand wird sie je finden.“
Gareth verzog das Gesicht.
„Wo genau?“
„Ich warf sie den steinernen Abfluss hinunter in den Nachttopf der Burg. Der Topf wird jede Stunde entleert, in den Fluss hinein. Keine Sorge, mein Herr. Inzwischen ist das Messer tief im Fluss verschwunden.“
Die Burgglocken läuteten plötzlich, und Gareth rannte zum offenen Fenster, sein Herz von Panik erfüllt. Er blickte hinaus auf das Chaos und den Tumult unter ihnen. Menschenmeuten umringten die Burg. Dieses Glockenläuten konnte nur eines bedeuten: Firth hatte nicht gelogen. Er hatte den König umgebracht.
Gareth fühlte, wie sein Körper eiskalt wurde. Er konnte nicht fassen, dass er eine so üble Tat angezettelt hatte. Und dass ausgerechnet Firth sie ausgeführt hatte.
Plötzlich klopfte es an seiner Tür, sie barst auf und mehrere königliche Wachen eilten herein. Einen Moment lang war sich Gareth sicher, sie würden ihn verhaften.
Doch zu seiner Überraschung hielten sie an und standen stramm.
„Mein Herr, auf Euren Vater wurde gestochen. Möglicherweise läuft ein Attentäter frei herum. Bleibt zu Eurer Sicherheit in Eurer Kammer. Er ist schwerstens verletzt.“
Bei diesem letzten Wort stellten sich Gareths Nackenhaare auf.
„Verletzt?“, wiederholte Gareth, und das Wort blieb ihm beinahe im Hals stecken. „Er ist also noch am Leben?“
„Das ist er, mein Herr. Und mit Gottes Beistand wird er überleben und uns sagen können, wer diese abscheuliche Tat begangen hat.“
Mit einer kurzen Verbeugung eilten die Wachen aus dem Zimmer und schlugen die Tür hinter sich zu.
Gareth wurde von Zorn überwältigt und packte Firth an den Schultern, schob ihn quer durchs Zimmer und knallte ihn gegen die steinerne Wand.
Firth starrte mit weit aufgerissenen Augen zurück; entsetzt, sprachlos.
„Was hast du angerichtet?“, schrie Gareth. „Jetzt sind wir beide erledigt!“
„Aber...aber...“, stammelte Firth, „...ich war mir sicher, dass er tot ist!“
„Du bist dir vieler Dinge sicher“, sagte Gareth, „und allesamt sind sie falsch!“
Da kam Gareth ein Gedanke.
„Der Dolch“, sagte er. „Wir müssen ihn finden, bevor es zu spät ist.“
„Aber ich habe ihn weggeworfen, mein Herr“, sagte Firth. „Er wurde den Fluss hinuntergespült!“
„Du hast ihn in einen Nachttopf geworfen. Das heißt noch lange nicht, dass er schon im Fluss ist.“
„Aber es ist wahrscheinlich!“, sagte Firth.
Gareth konnte die Stümperei dieses Idioten nicht länger ertragen. Er stürmte an ihm vorbei zur Tür hinaus, dicht gefolgt von Firth.
„Ich komme mit Euch. Ich werde Euch genau zeigen, wo ich ihn hingeworfen habe“, sagte Firth.
Gareth blieb im Korridor stehen, drehte sich um und starrte Firth an. Er war blutüberströmt, und Gareth war erstaunt, dass die Wachen es nicht bemerkt hatten. Das war pures Glück gewesen. Firth war mehr als je zuvor eine Belastung.
„Ich sage das jetzt genau einmal“, knurrte Gareth. „Geh sofort zurück auf mein Zimmer, zieh dich um und verbrenne deine Kleider. Entferne jede Spur von Blut. Dann verschwinde aus dieser Burg. Halte dich in dieser Nacht von mir fern. Hast du mich verstanden?“
Gareth gab ihm einen Stoß, dann drehte er sich um und rannte. Er lief den Korridor entlang, die Wendeltreppe ein Stockwerk nach dem anderen hinunter, zu den Dienstboten-Räumen.
Schließlich platzte er in das Untergeschoss, und die Köpfe einiger Diener drehten sich nach ihm um. Sie waren alle damit beschäftigt, enorme Töpfe zu schrubben und Eimer voll Wasser zu kochen. Riesige Feuer brannten in Ziegelöfen, und die Diener mit ihren fleckigen Schürzen waren schweißgebadet.
Am anderen Ende des Raumes erblickte Gareth einen enormen Nachttopf, darüber einen steinernen Abfluss, über den minütlich Ausscheidungen in den Topf hinuntertropften.
Gareth rannte zum nächsten Diener und packte ihn verzweifelt am Arm.
„Wann wurde der Topf zuletzt geleert?“, fragte Gareth.
„Er wurde vor wenigen Minuten erst zum Fluss gebracht, Herr.“
Gareth machte kehrt und stürmte aus dem Raum, die Burgflure entlang, wieder die Wendeltreppe hoch, und platzte hinaus in die kühle Nachtluft.
Er rannte über die Wiese, atemlos auf den Fluss zu.
Als er näherkam, fand er ein Versteck hinter einem großen Baum nahe am Ufer. Er beobachtete, wie zwei Diener den riesigen Eisentopf hoben und ihn in die reißende Strömung des Flusses kippten.
Er sah zu, bis der Topf kopfüber stand, sein gesamter Inhalt entleert, und sie mit dem Topf kehrtmachten und zurück zur Burg marschierten.
Endlich war Gareth zufriedengestellt. Niemand hatte eine Klinge entdeckt. Wo auch immer sie war, sie war nun in den Fluten des Flusses, fortgeschwemmt auf Nimmerwiedersehen. Sollte sein Vater in dieser Nacht sterben, würde es keine Beweise geben, die eine Spur zum Mörder liefern konnten.
Oder etwa doch?