Kitabı oku: «Marsch der Könige», sayfa 3

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KAPITEL FÜNF

Thor folgte Reece, mit Krohn auf den Fersen, auf ihrem Weg durch die hintere Passage zu den Gemächern des Königs. Reece hatte sie durch eine Geheimtür hereingelotst, die in den Steinmauern versteckt war, und führte sie nun mit einer Fackel in der Hand einen engen Schacht entlang durch die Eingeweide der Burg, in einer schwindelerregenden Folge von Kehrungen und Wendungen. Sie stiegen eine enge Steintreppe hinauf, die zu einer weiteren Passage führte, wandten sich um und fanden vor sich eine weitere Treppe. Thor war erstaunt darüber, wie verwinkelt eine Passage sein konnte.

„Dieser Durchgang wurde vor hunderten von Jahren in die Burg gebaut“, erklärte Reece flüsternd, während sie weitergingen. Er war von ihrem Aufstieg außer Atem. „Sie wurde vom Urgroßvater meines Vaters erbaut, dem dritten König MacGil. Er hat sie nach einer Belagerung bauen lassen—es ist ein Fluchtweg. Ironischerweise sind wir seither nicht wieder belagert worden, und diese Geheimgänge sind seit Jahrhunderten nicht mehr verwendet worden. Sie wurden zugenagelt, und ich habe sie entdeckt, als ich ein Kind war. Ich benutze sie gerne von Zeit zu Zeit, um durch die Burg zu kommen, ohne dass irgendjemand weiß, wo ich bin. Als wir klein waren, spielten Gwen und Godfrey und ich hier Verstecken. Kendrick war zu alt, und Gareth spielte nicht gerne mit uns. Keine Fackeln, das war die Regel. Pechschwarz. Damals war das echt gruselig.“

Thor versuchte, mit Reece Schritt zu halten, während der mit beeindruckender Gewandtheit durch die Passagen steuerte. Es war offensichtlich, dass er jeden Schritt auswendig kannte.

„Wie kannst du dir bloß all diese Kehrungen merken?“, fragte Thor beeindruckt.

„Es kann ganz schön einsam sein, als Junge in dieser Burg aufzuwachsen“, fuhr Reece fort, „besonders, wenn alle anderen älter sind und du noch zu jung bist für die Legion, und es sonst nichts anderes zu tun gibt. So habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, jeden Winkel dieses Baus zu erkunden.“

Sie machten eine weitere Kehrtwendung, stiegen dann drei Steinstufen hinunter, zwängten sich durch eine enge Öffnung in der Mauer und stiegen dann eine lange Treppe hinab. Schließlich brachte sie Reece an eine dicke, staubige Tür aus Eichenholz. Er legte ein Ohr an sie und lauschte. Thor stellte sich zu ihm.

„Was ist das für eine Tür?“, fragte Thor.

„Pssst“, sagte Reece.

Thor verstummte, legte selbst ein Ohr an die Tür und lauschte. Krohn stand hinter ihm und blickte zu ihm hoch.

„Dies ist die Hintertür zur Kammer meines Vaters“, flüsterte Reece. „Ich will hören, wer gerade bei ihm ist.“

Thor lauschte mit pochendem Herzen auf die gedämpften Stimmen hinter der Tür.

„Klingt, als wäre der Raum recht voll“, sagte Reece.

Reece warf Thor einen gewichtigen Blick zu.

„Du wanderst hier in einen Feuersturm hinein. Seine Generäle werden da sein, seine Ratsherren und Ratgeber, seine Familie—einfach alle. Und ich bin mir sicher, dass jeder Einzelne von ihnen auf der Suche nach dir, seinem angeblichen Mörder, sein wird. Es wird sein, als würdest du in einen Lynch-Mob hineinspazieren. Falls mein Vater immer noch denkt, du hättest versucht, ihn zu ermorden, dann bist du erledigt. Bist du dir ganz sicher, dass du das hier durchziehen möchtest?“

Thor schluckte schwer. Dies war seine Chance, jetzt oder nie. Sein Hals wurde trocken, als ihm klar wurde, dass dies ein Wendepunkt in seinem Leben war. Es wäre ein Leichtes, jetzt umzukehren und zu fliehen. Er konnte anderswo ein Leben in Sicherheit führen, weit weg von Königshof. Oder er konnte durch diese Tür treten und möglicherweise den Rest seines Lebens bei diesen Unholden im Kerker verbringen—oder gar hingerichtet werden.

Er holte tief Luft und traf seinen Entschluss. Er würde die Dämonen am Schopf packen müssen. Er konnte jetzt nicht mehr zurück.

Thor nickte. Er hatte Angst, den Mund zu öffnen—Angst, dass er dann seine Meinung ändern würde.

Reece nickte anerkennend zurück, drückte dann die eiserne Klinke nach unten und seine Schulter gegen die Tür.

Thor blinzelte ins grelle Fackellicht, als die Tür sich weit öffnete. Er befand sich inmitten der privaten Gemächer des Königs, mit Krohn und Reece an seiner Seite.

Mindestens zwei Dutzend Menschen waren um den König gedrängt, der auf seinem Bett lag; einige standen über ihm, andere knieten. Um den König herum standen seine Ratgeber und Generäle, zusammen mit Argon, der Königin, Kendrick, Godfrey—und sogar Gwendolyn. Es war eine Totenwache, und Thor war ein Eindringling in die private Angelegenheit dieser Familie.

Die Stimmung im Raum war bedrückt, die Mienen voller Ernst. MacGil lag auf Kissen aufgestützt, und Thor stellte erleichtert fest, dass er am Leben war—zumindest jetzt noch.

Alle Köpfe drehten sich gleichzeitig um, aufgeschreckt durch Thors und Reeces plötzliches Erscheinen. Thor wurde klar, was für ein Schreck es sein musste: ihr plötzliches Erscheinen mitten im Raum, aus einer Geheimtür in der Steinmauer heraus.

„Das ist der Junge!“, schrie jemand aus der Menge, stand auf und zeigte hasserfüllt auf Thor. „Er hat versucht, den König zu vergiften!“

Aus allen Ecken des Raumes traten Wachen auf ihn zu. Thor wusste kaum, was er tun sollte. Ein Teil von ihm wollte umkehren und fliehen, aber er wusste, er würde sich dieser wütenden Menge stellen müssen, er musste seinen Frieden mit dem König machen. Also blieb er ruhig stehen, während mehrere Wachen auf ihn zustürmten, um ihn zu fassen. An seiner Seite knurrte Krohn eine Drohung an die Angreifer.

Plötzlich fühlte Thor eine Hitze in ihm aufwallen, eine Kraft ihn erfüllen; er hob ohne es zu wollen eine Hand und streckte eine Handfläche aus, um seine Energie auf sie zu richten.

Thor sah verblüfft zu, wie sie alle mitten im Laufschritt innehielten, nur wenige Fuß entfernt, wie angefroren. Seine Kräfte, was immer sie waren, wallten in ihm und hielten sie in Schach.

„Du wagst es, hier hereinzuspazieren und deine Hexerei einzusetzen, Junge!“, schrie Brom—der höchste General des Königs—und zog sein Schwert. „Hat es dir nicht gereicht, einmal zu versuchen, unseren König zu töten?“

Brom ging mit gezogenem Schwert auf Thor los; da fühlte Thor, wie etwas von ihm Macht ergriff, ein stärkeres Gefühl, als er je gehabt hatte. Er schloss einfach nur die Augen und konzentrierte sich. Er fühlte die Energie in Broms Schwert, seine Form, sein Metall, und irgendwie wurde er eins mit dem Schwert. Er befahl ihm vor seinem geistigen Auge, stehenzubleiben.

Brom stand mit weiten Augen wie angewurzelt da.

„Argon!“, wirbelte Brom herum und schrie. „Gebiete dieser Hexerei sofort Einhalt! Halte diesen Jungen auf!“

Argon trat aus der Menge hervor und senkte langsam seine Kapuze. Er starrte mit intensiven, brennenden Augen auf Thor.

„Ich sehe keinen Grund, ihn aufzuhalten“, sprach Argon. „Er ist nicht hier, um Böses zu tun.“

„Bist du von Sinnen? Er hat beinahe unseren König ermordet!“

„Das ist deine Annahme“, sprach Argon. „Es ist nicht, was ich sehe.“

„Lasst ihn in Ruhe“, ertönte eine gebrechliche, tiefe Stimme.

Alle drehten sich um, als MacGil sich aufrichtete. Er blickte herüber, sehr schwach erscheinend. Es war klar, dass es eine Anstrengung für ihn war, zu sprechen.

„Ich will den Jungen sehen. Er war es nicht, der auf mich gestochen hat. Ich konnte das Gesicht des Mannes sehen, und er war es nicht. Thor ist unschuldig.“

Langsam entspannten sich die anderen, und Thor entspannte seinen Geist und ließ sie frei. Die Wachen zogen sich zurück, Thor misstrauisch beäugend, als wäre er aus einer anderen Welt, und steckten langsam ihre Schwerter zurück in die Scheiden.

„Ich will ihn sprechen“, sagte MacGil. „Alleine. Ihr alle. Lasst uns alleine.“

„Mein König“, sagte Brom. „Meint ihr wirklich, dass es sicher ist? Nur Ihr und der Junge, allein?“

„Niemand hat Thor anzurühren“, sagte MacGil. „Und jetzt lasst uns allein. Ihr alle. Auch meine Familie.“

Ein dickes Schweigen legte sich über den Raum, als sie alle unsichere Blicke austauschten und nicht wussten, was sie tun sollten. Thor stand wie angewurzelt auf der Stelle, kaum in der Lage, alles zu verarbeiten.

Einer nach dem anderen verließen sie das Zimmer, auch die königliche Familie, und Krohn ging mit Reece. Die Kammer, die noch vor wenigen Momenten so voller Leute gewesen war, war plötzlich leer.

Die Tür schloss sich. Nun waren da nur noch Thor und der König, allein in der Stille. Er konnte es kaum glauben. MacGil so da liegen zu sehen, so blass, so schmerzerfüllt, tat Thor mehr weh, als er sagen konnte. Er wusste nicht, warum, aber es war beinahe so, als würde ein Teil von ihm selbst sterben, da, auf diesem Bett. Mehr als alles andere wollte er, dass der König gesund würde.

„Komm her, mein Junge“, sagte MacGil schwach, mit krächzender Stimme, die kaum mehr war als ein Flüstern.

Thor senkte den Kopf, eilte an die Seite des Königs und kniete vor ihm nieder. Der König streckte einen schwachen Arm aus; Thor nahm seine Hand und küsste sie.

Thor blickte hoch und sah MacGil schwach auf ihn hinunterlächeln. Überrascht stellte Thor fest, dass heiße Tränen seine Wangen hinunterliefen.

„Mein Herr“, fing Thor hastig an, nicht mehr länger in der Lage, es zurückzuhalten, „ich bitte Euch, vergebt mir. Ich habe Euch nicht vergiftet. Ich wusste nur durch einen Traum von dem Anschlag. Durch eine Kraft, die ich nicht begreife. Ich wollte Euch nur warnen. Bitte glaubt mir—“

MacGil hob die Hand, und Thor verstummte.

„Ich habe mich in dir getäuscht“, sagte MacGil. „Ich musste erst durch die Hand eines anderen Mannes abgestochen werden, um zu erkennen, dass du es nicht warst. Du hast bloß versucht, mich zu retten. Vergib mir. Du hast Loyalität bewiesen. Als vielleicht Einziger an meinem Hof.“

„Wie sehr ich wünschte, ich hätte mich geirrt“, sagte Thor. „Wie sehr ich wünschte, dass Ihr in Sicherheit wärt. Dass meine Träume nur Einbildung waren; dass niemals jemand einen Anschlag auf Euch verübt hätte. Vielleicht habe ich mich getäuscht. Vielleicht überlebt Ihr ja.“

MacGil schüttelte den Kopf.

„Meine Zeit ist gekommen“, sagte er zu Thor.

Thor schluckte; hoffte, dass es nicht stimmte, doch er spürte, dass es so war.

„Wisst Ihr, wer diese schreckliche Tat begangen hat, mein Herr?“, stellte Thor die Frage, die schon in ihm brannte, seit er den Traum gehabt hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wer den König töten wollte, oder warum.

MacGil blickte zur Decke hoch und musste vor Anstrengung blinzeln.

„Ich konnte sein Gesicht sehen. Es war ein Gesicht, das ich gut kenne. Doch aus irgendeinem Grund kann ich es nicht zuordnen.“

Er blickte Thor an.

„Es macht keinen Unterschied mehr. Meine Zeit ist gekommen. Ob durch seine Hand oder die eines anderen, der Ausgang ist der gleiche. Was jetzt wichtig ist“, sagte er und fasste Thors Handgelenk mit einer Kraft, die ihn überraschte, „ist, was passiert, nachdem ich gegangen bin. Unser Königreich wird ohne König sein.“

MacGil blickte Thor mit einer Eindringlichkeit an, die er nicht verstand. Thor wusste nicht genau, was er damit sagen wollte—was, wenn überhaupt, er von ihm wollte. Thor wollte nachfragen, doch er konnte sehen, wie schwer es MacGil fiel, Atem zu holen, und er wollte nicht riskieren, ihn zu unterbrechen.

„Argon hatte recht, was dich betrifft“, sagte er und lockerte langsam seinen Griff. „Dein Schicksal ist weit größer als meines.“

Thor fühlte, wie die Worte des Königs einen elektrischen Schlag durch seinen Körper schickten. Sein Schicksal? Größer als das des Königs? Der reine Gedanke daran, dass der König auch nur erwägen würde, Thor mit Argon zu besprechen, war mehr, als Thor begreifen konnte. Und dass er sagte, dass Thors Schicksal größer war als das des Königs—was konnte er bloß damit meinen? Hatte MacGil so nahe am Ende etwa schon Wahnvorstellungen?

„Ich habe dich erwählt... Ich habe dich in meine Familie aufgenommen, aus gutem Grund. Weißt du, was dieser Grund ist?“

Thor schüttelte den Kopf; er wollte es dringend wissen.

„Weißt du nicht, warum ich dich hier haben wollte, nur dich, in meinen letzten Atemzügen?“

„Es tut mir leid, mein Herr“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“

MacGil lächelte leise, während ihm die Augen zufielen.

„Fern von hier liegt ein großes Land. Hinter den Wildlanden. Sogar hinter dem Land der Drachen. Es ist das Land der Druiden. Die Heimat deiner Mutter. Dorthin musst du reisen, um die Antworten zu suchen.“

MacGils Augen öffneten sich weit, und er starrte Thor mit einer Eindringlichkeit an, die Thor nicht verstehen konnte.

„Unser Königreich hängt davon ab“, fügte er hinzu. „Du bist nicht wie die anderen. Du bist etwas Besonderes. Solange du nicht verstehst, wer du bist, wird unser Königreich nie zur Ruhe kommen.“

MacGils Augen schlossen sich und sein Atem wurde flach. Jeder Atemzug fiel ihm schwer. Sein Griff um Thors Handgelenk wurde langsam schwächer, und Thor spürte, wie ihm die Tränen aufstiegen. In seinen Gedanken wirbelten die Dinge, die der König gesagt hatte, und er versuchte, den Sinn in seinen Worten zu finden. Er konnte sich kaum konzentrieren. Hatte er alles richtig gehört?

MacGil flüsterte etwas, doch es war so leise, dass Thor es kaum hören konnte. Thor lehnte sein Ohr nahe zu MacGils Lippen.

Der König hob seinen Kopf ein letztes Mal, und mit letzter Anstrengung brachte her hervor:

„Räche mich.“

Dann, plötzlich, versteifte sich MacGil. Einige Augenblicke lang lag er so da, dann rollte sein Kopf auf die Seite und seine Augen öffneten sich weit, erstarrt.

Tot.

„NEIN!“, klagte Thor auf.

Sein Klagen muss laut genug gewesen sein, um die Wachen zu alarmieren, denn einen Augenblick später hörte er, wie eine Tür hinter ihm aufflog, hörte den Aufruhr von dutzenden Menschen, die ins Zimmer stürmten. In einer Ecke seines Bewusstseins war ihm klar, dass um ihn herum Bewegung herrschte. Dumpf hörte er die Burgglocken läuten, wieder und wieder. Die Glocken dröhnten, gleich dem Dröhnen des Bluts in seinen Schläfen. Doch alles verschwamm, und Augenblicke später drehte sich der Raum um ihn.

Thor verlor das Bewusstsein und sackte auf dem Boden zusammen.

KAPITEL SECHS

Ein Windstoß traf Gareth ins Gesicht und er blickte hoch in das blasse Licht der ersten aufgehenden Sonne, die Tränen wegblinzelnd. Der Tag brach gerade erst an, und schon hatten sich an diesem abgelegenen Ort hier am Rande der Kolvian-Klippen hunderte Verwandte, Freunde und enge Untertanen des Königs versammelt, die sich mit dem Wunsch zusammendrängten, an der Bestattung teilzunehmen. Direkt hinter ihnen, zurückgehalten von einem Heer an Soldaten, konnte Gareth die hereinströmenden Massen sehen, tausende Menschen, die der Zeremonie von Ferne beiwohnten. Die Trauer auf ihren Gesichtern war aufrichtig. Sein Vater war geliebt gewesen, soviel war sicher.

Gareth stand mit dem Rest der direkten Familie im Halbkreis um den Leichnam seines Vaters, der auf Brettern über einer Grube im Boden aufgebahrt war; bereit, hinabgelassen zu werden. Argon stand vor der Menge, in die tiefroten Roben gehüllt, die für Bestattungen vorbehalten waren, mit einem unergründlichen Ausdruck auf dem Gesicht, das von einer Kapuze verdunkelt wurde, und blickte auf den Leichnam des Königs hinab. Gareth versuchte verzweifelt, dieses Gesicht zu lesen; zu entziffern, wie viel Argon wusste. Wusste Argon, dass er seinen Vater umgebracht hatte? Und wenn ja, würde er es den anderen berichten—oder dem Schicksal seinen Lauf lassen?

Zu Gareths Unglück war dieser lästige Junge, Thor, von allen Vorwürfen freigesprochen worden; klarerweise hätte er den König nicht erstechen können, während er im Kerker saß. Nicht zu vergessen, dass sein Vater selbst allen anderen erklärt hatte, dass Thor unschuldig war. Was die Sache für Gareth nur noch schlimmer machte. Ein Rat war bereits gebildet worden, um die Sache zu untersuchen, jedes einzelne Detail seines Mordest genauestens unter die Lupe zu nehmen. Gareths Herz pochte, während er mit den anderen zusammen dastand und auf den Leichnam starrte, der bald in das Erdreich hinuntergelassen werden würde; er wollte mit ihm mit versinken.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Spur zu Firth führte—und sobald das geschah, würde Gareth mit ihm zusammen fallen. Er würde schnell handeln müssen, um die Aufmerksamkeit abzulenken und die Schuld jemand anderem zuzuschieben. Gareth fragte sich, ob sein Umfeld ihn verdächtigte. Wahrscheinlich war er nur paranoid, und als er auf die Gesichter um ihn herum blickte, war da niemand, der ihn ansah. Da standen seine Brüder, Reece, Godfrey und Kendrick; seine Schwester Gwendolyn; und seine Mutter, ihr Gesicht von Trauer zerfurcht, wie erstarrt; tatsächlich war sie seit dem Tod seines Vaters wie verändert, kaum fähig, zu sprechen. Er hatte gehört, dass etwas mit ihr passiert war, als sie die Nachricht erhielt, in ihr drin; eine Art Lähmung. Ihr halbes Gesicht war wie erstarrt; wenn sie ihren Mund öffnete, kamen die Worte zu langsam hervor.

Gareth betrachtete die Gesichter des Königlichen Rats hinter ihr—sein führender General Brom und der Hauptmann der Legion, Kolk, standen vorne, und hinter ihnen die endlose Masse der Ratgeber seines Vaters. Sie alle täuschten Trauer vor, doch Gareth wusste es besser. Er wusste, dass es all diese Leute, all die Ratgeber und Ratsmitglieder und Generäle—und all die Adeligen und Lords hinter ihnen—kaum bekümmerte. In ihren Gesichtern sah er Ehrgeiz. Gier nach Macht. Während sie alle auf die Leiche des Königs starrten, fühlte er, wie jeder unter ihnen sich fragte, wer wohl als Nächstes den Thron besteigen würde.

Es war derselbe Gedanke, der Gareth beschäftigte. Was würde in den Nachwehen eines solch chaotischen Attentats geschehen? Wäre es sauber und einfach gewesen, und würde der Verdacht auf jemand anderem liegen, dann wäre Gareths Plan perfekt gewesen—der Thron würde in seine Hände fallen. Immerhin war er der erstgeborene legitime Sohn. Sein Vater hatte die Macht Gwendolyn überlassen, doch niemand außer seinen Geschwistern war bei jener Besprechung anwesend gewesen, und sein Wunsch war nie beurkundet worden. Gareth kannte den Rat und er wusste, wie ernst sie es mit dem Gesetz nahmen. Ohne eine Beurkundung konnte seine Schwester nicht regieren.

Was wiederum zu ihm führte. Falls alles mit rechten Dingen zugehen würde—und Gareth war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass dem so war—dann würde der Thron auf ihn übergehen müssen. So wollte es das Gesetz.

Seine Geschwister würden ihn anfechten, da hatte er keine Zweifel. Sie würden ihre Besprechung mit ihrem Vater vorbringen und wahrscheinlich darauf bestehen, dass Gwendolyn regieren soll. Kendrick würde nicht versuchen, die Macht für sich zu ergreifen—dafür war er zu aufrichtig. Godfrey war teilnahmslos. Reece war zu jung. Gwendolyn war seine einzige wahre Bedrohung. Doch Gareth war optimistisch: er dachte nicht, dass der Rat bereit dafür war, dass eine Frau—noch dazu ein jugendliches Mädchen—den Ring regieren solle. Und ohne Beurkundung durch den König hatten sie die perfekte Ausrede, sie zu übergehen.

Die einzig wirkliche Gefahr in Gareths Augen war Kendrick. Immerhin war er, Gareth, weithin verhasst, während Kendrick unter dem gemeinen Volk und den Soldaten beliebt war. Unter den Umständen bestand stets die Chance, dass der Rat Kendrick den Thron überlassen würde. Je eher Gareth die Macht übernehmen konnte, umso eher konnte er sie dazu nutzen, Kendrick unschädlich zu machen.

Gareth fühlte einen Ruck in seiner Hand und blickte auf das geknotete Seil hinunter, das über seine Handfläche brannte. Er erkannte, dass sie begonnen hatten, den Sarg seines Vaters abzusenken; er blickte zu seinen anderen Geschwistern hinüber, die wie er alle ein Seil hielten und es langsam absenkten. Gareths Ende begann zu kippen, da er verzögert mit dem Absenken anfing, und er musste vorgreifen und das Seil mit der anderen Hand packen, bis er endlich aufgeholt hatte und der Sarg eben lag. Es war ironisch: sogar im Tod konnte er seinem Vater nicht gerecht werden.

In der Ferne läuteten Glocken von der Burg herüber, und Argon trat vor und hob eine Hand.

“Itso ominus domi ko resepia…”

Die lange verlorene Sprache des Rings, die königliche Sprache, die seine Vorfahren vor tausend Jahren gesprochen hatten. Es war eine Sprache, die Gareths Privatlehrer ihm als Kind eingetrichtert hatten—und eine, die er brauchen würde, sobald er seine königliche Pflicht aufnahm.

Plötzlich hielt Argon inne, blickte auf und starrte direkt auf Gareth. Es jagte Gareth einen Schauer über den Rücken, wie Argons durchscheinende Augen sich direkt durch ihn durch zu brennen schienen. Gareths Gesicht errötete und er fragte sich, ob das gesamte Königreich es gesehen hatte, und ob irgendjemand wusste, was es bedeutete. Mit diesem Blick bekam er das Gefühl, dass Argon von seiner Beteiligung wusste. Und doch war Argon ein Rätsel; er hielt sich stets aus den Drehungen und Wendungen der menschlichen Schicksale heraus. Würde er schweigen?

„König MacGil war ein guter, gerechter König“, sprach Argon bedächtig mit tiefer, unirdischer Stimme.

„Er machte seinen Vorfahren Ehre und Stolz, und brachte diesen Königreich Reichtum und Frieden, wie wir sie selten gesehen haben. Sein Leben fand ein verfrühtes Ende, wie es Gottes Wille war. Doch er hinterließ ein tiefes und reiches Erbe. Nun ist es an uns, dieses Erbe anzutreten.“

Argon hielt inne.

„Unser Königreich des Rings ist auf allen Seiten umringt von dunklen und bedrohlichen Gefahren. Hinter dem Canyon, rein von unserem Energie-Schild abgehalten, liegt eine Nation von Wilden und Kreaturen, die uns zerreißen möchte. Innerhalb unseres Rings, auf der anderen Seite unserer Hochlande, liegt ein Clan, der uns nicht wohlgesinnt ist. Wir leben in unvergleichlichem Wohlstand und Frieden; und doch ist unsere Sicherheit vergänglich.

Warum nehmen die Götter jemanden in der Blüte seines Lebens von uns—einen guten und weisen und gerechten König? Warum war es sein Schicksal, auf solche Art ermordet zu werden? Wir alle sind nichts als Spielfiguren, Puppen in den Händen des Schicksals. Auch am Gipfel unserer Kräfte können wir unter der Erde enden. Die Frage, mit der wir uns plagen müssen, ist nicht, wonach wir streben—sondern wer wir sein wollen.“

Argon senkte den Kopf, und Gareth fühlte, wie seine Hände brannten, als sie den Sarg zur Gänze absenkten; endlich stieß er mit einem Ruck am Boden auf.

„NEIN!“, ertönte ein Schrei.

Es war Gwendolyn. Hysterisch rannte sie auf den Grubenrand zu, als wolle sie sich hineinwerfen; Reece rannte vor und packte sie, hielt sie zurück. Kendrick trat vor, um zu helfen.

Doch Gareth empfand kein Mitgefühl für sie; am ehesten fühlte er sich bedroht. Wenn sie unter die Erde wollte, konnte er das arrangieren.

Ja, in der Tat: das konnte er.

*

Thor stand nur wenige Fuß von König MacGils Leichnam entfernt, als er zusah, wie er in die Erde abgesenkt wurde. Der Anblick überwältigte ihn. Am Rande der höchsten Klippen des Königreichs gelegen, hatte der König einen atemberaubenden Ort als letzte Ruhestätte gewählt, einen luftigen Ort, der bis in die Wolken selbst zu reichen schien. Die Wolken waren in Orange und Grün und Gelb und Rosa getaucht, als die erste der aufgehenden Sonnen höher in den Himmel kletterte. Doch der Tag war mit einem Nebel bedeckt, der sich nicht lichten wollte; als würde das Reich selbst trauern. Neben ihm winselte Krohn.

Thor hörte ein Kreischen und blickte zu Estopheles hinauf, die hoch oben ihre Kreise zog und auf sie hinunterspähte. Thor fühlte sich immer noch taub. Er konnte die Ereignisse der letzten Tage kaum fassen; dass er nun hier stand, inmitten der Familie des Königs, und zusah, wie dieser Mann, den er so schnell ins Herz geschlossen hatte, im Erdreich versenkt wurde. Es schien unmöglich. Er hatte kaum begonnen, ihn zu kennen, den ersten Mann, der je wie ein richtiger Vater zu ihm gewesen war, und nun wurde er ihm weggenommen. Mehr als alles andere konnte Thor nicht aufhören, über die letzten Worte des Königs nachzudenken.

Du bist nicht wie die anderen. Du bist etwas Besonderes. Und solange du nicht verstehst, wer du bist, wird unser Königreich nie zur Ruhe kommen.

Was hatte der König damit gemeint? Wer genau war er? Wie war er anders? Woher wusste der König das? Was hatte das Schicksal des Königreichs mit Thor zu tun? War der König nur bereits im Wahn gewesen?

Fern von hier liegt ein großes Land. Hinter dem Imperium. Sogar hinter dem Land der Drachen. Es ist das Land der Druiden. Die Heimat deiner Mutter. Dorthin musst du reisen, um die Antworten zu suchen.

Woher wusste MacGil von seiner Mutter? Woher wusste er, wo sie lebte? Und welche Antworten sollte sie haben? Thor hatte stets angenommen, dass sie tot war—der Gedanke daran, dass sie am Leben sein könnte, elektrisierte ihn. Er fühlte sich fest entschlossen, mehr als je zuvor, sie zu suchen und zu finden. Die Antworten zu finden; zu entdecken, wer er war und was an ihm so besonders war.

Während eine Glocke ertönte und MacGils Leichnam sich zu senken begann, wunderte sich Thor über die grausamen Drehungen und Wendungen des Schicksals; warum war es ihm gestattet, die Zukunft zu sehen, diesen großen Mann sterben zu sehen—und doch war er machtlos gewesen, etwas dagegen zu unternehmen? In gewisser Weise wünschte er, er hätte nie etwas davon gesehen, nie im Voraus gewusst, was passieren würde; er wünschte, er hätte einfach nur ein unbeteiligter Außenstehender sein können wie die anderen, einfach nur eines Tages aufwachen und erfahren, dass der König tot war. Nun fühlte er sich, als hätte er etwas damit zu tun. Irgendwie fühlte er sich schuldig, als hätte er mehr unternehmen sollen.

Thor fragte sich, was nun aus dem Königreich werden würde. Es war ein Königreich ohne König. Wer würde regieren? Würde es Gareth sein, wie jeder es dachte? Thor konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen.

Thor blickte durch die Menge und sah die ernsten Gesichter der Adeligen und Lords, die hier aus allen Ecken des Rings versammelt waren; er wusste von Reece, dass sie mächtige Männer waren, in einem unruhigen Königreich. Er musste sich fragen, wer der Mörder sein könnte. Diesen Gesichtern nach zu schließen schien es, als wäre jeder von ihnen verdächtig. Jeder dieser Männer würde nach Macht eifern. Würde das Königreich in Stücke brechen? Würden ihre Streitkräfte miteinander uneins sein? Wie würde sein eigenes Schicksal verlaufen? Und was würde aus der Legion werden? Würde sie aufgelöst werden? Oder die Armee? Würden die Silbernen sich auflehnen, falls Gareth zum König ernannt werden sollte?

Und nach allem, was passiert war: würden die anderen wirklich glauben, dass Thor unschuldig war? Würde er gezwungen sein, in sein Heimatdorf zurückzukehren? Er hoffte nicht. Er liebte alles, was er hatte; mehr als alles andere wollte er hierbleiben dürfen, an diesem Ort, in der Legion. Er wolle, dass alles so bleiben würde, wie es war; dass sich nichts ändern würde. Vor nur wenigen Tagen noch hatte das Königreich so standfest gewirkt, so dauerhaft; MacGil schien, als würde er den Thron noch eine Ewigkeit halten. Wenn etwas so Sicheres, so Stabiles, so plötzlich zusammenbrechen konnte—welche Hoffnung gab es dann für den Rest von ihnen? Nichts fühlte sich für Thor mehr von Dauer an.

Thors Herz brach, als er zusehen musste, wie Gwendolyn versuchte, ihrem Vater ins Grab nachzuspringen. Während Reece sie zurückhielt, traten Bedienstete vor und begannen, den Erdhaufen in die Grube zu schaufeln, während Argon mit seinem Zeremonien-Gesang fortfuhr. Eine Wolke zog über den Himmel und bedeckte einen Moment lang die erste Sonne, und Thor fühlte einen kalten Wind durch den rasch warm werdenden Sommertag peitschen. Er hörte ein Winseln und sah, wie Krohn zu ihm aufblickte.

Thor wusste kaum, wie es mit irgendetwas weitergehen sollte, doch eines wusste er: er musste mit Gwen sprechen. Er musste ihr sagen, wie leid es ihm tat, wie sehr auch ihm der Tod ihres Vaters ans Herz ging; ihr sagen, dass sie nicht alleine war. Selbst wenn sie beschließen würde, Thor nie wieder zu sehen, musste er sie wissen lassen, dass er fälschlich beschuldigt war; dass er in jenem Freudenhaus nichts getan hatte. Er brauchte eine Chance, nur eine Gelegenheit, die Sache richtigzustellen, bevor sie ihn auf immer abschrieb.

Nachdem die letzte Schaufel voll Erde auf den König geworfen war und die Glocken erneut läuteten, verteilte sich die Menge neu: reihenweise stellten sich die Menschen, so weit Thor sehen konnte, an den Klippen entlang auf, jeder eine einzelne schwarze Rose in der Hand, und sie standen an, um an dem frischen Erdhügel vorbeizuziehen, der das Grab des Königs kennzeichnete. Thor trat vor, kniete nieder und legte seine Rose auf den bereits anwachsenden Haufen. Krohn winselte.

Als die Menge sich langsam auflöste und sich die Menschen in alle Richtungen zerstreuten, beobachtete Thor, wie Gwendolyn sich aus Reeces Griff befreite und hysterisch vom Grab davonlief.

„Gwen!“, rief Reece ihr nach.

Doch sie war untröstlich. Sie bahnte sich einen Weg durch die dichte Menge und rannte einen Fußpfad hinunter, der die Klippen entlanglief. Thor konnte es nicht ertragen, sie so zu sehen; er musste versuchen, mit ihr zu sprechen.

Thor drängte sich selbst durch die Menge, mit Krohn auf den Fersen, und bahnte sich seinen Weg hin und her durch die dichter werdenden Massen. Er versuchte, ihrem Pfad zu folgen und sie einzuholen. Endlich brach er aus der Masse hervor und entdeckte sie, wie sie weit von den anderen davonlief.

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10 ekim 2019
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ISBN:
9781939416780
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