Kitabı oku: «Queste der Helden», sayfa 19
„Weil wer es auch ist, der sterben soll, dich direkt betrifft. Es wird sich auf dein Schicksal auswirken.“
Thor wurde immer aufgewühlter; er hatte das Gefühl, als würde jede Antwort noch mehr Fragen aufwerfen.
„Aber das ist nicht gerecht“, sagte Thor. „Ich muss wissen, wer es ist, der sterben soll. Ich muss ihn warnen!“
Langsam schüttelte Argon den Kopf.
„Es soll vielleicht nicht sein, dass du es weißt“, antwortete er. „Und wenn du es weißt, kann es dennoch sein, dass du nichts dagegen tun kannst. Der Tod findet sein Ziel—selbst, wenn jemand gewarnt wird.“
„Warum wurde es mir dann gezeigt?“, fragte Thor gequält. „Und warum bekomme ich es nicht aus dem Kopf?“
Argon trat vor, so nahe, nur eine Handbreit entfernt; seine eindringlichen Augen brannten hell an diesem düsteren Ort, und es beängstigte Thor. Es war, als würde man in die Sonne blicken, und er konnte sich kaum halten, nicht wegzusehen. Argon hob eine Hand und legte sie Thor auf die Schulter. Die Berührung war eisig und schickte einen Schauer durch ihn durch.
„Du bist jung“, sprach Argon bedächtig. „Du lernst noch. Du empfindest die Dinge zu tief. Die Zukunft zu sehen ist eine große Entlohnung. Doch es kann auch ein großer Fluch sein. Die meisten Menschen, die ihr Schicksal leben, haben kein Bewusstsein darüber. Manchmal ist es das Schmerzvollste, Wissen über dein Schicksal zu haben—darüber, was sein wird. Du hast noch nicht einmal begonnen, deine Kräfte zu verstehen. Doch das wirst du. Eines Tages. Sobald du verstehst, woher du stammst.“
„Woher ich stamme?“, fragte Thor verwirrt.
„Die Heimat deiner Mutter. Weit von hier entfernt. Hinter dem Canyon, in den äußeren Ausläufern der Wildlande. Dort steht eine Burg, hoch oben in den Lüften. Sie liegt alleine an einer Klippe, und um zu ihr zu gelangen, muss man über eine gewundene Felsstraße wandern. Es ist eine magische Straße—als würde man in den Himmel selbst hinaufsteigen. Es ist ein Ort tiefer Macht. Von dort stammst du. Bevor du diesen Ort erreicht hast, wirst du nie völlig begreifen. Sobald du es tust, werden alle deine Fragen beantwortet werden.“
Thor blinzelte, und als er die Augen öffnete, fand er sich zu seinem Erstaunen, außen vor Argons Behausung wieder. Er hatte keine Ahnung, wie er dorthin geraten war.
Der Wind peitschte durch die felsige Schlucht, und Thor blinzelte gegen das harte Sonnenlicht. Neben ihm stand Krohn und wimmerte.
Thor ging zurück zu Argons Tür und schlug mit aller Kraft dagegen. Nichts als Schweigen war seine Antwort.
„Argon!“, schrie Thor.
Nur das Pfeifen des Windes antwortete ihm.
Er versuchte, die Tür zu öffnen, presste sogar seine Schulter dagegen—doch sie bewegte sich nicht.
Thor wartete lange Zeit—er war sich nicht sicher, wie lange—bis schließlich der Tag sich zu Ende neigte. Endlich wurde ihm klar, dass seine Zeit hier vorüber war.
Er kehrte um und begann seinen Abstieg über den steinigen Hang, und wunderte sich. Er fühlte sich so verwirrt wie nie zuvor, und fühlte sich auch sicherer, dass ein Tod bevorstand—und noch hilfloser, ihn zu verhindern.
Als er durch diesen trostlosen Ort wanderte, spürte er etwas Kaltes um seine Knöchel und sah, wie sich ein dichter Nebel bildete. Er stieg auf und wurde mit jedem Augenblick dichter und höher. Thor verstand nicht, was passierte. Krohn wimmerte.
Thor versuchte, schneller zu werden, seinen Weg den Berg hinunter fortzusetzen, doch in wenigen Momenten war der Nebel so dicht geworden, dass er kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Zugleich fühlte er, dass seine Glieder schwer wurden und der Himmel wie durch Zauber dunkel wurde. Er fühlte, wie er immer erschöpfter wurde. Er konnte keinen Schritt weiter gehen. Er rollte sich am Boden zusammen, genau da, wo er gestanden hatte, eingehüllt in den dichten Nebel. Er bemühte sich, die Augen zu öffnen, sich zu bewegen, doch es gelang ihm nicht. Innerhalb weniger Augenblicke war er tief eingeschlafen.
*
Thor sah sich selbst, wie er am Gipfel eines Berges stand und über das gesamte Königreich des Rings blickte. Vor ihm lag Königshof, die Burg, die Befestigungen, die Gärten, die Bäume, und sanfte Hügel, so weit das Auge reichte—allesamt in voller Sommerblüte. Die Felder standen voller Früchte und bunter Blumen, und der Klang von Musik und Festlichkeiten war zu hören.
Doch als Thor sich langsam drehte und alles betrachtete, fing das Gras an, sich schwarz zu verfärben. Früchte fielen von den Bäumen. Dann verdorrten die Bäume selbst zu Staub. All die Blumen vertrockneten, und zu seinem Entsetzen bröckelte ein Gebäude nach dem anderen, bis das gesamte Königreich nichts als eine Einöde war, Haufen von Geröll und Stein.
Thor blickte hinunter und sah plötzlich eine riesige Weißrücken zwischen seinen Füßen hervorgleiten. Er stand hilflos da, während sie sich um seine Beine wickelte, dann seinen Bauch, dann die Arme. Er fühlte, wie er erstickt wurde, das Leben aus ihm herausgepresst wurde, als die Schlange sich ganz um ihn herum legte und ihm in die Augen starrte, eine Handbreit entfernt, zischend, ihre lange Zunge beinahe Thors Wange berührend. Und dann öffnete sie weit das Maul, legte riesige Zähne frei, beugte sich vor und schluckte Thors Gesicht.
Thor kreischte, dann fand er sich alleine im Inneren der königlichen Burg wieder. Sie war völlig leer, kein Thron stand mehr da, wo früher einer war; das Schicksalsschwert lag unberührt am Boden. Die Fenster waren alle zerschmettert, Buntglas lag in kleinen Haufen auf dem Steinboden. Er hörte entfernt Musik, drehte sich dem Klang zu und lief durch einen leeren Raum nach dem anderen. Endlich erreichte er eine große Flügeltüre, hundert Fuß hoch, und öffnete sie mit all seiner Kraft.
Thor stand im Eingang zum königlichen Festsaal. Vor ihm standen zwei Festtafeln, die sich durch den Raum erstreckten, überfüllt mit Speisen—und doch leer an Männern. Am Ende der Halle saß ein Mann. König MacGil. Er saß auf seinem Thron und starrte Thor direkt an. Er wirkte so weit weg.
Thor spürte, dass er ihn erreichen musste. Er fing an, durch die große Halle zu schreiten, auf ihn zu, zwischen den beiden Festtafeln durch. Während er ging, verdarben alle Speisen zu seinen Seiten, verrotteten mit jedem Schritt, den er machte, wurden schwarz und sofort mit Fliegen überzogen. Fliegen surrten und schwärmten überall um ihn umher und zersetzten die Speisen.
Thor ging schneller. Der König war jetzt schon nahe, kaum zehn Schritt entfernt, als ein Diener aus einer Seitenkammer hervortrat und einen riesigen goldenen Kelch mit Wein brachte. Es war ein unverkennbarer Kelch, aus solidem Gold gefertigt und mit Reihen von Rubinen und Saphiren bedeckt. Als der König sich abwandte, sah Thor, wie der Diener ein weißes Pulver in den Kelch schüttete. Thor erkannte, dass es Gift war.
Der Diener brachte den Kelch näher und MacGil nahm ihn mit beiden Händen auf.
„Nein!“, schrie Thor.
Thor warf sich nach vorne und versuchte, dem König den Wein aus der Hand zu schlagen.
Doch er war nicht schnell genug. MacGil trank den Wein in großen Schlucken. Er rann seine Wangen hinunter auf seine Brust, während er ihn leertrank.
MacGil blickte zu Thor hinüber, und seine Augen wurden weit. Er griff sich an die Kehle, bis er würgend vornüber fiel und von seinem Thron stürzte; er fiel zur Seite und landete auf dem harten Steinboden. Seine Krone rollte vom Kopf, fiel klirrend auf den Steinboden und rollte einige Fuß weit weg.
Er lag da, bewegungslos, mit offenen Augen, tot.
Estopheles glitt herunter und landete auf MacGils Kopf. Sie saß da, blickte Thor direkt an und kreischte. Der Ton war so schrill, dass es Thor einen Schauer über den Rücken jagte.
„Nein!“, schrie Thor.
*
Thor wachte schreiend auf.
Er setzte sich auf, sah sich hektisch um, schwitzend, schwer atmend, und versuchte, herauszufinden, wo er war. Er lag immer noch am Boden auf Argons Berg. Er konnte es nicht glauben: er musste hier eingeschlafen sein. Der Nebel war fort und als er hochblickte, sah er, dass der Morgen heranbrach. Eine blutrote Sonne stieg über dem Horizont auf und erhellte den Tag. Neben ihm wimmerte Krohn, sprang auf seinen Schoß und leckte ihm über das Gesicht.
Thor umarmte Krohn mit einem Arm, während er schwer atmend versuchte, festzustellen, ob er wach war oder schlief. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihm klar wurde, dass es nur ein Traum gewesen war. Es hatte sich so echt angefühlt.
Thor hörte ein Kreischen und sah Estopheles, die auf einem Felsen nur einen Fuß entfernt hockte. Sie sah ihn direkt an und kreischte, wieder und wieder.
Der Ton jagte Thor einen Schauer über den Rücken. Es war das gleiche Kreischen wie in seinem Traum, und in dem Moment wusste er, mit jeder Faser seines Körpers, dass dieser Traum eine Botschaft war.
Der König würde vergiftet werden.
Thor sprang auf die Beine und lief durch den Tagesanbruch den Berg hinunter, Richtung Königshof. Er musste zum König. Er musste ihn warnen. Der König mochte glauben, er wäre verrückt, doch er hatte keine Wahl: er würde alles tun, was er konnte, um dem König das Leben zu retten.
*
Thor rannte über die Zugbrücke, hastete auf das Außentor der Burg zu und hatte das Glück, dass die beiden Wachen ihn aus der Legion erkannten. Sie ließen ihn hindurch, ohne ihn aufzuhalten, und er rannte weiter, mit Krohn an seiner Seite.
Thor raste über den königlichen Innenhof, an den Brunnen vorbei, und rannte direkt zum Innentor der königlichen Burg. Dort standen vier Wachen, die den Weg versperrten.
Thor blieb stehen und schnappte nach Luft.
„Was möchtest du hier, Junge?“, fragte einer von ihnen.
„Ihr versteht nicht, ihr müsst mich hineinlassen“, keuchte Thor. „Ich muss den König sprechen.“
Die Wachen sahen einander skeptisch an.
„Ich bin Thorgrin aus der Legion des Königs. Ihr müsst mich vorbeilassen.“
„Ich kenne ihn“, sagte ein Wachmann zum anderen. „Er gehört zu uns.“
Doch der Hauptmann trat vor.
„Welche Angelegenheit führt dich zum König?“, bestand er.
Thor rang immer noch um Atem.
„Eine sehr dringende. Ich muss ihn sofort sprechen.“
„Nun, er hat dich wohl nicht erwartet, denn du bist schlecht informiert. Unser König ist nicht hier. Er zog vor Stunden mit seinem Reisetrupp aus, in höfischer Angelegenheit. Sie werden nicht vor heute Abend, zum königlichen Festmahl, zurückkehren.“
„Festmahl?“, fragte Thor mit pochendem Herzen. Er dachte an seinen Traum zurück, die Festtafeln, und hatte das unheimliche Gefühl, dass es alles Wirklichkeit wurde.
„Ja, Festmahl. Wenn du zur Legion gehörst, wirst du bestimmt dabei sein. Doch jetzt gerade ist er nicht da, und es gibt keine andere Möglichkeit für dich, ihn zu sprechen. Komm heute Abend mit den anderen zusammen wieder.“
„Aber ich muss ihm eine Nachricht übermitteln!“, bestand Thor. „Noch vor dem Festmahl!“
„Du kannst die Nachricht mir überlassen, wenn du möchtest. Doch auch ich kann sie nicht früher überbringen als du.“
Thor wollte eine solche Nachricht nicht einem Wachmann überlassen; ihm war klar, wie verrückt sie klingen würde. Er musste sie persönlich überbringen, heute Abend, vor dem Festmahl. Er betete nur, dass es nicht zu spät sein würde.
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
Thor eilte durch die Morgendämmerung zurück zur Legionskaserne und schaffte es zum Glück gerade noch, bevor das Training des Tages begann. Er war atemlos als er ankam, Krohn an seiner Seite, und er rannte geradewegs in die anderen Jungen hinein, als sie sich für die Aufgaben des Tages hinausbegaben. Er stand keuchend da und war besorgter als je zuvor. Er wusste kaum, wie er es durch das Tagestraining schaffen sollte; er würde die Minuten bis zum Festmahl am Abend zählen, bis er den König warnen konnte. Er war sich sicher, dass das Omen zu ihm gekommen war, damit er dem König die Warnung überbringen konnte. Das Schicksal des Königreichs lag auf seinen Schultern.
Thor rannte erschöpft zu Reece und O’Connor hinüber, die sich gerade auf den Weg hinaus aufs Feld machten, und stellte sich in die Reihe.
„Wo warst du letzte Nacht?“, fragte Reece.
Thor wünschte, er wüsste, wie er antworten sollte—doch er wusste selbst nicht so genau, wo er gewesen war. Was sollte er sagen? Dass er im Freien auf dem Boden eingeschlafen war, auf Argons Berg? Es ergab keinen Sinn, nicht einmal für ihn.
„Ich weiß es nicht“, antwortete er, unsicher, wie viel er ihnen verraten sollte.
„Was meinst du, du weißt es nicht?“, fragte O’Connor.
„Ich habe mich verlaufen“, sagte Thor.
„Verlaufen?“
„Na, du hast Glück gehabt, dass du es rechtzeitig zurückgeschafft hast“, sagte Reece.
„Wenn du zu spät für die Aufgaben des Tages gewesen wärst, hätten sie dich nicht in die Legion zurückgelassen“, fügte Elden hinzu, der sich neben sie gesellte und ihm eine massive Hand auf die Schulter klopfte. „Schön, dich zu sehen. Wir haben dich gestern vermisst.“
Thor war immer noch schockiert von dem Unterschied, wie Elden ihn seit ihrer Zeit über dem Canyon behandelte.
„Wie lief die Sache mit meiner Schwester?“, fragte Reece mit leiser Stimme.
Thor errötete, unsicher, wie er antworten sollte.
„Hast du sie getroffen?“, pochte Reece.
„Ja, habe ich“, begann er. „Wir verbrachten eine wunderbare Zeit. Doch wir mussten abrupt weg.“
„Tja“, fuhr Reece fort, als sie sich alle nebeneinander vor Kolk und des Königs Mannen aufstellten, „du wirst heute Abend mehr von ihr sehen. Zieh deine feinsten Kleider an. Heute ist Festmahl des Königs.“
Thors Magen sank. Er dachte an seinen Traum und fühlte sich, als würde das Schicksal vor seinen Augen tanzen—und dass er hilflos war; dazu bestimmt, nichts zu tun, als zuzusehen, wie es eintraf.
„RUHE!“, schrie Kolk, als er anfing, vor den Jungen auf und ab zu schreiten.
Thor richtete sich mit den anderen zusammen auf, und alle wurden ruhig.
Kolk wanderte langsam die Reihe entlang und betrachtete sie.
„Ihr hattet gestern euren Spaß. Heute gehts wieder ans Training. Und heute lernt ihr die uralte Kunst des Graben-Aushebens.“
Ein gesammeltes Stöhnen erhob sich unter den Jungs.
„RUHE!“, brüllte er.
Die Jungs verstummten.
„Graben ist harte Arbeit“, fuhr Kolk fort. „Aber es ist wichtige Arbeit. Eines Tages werde ihr euch da draußen wiederfinden, in Verteidigung eures Königreichs, in der Wildnis, mit niemandem, der euch hilft. Es wird frierend kalt sein, so kalt, dass ihr eure Zehen nicht fühlen könnt, in der pechschwarzen Nacht, und ihr werdet alles tun, um warm zu bleiben. Oder ihr findet euch in einer Schlacht wieder, in der ihr Deckung braucht, um euch vor den Pfeilen des Feindes zu retten. Es kann eine Million Gründe geben, warum ihr einen Graben braucht. Und ein Graben kann euer bester Freund sein.“
„Heute“, fuhr er fort und räusperte sich, „werdet ihr den ganzen Tag graben, bis eure Hände mit Schwielen rot sind und eure Rücken brechen, und ihr nicht mehr könnt. Dann wird es am Tag der Schlacht nicht so schlimm erscheinen.“
„FOLGT MIR!“, brüllte Kolk.
Ein weiteres Stöhnen der Enttäuschung erklang, als die Jungs sich in Zweierreihen aufteilten und hinter Kolk her über das Feld marschierten.
„Toll“, sagte Elden. „Graben ausheben. Genau das, wie ich den Tag verbringen wollte.“
„Könnte schlimmer sein“, sagte O’Connor. „Es könnte regnen.“
Sie blickten zum Himmel hinauf und Thor sah bedrohliche Wolken über ihnen.
„Das könnte gut passieren“, sagte Reece. „Beschrei’s bloß nicht.“
„THOR!“, kam ein Ausruf.
Thor sah Kolk auf der Seite stehen und ihm einen finsteren Blick zuwerfen. Er rannte zu ihm hinüber und fragte sich, was er falsch gemacht hatte.
„Ja, Herr.“
„Dein Ritter lässt dich zu sich rufen“, sagte er kurz. „Melde dich bei Erec in den Burggründen. Du bist ein Glückspilz: du hast heute frei. Du wirst stattdessen deinem Ritter dienen, wie es sich für einen guten Knappen gehört. Aber denke bloß nicht, dass dir das Graben erspart bleibt: wenn du morgen zurückkommst, wirst du für dich alleine Graben ausheben. Ab mit dir!“, schrie er.
Thor blickte sich um und sah die neidvollen Blicke der anderen, dann rannte er vom Feld und zur Burg zurück. Was konnte Erec von ihm wollen? Hatte es etwas mit dem König zu tun?
*
Thor rannte durch Königshof und bog in einen Weg ein, den er noch nie gelaufen war: zur Kaserne der Silbernen. Ihre Kaserne war weitaus ansehnlicher als die der Legion, ihre Gebäude doppelt so groß, mit Kupfer ausgekleidet, und ihre Pfade mit frischem Stein gepflastert. Um dorthin zu gelangen, musste Thor durch ein großes gewölbtes Tor, an dem ein Dutzend von des Königs Mannen Wache standen. Der Weg wurde danach breiter, erstreckte sich über ein riesiges, offenes Feld und endete in einem Komplex an Steinbauten, von einem Zaun umringt und von Dutzenden weiterer Ritter bewacht. Es war selbst von hier ein beeindruckender Anblick.
Thor rannte den Weg hinunter, auffällig sichtbar auf dem offenen Feld, und Ritter bereiteten sich schon auf seine Ankunft vor, obwohl er noch so weit weg war; sie traten vor und kreuzten ihre Lanzen, geradeaus blickend, ihn ignorierend, während sie seinen Weg verstellten.
„Was suchst du hier?“, fragte einer von ihnen.
„Ich melde mich zum Dienst“, antwortete Thor. „Ich bin Erecs Knappe.“
Die Ritter tauschten einen vorsichtigen Blick aus, doch ein anderer Ritter trat vor und nickte. Sie traten zurück, öffneten die gekreuzten Waffen, und langsam öffnete sich das Tor. Seine metallenen Spitzen hoben sich knarrend. Das Tor war enorm, zumindest zwei Fuß dick, und Thor dachte, dass dieser Ort noch stärker befestigt war als sogar die Königsburg.
„Das zweite Gebäude links“, rief der Ritter. „Du findest ihn im Stall.“
Thor eilte den Weg durch den Hof hinunter, vorbei an einer Gruppe von Steinbauten, und nahm alles in sich auf. Alles hier strahlte, makellos, perfekt in Schuss gehalten. Der ganze Ort strahlte eine Aura von Stärke aus.
Thor fand das Gebäude und war geblendet von dem Anblick vor ihm: dutzende der größten und schönsten Pferde, die er je gesehen hatte, waren in ordentlichen Reihen vor dem Gebäude angebunden, die meisten von ihnen mit Rüstung bedeckt. Die Pferde glänzten. Alles hier war größer, erhabener.
Echte Ritter trotteten in alle Richtungen vorbei, trugen die unterschiedlichsten Waffen, passierten den Hof auf ihrem Weg durch die verschiedenen Tore hinaus oder herein. Es war ein geschäftiger Ort, und Thor konnte die Gegenwart von Kampf hier spüren. An diesem Ort ging es nicht um Training: es ging um Krieg. Leben und Tod.
Thor kam durch einen kleinen gewölbten Eingangsbereich, einen dunklen Korridor aus Stein hinunter, und eilte weiter hindurch, einen Stall nach dem anderen passierend, auf der Suche nach Erec. Thor kam am Ende an, doch Erec war nirgends zu finden.
„Du suchst Erec, wie?“, fragte eine Wache.
Thor nickte ihm zu.
„Ja, Herr. Ich bin sein Knappe.“
„Du bist spät dran. Er ist bereits draußen und bereitet sein Pferd vor. Beeil dich.“
Thor rannte den Korridor hinunter und platzte aus dem Stall hinaus auf ein offenes Feld. Da stand Erec vor einem riesigen, prächtigen Hengst, einem glänzenden schwarzen Ross mit weißen Nüstern. Das Pferd schnaubte bei Thors Ankunft, und Erec drehte sich um.
„Es tut mir leid, Herr“, sagte Thor atemlos. „Ich kam, so schnell ich konnte. Es war nicht meine Absicht, zu spät zu kommen.“
„Du kommst genau rechtzeitig“, sagte Erec mit einem freundlichen Lächeln. „Thor, darf ich vorstellen, Lannin“, fügte er hinzu und zeigte auf das Pferd.
Lannin schnaubte und tänzelte wie zur Antwort. Thor kam näher, streckte die Hand aus und streichelte ihm über die Nüstern; er wieherte sanft zurück.
„Er ist mein Reisepferd. Ein Ritter von Rang hat viele Pferde, wie du lernen wirst. Es gibt eins für Turniere, eins für die Schlacht, und eins für die lange, einsame Reise. Das ist das Pferd, mit dem du die engste Freundschaft bildest. Er mag dich. Das ist gut.“
Lannin beugte sich vor und drückte seine Nüstern in Thors Handfläche. Thor war überwältigt von der Pracht dieses Wesens. Er konnte die Intelligenz in seinen Augen leuchten sehen. Es war unheimlich: es fühlte sich an, als ob er jedes Wort verstand.
Doch etwas, das Erec gesagt hatte, warf Thor aus der Bahn.
„Sagtet Ihr eine Reise, Herr?“, fragte er überrascht.
Erec hielt mit dem Engerschnallen des Geschirrs inne und drehte sich zu ihm um.
„Heute ist der Tag meiner Geburt. Ich habe mein fünfundzwanzigstes Jahr erreicht. Das ist ein besonderer Tag. Weißt du, was der Kür-Tag ist?“
Thor schüttelte den Kopf. „Nicht sehr gut, Herr; nur soviel, wie mir andere erzählen.“
„Wir Ritter des Rings müssen immer weiter existieren, eine Generation nach der anderen“, begann Erec. „Wir haben bis zu unserem fünfundzwanzigsten Jahr Zeit, eine Braut zu küren. Wenn bis dahin keine auserkoren ist, gebietet uns das Gesetz, eine zu finden. Wir erhalten ein Jahr Zeit, sie zu finden und zurückzubringen. Wenn wir ohne Braut zurückkehren, wird uns vom König eine zugewiesen und wir verlieren das Recht, zu küren.“
„So breche ich also heute zu meiner Reise auf, meine Braut zu finden.“
Thor starrte ihn sprachlos an.
„Aber Herr, Ihr geht fort? Für ein Jahr?“
Thors Magen sank beim Gedanken daran. Er fühlte, wie seine Welt unter ihm bröckelte. Erst in diesem Augenblick erkannte er, wie sehr er Erec mochte; in mancher Hinsicht war er wie ein Vater für ihn geworden—gewiss mehr ein Vater, als der, den er hatte.
„Doch für wen soll ich dann Knappe sein?“, fragte Thor. „Und wohin werdet ihr gehen?“
Thor dachte daran zurück, wie sehr sich Erec für ihn eingesetzt hatte, wie er ihm das Leben gerettet hatte. Sein Herz sank beim Gedanken daran, dass er weggehen würde.
Erec lachte, ein sorgenfreies Lachen.
„Welche Frage soll ich zuerst beantworten?“, sagte er. „Keine Sorge. Du wurdest einem neuen Ritter zugewiesen. Du wirst ihm bis zu meiner Rückkehr als Knappe dienen. Kendrick, der älteste Sohn des Königs.“
Thors Herz schlug höher, als er das hörte; er fühlte sich Kendrick ebenso stark verbunden, der immerhin als erstes für ihn Partei ergriffen und ihm einen Platz in der Legion beschafft hatte.
„Was meine Reise angeht...“, fuhr Erec fort, „...ich weiß es noch nicht. Ich weiß, ich werde mich gen Süden richten, zu dem Königreich, aus dem ich stamme, und in dieser Richtung nach einer Braut suchen. Wenn ich innerhalb des Rings keine finde, dann kreuze ich vielleicht sogar die See zu meinem eigenen Königreich, um dort nach einer zu suchen.“
„Euer eigenes Königreich, Herr?“, fragte Thor.
Thor erkannte, dass er nicht wirklich allzu viel über Erec wusste, darüber, woher er kam. Er hatte einfach stets angenommen, dass er von innerhalb des Rings kam.
Erec lächelte. „Ja, weit von hier entfernt, über dem Meer. Doch das ist eine Erzählung für ein andermal. Es wird eine weite Reise und eine lange, und ich muss mich vorbereiten. Also hilf mir jetzt. Die Zeit ist knapp. Zäume mein Pferd und bestücke es mit allen Arten von Waffen.“
Thors Kopf drehte sich, als er in Aktion sprang, zur Rüstkammer für die Pferde lief und die leicht erkennbare schwarze und silberne Rüstung holte, die Lannin gehörte. Er lief mit jedem Stück einzeln zurück, legte erst den Kettenmantel auf den Pferderücken, sich streckend, um ihn um seinen riesigen Körper zu drapieren. Dann legte Thor die Rossstirn an, die dünne Platte aus veredeltem Metall für den Pferdekopf.
Lannin wieherte dabei, aber er schien es zu mögen. Er war ein edles Pferd, ein Krieger, das konnte Thor erkennen, und er fühlte sich in Rüstung scheinbar genauso wohl wie ein Ritter es würde.
Thor lief zurück und holte Erecs goldene Sporen, und half ihm, auf jedem Fuß eine zu befestigen, als Erec aufs Pferd stieg.
„Welche Waffen werdet ihr benötigen, Herr?“, fragte Thor.
Erec blickte hinunter; aus dieser Perspektive wirkte er riesig.
„Es ist schwer, vorauszusagen, in welche Kämpfe ich im Verlauf eines Jahres geraten könnte. Doch ich muss in der Lage sein, zu jagen und mich zu verteidigen. Also brauche ich natürlich mein Langschwert. Ich sollte auch mein Kurzschwert dabei haben, einen Bogen, einen Köcher Pfeile, einen Kurzspeer, einen Streitkolben, einen Dolch und meinen Schild. Ich vermute, das wird reichen.“
„Ja, Herr“, sagte Thor und machte sich auf. Er rannte zu Erecs Waffengestell neben Lannins Stall und ließ seinen Blick über die dutzenden Waffen schweifen. Es stand ein beeindruckendes Arsenal zur Auswahl.
Sorgfältig entnahm er alle die Waffen, die Erec aufgezählt hatte, brachte sie einzeln zurück und überreichte sie Erec oder befestigte sie sicher am Geschirr.
Wie Erec da saß, seine ledernen Handschuhe festziehend, zum Aufbruch bereit, konnte Thor es nicht ertragen, ihn fortgehen zu sehen.
„Herr, ich fühle, es ist meine Pflicht, Euch auf dieser Reise zu begleiten“, sagte Thor. „Immerhin bin ich Euer Knappe.“
Erec schüttelte den Kopf.
„Dies ist eine Reise, die ich alleine antreten muss.“
„Darf ich euch denn zumindest bis zum ersten Wegekreuz geleiten?“, drängte Thor. „Wenn ihr südwärts zieht, diese Straßen kenne ich wohl. Ich bin aus dem Süden.“
Erec blickte hinunter und überlegte es sich.
„Wenn du mich zum ersten Wegekreuz geleiten willst, sehe ich keinen Schaden darin. Doch es ist ein harter Tagesritt, also müssen wir gleich los. Nimm mein Knappenpferd, hinten im Stall. Das braune mit der roten Mähne.“
Thor rannte in den Stall zurück und fand das Pferd. Als er aufstieg, steckte Krohn seinen Kopf aus seinem Hemd hervor, blickte hoch und wimmerte.
„Alles in Ordnung, Krohn“, beruhigte ihn Thor.
Thor lehnte sich vor, trieb das Pferd an und ritt aus dem Stall. Erec wartete kaum darauf, dass er ihn erreichte, bevor er und Lannin losgaloppierten. Thor folgte Erec, so gut er konnte.
Gemeinsam ritten sie aus Königshof hinaus, durch das Tor durch, das von mehreren Wachen hochgezogen wurde, die daraufhin zur Seite traten. Mehrere Silberne standen in Reihe da, beobachtend, wartend, und als Erec an ihnen vorbei ritt, hoben sie zum Gruß ihre Fäuste.
Thor war stolz, neben ihm herzureiten, sein Knappe zu sein, und aufgeregt, ihn zu begleiten, wenn auch nur bis zum ersten Wegekreuz.
Es gab noch so vieles, was Thor Erec sagen wollte, so viele Dinge, die er ihn fragen wollte—und so vieles, für das er ihm danken wollte. Doch es war keine Zeit, als die beiden nach Süden galoppierten, über die Ebenen preschten, und das Terrain sich ständig änderte, während ihre Pferde in der späten Morgensonne über die Königsstraße jagten. Als sie einen Hügel passierten, konnte Thor in der Ferne all die Legionäre sehen, wie sie im Feld standen und sich beim Graben den Rücken brachen. Thor war froh, nicht dabei zu sein. Als Thor hinsah, sah er in der Ferne einen von ihnen anhalten und eine Faust in die Luft heben, in seine Richtung. Es war schwer, es in der Sonne zu erkennen, doch er war sich sicher, dass es Reece war, der ihn grüßte. Thor hob seine Faust zur Antwort, und sie ritten weiter.
Die gut gepflasterten Straßen wichen unbefestigten Landstraßen: enger, grober, und am Ende wenig mehr als gut ausgetretene Pfade, die sich durch die Landschaft schnitten. Thor wusste, es war gefährlich für gewöhnliche Leute, diese Straßen alleine zu bereisen—besonders bei Nacht, mit all den Räubern, die auf ihnen lauerten, doch Thor sorgte sich selbst wenig darum, besonders mit Erec an seiner Seite—in der Tat, sollte sich ein Räuber ihnen in den Weg stellen, fürchtete Thor mehr um des Räubers Leben. Natürlich wäre jeder Dieb verrückt, zu versuchen, einen Silbernen aufzuhalten.
Sie ritten den ganzen Tag, mit kaum einer Pause, bis Thor erschöpft und außer Atem war. Er konnte Erecs Ausdauer kaum fassen—und doch wagte er nicht, Erec wissen zu lassen, dass er müde war; aus Angst, schwach zu wirken.
Sie passierten eine große Kreuzung, und Thor erkannte sie. Er wusste, wenn sie sich rechts halten würden, würde sie in sein Dorf führen. Einen Moment lang fühlte sich Thor von Nostalgie überwältigt, und ein Teil von ihm wollte die Straße nehmen, seinen Vater besuchen, sein Dorf. Er fragte sich, was sein Vater wohl gerade tat, wer die Schafe hütete, wie verärgert sein Vater gewesen sein musste, als Thor nicht zurückkam. Nicht, dass er ihm viel bedeutete. Er vermisste nur für einen Moment das, was vertraut war. Er war in Wahrheit erleichtert, dass er aus jenem kleinen Dorf entkommen war, und ein anderer Teil von ihm wollte nie wieder dorthin zurück.
Sie galoppierten weiter, immer weiter nach Süden, in Gegenden, in denen selbst Thor noch nie gewesen war. Er hatte vom südlichen Wegekreuz gehört, wenn er auch selbst nie einen Grund gehabt hatte, dort zu sein. Es war eines von drei großen Wegekreuzen, die in die südlichen Ausläufer des Rings führte. Er war nun einen guten halben Tagesritt von Königshof entfernt, und die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Schwitzend und außer Atem begann Thor, sich besorgt zu fragen, ob er es rechtzeitig zum königlichen Festmahl am Abend zurück schaffen würde. Hatte er einen Fehler gemacht, Erec so weit zu geleiten?
Sie kamen über eine Hügelkuppe und endlich konnte Thor es am Horizont sehen: die unverkennbaren Anzeichen des ersten Wegekreuzes. Es war mit einem hohen, schmalen Turm gekennzeichnet, von dem die königliche Flagge in alle vier Richtungen wehte, und die Silbernen standen auf seiner Brüstung Wache. Als sie Erec erblickten, stieß der Ritter oben am Turm in seine Trompete. Langsam hob sich das Tor.