Kitabı oku: «Queste der Helden», sayfa 18
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
Gwendolyn wanderte alleine durch die Burg, über die Wendeltreppe, die sich nach oben wand. In ihrem Kopf rasten die Gedanken an Thor. An ihren Spaziergang. An ihren Kuss. Und dann, an diese Schlange.
In ihr brannten widersprüchliche Gefühle. Auf der einen Seite war es wunderschön, mit ihm zusammen zu sein; auf der anderen Seite versetzte sie diese Schlange in Furcht und Schrecken, durch das Todesomen, das sie mit sich brachte. Doch sie wusste nicht, für wen, und auch das konnte sie sich nicht aus ihren Gedanken bannen. Sie fürchtete, dass es jemand in ihrer Familie sein würde. Konnte es einer ihrer Brüder sein? Godfrey? Kendrick? Könnte es ihre Mutter sein? Oder, sie wagte gar nicht, es zu denken, ihr Vater?
Der Anblick dieser Schlange hatte einen düsteren Schatten auf ihren fröhlichen Tag geworfen, und sobald die gute Stimmung zerstört war, gelang es ihnen nicht mehr, sie wiederzufinden. Sie machten sich gemeinsam zurück auf den Weg zum Hof und trennten sich, kurz bevor sie aus dem Wald kamen, sodass sie nicht gesehen werden konnten. Das letzte, was sie wollte, war, dass ihre Mutter sie beide zusammen erwischte. Doch Gwen würde Thor nicht so einfach aufgeben, und sie würde einen Weg finden, sich gegen ihre Mutter zu stellen; sie brauchte Zeit, um ihre Strategie zu entwerfen.
Es war schmerzhaft, sich von Thor zu trennen; wenn sie daran zurückdachte, fühlte sie sich schuldig. Sie hatte vorgehabt, ihn zu fragen, ob er sie wieder treffen wollte, hätte Pläne für einen anderen Tag machen wollen. Doch sie war benebelt, so aus der Fassung gebracht vom Anblick dieser Schlange, dass sie darauf vergessen hatte. Nun machte sie sich Sorgen, dass er dachte, er wäre ihr egal.
In der Sekunde, als sie in Königshof angekommen war, hatten die Diener ihres Vaters sie zu ihm gerufen. Seither war sie die Treppen nach oben unterwegs, mit klopfendem Herzen, sich wundernd, warum er sie sprechen wollte. War sie mit Thor gesehen worden? Es konnte keinen anderen Grund geben, warum ihr Vater sie so dringend sprechen wollte. Würde auch er ihr verbieten, ihn zu sehen? Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er das machen würde. Er war immer auf ihrer Seite gewesen.
Ganz außer Atem kam Gwen endlich oben an. Sie eilte den Korridor hinunter, vorbei an den Bediensteten, die stramm standen und ihr die Tür in die Gemächer ihres Vaters öffneten. Zwei weitere Diener, die drinnen warteten, verbeugten sich vor ihr.
„Lasst uns allein“, sagte ihr Vater zu ihnen.
Sie verbeugten sich und eilten aus dem Zimmer, die Tür hinter sich mit einem hallenden Echo schließend.
Ihr Vater erhob sich von seinem Schreibtisch, mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht, und bewegte sich durch den großen Raum auf sie zu. Bei seinem Anblick fühlte sie sich entspannt wie immer, und fühlte sich erleichtert, keinen Ärger in seinem Gesicht zu sehen.
„Meine Gwendolyn“, sagte er.
Er streckte die Arme aus und schloss sie in eine feste Umarmung ein. Sie umarmte ihn zurück, und er geleitete sie zu zwei riesigen Stühlen, die schräg zum knisternden Feuer standen. Mehrere große Hunde, Wolfshunde, von denen sie die meisten seit ihrer Kindheit kannte, machten Platz, als sie zum Feuer hinübergingen. Zwei von ihnen folgten ihr und legten ihr die Köpfe in den Schoß. Sie war dankbar für das Feuer: es war für einen Sommertag ungewöhnlich kalt geworden.
Ihr Vater lehnte sich dem Feuer entgegen, starrte in die Flammen, die vor ihnen knisterten.
„Du weißt, warum ich dich zu mir gerufen habe?“, fragte er.
Sie suchte in seinem Gesicht, doch war sich immer noch nicht sicher.
„Ich weiß es nicht, Vater.“
Er sah sie überrascht an.
„Unser Gespräch neulich. Mit deinen Geschwistern. Über das Königtum. Das ist es, was ich heute mit dir besprechen wollte.“
Gwens Herz schwebte vor Erleichterung. Es ging hier nicht um Thor. Es ging um Politik. Die dumme Politik, die ihr nicht gleichgültiger sein konnte. Sie seufzte erleichtert auf.
„Du wirkst erleichtert“, sagte er. „Was dachtest du, das wir besprechen würden?“
Ihr Vater war zu aufmerksam; war er schon immer gewesen. Er war einer der wenigen Menschen, die in ihr wie in einem Buch lesen konnten. Sie musste in seiner Gegenwart vorsichtig sein.
„Nichts, Vater“, sagte sie schnell.
Er lächelte wieder.
„Also, sag mir. Was hältst du von meiner Entscheidung?“, fragte er.
„Entscheidung?“, fragte sie.
„Für meinen Erben! Des Königreichs!“
„Du meinst mich?“, fragte sie.
„Wen sonst?“, lachte er.
Sie wurde rot.
„Vater, ich war überrascht, gelinde gesagt. Ich bin nicht die Erstgeborene. Und ich bin eine Frau. Ich verstehe nichts von Politik. Und ich schere mich nicht um sie—auch nicht darum, ein Königreich zu regieren. Ich habe keinen politischen Ehrgeiz. Ich verstehe nicht, warum du mich erwählt hast.“
„Aus genau diesen Gründen“, sagte er, sein Ausdruck todernst. „Deswegen, weil du es nicht auf den Thron abgesehen hast. Du willst das Königtum nicht. Und du verstehst nichts von Politik.“
Er holte tief Luft.
„Aber du verstehst die menschliche Natur. Du bist sehr scharfsinnig. Das hast du von mir. Du hast den flinken Verstand deiner Mutter, aber meine Art, mit Menschen umzugehen. Du weißt sie einzuschätzen; du siehst geradewegs durch sie durch. Und das ist es, was ein König braucht. Du verstehst die Natur von anderen. Mehr braucht man gar nicht. Alles Weitere ist Geschick. Kenne dein Volk. Verstehe es. Vertraue deinen Instinkten. Behandle sie gut. Das ist alles.“
„Bestimmt gehört noch mehr dazu, ein Königreich zu regieren“, sagte sie.
„Nicht wirklich“, sagte er. „Alles Weitere kommt daraus hervor. Entscheidungen kommen daraus hervor.“
„Aber Vater, du vergisst wohl, dass ich erstens nicht den Wunsch habe, zu regieren, und zweitens, du nicht sterben wirst. Das ist alles nur eine dumme Tradition in Verbindung mit dem Hochzeitstag deiner Ältesten. Warum darauf verweilen? Ich möchte lieber gar nicht davon sprechen, oder daran denken. Ich hoffe, dass der Tag nie kommen wird, an dem ich dich sterben sehe—also ist das alles belanglos.“
Er räusperte sich und sah sie ernsthaft an.
„Ich sprach mit Argon, und er sieht eine düstere Zukunft für mich voraus. Ich habe es auch selbst schon gespürt. Ich muss mich vorbereiten“, sagte er.
Gwen fühlte, wie ihr Magen sich zusammenzog.
„Argon ist ein Narr. Ein Zauberer. Die Hälfte seiner Vorhersagen treten nicht ein. Ignoriere ihn. Glaub nicht an seine dummen Omen. Es geht dir gut. Du wirst ewig leben.“
Doch er schüttelte langsam den Kopf, und sie konnte die Traurigkeit in seinem Gesicht sehen, und ihr Magen zog sich noch fester zusammen.
„Gwendolyn, meine Tochter, ich liebe dich. Ich möchte, dass du vorbereitet bist. Ich möchte, dass du der nächste Herrscher des Rings bist. Ich meine ernst, was ich sage. Es ist keine Bitte. Es ist ein Befehl.“
Er blickte sie mit solcher Ernsthaftigkeit an, seine Augen so dunkel werdend, dass sie Angst bekam. Noch nie hatte sie diesen Ausdruck auf dem Gesicht ihres Vaters gesehen.
Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, und wischte sich eine weg.
„Es tut mir leid, wenn ich dich aufgebracht habe“, sagte er.
„Dann hör auf, so zu sprechen“, sagte sie weinend. „Ich will nicht, dass du stirbst.“
„Es tut mir leid, doch das kann ich nicht. Ich brauche deine Antwort.“
„Vater, ich will dich nicht beleidigen.“
„Dann sag ja.“
„Aber wie könnte ich denn überhaupt regieren?“, flehte sie.
„Es ist nicht so schwer, wie du denkst. Du wirst von Ratgebern umringt sein. Die erste Regel ist, keinem von ihnen zu trauen. Traue dir selbst. Du schaffst das. Dein mangelndes Wissen, deine Naivität—sie werden dir helfen, wirklich gut zu sein. Deine Entscheidungen werden aufrichtig sein. Versprich es mir“, bestand er.
Sie blickte in seine Augen und erkannte, wie viel es ihm bedeutete. Sie wollte das Thema ändern, wenn auch nur zu dem Zweck, seine Todesstimmung zu beschwichtigen und ihn aufzuheitern.
„Also gut, ich verspreche es“, sagte sie eilig. „Geht es dir jetzt besser?“
Er lehnte sich zurück und sie konnte sehen, dass er höchst erleichtert war.
„Ja“, sagte er. „Ich danke dir.“
„Gut, können wir jetzt von etwas anderem sprechen? Von Dingen, die vielleicht wirklich passieren werden?“, fragte sie.
Ihr Vater lehnte sich zurück und brach in schallendes Gelächter aus; er wirkte eine Million Pfund leichter.
„Und genau deswegen liebe ich dich“, sagte er. „Immer so frohsinnig. Immer in der Lage, mich zum Lachen zu bringen.“
Er betrachtete sie, und sie konnte fühlen, dass er nach etwas suchte.
„Du selbst wirkst ungewöhnlich glücklich“, sagte er. „Gibt es da vielleicht einen jungen Mann?“
Gwen lief rot an. Sie stand auf und ging zum Fenster hinüber, sich von ihm abwendend.
„Es tut mir leid, Vater, aber das ist eine persönliche Angelegenheit.“
„Sie wird nicht mehr persönlich sein, wenn du mein Königreich regierst“, sagte er. „Aber ich werde nicht nachbohren. Deine Mutter, andererseits, hat eine Audienz mit dir erbeten, und ich nehme nicht an, dass sie so nachsichtig sein wird. Du kannst jetzt gehen. Aber mache dich darauf gefasst.“
Ihr Magen zog sich zusammen, und sie blickte zum Fenster hinaus. Sie hasste diesen Ort. Sie wünschte, sie würde irgendwo anders sein. In einem einfachen Dorf, auf einem einfachen Bauernhof, ein einfaches Leben mit Thor leben. Weit weg von all dem hier, von all diesen Mächten, die versuchten, sie zu steuern.
Sie fühlte eine sanfte Hand auf ihrer Schulter und drehte sich zu ihrem Vater um, der lächelnd hinter ihr stand.
„Deine Mutter kann streng sein. Aber was sie auch entscheiden mag, sollst du wissen, dass ich auf deiner Seite stehe. In Sachen Liebe steht es einem zu, sich frei entscheiden zu dürfen.“
Gwen streckte die Arme hoch und umarmte ihren Papa. In jenem Moment liebte sie ihn über alles. Sie versuchte, das Omen dieser Schlange aus ihrem Kopf zu verbannen und betete mit aller Kraft, dass es nicht für ihren Vater gedacht war.
*
Gwen wand sich durch einen Korridor nach dem anderen, an Reihen von Buntglas-Fenstern vorbei auf dem Weg zu den Gemächern ihrer Mutter. Sie hasste es, von ihrer Mutter zu sich gerufen zu werden, hasste ihre kontrollierende Art. In vieler Hinsicht war ihre Mutter diejenige, die das Königreich wirklich regierte. Sie war in vieler Hinsicht stärker als ihr Vater, standfester, gab nicht so leicht nach. Das Königreich wusste davon natürlich nichts: er machte ein starkes Gesicht und erschien als der weise Mann.
Doch wenn er zur Burg zurückkehrte, hinter geschlossenen Türen, war sie es, die er um Rat fragte. Sie war die Weisere. Die Kältere. Die Berechnendere. Die Härtere. Die Furchtlose. Sie war der Fels. Und sie regierte ihre große Familie mit eiserner Faust. Wenn sie etwas wollte, besonders, wenn sie sich in den Kopf gesetzt hatte, dass es zum Wohl der Familie war, stellte sie sicher, dass es passierte.
Und nun hatte sich der eiserne Wille ihrer Mutter gegen sie gewendet; sie wappnete sich innerlich bereits gegen die Auseinandersetzung. Sie fühlte, es hatte etwas mit ihrem Liebesleben zu tun, und sie fürchtete, dass sie mit Thor zusammen gesehen worden war. Doch sie war fest entschlossen, nicht nachzugeben. Egal, was nötig war. Wenn sie diesen Ort verlassen müsste, würde sie es tun. Ihre Mutter konnte sie in den Kerker stecken, wenn sie wollte.
Als Gwen sich den Gemächern ihrer Mutter näherte, wurde die schwere Eichentür von ihren Dienern geöffnet, die zur Seite traten, als sie hindurchging, und sie danach hinter ihr schlossen.
Das Zimmer ihrer Mutter war viel kleiner als das ihres Vaters, intimer, mit großen Teppichen und einem kleinen Teegeschirr und Spielbrett, die neben einem knisternden Feuer aufgebaut waren. Daneben standen mehrere zierliche Stühle aus gelbem Samt. Ihre Mutter saß in einem der Stühle, mit dem Rücken zu Gwen, obwohl sie sie erwartete. Sie saß dem Feuer zugewandt, trank Tee und bewegte eine der Spielfiguren auf dem Brett. Hinter ihr standen zwei Zofen, eine machte ihr Haar, die andere zog die Riemen hinten an ihrem Kleid zurecht.
„Komm herein, Kind“, kam die strenge Stimme ihrer Mutter.
Gwen hasste es, wenn ihre Mutter dies tat—Hof halten vor ihren Dienern. Sie wünschte, sie würde sie fortschicken, so wie ihr Vater es bei ihrem Gespräch getan hatte. Das war das Mindeste, was sie für Privatsphäre und Anstand tun konnte. Doch das tat ihre Mutter nie. Gwen war zu dem Schluss gekommen, dass es ein Machtspiel war, dass ihre Bediensteten hierbehalten wurden, im Raum hingen, zuhörten, um Gwen zu verunsichern.
Gwen hatte keine Wahl, als die Kammer zu durchqueren und in einem der Samtstühle ihrer Mutter gegenüber Platz zu nehmen, zu nahe am Feuer. Noch eines der Machtspiele ihrer Mutter: ihrem Gesprächspartner wurde zu warm, die Flammen brachten ihn aus dem Konzept.
Die Königin blickte nicht auf; vielmehr starrte sie auf ihr Spielbrett hinunter und verschob eine der Elfenbeinfiguren über das komplexe Feld.
„Dein Zug“, sagte ihre Mutter.
Gwen blickte auf das Brett hinunter; sie war überrascht, dass ihre Mutter dieses Spiel immer noch am Laufen hatte. Sie erinnerte sich, dass sie die braunen Figuren spielte, aber sie hatte dieses Spiel schon seit Wochen nicht mehr mit ihrer Mutter gespielt. Ihre Mutter war eine Meisterin im Bauernspiel—doch Gwen war noch besser. Ihre Mutter hasste es, zu verlieren, und sie hatte dieses Brett sichtlich schon einige Zeit lang analysiert, in der Hoffnung, den perfekten Zug zu spielen. Nun, da Gwen da war, zog sie.
Anders als ihre Mutter brauchte Gwen das Brett nicht zu studieren. Sie warf nur einen kurzen Blick darauf und sah den perfekten Zug in ihrem Kopf. Sie griff hinüber und bewegte eine der braunen Figuren zur Seite, quer über das gesamte Feld. Nun war ihre Mutter einen Zug davon entfernt, zu verlieren.
Ihre Mutter starrte bis auf ein Zucken ihrer Augenbraue ausdruckslos hinunter, von dem Gwen wusste, dass es Missmut ausdrückte. Gwen war klüger, und ihre Mutter würde das nie akzeptieren.
Ihre Mutter räusperte sich, studierte das Brett, ohne sie weiterhin anzusehen.
„Ich weiß alles über deine Eskapaden mit diesem Jungen aus dem gemeinen Volk“, sagte sie herablassend. „Du widersetzt dich mir.“ Ihre Mutter blickte zu ihr hoch. „Warum?“
Gwen holte tief Luft; spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog; versuchte, die bestmögliche Antwort zu formulieren. Sie würde nicht aufgeben. Nicht dieses Mal.
„Meine persönlichen Angelegenheiten gehen dich nichts an“, antwortete Gwen.
„Tun sie das nicht? Sie gehen mich sogar sehr viel an. Deine persönlichen Angelegenheiten werden Auswirkungen auf Königtümer haben. Auf das Schicksal dieser Familie. Auf den Ring. Deine persönlichen Angelegenheiten sind politisch—so sehr du das auch vergessen möchtest. Du bist nicht aus dem gemeinen Volk. Nichts in deiner Welt ist persönlich. Und nichts ist persönlich vor mir.“
Die Stimme ihrer Mutter war eisern und kalt, und Gwen fand jeden Augenblick davon widerlich. Gwen konnte nichts tun, als dazusitzen und zu warten, bis sie fertig war. Sie fühlte sich gefangen.
Endlich räusperte sich ihre Mutter.
„Da du nicht auf mich hören willst, werde ich die Entscheidungen für dich treffen müssen. Du wirst dich mit diesem Jungen nie wieder treffen. Falls du es doch tust, werde ich ihn aus der Legion befördern, aus Königshof hinaus und zurück in sein Dorf. Dann werde ich ihn an den Pranger stellen—zusammen mit seiner ganzen Familie. Er wird ein Ausgestoßener ohne Würde sein. Und du wirst ihn nie wieder sehen.“
Ihre Mutter blickte zu ihr auf; ihre Unterlippe zitterte vor Zorn.
„Hast du mich verstanden?“
Gwen sog scharf den Atem ein, erstmals wirklich begreifend, zu welchen Boshaftigkeiten ihre Mutter fähig war. Sie hasste sie mehr, als sie sagen konnte. Gwen fielen auch die nervösen Blicke der Bediensteten auf. Es war demütigend.
Bevor sie antworten konnte, fuhr ihre Mutter fort.
„Des Weiteren, um weiteren dreisten Handlungen deinerseits vorzubeugen, habe ich in die Wege geleitet, dass eine vernünftige Vereinigung für dich arrangiert wird. Du wirst mit Alton verheiratet werden, am ersten Tage des nächsten Monats. Du darfst gleich beginnen, dich auf deine Hochzeit vorzubereiten. Auf das Leben als verheiratete Frau. Das wäre alles“, sagte ihre Mutter abweisend und wandte sich wieder dem Brett zu, als hätte sie soeben die gewöhnlichste aller Angelegenheiten erwähnt.
Gwen brodelte und brannte innerlich, und wollte schreien.
„Wie kannst du es wagen“, warf Gwen zurück, und Zorn baute sich in ihr auf. „Denkst du, ich bin eine Marionette, an deren Fäden du ziehen kannst, wie du willst? Denkst du wirklich, ich werde heiraten, wen auch immer du mir anschaffst?“
„Ich denke nicht“, entgegnete ihre Mutter. „Ich weiß es. Du bist meine Tochter, und du tust, was ich dir sage. Und du wirst exakt denjenigen heiraten, den ich bestimme.“
„Nein, werde ich nicht!“, schrie Gwen zurück. „Und du kannst mich nicht zwingen! Vater sagte, du kannst mich nicht zwingen!“
„Arrangierte Vereinigungen sind nach wie vor das Recht eines jeden Elternteils in diesem Königreich—und sie sind mit Gewissheit das Recht von König und Königin. Dein Vater sträubt sich, doch du weißt genauso gut wie ich, dass er sich meinem Willen immer fügen wird. Ich habe meine Mittel und Wege.“
Ihre Mutter funkelte sie an.
„Du siehst also, du wirst tun, was ich sage. Deine Hochzeit wird stattfinden. Nichts kann sie aufhalten. Bereite dich vor.“
„Ich tue das nicht“, antwortete Gwen. „Niemals. Und wenn du darauf bestehst, weiter darüber zu reden, werde ich nie wieder mit dir sprechen.“
Ihre Mutter blickte hoch und lächelte sie an, ein kaltes, hässliches Lächeln.
„Es kümmert mich nicht, ob du je wieder mit mir sprichst. Ich bin deine Mutter, nicht deine Freundin. Und ich bin deine Königin. Dies hier mag gut und gerne unsere letzte Begegnung miteinander sein. Es spielt keine Rolle. Am Ende wirst du tun, was ich sage. Und ich werde dir von Weitem zusehen, wie du das Leben lebst, das ich für dich geplant habe.“
Ihre Mutter wandte sich wieder ihrem Spiel zu.
„Du bist entlassen“, sagte sie mit einer Handbewegung, als wäre Gwen nichts als eine Dienerin.
Gwen kochte dermaßen vor Wut, dass sie es nicht mehr aushielt. Sie machte drei Schritte, marschierte zum Spielbrett ihrer Mutter und warf es mit beiden Händen um; die Elfenbeinfiguren und der große Elfenbeintisch krachten zu Boden und zersprangen in Stücke.
Ihre Mutter sprang schockiert zurück, als es passierte.
„Ich hasse dich“, zischte Gwen.
Mit diesen Worten kehrte sie ihr hochrot den Rücken zu und stürmte aus dem Zimmer, wischte die Hände der Bediensteten zur Seite, entschlossen, aus eigener Kraft hinauszugehen—und das Gesicht ihrer Mutter nie wieder zu sehen.
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
Thor wanderte stundenlang über die gewundenen Pfade im Wald und dachte über seine Begegnung mit Gwen nach. Er konnte sie nicht aus seinen Gedanken bannen. Ihre Zeit zusammen war magisch, weit über seine Vorstellungen hinaus, und er machte sich nicht länger über die Tiefe ihrer Gefühle zu ihm Gedanken. Es war ein perfekter Tag gewesen—bis natürlich zu dem Vorfall am Ende ihres Treffens.
Diese weiße Schlange, so selten, und ein so schlechtes Omen. Sie hatten Glück, dass sie nicht gebissen wurden; Thor blickte zu Krohn hinunter, der loyal neben ihm herwanderte, fröhlich wie immer, und fragte sich, was passiert wäre, wenn er nicht dagewesen wäre, die Schlange nicht getötet und ihnen das Leben gerettet hätte. Wären sie beide nun tot? Er war Krohn ewig dankbar und wusste, er hatte einen lebenslangen, vertrauten Begleiter in ihm.
Und doch störte ihn das Omen immer noch: diese Schlange war überaus selten und nicht einmal in diesem Teil des Königreichs zuhause. Sie lebte weiter südlich, in den Mooren und Sumpfländern. Wie konnte sie so weit gereist sein? Warum musste sie genau in jenem Moment über sie kommen? Es war zu geheimnisvoll: er fühlte sich absolut sicher, dass es ein Zeichen war. Wie Gwen fühlte er, dass es ein böses Omen war, ein Vorbote eines bevorstehenden Todes. Doch wessen Tod?
Thor wollte die Bilder aus seinen Gedanken bannen, es vergessen, an andere Dinge denken—doch er konnte es nicht. Es plagte ihn, ließ ihm keine Ruhe. Er wusste, er sollte zur Kaserne zurückkehren, doch er war nicht in der Verfassung dazu. Heute war immer noch ihr freier Tag, und so war er stattdessen stundenlang herumgewandert, hatte die Waldpfade umkreist und versucht, seinen Kopf zu leeren. Er fühlte sich sicher, dass die Schlange eine tiefe Botschaft nur für ihn trug, dass er aufgefordert wurde, irgendeine Maßnahme zu treffen.
Schlimmer noch, es hatte seine Verabschiedung von Gwen so abrupt gemacht. Als sie den Waldrand erreicht hatten, hatten sie sich hastig getrennt, mit kaum einem Wort. Sie hatte verstört gewirkt. Er nahm an, dass es wegen der Schlange war, doch er konnte sich nicht sicher sein. Sie hatte nichts von einem weiteren Treffen gesagt. Hatte sie ihre Meinung über ihn geändert? Hatte er etwas falsch gemacht?
Der Gedanke daran riss Thor in Stücke. Er wusste kaum, was er mit sich anfangen sollte, während er stundenlang im Kreis lief. Er musste mit jemandem reden, der diese Dinge verstand, der Zeichen und Omen deuten konnte.
Thor blieb auf der Stelle stehen. Natürlich. Argon. Er würde perfekt geeignet sein. Er könnte ihm alles erklären und seinen Geist zur Ruhe bringen.
Thor sah sich um: er stand am nördlichen Ende des weitesten Grats und hatte von hier aus einen weiten Blick auf die königliche Stadt unter ihm. Er stand nahe einer Kreuzung und er wusste, dass Argon allein lebte, in einer Steinhütte am nördlichen Stadtrand von Felsflur. Er wusste, wenn er sich links hielt, von der Stadt weg, würde einer dieser Pfade ihn dorthin führen. Er machte sich auf den Weg.
Es würde eine lange Reise werden, und die Chancen standen hoch, dass Argon nicht einmal anwesend sein würde, wenn Thor ankam. Doch er musste es versuchen. Er konnte nicht ruhen, bis er Antworten hatte.
Thor lief mit einem frischen Schwung in seinem Schritt mit doppelter Geschwindigkeit auf die Ebenen zu. Aus dem Morgen wurde Nachmittag, während er wanderte und wanderte. Es war ein wunderschöner Sommertag, und das Licht fiel glänzend auf die Felder um ihn herum. Krohn hüpfte fröhlich neben ihm her, blieb immer wieder stehen, um einen Sprungangriff auf ein Eichhörnchen durchzuführen, welches er danach triumphierend im Maul trug.
Der Pfad wurde steiler, gewundener, und die Felder verschwanden und gingen in trostloses Gelände voller Steine und Felsen über. Bald darauf verschwand auch der Pfad. Es wurde hier oben kälter und windiger, und auch die Bäume wurden weniger, und die Landschaft wurde felsig und schroff. Es war unheimlich hier oben, nichts als kleine Steine, Staub und Felsbrocken, so weit das Auge reichte; Thor fühlte sich, als würde er eine verlorene Welt bereisen. Als der Pfad völlig verschwunden war, blieb Thor nur noch eine Wanderung über Schotter und Stein.
Neben ihm begann Krohn zu wimmern. Ein unheimliches Gefühl lag in der Luft, und auch Thor konnte es spüren. Es war nicht unbedingt böse; es war nur anders. Wie ein schwerer spiritueller Nebel.
Gerade, als Thor sich langsam fragte, ob er in die richtige Richtung unterwegs war, erspähte er am Horizont hoch oben auf einem Hügel eine kleine Steinhütte. Sie war kreisrund, wie ein Ring geformt, aus schwarzem, solidem Stein und nahe am Boden gebaut. Sie hatte keine Fenster und eine einzelne Türe, die wie ein Bogen geformt war—doch hatte sie weder Klopfer noch Klinke. Konnte es wahr sein, dass Argon hier lebte, an diesem trostlosen Ort? Würde es ihn verärgern, dass Thor so uneingeladen auftauchte?
Thor kamen langsam Zweifel, doch er zwang sich dazu, es jetzt durchzuziehen. Als er sich der Tür näherte, fühlte er die Energie so dick in der Luft, dass er kaum atmen konnte. Sein Herz schlug vor Aufregung schneller, als er die Hand vorstreckte, um mit seiner Faust anzuklopfen.
Bevor er sie berühren konnte, öffnete sich die Tür von selbst einen Spalt breit. Drinnen sah es schwarz aus, und Thor konnte nicht sagen, ob sie nur vom Wind aufgedrückt worden war. Es war so dunkel, dass er nicht erkennen konnte, ob jemand im Inneren sein konnte.
Thor drückte die Tür sanft auf und steckte den Kopf hinein.
„Hallo?“, rief er hinein.
Er drückte sie weiter auf. Drinnen war es vollkommen dunkel, bis auf einen sanften Lichtschein am anderen Ende der Behausung.
„Hallo?“, rief er hinein, lauter. „Argon?“
Neben ihm wimmerte Krohn. Es wirkte offensichtlich auf Thor, dass dies eine schlechte Idee war; dass Argon nicht zuhause war. Und doch zwang er sich dazu, nachzusehen. Er machte zwei Schritte hinein, und da krachte die Tür hinter ihm zu.
Thor wirbelte herum, und da, an der gegenüberliegenden Wand, stand Argon.
„Verzeiht mir die Störung“, sagte Thor mit pochendem Herzen.
„Du kommst uneingeladen“, sprach Argon.
„Vergebt mir“, sagte Thor. „Ich wollte mich nicht aufdrängen.“
Thor sah sich um, während seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, und sah mehrere Kerzen, die im Kreis entlang der runden Steinmauer aufgestellt waren. Der Raum wurde hauptsächlich von einem einzelnen Lichtstrahl erleuchtet, der durch eine kleine kreisrunde Öffnung in der Decke hereinkam. Dieser Ort war überwältigend, ernüchternd und surreal.
„Nur wenige waren je hier“, antwortete Argon. „Natürlich wärst du nicht hier, wenn ich es nicht zulassen würde. Diese Tür öffnet sich nur für jene, die dazu bestimmt sind. Für jene, die es nicht sind, würde sie sich niemals öffnen—nicht mit aller Kraft der Welt.“
Thor fühlte sich besser, und doch fragte er sich auch, wie Argon gewusst hatte, dass er kommen würde. Alles an diesem Mann war ihm ein Rätsel.
„Ich hatte eine Begegnung, die ich nicht verstand“, sagte Thor mit dem Bedürfnis, alles herauszulassen und Argons Meinung zu hören. „Da war eine Schlange. Eine Weißrücken. Sie griff uns beinahe an. Wir wurden von meinem Leoparden Krohn gerettet.“
„Wir?“, fragte Argon.
Thor errötete und erkannte, dass er zu viel verraten hatte. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
„Ich war nicht alleine“, sagte er.
„Und wer war bei dir?“
Thor biss sich auf die Zunge, unsicher, wie viel er verraten sollte. Immerhin stand dieser Mann ihrem Vater, dem König, nahe, und vielleicht würde er sie verraten.
„Ich sehe nicht, wie das bezüglich der Schlange von Belang ist.“
„Es ist gänzlich von Belang. Hast du dich nicht gefragt, ob das der Grund war, warum die Schlange überhaupt kam?“
Darauf war Thor nicht vorbereitet.
„Ich verstehe nicht“, sagte er.
„Nicht jedes Omen, das du siehst, ist für deine Augen bestimmt. Manche sind für andere bestimmt.“
Thor betrachtete Argon im schwachen Licht und begann, zu verstehen. Stand Gwen ein böses Schicksal bevor? Und wenn ja, konnte er es aufhalten?
„Kann man das Schicksal verändern?“, fragte Thor.
Argon durchschritt langsam sein Zimmer.
„Dies ist natürlich die Frage, die wir uns seit Jahrhunderten stellen“, entgegnete Argon. „Kann das Schicksal verändert werden? Einerseits ist alles vorherbestimmt, alles ist festgeschrieben. Andererseits verfügen wir über freien Willen. Unser Schicksal wird genauso von unseren Entscheidungen bestimmt. Es scheint unmöglich, dass diese beiden—Schicksal und freier Wille—zusammenleben, Seite an Seite, und doch ist es der Fall. Es ist da, wo die beiden sich überschneiden—wo Schicksal auf freien Willen trifft—dass das menschliche Verhalten ins Spiel kommt. Das Schicksal kann nicht immer gebrochen werden, doch manchmal lässt es sich biegen, gar verändern, durch ein großes Opfer und ein großes Aufgebot an freiem Willen. Und doch ist das Schicksal in den meisten Fällen festgeschrieben. In den meisten Fällen sind wir nur Zuschauer, hierher bestellt, um den Ereignissen beizuwohnen. Wir meinen, wir spielen eine Rolle darin, doch üblicherweise tun wir das nicht. Zumeist sind wir Beobachter, nicht Teilnehmer.“
„Nun, warum hält sich das Universum dann damit auf, uns Omen zu zeigen, wenn es nichts gibt, was wir gegen sie tun können?“, fragte Thor.
Argon lächelte ihn an.
„Du bist flink von Begriff, Junge, das muss ich dir lassen. Zumeist werden uns Omen gezeigt, sodass wir uns vorbereiten können. Unser Schicksal wird uns gezeigt, damit wir etwas Zeit haben, uns zu rüsten. Manchmal, selten, wird uns ein Omen gegeben, sodass wir etwas unternehmen können; ändern können, was sein wird. Doch dies geschieht äußerst selten.“
„Ist es wahr, dass die Weißrücken den Tod ankündigt?“
Argon betrachtete ihn eingehend.
„Das ist es“, sagte er schließlich. „Unweigerlich.“
Thors Herz klopfte bei dieser Antwort, bei der Bestätigung seiner Befürchtungen. Er war auch überrascht von Argons geradliniger Antwort.
„Mir ist heute eine begegnet“, sagte Thor, „doch ich weiß nicht, wer sterben wird. Oder ob es irgendeine Handlung gibt, die ich setzen kann, um es zu verhindern. Ich möchte es aus meinen Gedanken verbannen, doch es gelingt mir nicht. Stets begleitet mich das Bild des Schlangenkopfes. Warum?“
Argon betrachtete ihn für eine lange Weile, und seufzte.