Kitabı oku: «Samuel, der Tod», sayfa 3
Dennoch meint Samuel nach dem ersten Löffel:
»Mach demnächst wieder was Englisches … das kannst du besser.«
»Echt? Ist er so mies?« Hastig stopft er sich den ersten Bissen in den Mund.
Samuel grinst über das ganze Gesicht.
»Das nennt man wohl eine Verarschung.«
»Arfoch …«
Charlie versucht zu lachen, aber mit vollem Mund geht das genau so wenig, wie sprechen.
*
Kurz nach Sonnenuntergang treffen die ersten Kunden ein, das Wunderland füllt sich langsam. Alice und Liam bedienen und unterhalten ihre Gäste, zwischendurch können sie noch einiges an den Mann bringen. So findet in dieser Nacht das King Buch und die gesamte Hitchcock Serie ihre Abnehmer.
Erst gegen acht Uhr morgens, müssen die beiden die letzten Gäste förmlich hinauskehren.
Liam spült die Gläser und räumt sie ordentlich in die Schränke, während Alice die Einnahmen zählt. Gewissenhaft legt sie das Geld für die alkoholischen Getränke, die Blutbeutel und das rohe Fleisch in eine Kassette. Von dem restlichen Geld zweigt sie einen Anteil für Liam ab, legt es ihm auf die Theke und besieht sich das kleine Bündel Scheine in ihrer Hand. Das ist herzlich wenig, überlegt sie, diesmal bringe ich es nicht zur Bank. Ich werde mir davon etwas Neues zum Anziehen kaufen.
Mit einem Lächeln meint sie zu dem Vampir:
»Pass mal kurz auf den Laden auf, ich komme gleich wieder.«
»Wo gehst du denn hin?« Liam stellt das letzte Glas in den Schrank und schließt die Tür.
»Shoppen.« Mit einem Zwinkern nimmt Alice ihre kleine Handtasche, verstaut das kleine Bündel Scheine darin und zieht die Türe auf.
»Na dann bis Morgen.« Liam grinst von einem Ohr zum anderen.
Das heisere Klingeln des Glöckchens übertönt Alices leises Kichern. Sie besieht sich die Auslage des Wunderlandes von außen und murmelt:
»Das müssen wir aber noch dringend neu machen. Er hat die verkauften Sachen gar nicht ersetzt, sieht schlimm aus.«
Gegenüber, an einem Mehrfamilienhaus, geht in diesem Augenblick die Eingangstür auf.
Ein Mann tritt auf den Gehsteig, sieht links und rechts, bevor er die Rue Denfert Rochereau überquert. Alice wirft nur einen flüchtigen Blick auf den Unbekannten. Er kommt ihr riesengroß vor und auf eine merkwürdige Weise angenehm. Er trägt Jeans und eine leichte Lederjacke. Alltagsklamotten, denen Alice keine sonderliche Beachtung schenkt. Wer allerdings eine Sonnenbrille, um kurz nach neun am Vormittag und das noch im November trägt, der fällt ihr auf. Schmunzelnd geht sie um die Ecke und verschwindet aus dem Blickfeld des Unbekannten.
Einen Moment denkt sie noch darüber nach, ob er wohl gestern zu viel getrunken hat, und seine Augen deshalb das Tageslicht nicht vertragen, aber dann nimmt das hübsche, schwarze Kostüm, das sie letztens bei Carven‘s gesehen hat, ihre gesamten Gedanken ein.
Alice möchte heute Abend ausgehen und dazu will sie sich hübsch machen. Auch wenn sie nur vorhat, den größten Drogendealer von ganz Paris zu treffen, um ihn zu töten, so will sie dabei doch bezaubernd aussehen.
*
Es ist neun Uhr morgens, als Charlie aus seinem Zimmer in das gemeinsame Wohnzimmer schlurft. Es ist zwar ein Samstag und er muss nicht arbeiten, dennoch hat er sich den Wecker gestellt, um noch einige Einkäufe zu erledigen. In der Zeit, die Samuel hier alleine wohnte, ging nur eines niemals aus und das war der Whisky, etwas Essbares suchte man hier vergeblich. Aber Charlie ist ein Mensch und noch dazu einer, der für sein Leben gerne gut isst. Als Ausgleich geht er drei Mal die Woche ins Fitnessstudio, damit er bloß kein Gramm zunimmt.
»Guten Morgen, Charlie«, erklingt es vom Fenster her. Der Junge zuckt erschrocken zusammen. Er hat Samuel, der einen Vorhang zurückgezogen hat und aus dem Fenster blickt, nicht bemerkt.
»Morgen«, gibt er undeutlich zurück. »Stehst du schon die ganze Nacht hier?«
»Du bist doch erst um vier ins Bett, Junge«, erwidert Samuel. »Wie spät ist es denn jetzt?«
»Neun … oder so« Charlie gähnt ausgiebig und wankt in Richtung Badezimmer.
Dann steh ich doch schon fünf Stunden hier, überlegt der Tod, ist mir gar nicht so lange vorgekommen. Er trinkt sein Glas leer und stellt es auf den Esstisch. Mit einem Blick auf die Flasche ruft er laut:
»Du musst dringend was zu trinken mitbringen.«
»Steht schon auf meiner Liste«, erwidert Charlie mit dem Mund voller Zahnputzschaum.
Samuel gießt sich den restlichen Whisky ein und stellt sich auf die gewohnte Stelle vor dem Fenster.
Nach ein paar Minuten kommt sein Freund aus dem Badezimmer, frisch geduscht und warm angezogen geht er in die Küche.
»Kaffee?«
Der Tod schüttelt den Kopf und hebt sein Glas an. Interessiert beobachtet er die Leute auf der Straße, vor und gegenüber seinem Haus.
Dem kleinen, schäbigen Laden, namens Alices Wunderland sollte er auch beizeiten mal einen Besuch abstatten. Ihn gibt es schon so lange und noch nie war er da drin. Wie er letzte Nacht festgestellt hat, gehen dort einige Anderswesen des Nachts ein und aus. Er wohnt nun bereits seit Jahren hier, aber bis heute wusste er noch nicht, dass das Wunderland auch nachts geöffnet hat, geschweige denn, dass es von Dämonen heimgesucht wird. Das interessiert den Tod, er will wissen, was in seiner unmittelbaren Nachbarschaft geschieht und wer dort wohnt.
»Was gibt’s denn da so Geheimnisvolles zu sehen?« Charlie steht mit einer großen Tasse heißem Milchkaffee neben ihm.
Samuel zeigt auf das Geschäft gegenüber.
»Kennst du den Laden?«
Sein Freund nickt mit dem Kopf und trinkt vorsichtig einen Schluck Kaffee.
»Ja, ich war schon mal drin. Die haben nur Bücher und jede Menge anderes Zeugs. Nutzloser Ramsch.«
»Hm.« Samuel überlegt einen Moment.
»Ich glaube, ich muss da mal hin.«
»Wieso? Du liest doch nichts, außer der Bibel und sonst haben die echt nichts Interessantes.«
»Dennoch«, Samuel wiegt seinen Kopf hin und her. »Ich habe das unbestimmte Gefühl, ich sollte dem Wunderland mal einen Besuch abstatten.«
»Tu was du nicht lassen kannst.« Charlie zuckt mit den Schultern und stellt seine leere Kaffeetasse auf den Esstisch.
»Ich geh jetzt einkaufen und hinterher noch ins Studio. Bist du heute Abend da?«
Er blickt fragend zu Samuel, der weiterhin aus dem Fenster starrt.
Der schüttelt nur den Kopf. »Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Gut«, meint Charlie und zieht sich eine Jacke an. »Ich hab nämlich heute Abend eine Verabredung. Wird bestimmt spät.«
»Okay«, murmelt der Tod geistesabwesend. »Viel Spaß.«
Ohne ein weiteres Wort zieht Charlie die Tür hinter sich ins Schloss.
Irgendwas an dem Laden ist merkwürdig, überlegt Samuel, es ist einfach nicht zu erfassen. Von Alices Wunderland geht eine Macht aus, die selbst der Tod nicht ganz begreifen kann.
»Ich muss es wissen«, sagt Samuel zu sich selbst. »Und zwar jetzt sofort.«
Energisch stellt er sein halbvolles Glas auf den Tisch, zieht sich Turnschuhe an, schlüpft in die Lederjacke und setzt sich die Sonnenbrille auf.
Ohne weiter darüber nachzudenken, greift er sich die Schlüssel, zieht die Türe hinter sich zu und geht die paar Stufen hinunter.
Auf der Straße angekommen, beobachtet er zuerst das Geschäft von außen, besieht sich auch die Auslagen. Aber das ist es nicht, das den Tod so in Aufregung versetzte.
Es muss aus dem Inneren kommen, oder von seinem Besitzer.
Samuel betritt das Wunderland, die kleine Glocke über der Türe gibt ein heiseres Krächzen von sich.
Beinahe wäre er rückwärts wieder aus dem Geschäft gefallen. Der Geruch, der ihm wie eine Wolke entgegen schwebt, ist eine Mischung, bestehend aus den verschiedenen Dämonen, die in der letzten Nacht diesen Laden betreten haben. Diese Geruchsvielfalt trifft Samuel wie ein Schlag mit dem Hammer.
Anderswesen, denkt er entsetzt, so viele und das alles genau vor meiner Nase.
*
Liam wischt über die Theke, beseitigt die Spuren der letzten Nacht.
Insgeheim hofft er, dass Alice wirklich bis zum nächsten Morgen auf Shoppingtour geht, zu gerne möchte er auch mal eine Nachtschicht alleine übernehmen. Bisher hat die Werwölfin ihm das noch nicht zugetraut. Wahrscheinlich auch, weil jede Nacht ihre süchtige Kundschaft hier antrabt und nach Nachschub schreit. Liam ist sich nicht sicher, ob er dieses Teufelszeug ohne Gewissensbisse an seine Kollegen verkaufen kann. Auch wenn Alice ihn an ihrem Gewinn teilhaben lässt, ihm wäre wohler, wenn sie ihre Drogengeschäfte einstellen würde.
Er sieht sich im Wunderland um. Ja, denkt er, nun ist alles wieder in Ordnung, die normale Kundschaft kann kommen.
Er hat den Satz kaum zu Ende gedacht, als die Tür aufgeht und das Glöckchen heisere, verzweifelte Laute von sich gibt.
Mit einem Lächeln hebt der Vampir den Kopf, will den neuen Kunden begrüßen.
Aber jedes Wort bleibt ihm im Hals stecken. Mit einem Schlag fühlt er seine Beine nicht mehr, über seine Haut fließt ein eisiger Schauer, so als habe ihm jemand einen Eimer mit Eiswasser übergegossen. Liam spürt, wie ihm alle Nackenhaare zu Berge stehen, sein Kopf schreit laut: Lauf! Renn um dein Dasein! Nur ein kleiner Teil seines Verstandes, der nicht heulend und wimmernd in der Ecke hockt, sagt ihm, dass er vernünftig mit dem Kerl reden muss, dann wird schon alles gut werden.
Der Vampir ist sich nicht sicher, auf wen er hören soll.
Ängstlich betrachtet er den Fremden, der selbst auch einige Probleme zu haben scheint. Er sieht so aus, als wollen seine Füße ebenfalls den Rückzug antreten, dennoch geht er mutig weiter in das Wunderland hinein. Er löst die Hand von der Tür, die mit einem erneuten, heiseren Gebimmel ins Schloss fällt.
Nun ist Liam zu Mute, als wäre er mit dem Teufel persönlich in der Hölle eingesperrt.
»B-Bon jour Monsieur«, stottert Liam, er räuspert sich.
»Ce que je peux faire pour vous?«
»Du bist ein verfluchter Blutsauger«, antwortet Samuel mit donnernder Stimme, ohne auf Liams Frage, nach seinen Wünschen, einzugehen.
Der Vampir schluckt trocken und geht einen Schritt zurück. Er stößt gegen die Schränke, in denen Tassen und Gläser untergebracht sind, sie klirren leise gegeneinander.
»Wer … bist du?«, fragt er heiser.
Samuel geht mit steifen Schritten auf die Theke zu, stützt seine Ellenbogen auf die Holzplatte und beugt sich zu Liam hin. Betont langsam nimmt er die Sonnenbrille ab, lässt sie einfach fallen. Seine feurigen Augen fixieren den Vampir, der verzweifelt versucht, seinen Blick nicht zu erwidern.
Liam weiß sich nicht mehr zu helfen, er dreht den Kopf so weit wie möglich von Samuel weg und kneift seine Augen zu.
»Ich bin der Tod«, grollt Samuel und seine Stimme scheint sich in dem kleinen Geschäft zu vervielfältigen. Wenn es der Vampir nicht besser wüsste, so würde er behaupten, vor ihm stehen mehr als eine Person.
Samuel lehnt sich noch weiter nach vorne, seine Hand schießt vor und packt den Vampir am Hemd. Mit einer unglaublichen Kraft zieht er ihn zu sich, zerrt ihn halb über die hölzerne Theke.
Liam ist so erschrocken, dass er entsetzt die Augen aufreißt.
»Sieh mich an, Blutsauger«, sagt der Tod und zieht den Dämon noch ein Stück näher. »Blicke in meine toten Augen und … stirb.«
»NEIN!«, schreit Liam und hält sich mit einer Hand die Augen zu. Die andere tastet hilflos unter dem Tresen umher.
Mit einem Mal spürt er etwas zwischen den Fingern, kalter Stahl. Liam weiß, was das ist. Er schließt seine Hand um den Griff, zieht sie langsam unter dem Tresen hervor.
»Wage es ja nicht…«, meint Samuel, noch bevor Liam sein Vorhaben zu Ende gedacht hat.
Blitzschnell nimmt der Vampir die Hand von seinen Augen, wirft das Messer von der rechten in die linke Hand und stößt es Samuel tief in die Halsseite.
Der Tod ist so überrascht, dass er den Vampir tatsächlich loslässt. Der bückt sich rasch, springt zur Seite und taucht in der nächsten Sekunde mit einer Pump-Gun wieder auf.
Liam lädt das Gewehr durch, es hört sich, in dem kleinen Geschäft, bedrohlich laut an.
Samuel beachtet ihn überhaupt nicht, er packt den Griff des Messers, es entsteht ein reißendes und fast knarrendes Geräusch, als er die Waffe aus der enormen Wunde herauszerrt.
Angewidert verzieht Liam sein Gesicht. Es fließt kein Blut und die Wunde verschließt sich in Sekundenschnelle.
Samuel besieht sich kurz die Waffe, es ist ein kleines Bowiemesser, mit einer zwanzig Zentimeter langen Klinge und frisch geschliffen.
Der Tod wirft es in die Luft, fängt das Messer geschickt an seiner Spitze wieder auf und schleudert es in Liams Richtung. Wenn er ein Mensch wäre, so hätte er in der nächsten Sekunde blutend und wahrscheinlich sterbend auf dem Boden gelegen, aber so vollführt der Vampir lediglich einen kurzen Ausfallschritt und das Messer bohrt sich hinter ihm in den Schrank. Erneut klirren die Gläser hilflos gegeneinander.
»Verschwinde von hier, Totengräber.« Liam gibt sich alle Mühe seiner Stimme einen Befehlston zu verleihen, aber so ganz will ihm das nicht gelingen. Zu tief steckt in ihm die Furcht, vor diesem Jäger der Anderswesen.
Ohne den Vampir aus den Augen zu lassen, zieht sich Samuel die Lederjacke aus, lässt sie achtlos hinter sich fallen. Liam ahnt, was als nächstes folgt.
Er drückt ab. Die Waffe vibriert, der Knall ist unerträglich laut und der Rückstoß reißt ihm das Gewehr beinahe aus den Händen. Samuel wird herumgerissen, aber eine Lidschlaglänge später, steht er bereits wieder dem Vampir gegenüber. Sein Hemd ist an der linken Schulter versengt und hängt in Fetzen herunter, sein Fleisch wird darunter sichtbar.
Verkohlt wie ein Schweinebraten, der zu lange im Backofen verbrachte, doch immer noch kein Blut. Samuel wirft einen Blick auf die Wunde, dann sieht er Liam böse an.
»Das war nicht nötig«, knurrt er.
Rasch lädt Liam die Pump erneut durch.
»Ich sagte: verschwinde von hier«, ruft er. »Das nächste Mal treffe ich deinen Kopf, Totengräber. Dann fährst du in die Hölle zurück, wo du hingehörst.«
Betont langsam knöpft sich Samuel das Hemd auf. Er fixiert den Vampir und sagt:
»Und ich sah ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war Tod und die Hölle folgte ihm nach. Und ihm ward die Macht gegeben zu töten.«
Liam packt das Gewehr fester, lehnt es sich gegen die Wange. Er fühlt den kalten und tödlichen Stahl, das gibt ihm Kraft.
»Deine Bibelsprüche werden dir nichts nützen«, meint er laut. Dann erinnert er sich selbst an einen der Verse aus dem neuen Testament.
Er kneift ein Auge zu, zielt auf Samuels Kopf und sagt.
»Der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus. Doch sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken. Sie fanden ihr Ende im Feuersee.«
Samuel duckt sich rasch. Keine Sekunde zu spät, die Schrotkugeln zischen knapp über ihn hinweg. Aus seiner geduckten Haltung springt er den Vampir an, packt den Lauf der Pump und Liams Schulter. Samuel rammt den Blutsauger förmlich in den Gläserschrank hinein.
Liam gibt ein erschrecktes Keuchen von sich.
»Du bist ein Anderswesen«; schreit Samuel ihn an. »Du wagst es und nimmst Gottes geheiligte Worte in dein abstoßendes Maul? Dafür wirst du bezahlen.«
Samuel reißt den Mund auf, stößt einen heiseren Schrei aus. Aus seiner Kehle quillt Rauch, selbst aus seinen Nasenlöchern und den Ohren beginnt es zu qualmen. Liam kann die Hitze, die von dem Tod ausgeht, spüren, er versucht verzweifelt sich aus der stählernen Umklammerung zu befreien. Feuer ist das Einzige, das einen Vampir vom Diesseits ins Jenseits befördern kann.
Ein Feuerstrahl schießt aus Samuels geöffneten Mund, legt sich wie eine Decke über ihn, hüllt ihn ein. Liam gibt seine Befreiungsversuche auf und starrt fasziniert auf das Schauspiel vor ihm. Die Feuerdecke verbrennt Samuels Hemd, legt sich wie glühende Lava auf seinen nun nackten Oberkörper. Frisst sich durch die Haut, verbrennt und verzehrt alles, bis nur noch die blanken Knochen zu erkennen sind. Dann erlischt das Feuer von selbst.
Was zurückbleibt ist ein skelettierter Oberkörper und ein Knochenschädel, von dem noch Rauch aufsteigt. Der Geruch nach verbranntem Fleisch und Haaren hängt satt in der Luft, wie bei einem Barbecue, bei dem niemand auf die Steaks achtet.
Aus den schwarzen Augenhöhlen glühen zwei feurige, rote Klumpen, Kohlenstücken gleich. Sie funkeln Liam wütend an.
»Sieh in meine Augen und fahr zur Hölle, Blutsauger.«
Samuels Stimme vervielfältigt sich in Liams Kopf, beinahe so, als habe der Vampir ein Echo in seinem Schädel.
Auch wenn er sich noch so sehr dagegen wehrt, er schafft es einfach nicht, die Augen geschlossen zu halten. Wie in Zeitlupe öffnet er sie, dreht den Kopf noch vorne und sieht in die Augen des Todes.
»Nein …«, haucht er tonlos und ist doch nicht mehr Herr seiner Gedanken und Gefühle.
»Bitte …«
In diesem Moment geht mit Schwung die Eingangstüre auf. Das Glöckchen bimmelt heftig und noch bevor die Türe wieder ins Schloss zurückfallen kann, ruft jemand laut:
»Was zum Teufel ist denn hier los?«
Mit einem wütenden Brüllen, lässt Samuel sein Opfer los und dreht sich um.
Liams Beine geben nach, er rutscht langsam an den Schränken entlang zu Boden, wo er mit geschlossenen Augen sitzen bleibt.
Vor dem Tod steht ein Mädchen, lange schwarze Haare, die zu einem Zopf zusammengebunden sind, sie ist klein und von schmaler Statur, aber die Wut, die in diesem Moment von ihr ausgeht, lässt sie viel größer erscheinen, als sie ist. Sie hebt den Arm, zeigt mit ihren schmalen Fingern auf Samuel und brüllt mit einer solch lauten Stimme, die man ihr gar nicht zutraut:
»DU! … Raus hier!«
Innerhalb von Sekunden verwandelt sich Samuel. Es ist so, als gebe das alles zerfressende Feuer ihm sein Fleisch, seine Haare und die Haut zurück. Nur sein Hemd bleibt verschwunden, das kann das Feuer ihm nicht mehr wiedergeben.
Alice atmet erschrocken ein, aber sie versucht sich diese kurze Schwäche nicht anmerken zu lassen.
Auch Samuel ist über ihr Auftauchen erschrocken, er runzelt für eine Sekunde nachdenklich die Stirn, dann bückt er sich, hebt seine Lederjacke auf und streift sie sich über. Als er Alice wieder ansieht, lächelt er schief.
»Verzeiht mir, Eure Hoheit. Ich vermutete Gefahr.« Mit dem Daumen zeigt er hinter sich, in die ungefähre Richtung, wo Liam noch immer stumm und wie tot gegen die Schränke gelehnt auf dem Boden sitzt. »Ausgehend von diesem Tier.«
Alice schüttelt den Kopf. Ihr ist so, als stehe sie neben sich und beobachtet eine völlig überzogene Theaterszene. Noch einmal schüttelt sie mit dem Kopf, um wieder klarer denken zu können.
Sie blickt Samuel direkt ins Gesicht.
Was für angenehme Augen er doch hat, denkt sie, selten habe ich jemanden getroffen, dessen Augen so wunderschön sind.
Dieses Blau, wie ein Gebirgsbach so rein, wie die See so tief und dunkler als ein nächtlicher, sternenübersäter Himmel.
Dann setzt sich Samuel die Sonnenbrille auf und der Augenkontakt reißt ab. Alice fühlt sich, als werde sie zurück in ihren Körper katapultiert, als fliege ihr Geist zu ihr zurück. Sie kann sich an die vergangenen Sekunden kaum noch erinnern.
Samuel deutet eine kleine Verbeugung in Alice Richtung an und sagt:
»My Lady. Ich wünsche Euch einen schönen Tag.«
Die Werwölfin antwortet nicht, sieht Samuel erstaunt hinterher, wie er in einem kleinen Bogen, um sie herum, dem Ausgang entgegen geht.
Er öffnet die Türe nur einen Spalt breit, gerade weit genug, damit er hindurch passt. So berührt die Oberkante der Tür die kleine Glocke nicht und sie muss keine weiteren Laute ausstoßen. Samuel dreht sich ein letztes Mal um, bevor sich die Türe hinter ihm ganz geschlossen hat. Aber Alice beachtet ihn überhaupt nicht, sie hockt bereits vor Liam und versucht ihn wieder von den Toten aufzuwecken.
Die Tür fällt ins Schloss, Samuel überquert die Straße und geht in sein Haus.
Erst als er versucht seine Wohnungstür aufzuschließen, fällt die ganze Anspannung von ihm ab. Seine Hände zittern, er trifft das Schloss kaum. Verdammt, reiß dich zusammen, redet er sich selbst gut zu. Und tatsächlich, nach ein paar Sekunden hat er sich soweit beruhigt, dass er wenigstens aufschließen kann. Er donnert die Tür hinter sich zu, sodass es im gesamten Treppenhaus nachhallt. Schwer atmend lehnt er sich dagegen.
Das darf doch alles nicht wahr sein, denkt er, zuerst finde ich dieses … dieses Wesen, den verdammten Blutsauger, und dann holt mich auch noch meine Vergangenheit ein. Er stößt sich ab und eilt ins Esszimmer. Dort hat er eben ein halbvolles Whiskyglas stehen gelassen. Er nimmt es und stürzt die bernsteinfarbene Flüssigkeit in einem Schluck hinunter. Verzweifelt greift er nach der Flasche, schüttet den restlichen Inhalt in sein Glas. Es ist nicht mehr viel, knapp einen Fingerbreit, aber es wird reichen, um seine Seele wieder zu beruhigen. Samuel hängt die Jacke über die Stuhllehne und setzt sich an den Esstisch. Düster starrt er durch das Fenster, in den trüben Himmel.
Dass sie aber auch ausgerechnet jetzt und hier auftauchen muss, überlegt er wütend, dabei kann die Kleine gar nichts dafür. Doch sie sieht ihr so verdammt ähnlich, selbst ihr Geruch ist derselbe. Wenn ich nicht genau wüsste, dass sie damals starb, würde ich schwören können …
Samuel schüttelt den Kopf und trinkt sein Glas leer. Aber ich weiß es, weil ich sie selbst getötet habe.
Aufseufzend nimmt er sich eine Zigarette aus dem Päckchen, seine Hand, die das Feuerzeug hält, zittert immer noch ein wenig. Tief inhaliert er den Rauch, lehnt sich zurück und stößt kleine Rauchkringel in die Luft.
Meine süße, kleine Emilia, erinnert er sich, in meinem Leben habe ich schon viele Schandtaten begannen, aber dich zu töten, war wohl das Schlimmste, das ich je vollbrachte. Dabei warst du so zart und noch so jung und dabei so verflucht … schuldig.
Aber mein Herz brannte lichterloh, meine gequälte Seele schrie immerzu deinen Namen, doch mein grausamer Verstand hörte nicht zu und stieß dich in die ewige Verdammnis. Einhundert Jahre büßte ich für meine Tat, ich zog als Tod durch die Gegend, verwandelte mich in all der Zeit nicht mehr zurück. Sprach mit niemandem, lachte nicht, trank und aß nichts.
Ein gesamtes Jahrhundert hindurch, bereute ich, bedauerte und beweinte dich, meine kleine Emilia. Mein süßes Kind, meine Geliebte, meine Freundin. Wieso war nur deine Zeit so kurz bemessen? Die Sanduhr des Todes, sie war viel zu rasch für dich abgelaufen. Und warum musste ausgerechnet ich dein Todesengel sein. Samuel ballt die Hände zu Fäusten, dass es nur so knackt, er hat für seine unbändige Wut kein Ventil, so lässt er die Fäuste krachend auf den Tisch donnern. Das leere Glas hüpft hoch und kippt auf die Seite. Langsam rollt es umher und beschreibt dabei einen Kreis. Samuels Finger tippen das Glas an und es dreht es sich schneller um die eigene Achse. Nach ein paar Minuten wird dem Tod dieses Spiel zu langweilig. Er stellt das Glas wieder aufrecht hin, geht in sein Schlafzimmer, nimmt sich frische Anziehsachen aus dem Schrank und verschwindet im Bad. Er dreht die Dusche auf die höchste Stufe, zieht sich die Jeans aus und seine Short. Er stellt sich unter den heißen Wasserstrahl, lässt ihn sich über die Schultern und in den Nacken prasseln.
Während sich das kleine Badezimmer in eine dampfende Sauna verwandelt, denkt der Tod an alte, längst vergangene Jahrhunderte zurück und an die einzige Liebe seines Daseins und dass er sie am Ende tötete.
*
Alice schlägt dem Vampir mit Wucht auf die Wange.
»Liam, verdammt. Komm wieder zu dir.«
Seine Lider flattern, die Lippen zucken leicht. Er reißt die Augen weit auf, setzt sich mit Schwung aufrecht hin. Seine Arme wirbeln umher, als wollte er einen unsichtbaren Gegner abwehren.
»Hey, ist schon gut«, meint Alice sanft. »Er ist längst weg.«
Liam wirft ihr einen Blick zu, atmet erleichtert aus.
»So ein Glück«, sagt er keuchend.
Die Werwölfin zerrt ihn hoch, er stütz sich an der Theke ab, als überkommt ihn ein Schwindelanfall.
»Was zum Teufel war hier los?«, fragt Alice. Sie kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum Liam mit dem gut aussehenden Kerl in Streit geraten ist.
»Ich … weiß es nicht«, erwidert Liam und versucht krampfhaft, sich zu beruhigen. In seinem ganzen Dasein kam er der ewigen Verdammnis noch niemals so nah, wie eben, als der Tod ihn einen Blick in die Hölle werfen ließ. Es war ein scheußliches Gefühl, und wenn Alice nicht dazwischen gekommen wäre, so hätte er sich ergeben um mitten unter den Kreaturen des Abgrundes sein weiteres Dasein zu fristen.
»Was wollte der Kerl denn von dir?«
Der Vampir zuckt mit den Schultern.
»Er wollte mich töten, was denn sonst. Immerhin war das der Tod.«
»Aber…« Alice denkt einen Moment nach.
Sie wusste sofort, dass er ein Sensenmann ist, aber dennoch kam er ihr so vertraut und liebenswürdig vor. Nichts war an ihm, vor dem sie sich fürchten müsste. Vor allem nicht diese herrlichen, blauen Augen, die wie tiefe Seen wirken, in die man gefahrenlos hinab tauchen kann.
»Ich verstehe das nicht«, beendet sie ihren Satz nachdenklich.
Liam schnaubt abfällig. »Ich auch nicht. Dennoch haben wir den verdammten Tod gegenüber wohnen. Und ich denke, er wird wiederkommen. Wir müssen von hier verschwinden.«
»Was?«, ruft Alice aufgeregt. »Niemals werde ich mein Geschäft im Stich lassen. Nicht in hundert Jahren.«
Der Vampir fletscht die Zähne.
»Er wird auch dich holen, immerhin bist du auch ein Anderswesen.«
Energisch schüttelt die kleine Wölfin mit dem Kopf, ihre langen Haare fliegen um sie herum.
»Nein, Liam. Er war nur hinter dir her. Du kannst ja gehen, aber ich bleibe hier. Schluss. Aus. Ende. Ich bleibe.«
Unmöglich kann der Vampir seine Freundin alleine lassen. Er hat zwar Angst vor dem Sensenmann, aber noch größer ist seine Furcht, dass Alice etwas zustoßen könnte. So springt er ein weiteres Mal über seinen Schatten, nickt kleinlaut und meint:
»Du hast ja recht, Alice. In Ordnung … ich bleibe.«
»Gut«, sagt sie schlicht und geht hinter die Theke.
»Ich bin nur zurückgekommen, weil ich etwas vergessen habe.«
Sie schließt eine der unteren Schubladen mit einem kleinen Schlüssel auf und entnimmt einen winzigen Flacon. Rasch lässt sie das Fläschchen in ihrer Handtasche verschwinden. Liam hat es dennoch gesehen.
»Ah, du belieferst also auch schon tagsüber deine Junkies?«
Ohne ein Wort zu sagen, zuckt Alice mit den Schultern und geht zur Türe.
»Ich bin bald wieder zurück«, sagt sie. »Versuche bitte, dich in der Zeit nicht umbringen zu lassen.«
»Ja, ja.« Der Vampir winkt ab.
Kaum ist das helle Klingeln verstummt, begibt er sich hinter die Theke um sich ein großes Glas mit Blut aufzuwärmen.
Das brauche ich jetzt, denkt er, und dann werde ich überlegen, wie ich diesen verdammten Jäger loswerde.
*
Charlie kommt mit großen Papiertüten beladen nach Hause.
Pfeifend schließt er die Wohnungstüre auf, zieht sich umständlich die Turnschuhe aus, indem er jeweils auf die Ferse des anderen tritt. Die Jacke behält er an, weil er sonst die Tüten abstellen müsste, jedoch befürchtet, dass sie dann reißen könnten.
Wie immer ist sein Einkauf viel zu üppig ausgefallen, wie meistens konnte er sich nicht beherrschen. Charlie ist ein leichtes Opfer für jeden halbwegs geschickten Verkäufer.
Der junge Mann ist für beinahe alles zu begeistern, nur zu gerne probiert er neue Sachen aus, kostet den allerneusten Käse, nimmt den hippen Energie Drink mit, ist mit Begeisterung der erste Kunde, der genau diese Salami testen muss. Der Kühlschrank und seine eigenen Schränke quellen über vor lauter neuem Zeug. Das meiste braucht er gar nicht und das wenige, das er essen würde, will er nicht. Auch heute wieder hat sein Einkauf viel länger gedauert, als er geplant hat, somit fiel der Besuch im Fitnessstudio auch seiner Shoppinglust zum Opfer.
Schwer atmend stellt er die Tüten ab, genau in diesem Moment reißt das minderwertige Papier und eine Flut von Lebensmittel ergießt sich über die Arbeitsplatte und den Fußboden.
»Verdammt!«, flucht er vor sich hin und versucht, die Orangen aufzuhalten, die der Schwerkraft folgen wollten.
»Ich hoffe für dich, dass der Whisky überlebt hat«, sagt Samuel düster vom Esstisch aus.
Charlie zuckt erschrocken zusammen, er hat seinen Freund nicht bemerkt.
Die Orangen haben den Kampf gegen die Schwerkraft verloren, rollen um Charlies Hüften herum und platschen auf dem Fussboden auf. Nur eine Frucht hüpft wie ein Ping-Pong-Ball zurück, bevor auch sie still liegen bleibt.
Samuel verdreht die Augen und erhebt sich.
Charlie schiebt die zerstörte Tüte mit den Einkäufen zurück, weit entfernt vom drohenden Abgrund und der unweigerlichen Zerstörung der Lebensmittel.
»Nur keine Sorge«, meint Charlie. »Der Schnaps ist bestimmt noch heil geblieben.«
»Glück für dich.« Charlie sieht seinen Freund neugierig an. Er erscheint ihm noch übler gelaunt, als sonst, irgendetwas muss mit ihm geschehen sein, in der Zeit als er seine Einkäufe tätigte.
»Was ist los mit dir?«, fragt er neugierig und beginnt die Lebensmittel vom Boden aufzuheben.
Samuel kramt in den restlichen Papiertüten.
»Wo hast du ihn denn…« Etwas klirrt laut gegeneinander.
»Ah, ich dachte schon, du hättest ihn vergessen.« Er zieht eine rechteckige Flasche heraus und hält sie gegen das Licht. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit verwandelt das simple Sonnenlicht, das durch die Fenster fällt, in ein Feuermeer, beinahe so, als hielte der Tod einen Klumpen Sonnengold in den Händen.
»Wie kannst du nur so etwas denken«, murrt Charlie und wirft einen zerstörten Joghurtbecher in den Abfall. Samuel grinst ihn an und geht, mit seiner frischen Flasche, ins Esszimmer. Dort füllt er sein Glas beinahe bis zum Rand. Staunend sieht Charlie ihm dabei zu, wie er die Flasche sorgsam verschließt, vorsichtig das Glas nimmt und erst daran riecht, bevor er es in einem gewaltigen Schluck bis zur Hälfte leert.