Kitabı oku: «Glutroter Mond», sayfa 4

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Kapitel vier

Cade

Ich werde mich nie an den Gestank von Bars gewöhnen. Vermutlich stört mich eher der Geruch ihrer Besucher als der der Lokalität an sich. Menschliche Ausdünstungen jedweder Art, vermischt mit gepanschtem Alkohol und billigen Zigaretten. Mir selbst haftet dieser Geruch an. Nicht meiner Haut, nein, aber meiner Kleidung. Ich hätte mich in all den Jahren längst daran gewöhnen müssen, aber Fehlanzeige.

Der Hocker unter mir knarrt, einer der Beine ist kürzer als die anderen. Ich befürchte, er könnte mir bald unter dem Hintern zusammenbrechen. Die Einwohner dieser Stadt haben ihn aus Überresten alter Möbel gezimmert, die sie unter den Trümmern hervorgezogen haben. Immerhin haben sie sich überhaupt die Mühe gemacht, Sitzmöbel anzufertigen. Das sollte man ihnen hoch anrechnen. Die meisten Besucher hocken jedoch auf dem nackten Steinboden und lehnen sich an die kahlen grauen Wände, von denen der Putz bröckelt. Tische sucht man hier ebenfalls vergeblich. Sie nennen dieses Etablissement The Cave, und es macht seinem Namen alle Ehre. Eine Gruft hätte jedoch mehr Charme versprüht. Ich frage mich, wer den Schuppen so getauft hat, sollten die dummen Städter doch eigentlich nie eine Gruft von innen gesehen haben. Diejenigen vom Volk V23 verbrennen die Toten jenseits der Brücke. Nun, vielleicht trug der Laden schon zu Glanzzeiten der Stadt diesen Namen. Ich kann mir kaum vorstellen, wer unter normalen Umständen auf die Idee gekommen wäre, in diesem Kellerloch eine Bar zu eröffnen. Aus heutiger Sicht kann ich es fast verstehen. Das Cave ist ein illegaler Umschlagplatz für Tauschwaren aller Art, die zumeist von hinter der Barriere hereingeschmuggelt werden. Als Bar im eigentlichen Sinn versteht sich der Laden nicht, obwohl es manchmal selbstgebrannten Schnaps aus Mais oder Kartoffeln von jenseits der Brücke zu trinken gibt. Heute ist so ein Tag, aber ich habe kein Glas bestellt. Dazu sind mir meine Tauschwaren zu schade. Ich bin auf der Suche nach etwas anderem.

Die Dame auf dem Hocker neben mir lehnt sich lasziv über den Tresen. Mein Blick streift sie nur flüchtig. Ich hege kein Interesse an niederen Menschen. Sie hat den Reißverschluss ihres gelben Einheitsanzuges für Frauen ungebührlich weit heruntergezogen, sodass ich den Ansatz ihrer Brüste sehen kann. Ihr Haar ist lang und braun. Wenn sie sich nach vorne lehnt, ergießt es sich über das fleckige morsche Holz des Tresens. Sie sieht mich schon die ganze Zeit über lüstern an. Wann merkt sie, dass sie mir auf die Nerven geht? Wären nicht so viele Leute hier, hätte ich ihr längst eine Kugel in den Kopf gejagt. Eigentlich ist mir meine Munition zum Zwecke der Aggressionsbewältigung zu schade, aber heute hätte ich mir vorstellen können, eine Ausnahme zu machen. Stattdessen versuche ich, das Weibsbild einfach zu ignorieren. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Wo ist dieser Idiot? Er sagte, er käme gegen 21 Uhr hierher. Ich möchte die beiden Batterien nicht umsonst mit mir herumgeschleppt haben, wenn ich dafür heute kein Euphoria bekomme. Nicht, dass ich selbst Interesse an Drogen hätte. Dieses Zeug zeigt bei mir schlichtweg keinerlei Wirkung. Ich kann nicht einmal nachvollziehen, wie es sich anfühlt. Die Menschen berichten häufig von Glücksgefühlen - für mich nur ein bedeutungsloser Begriff meines Wortschatzes. Ich beabsichtige, das weiße Pulver wiederum gegen etwas anderes einzutauschen. Aber wie soll ich das machen, wenn dieser Bastard heute nicht aufkreuzt?

Das Gedränge in der Bar macht mich unruhig. Ich komme nicht sehr oft hierher, und ich habe den Ort als weniger überlaufen in Erinnerung behalten. Heute sind mindestens dreißig Leute hier. Wahrscheinlich wegen des Schnapses, der hier heute ausgeschenkt wird. Großartig. Da habe ich mir für meinen Tausch den bestmöglichen Tag ausgesucht.

»Möchtest du nichts trinken?«

Ich fahre zusammen und reiße den Kopf ruckartig herum. Das Weib neben mir hat es gewagt, mich anzusprechen! Wie zufällig berührt sie mit ihrem Knie das meine. Ich rücke ein Stück beiseite.

»Nein, ich möchte nichts trinken«, knurre ich sie an. Auch sie weicht ob meines harschen Tonfalls zurück. Ich weiß, dass ich ziemlich überzeugend klingen kann. Meine Stimme ist recht tief, und Sienna hat mir einmal gesagt, mein Blick sei der einer Schlange. Irgendwann habe ich ihn mir antrainiert, um aufdringliche Menschen fernzuhalten. Okay, nicht nur deshalb. In dieser Welt ist es einfach von großem Vorteil, ein harter Hund zu sein. Das liegt mir in den Genen, dafür kann ich nicht einmal etwas.

Rasch drehe ich mich wieder um und beobachte das Treiben in der Bar. Bar, wirklich lächerlich. Der selbstgezimmerte Tresen ist alles, was entfernt an eine Bar erinnert. Niemand kommt hierher, um etwas zu trinken, zumindest nicht an normalen Tagen, an denen es keinen Schnaps gibt. Wer auf der Suche nach illegalen Waren oder käuflicher Liebe ist, ist hier genau richtig. Ob man es glaubt oder nicht, selbst die V23er sind nicht unbestechlich. Sie sind gefühlskalte Bastarde, ja, aber die Triebe scheinen ihnen erhalten geblieben zu sein. Ich verziehe den Mund zu einem Grinsen. Widerwärtiges Pack. Sie glauben tatsächlich, sich den Rest der Welt Untertan machen zu können. Tja, meine Lieben, aber mit euren abartigen Mutationen und zahlreichen genetischen Fehlern könnt ihr das vergessen. Weshalb sollte es euch besser ergehen als mir und meiner Sippe.

Hinter dem Tresen steht ein junger Mann. Er ist nicht der Barkeeper, so einen gibt es hier überhaupt nicht, nur ein hässlicher stinkender Wichtigtuer, der mich anstarrt. Ich funkle ihn böse an, aber anders als bei dem Weib scheint er sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Erst jetzt fällt mir auf, dass er nicht der einzige ist, der mich so unverhohlen mustert. Ich falle in diesem Raum auf wie ein bunter Hund. Die V23er kleiden ihre Laborratten in Einheitskleidung - blau für die Männer, gelb für die Frauen. Meine schwarze Lederkleidung will nicht recht zu ihrem Look passen. Ob sie mich für einen V23er halten? Immerhin tragen nur diese schwarze Anzüge. Zumindest glauben die dummen Menschen das. Natürlich könnte ich ihre Vermutungen bezüglich meiner Herkunft bestärken, indem ich einfach meine Jacke ausziehe. Das hübsche Tattoo auf meinem linken Unterarm ähnelt dem Mal der Genmutanten bis ins Detail. Aber heute ist mir nicht danach, Menschen zu verarschen. Deshalb behalte ich meine Jacke an. Sollen sie doch denken, was sie wollen. Ich möchte endlich meine Batterien eintauschen und dann so schnell wie möglich von hier verschwinden. Diese Stadt jagt mit einen kalten Schauder über den Rücken.

Die Tür oberhalb der Treppe knarrt. Durch das Gemurmel der anderen Besucher höre ich Schritte auf den ausgetretenen Stufen. Meine Sinne sind schärfer als ihre.

Nur Sekunden später taucht jemand im Eingang auf. Die Bar befindet sich unterhalb der Erdoberfläche, wenn man sie betreten möchte, muss man eine etwa zehn Yards lange Treppe hinabsteigen, die von außen durch eine unscheinbare, stets unverschlossene Tür gekennzeichnet wird. Das Cave befindet sich in Midtown, südlich des Parks. Praktisch für mich, denn mein Fluchtweg bis zum Tunnel ist nicht lang, erst recht nicht für einen trainierten und körperlich gesunden Acrai wie mich. Diese Tatsache beruhigt mich ein wenig, denn mit einer Horde V23er möchte ich es nicht aufnehmen müssen. Und von denen gibt es hier für meinen Geschmack eindeutig zu viele.

Der Mann bleibt einen Augenblick lang im Eingangsbereich stehen und sieht sich um. Ich lächle schief, denn das ist der Kerl, nach dem ich gesucht habe. Endlich. Ich rühre mich nicht, soll er mich doch selbst entdecken. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass sein Name Jeff ist, vermutlich jedoch nur ein Deckname. Ich habe in der Vergangenheit schon einmal Geschäfte mit ihm abgewickelt. Ein hässlicher Vogel, der in seinem blauen Einheitsanzug wirklich lächerlich aussieht. Er sitzt an ihm wie eine Wurstpelle.

Endlich bleibt sein Blick auf mir haften, seine dunklen Augen fixieren mich. Auch er lächelt kurz, ehe er sich einen Weg durch die Menge bahnt. Er schiebt sich zwischen mich und die Dame, die inzwischen ein neues Opfer gefunden hat. Der Typ, dem sie schöne Augen macht, scheint jedoch mehr Interesse an ihr zu hegen als ich, was sie offensichtlich dazu veranlasst hat, den Reißverschluss noch ein Stück tiefer zu ziehen.

»Cade?«, fragt mich der Drogendealer. Ich erspare mir ein Nicken. Wer sollte ich wohl sonst sein, so unauffällig ist meine Erscheinung nun auch wieder nicht. Für die Dauer eines Herzschlags frage ich mich, weshalb ich mir diese lästige Tauscherei überhaupt antue. Ich hätte den Kerl in einer stillen Ecke umlegen und seine Ware einfach an mich nehmen können. Aber meine Sippe besteht darauf, dass wir verdeckt und unauffällig agieren. Also tue ich ihnen den Gefallen.

»Hast du den Stoff?«

Ich ziehe die beiden Batterien, eine jede etwa so lang wie mein Finger, ein Stück weit aus der Tasche meines Ledermantels, bevor ich sie wieder darin verschwinden lasse. Ein widerlicher Geruch nach Staub und Schweiß weht mir entgegen, wenn Jeff sich bewegt. Ich lehne mich ein wenig zurück, wobei der Hocker unter mir bedenklich knarrt. Flüchtig irrt mein Blick zur Seite. Wir werden beobachtet. Nicht, dass ich befürchte, mich könnte jemand bei illegalen Geschäften erwischen, denn aus diesem Grund ist schließlich jeder hier, aber ich hasse es, wenn Menschen mich anglotzen. Ich wünsche mir, das Cave so schnell wie möglich zu verlassen.

Jeff grinst mich an und offenbart eine Zahnlücke. Ich verspüre den Wunsch, sie zu vergrößern. »Zehn Gramm. Wie gewünscht.«

Er öffnet den Reißverschluss seiner Brusttasche. Ich sehe mich meinem Ziel näher denn je. Er zieht eine kleine durchsichtige Plastiktüte hervor. Darin ist weißes Pulver. Ich habe keine Ahnung, woher er das Euphoria hat, und es ist mir auch egal. Der Stoff wird durch Destillation einer Pflanze gewonnen, deren Namen ich nicht kenne. Es ist ein kompliziertes Verfahren. Ich weiß sicher, dass die Pflanze nicht im Stadtgebiet wächst. Nichts wächst dort, außer die wenigen angepflanzten Eichen im Park. Es bringt mich zum Schmunzeln, dass ich den Stoff ausgerechnet hier eintauschen muss. Ich habe mit Jeff schon früher Geschäfte abgewickelt, er wurde mir von jemandem empfohlen, bei dem ich damals Kupferdrähte ertauscht habe.

Ich strecke gerade meine Hand aus, um den Plastikbeutel entgegenzunehmen, als das Weib neben uns sich wieder zu Wort meldet.

»Ist das etwa Euphoria?!« Ihre Stimme ist so laut, dass absolut jeder im Raum mitbekommen haben dürfte, was Jeff mir andrehen will. Sie beugt sich zu uns herüber. Reflexartig reiße ich meinen Arm zur Seite. Ich unterschätze manchmal, wie schnell und stark ich bin. Der Knöchel meines Handgelenks trifft die Frau an der Schläfe, sie taumelt zurück. Ich wollte sie zum Schweigen bringen, obwohl ich weiß, dass es dazu ohnehin längst zu spät ist. Mögen im Cave auch viele Dinge ihren Besitzer wechseln, Euphoria dürfte eine nicht allzu alltägliche Tauschware sein. Manche Einwohner sind süchtig danach, und sie würden über Leichen gehen, ein Gramm davon zu erhaschen.

Die Frau stürzt und stößt sich den Kopf am Tresen. Das Gesicht des Mannes, den sie zuvor bezirzt hat, verzerrt sich zu einer Grimasse des Zorns. Er holt aus und schlägt mit der Faust in Richtung meines Kopfes. »Du schlägst eine Frau?«, kreischt er beinahe hysterisch.

Er rechnet nicht damit, dass mein Reaktionsvermögen das seine um ein Vielfaches übersteigt. Mühelos ducke ich mich unter seinem Hieb hinweg. Ich springe vom Hocker und trete den Mann, den ich auf nicht älter als zwanzig Jahre schätze, gegen das Schienbein. Er heult auf wie ein Wolf und lässt sich zu Boden sinken, direkt neben seine sittenlose Freundin, die benommen auf dem Rücken liegt und die Augen verdreht. Inzwischen sind alle Gespräche im Raum verstummt. Ruhe herrscht jedoch allenfalls für die Dauer eines Lidschlags, ehe Tumult ausbricht.

Jeff erwacht als erster aus der Starre. Mit drei langen Sätzen stürmt er zur Treppe zurück. Verdammt! Er hat meinen Stoff! Hätte das dumme Weibsstück nicht den Mund halten können? Ich stoße ein tierhaftes Knurren aus und setze an, Jeff zu folgen, doch dazu kommt es nicht mehr. Ehe er auch nur einen Schritt auf die unterste Treppenstufe setzen kann, ruft der Mann hinter dem Tresen ein unüberhörbares Jetzt, woraufhin die Tür am oberen Treppenende aufgerissen wird. Tageslicht und frische Luft strömen ins Cave. Die Helligkeit blendet mich. Jeff bleibt abrupt stehen, ich wäre beinahe mit ihm zusammengeprallt. Der Kerl hinter dem Tresen war ein Spitzel der V23er! Weshalb habe ich das bloß nicht bemerkt? Er hätte früher oder später ohnehin Alarm geschlagen, ob die blöde Kuh nun gewesen wäre oder nicht. Weshalb führen sie ausgerechnet heute eine Razzia durch? Ich komme so selten hierher!

Schwere Stiefel poltern die Treppe hinunter, die schwarzen Silhouetten mehrerer Männer schieben sich in das Kellerloch. Es gibt keinen anderen Ausgang, wir sind alle gefangen. Ich kenne keine Panik, denn das ist eine menschliche Reaktion, was jedoch nicht heißt, dass mir mein Herz nicht bis zum Hals schlagen kann.

Jeff macht auf dem Absatz kehrt und schiebt sich an mir vorbei, zurück in den Raum hinein. Es ist ein dummer Reflex, aber ich folge ihm. Verloren bin ich ohnehin. Ich schließe mit meinem Leben ab, das war's also. Meine irdische Hülle wird hier und heute ihrem Ende entgegentreten.

Schreie ertönen, schrill und unangenehm. Einige Menschen versuchen sich an den V23ern vorbei nach draußen zu schieben, doch das ist ein sinnloses Unterfangen. Sie blockieren den Ausgang. Ich hechte hinter den Tresen, leider bin ich nicht der einzige, der auf diese Idee gekommen ist. Meine Kleidung ist nicht die eines Städters, das genmutierte Pack hat mich vermutlich bereits entdeckt und identifiziert. Ich trauere weniger meinem sterblichen Körper hinterher als viel mehr dem Geheimnis, das ich ihnen heute verraten habe. Sollte man mich entdecken, werden sie wissen, dass es eine undichte Stelle innerhalb ihrer Barriere gibt. Meine ganze Sippe ist somit in Gefahr.

Jemand tritt mir in den Rücken. Ich denke nicht, dass es Absicht, sondern im Gedränge schlichtweg unvermeidbar war, dennoch fahre ich herum und greife dem Kerl in den Nacken. Kraftvoll schleudere ich ihn von mir weg, er fliegt über den Tresen und landet mit einem dumpfen Aufprall irgendwo dahinter, direkt den Ordnungshütern vor die Füße. Dann fällt der erste Schuss, dass Geschrei um mich herum wird noch lauter. Von meinem Platz aus kann ich nicht erkennen, was im Cave vor sich geht. Mich streift der Gedanke, mein Versteck zu verlassen, ihnen tapfer entgegen zu springen und zumindest einem von ihnen noch das Genick umzudrehen, ehe sie mich erschießen. Aber ich bleibe sitzen.

»Alle raus!«, brüllt jemand, ich vermute, er gehört zu den V23ern. »Draußen wartet eine Einheit, die euch nach illegalen Substanzen durchsucht.« Seine Stimme klingt kalt und befehlsgewohnt. Sie duldet keinen Widerspruch, und das Geschrei senkt sich zu einem Gemurmel herab, durchbrochen von gelegentlichen Schluchzern.

Ich höre ein Poltern auf der Treppe, der Raum scheint sich zu leeren. Es wundert mich, dass die Polizisten so hart durchgreifen, immerhin stammen alle von ihnen als illegale Substanzen betitelten Waren ursprünglich aus ihren eigenen Reihen. Wie sollten die armen Schlucker dieser Stadt sonst daran gekommen sein? Ich nehme an, dass nur junge V23er - von ihren Untertanen ehrfürchtig als Oberste bezeichnet - Luxusgüter gegen Liebesdienste tauschen, denn die älteren von ihnen sind genauso wenig wie ich dazu imstande, Emotionen zuzulassen. Diese Polizisten gehören vermutlich zu denen, deren Verwandlung einige Jahre zurückliegt. Dem System ergeben durch und durch. Pfui.

»Hier liegt eine bewusstlose Frau«, sagt jemand. »Sie scheint einen Schlag gegen den Kopf abbekommen zu haben.«

Ich höre ein Geräusch, als würde jemand einen Körper über den Boden schleifen.

»Bring sie zur medizinischen Station«, antwortet eine Frau. Ihre Stimme ist ebenso kalt wie die ihres Kollegen. »Ihr beiden durchsucht den Raum, ich gehe wieder hinaus. Es stinkt bestialisch hier. Mal sehen, wie viele wir heute überführt haben.« Höre ich einen Anflug von Schadenfreude in ihrem Tonfall? Nein, unmöglich, so etwas fühlen die Mutanten nicht. Ihre Schritte verhallen auf der Treppe, am oberen Ende knarrt die Tür.

Es dauert noch einige Atemzüge, ehe das Unvermeidbare eintritt. Ich hocke auf dem Boden hinter dem Tresen, doch jederzeit zum Sprung bereit. Ich spüre, wie Hass und Abneigung durch mich hindurch fließen und mich dazu zwingen, die Zähne zu blecken. Bin ich auch nicht imstande, etwas anderes zu fühlen - Hass funktioniert immer. Reine Selbstbeherrschung hält mich davon ab, auf die Beine zu springen und ein Massaker anzurichten, sogar mit bloßen Händen. Ich bereue, meine Schusswaffe im Auto gelassen zu haben. Sie hätte es mir erspart, den V23ern die Augen auszukratzen und mir die Finger dabei schmutzig zu machen.

Neben mir kauert noch ein anderer Mann, der am ganzen Leib zittert. Ich werde mir seiner Anwesenheit erst jetzt bewusst. Dann schiebt sich ein Schatten über uns, einer der Polizisten tritt hinter den Tresen. Er packt den zitternden Typen am Kragen seines Einheitsanzuges und zerrt ihn auf die Beine. Unsanft stößt er ihn Richtung Ausgang.

»Nach draußen!«, brüllt er ihm entgegen.

Der Mann winselt und stürzt zur Treppe. Weichei. Hat er Angst vor der Knarre des Polizisten? Ein V23er wird sie nicht gegen einen Menschen verwenden, sollte sein eigenes Leben nicht in Gefahr sein. Die schlimmste Strafe, die den Verbrechern in dieser Stadt droht, sind ein paar Tage unter Arrest. Ha ha. Irgendwie ironisch, wo doch die ganze Stadt genau genommen unter Arrest steht. Ob der Polizist mir gegenüber ebenso zögerlich mit seiner Waffe ist, dessen bin ich mir hingegen nicht so sicher.

Ich erhebe mich vom Boden, langsam. Es soll schließlich spektakulär wirken, dass ich einen halben Kopf größer als dieser Mistkerl bin. Seine Augen kleben auf mir und ich glaube, für die Dauer eines Herzschlags einen erschrockenen Ausdruck darin gesehen zu haben. Dann ist der Augenblick verflogen, seine Augen verengen sich.

»Ich brauche Verstärkung!«, brüllt er aus voller Kehle, während er eine glänzend schwarze Pistole aus dem Halfter seines Gürtels zieht. Der Lauf ist auf meine Brust gerichtet, aber ich lasse mir keine Furcht anmerken. Die habe ich ohnehin nicht, um ehrlich zu sein. Die Angst vor dem Tod habe ich mir schon vor sehr langer Zeit abgewöhnt. Ich bedauere lediglich, diesen äußerst attraktiven und gottgleichen Körper aufgeben zu müssen, sollte eine Kugel ihn durchbohren. Ich hatte mich gerade an ihn gewöhnt.

Sekunden später höre ich wieder Poltern auf der Treppe. Ich fauche und reiße den Kopf herum. Ich mache keinen Hehl aus meiner Abstammung, die hat mein Gegenüber ohnehin auf den ersten Blick erkannt, dessen bin ich mir sicher. Drei weitere Personen stürmen in die Bar, zwei Männer und eine Frau.

»Er ist ein Acrai. Wie ist er hereingekommen?« Der Mann, der die Pistole auf mich richtet, spricht mit seinen Kameraden, ohne den Blick von mir zu lösen.

Die beiden Männer, die er zur Verstärkung gerufen hat, sind wenig zimperlich. Ohne zu zögern flankieren sie mich und greifen nach je einem meiner Oberarme. Ich versuche mich loszureißen, aber ich schaffe es nicht. Mir wird bewusst, dass diejenigen vom Volk V23 ebenso kräftig sind wie meine Art. Natürlich sind sie das. Sie bergen unsere finstere Gensaat in sich.

Die Frau tritt neben den Kerl mit der Waffe und beugt sich zu mir herüber. Ihre Haare sind kinnlang und pechschwarz, ihre Haut hingegen blass. Ich schätze sie auf Ende zwanzig. Niemand ihres Volkes ist älter.

»Craig, du hast recht«, sagt sie. Sie greift in meine Haare und zieht meinen Kopf nach hinten. Ich lasse es geschehen. »Seine Augen haben die Farbe von Bernstein.«

Craig deutet mit dem Lauf der Pistole auf meinen linken Arm. »Kannst du ihm den Mantel ausziehen? Ich will mich davon überzeugen. Vielleicht ist er nur einer der menschlichen Rebellen.«

Der Kerl auf meiner rechten Seite schnaubt. Ich habe den Eindruck, dass er noch fester zupackt als zuvor. Meine Finger beginnen bereits zu kribbeln. »Glaubst du wirklich, ein Rebell käme freiwillig in die Stadt? Wohl kaum. Der ist ein Acrai, darauf wette ich.«

Ich betrachte ihn mit einem Seitenblick. Er sieht jünger aus als die anderen, vielleicht zwanzig. Seine Nase ist schief, als hätte er sie sich gebrochen. Ein junger V23er, noch ungeschliffen und temperamentvoll. Wart's ab, Bürschchen, auch du wirst die Auswirkungen der Mutation mit den Jahren noch zu spüren bekommen.

»Kane, nach deiner Meinung habe ich nicht gefragt«, bellt Craig. Der junge Mann weicht einen Zoll weit zurück, einen Moment lang lockert sich sein Griff ein wenig.

»Hilf Loraine dabei, ihm den Mantel auszuziehen.« Craig drückt mir die Pistole auf die Brust. »Wage es nicht, dich zu wehren oder einen Fluchtversuch zu starten. Du bist sofort tot.«

Ich spucke ihm ins Gesicht, aber Craig ist nicht Manns genug abzudrücken. Er stößt einen Wutschrei aus und wischt sich mit dem freien Handrücken über die Stirn.

»Ihr tötet mich doch ohnehin, weshalb nicht jetzt?« Es auszusprechen fällt mir erschreckend leicht. Wann bin ich bloß so ein kalter Hund geworden, dass mir nichts mehr an meiner sterblichen Hülle liegt?

»Was wir mit dir machen, geht dich einen feuchten Dreck an!« Er presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Allmählich dämmert mir, was mir bevorstehen könnte, sollten sie mich nicht töten. Und der Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht. Ich hege keinerlei Interesse daran, als Versuchskaninchen für irre Genforscher zu fungieren.

Kane greift nach dem Kragen meines Mantels, sein Kollege auf meiner linken Seite zieht ihn mir über den Arm. Ich wehre mich nicht, als sie ihn mir vom Körper reißen und er zu Boden fällt. Loraine schnappt kaum hörbar nach Luft.

»Er hat das Mal, er ist ein Acrai«, sagt sie und spielt damit auf die hübschen schwarzen Linien an, die sich um meinen Unterarm schlingen. Genau genommen hätte ich auch einer von ihnen sein können, immerhin tragen auch V23er das Mal. Aber meine restliche Erscheinung dürfte diese Möglichkeit ausschließen.

»Habe ich doch gesagt.« Kane funkelt Craig böse an. Er ist tatsächlich noch sehr jung und voller Emotionen. Mich wundert, dass die V23er einen Frischling in die bewaffnete Einheit gesteckt haben, für gewöhnlich landen solche eher in der Nahrungsausgabe.

»Schafft ihn nach draußen«, sagt Craig und fuchtelt mit der Pistole vor meiner Nase herum. »Aber sorgt dafür, dass die Menschen ihn nicht sehen. Ich habe keine Lust auf dumme Fragen.«

»Die Menschen sind bereits abgeführt worden«, sagt Loraine.

»So? Und werden sie unter Arrest gestellt?«

»Einige. Wir haben nicht bei allen verbotene Gegenstände gefunden. Etwa die Hälfte haben wir nach Hause geschickt.«

Craig knurrt. Er macht auf mich den Eindruck, als bedauere er diesen Umstand, dabei sollte ein ausgewachsener V23er so etwas nicht empfinden. Scheinbar setzen sich ihre menschlichen Gene gegenüber den unseren dann und wann noch immer durch. Ich finde es abstoßend, dass Bruchstücke von Acrai-DNA in ihren Zellen herumgeistern. Eine Schande.

Die Polizisten zerren mich zur Treppe. Ich mache es ihnen absichtlich schwer. Nur langsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Als wir durch die äußere Tür stoßen, ist die Sonne bereits untergegangen. Eine kühle Brise streicht durch meine Haare. Es riecht nach Staub und Unrat. Das Abwassersystem ist mit der alten Welt untergegangen, und die wenigen kläglichen Leitungen, die die V23er an ihrer Stelle verlegt haben, reichen kaum aus für alle sanitären Anlagen der Stadt. Viele Menschen halten sich nicht an die Vorschriften und verrichten ihr Geschäft dort, wo es ihnen gerade passt. Zum Glück ist die Stadt so groß, dass ich es für unwahrscheinlich halte, dass sie je in Exkrementen untergehen wird. Nicht bei weniger als zehntausend Einwohnern.

Kaum im Freien, scheinen die Staatsmänner in ihre alte Form zurückzufinden. Craig versetzt mir einen schmerzhaften Tritt in den Bauch, der mich einige Sekunden lang Sterne vor den Augen sehen lässt. Dann prallt der Griff seiner Pistole gegen meine Schläfe, Kane und sein Kamerad greifen wieder fester um meine Oberarme. Loraine steht unbeteiligt daneben und verzieht keine Miene. Von den anderen Menschen ist nichts mehr zu sehen, und Jeff ist mit meinen Drogen entweder längst über alle Berge oder unter Arrest gestellt worden. Falls ich je lebend aus der Situation herauskommen sollte, werde ich den Tag in meinem Kalender streichen. Adé, 5. Juni 2183. Du warst ein echt mieser Tag.

»Zum Hudson River«, presst Craig hervor. Sofort setzen sich die anderen in Bewegung und bugsieren mich in eine der zahlreichen Querstraßen, die Manhattan in ost-westlicher Richtung durchziehen. Von hier aus ist es nicht weit bis zum Tunneleingang, der mich durch die Barriere hindurch in die Stadt gebracht hat, aber ich bezweifle, dass meine vier Begleiter mich nach Hause geleiten wollen. Ich hoffe inständig, dass sie die undichte Stelle in ihrer Energiemauer noch nicht gefunden haben.

Als wir uns dem Ufer nähern und mir der unverkennbar modrige Geruch des Flusses in die Nase steigt, durchzuckt mich nun doch ein Anflug von Angst. Allmählich schwant mir, was Craig mit mir plant, und es gefällt mir ganz und gar nicht. Habe ich mich zuvor mehr oder weniger widerwillig abführen lassen, sträube ich mich nun mit aller Gewalt. Ich beiße dem Typen links von mir in die Hand. Dieser schreit auf und lässt mich kurz los, doch Kanes Griff ist nach wie vor fest. Während der Gebissene noch stöhnt und flucht, ist bereits Craig mit seiner Waffe an dessen Stelle gerückt. Der Lauf bohrt sich mir nun wieder unbequem in die Rippen. Ich trete um mich, aber ganz so behäbig wie ein Mensch bewegt sich auch ein V23er nicht. Ich lande keinen Treffer.

Bevor ich den Schmerz spüre, höre ich den Knall, der seinen Widerhall an den Wänden der halb verfallenen Wolkenkratzer findet. Dann knickt mein Bein unter mir weg. Meine Hose klebt feucht an meinem Schienbein, warmes Blut läuft mir in die Schuhe. Der Bastard hat mir ins Bein geschossen!

Die Wunde pocht heiß und beinahe unerträglich, aber ich tue ihnen nicht den Gefallen zu schreien. Schon merke ich, wie die Selbstheilungskräfte meines Körpers einsetzen und sich das Loch schließt. Ich hoffe, dass die Kugel auf der anderen Seite ausgetreten ist, andernfalls muss ich sie im Knochen behalten.

Craig tritt mir erneut in die Rippen. Die anderen beiden Männer packen mich unter den Achseln und schleifen mich hinter sich her, näher auf den Fluss zu. Mein Herz trommelt in einem wilden Rhythmus. Nicht der Fluss! Ich ertrage lieber noch weitere Schüsse in meine Beine.

»Werft ihn hinein!« Craigs Stimme klingt jetzt gar nicht mehr menschlich. Ich hätte nie geglaubt, dass ein ausgewachsener V23er nach seiner vollständigen Verwandlung überhaupt zu solchem Hass fähig sein könnte.

Sie zerren mich zu einer Lücke im Zaun, der die Straße vom Ufer trennt. An dieser Stelle ist die Teerschicht aufgeplatzt, ganze Bruchstücke der Straße sind in den Hudson River gerutscht. Mein Bein schmerzt noch immer, aber nicht mehr so sehr wie noch vor wenigen Minuten. Mein Körper ist trainiert und ich habe erst kürzlich Energie getankt. Ich spüre noch ein dumpfes Pochen beim Auftreten, jedoch nichts, das mich daran hindern könnte zu flüchten, sollte ich die Gelegenheit bekommen. Doch die bekomme ich nicht. Jetzt packen sie mich zu dritt, drei Männer gegen einen. Meine Sohlen schleifen über den Asphalt.

Craig greift um mein Genick und zwingt mich auf die Knie. Das Wasser ist jetzt ganz nahe, ich kann mein Spiegelbild sehen, wenn auch nur verzerrt, weil die Oberfläche vom Wind heute Abend unruhig ist.

Unvermittelt taucht Craig seine freie Hand in den Fluss und spritzt mir einige Tropfen ins Gesicht. Nicht viele, aber hinreichend, um mir zu demonstrieren, welche Qualen sie mir zufügen könnten, wenn sie es wollten. Das Wasser ätzt sich wie Säure in meine Gesichtshaut. Die V23er verstehen etwas von ihrem Fach, das muss ich ihnen lassen. Sie haben die unangenehmen Eigenschaften der Acrai, ihren Urvätern, geschickt aus sich herausgezüchtet. Sie sind nicht wasserscheu wie wir.

Ich beiße mir auf die Lippen. Ich werde nicht schreien.

»Wie bist du in die Stadt gelangt?«, schreit Craig mir ins Ohr, als sei ich taub. »Antworte!«

Erneut landet ein Schwall Wasser auf meinem Gesicht. Mir wird schwindlig, ich muss dagegen ankämpfen. Ich möchte nicht vor ihren Augen die Besinnung verlieren.

Ich schweige beharrlich. Ich werde ihnen nicht sagen, dass es einen Durchgang in der Nordröhre des Lincoln Tunnels gibt. Er ist nicht vollständig eingestürzt. Sollte ich ihnen das verraten, wäre der Zugang für meine Sippe für immer passé. Wir sind jedoch darauf angewiesen, und dabei geht es nicht bloß um den Erwerb von Luxusartikeln. Wir benötigen Menschen, um zu überleben.

»Ich werde die Antwort noch aus dir herausbekommen. Was wolltest du überhaupt auf unserem Terrain? Wildern, stimmt's? Wo haust deine Sippe?«

Alles Fragen, die ich ihm garantiert nicht beantworten werde, egal, wie sehr sie mich quälen. Mein Wille ist eisern, er kann nicht gebrochen werden. Ich fürchte den Tod nicht.

Als Craig merkt, dass ich wild entschlossen bin, mein Wissen für mich zu behalten, erhebt er sich. »Loraine, gib mir die Pistole.«

Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er sie an sie weitergegeben hatte. Ich wittere meine Chance. Ich reiße den Kopf herum und sehe durch den Schleier aus Schmerz Craigs Silhouette, die sich vor dem Licht einer Laterne abhebt - eine der wenigen, die noch funktionieren. Er streckt die Hand aus, als wolle er etwas entgegennehmen.

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