Kitabı oku: «Lotta und ich», sayfa 3

Yazı tipi:

Ich habe mit meiner Schmerztherapeutin sofort einen Antrag bei der Krankenkasse gestellt, damit sie mir diese Therapie genehmigen. Gesundheit und die Befreiung von Leid sind mehr wert als alles andere, also habe ich das Geld vorgestreckt, so gut ich konnte. Ich hatte nicht vor, mich derart zu verschulden. Naiv wie ich war, dachte ich, dass die Therapie laut neuem Gesetz von der Krankenkasse problemlos übernommen werden würde, und dass ich das Geld für die Privatrezepte auf jeden Fall wiederbekäme, sobald der Bescheid da wäre. Es ist mir zu dem Zeitpunkt nicht in den Sinn gekommen, dass mein Antrag abgelehnt werden oder sich über Jahre hinziehen könnte.

Ich kämpfe weiter vor Gericht. Cannabis aus der Apotheke ist teuer. Die Kosten der Privatrezepte haben mich in noch mehr Schulden gestürzt und ich musste die Therapie Anfang 2019 letztlich erst einmal abbrechen. Entzugserscheinungen hatte ich keine, aber ich habe lange gebraucht, damit klarzukommen, dass ich nun ständig wieder Übelkeit, extreme Schmerzen und die Panikattacken ertragen muss, obwohl es da ein Mittel gibt, das alles lindern kann. Mir das Kraut illegal zu besorgen, davor habe ich zu viel Angst. Nicht nur vor den Dealern, die ich bei meinem Erfahrungsspektrum auf dem Gebiet wahrscheinlich noch mit Beamten in Zivil verwechseln würde, sondern auch vor gestrecktem Zeug. Ich bin krank genug, da muss ich mich nicht auch noch vergiften. Egal wie verzweifelt ich bin, das Ganze geht nicht ohne die Kostenübernahme der Krankenkasse, die nach wie vor darauf besteht, dass mir dieses ›gefährliche‹ Medikament nicht zusteht, und in meinem Fall eine zu große Gefahr darstellt, mich süchtig zu machen. Nicht auszudenken, wenn ich von diesem Pflänzchen abhängig werden würde und das teurere Morphium samt Valium nicht mehr bräuchte, die ja überhaupt kein Abhängigkeitspotenzial haben. Ironie aus.

Aber ich schweife ab. Das ist ein anderes Thema. Allein damit könnte ich ein weiteres Buch füllen über Sinn und Unsinn neuer, unausgereifter Gesetze. Ich habe da noch etwas in der Hinterhand, das Hoffnung auf Besserung verspricht: ein Assistenzhund.

Ob es Zufall ist, dass erst vor kurzem hierfür ein schon lange überfälliges Gesetz verabschiedet wurde? Nein! Genau das hat mich angetrieben, diese Zeilen hier endlich zur Veröffentlichung zu bringen. Denn das Gesetz ist, wie so viele, die auf die Schnelle neu ins Buch der Bücher gekritzelt werden. Es ist ausgesprochen lückenhaft, wenig durchdacht und fördert genau das, was es eigentlich verhindern soll: Die perfiden Machenschaften der unseriösen Assistenzhund-Firmen und Zertifikatshändler, denen es nur um das viele Geld geht. Leider auf Kosten unwissender Betroffener und armer Hunde, in denen von diesen Menschen nicht mehr gesehen wird als ein roboterhaftes Hilfsmittel, das auf dem Weg dorthin Kohle einbringt. Aber ich schweife schon wieder ab. An dieser Stelle ist Lotta noch gar nicht bei mir eingezogen. Ihre Geburt steht kurz bevor. Es kann jeden Tag so weit sein, dass die kleine Maus zur Welt kommt, und doch ist sie im Moment nur ein Hoffnungsschimmer in meinem Kopf. Mehr Traum denn Realität.

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Neues Leben

Lotta – 8. September 2019

Hallo Welt. Da bin ich!

Die Wurfkiste, in der ich jetzt liege, ist nicht ganz wie Mamas Bauch, aber Tina hat alles mit viel Liebe gemütlich eingerichtet. Es ist ruhig und schön warm und kuschelig. Genau das Richtige nach dieser Tortur. Das Ganze mit der Geburt war anstrengender, als ich dachte. Der Weg war verdammt eng und so unendlich lang, aber ich habe mich unbeirrt herausgewunden und hier bin ich nun. Welt, ich komme!

Stolze 440 g bringe ich schon auf die Waage. Damit bin ich eine der Schwersten im Wurf. Ich bin sogar schwerer als zwei meiner Brüder. Mit dem Dritten bin ich gleich auf. Und ich habe einen Hunger, sag ich euch. Im Moment kann ich an gar nichts anderes denken, außer vielleicht noch, dass ich unsagbar müde bin.

Gut, sehen kann ich nicht. Meine Augen sind noch geschlossen und meine Beine fühlen sich hier draußen ganz wackelig an. Muss an dieser Schwerkraft liegen, der ich nun stärker ausgesetzt bin. Aber riechen kann ich. So viele Gerüche gibt es, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Hier draußen ist die Welt viel lauter. Sie ruft nach mir. Jedem Klicken, Summen und Brummen muss ich auf den Grund gehen. Überall riecht es nach Abenteuer. Meine Kraft reicht leider nicht aus, um alles zu erkunden. Das ist nämlich ziemlich anstrengend. Schlafen und Fressen bestimmen meinen Tag. Wenn ich nur nicht so verdammt müde wäre. Leute, ich sage euch, es ist wie verhext. Die Tage ziehen an mir vorbei. Ich schlafe und schlafe. Das Einzige, was diese unendlich langen Phasen unterbricht, ist mein Hunger. Wie ein Schnellzug kommt der in regelmäßigen Abständen vorbeigerast und weckt mich auf. Dann torkele ich zu Mamas gefüllter Milchbar, trinke mich satt und schlafe wieder. Wer hätte gedacht, dass das dermaßen anstrengend ist. Das alles plättet mich.

In meinen Träumen flitze ich auch noch durch die Gegend. Ich übe und verarbeite im Schlaf alles, was ich am Tag erlebt habe. Das ist wichtig fürs Lernen. Schließlich wird man ja nicht von alleine ein Assistenzhund.

Meine Neugier ist ungebrochen, aber dieser Hunger ist stärker als jedes verlockende Geräusch. Zum Glück ist Mamas Milchbar gut gefüllt. Blöd ist nur, dass alle da dran wollen. Da darf ich keine Müdigkeit vorschützen und muss mich durchsetzen. Im Notfall füttert Chefin Tina zwar zu – auf sie ist Verlass in allen Belangen –, aber die Milch von Mama ist einfach die Beste.

Noch dazu kann es nicht schaden, Durchsetzungsvermögen zu erlernen. Das ist eine wichtige Eigenschaft für einen angehenden Assistenzhund, genauso wie Gleichmut. Also bloß keine Panik. Ich weiß, was ich will und lasse mich nicht abwimmeln. Aufgeben ist nichts für mich.

Habe ich schon erwähnt, dass ich tierischen Hunger habe?

Ich bin dann mal Milch tanken, bevor mir die anderen alles weggesüppelt haben. Bis später.

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Das erste Treffen – nur gucken, nicht anfassen

Lotta – Ende September 2019

Leute, seit gestern ist's vorbei mit meiner inneren Ruhe und Gelassenheit. Da freue ich mich, dass Nicole mich bald besuchen kommt, und dann sowas!

Es wird ernst, und zwar richtig ernst. Zum Glück habe ich das Telefonat mitbekommen. Nicole bringt ihre Trainerin mit.

Die ist speziell ausgebildet und zertifiziert, um PTBS-Assistenzhunde zu trainieren, und will mich direkt mit ihren geschulten Adleraugen begutachten. Ja, sogar einen Eignungstest will die schon machen. Stellt euch das mal vor! Die spinnt doch! Ich bin gerade mal zarte drei Wochen alt und die verlangt schon einen knallharten Eignungstest, dabei kennt die mich noch nicht einmal. Unfassbar! Chefin Tina ist auch ganz baff deswegen.

Sie passt auf. Das beruhigt mich wenigstens ein bisschen.

Mir schießen tausend Fragen durch den Kopf und in meinem Bauch rumort ein komisches Gefühl. Ich habe Angst. Was, wenn ich durchfalle? Was muss ich alles leisten? Was wird die mit mir machen? Und vor allem, was muss ich machen? Ich muss mich vorbereiten. Ganz schnell. Ich muss das schaffen. Oma Lilli muss mir helfen. Die wird ja wissen, was und wie das alles vonstattengeht. »Ganz ruhig, Braune«, sagt sie immer.

Na ja, ruhig ist anders. Das geht gerade gar nicht.

Ich muss weg, Leute. Hab' noch viel zu tun. Drückt mir die Pfoten!

Omaaa! Wo bist du? Ich muss dich was fragen!

Nicole – 29.09.2019

Es ist wie auf einer Achterbahn. Eben noch spüre ich Hoffnung in mir aufsteigen, und dann rase ich im Affenzahn in die Tiefen aus Zweifel und Angst. Aber der Traum ist zu süß, um aufzuwachen und ihn jetzt schon abzuhaken. Ich möchte ihn weiter träumen, solange er währt.

Heute ist es endlich so weit. Heute darf ich Lotta zum ersten Mal besuchen und sie leibhaftig sehen.

Dass mein zukünftiger Hund eine Hündin werden soll, hat Tina mir geraten. Aus dem Grund, dass ich zurzeit mal wieder nur knapp über 40 kg wiege und durch die Schmerzen kaum Kraft habe, mich selbst über die Wege zu schleppen. Mit einem Rüden, der es locker auf bis zu 50 kg Körpergewicht bringen kann, würde es schwer werden, diesen an der Leine zu halten. Der würde mehr mit mir spazieren gehen als ich mit ihm und ich wäre ein wehendes Fähnchen am anderen Ende der Leine. Mit einer Hündin, die bis zu 35 kg auf die Waage bringen und jede Menge Kräfte entwickeln kann, wenn sie ausgewachsen ist, werden die Spaziergänge schwer genug für mich sein.

Vielleicht wäre ein kleiner Mischling, ein Yorkshire-Terrier oder ein Chihuahua in meinem Fall die bessere Wahl. Die sind süß und sicherlich auch ganz toll sowie lernfähig, aber wie soll ich mich bei so einer Miniaturausgabe von Hund sicher und beschützt fühlen? Es muss ein großer Hund sein, der etwas her macht, vor dem andere Respekt haben und auf Abstand bleiben. Am besten ein Herdenschutzhund oder ein Dobermann. Rottweiler finde ich klasse. Aber das ist keine gute Idee für einen Hundeanfänger wie mich. Nein. Ein Labrador passt sicher am besten zu mir. Kein großer, schwerer Rüde, in Ordnung. Ich widerspreche Tina da nicht, boxe die Zweifel meiner Eignung als Hundebesitzerin betreffend aus meinem Kopf, die sich bei diesen Gedanken zwangsläufig mal wieder einschleichen und versuche, an das Unmögliche zu glauben, bald Hundemama zu sein. Ein Kindheitstraum.

Der Gedanke, tatsächlich bald mit einem Hund an meiner Seite durch die Natur zu streifen, die ich so liebe, wärmt mein Herz. Ich vermisse meine Kraftorte im Grünen. Alles mit viel Wald und Wasser fehlt mir. Als ich noch im Stande war, allein durch die Wälder zu streifen, habe ich mir oft vorgestellt, wie schön es wäre, dabei einen hündischen Begleiter an meiner Seite zu haben. In den letzten Jahren wurde aus der Vorstellung dann ein sehnsüchtiger Wunsch. Ehrlich gesagt, ist mir das Geschlecht meines Hundes dabei so was von egal.

Ich bin unheimlich aufgeregt.

Drei Wochen ist Lotta jetzt schon alt und die Zeit hat sich gezogen wie Kaugummi. Der Name steht dafür schnell fest: Lotta. Bei dem Gedanken, dass sich bald ein Kindheitstraum von mir erfüllt, der Freude, Leichtigkeit und neue Hoffnung in mein Leben bringt, springt mir ein Bild von Pipi Langstrumpf in den Kopf. Ein selbstbewusstes Mädchen, das Spaß am Leben hat und sich nicht reinreden lässt. Pipi eignet sich aber für einen Hundenamen nicht wirklich, deshalb suche ich den zweiten Vornamen dieses großartigen Mädchens aus: Lotta. Passt!

Ich kann es gar nicht mehr erwarten, die süße, kleine Maus endlich zu sehen.

Wer hätte gedacht, dass drei Wochen so lang werden können?

Tina hat mir in der Zeit viele Fotos geschickt und als wir den Termin für heute ausgemacht haben, hat sie verkündet, dass sie sich inzwischen sicher ist, dass Lotta die richtige Wahl für mich ist.

So langsam zeichnen sich die Charaktere der kleinen Schoko-Monster ab und sie entwickeln individuelle Eigenarten.

Tina hat schon die ersten kleinen Tests gemacht, um zu schauen, ob Lotta spezielle Charakterzüge eines Assistenzhundes zeigt. Zum Beispiel, ob sie mutig und unerschrocken vorangeht, sich nicht aus der Ruhe bringen lässt und nicht zu sensibel ist. Diese letzte Eigenschaft ist sehr wichtig. Das wollte mir zunächst auch nicht ganz einleuchten. Ich dachte, dass ein Assistenzhund ganz besonders feinfühlig sein sollte. Meiner Meinung nach haben alle Hunde generell empfänglichere Antennen als Menschen und übertreffen damit selbst das sensibelste Gemüt. Nicht zu sensibel sein, meint aber hier eher eine hohe Frustrationstoleranz zu haben. Diese kann man später mit speziellen Übungen noch erweitern, aber für einen Assistenzhund ist es wichtig, dass er von Anfang an ein nicht so empfindliches Gemüt mitbringt.

Wie bei uns Menschen gibt es unter Hunden eben auch vor Selbstbewusstsein strotzende Draufgänger und kleine Sensibelchen, so wie ich eines bin. Letzteres wäre eine ziemlich ungünstige Konstellation, auch wenn ich dann nicht mehr alleine völlig überfordert irgendwo in einer Ecke der Stadt kauern würde. Dies würde mich allerdings keinen Schritt weiterbringen. Zudem benötigt ein solcher Typ von Hund einen selbstsicheren Menschen, an dem er sich orientieren und seine eigene Unsicherheit ablegen kann. Nichts gegen Feinfühligkeit, aber ein zu sensibler Hund wäre schnell frustriert und verunsichert, wenn der Halter nicht direkt reagiert. Genau das kann aber eine Person mit Einschränkungen oft nicht und ein PTBS-Betroffener erst recht nicht.

Eines der häufigsten Symptome ist die Dissoziative-Störung. Bei einer Dissoziation ist der Betroffene von jetzt auf gleich völlig weggetreten. Das kann durch alle möglichen Auslöser geschehen, die dem Betroffenen meist gar nicht bewusst sind, zum Beispiel ein Geruch, ein Geräusch oder ein Körpergefühl. In so einem Moment bekommt man nichts mehr mit, ist handlungsunfähig und hilflos. Ein Hund, der sensibel darauf reagiert, würde darunter leiden. Er wird, wie gelernt und wie in so einem Fall auch gewünscht, versuchen, diesen Zustand zu unterbrechen, mit Lecken, Bellen, mit den Pfoten oder seinem ganzen Gewicht. Das funktioniert aber vielleicht nicht immer. Je nach Situation und Intensität kann es lange dauern, bis der Mensch wieder zurück in der Realität und in seinem Körper ist. Dann ist es enorm wichtig, dass der Hund nicht direkt frustriert das Handtuch schmeißt – nicht nur für den betroffenen Menschen, sondern auch für das Wohlbefinden des Hundes. Denn der leidet darunter, wenn sein Handeln nicht von Erfolg gekrönt ist. Ein vor Selbstbewusstsein strotzender Charakter hingegen wird hartnäckig am Ball bleiben. Er wird sich davon nicht beeindrucken lassen. Selbst dann nicht, wenn der Besitzer trotz aller Bemühungen nicht reagiert. Schlimmstenfalls wird er irgendwann sein eigenes Ding machen, anstatt fix und fertig in einer Ecke vor sich hin zu leiden oder gar aggressiv zu reagieren.

Lotta bringt bereits ein paar wichtige Eigenschaften mit. Bin ich froh, dass Tina sich da so gut auskennt. Aufgrund ihres jahrelangen Erfahrungsschatzes kann sie ihre Welpen super einschätzen und die Kleinen spielerisch, ohne sie zu überfordern, testen.

Laut Tina ist Lotta enorm selbstbewusst und läuft unbeirrbar ihrem jeweiligen Ziel entgegen. Lotta lässt sich von nichts aus der Ruhe bringen. Das, was sie sich in den Kopf gesetzt hat, zieht sie unbeirrbar durch. Sie fragt nach und schluckt nicht das erst beste Kommando, das man ihr vorkaut. Das ist einerseits eine wertvolle Eigenschaft für ihre späteren Aufgaben als Assistenzhündin, anderseits verlangt es der Erziehung einiges ab. Bereits die Grundausbildung mit Lerninhalten wie »Sitz«, »Platz« und »Bleib« wird mich viele Nerven kosten. Später jedoch wird Lottas Unbeirrbarkeit und ihr Durchsetzungsvermögen Gold wert sein, wenn sie mich, zum Beispiel, vor einem drohenden Anfall warnt und ich sie mit einem »Nein« wegschicken will. Super, wenn Lotta mein Kommando in diesem Fall nicht gelten lässt und so lange weiter anzeigt, bis ich die Gefahr erkannt und gebannt habe.

Bei diesem Thema fällt mir direkt wieder die andere Herausforderung ein, die ich auf diesem Weg unbedingt bewältigen muss. Ich komme nicht drum herum, eine selbstbewusste Grundeinstellung und Ausdrucksweise zu erlernen und an den Tag zu legen, die ein Hund ernst nimmt. Womit wir wieder bei meinen guten alten Zweifeln wären. Irgendwie ist es paradox, dass ich einen Assistenzhund brauche, weil ich Einschränkungen habe, die eine unsichere Persönlichkeit miteinschließen, ich aber eben genau diese ablegen muss, um erfolgreich einen Hund zu erziehen. Vielleicht ist das die nötige Motivation, die ich brauche.

Ich muss selbstsicherer werden, damit ich Lotta die nötigen Fertigkeiten beibringen kann, die mir das Leben erleichtern.

Mit dieser tierischen Unterstützung beschreite ich dann einen neuen Weg. Einen, der nicht mit Hilflosigkeit gepflastert ist.

All das geht mir auf der langen Fahrt zum ersten Treffen mit Lotta durch den Kopf.

Chris fragt mich mehrmals, ob alles in Ordnung ist.

»Ja«, »Nein« und »Keine Ahnung«, sind meine Antworten, woraufhin er nur seufzt und zum gefühlt hundertsten Mal sagt, dass ich mir nicht immer so den Kopf zerbrechen soll, woraufhin wir beide dann mit den Augen rollen und er noch »Typisch Nici«, hinterherschiebt.

Ein Gedanke ist gleichzeitig traurig, aber durchaus beruhigend: Ich bekomme das Ganze sowieso nicht genehmigt. Der Fonds lehnt die Kostenübernahme sicher ab. Alles bleibt, wie es ist.

Der Traum wird ein Traum bleiben und Lotta zieht in ein anderes, vielleicht sogar besseres Zuhause.

Chris und ich stehen vor Tinas Haus, alles ist unwirklich und weit weg, als ich klingele.

Die Tür geht auf und eine Horde liebesverrückter Labradore stürmt auf uns zu. Sie springen an uns hoch und lecken uns überall dort ab, wo sie nackte Haut erwischen, was im Sommer bei knapp 30 Grad nicht gerade wenig Stellen sind. Die Bande begrüßt uns, als wären wir lang vermisste Familienmitglieder. Ich fühle mich willkommen, ohne dies auch nur ansatzweise in Frage zu stellen, so wie ich es üblicherweise tue.

Alle Bedenken, Zweifel und komischen Gefühle rutschen in den Hintergrund, als mich Tina zur Wurfkiste samt Auslauf führt.

Überall verstreut liegen die niedlichen Welpen mit ihren Knautsch-Gesichtern. Sie schlafen in den unmöglichsten Positionen. Als wären die Kleinen bei einem gefährlichen Kampf mit einer Decke oder einem Kissen plötzlich, so wie sie waren, in den Schlaf gefallen. Sie piepsen und ihre kleinen Beine zucken.

Was sie wohl Spannendes träumen, frage ich mich, während ich von einem zum anderen spähe, in der Hoffnung, Lotta zu erkennen.

»Die mit dem lila Halsband dahinten, das ist Lotta«, sagt Tina, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

Mein Herz macht einen Sprung. Am liebsten würde ich zu Lotta in den Laufstall, sie in die Arme schließen und an meine Brust drücken. Tina scheint auch dieser Gedanke nicht zu entgehen: »Nur gucken, nicht anfassen. Sie sind noch zu klein. Das Infektionsrisiko ist zu groß und wir wollen doch nicht, dass die Kleinen krank werden.«

»Natürlich nicht«, erwidere ich, versuche, so vernünftig wie möglich dabei zu klingen, kann aber die Enttäuschung, die unweigerlich in meiner Stimme mitschwingt, nicht unterdrücken, genauso wenig, wie ich meine Augen von den kleinen Schokoladenkugeln vor mir lassen kann.

Ich könnte den ganzen Tag hier stehen und die Bande beobachten. Es gibt aber noch viel zu besprechen und so folge ich Tina ins Wohnzimmer. Mein Herz klopft wie verrückt, dabei ist sie ganz lieb und will nur sicherstellen, dass ich gut vorbereitet bin. Meine Zweifel wachsen in ungeahnte Höhen. So viel gibt es zu beachten, so viel vorzubereiten und zu wissen.

Ganz schön viel zu tun mit einem Welpen und das alles natürlich auch an Tagen, an denen es mir nicht gut geht.

Ein Welpe ist nicht stubenrein und die kleine Blase kann noch nicht viel speichern. Am Anfang heißt das also schlimmstenfalls alle zwei bis drei Stunden vor die Tür, auch nachts. Wie soll ich das schaffen? Meine Ängste klopfen wie irre gegen meine Brust. Mir wird mal wieder bewusst, wie eingeschränkt ich bin. Kann ich das mit einem Welpen wirklich schaffen?

Lotta ist so winzig und hilflos. Ich werde noch eine ganze Weile auf sie aufpassen müssen und ein süßer Labrador-Welpe wird wohl kaum einen bösen, aufdringlichen Fremden, dem ich nachts draußen begegne, abschrecken können. Blöd, dass ich keinen Garten habe. Noch so ein Zweifel, der laut schreit: »Um einen Hund zu halten, brauchst du auf jeden Fall ein Haus mit Garten. Eine Mietwohnung ist kein geeigneter Ort für einen Hund.«

Keine Ahnung, wo ich diese Annahme herhabe, aber sie hält sich hartnäckig. Solange der Hund regelmäßig nach draußen kommt, beschäftigt wird und ausreichend Auslauf hat, ist eine Wohnungshaltung auf kleinerem Raum kein Problem. Dem Hund ist wichtig, dass sein Mensch in der Nähe ist, nicht wie groß und nobel das Domizil aussieht. Das bewahrt mich allerdings nicht davor, nachts nach draußen zu müssen, ins Freie, und zwar allein. Also nicht ganz allein, mein Würmchen von Lotta ist ja da. Nur dass ich sie in der ersten Zeit beschützen muss und nicht umgekehrt. Ich bezweifle, dass ich allein im Dunkeln in der Lage bin, nur einen Schritt vor die Tür zu wagen. Ist mein Vorhaben jetzt gescheitert?

Wir könnten eine kleine Pipi-Ecke auf dem Balkon einrichten.

Nur für den Übergang, solange Lotta nachts noch nicht einhalten kann und ich mich im Dunkeln nicht auf die Straße traue.

Ein Stück Wiese auf einer Plane oder in einer flachen Schale sollte seinen Zweck übergangsweise und im Notfall erfüllen.

Ich bin fürs Erste erleichtert. Genauso machen wir's.

Der nächste Punkt, den Tina anspricht, ist die welpensichere Wohnung. Darüber habe ich mir schon viele Gedanken gemacht und habe tatsächlich die wichtigsten Dinge, die Tina erwähnt, berücksichtigt.

Das, was jetzt noch Bauchschmerzen macht, sind meine Katzen.

Wie werden sie auf Lotta reagieren? Es kann schnell zu gefährlichen Situationen kommen, nicht unbedingt für meine Katzen, sondern für Lotta. Katzen hauen, wenn sie zuschlagen, ins Gesicht, also auf Lottas empfindliche Hundenase. Im schlimmsten Fall treffen sie die Augen. Das wäre eine Katastrophe.

Gut aufpassen ist da angesagt und beten, dass alle gut miteinander auskommen oder sie es zumindest mit der Zeit lernen. Zur Not hilft die Hundetrainerin, falls es überhaupt in diesen Punkten zu Problemen kommt. Meistens arrangieren sie sich untereinander, heißt es.

»Lass sie mal machen. Das regeln sie unter sich«, hat die Trainerin dazu gesagt und Tina stimmt dem zu.

Wahrscheinlich mache ich mir mal wieder zu viel Kopf.

Dass ich mir bei dem Thema ›Hundetrainer‹ gar nicht genug Kopf machen kann, weiß ich hier noch nicht. Ich bin zwar ein bisschen verunsichert, dass ich Sabrina nicht mehr erreiche, obwohl sie zu diesem Termin hier mitkommen wollte, aber sowas kann ja passieren, denke ich und ahne nichts Böses.

Ich sitze hier, nicke alle Fragen von Tina ab und stelle selbst welche, in der Hoffnung, meine Zweifel etwas zu minimieren.

Je mehr wir reden, umso öfter denke ich, dass ich mir zu viel zumute, dass ich der ganzen Sache nicht gewachsen bin.

»Ich bin ja auch noch da und helfe dir, wo ich kann«, sagt Chris. Tina nickt. »Das ist gut und wird auch Lotta entlasten, wenn sie bei dir mal abschalten kann, Chris. Es ist wichtig, dass sie auch Auszeiten von Nicole bekommt. Sie soll vor allem auch Hund sein dürfen und auch spielen und toben.«

Ich komme aus dem Nicken gar nicht mehr raus. Ja, klar soll Lotta das sein dürfen. Sie muss nicht die ganze Zeit auf mich aufpassen. Ja, es ist wichtig, dass ich jemanden habe, der mir hilft. Jemand, der mit dem Hund auch mal tobt, spielt und Lotta die Möglichkeit gibt, ein bisschen Auszeit von mir zu nehmen.

Die Hilfe von anderen Menschen in den Zeiten, in denen ich nicht in der Lage bin, mich zu kümmern, ist unerlässlich. Ich muss ein gutes Netzwerk haben, Menschen, denen ich vertraue, die Lotta nehmen und sich um sie kümmern, wenn ich zu krank bin, zu starke Schmerzen habe oder ins Krankenhaus muss. Nun besteht mein Netzwerk nur aus meinem Lebensgefährten, der Trainerin und Tina. Ich habe keine Familie im Rücken, keine Freunde. Jedenfalls keine, die in meiner Nähe wohnen und sich diese Verantwortung zutrauen. Ob das ausreicht?

Ich mache mir Sorgen, vor allem, weil es immer mal wieder Probleme mit meinem Lebensgefährten gibt. Ich bin kein einfacher Mensch und habe mit Beziehungen sowie deren Aufrechterhaltung so meine Probleme. Dazu kommt, dass Chris voll berufstätig ist. Das heißt, er ist unter der Woche von morgens fünf bis zum Teil in den späten Nachmittag gar nicht zu Hause. Wer soll mir dann helfen, wenn ich nicht vom Klo komme oder nicht aufstehen kann? Die Hundetrainerin fällt mir in diesem Moment wieder ein. Sie ist so nett und hat mir ihre volle Unterstützung angeboten. Ich habe sie im Ohr, wie sie mich beim letzten Telefonat beruhigt hat: »Ich kann Lotta auch mal tagsüber zu mir nehmen. Das ist überhaupt kein Problem. Ich kann dann auch mit ihr das ein oder andere allein trainieren. Langfristig könnten wir für euch eine Patenfamilie suchen, die dich mit Lotta unterstützt und in Notfällen einspringt.«

Ob sowas das Richtige für mich ist, wage ich zu bezweifeln. Lotta fremden Leuten anzuvertrauen, wird keine leichte Nummer für mich werden, auch wenn mir Sabrina versichert hat, dass sie mir dabei hilft, gute und erfahrene Menschen zu finden, die mich mit Lotta unterstützen.

Noch lange nach meinem ersten Besuch bei Lotta, wirbeln mir viele Sorgen und Gedanken durch den Kopf und mein Bauch krampft mit einem mulmigen Gefühl um die Wette.

Der Abschied fällt mir schwer, auch wenn ich Lotta in zwei Wochen wieder besuchen darf, und sie dann endlich auch knuddeln kann.

Wir verabschieden uns und ich werfe einen letzten Blick auf Lotta. Sie liegt im Laufstall neben einem Kissen, das dreimal so groß ist wie sie. Ihre Beinchen zucken, als würde sie auf der Stelle laufen, wahrscheinlich flitzt sie im Traum durch ein Hunde-Abenteuerland. Mir wird warm ums Herz. Ihr Gesicht sieht aus wie eine Mischung aus Robbenbaby und Teddybär.

Wie friedlich und zufrieden sie aussieht.

Bis zum nächsten Mal, mein Schatz.

Lotta

Wie, was, wo? Nein! Oh, nein! Ich habe doch nicht etwa Nicoles ersten Besuch verschlafen? Nein, das kann nicht sein.

Ich habe doch so schön von ihr geträumt. Tina hat mich aus dem Laufstall gehoben und mich Nicole gezeigt. Leider durfte sie mich nicht anfassen. Wegen der Keime und sowas. Dabei hätte Nicole mich so gerne in den Arm genommen. Das habe ich genau gespürt. Oder habe ich das nur geträumt? Moment mal. Da war ich doch kurz wach, oder? Gar nicht so leicht, die Realität von der Traumwelt zu unterschieden. Vor allem, wenn man so viel schläft wie ich.

Egal, es war schön, egal ob ich das jetzt nur geträumt habe. Nicoles Herz hat einen Hüpfer gemacht, als sie mich gesehen hat, das habe ich gemerkt. So habe ich mir das vorgestellt. Ich kann ihr zeigen, was Freude und Liebe ist. Ich werde ihr meine bedingungslose Freundschaft und Liebe schenken. Dafür war das schon mal ein guter Anfang. Findet ihr nicht?

Aber Moment mal. Da war doch noch was. Genau! Wo war diese Trainerin? Die ist nirgends vorgekommen. Nicht im Traum, nicht als ich wach war, und auch nicht dazwischen. Die wollte mich doch prüfen. Dafür habe ich mich extra vorbereitet. War das nun umsonst? Ich wollte ihr doch zeigen, was ich alles schon kann, und dass ich die beste Wahl für die Ausbildung zum Assistenzhund für Nicole bin. Ich habe so viel geübt.

Okay, ich gebe zu, ich bin eh immer die Erste, die vorangeht. Furchtlos und unerschrocken. Aber ich habe das verfeinert, damit mich auch wirklich nichts aus der Bahn werfen oder verunsichern kann. Und jetzt? Jetzt bin ich doch verunsichert.

Die ganze Aufregung und Vorbereitung umsonst, und dann habe ich noch Nicoles Besuch verschlafen.

Ich muss unbedingt in Erfahrung bringen, wann Nicole das nächste Mal kommt. Ich weiß, dass sie nochmal zu Besuch kommen wird. Tina hat sie vertröstet. Im Halbschlaf habe ich mitbekommen, wie sie zu Nicole gesagt hat, dass sie Geduld haben soll, und dass sie mich in zwei Wochen in den Arm nehmen und streicheln darf.

Aber wird sie auch in genau zwei Wochen kommen? Was, wenn sie früher kommt? Und wenn, bringt sie dann diese unzuverlässige Trainerin mit, die mich prüfen soll? Hoffentlich habe ich bis dahin nicht alles wieder vergessen. Die Aufregung reißt nicht ab. Ich werde mich weiter vorbereiten. Ja! Ich werde Oma weiter mit Fragen löchern. Ich werde …

Oje, bin ich schon wieder müde. Fürs Erste werde ich ein Schläfchen einlegen.

Gute Nacht, ihr Lieben.

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