Kitabı oku: «Ein Blockhaus in der Einsamkeit», sayfa 2

Yazı tipi:

Ab in die Wildnis


Unser Zeltlager aus dem Winter dient uns während des Bauens als Unterkunft

Ab in die Wildnis

Atlin, Mitte Juni 2005.

„Das hat eine Heizung?“, fragte ich noch einmal nach.

Der hagere Rentner, dessen Jetboot wir probefuhren, nickte und zeigte auf die Lüftungen in der Armatur. Seine faltige Hand hob und senkte sich mit den leichten Wellen, über die das Boot hinwegflog. Kleine Flecken Sonnenlicht funkelte durch die Scheiben hinein und irrlichterten durch den Innenraum. „Hier. Man kann sie so einstellen, dass es die Scheibe anbläst oder auch nach hinten geht.“

„Damit ist für Nicole alles entschieden“, sagte Chris trocken.

„Heizung! Das ist doch genial – da müssten wir im Boot nie mehr mitten im Sommer Klamotten wie bei minus 30 Grad tragen!“

„Na komm, fahr mal.“ Chris trat breitbeinig vom Steuerrad weg, um die Balance zu halten. Die noch mit Schnee bedeckten Berge am Ufer wippten auf und nieder. „Das hier ist der Gashebel – wenn du den nach vorne drückst, gibst du mehr Gas. Und das Boot ist sehr wendig; die Dinger sind extra dafür gebaut, schwierige Flüsse zu befahren. Durch den Düsenantrieb hat es kaum Tiefgang.“

„Alles klar.“ Ich klappte die Heizungslüftung so, dass mich ein angenehmer Wärmestrahl umfächelte, griff nach dem Steuerrad und gab kräftig Gas. Wie von der Tarantel gestochen schoss das Boot voran, den Bug hoch aus dem Wasser gehoben. Ich trat unwillkürlich einen Schritt zurück, dann krachte es hinter mir. Jemand ächzte. Erschreckt drehte ich mich um: Den dürren Rentner hatte es von den Füßen gerissen. Er lag mit ausgestreckten Armen auf dem Boden und starrte mich großäugig an.


Aufstapeln der Baumstämme im vorigen Winter

„Oh je, sorry – haben Sie sich wehgetan, Chuck?“ Peinlich berührt wollte ich ihm aufhelfen und riss dabei das Steuerrad nach rechts, sodass er an den Bordrand geschleudert wurde.

Kreidebleich klammerte sich Chuck an die Lehne des Beifahrerstuhls. „Ist schon alles okay“, krächzte er.

„Sweetie!“ Chris griff nach dem Steuer und richtete das Boot auf einen geraden Kurs, verbiss sich aber jeglichen frauenspezifischen Kommentar über meine Fahrweise. „Geh's mal ganz langsam und sachte an.“


Chris zog die Stämme mit dem Schneemobil zum Bauplatz

„Kein Problem“, murmelte ich. Das war eine andere Welt als Autofahren oder die flaue Rubber Ducky zu steuern! Ungefähr 500 bis 600 Kilo Ladung konnte man mit diesem Boot transportieren, und es war ideal für den wilden Atlin River. Ich fuhr weiter auf den See hinaus und probierte, eine Kurve zu fahren. Diesmal ganz vorsichtig. Chuck blieb auf den Beinen: Meine Fahrkünste mussten sich bereits drastisch verbessert haben. „Du, das nehmen wir, oder?“, fragte ich Chris leise auf Deutsch.

„Ja, das ist perfekt für uns“, nickte er.

„Noch mehr Schwierigkeiten wird es wohl nicht geben.“ Nach einem Jahr voller Probleme mit den Behörden, die sich in einem fünfzehn Zentimeter dicken Stapel an Genehmigungen, Formularen und Korrespondenz mit der niedrigsten Schreibkraft bis hin zum Minister niederschlugen, Protesten gegen unser Vorhaben von Seiten eines Buschpiloten und Sitzungen mit diversen Bürokraten sowie Abgeordneten der Taku River Tlingit, war das Stück Land am Tagish Lake inzwischen vermessen und uns angeboten worden. Geld hatte die Konten gewechselt, und im Winter hatten wir bereits auf der uns bewilligten Bauholzkonzession Stämme zum Hausbau gefällt.

Was jetzt noch fehlte, war der Grundstücksbrief – und inzwischen hatte der kurze kanadische Sommer längst begonnen. Je später wir mit dem Bauen anfingen, desto schwieriger würde es werden, die Cabin noch vor dem Winter fertigzustellen. Nach den vielen Problemen wollten wir jedoch nichts am Grundstück verändern, bevor wir nicht alle Papiere in der Hand hielten.

„Okay, dann lass uns zurück zur Marina fahren und bezahlen“, sagte Chris. „Falls doch noch was dazwischenkommt, können wir das Boot ja schlimmstenfalls wieder verkaufen.“

„Und die beiden Schneemobile, Fenster, Ofen und Isolierwolle auch … “ Ich wäre dann heimatlos, denn ich hatte im Winter schweren Herzens mein Atliner Grundstück verkauft – für das Leben in der Wildnis alles aufs Spiel gesetzt und am Ende doch verloren?

Sehr viel länger dauerte der Zustand der Ungewissheit zum Glück nicht: Am Tag der Sommersonnenwende lag endlich die lang ersehnte Grundstücksurkunde im Postfach. Zum Feiern blieb uns allerdings kaum Zeit, denn wir hatten bereits wertvolle Wochen für das Bauen verloren und mussten nun sofort vom Kampf mit den Behörden auf den Kampf gegen den Winter umschalten. Immerhin hatten wir einen Bauhelfer zur Seite – Frank, ein Freund von Chris, reiste extra aus Deutschland an, um uns zu unterstützen.

„Du sägst auf der Seite eine Kerbe in den Stamm, in deren Richtung der Baum fallen soll. Also die Kettensäge hier unten ansetzen und dann auf etwa auf ein Drittel des Stammdurchmessers reinsägen.“ Chris trat zurück, während Frank am Anlasserseil der Säge zog. Der Motor heulte auf, verbreitete vertrauten Geruch nach Benzin und Öl in der moskitoschwangeren Sommerluft. Sägespäne sprühten an der Unterseite des Kettenschwerts heraus, und dann fiel ein kleiner Keil aus hellem Fichtenholz aus dem Stamm. Unser Umzug in die Wildnis war bisher nur von Zerstörung geprägt – Minikrater für Fundamente und ein Plumpsklo graben, Sträucher herausreißen und Bäume fällen. Das hatte ich schon beim Bauen in Atlin nicht gemocht, und entschuldigte mich nun auf unserem Wildnisgrundstück andauernd bei der geschändeten Natur.


Unser Baumaterial

Frank wischte sich mit dem Arbeitshandschuh über die mückengesprenkelte Stirn, während die Säge in seiner Hand weiterratterte. „Geht gut!“

Chris zeigte auf die Rückseite des Baumstamms und brüllte über den Lärm: „Hier auf der anderen Seite setzt du den Fallschnitt an – einfach gerade in den Stamm reinsägen, immer auf die Kerbe zu. Je näher du kommst, desto mehr musst du auf den Baum achten. Wenn der Wipfel zu zittern beginnt, hält den Baum nur noch das schmale Stück Holz zwischen Kerbe und deinem Fallschnitt. Ab da ist alles Millimeterarbeit, und du musst die Säge sofort rausziehen und Platz machen, sobald der Baum sich neigt. Okay?“

„Alles klar.“ Frank beugte sich runter und setzte Chris' alte Stihl an.

Ich machte mich aus dem Staub, ehe der Baum zu fallen begann. Nun mussten wir doch einige von den Pappeln auf unserem Grundstück dem Bauvorhaben opfern – der Stapel Stämme, den Chris und ich im Februar gefällt hatten, reichte nicht aus. Das Eis auf Tagish Lake und Atlin Lake, das die Verbindung zwischen unserem neuen Wildnisdomizil und dem Dorf herstellte, war nur 18 Zentimeter dick gewesen und durch tagelanges Tauen und Regenwetter immer dünner statt dicker geworden – dank Temperaturen, die eigentlich erst im April zu erwarten waren. So hatten wir unser Zeltlager nach knapp zehn Tagen Arbeit in unserer Holzschlagkonzession abgebrochen und waren halb verrichteter Dinge mit dem Schneemobil über das mürbe Eis zurück nach Atlin gefahren. Immerhin: In der Zeit hatten wir es geschafft, neunzig Baumstammsegmente von zweieinhalb bis acht Meter Länge aus dem Wald an unseren Bauplatz zu ziehen.

Ich nahm wieder das Schäleisen in die Hand und begann, einem der aufgestapelten Bäume die Rinde abzuziehen. Die beiden Männer kamen mit Nachschub auf den Schultern: Der eben von Frank gefällte Baum war bereits in knapp zweieinhalb Meter lange Stücke zersägt.

„Und – abladen!“

Mit einem Rumms fiel das schwere Holz zu Boden.

„Die Dinger sind wenigstens leicht zu schälen“, sagte ich. „Nicht wie die Fichten vom Winter!“

„Sind ja auch ganz frisch. Noch sechs Pappeln und wir haben genügend Holz für die Wände.“ Chris streckte seinen Rücken.

„Sonst organisieren wir einfach noch ein Fenster“, schlug ich vor. „Das spart Holz, geht schnell und gibt schön viel Licht.“

„Falls diese Baumethode doch nicht hinhaut, haben wir vielleicht nur Fenster.“ Chris und Frank rollten den Pappelstamm zu unserer Baumkollektion. „Das muss klappen. Wenn Chris Czajkowski auf diese Art mutterseelenallein ein ganzes Blockhaus bauen kann, werden wir drei das ja wohl auch noch schaffen!“

Die kanadische Autorin hatte sich innerhalb eines Sommers eine Wildniscabin fernab aller Straßen gebaut, indem sie zwischen zwei Meter lange, aufrecht stehende Stützpfeiler waagerechte Stämme in ähnlicher Kürze eingesetzt hatte. Eine andere Methode, mit handlich kurzen Stämmen zu arbeiten, ist, sie alle senkrecht aufzustellen. Aber rein optisch gefiel uns das nicht, sodass wir lieber in Chris Czajkowsiks Fußstapfen treten wollten – sie hatte ein Buch darüber geschrieben, das allerdings diverse Details der Bauart offen ließ.

„Morgen können wir anfangen, die untersten Stämme zu setzen. Die Fundamente müssen jetzt einfach genug ausgehärtet sein.“ Chris trat probehalber gegen einen der acht Zementsockel, die wir ins Erdreich eingelassen hatten.


Unsere Wiese ist bunt mit Wildblumen

„Seid ihr für heute fertig mit Fällen? Dann fang ich an, Abendessen zu machen. Mich treibt der Hunger.“

„Klingt gut, wir holen nur noch die restlichen drei Stammsegmente aus dem Wald!“

„Okay.“ Ich legte das harzverklebte Schälmesser unter die Leinwandplane, die nicht nur unser Werkzeug vor dem Wetter schützte, sondern auch das Baumaterial.

Koyah, mein Chinook, lag gemütlich auf einem Isolierballen zusammengerollt. Blizzard und Silas streckten sich und gähnten; ihnen war durch unsere ständige Beschäftigung mit den Baumstämmen der Sommer gründlich verdorben. Lange Spaziergänge gab es nicht, dafür fehlte ganz einfach die Zeit, wenn wir bis zum Oktober fertig werden wollten. Blütenduft hing über der Wildwiese, die mit unzähligen Heckenrosen sowie Arnika, Akelei und Indian Paintbrush übersät war. Sehnsüchtig blickte ich auf dem Weg ins Zeltlager in den Pappelwald. Unsere nähere Bekanntschaft mit der Wildnis und ihren Tieren, von denen sich bislang keins gezeigt hatte, ließ noch auf sich warten.

Flammen umzüngelten das Holz in der Lagerfeuerstelle vor dem alten Leinwandzelt, das uns als Schuppen, Küche und Aufenthaltsraum diente. Chris und ich schliefen mit den Hunden in einem anderen Zelt fünfzig Meter weiter, und Frank campierte am Seeufer. So musste sich niemand gezwungen fühlen, extra lange wach zu bleiben, weil das Walltent noch genutzt wurde, und jeder konnte auch einmal seine Ruhe haben. Um mit den Essenssachen keine Bären anzulocken, hatten wir einen Elektrozaun um das Lager gezogen.

Chris stellte den leeren Teller auf die Erde. „Danke, Sweetie! Das war gut.“

Ich nickte. Wir wechselten uns mit dem Kochen und Abwaschen ebenso ab wie bei allen Schäl-, Säge- und Hämmerarbeiten am Bau. „Wie machen wir denn weiter, wenn wir die untersten Stämme gesetzt haben? Wollen wir dann mit den Wänden anfangen oder dem Fußboden?“

„Dem Fußboden, würde ich sagen. Sonst stehen wir ja beim Bauen wegen der Hanglage total tief.“

Frank stieß mit dem Stiefel einen Holzklotz weiter ins Feuer. „Was mir bei der Baumethode aber nicht ganz klar ist … ihr wollt in die aufrechten Stämme zwei Fugen sägen, in die dann links und rechts die waagerechten Stämme per Nut an den Stammenden eingefügt werden?“


Mit der Alaskan Mill werden die Baumstämme zurechtgesägt


Nicole im Zeltlager

„Ja, wir sägen an den beiden Enden aller waagerechten Stämme so eine Art Zapfen heraus, der dann in die Rillen in den Stützpfeilern greift.“

„Aber da müssen wir ja jeden waagerechten Stamm erst ganz nach oben hieven und ihn von oben zwischen die Stützpfeiler treiben!“

„Hm.“ Ich sah Chris an. So weit hatten wir noch gar nicht gedacht. „Vielleicht können wir eine Art Kran konstruieren“, schlug er vor. „Bei der normalen Blockhausmethode werden die langen Stämme doch über eine Art Rampe hochgerollt“, sagte ich.

„Das wird dann aber für das obere Stockwerk schon etwas haarig, meint ihr nicht?“ Frank hob fragend die Thermoskanne und schenkte uns allen Tee ein.

„Die Chris Czajkowski hat das irgendwie anders gemacht“, grübelte ich. „So detailliert hat sie das alles nicht beschrieben, aber ich glaube, sie hat die waagerechten Stämme mit irgendwelche Latten an den senkrechten festgehalten.“

„Und das hält eine ganze Wand?“, fragte Frank. „Habt ihr diese Baumethode denn nicht mal irgendwo angewandt gesehen?“

„Nein, aber da fällt uns schon noch was ein! So kompliziert ist der Hausbau nicht“, sagte Chris. „Für mein Blockhaus in Atlin habe ich auch nur in ein altes Buch geguckt und mir ein paar Häuser im Ort als Muster angesehen.“

„Solange die Wände im Lot bleiben … Viel kann man eigentlich nicht verkehrt machen“, meinte ich und erhob mich, um die Essenssachen wegzuräumen.

Im Zelt stand auf dem zweiflammigen Campingkocher, der von einer Propangasflasche gespeist wurde, noch der Topf mit dem Rest Soße. Ich räumte ihn mäusesicher in eine der Essenskisten, die entlang der Wände neben Kartons und Plastikkisten voller Kleidung, Bücher, Werkzeug, Lebensmittel und Hundefutter gestapelt waren. Bewegen konnte man sich nur in einem schmalen Gang in der Mitte, aber wir veranstalteten ja keine Tanzpartys. Ich streckte meine schmerzenden Arme, spürte die harte Arbeit der letzten Tage in meinen Rückenmuskeln. Anfang Juli war es bereits, und alles, das wir bisher gebaut hatten, waren acht Zementsockel! Ich suchte im Zelt nach dem Buch von Chris Czajkowski, um die Stellen über den Hausbau noch einmal nachzulesen.

Schlimmstenfalls könnten wir auch noch in den Winter hinein im Walltent ausharren, falls der Hausbau länger als geplant dauerte; das Zelt war mit einem Holzofen bestückt, der Chris und mir bereits im Februar während des Bäumefällens gute Dienste geleistet hatte. Aber eine verlockende Aussicht war das nicht. Unruhig blätterte ich im Buch.


Unser Zeltlager

Hausbau auf Wildnisart


Bei der Arbeit mit der Kettensäge liegen oft die Nerven blank

Hausbau auf Wildnisart

Tagish Lake, Mitte August 2005.

Müde tappte ich aus dem Zelt in die Dämmerung hinaus, ganz leise, um Chris nicht zu wecken. Die Hunde, die an ihren Leinen schliefen, damit sie bei mitternächtlichen Geräuschen nicht aus dem Zelt rannten, kuschelten ihre Nasen tiefer unter die Ruten.

Ein kühler Lufthauch umstrich meine nackte Haut, als ich mich einige Meter entfernt zum Pinkeln hinhockte. Zum ersten Mal seit Monaten war es nachts dunkel genug, dass ich Sterne am Himmel funkeln sah. Meine halbgeschlossenen Augen wanderten vom Himmel zu den ersten gelben Weidenblättern – Herbst. Und hinter dem Weidenbusch … ein unförmiger Schatten, der dort nicht hingehörte.

Plötzlich waren meine Augen riesengroß und ich hellwach. Keine zehn Meter von mir entfernt bewegte sich das dunkle Ding – ein Bär!


Erste Begegnung mit einem Bärennachbarn

„Oh, Mist“, flüsterte ich, konnte aber nicht zu pinkeln aufhören. Wie hypnotisiert starrte ich den Schwarzbären an, der mich ebenso gebannt beobachtete. Mein Herzschlag klopfte in meiner Kehle.

„Ich bin ein Mensch“, wisperte ich eindringlich. Das Tier hatte wohl noch nie einen nackten Zweibeiner gesehen, der wasserlassend vor ihm auf der Erde kauerte.

Plötzlich zuckte der Bär zusammen und sprang mit einem gewaltigen Satz in die Büsche, wo ihn sofort die Dämmerung verschluckte. Ich stand auf, froh, dass er das Weite gesucht hatte, aber ich hatte mich zu früh gefreut: Das Laub raschelte, und prompt war der Schwarzbär wieder da. Er richtete sich halb auf und witterte, konnte sich anscheinend keinen Reim auf mich machen. Mein Pulsschlag jagte noch immer in meinen Ohren, dabei waren es doch nur ein paar Meter bis zum Zelt, und das Tier war offensichtlich ganz verdattert. Bedrohlich verhielt sich der Bär nicht. Alles in Ordnung, beruhigte ich mich.

„Buh“, sagte ich und wandte mich zurück zu den Hunden, Chris und dem millimeterdünnen Zeltstoff, der uns vom Geschehen im Gesträuch trennte. Es krachte, und ohne Rücksicht auf Verluste rannte der Bär durchs Gebüsch davon, fort von mir, unter Ästeknacken und -geprassel nichts wie den Hügel hinunter in Richtung See, auf der Flucht vor dem blasshäutigen Zweibeingespenst. Chris' verschlafene Stimme tönte aus dem Zelt und die Hunde schlugen an, wie sie es fast jede Nacht in der letzten Woche getan hatten. Nun wusste ich, warum.

„Alles okay“, rief ich. Meine Haut prickelte vor Aufregung. Ich begann zu zittern, nicht nur vor Erleichterung. Es gab sie also doch, die Wildtiere! Wir hatten sie nicht alle verscheucht. Lebensfreude und Glück durchströmten mich; eine wilde Freude darüber, dass ich hier war, mit meinem Freund, unseren Hunden und einem halbfertigen Blockhaus mitten im herbstlichen Wald, wo man in der Dämmerung Zwiesprache mit einem Bären halten konnte.

„Verdammt noch mal!“ Missmutig setzte ich die Kettensäge ab und betrachtete die Nut, die ich aus dem Stammende herausgesägt hatte. Wie üblich war sie schief geraten. Ich sah zu Frank hinüber, der konzentriert vor seinem Stamm kniete und langsam mit Bleistift anzeichnete, wo er die Säge ansetzen musste.


Unser Nut- und Fugensystem

„Bei mir wird das nie was“, bekannte ich. Wenn ich wenigstens wüsste, was ich verkehrt machte. Es schien, als ob bei identischer Vorgehensweise Franks Stämme jedes Mal gelangen, während meine selbst mit Nachsägen nie so richtig passten. Chris hatte ebenfalls kein Händchen und keine Geduld für die akribische Nut-und-Fugen-Arbeit: Er sägte mit der Alaskan Mill, einem Aufsatz für die Kettensäge, den ganzen Tag lang die Stämme zurecht, sodass sie zwei flache Seiten zum Aufeinanderliegen hatten. In Akkordarbeit stellte er die Dutzende von Brettern her, die wir nicht nur für als Fußbodenbohlen, sondern auch für Fenster- und Türrahmen sowie Dachgebälk benötigten. Eine staubige, laute Arbeit, um die wir ihn nicht beneideten.

Frank zuckte die Achseln. „Schau dir doch das Werkzeug an, mit dem wir arbeiten! Das kann ja nur ungenau werden.“

„Bei mir auf jeden Fall.“ Ich schleppte das bereits geschälte Stämmchen zum Bau, wo sich die Blockhauswände inzwischen in den Himmel reckten. Isolierendes Moos hing zwischen den Stämmen heraus, und an der Südseite gähnten die beiden großen Fensteröffnungen.

Ich schob den Stamm auf die halbfertige Ostwand. Mit einem Ende steckten die waagerechten Stämme bereits in der Fuge des Stützpfeilers, während der zweite Stützpfeiler noch nicht gesetzt war: Unsere Lösung des Problems mit den waagerechten Stämmen. Erst wenn die Wand ganz in die Höhe gezogen war, schoben wir den zweiten Stützpfeiler heran und nagelten ihn an den Fußbodenbohlen fest. So konnten wir die waagerechten Stämme einfach aufeinanderstapeln, statt sie von ganz oben zwischen die Pfeiler hineinhebeln zu müssen.

Ich richtete den zweiten Stützpfeiler auf und schob ihn probeweise gegen das Wandende um zu prüfen, dass auch alle Nuten in der Fuge verschwanden. Die von mir gesägte war zu lang geraten und sah nicht schön aus, aber zumindest passte es.

Chris warf einen weiteren zweiseitig zugesägten Stamm, der eine Nutbehandlung brauchte, vor der Baustelle auf den Boden und wischte sich mit dem Arm über die von Sägemehl gepuderte Stirn und Ohren. „Die Blackflies machen mich noch wahnsinnig!“

„Zeig mal.“ Tatsächlich, rote Punkte tüpfelten seine Haut, wo die blutsaugenden Fliegen zugebissen hatten. „Das Insektenmittel ist hinten beim Werkzeug. Soll ich mal sägen?“ Keine verlockende Vorstellung, auch wenn es eine Abwechslung von der Nutsägerei wäre.


Die Bauarbeiten schreiten voran

Er beugte sich vor und gab mir einen staubigen Kuss, der nach Benzin schmeckte. „Ach, es geht schon. Bald können wir mit dem oberen Stockwerk anfangen!“

„Dann müssen wir uns zur Belohnung aber einen extra Tag freinehmen“, schlug ich vor. „Das muss doch echt drin sein – wir schuften sechs Tage die Woche, und der freie Tag geht immer mit so Sachen wie Brot backen oder Wäsche waschen drauf!“


Chris, gut eingehüllt gegen Mücken und Blackflies

„Oder mit Trips nach Atlin.“ Von Nägeln über Fenster bis hin zu den OSB-Platten für den Fußboden und den Metalldachpaneelen kam dank Chris und seiner winterlichen Flussbegehung alles heil mit dem Jetboot bei uns an. „Ja, dann machen wir einen Tag frei. Aber jetzt weiter, damit wir die Hütte vorm Winter noch fertigkriegen!“

Seufzend kniete ich mich vor den nächsten Stamm, um wieder eine Nut zu sägen. Immerhin lockte der freie Tag in nicht allzu weiter Ferne.

Die Hunde rannten aufgeregt vor Chris und mir her, konnten ihr Glück kaum fassen: Ein Spaziergang! Keine kurze Runde ums Grundstück mit Abstecher in die Bootsbucht wie in den letzten Wochen, sondern eine echte Exkursion in den noch immer unbekannten Wald. Weg- und steglos, wie die Wildnis war, ging es in einer Art Hürdenlauf unter, über und mitten durch das Gesträuch.

Unser Urlaubstag fühlte sich an, als würden wir schwänzen – fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, endlich einmal allein mit Chris und den Hunden unterwegs zu sein. Wo wir hingingen, war mir egal; ich wollte nur das Gefühl auskosten, mit Chris durch die Gegend zu streifen, die uns irgendwann ein Zuhause sein würde. Meine Gedanken drehten sich immer noch um die praktischen Fragen des Wildnislebens.


Silas kann sich für die Bauarbeiten nicht begeistern

Ich tastete nach dem Bärenspray an meinem Gürtel, das ähnlich wie Pfefferspray wirkt, aber entsprechend stark für Bären dosiert ist. „Meinst du, wir müssen uns richtige Pfade durch den Wald anlegen?“

Chris duckte sich unter einem umgestürzten Baum hindurch. „Keine Ahnung. Vielleicht finden wir mit der Zeit ja Wildwechsel, die wir nutzen können … wenn wir endlich Zeit haben! Ich würde auch so gerne noch einen Elch schießen, sonst haben wir nur die paar Gläser Einmachfleisch.“

Ich rümpfte die Nase. „Die reichen schon bis zur nächsten Jagdsaison. So das Geschmackserlebnis ist das nicht … riecht wie Hundefutter aus der Dose, wenn man ein Glas aufmacht.“


Weideröschen

„Vielleicht müssen wir es das nächste Mal schon gleich beim Einkochen würzen oder die Soße machen“, schlug Chris vor. „Und wir können ja auch immer einen Teil Elchfleisch in Atlin in meiner Gefriertruhe bunkern.“

„Aber wenn wir mit dem Bauen fertig sind, musst du ja nicht mehr so viel hin und her fahren, oder? Dann kämen wir an deine Gefriertruhe nicht so oft ran.“

Eine winzige Wiese mit wilden Himbeerbüschen tauchte vor uns auf. Der See, an dem wir uns orientierten, glitzerte durch die grünen Bäume. Nur hie und da warnten ein paar Zweige mit frühem Herbstlaub davor, dass der Winter und das Ende der Bausaison nahten. Vom Wasser hallte der geisterhafte Ruf eines Eistauchers zu uns empor.

Chris pflückte ein paar Beeren und steckte mir eine in den Mund. Sie zerplatzte herrlich süß und fruchtig auf meiner Zunge. „Kommt drauf an, wie sich unsere Jugendherberge und Survivalkurse entwickeln.“

Ich kniete mich neben ihn. Wilde Himbeeren! Koyah und Silas schnüffelten interessiert am Busch und begannen mit spitzen Lippen, die besten Beeren zu pflücken. „Nee, sucht euch woanders was“, protestierte ich. Wenigstens betrieb Blizzard, mein blonder Wald- und Wiesenmischling, keinen Mundraub: Hechelnd hatte er sich in den Schatten gelegt. „Wir müssen uns auch bald entscheiden, wie die Leute bei uns überhaupt buchen können.“

„Satellitentelefon oder Funktelefon“, sagte Chris. „Oder Satelliteninternet.“

„Tja, nur was davon?“ Für diesen Sommer und Winter hatten wir nur ein Funkgerät. Telefonisch erreichen konnte uns niemand, und wenn wir ein Problem hatten, würden wir erst per Funk jemanden erreichen müssen, der für uns telefonierte. Auf die Dauer war das kein Zustand.

„Ich bin ja für Satelliteninternet“, meinte Chris und legte sich auf den Rücken. Koyah nutzte sofort die Gelegenheit, ihm quer übers Gesicht zu lecken – er war ein begeisterter Küsser und hatte die schnellste Zunge des Nordens. „Bäh! Geh!“

„Mit Internet in der Wildnis … “ Ich seufzte.

„Ich weiß“, grinste Chris und streichelte mir über den Arm. „Das passt irgendwie nicht und braucht Strom, aber das hier wird doch unser permanentes Zuhause. Funkgerät und Rauchzeichen sind nichts für immer.“

„Dann müssten wir den Generator ja noch mehr laufen lassen“, schmollte ich. Wie sehr hatten wir uns darüber gestritten, einen Stromgenerator anzuschaffen! Ohne Strom könnten wir nicht bauen, hatte Chris behauptet. Wie sonst sollten wir eine Kreissäge und einen Bohrer beim Blockhausbauen benutzen?

Geht auch alles mit der Kettensäge oder per Hand, hatte ich entgegnet. Die Menschheit hat es schließlich ohne Stromgeneratoren geschafft, den gesamten Planeten zu besiedeln. Auch in meinem Bergtal außerhalb von Atlin war es stromlos, still und friedlich gewesen, bis noch zwei Haushalte dazukamen und das elende Gebrumme ihrer Stromgeneratoren das Tal erfüllte. Ich verstand nicht, wie man so abgelegen wohnen wollte, sich aber nicht vom Stromkonsum abnabeln konnte.

Ich hatte dort ohne Elektrizitätsversorgung gebaut und mich auch zuvor in Atlin so arrangiert, dass ich zu Hause für nichts Strom brauchte. Öllampen gaben mir Licht, ich heizte mit Holz, Wasser holte ich mir in Eimern vom Bach, kochte auf Propanflammen und hatte ein Plumpsklo. Den größten Teil des Jahres hielten sich Lebensmittel draußen und sogar auch drinnen in einer kühlen Ecke des Hauses frisch. Im Sommer ging ich einfach öfter einkaufen und benutzte im Ort das Telefon, Internet und den Waschsalon. Einen Verzicht oder Entbehrungen spürte ich dabei nicht, nur ein großes Gefühl der Freiheit.

Ich hatte es für selbstverständlich gehalten, dass das Leben mit Chris in der Wildnis ebenso einfach sein würde, auf die elementarsten Dinge beschränkt. Falsch gedacht.


Blizzard, Silas, Koyah und Nicole

„Du bist da wirklich extrem“, meinte Chris. „Und du kannst hier draußen mit mir zusammen nun mal nicht haargenau so leben wie allein in Atlin.“ Ich stopfte mir noch eine Himbeere in den Mund. Nicht schon wieder streiten! Unser Baualltag war schon stressig genug.

„Du hast in Atlin ja deinen Strombedarf im Ort gedeckt“, fuhr Chris unbeirrt fort. „Ganz darauf verzichtet hattest du doch nicht. Und hier können wir nicht mehr zum Telefonieren kurz mal ins Dorf fahren.“

„Das weiß ich ja.“

„Mit einer Solarzelle bräuchten wir den Generator zumindest im Sommer bestimmt nicht oft laufen lassen. Die Funktelefone sollen ja abgeschafft werden, und billiger und vielseitiger als ein Satellitentelefon ist Internet auf jeden Fall“, sagte Chris. „Wenn wir Internet hätten, wären nicht nur die Reservierungen kein Problem, sondern die Leute könnten auch über PayPal bezahlen. Durch Skype hätten wir sogar eine Telefonverbindung.“


Der Herbst naht

„Hm.“

„Und über E-Mail könnten wir leicht Kontakt zu unseren Freunden und Familien halten.“

„Ach, ich weiß nicht … “ Seufzend befingerte ich die Schwielen an meinen Händen. Sah so das moderne Wildnisleben aus? Mit Satellitenschüssel und Generator im Wald? „Aber erst muss das Haus überhaupt mal fertig werden.“

₺436,38

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
442 s. 221 illüstrasyon
ISBN:
9783944921198
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre