Kitabı oku: «Interkulturelle Philosophie», sayfa 7
Die Einheit der Vernunft
Philosophisch sehr viel interessanter ist ein Universalismus, der sich auf die Einheit der Vernunft beruft und den Menschen als vernünftiges Wesen begreift. Demnach ist der Mensch seinem Wesen nach durch Vernünftigkeit ausgezeichnet. Das grenzt ihn einerseits gegenüber anderen Tieren ab und benennt andererseits zugleich die wesentliche Gleichheit aller Menschen. Schon PlatonPlaton (428–348 v. Chr.) versteht den Menschen als durch den vernünftigen Seelenteil (logistikón) ausgezeichnet, weil sich dieser auf die Ideen richten und sich ihrer erinnern kann (Anamnesis). AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) spricht vom Menschen als einem zoon logon echon, lateinisch animal rationale. Trotz mancher Anfechtung bleibt der Gedanke der allgemeinen Vernünftigkeit des Menschen über alle Epochen hinweg zentraler Bestandteil des philosophischen Verständnisses vom Menschen. In der Neuzeit ist es vor allem KantKant, Immanuel (1724–1804), der die Vernunftkonzeption zu einer Hochform bringt. Er spricht davon, dass der Mensch ein »mit Vernunftfähigkeit begabtes Tier (animal rationabile)« sei, das »aus sich selbst ein vernünftiges Tier (animal rationale) machen kann«.1
Das möchte ich kurz erläutern: KantKant, Immanuel zeigt, dass die Erkenntnis, die wir von der empirischen Welt haben, grundsätzlich aus zwei ganz verschiedenen Komponenten zusammengesetzt ist. Da sind zum einen die Sinnesdaten, die von den Dingen ausgehen und auf unser Erkenntnisvermögen treffen; und da ist zweitens eben dieses Erkenntnisvermögen selbst, das mit den Sinnesdaten umgehen, sie ordnen und richtig aufeinander beziehen können muss, um in ihnen tatsächlich mehr als bloße Daten, nämlich konkrete Dinge erkennen zu können (schon AristotelesAristoteles verwendet den Begriff der Konkretion, um die aus Form und Material zusammengesetzte Einzelsubstanz zu bezeichnen2). Man kann sich das an einem ganz einfachen Beispiel verdeutlichen: Nehmen wir an, wir blicken auf einen Tisch, dann erreichen uns zahlreiche Sinnesdaten, die, sobald sie auf das Erkenntnisvermögen treffen, nicht mehr räumlich voneinander unterschieden sind. Um in den Sinnesdaten einen Tisch erkennen zu können, müssen diese also zunächst räumlich getrennt und geordnet werden. Vom Raum selber aber gehen keinerlei Sinnesdaten aus, er ist für uns nicht unabhängig von der räumlichen Anordnung der Dinge erfahrbar. Kant schließt daraus, dass die räumliche Ordnung der Sinnesdaten eine Leistung des Erkenntnisvermögens ist. Der mögliche Einwand, die Sinnesdaten könnten indirekt etwas über ihre räumliche Anordnung verraten, beispielsweise durch die zeitliche Verzögerung ihres Auftreffens auf das Erkenntnisvermögen oder durch die Intensität ihres Signals, läuft ins Leere, weil die Interpretation solch versteckter Informationen eine Vorstellung von Raum schon voraussetzt. Raum und auf gleiche Weise auch Zeit sind Formen, Kant spricht von den Anschauungsformen, mit deren Hilfe das Erkenntnisvermögen die Flut von Sinnesdaten sortiert und ordnet. Aber auch auf einer höheren Verständnisebene ist das Erkenntnisvermögen gefordert. Die räumlich und zeitlich geordneten Sinnesdaten müssen zusammengefasst und aufeinander bezogen werden. Das Erkenntnisvermögen muss wissen, welche Daten zusammengehören, um Gegenstände erkennen zu können. Diese Synthesis leisten die Einbildungskraft und die Verstandesbegriffe, das sind die Kategorien. Zu ihnen gehören beispielsweise Begriffe der Quantität wie Einheit und Vielheit, aber auch Begriffe der Relation wie Substanz und Kausalität (außerdem Begriffe der Qualität und der Modalität).3 Die Kategorien lassen sich ebenso wenig wie die Anschauungsformen in der Erfahrung finden, und doch sind sie genau wie jene in aller Erfahrung vorausgesetzt. Kant spricht mit Blick auf die Anschauungsformen und die Kategorien deshalb von den »Bedingungen der Möglichkeit« aller Erfahrung. Solche Bedingungen nennt er transzendental. Sie sind Vermögen a priori im Unterschied zu den Sinnesdaten, die der Erfahrung entstammen und von Kant darum als a posteriori bezeichnet werden. Die Erkenntnis, die wir von der empirischen Welt haben, ist also zusammengesetzt aus Sinnesdaten auf der einen und Leistungen des Erkenntnisvermögens (Anschauungsformen und Verstandsbegriffe/Kategorien) auf der anderen Seite. Ohne die Leistungen des Erkenntnisvermögens und speziell des Verstandes blieben wir blind, wie Kant sagt. Wir erkennen deshalb niemals, wie die Dinge »an sich« sind, sondern immer nur, wie sie uns bzw. unserem Erkenntnisvermögen gegeben sind und wie sie aufgrund der Leistungen des Erkenntnisvermögens zur Erscheinung kommen: »Die Ordnung und Regelmäßigkeit also an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht oder die Natur unseres Gemüths ursprünglich hineingelegt.«4
Nun entspringen die Leistungen von Anschauung und Verstand wie gesagt gerade nicht der Erfahrung, vielmehr liegen sie dieser als ihre Bedingungen zugrunde. Das ist der für unser Anliegen, einen Universalismus der Vernunft zu rechtfertigen, entscheidende Punkt. Das Erkenntnisvermögen geht der Erfahrung voraus und ermöglicht sie, es kann also nicht selbst erfahren werden. Das bedeutet auch, dass das Erkenntnisvermögen nicht selbst wieder den Bedingungen aller Erfahrung und Erkenntnis unterliegt. Es ist ein unbedingtes Vermögen (im Unterschied etwa zum Vermögen, Auto zu fahren, das grundsätzlich auf Erfahrung angewiesen ist). Als unbedingtes Vermögen ist das Erkenntnisvermögen aber auch unabhängig von inter-individuellen Unterschieden, es ist ein universales Vermögen. Zwar gibt es zwischen einzelnen Menschen erhebliche Unterschiede in der Fähigkeit zu Erkenntnis, diese gehen aber nicht auf prinzipielle Unterschiede des Erkenntnisvermögens zurück (vielmehr ist das Erkenntnisvermögen in der Feststellung solcher Unterschiede ja selbst wiederum vorausgesetzt), sondern beruhen zum einen auf der unterschiedlich großen Neigung, das Erkenntnisvermögen einzusetzen, zum anderen auf der unterschiedlich großen Einsicht in die Struktur der Erkenntnis. Das ist der Grund dafür, dass Erziehung und Aufklärung möglich und nötig sind. Und noch ein zweiter Punkt ist wichtig, um die Einheit der Vernunft richtig zu verstehen: Die Synthesisleistungen des Verstandes werden ihrerseits zusammengefasst vom »Ich denke«, das »alle meine Vorstellungen begleiten können« muss.5 Nur wenn die verschiedenen Erkenntnisse auf das »Ich denke« hin bezogen werden können, lassen sie sich als zusammengehörig erkennen. Dieser Zusammengehörigkeit aller Erkenntnis auf der Seite des Subjekts entspricht auf der Seite der Erkenntnisobjekte die Zusammengehörigkeit alles Erkannten in der Welt. Die Welt freilich kann nicht selbst erkannt werden, aber sie ist eine Idee, die die Vernunft notwendigerweise haben muss, soll sinnvolle Erkenntnis überhaupt möglich sein. So wie die Vernunft auf Seite des Subjekts einheitlich ist, so richtet sie sich auf Seite des Objekts auf die Einheit der Welt. Darin erst ist sie eigentlich universal.
Aufgrund ihrer Universalität verleihen die Leistungen des Erkenntnisvermögens der Erfahrung Objektivität. Darin besteht die Kantische »Revolution der Denkungsart«.6 Zugleich steht das Erkenntnisvermögen für die prinzipielle Gleichheit der Menschen. Diese Gleichheit kann aber nur deswegen so bedeutsam sein, weil der Mensch seinem Wesen nach vernünftig ist. Das Wesen des Menschen erschöpft sich nun aber nicht in seiner Erkenntnisfähigkeit. Vielmehr ist der Mensch darum seinem Wesen nach vernünftig, weil er sich qua Vernunft über alle Bedingtheit der Erfahrungswelt, also auch über seine eigene Bedingtheit als in der Erfahrungswelt Lebender hinwegzusetzen vermag. Qua Vernunft unterliegt der Mensch keinen Bedingungen, sondern ist frei. Über alle Bedingtheit hinwegsetzen kann sich der Mensch nun aber nicht in der Erkenntnis (wegen deren Zusammengesetztheit); die Unbedingtheit äußert sich darum vornehmlich im freien Willen. Der freie Wille wiederum zeigt sich dann, wenn sich der Mensch in dem, was er tut, nicht durch Neigungen und Wünsche, sondern allein von der Vernunft leiten lässt. Das Handlungsgesetz der »reinen praktischen« Vernunft bestimmt KantKant, Immanuel bekanntlich im kategorischen Imperativ: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«7 Die Universalität der Vernunft wird gerade an der Pflicht, die Kant im kategorischen Imperativ formuliert, deutlich: Unbedingt und frei ist der menschliche Wille nur dann, wenn seine Maxime zur allgemeinen Gesetzgebung taugt.
Wenn wir einmal beiseite lassen, dass KantKant, Immanuel die Ausbildung der Vernunftfähigkeit zur tatsächlichen Vernünftigkeit abhängig von geographischen und klimatischen Bedingungen v.a. bei den Europäern realisiert sah (s. Anm. 16), dann vermag die Vernunftkonzeption Kants in der Tat einen Universalismus zu begründen. Aufgrund ihrer Teilhabe an der einen universalen Vernunft sind die Menschen ihrem Wesen nach alle gleich, sie unterliegen denselben Pflichten und haben dieselben Rechte, nämlich niemals instrumentalisiert, sondern immer als Zweck an sich behandelt zu werden. Auf dieser Grundlage entwirft Kant denn auch das Ideal des »Weltbürgertums«, dessen Ausbildung zum »ewigen Frieden« zwischen den Völkern führen würde.8 Gemessen an der Einheit der »reinen praktischen« Vernunft sind kulturelle Differenzen zwischen den Völkern zweitrangig. Kulturelle Differenzen sind geographisch, klimatisch und historisch bedingt. Sie können der Ausbildung der tatsächlichen Vernünftigkeit des Menschen, dem »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit« wie Kant sagt,9 mehr oder weniger förderlich, ja sogar hinderlich sein, an der Einheit der Vernunft und der prinzipiellen Vernunftfähigkeit des Menschen ändern sie nichts.
Die kantische Begründung der Vernunft ist bis heute extrem wirkmächtig geblieben. Das Denken KantsKant, Immanuel steht auch heute noch bei vielen Vertretern universalistischer Ansätze im Hintergrund. Tatsächlich ist durch Kants Kritik der Vernunft, die eine Trennung von auf Erkenntnis gerichtetem Verstand und reiner theoretischer ebenso wie praktischer Vernunft vornimmt, viel gewonnen. Vor allem die Einsicht in die Freiheit des Menschen, die sich gerade darin verwirklicht, dass er sich unter das sittliche Gesetz stellt. Freiheit und Verantwortung des Menschen gehören unmittelbar zusammen. Dennoch ist die kantische Position heute allenfalls noch in angepasster Form haltbar. Das liegt zum einen an der historischen Erfahrung des Schreckens, wie wir sie im Zweiten Weltkrieg gemacht haben. Diese Erfahrung hat zu grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber der Annahme einer grundsätzlich sittlich orientierten Vernünftigkeit des Menschen geführt. Zum anderen aber ist Kant schon von seinen Zeitgenossen dafür kritisiert worden, die Vernunft des Menschen gleichsam von der Welt entkoppelt zu haben. Die Universalität der Vernunft ist weltlos und folglich auch a-historisch, und sie verkennt die Notwendigkeit einer sprachlichen Vermittlung. Ich werde darauf in Kapitel 3 näher eingehen; im Folgenden stelle ich kurz einen Ansatz vor, der versucht, die Einheit der Vernunft zu retten und doch zugleich die genannte Kritik aufzunehmen.
Habermas’ Diskurstheorie
Ganz in diesem Sinne spricht HabermasHabermas, Jürgen in dem bereits erwähnten gleichnamigen Aufsatz von der »Einheit der Vernunft in der Vielheit ihrer Stimmen«. Die Vernunft, das haben schon HerderHerder, Johann G. (1744–1803) und Wilhelm von HumboldtHumboldt, Wilhelm v. (1767–1835), beide Zeitgenossen KantsKant, Immanuel, gezeigt, findet in der Sprache ihren Ausdruck. Sie ist sozusagen nicht frei zugänglich, sondern sprachlich vermittelt. Umgekehrt bedeutet das, dass die Sprache das Denken beeinflusst, eine Einsicht, die im 20. Jahrhundert zum so genannten »linguistic turn« und zur Sprachkritik geführt hat. Habermas schließt an diese Einsicht an, hält zugleich aber an der Einheit der Vernunft fest: »Denn Konzepte wie Wahrheit, Rationalität oder Rechtfertigung spielen in jeder Sprachgemeinschaft, auch wenn sie verschieden interpretiert und nach verschiedenen Kriterien angewendet werden, dieselbe grammatische Rolle.«1 Die Vernunft drückt sich in den verschiedenen Sprachen durchaus verschieden aus; auch fehlt der eine verbindliche Maßstab, nach dem zu entscheiden wäre, welchem Ausdruck die Menschen folgen sollten. Vielmehr muss um die Vernunft gerungen werden. Das immerhin bleibt möglich, schließlich sind die verschiedenen Sprachen allesamt Ausdrucksweisen der Vernunft. Habermas verortet die Vernunft freilich anders als Kant nicht mehr im einzelnen Subjekt (die Vorstellung von der Vernunft des Einzelnen ist durch die Erfahrungen der Nazi-Herrschaft nachhaltig erschüttert), sondern im Diskurs. Vernunft realisiert sich intersubjektiv. Die Begründung diskursiver Vernunft ist (im Anschluss an den Begründer der Diskurstheorie Karl-Otto ApelApel, Karl-Otto) letztlich eine pragmatische: Die Möglichkeit rationalen Argumentierens muss nämlich immer schon unterstellt werden, sonst würde es gar keinen Sinn machen, irgendwelche Geltungsansprüche zu erheben. Wenn wir etwas als wahr behaupten, dann erheben wir damit einen Geltungsanspruch, nämlich konkret den Anspruch, dass es sich so verhält, wie wir sagen.2 Habermas zufolge muss sich dieser Geltungsanspruch im Diskurs nun argumentativ bewähren. Er schlägt darum ein Konsensmodell der Wahrheit vor. Nur wenn prinzipiell alle, die am Diskurs teilnehmen könnten, diesem Geltungsanspruch auch zustimmen würden, ist die Behauptung tatsächlich wahr. Die Wahrheit von Aussagen – und damit sozusagen die Universalisierbarkeit eines vernünftigen Ausdrucks – hängen am Konsens aller. Habermas spricht deshalb von der »kommunikativen Vernunft«.3
Der Diskurs unterliegt dabei einigen Bedingungen. Zum einen ist vorausgesetzt, dass die Diskursteilnehmer mit dem, was sie sagen, bestimmte Geltungsansprüche verbinden, das sind zum einen die Verständlichkeit des Gesagten und zum anderen, abhängig davon, ob sich der Diskurs auf die objektive, die soziale oder die subjektive Realität bezieht, der Anspruch auf objektive Wahrheit bzw. normative Richtigkeit und subjektive Wahrhaftigkeit. Zudem setzt HabermasHabermas, Jürgen eine »ideale Sprechsituation« voraus, die durch gleiche Chancen zur Beteiligung am Diskurs, die Möglichkeit, alle Geltungsansprüche gleichermaßen kritisch zu prüfen, Herrschaftsfreiheit und Aufrichtigkeit der Sprecher gekennzeichnet ist. Unter diesen Bedingungen ermöglicht der Diskurs Verständigung und Einigung unter dem »eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Argumentes«.4 Tatsächlich wird es eine solch ideale Sprechsituation in der Realität nicht geben, das behauptet auch Habermas nicht, aber der Diskurs muss sich doch wenigstens an ihr orientieren.
Das habermasHabermas, Jürgen’sche Diskursmodell demokratisiert gleichsam den Gebrauch der Vernunft. Jeder Geltungsanspruch muss rational begründet werden und kann nur dann als eingelöst gelten, wenn alle ihm zustimmen. Das bedeutet keinesfalls, dass Habermas Geltungsansprüche für verhandelbar hält und der Etablierung von Mehrheitsmeinungen das Wort redet. Im Gegenteil, ein Geltungsanspruch ist so lange nicht universalisierbar, so lange er nicht von allen rational nachvollzogen werden kann. Habermas spricht Mehrheiten in einer Gesellschaft explizit das Recht ab, ihre eigene kulturelle Lebensform zur Leitkultur zu erheben.5 Die Forderung, alle gleichberechtigt in den Diskurs mit einzubeziehen, weitet er mit der Zeit über die eigene Sprachgemeinschaft hinaus auf grundsätzlich alle Menschen aus. Die Rationalitätsstandards des Diskurses sind nicht an die jeweilige Sprache und Kultur gebunden. Gmainer-PranzlGmainer-Pranzl, Franz hat deutlich gemacht, dass Habermas damit einen wesentlichen Beitrag zur Problemstellung interkultureller Philosophie zu leisten vermag.6 Allerdings droht die Voraussetzung allgemeiner Rationalitätsstandards des Diskurses, so Gmainer-Pranzl, das für interkulturelle Fragestellungen so wichtige Phänomen des Fremden zu verkennen. Fremd ist etwas nicht deswegen, weil es vorläufig unbekannt und unverstanden bleibt, sondern weil es sich grundsätzlich dem verstehenden Zugriff entzieht und gerade als derart entzogen erfahren wird.7 Gmainer-Pranzl sieht nun in Habermas Beschäftigung mit der Religion eine Möglichkeit, auch das Phänomen des Fremden in der Diskurstheorie unterzubringen. Säkulare Rationalität und Religion anerkennen sich wechselseitig, jedenfalls solange wie die säkulare Rationalität keine befriedigenden Antworten auf die entscheidenden religiösen Fragen zu geben vermag. Solche Anerkennung geschieht aus Einsicht in die Berechtigung der religiösen Fragestellungen bei gleichzeitiger Erkenntnis der eigenen Unfähigkeit, befriedigende Antworten zu geben. Sie zielt also gerade nicht darauf ab, die Differenz zwischen säkularer Rationalität und Religion aufzulösen.
Die habermasHabermas, Jürgen’sche Diskurstheorie scheint überall dort im Recht zu sein, wo tatsächlich allgemeine Rationalitätsstandards des Diskurses vorausgesetzt werden können. Selbst dann, wenn der eigene epistemische Status der Religion anerkannt wird, muss dies aus rationaler Einsicht geschehen. Damit hängt die Diskurstheorie wie KantsKant, Immanuel Philosophie auch an der Voraussetzung der Einheit der Vernunft. Die aber muss sich dann auch konkret feststellen lassen, sie muss sich gleichsam empirisch bewahrheiten. Habermas geht genau in diese Richtung, indem er Vernunft intersubjektiv begründet. Freilich stellt sich dann nicht nur die Frage, weshalb sich die Menschen de facto so schlecht über Geltungsansprüche verständigen können, sondern auch das ganz grundsätzliche Problem, wie man jemandem begegnen soll, der entweder die Rationalitätsstandards des Diskurses nicht anerkennt oder aber gleich ganz verweigert, überhaupt am Diskurs teilzunehmen. Diskurstheoretisch lässt sich mit solchen Personen nichts anfangen, sie stellen sich gleichsam selbst ins Abseits. Das aber bedeutet nichts anderes, als dass der »zwanglose Zwang des besseren Arguments« seine Zwanglosigkeit einbüßt. Wer sich nicht auf vernünftige Weise am Diskurs beteiligt, der scheidet als gleichberechtigter Gesprächspartner aus. Das gilt auch für die Religionen. Den Religionen kann nur dann ein eigener epistemischer Status zuerkannt werden, wenn sie ihrerseits die Berechtigung eines säkularen Rationalismus aus rationalen Gründen anerkennen. Die Religionen müssen also selbst vernünftig sein, und das im Sinne des diskurstheoretischen Vernunftbegriffs.
Damit verkennt die Diskurstheorie aber die interkulturelle Situation, in der das gewachsene Vernunftdenken der europäisch-westlichen Tradition ja gerade herausgefordert wird. Natürlich wird keiner einzelnen Kultur Vernunft abgesprochen, das Spannende an der interkulturellen Situation aber ist gerade, dass die Vernunft nicht in ihrer kulturübergreifenden Einheit vorausgesetzt wird, sondern umgekehrt die verschiedenen Vernunfttraditionen angesichts der interkulturellen Situation auf ihre jeweilige Geschichtlichkeit aufmerksam werden. Ob es so etwas wie eine Einheit der Vernunft überhaupt gibt oder je geben kann, das steht in der interkulturellen Situation in Frage und darf nicht schon vorausgesetzt werden. Wir werden weiter unten sehen (vg. Kap. 2.2 und 2.3), dass die Einheit der Vernunft im 20. Jahrhundert schon in der europäischen Tradition in Frage gestellt wird. Vernunft kann nie einfach vorausgesetzt werden, sondern steht selber in jedem Moment mit auf dem Spiel.
Der Universalismus bleibt in bestimmten Dimensionen im Recht. So etwa, wie oben bereits angemerkt, wenn wir den Menschen als biologisches Wesen betrachten. Auch ist es unstrittig, dass logische Gesetze ihre Gültigkeit nicht dadurch verlieren, dass sie in kulturellen Kontexten ausgesprochen und angewandt werden, denen sie möglicherweise nicht selbst entstammen. Der Geltungsbereich von Logik ist so wenig wie der der Naturgesetze lokal oder historisch begrenzt; er ist aber wie die Naturgesetze auch auf eine bestimmte Dimension begrenzt. Die Naturgesetzte gelten in der natürlichen Dimension (für kulturelle Phänomene gelten sie immer nur insoweit, wie diese Phänomene ihrerseits auf die natürliche Dimension reduziert werden – so kann z.B. das kulturelle Phänomen des Essens und Speisens selbstverständlich auch in der natürlichen Dimension betrachtet werden), die logischen Gesetze in einer Dimension logischen Argumentierens und Handelns (die meisten Phänomene lassen sich unter logischen Gesichtspunkten betrachten, das bedeutet aber nicht, dass sie dadurch im Ganzen erfasst wären – so z.B. die Religionen).
Was universalistische Ansätze zumeist verkennen, ist freilich ihre eigene Herkunft. Gmainer-PranzlGmainer-Pranzl, Franz etwa schreibt, »Universalität stell[e] den entscheidenden Anspruch und zugleich die permanente Krise interkultureller Philosophie dar«.8 Das stimmt, aber es stimmt nur in einer ausgezeichneten Dimension, nämlich für das europäische Vernunft- und Philosophieverständnis, das sich durch die interkulturelle Situation herausgefordert sieht. Aus der Sicht anderer Traditionen stellen sich die Herausforderungen der interkulturellen Situation ganz anders dar. Das heißt nicht, dass an die Stelle des Universalitätsstrebens in anderen Traditionen die Befürwortung eines Relativismus tritt. Relativismus setzt Universalität immer schon voraus und erscheint deshalb nur vor dem Hintergrund universalistischen Denkens als eine (freilich abzulehnende) Alternative. Das universalistische Denken aber steht für die ursprünglich griechische Entdeckung der Vernunft (Logos) »als die Form, in der der Geist dem individuellen Menschen einwohnt«.9 Während der Geist als Einheit stiftendes Prinzip JaspersJaspers, Karl zufolge um die Achsenzeit (800–200 v. Chr.) an verschiedenen Orten weitgehend unabhängig voneinander entdeckt worden ist, zeichnet sich die griechische Entdeckung durch die Teilhabe des Einzelnen an dieser Einheit aus (»die Einheit der Vernunft in der Vielheit ihrer Stimmen«, s.o.). HeldHeld, Klaus hat beschrieben, wie sich auf der Grundlage der Entdeckung dieses Zusammenspiels von Einheit und Vielheit bei den Griechen die wesentlichen Grundpfeiler der europäischen Kultur ausgebildet haben, nämlich zum einen die Wissenschaft und zum anderen die Demokratie.10 Beide sind, das gehört zu dieser Entdeckung und zum europäisch-westlichen Denken dazu, nicht auf Europa beschränkt geblieben. Nun ist ein ähnlicher Gedanke beispielsweise in der ostasiatischen Tradition zwar keinesfalls unmöglich oder auch nur ungedacht, wohl aber nicht von derselben entscheidenden Wichtigkeit. Im ostasiatischen Denken kann die individuelle Teilhabe an der Einheit schon deswegen keine bestimmende Rolle spielen, weil das Individuum auf die Ebene des Selbst und noch weiter auf die Ebene des selbstlosen Selbst rückbezogen wird, von der aus gesehen die Unterscheidung bzw. das Zusammenspiel von Einheit und Vielheit als abgeleitete und nachrangige Feststellungen erscheinen. Universalität ist nur in europäischer Perspektive das Grundproblem interkultureller Philosophie.
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