Kitabı oku: «Meine Familie und ihr Henker», sayfa 5
NOCH EINMAL DIE SAU RAUSLASSEN
DER GENERALGOUVERNEUR
Krakau (durchgestrichen) Burg (ab hier handschriftlich:) 18. I. 1945
Liebe Brigitte!
Dieser Brief zeigt Dir, dass ich gut und lebend im letzten Augenblick aus Krakau herausgekommen bin. Alle unsere deutschen Menschen konnte ich retten: Es war ein furchtbar ernstes Arbeiten.
(Nach Ende des Briefs:)
Ich werde Euch viel Interessantes erzählen. Alle Sachen sind gerettet.
Vorgestern hatten wir noch unsere große Regierungssitzung auf der Burg zu Krakau!
Dieses erste Fluchtzeichen ihres vielfach hörnenden Gatten kennt Brigitte noch nicht, als sie ihm am 10. Januar 1945 nach Krakau schreibt:
Lieber Hans!
Die Freude, die die drei Kinder beim Empfang Deiner Briefe hatten, kannst Du Dir nicht vorstellen! Und dann die Fragerei: »Mutti, sag mal, ganz ehrlich, welcher Brief gefällt Dir am besten?« Niki stellte dann fest, dass sein Brief doch der schönste sei, denn der an Michel sei wie an einen Menschen geschrieben, der seine wie an ein Kind. Die beiden stritten dann miteinander, weil Michel behauptete, das verstünde Niki nicht, da sei er noch zu klein. Und Gitti sagte: »Mutti, glaubst Du, den Brief gäb ich nicht für 1000 Mark her.« Dann rannten sie mit den Briefen nicht nur im Haus, sondern auch in der weiteren Nachbarschaft mit herum.
Ich denk mir jetzt oft, wie verlassen ich schon wäre, wenn nicht noch die drei Kleinen nachgekommen wären! Ach, gestern war es wieder mal mit ihnen köstlich. Woher sie die Gräuelmärchen hatten, weiß ich nicht. Auf jeden Fall malten sie sich alle aus, was sie täten, wenn die Russen kämen. Michel hatte die abenteuerlichsten Ideen, und hat mit größter Rhetorik seine Pläne entworfen. Das war Wild-West. Gitti versteckt sich im unterirdischen Gang, der von Frau Schlegel zur Burgruine führen soll. Michel zerstörte ihr dies wieder durch große Schwarzmalerei. Die Feinde würden auch zu Frau Schlegel gehen, und durch den Gang kommen, nachdem sie natürlich erst mal Frau Schlegel erschossen haben. Niki dagegen war erst für das Uhrkästchen in der Bauernstube, das ja tief herunter ginge. Als ihm Michel aber auch da keinen langen Aufenthalt versprach, weil er verhungern würde, sagte er so treuherzig: »Dann rufe ich einfach den Vati in Krakau an und sage ihm, dass die Russen hier sind, und er soll doch gleich von seinen vielen Wachen welche herschicken. Michel meinte daraufhin, das Telefon ginge nicht mehr, weil die Feinde die Drähte zerschnitten hätten, und wenn die Russen hier wären, wärst Du ja auch hier und so viel Soldaten hättest Du auch nicht, dass Du uns noch welche schicken könntest. Darauf Niki: »Dann rufe ich eben, bevor die Russen kommen, den Führer an, und der lässt mich dann mit Soldaten abholen, und der hat ja viel Soldaten, und dann bleibe ich bei ihm, bis der Krieg wieder vorbei ist, denn dem Führer dürfen sie doch nichts tun, und er wird mich auch dortbehalten und mir was zu essen geben.« Dieses »Nicht dürfen« wollten Michel und Gitti auch nicht gelten lassen, aber Niki blieb bei seinem letzten gefassten Entschluss und wies alles weitere zurück. Am Sonntag fand hier die zweite Geburtstagsfeier statt u. a. mit Frau Meissner, Frau Oberlindober und 3 Dir unbekannten Damen.
Es muss dieser Tag gewesen sein, an den sich Gittis Freundin Annelies noch heute erinnert. Sie spielte mit Gitti vor deren Zimmer im 1. Stock des Schoberhofs auf dem Balkon, und sie hörte von unten, wie sich die Damen bei herrlichem Sonnenschein kaffeetrinkend angstvoll ausmalten, was aus ihnen wohl werde, da ja der Krieg verloren sei.
Es war sehr schön, und von Deinem guten Hasenbraten waren sie alle sehr angetan, als dann der fürchterliche Angriff auf München begann. Blutrot war der Himmel bis zum Morgengrauen. Nun ist wohl auch der Rest unseres schönen geliebten Münchens dahin. Man kann nun nach München überhaupt nicht mehr telefonieren. Drei Stunden währte der Angriff. Erst warfen sie fast ausschließlich Brandbomben und beim zweiten Anflug auf das brennende München die neuesten Sprengbomben, die gleich ganze Straßenzüge umlegten. Man geht an solchen Tagen wirklich beschämt schlafen, während man an die armen Städter denkt, die auf der Straße sitzen. Ach, es ist eine so grauenhafte Welt, und es wird wohl nicht besser werden, bis es die Menschen werden. Denn das ist ein Gottesgericht.
Am 17. Januar verließ Hans Frank seine hinreißende Adresse in Krakau und flüchtete mit seinen letzten ihm Verpflichteten zunächst in Freiherr von Richthofens Schloss zu Seichau. Was die Herren und die als Dame anwesende Helene Kraffczyk dort anstellten, lässt mich schaudern. Mein Vater hatte mindestens einen Lastwagen mit Kunst aus Polen dabei, darunter zwei Rembrandts, einen Raphael und Leonardo da Vincis Gemälde »Die Dame mit dem Hermelin«, die übrigens für mich, als es noch beim Vater in dessen Büro auf der Krakauer Burg hing, immer eine Ratte war, ich meine den Hermelin. Ich mochte das Bild nicht. Vater schon. Seichau war schon zuvor mit Kunst aus dem Generalgouvernement gestopft worden, wie das Protokoll Schloss Seichau 12. 10. 44 ausweist, dazu ein Hinweis, wie sorgfältig doch die deutsche Herrenrasse, die sich immer so viel auf ihr Kunstverständnis einbildete, mit Kunst umzugehen pflegte: Heute am 12. Oktober 1944 um 10 Uhr Vormittag wurde die Kiste Nr. BA 102 als zweite der die graphischen Sammlungen enthaltenden Kisten geöffnet. Bei der Sichtung ergab sich, dass die meisten Blätter aneinanderklebten, das Paket faulig und schimmlig roch. Die vorgefundenen Qualitäten der Handzeichnungen lassen darauf schließen, dass die etwa 100000 Blatt enthaltende Sammlung einen Wert von vielen Millionen besitzt, was die Restaurierung und Katalogisierung der Sammlung als notwendig erscheinen lässt.
In Seichau lässt mein Vater noch ein letztes Mal die Sau raus. Selbst die 4. Panzerarmee kommt wohl ins Stocken (auf ihrem Rückzug nehme ich an!), als deren Oberkommando an einen Major Hess am 6. Februar 1945 schreibt: Mehrfach wurde mir von Seiten der Partei und der Zivilbevölkerung über das unglaubliche Benehmen der Regierung Frank des G.G. in ihrem Ausgleichquartier, Schloss Seichau, sowie über ihre feige Flucht Beschwerden vorgetragen. Aus den Vernehmungen ergab sich, dass die umlaufenden Gerüchte über die verschwenderischen Exzesse und überhastete Flucht tatsächlich zum größten Teil auf Wahrheit beruhen. Neben vielen Kunstschätzen, großen Mengen an Trink- und Esswaren blieb ein Achtzylinder (Spez. Mercedes-Kompressor in Luxus-ausführung) und sogar geheime Akten und Presseinformationen wahllos liegen.
Das war sicher mein Lieblings-Mercedes! Darin gefahren zu werden, war mir das Höchste! Und Vater lässt ihn dort einfach stehen, ohne an mich zu denken. Heute wäre er sicher eine Million Euro wert. Der jetzige Besitzer möge sich bitte bei mir melden, damit ich noch einmal darin fahren kann.
Zu Recht empörte sich unter Geheim Elisabeth Matschewsky, die Wirtschafterin der Richthofens, am 2. Februar 1945: Mitte Januar kam der Generalgouverneur Dr. Frank und nahm mit seinem Gefolge Quartier im Schloss.
Die Dienststelle bezog den Nordflügel und die untere Etage des Schlosses. Es wurde hier auch eine eigene Küche zur Verfügung gestellt. Mir fiel besonders auf, dass die überreichlichen Vorräte an Lebensmitteln und Spirituosen vergeudet wurden. Überall lagen Lebensmittel herum, der Koch machte das Frühstück erst um 11 Uhr. Um 9 Uhr schlief der Diener noch. Besonders reichlich muss der Alkoholverbrauch gewesen sein, da überall leere und halbleere Schnapsflaschen in allen Zimmern und Ecken herumlagen.
Selbst die täglichen Gebrauchsgegenstände wie Waschzeug usw. blieben zurück.
Große Mengen Porzellan, viel Silbersachen und Wäsche, die auch liegen gelassen wurden, haben die anschließend hier untergebrachten Flüchtlinge mitgenommen.
Was Mutter und wir Kinder später in diesem Jahr, nachdem wir aus dem Schoberhof rausgeworfen worden waren, dringend als Tauschobjekte für Lebensmittel gebraucht hätten, hat unser Popanz (wie er in Berlin auch genannt wurde) einfach neben meinem Mercedes obendrein zurückgelassen, wie diese Abschrift zeigt: 3 Kisten Bestecke, 14 Schreibmaschinen, 3 Pakete Kunstmappen, 1 Zimmer mit Kunstgegenständen, 1 Liegestuhl.
Der Herr Generalgouverneur hat seine Verzweiflung in Alkohol ertränkt: kein eigenes Reich mehr! Nur noch Reichsminister ohne Portefeuille! Nur noch den Schoberhof als Rückzugsquartier. Sicher hat er im Suff auch mit seiner vergoldeten Pistole herum geschossen, lallend immer wieder seinen Führer ebenso hochleben lassen wie dessen Wunderwaffen, von denen alle schwärmten. Andererseits muss es in ihm gepocht haben: Jetzt, wo ich kein Generalgouverneur mehr bin, kann ich doch endlich Lilly heiraten!
»Alle heben jetzt ihr Glas, und wir trinken gemeinsam auf die große Liebe meines Lebens, auf meine Lilly!« Alle soffen aufs Wohl und vergaßen mit immer höheren Promillewerten im Blut ihre desolate Lage. Mich erinnert das immer an die letzte Abend-Tafel der Nibelungen auf Krimhilds und Etzels Burg, bevor die allgemeine Metzelei begann.
Doch die Nibelungen waren Ehrenmänner.
Bei aller Völlerei vergaß mein Vater nicht die Kultur. Zum einen besuchte er zwischendurch, halbwegs nüchtern, seinen verehrten Freund Gerhart Hauptmann in dessen Agnetendorf, zum anderen, wie mir Jahrzehnte später sein Chauffeur Schamper berichtete, ließ er des Nachts die kostbarsten Kunstwerke in einem speziellen Lastwagen verstauen, sodass er später in seinem Dienstsitz im Neuhauser Josefstal seinen von ihm so benannten »Andachtsraum« einrichten konnte: Dort hingen dann die zwei Rembrandts, der Raphael und Leonardo da Vincis Dame mit der Ratte.
»RACHE FÜR UNSERE GRAUSAMKEITEN«
Während sich ihr Vater die Zukunft genehm soff, machte seine älteste Tochter eine damals typische Reise durch ein zusammenbrechendes Reich. Am 3. Februar verfasst sie den für mich eindrucksvollsten Brief ihres Lebens, weil er nicht nur einen Blick in ihre – durch den Verlust ihrer großen Liebe, den Doktor, wie sie ihn im Brief nennt – verwundete Seele gibt, sondern auch die damaligen Zustände und Menschen glänzend beschreibt:
Meine liebe Mutti!
18 Tage habe ich nun auf der Eisenbahn zugebracht. Für Strecken von 100 km waren wir 3 Nächte und 2 Tage unterwegs. Wir hatten ein Öfchen im Abteil, und die nötigen Kohlen klauten wir uns dazu. Alle Fenster waren kaputt, und wir verbauten die Fensterhöhlen notdürftig mit Matratzen. Während der ganzen Fahrt kamen wir nicht aus den Mänteln, und Waschgelegenheiten konnten nur selten aufgetrieben werden. So wurden wir mit der Zeit die reinsten Mohren. Als wir endlich an unserem Bestimmungsort anlangten und eine ganze Nacht auf den zugigen Bahnsteigen als Gepäckwachen zugebracht hatten, stürzten wir dann sofort in die nächste Fabrik, um uns dort im Waschraum wieder halbwegs zu reinigen. Noch nie bereiteten mir heißes Wasser und Seife und anschließend frische Wäsche solche Freude und riefen in mir ein so wohliges leichtes Gefühl hervor, wie damals. Nach nochmaligen langen Warten konnten wir endlich todmüde unser Quartier beziehen, und nachdem wir unsere Strohsäcke gestopft hatten, schliefen wir – viel, mehr wollten wir schlafen, denn in dieser Nacht kamen unangemeldet Verwundete in unsere Schule, und wieder hieß es packen und zum Bahnhof marschieren. So geht es immer hin und her, und langsam rücken wir immer näher der Heimat. Von Vati erhielt ich einen Brief. Er ist glücklich in Seichau gelandet, und ich war so froh, dass es ihm gut geht. – Ach Mutti, ich bin so unglücklich! Vom Doktor habe ich noch keine Nachricht. Ich weiß gar nichts von ihm. Posen ist eingeschlossen. Die Stimme des Radiomannes ist mir furchtbar: »Die Besatzung Posens verteidigt heldenmütig!« Ach, liebe Mutti, ich bin so traurig, an nichts anderes kann ich mehr denken. Ich hab ihn ja so lieb! Überall hier ist Elend und Flucht – wie überhaupt nirgends etwas Tröstliches zu finden ist. Keine Arbeit haben wir. Immer nur rumsitzen und denken müssen. Ach ich möchte nur noch einmal seine liebe Stimme hören, aber ich weiß ja recht gut, dass auch, wenn ihm nichts passiert, zwischen uns alles aus ist. – Ich kann meine Kameradinnen nicht verstehen, während ich heulen könnte und verzweifle, nicht nur wegen meines persönlichen Kummers, so sitzen jene und lachen, rennen ins Kino und flirten mit Soldaten. Vielleicht wäre es besser, auch so zu sein wie sie, über einem letzten Rausch noch einmal das Leben in vollen Zügen zu genießen und die Gegenwart zu vergessen. Aber ich kann es nicht. Ich kann auch nicht mehr beten, was kann und darf Gott uns helfen. Eine sehr einstimmige Meinung herrscht hier über die Folgen und Ausmaße des jetzigen Krieges, besonders sehen alle darin die Rache für unsere Grausamkeiten den Juden gegenüber. Man wundert sich sehr. Sie rufen Heil Hitler!, hören gespannt die Hitlerreden, und die meisten von ihnen haben doch einen sehr klaren Blick. Vor einigen Tagen ging das Gerücht, wir würden alle auf Nimmerwiedersehen entlassen werden. Aber es stellte sich dann heraus, dass wir zum größten Teil gar nicht nach Hause fahren können, da die Russen zwischen uns und der Heimat stehen. Ich bin gar nicht weit von Seichau entfernt, aber ich darf nicht zu Vati fahren und möchte es auch nicht sehr gern. Ich könnte nicht mit Vati jetzt über Dinge sprechen, die mich nicht im Geringsten mehr interessieren. Mein einziges Ziel, auf das all meine Gedanken gerichtet sind, ist nur noch, den Doktor und Euch alle noch einmal gesund beisammen zu sehen und eine glückliche Zukunft vor Augen bei Euch sein zu können. Ich bin völlig verlaust und sehr erkältet. Aber das alles ist ja so nebensächlich.
Ich umarme und grüße Dich herzlich
Deine Sigrid
Der für mich erschreckendste Satz ist dieser: Eine sehr einstimmige Meinung herrscht hier über die Folgen und Ausmaße des jetzigen Krieges, besonders sehen alle darin die Rache für unsere Grausamkeiten den Juden gegenüber.
Da ist kein: Und stell Dir vor, Mutti, die sagen hier, wir hätten den Juden was angetan! Weißt Du davon was?
Nein, die Kenntnis wird vorausgesetzt – weil sie es alle wussten hierzulande! Erst nach der totalen Kapitulation am 8. Mai 1945 setzte die große Verdrängung ein, die bis heute unsere Psyche schlaucht und mich meinen Volksgenossen gegenüber sehr misstrauisch gemacht hat.
Schon einen Tag vor Sigrids Brief ist Hans Frank, aus Bad Aibling von seiner Lilly kommend, in Neuhaus am Schliersee eingetroffen und hat im Josefstal seine neue Dienststelle bezogen. Wo er auch wohnt. Brigitte erfährt es, auch wir Kinder wissen es. Ich kann mich allerdings nicht mehr daran erinnern. Gitti und Michel, 8 und 10 Jahre alt, leiden: Der Vater lebt in zwei Kilometer Entfernung und will uns nicht mal sehen!
Zunächst muss er dort für seine wohnliche Ausstattung sorgen. So schreibt sein Kunstbeauftragter Palézieux an einen Herrn Sylvester Hupfloher in München am 21. Februar 1945: Ich fordere Sie hiermit auf, folgende in Ihrer Verwaltung befindlichen Gegenstände aus dem Besitz des Herrn Generalgouverneurs jederzeit zur Abholung durch einen von ihm Ermächtigten bereitzuhalten.
Ein Radioapparat, italienisches Fabrikat
Eine Auto-Pelzdecke, gezeichnet H.F.
Ein Herrenfahrrad mit elektronischer Beleuchtung
Ein Damenfahrrad
Eine holzgeschnitzte Figur (Johannes)
Ein Kruzifix aus Metall
Ein Kraftfahrzeugbrief
Eine Kraftfahrzeugzulassung
Ein Kraftfahrzeugschein und
zwei Schlüssel von dem PKW I Ost 10. Außerdem den Schlüssel zur Reichsautobahn München-Sauerlach, den Sie seinerzeit gegen Quittung erhalten haben.
Das gibt’s doch nicht! Einen Schlüssel zur heutigen A 8! Was gäb’s heutzutage für endlose Warteschlangen! Vor allem, wenn der vor einem sagt: »Ich hab’ meinen Autobahnschlüssel vergessen – kann ich ganz dicht hinter Ihnen mit durchwitschen?«
Am gleichen Tag setzt sich Vater selbst hin und lässt wieder etwas aus einer inneren Kälte raus, das mich noch heute verletzt:
Liebe Mama!
Ich bin nunmehr nach Überwindung kolossaler Schwierigkeiten in Neuhaus bei Schliersee, Josefstalerstraße 12, Haus Bergfrieden, untergekommen und habe mir hier eine kleine Dienststelle errichtet. So ist also nun zurzeit das schöne Generalgouvernement mit allem dahin.
Ich bin fest überzeugt, dass wir den Ansturm der Russen überwinden werden und dass dann bald eine glücklichere Zeit kommt. Drum Kopf hoch und mit Vertrauen weitermarschiert.
Norman wird voraussichtlich in den nächsten Tagen einrücken. Er befindet sich zurzeit mit den anderen Kindern am Schoberhof. Dort herrscht dicke preußische Luft. Ich fahre heute Abend wieder einmal auf einige Tage nach Aibling zur alten Lilly, mit deren Mann ich zurzeit fast besser stehe wie mit ihr selbst. So komisch ist das Leben. Lilly ist ein lieber herziger Mensch und hat mich mit aller Güte und Fürsorge aufgenommen. Sie ist mir im Innersten aufs herzlichste verbunden. Aber Du weißt ja, sie hat es auch mit mir sehr schwer. Aber Rache muss sein, hätte sie mich vor 25 Jahren geheiratet, wäre alles gut, auch für sie.
Mutter bettelt für die gemeinsamen Kinder um einen Besuch, er will die dicke preußische Luft partout nicht inhalieren, lebt wieder Mal, wie Mutter ihm schon mehrmals vorgeworfen hatte, nur seinen Trieben. Wobei die sich jetzt mehr auf Lillys Ehemann zu richten scheinen. Der Arme hat sich von ihrem Nazi-Bonzen-Geliebten schon seit zwei Jahren mit seltenen Briefmarken bestechen lassen.
Bis zum 1. März wird er sich dort verlustieren. Bevor er sich nach Bad Aibling begibt, schreibt er am Abreisetag noch seinem Freund Othmar Schrott-Vorst, dem Bildhauer mit besten Kontakten zu den Nazi-Machthabern:
Lieber Othmar!
Ich selbst habe nunmehr nach dem schrecklichen Angriff der Russen gleichsam über Nacht Krakau und Kressendorf verloren. Ich habe nunmehr in Neuhaus bei Schliersee, Josefstalerstraße 12, Haus Bergfrieden, eine Ausweichstelle bezogen, wo ich meine Abschlussarbeiten vollführe. Du würdest, wenn Du einmal hierherkommen solltest, viele alte Bekannte von Krakau und Warschau wiedersehen. Meine Tochter Sigrid ist als Schwester des Roten Kreuzes in einem Kriegslazarett tätig. Norman, der mit 16 Jahren das wehrfähige Alter erreicht hat, wird in den nächsten Tagen einrücken. Den drei kleinen Kindern geht es gut, sie leben am Schoberhof, den Du ja kennst.
Mit freundlichsten Grüßen, in der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen, zumindest aber auf einen Brief von Dir, bin ich in alter Verbundenheit
stets Dein
Hans

Der Wawel – die Burg in Krakau, Hans Franks Dienstsitz.

Hans Franks Wochenend Schloss Kressendorf mit Hakenkreuzfahne.
Kein »leider« für Sigrid, keines für Norman, dafür hohe Worte für sich selbst. Er beendet nicht seine Abschlussarbeiten, nein, er vollführt sie.
Mit poetisch gespitzten Lippen reimt er an seinem »Bergfrieden« Schreibtisch zu Sigrids 18. Geburtstag am 17. März 1945:
Frühling 1945
von
Hans Frank
Die Blüten leuchten auch durch diese Zeit
Die Farben strahlen aus der Sonnenewigkeit –
Die Düfte linder Frühlingspracht erquicken Dich und mich
Im Glanze jungen Werdens schmückt unsere Erde sich.
Die Vögel kehren mit neuen Liedern zum frischen Grün
Und singen, was sie lernten an frohen Melodien
Sie zwitschern täglich süßer und bauen sich das Nest
Unmusikalisch knurrt Herr Winter. Hinschmilzt des Eises Rest.
Was soll doch all’ das Sprühen und Glühen der Natur?
Erscheint uns Armen aus dieser Not der Rettung Spur?
Ich will es nicht entscheiden. Gott weiß da besser Rat!
Er ist der Herr des Lebens, des Sterbens und aller Tat.
Er mag es füglich wenden, das Grauen seiner Welt
Die mitten in den jungen Tag das schwerste Elend gellt
Und doch. Und ja. Frag doch Dein Herz, oh frag!
Er kommt, er naht, der Gnaden großer Tag!
Ein Frühling soll dann werden, so frisch und neu,
Dass jeder hier auf Erden wie eine Blume sei –
Die tief verwurzelt in dem düstern Erdenschoss
Erlöst und glaubensfroh empor sich richtet schmerzenlos
Oh Mensch! Oh Kind! Die Schreckensnacht: Sie weicht!
Oh Mann! Oh Weib! Des Unheils Grauen: Es bleicht!
Erhebe Dich aus diesem Joch der tiefsten Qual
Wie eine Blüte Gottes demutsfroh zu seinem ewgen Lebensstrahl
Warum hatte er in den ersten beiden Strophen nicht so losgelegt:
Die Toten keuchen auch durch diese Zeit
Geschundne strahlen aus der Sonnenewigkeit –
Die Düfte vieler Öfen erquicken Dich und mich
Im Glanze unsres Mordens drückt unsere Erde sich.
Die Deutschen kehren mit neuen Lügen zum frischen Grün
Und singen, was sie lernten an falschen Melodien
Sie zwitschern täglich übler und bauen sich das Nest
Unmusikalisch knurrt die Wahrheit, Hinschmilzt der Juden Rest.
Und so weiter. Dass ich acht Tage zuvor sechs Jahre alt geworden war, hat ihn nicht mal zu so einem Gedichterl gereizt:
Mein gülden haariges Nikilein,
Das böse Brillentöterschwein,
Es wird nun sechse ganze Jahr,
Was sollte mich das kümmern gar?
Bin ich sein Vater – ich hoff’s nicht,
Dafür ist mir sein Hirn zu schlicht,
Nur seine Augen fürchte ich,
Am Ende gar durchschau’n sie mich!
Als Reichsminister bekam er noch immer täglich, wenn auch manchmal verspätet, eine ausländische Zeitung, in der er die Fortschritte der alliierten Armeen auf deutschem Boden verfolgen konnte. Vielleicht stand gerade an diesem Tag Neues über sein verlorenes »Reichsnebenland« drin, vielleicht gar etwas über die Vernichtungslager, für die er politisch verantwortlich gewesen war. Vielleicht war genau das der Anlass für seinen Ausbruch an kurzfristiger Ehrlichkeit gegenüber Lilly in einem Brief vom 28. März 1945: Dabei denke ich nur an das äußerliche der allgemeinen Situation, an der ich mein nicht wegdeutbares Teil grässlicher Schuld in mich täglich mehr quälender Weise aufsteigen spüre.
Einmal echt! Einmal sich geöffnet haben!
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