Kitabı oku: «Das beste von Nikolai Gogol», sayfa 10

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Die Straßen schliefen. Noch trug kein Handelsmann seinen Korb durch die Stadt. Bulba und Jankel gingen auf ein Gebäude zu, das im Umriß etwas von einem brütenden Reiher hatte. Es war sehr groß, niedrig, breit gelagert und düster, an seinem Ende erhob sich, gleich einem Vogelhals, ein langer, schlanker Turm, der oben ein überhängendes Satteldach trug. Dies Gebäude diente mannigfachen Zwecken: es vereinte in seinen Mauern die Kaserne, das Gefängnis und das Halsgericht. Unsere Wandrer traten durch das Tor in einen riesigen Saal, oder vielmehr einen überdeckten Hof. An die tausend Mann schliefen in dem einen Raum. In der Rückwand war eine niedrige Tür, vor der zwei Wachtposten saßen und ein sonderbares Spiel spielten, bei dem der eine dem andern abwechselnd mit zwei Fingern in den Handteller schlagen mußte. Sie schenkten den beiden Fremden keine Beachtung und hoben die Köpfe erst, als Jankel sagte:

»Wir sinds! Pst, pst, die Herren: Wir sind es!«

»Passiert!« brummte der eine Posten und öffnete mit der Linken die Tür, während er die Rechte dem Kameraden zum Schlage hinhielt.

Sie durchschritten einen schmalen, finstern Gang und kamen in einen zweiten Saal, der so groß wie der erste war und hoch oben in den Mauern kleine Fenster hatte.

»Wer da?« riefen mehrere Stimmen. »Hier darf keiner durch!« Eine ganze Schar von bis an die Zähne bewaffneten Kriegern verstellte den beiden den Weg.

»Wir sinds doch!« rief Jankel. »Gott der Gerechte, wir sind es, erlauchteste Herren!«

Aber das machte nicht den geringsten Eindruck. Da trat zum Glück ein dicker Kerl heran, der eine Art Vorgesetzter zu sein schien. Jedenfalls schimpfte er noch unflätiger als die andern.

»Wir sind es, bester Herr«, wendete Jankel sich an diesen Mann. »Ihr kennt uns doch schon: und der Herr wird Euch seine Dankbarkeit beweisen noch extra!«

»Laßt sie in drei Teufels Namen passieren, Kreuzsakrament!« brüllte der Dicke. »Sonst aber kommt mir keiner hier durch! Und wer seinen Säbel ablegt oder sich auf den Boden fläzt …!«

Den Schluß dieses gemessenen Befehls vernahmen Taraß und der Jude nicht mehr. Wieder hatte sie ein langer, finstrer Gang aufgenommen.

»Wir sind es … Ich bin es … Gut Freund!« sagte Jankel zu allen Leuten, die ihnen begegneten. Und den Posten am Ende des Ganges fragte er: »Nu–u, können wir rein?«

»Das schon; ich weiß nur nicht, ob ihr in das Gefängnis selbst hineinkommt. Der Jan ist abgelöst – für ihn steht jetzt ein andrer da«, erwiderte der Posten.

»Waih geschrien!« flüsterte der Jude. »Das is ä windige Geschicht, lieber Herr!«

»Vorwärts!« befahl Taraß verbissen.

Jankel gehorchte.

An der schmalen Treppe, die zur Tür des unterirdischen Verlieses hinabführte, stand ein Heiduck mit einem dreistöckigen Schnauzbart. Das oberste Stockwerk war nach hinten gebürstet, das zweite nach vorn, das unterste abwärts. Das gab dem Burschen große Ähnlichkeit mit einem Kater.

Der Jude machte sich ganz klein und pürschte sich von der Seite an den furchterregenden Kerl heran. »Eure hohe Erlaucht! Allerdurchlauchtigster Herr!«

»Du, Jude, meinst du eigentlich mich?«

»Wen soll ich denn meinen, wenn nix den allerdurchlauchtigsten Herrn?«

»Hm … aber ich bin doch bloß ein gemeiner Heiduck!« sagte der dreistöckige Schnauzbart und grinste geschmeichelt.

»Straf mich Gott, und ich hab geglaubt, es muß sein der Herr Marschall selbst in Person. O waih geschrien!« Der Jude drehte den Kopf hin und her und spreizte alle zehn Finger in die Luft. »Waih mer, bei der graußartigen Figur! Gott der Gerechte, genau wie ein Oberst, ausgespuckt wie ein Oberst! Da fehlt nich mehr so viel, denn is es ein Oberst! Man braucht den Herrn bloß ßu setzen auf einen seinen Gaul, welcher dahinsprengt ßu galoppieren so schnell wie ne Fliege, dann kann er gleich reiten entlang die Front und mustern de Regimenter!«

Der Heiduck strich sich das unterste Stockwerk seines Schnauzbartes und zog vor Vergnügen das Maul bis an die Ohren.

»Nu–u, ich sags ja! De Herren Soldaten!« fuhr der Jude fort. »Waih geschrien, was sind das fer prächtige Leut! Tressen und Litzen – das blänkert als wie de Sonn! Und de schönen Fräuleins – wenn se bloß ganz von weitem sehn, es kommt ä Soldat … hehehe …!« Der Jude legte schelmisch den Kopf auf die eine Schulter.

Der Heiduck zwirbelte das oberste Stockwerk seines Schnauzbartes und ließ vor Befriedigung eine Art Wiehern hören.

»Der Herr könnte mir tun eppes a kleinen Gefallen!« sagte Jankel. »Hier der Herr Fürst is gekommen ßu reisen aus fremde Länder und möcht sich ämal ä bissel anschaun de gefangnen Kosaken. Er hat noch niemals in seinem Leben gesehn, was das fer ä Volk is.«

Besuche von fremdländischen Grafen und Baronen waren in Polen durchaus keine Seltenheit. So manchen Gast dieser Art lockte die Neugier herbei, einmal diesen halbasiatischen Zipfel Europas kennen zu lernen. Moskowien und das Grenzland gehörten für die Begriffe dieser Leute zu Asien.

Der Heiduck verneigte sich also sehr tief und fand es am Platze, sich mit ein paar Worten als Europäer zu zeigen.

»Ich versteh nicht«, sagte er, »was Euer Durchlaucht an den Kerlen sehn will. Das sind ja Hunde und keine Menschen. Und ihren Ketzerglauben verachtet jeder.«

»Das lügst du in deinen Hals, elender Schurke!« wetterte Bulba. »Selber ein Hund, daß du’s weißt! Nur noch einmal wag zu sagen, daß einer unsern Glauben verachtet! Euern Ketzerglauben verachtet allerdings jeder!«

»Hehe, mein Lieber«, sagte der Heiduck, »nun hab ich dich schon durchschaut. Du bist selbst einer von diesem Pack, grade so einer wie die da drinnen. Das werden wir gleich haben: ich ruf die Wache heraus!«

Taraß bereute seine Unbesonnenheit. Aber in seinem Zorn fiel ihm kein Weg ein, den Schaden wieder gutzumachen.

Zum Glück war Jankel geistesgegenwärtiger und nahm schleunigst das Wort: »Allerdurchlauchtigster Herr! Wenn ich Euch sag, der Herr is ä Graf – wie kann er da sein ä Kosak! Und setzen mer, nur ßum Beispiel, den Fall, er sollt sein ä Kosak – woher sollt er da haben genommen das feine Gewand und de gräfliche Positur?«

»Das erzähl einem Dummen!« sagte der Heiduck und riß schon sein großes Maul auf und wollte Lärm schlagen.

»Königliche Majestät!« jammerte Jankel. »Nix rufen! Um Gottes willen nix rufen! Wenn Ihr wollt halten reinen Mund, denn sollt Ihr kriegen von uns so schrecklich viel Geld, als wie Ihr noch niemals gesehn habt auf einem Haufen. Ihr sollt kriegen – ßwai goldne Dukaten.«

»P–hü! Zwei Dukaten. Zwei Dukaten sind für unsereins ein Dreck! Zwei Dukaten zahl ich dem Bader, wenn er mir bloß den halben Bart kratzt! Hundert Dukaten, Jude, und bar auf die Hand!« Grimmig zwirbelte der Heiduck seinen obersten Schnauzbart. »Her mit den hundert Dukaten, sonst ruf ich die Wache!«

»Waih geschrien! Ä so ä sündhaftes Geld!« klagte der Jude weinerlich und band zögernd den ledernen Beutel auf. Im Grund seiner Seele war er aber froh, daß er überhaupt nicht mehr im Sack hatte, und daß der Heiduck nur bis hundert zu zählen verstand. Und als er dann sah, wie der Kerl das Geld in seinem Handteller zweifelnd musterte, als bereue er schon, nicht mehr gefordert zu haben, da flüsterte Jankel Bulba erschrocken ins Ohr: »Gnädiger Herr! Wir müssen schnell schaun, daß mer uns dünnmachen! Ihr seht ja selber: das is ä so ä gemeines Volk …!«

»Was fällt denn dir ein, du Satansheiduck!« schrie Bulba. »Das Geld nimmt er, und die Gefangnen zeigt er uns nicht? Sofort zeigst du uns die Gefangnen! Wenn du das Geld nimmst, hast du kein Recht mehr …«

»Schert euch zum Teufel! Verstanden? Sonst schlag ich Alarm, und dann könnt ihr etwas erleben … Nehmt die Beine unter die Arme – ich rats euch im Guten …!«

»Gnädiger Herr!« rief Jankel ängstlich. »Schaun mer, daß mer verschwinden! Gott der Gerechte, es gibt sonst ä Unglück! Kriegen soll er de Kränk! Träumen soll er so schlecht, daß sichs ihm hebt zum Kotzen in seinem Hals!«

Bulba ließ den Kopf hangen, drehte sich auf dem Absatz um und ging langsam den Weg zurück, den er gekommen war.

Jankel, an dem die Trauer um die nutzlos geopferten Dukaten nagte, überhäufte ihn mit Vorwürfen. »Woßu habt Ihr ihm müssen machen den Krach? Laß er doch ruhig schimpfen, der Hundsfott, der ganz gewöhnliche! Das is doch ä Volk, was überhaupt nix gelernt hat wie Schimpfen. Waih geschrien, und das unverschämte Glück, was muß haben ä solchener Kerl! Hundert Dukaten fer nix, als daß er üns rausschmeißt! Und ünsere Leut – mer kriegen vom Kopfe gerissen de Peißes und kriegen so ßugerichtet de Nos, daß es is schmerzhaft ßum Anschaun; aber üns gibt keiner nich hundert Dukaten! Gott der Gerechte, was soll mer da sagen!«

Dem alten Bulba ging der Schmerz um den Fehlschlag viel tiefer – man sah es an dem schwelenden Feuer in seinen Augen.

»Vorwärts!« sagte er plötzlich und straffte die Schultern. »Ich will es sehen, wie sie ihn martern!«

»Waih geschrien, gnädiger Herr! Was is denn dabei ßu sehen? Helfen könnt Ihr ihm doch nix!«

»Vorwärts!« sprach Bulba.

Der Jude seufzte schwer und schlich ihm nach wie eine Wärterin ihrem Pflegebefohlnen.

Es hielt nicht schwer, den Marktplatz zu finden – von allen Seiten strömte das Volk ihm zu. In jenen rohen Zeiten galt eine Hinrichtung nicht nur dem Pöbel, sondern auch der vornehmen Welt als das beliebteste Schauspiel. Die frömmsten alten Betschwestern, die zartesten Mädchen und Frauen drängten sich in den Ring der Zuschauer – mochten ihnen auch nachher die ganze Nacht im Traum blutüberströmte Leichen erscheinen und sie aus dem Schlaf auffahren lassen mit einem wilden Gebrüll, wie man es sonst nur von betrunknen Kriegsknechten vernimmt. »Scheußlich, entsetzlich!« stöhnten diese gebrechlichen Wesen in wollüstigem Fieber und wendeten sich fröstelnd ab und drückten sich die Hände vor die Augen, rührten sich aber nicht vom Fleck, bis der Kopf des letzten Delinquenten gefallen war. Manch einer unter den Gaffern stand mit offnem Mund und gierig vorgereckten Händen und wäre am liebsten seinen Vordermännern auf die Köpfe gesprungen, die Exekution nur ja recht genau zu erblicken. Über die Schar der verschrumpften, kleinen, elenden Gesichter hob sich der rote, pausbackige Kopf eines Schlächters, der die Arbeit der Henker mit Kennerblicken verfolgte und sachkundige Bemerkungen darüber mit einem Schwertfeger tauschte, den er seinen Gevatter nannte, weil sie sich an einem schönen Feiertag einmal in der gleichen Kneipe besoffen hatten. Es gab Leute unter den Zuschauern, die sich lebhaft über die Einzelheiten der Hinrichtung stritten, und andre, die sogar Wetten abschlossen; die Mehrzahl aber gehörte zu der Menschensorte, die die ganze Welt und alles, was auf Erden geschehen kann, mit dem gleichen Stumpfsinn betrachtet und sich dadurch nicht einmal im Nasenbohren stören läßt.

In der vordersten Reihe, dicht hinter den schnauzbärtigen Stadtgardisten, stand ein adliger Junker – und war er keiner, so wollte er doch dafür gelten –, ein Bursch im Kriegerwams, der sich gewiß alles, was er besaß, auf den Leib gehängt hatte. Daheim in seiner Wohnung konnte schwerlich mehr zurückgeblieben sein als ein zerrissenes Hemd und etwa ein Paar alte Stiefel. Er trug gleich zwei Ketten mit Schaumünzen um den Hals, eine über der andern. Neben ihm stand seine Dulcinea, die Jungfer Wanda, und er drehte in einem fort den Kopf und gab acht, daß ja keiner ihr seidnes Gewand beschmutze. Dabei erklärte er ihr alles so erschöpfend genau, daß wirklich niemand in der Lage gewesen wäre, seine Mitteilungen nach irgendeiner Richtung hin zu ergänzen. »Holdseligste Wanda«, sagte er, »das ganze Volk, das Ihr hier versammelt seht, ist gekommen, weil es zusehn will, wie die Kosaken hingerichtet werden. Und der Mann, Holdseligste, den Ihr da oben seht: der das Beil und das andre Werkzeug in Händen hält – das ist nämlich der Henker. Der richtet nachher die Delinquenten hin. Und wenn er den Verbrecher rädert und die andern Martern anwendet, dann ist der Verbrecher noch am Leben; aber wenn er ihm den Kopf abhaut, dann, Holdseligste, ist er sofort tot. Zuerst wird er schreien und zappeln, aber wenn sein Kopf mal herunter ist, dann kann er nicht mehr schreien und nicht mehr essen und nicht mehr trinken, weil er dann nämlich keinen Kopf mehr hat, holdseligste Wanda.« So sprach der Junker, und sein Schatz horchte mit schaudernder Spannung auf seine Worte.

Die Dächer wimmelten von Menschen. Aus den Mansardenfenstern sahen die buntbemützten, schnauzbärtigen Köpfe des Gesindes. Auf den Balkonen saß unter Baldachinen der Adel. Um die Gitterstäbe der Brüstungen schlossen sich die hübschen Händchen lachender Damen, deren Zähne in zuckriger Weiße leuchteten. Erlauchte Herren mit kühnen Wänsten blickten gewichtig drein. Diener in prunkvollen Wämsern mit geschlitzten Hängeärmeln reichten Erfrischungen und Süßigkeiten herum. Hie und da warf eine übermütige schwarzäugige Schöne Kuchen und Früchte unter das Volk. Dann hielt die Menge der Hungerleider von Rittern die Kappen auf, und Sieger wurde, wer unter diesen Junkern in schäbigen roten Wämsern mit schwarz gewordnen Goldstickereien die längsten Arme hatte; er hauchte geziert einen Kuß auf die glücklich erhaschte Beute, drückte sie höflich ans Herz und schob sie ins Maul. An einem Fensterkreuz hing in vergoldetem Käfig ein Falke, der gleichfalls zuschauen durfte. Den einen Fuß hochgezogen, musterte er mit schiefgestelltem Kopf über den Schnabel hinweg neugierig die Menge.

Plötzlich erhob sich ein Murmeln; ringsum wurden Stimmen laut: »Sie kommen! Sie kommen! Das sind die Kosaken!«

Die Gefangnen schritten barhaupt einher; ihre Schöpfe waren lang, wilde Bärte starrten ihnen um Kinn und Wangen. Sie zeigten nicht Furcht, noch Trauer – stiller Hochmut sprach verhalten aus ihren Gesichtern. Die Kleider aus kostbarem Tuch waren verschlissen und hingen ihnen in elenden Lumpen um die Glieder. Die Kosaken schenkten dem Volk nicht Blick noch Gruß. – Allen voran schritt Ostap.

Was für Gefühle schüttelten den alten Taraß, als er den Sohn sah! Wie krampfte sich ihm das Herz zusammen! Umdrängt von der feindlichen Menge, stand er und schaute auf Ostap und verschlang jede seiner Bewegungen mit den Augen.

Die Kosaken hatten den Richtplatz erreicht. Ostap machte halt. Er sollte den bittern Todesbecher als erster trinken. Er musterte seine Kameraden zum Abschied, dann hob er die Hand gen Himmel und sprach laut und vernehmlich: »Herrgott, gönn es keinem von diesen ruchlosen Ketzern, daß er ein Stöhnen aus dem Mund eines gefolterten Christenmenschen vernimmt! Gib, daß keiner von uns sich nur ein einziges Wort entreißen läßt!« Und als er so gesprochen hatte, erstieg er das Schafott.

»Recht so, mein Sohn, recht so!« murmelte Bulba und senkte das graue Haupt.

Der Henker riß Ostap die zerlumpten Kleider vom Leib, er band ihm Hände und Füße und spannte sie in ein eigens dafür gemachtes Gestell. Und dann … Schweigen wir von den höllischen Qualen, bei deren Schilderung sich jedem die Haare vor blassem Entsetzen sträuben müßten! Diese Martern waren eine Ausgeburt jener rohen und wilden Zeit, da der Mensch sein Leben einzig den blutigen Greueln des Krieges weihte und sein Herz gegen jede weiche Regung verhärtete. Umsonst bekämpften einige wenige edlere Geister diese sinnlosen Grausamkeiten. Umsonst erhoben der König und viele Ritter, die von aufgeklärterem Verstand waren, warnend die Stimmen und wiesen darauf hin, daß so harte Strafen die Rachsucht des Kosakenvolkes entflammen müßten. Die Macht des Königs und das Urteil der Klügsten im Land waren wie Rohr im Wind vor der frechen Zügellosigkeit der Magnaten, die den polnischen Reichstag durch ihre törichte Kurzsichtigkeit und ihre kindische Eitelkeit zum Spottbild einer Regierung machten.

Ostap ertrug die peinliche Befragung durch die Folter wie ein Riese der Vorzeit. Kein Schrei wurde laut, kein Stöhnen, auch dann nicht, als ihm Arme und Beine gebrochen wurden. Todesschweigen lag auf der Menge. Noch die fernsten unter den Gaffern vernahmen das gräßliche Krachen der Knochen. Alle die zarten Jüngferlein wendeten erbleichend die Köpfe ab. Kein Laut des Schmerzes entriß sich den Lippen des Gemarterten, kein Zittern lief über sein Antlitz.

Taraß stand in der Menge, den Kopf gesenkt und dennoch stolz erhobnen Blicks; voll düstrer Bewunderung murmelte er: »Recht so, mein Sohn, recht so!«

Dann aber, als Ostap der letzten Todesqual unterworfen wurde, wollte die Kraft ihm versagen. Er ließ die Augen über die Menge laufen: Barmherziger Gott, nichts als kalte, fremde Gesichter! Wäre nur einer von seinen Nächsten bei ihm gewesen in der Stunde des Todes! Nicht das Weinen und Jammern der schwachen Mutter begehrte er zu hören, nicht das leidenschaftliche Schluchzen eines jungen Weibes, das sich verzweifelt vor die weiße Brust schlüge und sich um ihn die lockigen Haare raufte; doch einen starken Mann sehnte seine Seele brennend herbei, der ihn mit guter Rede aufrichte und ihm Trost zuspreche in der Bitterkeit des Verscheidens. Seine Kraft zerbrach, er schrie aus der Angst seines Herzens: »Vater! Wo bist du? Hörst du nicht, was sie mir tun?«

»Ich hör es!« klang es stark durch die Stille; und jedem einzelnen unter dem zahllosen Volk kroch kalt ein Schauer den Rücken herunter.

Die reisigen Wächter durchforschten hastig die Menge. Jankel wurde bleich wie der Tod; und als die Reiter an ihm vorüber waren, sah er sich angstschlotternd um. Taraß aber stand nicht mehr hinter ihm, er war verschwunden, als sei er nie dagewesen.

Zwölftes Kapitel

Taraß blieb nicht lange verschwunden. An den Marken des Grenzlands sammelte sich ein Kosakenheer, das zählte einhundertzwanzigtausend Mann. Dies war keine kleine Abteilung mehr, keine Freischar, wie sie sonst wohl auf Beute auszog oder mit den Tataren scharmützelte. Nein, hier hatte sich ein ganzes Volk erhoben, weil seine Geduld am Rand war, weil es Rache nehmen wollte für die Verhöhnung seiner Rechte, für die Verachtung seiner Sitten, für die Kränkung seines ererbten Glaubens, für die Entweihung seiner Kirchen, für den Zwang der verhaßten Union, für die Ungebühr der fremden Junker, für die Schande der Judenherrschaft auf christlicher Erde, für alles, was von altersher den grimmen Haß der Kosaken nährte, ihn sich tiefer und tiefer in die Herzen fressen ließ.

Den Oberbefehl über diesen gewaltigen Heerbann führte der junge, aber tapfre und kluge Hetman Ostranitza. Ihm zur Seite stand sein hochbetagter, erfahrner Freund und Berater Gunja. Acht Obersten kommandierten die acht Regimenter, deren jedes zwölftausend Köpfe stark war. Zwei Feldzeugmeister und ein Generalwachtmeister bildeten den Stab des Hetmans. Der Generalkornett trug das große Heeresbanner voran; Fahnen und Standarten ohne Zahl flatterten über den Abteilungen, jeder Zug führte einen Roßschweif als Feldzeichen. Mit dem Fußvolk und der Reiterei marschierten ihre Chargen: Troßmeister, Feldwaibel, Regimentsschreiber. Die Freiwilligen gaben den Ausgehobnen an Zahl kaum etwas nach. Von überall her waren die Kosaken zu den Fahnen geströmt: aus Tschigirin, aus Perejaslaw, aus Baturin, aus Gluchow, von den Niederungen des Dnjeprs, von seinem Oberlauf, von seinen Inseln her. Zahllose Rosse, unabsehbare Wagenreihen wimmelten über die Felder.

Unter diesen acht Regimentern stand eins in besonderm Ansehen; sein Oberst war Taraß Bulba. Diese Ausnahmestellung im Kreis der Kameraden gaben ihm seine Jahre, seine reife Erfahrung, sein hohes strategisches Geschick, vor allem aber sein Haß gegen den Feind. Selbst den Kosaken schien seine schonungslose, unbarmherzige Härte manchmal über das Maß zu gehen. Scheiterhaufen und Galgen bezeichneten den Weg des Alten; das Kriegsziel, für das er im Rate sprach, hieß Ausrottung und Vernichtung.

Was frommt es, alle die Schlachten, in denen sich die Kosaken bewährten, und den Verlauf des Feldzugs zu schildern – das steht auf den Blättern der Chronik verzeichnet. Die Welt hat erfahren, wie der Russe für seinen Glauben zu kämpfen weiß. Keine Kraft über die Kraft des Glaubens! Unüberwindlich und drohend steht unser Glaube, ein Fels aus Urgestein in den Fluten der stürmischen See. Vom tiefsten Meeresgrund empor hoch gegen den Himmel reckt er seine unzerbrechlichen Wände, die ohne Fugen aus einem Stück gegossen sind. Weit in die Ferne trotzt er und bietet den eilenden Wolken die Stirn. Wehe dem Schiff, das gegen ihn anrennt! Zu Staub und Splittern zerschellen die schwankenden Masten, elend muß die Besatzung ertrinken, und das Jammergeschrei der Sterbenden füllt die Lüfte mit Schrecken.

Auf den Blättern der Chronik mag man es nachlesen, wie die polnischen Besatzungen aus den befreiten Städten flüchteten, wie die gewissenlosen jüdischen Pächter kurzerhand aufgeknüpft wurden, wie kläglich der königliche Feldherr Potocki mit seinem zahlreichen Heer dem siegreichen Ansturm der Kosaken weichen mußte, wie er, geschlagen und verfolgt, den besten Teil seiner Mannschaft in einem Flüßchen ertrinken sah. In dem Flecken Polonnoje schlossen ihn dann die Kosaken ein, und der polnische Führer in seiner Bedrängnis versprach ihnen bei seinem Eid völlige Genugtuung von seiten des Königs und der Regierung, bedingungslose Erneuerung der alten Rechte und Privilegien. Aber die Kosaken dachten nicht daran, auf diesen Vorschlag einzugehen – sie kannten zu gut den Wert eines polnischen Eides. Und Potocki hätte nie wieder zur Augenweide der Edeldamen und zum neidischen Ärger der andern Junker seinen kaukasischen Sechstausend-Gulden-Gaul kurbettieren lassen können, nie wieder hätte er sich im Reichstag prahlerisch in die Brust werfen, nie wieder den Senatoren üppige Mähler auftischen können, wäre ihm nicht die russische Geistlichkeit von Polonnoje rettend zu Hilfe gekommen. Als die Priester in ihren goldfunkelnden Meßgewändern mit den heiligen Bildern vors Tor zogen, an ihrer Spitze, das Kreuz in der Hand, die Mitra auf dem Haupt, der Bischof selbst, da neigten die Kosaken die Köpfe und zogen die Mützen. Niemand sonst in der Welt, auch nicht der König in Person, hätte ihren Sinn wenden können; ihrer heiligen Kirche aber wagten sie nicht den Gehorsam zu weigern, der Geistlichkeit ihres Glaubens fügten sie sich. Der Hetman und die Obersten beschlossen, Potocki freien Abzug zu gewähren. Nur ließen sie sich vorher einen feierlichen Schwur von ihm leisten, daß er hinfort nie wieder etwas gegen die Freiheit der rechtgläubigen Kirche unternehmen, daß er die alte Feindschaft vergessen, und daß er die Kosakenschaft für ewige Zeiten ungekränkt lassen wolle.

Ein einziger von den Obersten weigerte sich, solch einen Frieden anzuerkennen. Und dieser eine war Bulba. Er riß sich ein Büschel Haare aus seinem grauen Schopf und rief: »Hölle und Teufel, hör mich, Hetman, und hört mich, ihr Obersten: laßt euch doch nicht dumm machen wie alte Weiber! Wer glaubt denn einem Polacken? Daß euch der Schweinehund verrät, ist doch klar!«

Als aber der Heeresschreiber den Vertrag präsentierte und der Hetman von Amts wegen seinen schwerfälligen Namenszug darunter setzte, da riß Taraß seinen ehrlichen Degen, den kostbaren Türkensäbel von edelstem Stahl, aus der Scheide, brach ihn über dem Knie entzwei wie einen dürren Ast, warf die Stücke weit von sich, zur rechten das eine, das andre zur linken, und sprach: »Gehabt euch denn wohl! Wie diese zwei Stücke von meinem Pallasch nie wieder zusammenwachsen und einen ganzen Säbel geben, so sehn wir uns nie mehr auf dieser Welt, Kameraden! Vergeßt nicht, was ich euch heute zum Abschied sage!« Bei diesen Worten erhob sich seine Stimme zu seltsamer Kraft – jeden Menschen im ganzen Heer durchrann ein Schauer bei seiner prophetischen Rede. »Ich sag euch: in eurer Todesstunde werdet ihr an mich denken! Ihr meint wohl, jetzt habt ihr euch Frieden und Ruhe erkauft? Ihr meint wohl, jetzt könnt ihr die Herren spielen? Hat sich was mit dem Herrenspielen! Ihr sollt euch noch wundern! Dir, Hetman, werden die Polacken das Fell vom Schädel ziehn und es mit Häcksel ausstopfen; und so wird man deinen Kopf auf allen Jahrmärkten bewundern! Und ihr, ihr Herren, glaubt bloß nicht, daß ihr die Köpfe auf den Hälsen behaltet! Ihr verfault in feuchten Kellern zwischen engen steinernen Mauern, oder man schmort euch bei lebendigem Leib im Kessel wie Hammel – das werdet ihr sehn!« Und nun wendete sich Taraß an seine eignen Leute: »Euch aber, Burschen, frag ich, ob ihr einen ehrlichen Tod sterben wollt – nicht auf der Ofenbank oder bei der Alten im Bett, nicht besoffen hinter dem Kneipenzaun, daß ihr dann daliegt als ein verrecktes Aas – nein, einen frohen Kosakentod, alle zusammen auf einem Bett, wie der Bräutigam mit der Braut? Oder lockt es euch, heimzuziehn, euern Glauben abzuschwören und euch von den polackischen Pfaffen Kandare reiten zu lassen?«

»Wir gehn mit dir, Herr Oberst! Wir gehen mit!« schrie Taraß Bulbas ganzes Regiment vom ersten bis zum letzten Mann, und gar viele aus andern Regimentern gesellten sich zu seiner Schar.

»Dann: links um kehrt schwenkt! Mir nach!« sagte Taraß, drückte die Mütze fester in die Stirn, setzte sich im Sattel zurecht und rief mit warnend blitzenden Augen: »Daß keiner wage, uns ein tadelndes Wort zu sagen! – Und nun: hussa, Burschen, jetzt kriegen die Katholischen einmal Besuch!«

Er spornte den Gaul; Reiter und Fußvolk und eine Reihe von hundert Wagen folgten ihm. Taraß drehte wieder und wieder den Kopf, zornig drohte sein Blick den Zurückbleibenden. Niemand wagte, ihm in den Weg zu treten. Im Angesicht des ganzen Heeres zog sein Regiment ab.

Tief in Gedanken standen der Hetman und die Obersten. Lange fand keiner ein Wort. Schwarze Ahnungen lagen schwer auf jedem Herzen. Und sie sollten sich bald erfüllen. Taraß Bulbas prophetisches Wort traf ein. Gar nicht lange nach diesem Tag überfielen die Polen den Hetman verräterisch bei Kanew. Sein Kopf wurde auf den Pfahl gesteckt, und mit ihm die Köpfe der höchsten Würdenträger des Heeres.

Und was tat Taraß?

Taraß zog durch Polen, er legte achtzehn Städte und Dörfer in Asche, brannte an die vierzig Kirchen nieder und kam bis in das Vorland von Krakau. Viele polnische Junker mußten über die Klinge springen, die reichsten und schönsten Schlösser wurden geplündert. Die Kosaken drangen in die wohlbehüteten Keller der Magnaten, hieben die Zapfen aus den Fässern und ließen den hundertjährigen Met und Wein auf den Boden plätschern. Sie rissen kostbare Gewänder und reiches Gerät aus den Schränken und warfen alles ins Feuer. »Nur nichts verschonen!« war Bulbas Befehl. Auch die schwarzäugigen Edelfrauen, die Fräulein mit weißen Brüsten und blühenden Wangen fanden kein Mitleid bei den Kosaken. Umsonst flohen sie schutzsuchend an die Altäre – Taraß verbrannte sie samt den Altären. Manch eine schöne Hand krallte aus der Glut verzweifelt gen Himmel, und Schreie gellten empor, die selbst die alte Erde erschüttert, die selbst die Gräser des Feldes erbarmend ihr Haupt hätten neigen lassen. Aber die rauhen Kosaken scherte das wenig, sie spießten die Säuglinge der wimmernden Frauen auf ihre Lanzen und schleuderten sie zu den Müttern in das Flammengewühl.

»So les ich euch die Totenmesse für meinen Ostap, ihr verfluchten Polacken!« sagte Taraß.

Solcher Totenmessen für Ostap las Taraß in Städten und Dörfern gar viele, bis endlich die polnische Regierung erkennen mußte, daß Bulbas Rachezug mehr war als einer der üblichen Raubüberfälle. Derselbe Potocki, der den Frieden von Polonnoje abgeschlossen hatte, wurde mit fünf Regimentern ausgeschickt und erhielt den Befehl, Taraß zu fangen, koste es, was es wolle.

Sechs Tage lang entrannen die Kosaken auf Schleichwegen ihren Verfolgern; fast brachen die Gäule bei den unerhörten Gewaltmärschen zusammen. Diesmal aber zeigte sich Potocki seiner Aufgabe gewachsen: er ging den Kosaken nicht von der Spur und stellte sie endlich am Ufer des Dnjestrs, wo Bulba sich in ein verlassenes, zu Trümmern zerfallnes festes Schloß geworfen hatte, damit sich Mann und Roß ein wenig verschnaufen könnten.

Hart über dem Steilhang des Stroms stand die Burg mit zerschossenem Wall und durchlöcherten Mauerresten. Schutt und Ziegelbrocken bedeckten den Gipfel des Felsens, der überhing und aussah, als wolle er jeden Augenblick in die Tiefe stürzen. Ein Abstieg zum Fluß war unmöglich, und von der Landseite schloß Potocki mit seinem Heer die Kosaken ein. Vier Tage lang schlugen sich die Belagerten wütend und schleuderten Ziegel und Feldsteine gegen den Feind. Dann aber gingen Proviant und Kraft auf die Neige. Taraß faßte den Entschluß, auszubrechen.

Schon hatten sich die Kosaken eine Bahn durch den Ring der Polen gehauen, und vielleicht wären ihnen die treuen Gäule noch einmal zur Rettung geworden; da hielt plötzlich Taraß mitten im tollsten Galopp an und schrie: »Halt! Ich hab meine Tabakpfeife verloren. Nicht einmal meine Pfeife sollen sie kriegen, die verfluchten Polacken!« Taraß Bulba beugte sich aus dem Sattel und spähte im Gras nach der Pfeife, seiner unzertrennlichen Gefährtin zu Wasser und zu Land, daheim und im Felde. Da aber fiel schon ein ganzer Schwarm Feinde über ihn her und hängte sich ihm an die mächtigen Schultern. Wohl schlug und trat er wütend um sich, doch heute schüttelte er damit die Heiducken nicht ab, wie einst in jüngeren Tagen.

»Ja, ja, alt wird man!« sagte der beleibte Graukopf und weinte bitterlich. Doch nicht seine Jahre trugen die Schuld – die Übermacht zwang ihn. Dreißig Mann wohl hielten ihn an Armen und Beinen.

»Haben wir dich Aasvogel endlich!« schrieen die Polacken. »Fragt sich jetzt nur noch, wie man dich Hundsfott am besten totmacht!«

Taraß wurde, mit Zustimmung Potockis, dazu verurteilt, vor versammeltem Heer lebendig verbrannt zu werden. In der Nähe stand ein abgestorbner Baum, dessen Krone vom Blitz zerschmettert war. Die Polen fesselten Taraß mit eisernen Ketten an den Stamm und zogen ihn hoch empor, daß alle ihn sehen könnten. Seine Hände wurden auf das Holz genagelt; dann ging man eilend daran, um den Baum einen Scheiterhaufen zu schichten. Taraß gönnte dem Scheiterhaufen keinen Blick, keinen Gedanken dem Feuer, in dem er verbrennen sollte – er schaute erregt in die Richtung, wo seine Kosaken noch mit den Polen kämpften. Da er so hoch hing, lag das alles vor ihm wie auf der flachen Hand.

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