Kitabı oku: «Novellen», sayfa 13
DIE FURCHT
Nachdem Dimitrij Petrovič Silin die Universitätsstudien beendet hatte, diente er in St. Petersburg, verließ nach Vollendung seines dreißigsten Jahres den Dienst und widmete sich ganz der Landwirtschaft.
Seine Wirtschaft ging zwar nicht schlecht, aber mir schien es, daß er nicht an der richtigen Stelle sei, so daß er besser tun würde, wenn er wiederum in den Staatsdienst eintreten möchte.
Wenn er, von der Sonne gebräunt, bestaubt, ermüdet mich am Hauseingange erwartete und empfing, während des Nachtmahles mit dem Schlafe kämpfte und seine Frau ihn in das Schlafzimmer gleich einem Kinde bringen mußte; oder wenn er, seine Schläfrigkeit gewaltsam überwindend, mit seiner weichen melodischen, einschmeichelnden, fast bittenden Stimme schöne und geistreiche Gedanken entwickelte: dann sah ich in ihm nicht den Landwirt, nicht den Gutsbesitzer, sondern einen abgemüdeten, abgehetzten Menschen und mir war es klar, daß ihm die Landwirtschaft nicht nötig, sondern nur dazu gut sei, daß der Tag vergehe und dann – Gott sei Dank!
Mir gefiel es, ihn oft zu besuchen und es geschah nicht selten, daß ich zwei, ja auch mehrere Tage bei ihm zu Gaste blieb.
Ich liebte sein Haus, seinen Park, seinen großen Obstgarten, das kleine Flüßchen, seine ein wenig hausbackene, beredte und klare Philosophie.
Ob ich ihn selbst liebte, darüber bin ich nie mit mir selbst im Klaren gewesen.
Übrigens war Dimitrij Petrovič kein dummer Mensch, sondern herzensgut und gar nicht langweilig, und ich erinnere mich, daß, als er mir eines Tages seine geheimsten Geheimnisse mitteilte, mich dabei seinen einzigen, wahren, liebsten und teuersten Freund nannte, mich dieses recht unangenehm berührte und ich mich dabei höchst unbehaglich fühlte.
In seiner Freundschaft zu mir lag etwas unbequemes, beschwerliches, drückendes, und ich hätte unter allen Umständen dieser Freundschaft die üblichen gesellschaftlich-freundschaftlichen Verhältnisse vorgezogen.
Der Grund lag darin, daß mir seine Frau Maria Sergievna außerordentlich gefiel.
Verliebt in sie war ich nicht, aber mir gefiel ihr Gesicht, ihre Augen, ihr Haar, Stimme, Gang, mit einem Wort, ich sehnte mich nach ihrer Gesellschaft, wenn ich sie längere Zeit nicht sah und in dieser sah ich nur diese schöne, geschmeidige, junge Gestalt vor meinem geistigen Auge, in meiner Einbildung schweben.
In Bezug auf sie hatte ich keine bestimmten Absichten und machte mir auch keine Gedanken darüber, aber ich weiß nicht warum, so bald wir zu zweien uns gegenüber saßen, da erinnerte ich mich allemal dessen, daß mich der Mann seinen einzigen, wahren und treuesten Freund nannte und ich fühlte mich höchst unbehaglich.
Wenn sie meine Lieblingsstücke auf dem Flügel vortrug, so hörte ich mit dem größten Vergnügen zu; wenn sie mit ihrer melodischen Stimme vorlas, so durchzogen mein Gehirn verschiedene Gedanken, welche darin gipfelten, daß sie wohl ihren Mann nicht liebt, daß dieser mein größter Feind ist und sie selbst in mir einen solchen sieht; dann wurde meine Stimmung dadurch verdorben, ich wurde langweilig, träge, unfreundlich.
Sie pflegte diese Veränderungen zu bemerken und sagte dann gewöhnlich:
„Sie scheinen sich in meiner Gesellschaft recht zu langweilen; ich werde gleich nach ihrem Freunde schicken und ihn bitten lassen, hierher zu kommen.“
Und als dann Dimitrij Petrovič ankam, da meinte sie:
„Nun freuen Sie sich, Ihr Freund ist angekommen.“
So verliefen anderthalb Jahre. —
An einem heißen Julisonntage fuhren wir, Dimitrij Petrovič und ich, aus Langweile, in das nahe gelegene Dorf Klušino, um dort einige Einkäufe zu machen, und namentlich etwas Eßbares zum Abendbrote mitzubringen.
Während wir in den verschiedenen Läden Einkäufe machten, wurde es bereits Abend, ein Abend, dessen ich, so lange ich lebe, nicht vergessen werde.
Nachdem wir einen seifenähnlichen Käse, eine versteinerte, nach Teer riechende Wurst gekauft hatten, gingen wir ins Wirtshaus, um nach Bier zu fragen.
Unterdessen fuhr unser Kutscher zum Schmied, um die Pferde beschlagen zu lassen; wir sagten ihm, daß wir ihn bei der Kirche erwarten werden.
Wir gingen erst hin und her, sprachen über Verschiedenes, lachten über die gemachten Einkäufe, während hinter uns, einem Detektiv ähnlich ein Mann folgte, welcher in der Umgebung unter dem eigentümlichen Namen „vierzig Märtyrer“ bekannt war.
Dieser Mann, mit dem ganz eigentümlichen Rufnamen, war niemand anderer als Gabriel Severov, oder einfach Gavruša, welcher bei mir einige Zeit als Diener angestellt war, aber wegen Trunksucht entlassen wurde.
Er diente dann bei Dimitrij Petrovič in gleicher Eigenschaft und wurde aus gleicher Ursache entlassen.
Gavruša war ein böser Säufer, wie ja sein ganzes Leben zwecklos war, wie er selbst.
Sein Vater war Geistlicher gewesen, seine Mutter eine Adelige; er gehörte deshalb zu der privilegierten Klasse, so wie ich, aber wenn man sein versoffenes, doch dabei ehrwürdiges, stets feuchtes Gesicht mit der großen roten Nase, seinen ungepflegten rötlich grauen Bart, seinen abgetragenen, fadenscheinigen, zerrissenen Anzug, das über diesem herabhängende rote Hemd ansah, da konnte man wahrlich in dieser Gestalt nichts von jenen Eigentümlichkeiten finden, welche die privilegierte Klasse von dem übrigen Volke äußerlich trennt.
Er selbst zählte sich zu den Studierten, den Gebildeten, der Intelligenz, und war stolz darauf, daß er in einem geistlichen Seminar erzogen wurde, von wo man ihn, seiner Angabe nach, wegen seiner Leidenschaft zum Tabakrauchen wegjagte, ehe er den Kursus vollendet hatte; darauf wurde er Sänger im Domchor; lebte hierauf zwei Jahre im Kloster, aus welchem man ihn nicht wegen Tabakrauchen, wohl aber wegen seiner „Schwäche“ für geistige Flüssigkeiten entfernte.
Er durchkreuzte, auf des Schusters Rappen zwei benachbarte Gouvernements nach allen Richtungen, richtete unzählige Mengen von Bittschriften an die Konsistorien und andere geistliche und weltliche Behörden, saß zweimal auf der Bank der Angeklagten, bis er sich schließlich in unserem Bezirke ansässig machte, die Stellungen eines Dieners, Jägers, Hegers, Schreibers, Kirchenwächters einnehmend und heiratete schließlich die vazirende Witwe nach einem Koch.
Mit den Jahren verfiel er immer tiefer und tiefer in den Schmutz und das Elend, lebte sich jedoch in dieses Ungemach so ein, daß er mit der Zeit sogar selbst an seinem privilegierten Stand zu zweifeln begann.
Zu der Zeit, als das, was ich erzähle, vor sich ging, strich er beschäftigungslos herum; gab sich bei den Bauern, welche ihn persönlich nicht kannten, bald für einen Tierarzt, bald für einen Jäger aus.
Seine Frau verschwand bald nach der Hochzeit ohne eine Spur zu hinterlassen.
Nachdem wir das Wirtshaus verlassen hatten, richteten wir unsere Schritte zur Kirche, wo wir uns auf die Stufen setzten, um den Kutscher mit dem Wagen abzuwarten.
Vierzig Heilige oder Gavruša blieb einige Schritte seitwärts vor uns stehen, hielt die eine Hand vor den Mund, um in dieselbe, wenn es ihm nötig erscheinen sollte, leise husten zu können.
Es wurde dunkel; der Mond begann aufzugehen; in der Luft machte sich der Geruch nach feuchter Erde bemerkbar.
Auf dem klaren, mit Sternen besäeten Himmel, gerade über uns, bemerkte man zwei Wolken, eine größere und eine kleinere, die einzigen am ganzen Horizont, einsam und langsam, eine hinter der anderen, gleich Mutter und Kind, gegen den Westen segelnd.
„Das war einmal wieder ein schöner Tag,“ meinte Dimitrij Petrovič.
„Ein prachtvoller Tag,“ stimmte Gavruša bei, nachdem er vorher in die vorgehaltene Hand gehustet hatte. „Wie kommt es, Dimitrij Petrovič, daß Sie sich entschlossen haben, selbst hierher zu fahren?“ frug er mit einschmeichelnder Stimme, jedenfalls mit der Absicht ein Gespräch anzufangen.
Dimitrij Petrovič gab darauf keine Antwort.
Gavruša seufzte tief auf und sprach, leise, ohne uns anzusehen:
„Ich leide aus einem Grunde, von welchem ich doch nur Gott allein Rechenschaft geben muß. – Ich weiß es selbst, daß ich zu nichts tauge, daß ich ein verlorener Mann bin, aber seien Sie doch nicht so herzlos, seien Sie barmherzig, erbarmen Sie sich meiner: ich bin brotlos, ohne Dach und Fach, ärger daran wie ein Hund … Entschuldigen Sie, Dimitrij Petrovič.“ Silin ließ diese Rede unbeachtet, ja hörte sie vielleicht gar nicht, denn er saß, nach vorne gebeugt, seinen Kopf zwischen die beiden Hände drückend, über etwas nachdenkend.
Die Kirche stand an einer Biegung der Straße, auf einer hohen Uferböschung; durch die freien Stellen in der Einfriedung sahen wir den Fluß, die Wiesen und weit hinaus einen brennenden Scheiterhaufen, um welchen sich schwarze Gestalten, Menschen und Pferde, bewegten.
Noch weiter hinaus bemerkte man Lichter, die aus den Hütten eines Dorfes leuchteten.
Lauter Gesang unterbrach die Stille des Abends.
Über dem Flusse und an einzelnen Stellen der Wiesen fingen sich an Wolken von Nebel zu erheben, lange, enge Streifen, dicht, weiß wie Milch; sie schwebten über dem Fluß und hinderten die Sterne sich im Flusse zu spiegeln.
Der Nebel änderte alle Augenblicke seine Form; es schien, als ob sich die einen Streifen umarmen, die anderen verbeugen würden, die dritten hoben ihre langen Hände, mit breiten herabhängenden Ärmeln bekleidet, zum Himmel, als wenn sie beteten …
Möglicherweise brachten diese wechselnden phantastischen Formen einen gewissen Eindruck auf Dimitrij Petrovič hervor, als wenn er Geister oder Erscheinungen vor sich sehen würde, denn sein Gesicht nahm einen eigentümlich traurigen Ausdruck an, als er, sich an mich wendend, frug:
„Erklären Sie es mir, teuerster Freund, warum, wenn wir etwas Geheimnisvolles, Phantastisches, Schreckliches sagen wollen, wir nie aus dem Leben schöpfen, sondern stets auf die Geisterwelt zurückgreifen?“
„Das ist zwar fürchterlich, aber rätselhaft, unbegreiflich.“
„Und begreifen Sie das Leben? – Sagen Sie: begreifen Sie das jetzige Leben besser, als jenes nach dem Tode?“
Dimitrij Petrovič rückte ganz nahe an mich heran, so nahe, daß ich seinen Atem auf meinen Wangen fühlte.
In dem Abenddunkel erschien mir sein sonst so bleiches mageres Gesicht noch bleicher und eingefallener; sein dunkler Bart schwarz wie Ruß.
Seine Augen schauten mich traurig, schwermütig, ängstlich, fieberhaft glänzend an, es schien, als wenn er mir etwas Fürchterliches, Schreckliches erzählen wollte.
Er sah mir voll ins Gesicht und fuhr in seiner Rede mit seiner gewöhnlichen, leisen, wie flehenden Stimme fort:
„Unser jetziges Leben wie jenes nach dem Tode sind beide unbegreiflich, unfaßbar, schrecklich. Wer die Geister fürchtet, muß auch sich fürchten; er muß fürchten diese Feuer, diesen Himmel, ja alles, was er sieht, weil alles das, wenn man darüber ruhig nachdenkt, ebenso unbegreiflich, phantastisch ist, wie jene es sind, die die Welt vor uns verlassen haben – Prinz Hamlet hat sich nicht deshalb getötet, weil er vor den Geistern Furcht empfand, welche ihm im Traume erschienen; dieser sein darauf bezüglicher Monolog gefällt mir, aber hat mich, aufrichtig gestanden, ganz kalt gelassen. – Als meinem einzigen, teueren Freunde bekenne ich, daß nicht selten in trüben Stunden meine Todesstunde vor meinem geistigen Auge sichtbar wird; meine Phantasie zaubert aus nichts tausende dunkler unklarer Erscheinungen hervor, ja es werden daraus marternde Exaltationen, welche an einen Hexensabbath erinnern, ohne daß alles dieses mir Furcht einjagen könnte. – Doch warum umsonst ins Leere reden. – Fürchterlich sind die Visionen, noch schrecklicher aber das Leben. – Ich, mein lieber Freund, begreife das Leben nicht und empfinde Furcht vor ihm. – Ich weiß es nicht, aber es kann möglich sein, daß ich ein kranker, moralisch verderbter, verlorener Mensch bin. – Dem normalen Menschen kommt es vor, daß er alles, was er sieht und hört, begreift, ich habe aber diese Eigenschaft, diese Gabe verloren, und jeder Tag wird mir durch die Furcht vergiftet. – Die Furcht ist eine Krankheit – viele fürchten sich vor einem großen Räume und sehen Sie, ich leide an dieser Krankheit – an der Furcht vor dem Leben. – Wenn ich manchmal im Grase liege und eine Blattlaus betrachte, welche, gestern geboren, keinen Begriff von dem, was sie umgibt zu haben scheint, dann stelle ich mir vor, daß das kurze Leben dieses Tierchens aus einer unendlich langen Kette von Angst, Furcht, Schrecken und Entsetzen bestehen müsse; und in diesem Tierchen sehe ich mich selbst …“
„Vor was fürchten Sie sich?“ frug ich.
„Ich fürchte mich vor allem. – Ich bin doch von Natur kein Dummkopf und mich interessieren Fragen: wie das Leben nach dem Tode sein werde oder wie die Geschicke der Menschheit verlaufen werden, nicht, auch erhebe ich mich nicht in die Himmelshöhen. – Aber ich fürchte mich vor der Alltäglichkeit, der niemand entgehen kann. – Ich bin unfähig zu entscheiden, was gut und was schlecht, was in meinem Tun und Lassen Recht und was Lüge ist – und dieses beunruhigt mich. – Ich gebe zu, daß die Erziehung und die Verhältnisse und Umstände des Lebens mich geradezu in einen eisernen Ring von Lüge und Falschheit eingezwängt haben, aus welchem ich mich nicht befreien kann; ich gebe zu, daß mein bisheriges Leben nichts anderes war, als die Sorge darum, wie ich mich selbst und andere Leute betrügen solle, ohne daß ich es selbst noch die anderen bemerken sollen; ich habe Furcht vor dem Gedanken, daß ich mich bis zu meinem Tode von dieser Lüge nicht werde befreien können. – Heute tue ich etwas und morgen ist es mir unbegreiflich, warum ich es getan. – Ich trat in Petersburg in den Staatsdienst und erschrak darüber; ich übernahm mein Gut, um es selbst zu bewirtschaften und erschrak wiederum. – Ich sehe, fühle es und bin davon überzeugt, daß wir eigentlich wenig wissen und deshalb täglich Fehler begehen, daß wir ungerecht sind, verleumden, fremdes Leben untergraben, unsere besten Kräfte auf Ungereimtheiten, leeres Geschwätz vergeuden, auf Vorfälle, die wir nicht nötig finden sollen und die uns nur hindern ruhig zu leben und deshalb fürchte ich mich vor allem, weil ich nicht begreifen kann, warum? weshalb? weswegen? und wem? alles dieses nötig ist. – Ich, lieber Freund, begreife die Leute nicht, ich fürchte mich vor ihnen. – Ohne Furcht kann ich den Bauer nicht ansehen, weil ich nicht begreife, aus welcher Ursache und zu welchem Zwecke er lebt und leidet. – Wenn das Leben Genuß bedeutet, so sind ja diese Leute überflüssig, unnötig; wenn das Ziel und der Zweck des Lebens in der Not und dem Elend, sowie in der undurchdringlichen, hoffnungslosen Unwissenheit und Dummheit liegt, so ist es mir unbegreiflich, warum der Mensch derartigen Martern unterworfen wird. – Begreifen Sie vielleicht irgend ein uns nahestehendes Individuum? – Denken Sie ein wenig darüber nach.“
Gavruša bemerkte, daß wir ihn beobachteten, hustete wiederum ehrerbietig in die Hand und sagte:
„Guten Herrschaften war ich stets ein treuer Diener, – doch der Branntwein! Wenn Sie sich meiner erbarmen und mich wieder in Dienst nehmen würden, möchte ich eine Kerze meinem Heiligen anzünden – auf Ehrenwort.“
Der Nachtwächter ging an uns vorüber und sah uns mißtrauisch an. Er fing an am Strick zu ziehen; langsam und dröhnend ertönten zehn Glockenschläge, welche die uns umgebende Stille unangenehm störten.
„Schon zehn Uhr,“ meinte Dimitrij Petrovič. „Es ist Zeit, daß wir nach Hause fahren. Ja, mein teuerer Freund,“ seufzte er, „ich fürchte mich vor meinen eigenen Gedanken, die doch nichts Fürchterliches für den Menschen haben sollten. – Um nicht denken zu müssen, arbeitete ich; durch vieles und anhaltendes Arbeiten sorge ich dafür, daß ich müde werde und traumlos schlafe. – Kinder, Frau – sind anderen Leuten etwas selbstverständliches, gewöhnliches, mir aber sind sie eine schwere Last.“
Er drückte sein Gesicht in die Hände, ächzte laut auf, um dann mit einem eigentümlich klingenden Lachen seine Rede fortzusetzen.
„Ich kann Ihnen nicht sagen, wie dumm ich mich in meinem Leben benahm. – Alle sagen: was für eine schöne Frau und liebe Kinder Sie haben, was sind Sie für ein glücklicher, beneidenswerter Mensch und prächtiger Familienvater! – Alle sind der Ansicht, daß ich sehr glücklich bin, und – beneiden mich. – Ich aber sage Ihnen offen: mein glückliches Familienleben ist ein trübes Mißverständnis – ich habe Furcht vor demselben.“
Sein bleiches Gesicht wurde von dem nervösen Lachen unschön. Er legte seinen Arm um mich und sprach halblaut weiter:
„Sie sind mein einziger, wahrer, treuester, aufrichtigster Freund, Ihnen vertraue ich und schätze Sie hoch. – Der Himmel schickt uns derartige Freunde, damit wir uns aussprechen und befreien können von Geheimnissen, welche uns schwer bedrücken und uns zur Last werden. – Von dieser Freundschaft erlauben Sie mir Gebrauch zu machen und gestatten Sie mir Ihnen die volle Wahrheit zu sagen: – Mein Familienleben, allen so beneidenswert, ist mein größtes Unglück, und ich fürchte mich vor demselben. Meine Heirat erfolgte unter Verhältnissen, in denen ich nicht gerade die vorteilhafteste Figur spielte. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich Maša bis zum Hochzeitstage wahnsinnig liebte und zwei volle Jahre um sie freite. – Fünfmal habe ich ihr den Heiratsantrag gemacht, fünfmal bekam ich einen Korb, denn ich war ihr ganz gleichgültig, sie fühlte keine Neigung zu mir. – Als ich zum sechstenmale, sinnlos vor Liebe, mich zu ihren Füßen warf, als ich sie um Erhörung bat, da gab sie schließlich ihre Einwilligung, ihre Zustimmung, ihr Ja-Wort … Sie sagte: „Ich liebe Sie nicht, aber ich werde Ihnen eine treue Frau bleiben …“ Diesen Vertrag nahm ich mit Freuden, mit Entzücken an … Ich begriff damals nicht, was dies bedeuten sollte, aber auch jetzt noch – ich schwöre bei Gott! – begreife ich es nicht … „ich liebe Sie nicht, aber ich werde Ihnen eine treue Frau bleiben …“ was bedeutet das? … Es ist das etwas Nebelhaftes, Dunkles, Rätselhaftes … Ich liebe heute meine Frau noch so stark, noch so herzlich, innig, wie vor der Hochzeit, und sie, … sie scheint mir immer noch so gleichgültig gegen mich zu sein, wie sie es früher war, ja, es kommt mir vor, als wenn sie froh ist, wenn ich nicht zu Hause bin und abreise … Ich weiß nicht, liebt sie mich oder nicht, darüber bin ich mir nicht im Klaren … das kenne ich nicht … aber wir leben unter einem Dache, schlafen in einem und demselben Zimmer, haben Kinder, besitzen gemeinschaftliches Eigentum … Was bedeutet das? … Zu was ist das? … Begreifen Sie in dieser Sache etwas? … Alles das ist für mich eine schreckliche Folter … Und deswegen, weil ich in unseren Verhältnissen nichts begreife, hasse ich bald sie, bald mich, bald uns beide; in meinem Kopfe hat sich alles verwirrt, ich martere mich, werde jeden Tag stumpfer – während sie zu meinem größten Ärger und Qual jeden Tag schöner, bewunderungswerter wird … Mir dünkt, ihr Haar ist prachtvoll, ihr Lächeln ein so wunderbares, wie man es bei keinem zweiten Weibe sehen kann … Ich liebe sie, trotzdem ich überzeugt bin, daß ich hoffnungslos liebe … Eine hoffnungslose Liebe eines Mannes zu seiner Frau, aus deren Ehe bereits zwei Kinder entsprossen sind? … Ist es begreiflich? … Ist es nicht, um einem Furcht einzujagen? … Ist es nicht schrecklicher als Geister zu sehen? …“
Dimitrij Petrovič beherrschte eine derartige Stimmung, daß er noch weiter gesprochen hätte, wenn nicht der Wagen – glücklicherweise – vorgefahren wäre und sich die Stimme des Kutschers hörbar gemacht hätte.
Wir stiegen in den Wagen, wobei uns Gavruša mit abgenommener Mütze in der Hand behilflich war, mit einer Miene und Gesichtsausdruck, als wenn er schon lange auf die Gelegenheit und den Zufall gewartet hätte, unsere kostbaren Kleider berühren zu dürfen.
„Dimitrij Petrovič, erlauben Sie mir zu Ihnen kommen zu dürfen,“ sprach er, stark mit den Augen zwinkernd und den Kopf auf die eine Seite neigend, „seien Sie barmherzig! … ich sterbe Hungers!“
„Schon gut,“ gab Silin zur Antwort, „kannst kommen und drei Tage im Hofe leben, dann wollen wir weiter sehen.“
„Zu Befehl!“ antwortete Gavruša mit freudestrahlendem Gesichte. „Ich komme noch heute.“
Das Dorf war vom Gute nur sechs Werst entfernt.
Dimitrij Petrovič, zufrieden, daß er sich gegen einen Freund aussprechen konnte, hielt mich den ganzen Weg mit seinem Arm umschlossen und plauderte während der Fahrt, ohne irgend einen Anschein von Aufregung, Furcht oder Angst, lustig weiter, bemerkend, daß, wenn seine Familienverhältnisse eine günstige Wendung nehmen sollten, er sofort nach Petersburg übersiedeln und sich ausschließlich den Wissenschaften widmen würde.
„Die Strömung,“ sprach er, „welche so viele hochbegabte junge Männer nach dem Dorfe trieb, war eine unglückselige, bedauernswerte. Korn und Weizen gibt es bei uns in Rußland genug, mehr als zu viel, nicht aber unterrichtete, gebildete Leute. – Es ist nötig, daß die begabte, gesunde und kräftige Jugend sich den Wissenschaften, der Kunst und der Politik widmet, anders vorzugehen bedeutet unberechenbaren Verlust und Schaden für das Reich.“
Und so philosophierte er mit vielem Behagen weiter und drückte sein Bedauern darüber aus, daß er morgen früh zur Holzauktion fahren müsse, und wir uns so früh trennen müßten.
Ich fühlte mich dagegen recht unbehaglich, da es mir schien, ich betrüge einen arglosen Menschen.
Gleichzeitig fühlte ich eine freudige Behaglichkeit, ein ganz eigentümliches angenehmes Gefühl.
Ich betrachtete den wie eine große rotglühende Scheibe aufgehenden Mond; in meiner Vorstellung sah ich eine hohe, schlanke und doch volle Blondine, bleichwangig, stets einfach und doch geschmackvoll gekleidet, einen eigentümlichen angenehmen Duft, weit entfernt an Rosen erinnernd, um sich verbreitend, wobei mir ganz besonders angenehm war zu wissen, daß sie ihren Mann nicht liebe.
Zu Hause angekommen, setzten wir uns zum Abendbrot.
Maria Sergievna beköstigte uns mit den von uns selbst gemachten Einkäufen, wobei ich die Bemerkung machte, daß sie tatsächlich ein prachtvolles Haar besitzt und ganz eigenartig lächelt, nicht so, wie andere Frauen.
Mit meinen Augen verfolgte ich ihr Tun und Lassen und mir schien es aus allen ihren Bewegungen, ihren Blicken, daß sie ihren Mann nicht liebt und daß er ihr mehr als gleichgültig ist.
Dimitrij Petrovič fing bald an mit der Schläfrigkeit zu kämpfen.
Nach dem Abendbrote saß er etwa zehn Minuten in unserer Gesellschaft, erhob sich dann und sprach:
„Wie Sie wollen, meine Herrschaften, ich kann nicht weiter hier bleiben; ich muß morgen schon um drei Uhr früh aufstehen und deshalb erlauben Sie mir Ihnen gute Nacht zu wünschen.“
Er küßte zärtlich seine Frau, drückte mir kräftig die Hand und nahm mir das Versprechen ab, ihn längstens in einer Woche wieder zu besuchen.
Damit er nicht verschlafe und auch nicht andere störe, ging er in das Nebenhaus schlafen.
Maria Sergievna pflegte nach Petersburger Art spät schlafen zu gehen, ich aber war darüber, ich weiß nicht warum, außerordentlich glücklich.
„Und so,“ fing ich an, nachdem wir zu zweien geblieben, „und so werden Sie die Güte haben, mir etwas vorzuspielen.“
Ich sehnte mich nach keiner Musik, aber ich war in Verlegenheit, wie ich ein Gespräch einleiten soll.
Sie setzte sich an den Flügel und spielte, was? – daran erinnere ich mich nicht mehr.
Ich saß neben ihr; ich betrachtete ihre weißen, zarten, langen Finger, ich bemühte mich in ihrem kalten, unbeweglichen, gleichgültigen Gesichte etwas zu lesen.
Plötzlich fing sie an zu lächeln und mich anzusehen.
„Sie langweilen sich wohl in meiner Gesellschaft?“ frug sie.
Ich lachte laut auf.
„Der Freundschaft wegen würde es genug sein einmal im Monate einen kurzen Besuch hier abzustatten; aber ich komme sehr oft, fast jede Woche hieher.“
Dies sagend stand ich auf und ging, aufgeregt, aus der einen Ecke des Zimmers in die andere.
Sie stand ebenfalls auf und stellte sich vor den Kamin.
„Was wollen Sie damit sagen?“ frug sie ihre hellen, klaren, großen Augen auf mich richtend.
Ich erwiderte nichts.
„Sie sagten eine Unwahrheit,“ setzte sie nach minutenlangem Schweigen fort, „denn Sie kommen doch nur dem Dimitrij Petrovič zu Liebe hierher. – Schließlich bin ich auch damit zufrieden. – Man findet selten in unserem Zeitalter eine solche Freundschaft, wie sie zwischen Ihnen und meinem Manne herrscht.“
„Ah!“ dachte ich; – doch wußte ich nicht, was ich darauf antworten soll; deshalb frug ich:
„Wollen Sie nicht in den Garten mitgehen?“
„Nein!“
Ich ging auf die Terrasse.
In meinem Kopfe hämmerte und schwirrte es; mir wurde kalt und heiß vor Aufregung.
Ich setzte voraus, daß sich unsere Unterhaltung in den üblichen gesellschaftlichen nichts sagenden und nichts bedeutenden Phrasen bewegen wird, aber es hatte den Anschein, daß in dieser Nacht etwas vor sich gehen dürfte und könnte, worüber zu denken ich gar nicht wagte.
Entweder diese Nacht oder nie!
„Was für eine herrliche Nacht,“ sprach ich laut, auf der Terrasse stehend.
„Mir ganz gleichgültig,“ war die Gegenantwort.
Ich kehrte wieder in das Zimmer zurück.
Maria Sergievna stand wie vorher am Kamin, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, nachdenkend, nach der Seite schauend.
„Weshalb ist diese herrliche Nacht für Sie gleichgültig?“ frug ich.
„Weil ich mich langweile. – Sie pflegen sich auch stets ohne Ihren Freund zu langweilen; ich aber langweile mich ohne Unterlaß … ohne Ende … übrigens, das hat für Sie kein Interesse …“
Ich setzte mich an den Flügel und nahm einige Akkorde, erwartend, was Maria Sergievna noch weiters sagen wird.
„Meinetwegen tun Sie sich keinen Zwang an,“ sprach sie ärgerlich und aufgebracht, in einem Tone, der dem Weinen näher als dem Lachen lag. „Sind Sie schläfrig, so gehen Sie schlafen. – Glauben Sie ja nicht, daß, wenn Sie ein Freund des Dimitrij Petrovič sind, Sie auch die Verpflichtung haben, mit seiner Frau sich langweilen zu müssen. – Ich wünsche und verlange keine Opfer. Gehen Sie gefälligst.“
Ich aber ging nicht.
Sie trat hinaus auf die Terrasse; ich blieb im Zimmer zurück, wo ich mich etwa fünf Minuten lang mit dem Durchblättern von Notenheften beschäftigte.
Dann ging auch ich hinaus.
Wir standen nebeneinander, im Schatten der Vorhänge an den Terrassefenstern, während unter uns die breite, in den Garten führende Treppe vom Mondeslichte übergossen war.
Über die Blumenbeete und den gelben Sand der Gartenwege legten sich die tiefschwarzen Schatten der Bäume.
„Ich muß morgen früh auch wegfahren,“ sagte ich.
„Das ist ja selbstverständlich; denn wenn der Mann nicht zu Hause ist, dürfen Sie auch nicht hier bleiben,“ gab sie spöttisch zur Antwort. „Ich stelle mir lebhaft vor, wie Sie sich unglücklich fühlen würden, wenn Sie sich in mich verlieben sollten! – Doch warten Sie, ich werfe mich Ihnen gelegentlich selber auf den Hals … ich werde dann sehen, mit welchem Schrecken und Entsetzen Sie weglaufen werden. – Das wird sehr ergötzlich sein.“
Ihre Stimme klang ärgerlich, ebenso zeigten ihre Mienen einen großen Verdruß; aber ihre Augen leuchteten voll begehrlicher, leidenschaftlicher Liebe.
Ich betrachtete dieses wunderbare Wesen bereits als mein Eigentum und zum erstenmale bemerkte ich, daß sie Augenbrauen von einer solchen eigenartigen Schönheit besitze, wie ich sie noch nie bei irgend einer anderen Frau gesehen habe.
Der Gedanke, daß ich dieses wunderschöne Weib an mich ziehen, es liebkosen, ihr prachtvolles Haar berühren und küssen könne, machte mich unendlich glücklich, mir schien, als wäre dies alles ein schöner Traum, ein Phantom, eine Erscheinung der Einbildungskraft, so daß ich die Augen schloß und lächelte.
„Übrigens, es ist schon spät! … Angenehme Ruh’ …“ sprach sie.
„Ich will aber keine angenehme Ruh’ haben …“ sagte ich, lachend hinter ihr in das Zimmer tretend. – „Ich verfluche diese Nacht, wenn sie ruhig verlaufen sollte.“
Ihre Hand drückend und sie zur Tür begleitend, sah ich in ihrem Gesichte, daß sie mich begriff und froh ist, daß ich sie ebenfalls begriffen habe.
Ich ging in mein Zimmer; auf meinem Tische neben den Büchern und Zeitungen lag die Mütze des Dimitrij Petrovič, und diese erinnerte mich an seine Freundschaft.
Ich ergriff meinen Stock und ging in den Garten.
Die Nacht begann sich ihrem Ende zuzuneigen; um die Bäume und Sträuche herum bewegten sich und wogten dieselben großen und kleinen Phantome und Erscheinungen, welche ich über dem Flusse schweben sah.
Wie Schade! daß ich mit ihnen nicht reden konnte.
In der ungewöhnlich klaren, durchsichtigen Atmosphäre der Nacht hob sich deutlich jedes Blatt, jedes Ästchen, jeder Tautropfen ab – alles lachte mich an wie im Halbschlummer!
An den grün angestrichenen Bänken vorübergehend, erinnerte ich mich an eine Stelle aus einer Shakespear’schen Komödie: „wie süß schläft hier auf der Bank des Mondes Licht …“
Im Garten war ein kleiner Hügel aufgeworfen.
Ich bestieg denselben und setzte mich dort auf die Bank.
Mich quälte ein eigenartiges wohliges Gefühl!
Ich war im voraus davon überzeugt, daß ich sie umarmen, ihren duftenden Leib an mich drücken, ihre goldigen Augenbrauen küssen werde, und dennoch schien es mir, als wenn dies alles bloß ein Traumgebilde sei, ein Schatten, eine Einbildung, die mich nur necken will und verfliegt; dann war es mir wieder leid, daß sie mich zu wenig quält und sich mir so bald gibt.
Plötzlich ließen sich schwere Schritte vernehmen.
In der Allee zeigte sich eine männliche Gestalt mittlerer Größe, in welcher ich sofort den Gavruša erkannte.
Er setzte sich auf eine Bank und seufzte hörbar tief auf, dann bekreuzte er sich dreimal und streckte sich auf derselben aus.
Nach wenigen Augenblicken stand er wieder auf und legte sich auf die andere Seite; Mücken und die Feuchtigkeit der Nacht hinderten ihn einzuschlafen.
„Ist das ein Leben,“ sprach er. „Unglückliches, bitteres, schweres Leben!“
Seine abgemagerte, gebeugte Gestalt, seine tiefen Seufzer erinnerten mich an ein anderes, nicht minder unglückseliges bitteres Leben, an einen Mann, der mir erst vor wenigen Stunden seinen Kummer beichtete, und ich wurde traurig über mein Glück.
Ich stieg vom Hügel herunter und ging dem Hause zu.
Das Leben ist nach Ansicht dieses Mannes fürchterlich – dachte ich – also, warum sich mit demselben quälen, besser ist es mit demselben zu brechen, ehe es dich selbst erdrosselt; nimm von ihm deshalb alles, was es dir bietet und was du ihm wegnehmen kannst.