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Sechzehntes Kapitel
Was wird er tun?
Ehe ich jedoch in meiner Erzählung fortfahre, in welcher Art er die Angelegenheit des Introligators zu Ende führte und ein gerechtes Urteil fällte in einem Falle, welcher gesetzmäßig dem weltlichen Richter und nicht dem geistlichen vorbehalten war, will ich noch eines Falles erwähnen, der in Kiev vorfiel und in welchem der Mitropolit einen besonderen Beweis seines Mitleidens und seiner Herzensgüte zur Äußerung brachte.
In der Familie des T. ereignete sich großes Unglück; die hochgebildete, hochherzige, sehr religiöse Dame K. F. endete durch Selbstmord, hinterließ aber derartige Anordnungen, daß man diesen Selbstmord nicht als die Folge einer Geistesverwirrung ansehen konnte; ebenso wenig lag irgend ein Grund vor, an eine Gehirnanomalie zu glauben.
Der Arzt gab sein Zeugnis dahin ab, daß eine krankhafte Änderung im Gehirn nicht vorgefunden worden ist, worauf die Polizei eine Beerdigung auf dem Kirchhofe nicht gestatten wollte.
Alles dieses hat die durch den unverhofften und unerklärlichen Selbstmord eines Familiengliedes in die tiefste Trauer versetzten Angehörigen der Toten tief niedergebeugt und trostlos gemacht, aber gegen die Anordnung der Polizei, weil im Gesetze begründet, konnte nichts gemacht werden.
Der Verwandte der Familie, Redakteur des „Kiever Telegraf“, Alfred Jung, eilte zum Mitropoliten und bat ihn zu gestatten, daß die Selbstmörderin in üblicher Weise durch die Geistlichkeit auf dem Kirchhofe in geweihter Erde beerdigt werde, ohne Rücksicht auf das ärztliche Zeugnis und Verbot der Polizei.
Der Mitropolit empfing den Bittsteller trotz vorgerückter Stunde sehr freundlich, dieser teilte ihm das Unglück und die Bitte der Familie mit, worauf sich der Mitropolit, mit dem Kopfe schüttelnd, seufzend dahin äußerte, daß er die Selbstmörderin persönlich sehr wohl kannte und sie bedauere.
„Die Arme; Arme … ich kannte sie sehr wohl … kannte sie, die Arme …“
„Eminenz! man will nicht erlauben, sie nach kirchlichem Gebrauche in geweihter Erde beizusetzen … für die Familie ist dieses schrecklich, fürchterlich!“
„Warum nicht begraben? … Wer erlaubt sich dieses zu verbieten? …“
„Die Polizei …“
„Was geht das die Polizei an,“ unterbrach der Mitropolit den Redakteur Jung … „Ei, ei! was die sich ausgedacht …“
„Es ist deshalb, Eminenz, weil der Arzt gefunden, sie hätte den Selbstmord bei vollem Bewußtsein ausgeführt!“
„Was hat der Arzt für Schlüsse zu ziehen? … was versteht der vom Verstande! … Das kenne ich besser … Frauenzimmer … schwaches … ohnmächtiges … Gefäß … – hinfällig … ich befehle, daß sie nach kirchlichem Brauche in geweihter Erde beerdigt werde … ja, ich befehle es … befehle es …“
Und wie er befahl, so geschah es!
Und etwas ähnliches konnte auch heute in Sache des Introligators vorfallen.
Nach einer Richtung hin war unser Fall dem eben erzählten ähnlich; der Mitropolit war heute noch derselbe wie damals, und heute konnte er eine Sache wiederum besser beurteilen, als wir übrigen; er konnte dort Gnade für Recht ergehen lassen, dort, wo man das Recht tatsächlich mit Füßen trat.
Gewiß wird er auch in unserem Falle sagen: ich kenne das besser … und damit diesen Fall beendigen.
Obzwar ich vordem Zweifel hegte, ja eine Möglichkeit, daß dem Introligator sein Recht werde, völlig ausschloß, fing ich nun an zu hoffen und erwartete, daß sich etwas ungewöhnliches, unvorhergesehenes, unerwartetes ereignen werde, besonders jetzt, seitdem Fürst Vasilčikov die ganze Sache zur Urteilsschöpfung einem Richter überließ, der am besten und klarsten das Recht vom Unrecht zu unterscheiden verstand.
Damals hatte ich noch nicht die Schriften des heiligen Augustinus7 gelesen, auch waren mir die geistreichen Ansichten Laurent Sterns8 noch nicht bekannt, aber mein einfacher Sinn setzte voraus, der Mitropolit könne es gar nicht zulassen, daß ein Mensch in den Schoß der allein seligmachenden Kirche aufgenommen werde, welcher nach der Ansicht Sterns dieser Kirche einen Besuch im Schlafrocke abstatte.
Welche Vorteile für die Kirche aus solchen Proselyten erwachsen, ist mir unbegreiflich; diese Leute bringen dem wahren Christentum mehr Schaden als Nutzen, denn sie vermehren die Zahl jener Personen ohne Glauben, ohne Ehre, ohne Überzeugung, welche nur den Namen Gottes lästern.
„Nein,“ sagte ich zu mir selbst, „nein! der Mitropolit wird gewiß das richtige Urteil fällen.“
Und ich irrte mich nicht!
Ich kehre nun zu meiner eigentlichen Erzählung zurück, um sie zu beendigen.
Ich unterbrach dieselbe in jenem Augenblicke als Drukart mit dem Juden zum Mitropoliten fuhr.
Siebzehntes Kapitel
Diesen erwähnten Tag war der Jude bedeutend ruhiger, seine Verzweiflung und Mutlosigkeit war eine schwächere, geringere, als am vorhergehenden Tage; er heulte, jammerte und ächzte auch heute noch, jedoch viel seltener, auch heute warf er sich hin und her und zuckte krampfhaft auf, aber alles dieses war, im Vergleiche zum vorhergehenden Tage, doch bedeutend mäßiger.
Diese Beruhigung konnte man dem Umstande zuschreiben, daß er seinen Sohn, wenn auch aus ziemlicher Entfernung, gesehen hat, da derselbe in demselben Wirtshause interniert war, wo die anderen Rekruten bewacht wurden.
Sowie Drukart den Introligator neben sich in den Schlitten setzte, fingen die früheren Erscheinungen der Verzweiflung und Mutlosigkeit, des Jammers und der Angst in stärkerem Maße aufzutreten.
Wie man mir später erzählte, soll sich der Jude wie ein Wahnsinniger, überhaupt wie einer, der den Verstand verloren hat, gebärdet haben, er griff mit beiden Händen an den Kopf, sprang auf, schrie, schwenkte mit den Händen in der Luft, ja soll während der Fahrt einigemal versucht haben, aus dem Schlitten herauszuspringen und wegzulaufen.
Wohin? – Warum und weswegen? – darüber dürfte er sich selbst nicht klar gewesen sein; aber als sie durch das Festungstor fuhren, da gelang es ihm doch aus dem Schlitten herauszuspringen, dabei fiel er jedoch auf einen Schneehaufen, sprang jedoch rasch auf, lief gegen die Mauer, und die Hände ringend schrie er helllaut:
„Oi! Jeschu! Jeschu! … Was wird der Pop mit mir machen?“
Zwei diensteifrige Soldaten, welche in diesem Augenblicke vorübergingen, griffen den Juden auf, jagten ihm Furcht ein und setzten ihn wieder in den Schlitten.
In wenigen Minuten hielt dieser vor der sogenannten „goldenen Pforte“ an.
Das Gebaren des Juden in der Zeit, während seine Angelegenheit dem Mitropoliten zur Entscheidung vorgetragen worden ist, soll unbeschreiblich gewesen sein; er verbeugte sich und machte tiefe Bücklinge und Reverenzen nicht nur vor allen ihm begegnenden Mönchen und dienenden Brüdern, sondern auch vor den Bildern, welche einen außergewöhnlich großen Eindruck auf ihn geübt hatten.
Dabei hörte er aber nicht auf zu seufzen und zu jammern.
Ein halbblinder alter, dienender Bruder, der stets mit einer Büchse und geheiligtem Wasser unter dem Tore saß, besprengte den Juden mit demselben; der Jude jedoch beeilte sich die wenigen Tropfen Wasser, welche auf ihn fielen, so rasch wie tunlich abzuwischen.
Jetzt erst war der Schlitten so weit, um bald vor der Residenz des Mitropoliten anzuhalten; es handelte sich nun darum, ob der Mitropolit den Drukart mit dem Juden überhaupt empfangen wird, oder ob gewartet werden müsse.
Drukart hat alles während der Fahrt wohlweislich nochmals bedacht, namentlich in welcher Art und Weise er den Auftrag des Fürsten an den Mitropoliten ausführen soll.
Zuerst war er der Ansicht den Juden im Schlitten zurückzulassen, selbst um Audienz beim Mitropoliten zu bitten, diesem die Angelegenheit kurz, in wenigen Worten, mitzuteilen, dabei gleichzeitig seine Rede so zu halten, daß beim Mitropoliten Mitleid und Interesse für den Juden erregt werde; was dann sein wird – das wird sein!
Wenn alles so sich ereignet hätte, wie es gedacht worden, wer weiß, ob das Ende so ausgefallen wäre, wie dies später der Fall gewesen.
Ich habe schon erwähnt, was für ein herrlicher, schöner, warmer Tag gewesen.
Der Mitropolit stand zu jener Zeit bereits hoch in Jahren, fast an der Neige des Lebens, war fast fortwährend kränklich, mitunter litt er schwere Schmerzen und mußte längere Zeit das Bett hüten.
Sein Leibarzt war Professor Vl. Af. Karavaev, der eigentliche behandelnde Arzt jedoch dessen Gehilfe Zaslavskij, welchen der Metropolit „Vater Zaslavskij“ zu nennen pflegte.
In der Zwischenzeit, wo er den Zaslavskij nicht nötig hatte, unternahm er nicht selten sogar kleine Spaziergänge in freier Luft.
Drukart und der Jude kamen gerade zu einer Zeit, die nicht besser und erwünschter sein konnte.
Der Schlitten bog um den Glockenturm, um vor die Residenz vorzufahren, als Drukart eine kleine Gruppe von Mönchen entdeckte, welche vor dem Eingangstore des Klosters standen; unter ihnen befand sich der Mitropolit.
Derselbe entschloß sich an diesem wunderschönen Tage frische warme Luft zu atmen und ist ohne Kopfbedeckung, ohne alle Zeichen seiner hohen Würde – im einfachen Hauskleide, einem kurzen warmen Pelzrock vor das Haus gegangen.
Drukart erkannte den Mitropoliten schon von weitem, stieg aus, und an den Mitropoliten tretend, fing er an ihm die Ursache seines Kommens und seines Auftrages mitzuteilen.
Der Mitropolit hörte anscheinend ohne jede Aufmerksamkeit die Erzählung an, und mit den Augen blinzelnd, hörte er nicht auf, eine der Kuppeln auf dem Dome zu betrachten, auf welcher im Sonnenscheine Tauben, Dohlen, Krähen, Raben, Spatzen sich durcheinander tummelten oder ruhig saßen.
Es schien, als wenn der Mitropolit für gar nichts anderes Interesse hätte, als für die auf der Kuppel sitzende, huschende, springende, streitende Vogelschar; doch als Drukart im Laufe der Erzählung zu jener Tatsache kam, wo der Gemietete den Mieter betrog, da lächelte der Mitropolit stille vor sich hin und sprach:
„Sieh! der Dieb stahl dem Dieb den Stock!“ und mit dem Kopfe schüttelnd, setzte er seine Betrachtungen der Vogelwelt weiter fort.
„Euere Eminenz!“ fuhr Drukart fort, „die Angelegenheit befindet sich nun in folgendem Stadium …“ er machte die Folgen des Ausganges dem Mitropoliten klar …
Dieser schwieg nach wie vor, atmete mit großen Zügen tief die milde frische Luft ein und betrachtete die Vogelwelt.
Die Stellung des Abgesandten des Fürsten fing recht unbequem zu werden – er fügte noch einiges nebensächliche hinzu und unterbrach dann seine Rede.
Der Mitropolit schwieg und vertiefte sich in seine Betrachtungen.
„Was befehlen, Euere Eminenz, daß ich dem Fürsten mitteile,“ frug endlich Drukart, „Seine Excellenz bittet, da ihm das Gesetz die Möglichkeit benimmt …“
„Gesetz … Möglichkeit … mich bittet? …“ sprach der Mitropolit in einer Weise, als wenn er laut denken und etwas erwägen würde, dann schaute er plötzlich den Introligator, der in großer Angst in einiger Entfernung von den anderen stand, scharf an.
Die Augenlider des Mitropoliten hoben und senkten sich rasch und langsam sprechend meinte er:
„Ach! – was soll ich mit Dir, Jude, anfangen?“ jedoch später zufügend:
„Wie bist Du aber dumm!“
Der sich krampfhaft windende Jude hörte die an ihn gerichtete Rede an, fiel zur Erde, krümmte sich, weinte, jammerte:
„Jeschu! Jeschu! Hanozri!“
„Warum schreist Du, dummer Jude!“
„Oi! Euere … oi! … Euere Eminenz … wenn … wenn … wenn sich niemand … wie Sie …“
„Nein, nicht ich, sondern Gott allein … Du Dummkopf!“
„Oi Gott! … oi Gott! … oi Jeschu! Jeschu! …“
„Warum rufst Du immer Jeschu an? – sage einfach Herr Jesus Christus!“
„Oi … wenn … Herr oi … Sus Chrischt! … oi … oi … gib mir … gib mir … Herr … Herr … gib mir mein Kind!“
„Nun also, Dummkopf!“
„Er ist bereits halb wahnsinnig,“ meinte Drukart – „aufrichtig gestanden, es ist sogar höchst merkwürdig, daß er es noch nicht geworden ist, und daß er sich überhaupt bei allem dem Unglück, das ihn betroffen, noch so weit erhalten kann.“
Der Mitropolit atmete tief auf, sprach leise und langsam:
„Die Liebe macht nie schwach!“ und die Augen wiederum der Vogelschar auf dem Dache zuwendend, sprach er plötzlich, wie zu sich selbst sprechend:
„Ist unwürdig die heilige Taufe zu empfangen … wegschicken … unter die Soldaten …“ damit drehte er sich um und ging ohne weiteres zu sagen in seine Wohnung zurück.
Eine Berufung gegen dieses „Urteil Seiner Eminenz“ gab es nicht; alle waren mit demselben – den Schneider ausgenommen – zufrieden, alle gleichzeitig darin einig, daß der friedfertigste aller Priester, über den Parteien stehend, das Richtige gefunden und den stark verwickelten Knoten in einfacher Weise gelöst habe.
Den der Taufe unwürdig befundenen Schlaukopf führte man sofort zur Stellung, schnitt ihm das Haar ab, und dem überglücklichen Vater übergab man das Kind, seinen Sohn.
An ihrem gegenseitigen Glücke sich zu freuen gab es keine Zeit.
Der geschorene Mietling ließ sich aber, wie mir später mitgeteilt wurde, dennoch taufen, mehr jedoch wegen der 30 Rubeln, welche zu jener Zeit jeder Jude erhielt (wohl als Prämie), der sich taufen ließ.
Es scheint also, daß keine Seite einen Verlust zu verzeichnen hatte.
Mit diesem könnte ich zwar meine Erzählung beschließen, wenn ich nicht eine merkwürdige Begegnung gehabt hätte, welche teilweise in einer gewissen Verbindung mit dem Erzählten steht.
Achtzehntes Kapitel
(An Stelle eines Epilogs.)
Der Krieg in der Krim war beendet, der Friede geschlossen worden.
In der Litteratur zeigte sich eine neue Strömung; eine nicht geringe Zahl junger Leute verließ den Staatsdienst und widmete sich ganz der Litteratur; oder sie suchten und fanden Beschäftigung in verschiedenen Privatunternehmungen, welche wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden schossen.
Ich selbst bin Teilhaber eines englischen Handlungshauses geworden, in dessen Interesse ich fast das ganze Jahr ununterbrochen reisen mußte.
Sobald es das Geschäft verlangte, mußte ich mich dann und wann in irgend einer Stadt längere Zeit aufhalten, und da ich in solchen Fällen viel freie Zeit hatte, las ich viel und schaffte mir ältere und neuere Werke über jene Gegenstände an, welche gerade mein Interesse in Anspruch nahmen.
Gelegentlich eines Aufenthaltes in dem berühmten und bekannten Wallfahrtsorte Sergiev-Troica kaufte ich zufällig auf dem dortigen Markte die Schriften Voltaires, in welchen mich besonders jene Stellen interessierten, welche Bezug auf die Bibel hatten.
Was die Bibel sei, wie und warum von Moses die fünf Bücher geschrieben, in welcher Art das goldne Kalb zu Pulver gestoßen werden konnte, da sich das Gold nicht pulverisieren lasse … alles dieses und ähnliches ließen mich darauf bezügliche befriedigende Antwort suchen.
Ich wollte um jeden Preis die schon damals äußerst seltene russische Ausgabe der „Jüdischen Briefe an Herrn Voltaire“ kaufen und wendete mich an eine Buchhandlung in Moskau, die jedoch das Buch nicht besaß.
Mir wurde eine zweite Buchhandlung empfohlen, welche sich speziell mit dem Handel mit seltenen Büchern befaßt; hier versprach man mir das erwähnte Buch zu verschaffen, da man dort wußte, in wessen Besitz sich ein Exemplar der „Jüdischen Briefe“ befinde.
Ich wartete längere Zeit; auf meine Anfragen, wann ich in den Besitz des Buches kommen kann, bekam ich die stereotype Antwort, der Besitzer desselben, ein Buchbinder, sei abgereist, müsse aber bald zurückkommen.
In dieser Weise zog sich die Angelegenheit in die Länge und ich war nahe daran abzureisen, als ich, nochmals die Buchhandlung aufsuchend, die Auskunft erhielt, der Buchbinder sei zurückgekehrt, ich soll nur einige Augenblicke warten, er werde selbst kommen und das Gewünschte bringen.
Ich setzte mich, durchblätterte die aufliegenden alten und neuen Bücher, als man mit einemmale ausrief:
„Er kommt!“
Ich blicke auf und sehe in den Laden einen alten Mann eintreten, mit mildem, ruhigen Gesichtsausdruck, ausgesprochen jüdischen Typus, mit schneeweißem Haare, gekleidet nach üblicher kleinbürgerlich russischer Art, weiter langer Rock, eine Mütze mit breitem Boden und großem Schirm; in der Hand trug derselbe in ein blaugefärbtes Baumwolltuch eingebunden einige Bücher.
„Ei! Gregor Ivanič, wie lang ist es schon, daß sie sich bei uns nicht sehen ließen?“
„Hatte keine Zeit gehabt,“ gab er ruhig zur Antwort, das Bücherpaket auf den Ladentisch legend.
Ein weiteres Gespräch wurde nicht geführt; er erhielt Geld, während man mir zusagte die Bücher nebst Rechnung in meine Wohnung zu schicken.
Das war selbstverständlich ein kaufmännischer Vorfall – doch damit war die Sache nicht beendet.
Mich interessierte die Person des Buchbinders und ich leitete ein Gespräch mit ihm an, anknüpfend an den Inhalt der gelieferten Bücher „Jüdische Briefe an Herrn Voltaire.“
„Der Inhalt der Bücher ist wohl sehr interessant?“ frug ich.
„Nun … ja …“ gab er zur Antwort, „gewiß – interessant für den, der sie nicht gelesen …“
„Meinen Sie nicht, daß diese Briefe von Rabbinern wirklich geschrieben seien?“
„Nn … nn … Gott allein weiß es,“ gab er sichtlich ungern zur Antwort, doch setzte er dann mit einigem Lächeln hinzu: „sie dürften wohl einiges über die Bibel gelesen haben (in seiner Rede gab es eine große Zahl spezifisch jüdischer Ausdrücke), sie ist still und stumm, wie die Wüste Sahara über Einzelnes, über Anderes aber weitschweifig, laut, ausführlich wie Moses … Wer kann daraus klug werden? … Fu! aus dem alten Testament kann man gar nichts herauslesen! … das neue Testament dagegen! die Evangelien! … das ist etwas ganz Anderes … in diesem ist alles klar, einfach, deutlich ausgedrückt … begreiflich … die Bibel …“ und er machte mit der Hand eine abweisende, abwehrende Bewegung und schloß mit den Worten:
„Gott weiß, wer und was damals und auf was geschrieben worden ist … darüber könnte man ja den Verstand verlieren!“
Ich äußerte mein Erstaunen darüber, daß er die Evangelien und das neue Testament kenne.
„Und was ist merkwürdiges daran? bin ich ja doch ein Christ.“
„Und ist es schon lange her, daß Sie sich taufen ließen? …“
„Nein, nicht sehr lange …“
„Und wer hat Sie von der Wahrheit unseres Glaubens überzeugt?“
„Das kann man klar aus dem alten Testamente herauslesen, denn dort steht geschrieben, daß ein neuer Erlöser kommen und eine neue Kirche gründen werde, und diesen Messias habe ich selbst, mit eigenen Augen gesehen … Warum soll man noch warten, wenn er schon unter uns sich befindet?“
„Übrigens haben andere Juden dasselbe gelesen wie Sie, glauben es aber doch nicht?“
„Nein, sie glauben es nicht, weil Verschiedenes im Talmud geschrieben steht, und sie die Stellen, weiß Gott, in welcher Art auslegen: was es für einen Messias geben wird, wo und wie er erscheinen und in der Welt wandern wird und vieles Andere … doch das alles ist leeres Geschwätz … der Messias ist gekommen, gekleidet in unser sklavisches Äußere und wir haben nichts anderes zu tun, als seine Lehren zu befolgen … Leben Sie wohl … Auf Wiedersehen …“
Er verbeugte sich und ging.
Ich unterhielt mich mit dem Buchhändler über diesen Mann, welcher mir sagte, daß der Buchbinder sehr gebildet und geistreich sei.
„Ja,“ frug ich, „sagen Sie mir, welchem Glauben gehört er eigentlich an?“
„Er ist ein getaufter Jude, einzelne halten ihn für einen Missionär.“
„Er scheint viel gelesen zu haben?“
„Das ist sicher und wahr, nur spricht er sich nicht gerne aus und selten werden Sie ihn namentlich über alte und seltene Bücher ein Urteil fällen hören, höchstens einzelne Worte oder kurze Sätze, dann eine abwehrende Handbewegung, das ist alles; aber seinen Juden, denen erklärt er das neue Testament, die Evangelien, sucht sie zur neuen Kirche zu bekehren, wofür er von ihnen vieles zu leiden hat. Nicht selten haben sie ihn geschlagen, ja erdrosseln wollten sie ihn sogar, ohne daß er Zeichen irgend einer Gegenwehr, Ungeduld von sich gegeben hätte … Christus ist gekommen … predigt er … und einen zweiten wartet nicht ab … er kommt nicht mehr und wird nicht mehr sein.“
„Und sie? die Juden?“
„Gestikulieren, werfen mit den Händen hin und her, schreien wie wilde Tiere, als hu! hu! … und schließlich ist nichts … sie nehmen Verstand an.“
„Und seine Familie? … sind sie auch getauft?“
Der Buchhändler lachte laut auf:
„Was ist für ihn Familie, da er ja großer Ungläubiger ist!“
„Wie so ungläubig?“
„Wie kann man ihn anders nennen, er hält sich an keine Regel und Geld?“
„Das Geld liebt er wohl?“
„Besitzt für ihn gar keinen Wert, was er in die eine Hand erhält, verteilt er mit der anderen.“
„An wen?“
„An wen immer.“
„An Juden bloß oder auch an Christen?“
„Ich sagte doch: an wen immer … Man hält ihn für geistesschwach.“
„Was Sie sagen!“
„Man erzählt, es wäre mit ihm etwas eigenartiges vorgefallen?“
„Was denn?“
Da machte der Buchhändler eine eigenartige Geste mit der Hand.
„Es ist schon lange her, da haben sie seinen Sohn in der Nacht geraubt und wollten ihn unter die Soldaten stecken. – Da soll ihm etwas eigenartiges zugestoßen sein; ein Krokodil soll ihn gebissen haben, auch soll etwas mit dem Ersatzmann vorgefallen sein, so daß sie diesen nicht unter die Soldaten nehmen wollten, bis ihn der damalige Mitropolit Filaret in Kiev segnete und ihm dann das Haar schneiden ließ. Der Sohn des Buchbinders ist kurze Zeit darauf gestorben; gemartert haben sie ihn, sagt er, die Lieferanten; auch seine Frau ist gestorben und er selbst – dieser Mann – ist stark in seinen Vermögensverhältnissen heruntergekommen; er kam zu der Einsicht, daß es nötig sei, nicht nur auf das, was auf der Erde vorgeht, zu achten, sondern auch das zu glauben, was im Himmel geschieht und fand, daß es wohl das beste sei, sich taufen zu lassen.“ Und diese Mitteilung brachte mir plötzlich jenen Vorfall in Erinnerung, wo ich diesem Manne, unter ganz anderen Verhältnissen, zum erstenmale begegnete.
Und abermals bestätigte sich das Wahrwort: „Die Berge wohl nicht, aber die Menschen begegnen sich!“
Er war selig und zufrieden und reich im Glauben!