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Siebentes Kapitel
Der jüdische Schneidergeselle, welcher sich anwerben ließ, um Soldat zu werden, war ziemlich gut über die in Kiev herrschenden Verhältnisse unterrichtet.
Diese Kenntnis wollte er nicht nur für seine eigenen Zwecke ausnützen, sondern auch dabei gleichzeitig den Introligator ungestraft zu Grunde richten.
Sein Plan war vorzüglich ausgedacht.
Während der Introligator die bekannte Bittschrift verfasste, in welcher er bat, mit der Einstellung seines Sohnes solange warten zu wollen, bis er mit dem Ersatzmanne ankomme, schrieb der Schneider einen herzbrechenden Klagebrief an die in Kiev allgemein bekannte Baronesse B., welche – nach außen hin – eine außergewöhnliche Frömmigkeit zur Schau trug.
Der listige Jude schilderte in lebhaften Farben, wie er von seinen Stammesgenossen verfolgt werde, was er leiden müsse, daß seine Geduld bereits erschöpft sei und er sich entschloß unter die Soldaten zu gehen; wie er aber plötzlich erleuchtet wurde, wie ihm jene Wohltaten, welche nur hochgeborene Christen auszuüben pflegen, namentlich jenen, die sich entschlossen haben, den wahren Weg des Christentums zu wandeln in Erinnerung gekommen seien; er habe deshalb beschlossen, sich – taufen zu lassen.
Er rechnete weiter, daß, wenn es ihm gelingt dem Introligator noch vor seiner Ankunft in Kiev zu entlaufen, er bei seiner Ankunft dort Gönner finden wird, die ihn vor dem Verfolger schützen werden dadurch, daß sie ihm einen Aufenthalt in irgend einem Kloster vermitteln, so lange, bis er die heilige Taufe empfangen habe.
Sollte ihm sein Fluchtplan nicht gelingen, so hatte er schon auch nach dieser Richtung hin Vorkehrungen getroffen, indem er in dem Briefe die Baronesse bat, ihn schützen zu wollen, und dahin ihm behilflich zu sein, daß er so rasch wie tunlich getauft werde und so Aufnahme finde in der christlichen Gemeinschaft, nach welcher er sich so sehr sehne.
Der Jude bat weiter die Frau Fürstin Katharina Aleksejevna mit seinem Wunsche bekannt zu machen, auf deren religiösen Eifer er alle seine Hoffnungen baue.
Dieser Brief gab der Baronin Vorwand bei vielen gewichtigen und einflußreichen Persönlichkeiten vorzusprechen, wobei sie Gelegenheit fand ihre Religiosität und ihren Eifer für die Ausbreitung des Christentums ins hellste Licht bringen zu können und leuchten zu lassen; namentlich fand sie bei der Fürstin sofort die tatkräftigste Unterstützung und die Erlaubnis in diesem Falle im Namen der Fürstin bei allen jenen Personen dasjenige zu erwirken, was sich als nötig erweist.
Dieser Auftrag bezog sich hauptsächlich auf jene, denen die Fürstin keine Befehle erteilen konnte; diejenigen, welchen sie befehlen konnte, kamen gar nicht in Betracht.
Mit einem Wort, ehe der Tag zu Ende ging, hatte die Baronin alles, was ihr zum Schutze des Juden nötig erschien, vorbereitet, so daß derselbe nach seiner Ankunft in Kiev es nur nötig fand, bei dieser oder jener Person, welche von dessen Ankunft und Plänen unterrichtet war, vorzusprechen, um – geschützt und gerettet zu sein.
Besseres konnte sich der Jude auch gar nicht wünschen; außerdem haben auch andere Umstände zu seinen Gunsten gewirkt, daß er nicht nur den ersten, sondern auch den zweiten Teil seines Programmes in Ausführung bringen konnte, d. h. es gelang ihm, seinem Kontrahenten entlaufen zu können, während dieser einen Tag durch nutzloses Suchen und Nachfragen in den berüchtigten jüdischen Herbergen Weißkirchens verlor, in diesem nach Berdičev größten, von Juden bevölkerten Orte mit seinen zahlreichen berüchtigten und gefürchteten Jüdenschenken.
Ehe der durch furchtbare Schicksalsschläge zerschmetterte und fast sinnlos gewordene Introligator in Kiev ankommen konnte, in einer Stadt, wo er zu seinem Unglück überhaupt niemanden kannte und auch nicht wußte, an wen er sich wenden sollte und könnte, saß sein Flüchtling, geschützt von hochgestellten Persönlichkeiten, hinter Klostermauern, ließ sich schmackhaft zubereiteten Fisch schmecken und ruhte in der warmen Zelle eines Mönches von der während seiner Flucht erlebten Aufregung aus.
Dieser Mönch war beauftragt, den Juden in so kurzer Zeit als möglich zur Taufe vorzubereiten.
Der Introligator, welcher mir unter Weinen und Wehklagen diese ganz eigentümliche Geschichte erzählte, teilte mir auch mit, wie er es erfuhr, wo sich der Lump gegenwärtig aufhalte.
Er erzählte, wie viele Groschen und wo er sowohl an geistliche wie weltliche Personen gezahlt habe, wie er in einer aufgelassenen Lehmgrube bald ertrunken und in einer Ziegelei fast verbrannt wäre, wie er auf eine unerklärbare Art und Weise in eine Klosterbäckerei geriet; er erzählte dies alles lebhaft, plastisch und doch bei allem dem gleichzeitig außerordentlich rührend und gleichzeitig lächerlich; man war sich überhaupt darüber nicht klar, sollte man über seine Erzählung lachen oder weinen.
Während dieser Zeit, als der Introligator, vor meinem Tische stehend, seine Geschichte erzählte, dabei weinte, ächzte, seinen zerlumpten Rock zerriß, fühlte weder ich noch irgend einer von meinen Beamten Lust über den Juden zu lachen oder sich über denselben lustig zu machen.
Wir alle – bei unserer unglückseligen Angewohnheit und Abhärtung gegen ähnliche Ausbrüche von Gram, Klage und Marter – waren, wie es schien, völlig niedergeschmettert durch den Ausbruch des grenzenlosen Leidens und Schmerzes des Juden, welcher tatsächlich blutigen Schweiß bei diesem Armen hervorrief.
Ja, diese schlechtriechende Flüssigkeit, mit welcher die vor mir liegenden Papiere durchfeuchtet waren, war nichts anderes als der „blutige Schweiß“, welchen ich in meinem Leben nur ein einzigesmal, und zwar nur in diesem Falle mit eigenen Augen zu sehen Gelegenheit hatte.
In dem Maße, als dieser lebend nicht erfrorene und lebend nicht verbrannte Jude in der Stubenwärme auftaute, schien seine Stirne mit den an diese angefrorenen Haaren, seine krampfhaft zusammengeballten Hände, seine unter dem Lapserdack offen liegende Brust – wie mit feinen Wunden bedeckt, aus welchen eine rote Feuchtigkeit austrat, wie jene ersten Tropfen der Flüssigkeit von roten Beeren, welche man beim Auspressen aus den Poren eines Leinwandstückchens heraustreten sieht.
Doch die feinen rosigen Tropfen auf der Menschenhaut zu sehen, war fürchterlich!
Wer niemals Gelegenheit gehabt „blutigen Schweiß“ zu sehen und derer dürfte es gewiß außergewöhnlich viel geben, um so mehr, als die Möglichkeit des Vorkommens eines solchen Schweißes geleugnet und in Abrede gestellt wird – diesen allen kann ich sagen, daß ich selbst, mit eigenen Augen solchen blutigen Schweiß tatsächlich gesehen, und daß dieser Anblick unbeschreiblich fürchterlich ist.
Diese rötlichen, moosbeerensaftfarbigen Tröpfchen und Flecke an der Brust dieses Juden stehen noch heutigen Tages unverwischbar, deutlich und klar vor meinen Augen, und mir kommt es vor, als wenn ich durch dieselben das offene Herz dieses zermarterten Mannes gesehen hätte – das Herz eines Vaters, welches für sein eigenes Blut, seinen Sohn, die größten Qualen und Marter aushält, nur um diesen, seinen Sohn, retten zu können.
Ich behaupte nochmals, das, was ich gesehen, war fürchterlich!
Die üppigen blonden Haare der letzten Königin Schottlands, gebleicht in der kurzen Spanne Zeit, in welcher die „Gentlemen“ die letzte Toilette derselben machten und sie an den Richtblock banden, diese Minuten der Angst der unglücklichen Königin konnten für diese nicht schrecklicher sein, als jene Stunden eines Vaters, der seinen Sohn retten kann und dabei blutigen Schweiß schwitzte.
Unwillkürlich erinnerte ich mich des blutigen Schweißes jenes großen Lehrers, welcher für die Sünden unserer Väter und für unsere eigenen sein Blut auf dem Kreuze vergoß und mein eigenes Blut flutete in vollem aufgeregtem Strome vom Herzen durch die sämtlichen Gefäße meines Körpers, es rief in meinen Ohren ein so heftiges Sausen und Brausen hervor, wie ich solches weder vor noch nach je empfunden habe.
Alle meine Gedanken, all’ mein Fühlen erlitt geradezu etwas ungewöhnliches, eigenartiges, noch nie dagewesenes, neben dem traurigen, schmerzlichen, drückenden gab es zu gleicher Zeit etwas angenehmes, liebliches.
Es schien mir, als wenn ich keinen gewöhnlichen Menschen, sondern ein blutiges historisches Symbol vor mir sehen würde.
Aufrichtig gestanden, ich war zu jener Zeit nicht ganz fremd einem gewissen Mystizismus, den ich auch jetzt nicht in Abrede stelle, da ich mir (die Herren Theologen um Verzeihung bittend) den Glauben ohne Mystizismus nicht vorstellen kann.
Unter dem Eindrucke des eben Erlebten und auch geradezu unter Einwirkung des sich stärker fühlbar machenden Mystizismus fing sich etwas eigenartiges, etwas geheimnisvolles, unbegreifliches in meinem Kopf und Herzen zu regen, etwas, was mit meiner gegenwärtigen Beschäftigung sich gar nicht in Einklang bringen ließ.
Die Geschichte, in welcher sich das Böse mit dem Guten, das Tragische der väterlichen Liebe und Sorge um seinen Sohn, sein liebes Kind und religiöse Fragen durch- und zwischeneinander mischten; die rohe Einrichtung in dem großen, halb dunklen, schlecht beleuchteten Saale, dessen Wände Meere von Tränen über für immer verloren gegangene Kinder gesehen haben; diese zwei Kerzen, welche das durch seelische Qualen, Angst und Sorge schmerzlich und krampfhaft verzerrte Gesicht des altbiblischen semitischen Individuums beleuchteten; dieser Ruf nach: „Jeschu! Jeschu Hanozri!“ – nach seinem Sohne – „oh! gibt ihn mir, meinen Sohn, zurück“ – „gebet ihn mir!“ – …: alles dieses erschütterte tief meine Seele und entriß mich geradezu der Gegenwart und der Wirklichkeit!
Ich empfand ein ganz unbestimmtes, eigentümliches Gefühl, eigenartige Gedanken durchschwirrten meinen Kopf, in gleicher Weise, wie solche Bischof Theofan mit großer Meisterschaft in seinen Briefen über „das geistige Leben“ beschrieben hat.
Von jetzt ab hat das Herz Übergewicht gefunden über den Verstand.
Er tat es mir an, dieser verzweifelnde Vater, mit dem blutigen Schweiße und dem offenen Herzen – ein Mensch aus jenem Stamme, der auf sich nahm das Blut jenes großen Erlösers, dessen Namen „Jeschu!“ er in seiner Angst anrief und den er um Rettung aus dieser schweren Lage bat! … wer kann es erklären, welche geheimnisvolle Kraft ihn dazu trieb den „Hanozri“ um Hilfe in der Not zu bitten?
Meine überspannten Nerven arbeiteten so, daß es mir schien, in diesen dem Staate gehörenden Räumen gehe etwas vor, was gegen den Staat gerichtet ist.
Hörte vielleicht Er die Klagerufe eines Vaters nach seinem Sohne und des Sohnes nach dem Vater? – Sah’ Er bereits das zerrissene Herz des aufgeregten Juden? – geht Er ihm bereits schon mit ausgebreiteten Händen entgegen, um ihn in diese zu schließen und ihm Hoffnung, Trost und Erlösung zu bringen? —
Darüber vergaß ich dem armen Juden den einzigen zum gewünschten Ziele führenden Rat zu geben, sich und seinen Sohn – taufen zu lassen!
Und in der Tat! wer und was hinderte ihn dieses zu tun, um so mehr, als er, der Vater „Jeschu Hanozri“ zur Hilfe rief, in diesem Augenblicke auch dem Erlöser näher stand, als jener Aussätzige, jener Lump, welcher sich vornahm über die Religion durch die Taufe sich lustig zu machen, sie zu profanieren und solche in den Augen seiner Stammesgenossen lächerlich zu machen.
Was würde daraus entstanden sein, wenn der Jude meine Gedanken erkannt und in Ausführung gebracht hätte?
Ein ungewöhnlicher, noch nie dagewesener Fall in der administrativen Gerichtspraxis, welcher aller Wahrscheinlichkeit nach den Anstoß zur gründlichen Revision des bestehenden Gesetzes Anlaß gegeben hätte.
Einen anderen Ausweg zu seiner und seines Sohnes Rettung sah ich nicht …
Aber ich vergaß Den, ohne dessen Willen kein Haar fällt vom Kopfe eines Menschen, ich vergaß Jenen, dessen Macht größer ist und herrlicher als jene sämtlicher Herrscher der Welt, die sich vor Ihm beugen müssen.
Mir ist gar nicht eingefallen, daran zu denken, daß dieser Jude, welcher den Namen „Hanozri“ so angstvoll und aus voller Seele anrief, diesen Namen beschimpfen und das Geheimnisvolle des heiligen Taufaktes lächerlich finden könnte, wie sich sein Ersatzmann zu tun vornahm.
Alles dieses und vieles andere durchschwirrte mein Kopf, um aufzutreten und auch sofort zu verschwinden.
Es wurde mir im Kopfe so schwer, es drückte wie Blei auf mein Gehirn; meine Gedanken wollten nicht in Weite fliegen, sondern sie trachteten, ähnlich einem naßgewordenen Vogel, sich unter dichtes Gebüsch und tiefen Schatten zu verbergen – ich sprach kein Wort – und tat wohl daran!
Möglicherweise wäre mein Rat nicht an die richtige Stelle zur richtigen Zeit gerichtet gewesen und ich wäre dadurch der Möglichkeit beraubt worden, einen Vorfall sehen und miterleben zu können, welcher die Machtlosigkeit der Menschen und die Erscheinung der göttlichen Vorsehung zu deutlicher, sichtbaren Äußerung brachte.
Achtes Kapitel
Nicht mein Herz, aber mein Verstand riet mir zu schweigen und nicht selbst tätig einzugreifen in eine Sache, welche nur der Herr des Lebens regeln und zum glücklichen Ausgang führen konnte.
Ebenso war es nicht meine Sache zum Leben rufen zu wollen einen Stamm, den das Schicksal niedergeschmettert hatte.
Wie das Glied dieses Stammes zum neuen Leben erweckt wurde … das geschah später … viel später, und unter Verhältnissen, die niemand vorhersehen konnte zu jener Zeit, von welcher ich jetzt erzählen werde.
Instinktiv fühlte ich, daß das, worüber wir uns so sehr aufregten, ein gutes Ende nehmen werde.
Mein Verstand lispelte mir zu nur ruhig zu sein, sich nicht aufzuregen über etwas, dessen Ausgang im voraus bestimmt ist; denn was geschehen soll und werde, sei voraus bereits bestimmt, weshalb ich nichts unternehmen soll, damit das Bestimmte nicht gestört werde und erfolge.
Vor allem sei Ruhe! – Ruhe! – nötig!
Um diese Ruhe zu erzielen, welche durch fortgesetztes Weinen, Seufzen, Wehklagen, Heulen des Juden gestört wurde, zu finden, stand ich, ohne ein Wort zu sprechen, auf, ging in den Vorsaal, zog meinen Pelz an und fuhr nach Hause, ohne mich um den Juden weiter zu kümmern.
Dieser mein Entschluß dürfte manchem ganz unbegreiflich vorkommen – möglicherweise wollte ich dem Schauspiele entgehen, das sich meine Beamten früher oder später mit dem Juden erlauben werden – doch dem war nicht so.
Warum ich in dieser Art vorging, ist mir selbst unbegreiflich und kann ich es mir auch heutigen Tages nicht erklären, aber mein Herz und auch mein Verstand sagten, daß dieses das beste sei, was ich tun könne.
Wie heute sehe ich noch in meinem Gedächtnisse jene klare frostige Mitternacht mit dem hoch am Himmel das schöne Kiev beleuchtenden Vollmond.
Zu jener Zeit war Kiev eine patriarchalische Stadt, denn „Chateau des Fleurs“ und andere Lokale ähnlichen Genres tauchten erst zu jener Zeit auf, als Anenkov das Palais des General-Gouvernements bewohnte.
Zu der Zeit, als ich vom Amte nach Hause fuhr, war bereits Ruhe und Stille eingetreten in Kiev; sie schliefen bereits, die Einwohner dieser großen historisch merkwürdigen Stadt; von hohem Turme des Klosters vernahm man die in langen Zwischenräumen zum Frühgottesdienste einladenden Glockenlaute.
Mein kleines, durch langes Stehen in dieser frostigen Nacht hart mitgenommenes Pferdchen, lief so rasch, daß der kleine Kutscher Mathias, Leibeigener von meinem Gute im Orlover Gouvernement, dasselbe kaum zu zügeln vermochte.
An der Straßenbiegung beim „Kaisergarten“ huschte auf einmal etwas an uns vorüber – ein Mensch und doch kein Mensch, Hund und doch kein Hund oder ein ähnliches Tier – worüber mein etwas scheues Pferdchen erschrak und auf die Seite sprang, daß sowohl ich wie mein Kutscher nahe daran waren, aus dem Schlitten herausgeschleudert zu werden.
Dieses etwas verfolgte uns den ganzen Weg, bald huschte es vor, bald hinter dem Schlitten, bald verschwand es im Schatten oder sprang und lief vollbeleuchtet vom Monde neben uns; plötzlich läuft es bei einer Biegung über die im vollen Mondeslichte hell erleuchtete Straße, so nahe an dem Pferde vorüber, daß dieses wiederum scheute und uns bald aus dem Schlitten geworfen hätte.
Ich konnte mir nicht erklären wer? oder was? dieses etwas sei, nur sah ich, daß dasselbe auch hier sei, als das Pferdchen vor meiner Wohnung stehen blieb …
Was war dieses etwas?
Das war wieder er, mein Introligator, mit denselben krampfhaft verzerrten Gesichtszügen, demselben deutlich sichtbaren blutigen Schweiß auf der offenen Brust … ihn fror es nicht, das Herz brannte und wärmte ihn!
Er weinte und jammerte nicht; aber er verließ mich auch keinen Augenblick, gleich meinem Schatten hing er sich an meine Fersen; er lief nicht weniger rasch als mein Pferdchen.
Wohin mit ihm? …
Wegjagen? … das wäre zu grausam; ihn in die Wohnung lassen? … wohin soll das führen? … was soll daraus werden? …
Ich sagte schon früher, daß ich für ihn nichts tun konnte; er wurde mir bloß lästig … und dabei – zu meiner Schande sei es gesagt – ich ekelte mich vor ihm … er roch so höchst widerlich nach diesem blutigen Schweiße!
Ich konnte mich weder zu dem einen noch zu dem anderen entschließen … und er – mir immer nach, gleich dem eigenen Schatten … immer nach … ging ich ins andere Zimmer, er hinter mir …
Jedenfalls war ihm von der Vorsehung der Weg vorgeschrieben, und ich beschloß, um diese Kreise nicht zu stören, ihn mit Tee warm zu machen und dann in der Küche schlafen zu lassen.
Ehe ich jedoch meinem Diener die nötigen Befehle geben konnte, meldete mir derselbe, daß Andrej Ivanovič Drukart da gewesen sei und einen Brief zurückgelassen habe.
Drukart war Beamter für besondere Aufträge, dem Fürsten Vasilčikov zugeteilt; eine allgemein beliebte und hochgeschätzte, sehr tätige und beim General-Gouverneur sehr einflußreiche Persönlichkeit.
Außerhalb seiner Tätigkeit als Beamter, war Drukart ein vorzüglicher Vorleser und ein großer dramatischer Künstler.
Ich habe nie Jemanden gesehen und gehört, der so meisterhaft Hamlet oder den Polizeimeister in Gogols Revisor gelesen oder gespielt hätte wie Drukart, nicht einmal der zu jener Zeit in diesen Rollen so sehr berühmte Sosnickij konnte sich mit Drukart messen.
Dank seinem Talente führte der nun verstorbene Drukart nicht nur die Aufträge des Fürsten, sondern nicht selten auch jene der Fürstin aus.
Gerade zu jener Zeit brauchte die Fürstin Geld zu irgend einem wohltätigen Zwecke und beauftragte deshalb den Drukart eine Wohltätigkeits-Vorstellung im Stadttheater zu arrangieren.
Auch ich war, wie es alle sagten, kein schlechter Vorleser und Schauspieler, weshalb ich bei allen derartigen Fällen mit in Rechnung gezogen wurde.
Drukart schrieb, daß, da ich sowie der zu jener Zeit in Kiev lebende Rechtsanwalt Jurov ziemlich gleich groß und uns auch sonst äußerlich ähnlich seien, wir beide in dem zur Aufführung kommenden „Revisor“ die Rollen des Dobčinskij und Bobčinskij übernehmen müßten.
Bei meiner damaligen geistigen und körperlichen Abgespanntheit und Müdigkeit, sowie sonstiger Nervosität, bedeutete diese Mitteilung geradezu einen Überfall.
Ich warf mißmutig das Schreiben meines Freundes auf den Tisch und beschloß anderen Tages so zeitlich wie möglich Drukart aufzusuchen und ihm klar zu machen, daß ich durchaus nicht entschlossen sei, seinem Wunsche zu entsprechen.
Während ich nun über diese Angelegenheit nachdachte und Tee trank, erinnerte ich mich plötzlich an den unglücklichen Juden, und war sehr erstaunt, ihn nicht zu sehen.
Und er, der Arme, schlief zusammengekauert wie ein Igel auf einem zwischen der Türe und einem Kasten liegenden Ziegenfelle, welches als Schlafstelle meinem Jagdhunde diente.
Sie lagen friedlich nebeneinander, der Mensch und der Hund, etwas bösartiger Natur, der überhaupt Juden nicht leiden konnte, so friedlich, als ob der Hund instinktmäßig begriffen hätte, daß er in diesem Augenblicke eine Ausnahme machen müsse, denn der, welcher neben ihm liegt, sucht Zuflucht und trage das größte Herzleid, welches nur ein Menschenherz zu ertragen im Stande ist, weshalb es nicht angeht, ihn zu verjagen oder zu stören in lange nicht gehabter und ihm doch so sehr nötiger Ruhe.
Ich war zufrieden mit dem Juden und dem Hund und ließ beide ungestört das Lager teilen; ich selbst suchte mein Bett auf, abgespannt von den Eindrücken der letzten Stunden, deren es unbarmherzig viele gab: Ich sah im Traume den gemieteten Ersatzmann, die Judenschenke in Weißkirchen, das Kloster, den Metropoliten, ich hörte das Jammern und Klagen des Juden, den Namen „Jeschu“, sah den ruhigen, bedächtigen Fürsten und die eigenwillige Fürstin mit ihrer allzu gewaltigen Bedeutung; meinen Zwillingsbruder Jurov, Bobčinskij, Dobčinskij Drukart; die Unmöglichkeit diesem allem zu entlaufen; dann auf einmal … stilles traumhaftes Erinnern an meine alte Kindsfrau, die Bulgarin Marina, welche von allen – ich weiß nicht warum – nur die Türkin genannt wurde – alles dieses jagte sich in mehr oder minder deutlichen Szenen in meinem Kopfe und Schlafe herum.
Ich sah – im Traume – meine alte liebe Marina über mein Bett geneigt, sie richtete ihr altes rotes Kopftuch und leise höre ich sie mein Lieblingslied: „Schlaf, Kindchen, schlaf … Christus tritt heran und stellt die Hüter bei“ … singen.
Und stellt euch vor, alles dieses kam zur gelegenen Zeit!
Dieser bunte verworrene Haufe, im Traume anscheinend unzusammenhängend und doch im Zusammenhange stehend – in allem diesen Chaos fanden sich alle unumgänglich nötigen Elemente um einen feierlichen Zufall gruppiert, aus welchem unerwartet und ungeahnt, kaum glaubwürdig etwas erwuchs, was mit dem Namen „Wunder“ bezeichnet zu werden verdient.
Ich und der Introligator schliefen uns aus wie Soldaten vor einer ungleichen und gefährlichen Schlacht, vor welcher sich jeder berechnende und abwägende Mensch zurückgezogen hätte, da der Sieg mehr wie aussichtslos erschien.