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Kitabı oku: «Novellen», sayfa 8

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Viertes Kapitel

Es war bereits nahe an Mitternacht, als mich ein ziemlich großes Geräusch und lautes Gerede in meiner Arbeit zu stören begann; es schien mir, als wenn in dem neben meinem Arbeitszimmer gelegenen Saale irgend ein heftiger Streit zwischen den dort befindlichen Beamten entstanden wäre.

Derartige Ungehörigkeiten waren nichts seltenes; ich als junger Anfänger in der Beamtenlaufbahn, obzwar Kanzleivorstand, genoß nicht jene Achtung und besaß nicht das Ansehen wie bereits älter gediente Leute; meine Untergebenen fürchteten mich nicht und schenkten mir auch wenig Beachtung und nahmen auf mich keine Rücksichten.

Was die Subordination anbelangt, so konnte man nach dieser Richtung hin mit den altgedienten, mit Medaillen, Schnallen oder dem Stanislaus-Orden dekorierten Titularräten besser auskommen, wie mit den jungen Beamten.

Obzwar mich, beziehungsweise meine Kenntnisse, die Altgedienten nicht gerade sehr hoch schätzten und mir keine große Achtung als einem noch nicht „flügge gewordenen Jungen“, welchen, ihrer Ansicht nach, der Präsident ihnen zum Ärger, ohne Rücksicht auf ihr Alter, Dienstzeit, Solidität auf den Hals hetzte, entgegenbrachten, so machten sie dennoch die ihnen zugewiesene Arbeit ohne Lärm und Geschrei, Zank und Hader fertig, während die Jungen ebenfalls ihre Aufgabe fertig brachten, wobei es jedoch nicht ohne Lärm abging.

Es kam fast täglich vor, daß sie einen oder den anderen der Titularräte hänselten und sich über ihn lustig machten.

Als fast tägliche Zielscheibe ihres Spottes und fauler Witze diente ein Titularrat Namens Gregor Ivanovič Salko, ein großer Sonderling, der seine erste Ausbildung von einem Diakon erhielt und seine Beamtenlaufbahn unter einem ehemaligen Diakon begann, worauf er außerordentlich stolz war.

Er war für das frühere Kanzleiregiment eingenommen und konnte sich mit Neuerungen nicht befreunden.

Er gab gewöhnlich ganz seltsame, originelle Ratschläge, welche sehr stark an des Diakons Weisheit erinnerten.

So z. B. erinnere ich mich, daß als ich einmal vor Müdigkeit und schlaflosen Nächten meine Augen kaum mehr offen halten konnte, er mir sagte:

„Machen Sie es so, wie es mich mein alter Diakon lehrte; nehmen Sie aus meiner Dose eine Prise Tabak, der wird ihre Augen öffnen und den Schlaf verjagen. – Zu jener Zeit, als noch wirklich Dienst gemacht wurde … Sie waren noch lange nicht auf der Welt … haben wir dieses Mittel stets alle benützt.“

Dieser und auch die anderen älteren Herren wurden von der übermütigen Jugend sehr oft geneckt und nicht selten aus ihrer Ruhe und Geduld gebracht, wobei mitunter aus dem Spaß großer Ernst wurde, der sehr oft bis zum Handgemenge überging.

Die Zeit, wo derartiges vorkommen konnte, ist noch nicht so ferne, aber scheint der jetzigen Nachfolge fast unglaublich.

Das Geräusch vernehmend, glaubte ich annehmen zu können, daß die Jugend wieder einmal einen der Titularräte hänsele und daß es schließlich zu einem kleinen Handgemenge gekommen, welches gewöhnlich zu allgemeiner Zufriedenheit unter heftigem, weit schallenden Lachausbruche endete.

Doch diesesmal schien etwas Außergewöhnliches vorgefallen zu sein, denn ich hörte, daß meine ganze „Bande“ auf einmal aus der Kanzlei verschwand; es wurde darin ganz stille.

Ich stand auf, um nachzusehen, was vorgehe.

Der große Saal war leer; Kerzen brannten auf den Tischen; nur in einer Ecke saß unbeweglich hinter seinem Tische, wie eine Mumie, der Senior meiner Titularräte, der Nestor der Kiever Kanzleien – Platon Ivanovič Dolinskij, welcher den Vladimirorden für fünfunddreißigjährige tadellose Dienstzeit besaß.

Dieser unser Senior war außergewöhnlich groß, mager, weißhaarig, ein Kleinrusse (Chochol), sehr unnahbar, sich für eine wichtige Persönlichkeit haltend.

Er stand nie ohne besondere Notwendigkeit oder Veranlassung von seinem Sitze auf, sprach mit Niemanden und wenn ja – dann nur um diesen auszuschimpfen, wobei er sich ausschließlich des Chochol-Dialektes bediente.

Sowie er mich erblickte, sah er über seine in Kupferdraht gefaßten Augengläser hinweg auf mich, zog seine Stirne kraus und fing an zu schelten:

„Wie kommt es, daß Sie nicht bemerken, was hier vorgeht? – Sie sehen, alle sind fortgelaufen, um einen ruppigen Juden in Augenschein zu nehmen. – Sie wollen Kanzleivorstand sein? Schämen Sie sich! – Gehen Sie doch hinaus auf den Korridor und jagen Sie alle hierher zu ihrer Arbeit.“

„Was für ein Jude hat sich hierher verirrt?“ frug ich.

„Der Teufel weiß, von wo er gekommen! Er ist noch immer hier und wälzt sich auf dem Korridor herum.“

Ich nahm den Leuchter von einem Tisch und ging in den Gang.

Hier in dem breiten, nur schwach beleuchteten Gange standen alle meine Beamten, einen dichten Kreis bildend, und betrachteten, einer dem anderen über die Achsel schauend, einen in der Mitte des Kreises stehenden Menschen, der mit verzweiflungsvoller, klagender Stimme im gemeinsten jüdischen Jargon sich hören ließ:

„Ai! wai! – Lassen sie mich, lassen sie … Ui! ai, ai, ai, wai, lassen sie! … Ai, lassen sie mich, ich habe keine Zeit, denn, dort – dort bei der Kirche … lief er weg … Ai! Herr Metropolit, Herr Metropolit … ai, ai, wai, Herr Metropolit … wann werdet ihr alter Mann … ai, wai! … wann werdet ihr an Gott glauben … ai! … was wird das werden! … ai! lassen sie mich … ai! ai!“

„Wohin sollen wir Dich, krätziger Jude, lassen?“ unterbrach der diensttuende Soldat Aleksejev den Jammernden.

„Dorthin … Gewalt … ich weiß nicht, wohin … wer an Gott glaubt … Lassen sie mich … Oh! ich armer unglücklicher Jude … Was macht es ihnen für ein Vergnügen mich zu quälen … mich zu ängstigen … ich bin so genug bereits abgeplagt und abgehetzt … um Gotteswillen, lassen sie mich …“

„Wohin führt Dich der Teufel, zu wem willst Du denn hin? … wohin willst Du?“

„Ai! … lassen sie mich bloß … ich gehe … bei Gott! ich gehe … doch weiß ich nicht, wohin ich gehe … mir ist nötig zum Herrn Metropoliten selbst …“

„Ach! Du dummer Jude, Du! sitzt denn ein solcher Herr hier!“ räsonierte der Soldat.

„Ach! … wo … wo … ich weiß nicht, wo der Herr Metropolit sitzt, wo bei ihm anzuklopfen … Mir ist er sehr nötig, mir ist er gewaltig nötig!“ schrie verzweiflungsvoll und dabei sich krümmend der Jude.

„Wenig ist dir ’was nötig; glaubst Du, Du krätziger Jude, daß sie Dich beim Mitropoliten vorlassen?“

Der Jude heulte noch mehr auf.

„Ach! … mir ist der Metropolit nötig … mich … mich lassen sie nicht zum Metropoliten … Verfallen, verloren ist mein Kind, mein armes, unglückliches Kind!“

Er ließ plötzlich einen so herzbrechend traurig-wehmütigen Klagelaut ertönen, daß alle plötzlich stumm zurückwichen. Der Soldat drückte ihm mit der Hand den Mund zu, aber der Jude befreite sein Gesicht von derselben und fing von neuem in der üblichen jüdischen Synagogenvibration zu flehen an:

„Oi Jeschu! Jeschu Hanozri! Sie wollen dich betrügen … nehme nicht den Laidak, den Mischiginer, den Lumpen … Oi, Jeschu, zu was ist Dir ein solcher Heide …“

Sowie ich hörte, daß der Jude den Namen unseres Heilandes anrufe, zerteilte ich mit der Hand den vor mir stehenden Haufen.

Vor mir sah ich eine Gruppe, welche mich lebhaft an jene mit dem Teufel des Rafael’schen Gemäldes „Verklärung Christi“, allgemein bekannt durch den Jordan’schen Stich, erinnerte.

Ein nicht mehr junger Jude, jedoch unbestimmbaren Alters, ganz naß, in angefrorenen Lumpen, aber mit vom Schweiße feuchtem Gesicht, mit an die Stirne angeklebten schwarzen Haaren, unstet rollenden Augen, in welchen Schreck, hoffnungslose Verzweiflung, Schmerz, neben unbegrenzter leidenschaftlicher Liebe und Selbstentsagung, die keine Grenzen kennt, zu lesen waren.

Am Kragen seines zerlumpten Rockes und an den Armen wurde er von zwei kräftigen Soldaten gehalten, unter deren Händen er sich krampfhaft wand, sich bald wie ein Igel zusammenziehend oder gleich einer Schlange sich windend, doch immer sich bemühend, sich frei zu machen von den ihn festhaltenden Eisenfäusten der Soldaten.

Dieser Ausbruch der fürchterlichen Verzweiflung, das stätig sich wiederholende „wer an Gott glaubt“, das ich einige Minuten vorher in der Bittschrift las, schienen mir in einigem Zusammenhange zu stehen.

Mir kam in den Sinn, ob ich nicht den Introligator vor mir zu stehen habe?

Aber wie konnte derselbe so rasch hinter seiner Bittschrift nachkommen und nicht erfroren sein in diesem schauderhaft zerlumpten leichten Röckchen; und schließlich, was wünschte er? was ist ihm nötig, daß er in seiner verzweiflungsvollen Art ohne Unterlaß den Mitropoliten und Jehoschua Hanozri anruft?

Vielleicht hat er den Verstand verloren?

Um dem häßlichen Auftritte ein Ende zu machen, gab ich den Soldaten mit der Hand ein Zeichen und bemerkte: „Laßt ihn los!“

Kaum hatten diese ihre Hände von ihm zurückgezogen, als der „närrische Jude“ einen Sprung nach vorwärts machte, wie eine Katze, welche in einem dunklen Schranke eingesperrt, plötzlich, durch Aufmachen der Türe, freigelassen wird.

Die Beamten, einige lachend, andere erschrocken, stoben auseinander, gleich Erbsen, welche man aus einem Sacke auf die Erde schüttet; während der Jude wie ein junges Zicklein herumsprang.

Er lief von einer Tür zur anderen, wollte in ein verschlossenes Zimmer eindringen, das zu einer anderen Abteilung gehörte, und alles dieses tat er unter Wehklagen, Heulen, Seufzen, Schreien ai! ai! und alles mit einer solchen Geschwindigkeit, daß man ihm gar nicht folgen konnte.

Wie er in unsere Abteilung gelangen und sich in einem Winkel verstecken konnte, war fast unbegreiflich.

Man sah ihn nicht, doch hörte man sein unregelmäßiges heftiges schweres Atmen, das Klappern seiner Zähne; ihn selbst sah man nicht; es schien, als wenn ihn die Erde verschlungen hätte; er zittert, klappert, atmet unter dem Boden, wie der Schatten Hamlets.

Fünftes Kapitel

Einige Minuten später entdeckte ich ihn; er saß zusammengekauert auf dem Boden unter meinem Tisch; klammerte sich fest mit den Händen an den Fuß desselben und zwischen den Zähnen hielt er den Rand des roten Tuches, mit welchem derselbe bedeckt war, fest.

Er fühlte sich jedenfalls so sicher hier, wie im Schoße Abrahams.

Er war entschlossen unter allen Umständen hier zu bleiben, und er hätte sich gewiß lieber seine halberfrorenen Finger abhauen lassen, ehe er den Tischfuß, den dieselben umklammerten, freigegeben hätte.

Der Soldat mühte sich ab ihn unter dem Tische wegzuziehen, umsonst: der große schwere Tisch zitterte und wurde gehoben, aber der Jude ließ nicht nach und war nicht wegzubringen, wobei er ohne Unterlaß schrie und klagte.

Mir war dieses alles höchst widerwärtig und ich befahl schließlich den Juden in Ruhe zu lassen, schickte jedoch nach einem Arzte, dessen Hilfe sich indes als unnötig erwies.

Sowie Ruhe eingetreten und ich mich mit ihm allein im Zimmer befand, wurde der Jude still, fing an sich zu rühren und seine Taschen durchzusuchen; eine Minute später schlich er sich langsam, wie ein Wolf im Käfig, zu meinem Tische und legte auf denselben einen Stoß von Papieren, eingewickelt in starkes weiches Umschlagpapier, das von einer, abscheulich nach Nelken riechenden eiterartigen Flüssigkeit durchtränkt war.

Ich muß zu meinem Leidwesen eingestehen, daß ich mich ekelte, diese Papiere in die Hand zu nehmen und sie aufzumachen.

Dieselben enthielten, wie es sich später ergab, nichts anderes als Verträge, welche der Introligator für Rechnung seines Sohnes gemacht hat.

Sohin blieb kein Zweifel übrig, daß dieser Mann Niemand anderer sei, als jener Jude, dessen Bittschrift noch einige Stunden vorher ein so großes Interesse bei mir erregte, daß ich sogar entschlossen war, für denselben einzutreten.

Wir waren uns also bereits näher bekannt.

Ich schickte den Juden nicht weg, sondern ließ ihn ruhig in der Stube sitzen in einer Lage, die ihm die bequemste schien und die er sich selbst gewählt hatte; mit gewohntem Blick überlas ich schnell die übelriechenden Papiere und fand, daß sie alle formgemäß in Ordnung seien, so daß der gemietete Ersatzmann, ein zweiundzwanzig Jahre alter Jude, an Stelle seines Sohnes ohne Anstand zur Stellung zugelassen werden kann, um so eher, als der bedungene Betrag von ein hundert Rubel demselben bereits voll und ganz zugezählt worden war.

Alle Dokumente waren in Ordnung; worin bestand dann das Unglück dieses Menschen? weswegen diese fürchterliche, qualvolle Aufregung, Angst und Verzweiflung, welche ihn fast zum Wahnsinn brachte?

Doch die Not war da, sie war fürchterlich, nicht abwehrbar; der Introligator begriff sie in ihrer ganzen verhängnisvollen Bedeutung.

Der vom Introligator angeworbene Ersatzmann war ein junger, noch nicht großjähriger Jude – gesetzmäßig konnten nur großjährige angeworben werden – aber ein sehr großer Spitzbube.

Er führte mit dem armen Stammesgenossen eine ganz niederträchtig listige, jedoch den Introligator zu Grunde richtende Geschichte auf, so genau berechnet und auf den Buchstaben des Gesetzes aufgebaut, daß gegen dieselbe in formeller Hinsicht nichts gemacht werden konnte.

Weder mir noch dem Introligator kam es in den Sinn eine Persönlichkeit für diese Angelegenheit zu interessieren, welche in der Lage gewesen wäre, durch einen Machtspruch den gordischen Knoten dieser Geschichte durchzuhauen.

Auch ist es mir nicht eingefallen, mich an jene wahrhaft fromme, herzensgute Persönlichkeit zu wenden, welche einen Rechtsspruch fällen konnte, „nicht von dieser Welt“ – eine Entscheidung, nach welcher den weltlichen Richtern nichts anderes übrig blieb, als nur das Urteil des barmherzigen Richters in Ausführung zu bringen, welches derselbe fällte behufs Beseitigung jener jüdischen ränkevollen Ungerechtigkeit, die sanktioniert werden sollte durch den Übertritt zum katholischen Glauben.

Sechstes Kapitel

Nach dem Gesetze konnte ein stellungspflichtiger Jude nur wieder durch einen Juden ersetzt werden; Christen waren in diesen Fällen völlig ausgeschlossen.

Dadurch erklärt es sich, daß es außerordentlich schwierig war einen Juden als Ersatzmann zu finden, ja es war fast ausgeschlossen, daß sich überhaupt ein Jude zu diesem Zwecke selbst angeboten hätte.

Liebten die Rechtgläubigen den Soldatenstand nicht und trachteten sie, den Dienst nicht ableisten zu müssen, so lief überhaupt der Jude demselben aus dem Wege und durch gute Worte oder einfaches Mieten lockte man ihn schon überhaupt gar nicht.

Im übrigen waren die Vorteile, welche der angeworbene Jude für die ihm angebotene Summe von drei bis vier hundert Rubel gewann, gar zu unbedeutend, da jedes Jüdchen, wenn es von Natur aus nicht gar zu stiefmütterlich behandelt ist, einen solchen Betrag leicht und ohne jede Gefahr und große Mühe auf leichtere Art erwerben kann.

Und die von der Natur stiefmütterlich behandelten eigneten sich überhaupt zum Militärdienst nicht.

Derjenige, welcher einen Ersatzmann suchte, konnte denselben nur in jenen Sphären finden, und unter Leuten, welche heimatlos waren, einen liederlichen Lebenswandel führten und durch ihre Aufnahme beim Militär einer schweren Strafe entgehen wollten.

Derartige Leute fanden sich unter den Juden äußerst selten, sie waren geradezu – weiße Raben.

Dem Introligator gelang es jedoch – zu seinem Glück, oder besser sei es gesagt, Unglück – einen solchen „weißen Raben“, eine Seltenheit zu finden.

Was war das für ein Mensch?

Es war dies in seiner Art ein großer traditioneller jüdischer Geschäftsmacher, welcher im Mietsvertrage die Angelegenheit so zu drehen verstand, daß er nicht nur seinen Nächsten – die ihn mietenden Juden – vollständig zu Grunde richtete, sondern auch den Glauben profanierte und dem Gesetze selbst eine Nase drehte.

Und was die Angelegenheit noch interessanter machte war, daß er dieses alles unter den Augen und Mithilfe einer hochstehenden Persönlichkeit durchführen und eine neue, bis dahin nicht bekannte, aber außerordentlich günstige Art, sich über den katholischen Glauben und das Gesetz lustig zu machen, einführen wollte.

Dieser Lump war ein Damenschneider-Gehilfe des Meisters Davidek, welcher zu jener Zeit für Kiev das war, was Worth für Paris, ein Schneider für die „elegante Welt“.

Wegen Ungehörigkeiten jagte Davidek den Gesellen davon und die Polizei wies ihn aus.

Ohne Beschäftigung strolchte und bettelte der Geselle aus einer Stadt der „goldenen Ukraina“ in die andere, fiel schließlich in die Hände des Introligators zu jener Zeit, als dieser den heftigsten Kampf um sein geraubtes Kind kämpfte; der Vertrag wurde beschlossen, nicht aber einfach geschlossen, wie dies bei getauften Leuten der Fall zu sein pflegt, sondern mit in voraus berechneter böser Absicht, mit Hintergedanken, welche jedoch der Schneider solange für sich geheim hielt, bis sich ihm Gelegenheit bot offen zu handeln.

Das Nichteinhalten derartiger Verträge, war nichts seltenes, da diese gewöhnlich ohne Mitwirkung der Gerichte errichtet, deshalb meistenteils Formfehler besaßen, die im vorkommenden Falle das Dokument ungültig machten – derartige Umgehung der Gesetze lag im Blute der Juden, welche ohne sie nicht leben konnten.

Der Introligator, welcher sich in höchster Aufregung befand, um so mehr als die Angelegenheit keinen Aufschub erlaubte, sondern ein rasches Handeln forderte, mußte in alle Forderungen seines Mietlings einwilligen.

Er verkaufte sofort um zwei hundert Rubel sein Häuschen mit allem Zubehör und für drei hundert Rubel verpflichtete er sich bei einem reichen Juden jahrelang zu arbeiten.

Mit einem Wort, er war gebunden an Händen und Füßen, nach allen Seiten hin, während der angeworbene Schneider drei hundert Rubel in die Hand ausgezahlt erhielt, ohne einen Gegendienst geleistet zu haben.

In aller Eile wurden die nötigen Dokumente aufgeschrieben und der Introligator schickte mittels Post jenes Bittgesuch ab, dessen ich bereits früher erwähnte; er selbst folgte mit dem angeworbenen Manne und den übrigen Dokumenten nach.

Nun aber brach erst das Unglück über den Mieter herein.

Nur bis zur Unterschrift und Annahme des Geldes konnte es der Angeworbene kommen lassen, weiter gehen konnte und durfte er nicht, wenn er seine Freiheit bewahren wollte; er durfte deshalb seine Karten nicht aufdecken.

In der unmittelbarsten Nähe von Kiev verschwand er plötzlich aus der jüdischen Herberge.

Als der Jude bis zu dieser Stelle in seiner Erzählung kam, da heulte er auf und verlor fast völlig die Sprache, so daß er nur mit schwerer Anstrengung das Ende der Geschichte erzählen konnte.

Während der Zeit, als der Introligator über den Ankauf von Lebensmitteln handelte, was überhaupt nur wenige Minuten in Anspruch nahm, verlor er den angeworbenen Ersatzmann aus dem Gesichte, während dem lief der Schneider zu dem gegenüber der Herberge wohnenden Balagul,5 mietete, ohne zu handeln, einen Viererzug junger, leichter Pferde und und fuhr mit aller Geschwindigkeit nach Kiev um – sich taufen zu lassen.

Ein fürchterlicherer Schlag konnte den Introligator nicht treffen, als das Verschwinden des angeworbenen Schneiders, denn durch dessen Flucht wurden nicht allein seine Hoffnung, sondern auch seine Pläne zerstört; er war bestohlen, betrogen, und wie man zu sagen pflegt, ihm wurde die Gurgel ohne Messer durchgeschnitten.

Sein Kind ging ihm verloren, ebenso wie ihm sein geringes Hab und Gut verloren gegangen, denn schon die Äußerung des Wunsches sich taufen zu lassen, hob alle mit dem Introligator abgeschlossenen Verträge auf; der Schneider wurde seiner übernommenen Verpflichtung, sich an Stelle des Knaben anwerben zu lassen los und ledig; der Wunsch sich taufen zu lassen, setzte jeden Juden, so auch den Schneider, unter den besonderen Schutz orthodoxer Gesetze.

Es war mir klar, daß in dieser Angelegenheit jeder Versuch einer Einmischung vollständig aussichtslos ist; ich konnte sehr leicht den grenzlosen Schmerz und die Qualen des Erzählers dieser traurigen Geschichte begreifen, aber ich sah auch weiter ein, daß hier, wer es auch sein mag, keine Hilfe bringen und keine Änderung zu Gunsten des Juden hervorzurufen vermag.

In dieser Angelegenheit gab es noch andere Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden und zu entfernen, welche nur jener begreifen konnte, der den höheren gesellschaftlichen Kreisen nicht ganz ferne stand.

Der Introligator teilte mir weinend mit – wobei er seinen Lapserdack6 zerriß – daß er den Schneider lange in „Weißkirchen“ gesucht habe.

In Begleitung von verschiedenen Mischurisamen eine jüdische Herberge nach der anderen nach seinem Flüchtling absuchend, wobei ihm absichtlich falsche Angaben gemacht wurden, verlor er unnütz in dieser Weise einen ganzen Tag.

Erst als der Introligator Kiev erreichte, verfiel er auf die mit dem Fuchsschwanze weggefegte Wolfspur des Chabar, welcher gemütlich hinter den Klostermauern saß und sich zur Taufe vorbereitete.

Es lag klar zu Tage, der Spitzbube hatte die Absicht seinen Kontrahenten ungestraft zu betrügen und zu Grunde zu richten, das Mittel zur Erreichung des Zweckes sollte die Taufe sein.

Um dem Schneider gegenüber den Beweis zu führen, daß durch den Übertritt zum Katholizismus der Taufakt der Kirche nur mißbraucht und profaniert werde, dafür hatte man keine Beweise an der Hand.

Außerdem war Recht und Gesetz an der Seite dieses „Katechumen“, der noch weiter unterstützt wurde durch mächtige Personen, welche zu jener Zeit mehr galten als das Gesetz selbst.

Der schlaue Jude, welcher ein Jahr lang bei dem Kiever Wirt arbeitete, eignete sich einige Kenntnisse über den Einfluß und die Schwächen einiger hochgestellten Personen in Kiev an, welche in Folge ihrer amtlichen oder gesellschaftlichen Stellung große Macht besaßen.

Eine solche mächtige und einflußreiche Persönlichkeit war die Gemahlin des damaligen General-Gouverneurs Fürsten Hilarion Hilarionovič Vasilčikov, Fürstin Katharina Aleksejevna (geborene Fürstin Ščerbakov), derer ich bereits früher erwähnte.

Sie war zu jener Zeit für die Ausbreitung des Christentums so sehr eingenommen daß sie sich viele Mühe gab, dasselbe durch den Übertritt Andersgläubiger zu mehren.

Wie es aber in der Mehrzahl derartiger Fälle, Vorsätze und Einrichtungen vorzukommen pflegt, namentlich wenn sie von Damen der hohen Aristokratie und sonstigen Damen der eleganten Welt begonnen und poussiert werden, ist das Resultat ein außerordentlich klägliches; es fehlt an dem nötigen Ernst, praktischer Erfahrung, andauernder Tätigkeit, ohne welche alle derartigen Unternehmungen stets mehr Schaden als Nutzen bringen.

Es ist dies etwas Verhängnisvolles, eine Art Ironie des Schicksals!

Die Religiosität der Fürstin äußerte sich in anderer Weise als bei den jetzt lebenden Damen der höheren Gesellschaftskreise, welche den inneren Glauben nach außen sichtbar machen wollen ohne viel Opfer, Einschränkung und sonstige Änderungen ihrer Gewohnheiten bringen zu müssen; die Religiosität der Fürstin Katharina Aleksejevna war anderer Art, sie war kennbar an ihren Taten, so daß eigentlich der Verfasser des sehr lehrreichen und interessanten Buches „Versuch über Einkommen und Eigentum unserer Klöster“ jedenfalls verpflichtet gewesen wäre, der Fürstin, als Förderin des Wohlstandes der Klöster und ihrer Vermehrung, die erste Stelle anzuweisen.

Es ist Tatsache, daß die Fürstin Vasilčikov mehr Klöster errichtet und gegründet hat als die Fürstin Anna Aleksejevna Orlov und andere adelige Damen.

So gründete sie unter anderen ein sehr bekanntes Kloster in der Nähe von Kiev, welches, Dank der Freigebigkeit und Sorge der Fürstin, über sechsunddreißig Werst Land außer sonstigen Renten verfügt, worüber jedoch in dem Buche von Rostislav, dessen ich vorerwähnte, nichts zu finden ist.

Aber schon früher, vor der Zeit, ehe sich die Fürstin mit der Errichtung neuer Klöster zu beschäftigen anfing, namentlich noch vor der Rekonstruierung des Klosters des „alten Jonii“, machte sie sich in Kiev als große Philanthropin bekannt.

Unter ihrem Protektorate wurden Wohltätigkeits-Bälle, Soiréen, Theater, Maskeraden, Concerte u. dgl. mehr oder minder angenehme Unternehmungen veranstaltet; nach dieser Richtung hin entwickelte sie einen außergewöhnlichen Eifer, dem man jetziger Zeit nicht solche Bedeutung mehr zuschreibt als dies ehemals der Fall war.

Gleichzeitig mit dem Streben, Sorge, Not und Elend aus den Einkünften der verschiedenen Lustbarkeiten und Unterhaltungen zu lindern, bemühte sich auch die Frau Fürstin um Sittenverbesserung und Verbreitung des Christentums.

Im letzteren Falle war die Fürstin, wie ich anzunehmen guten Grund habe, origineller und kühner, unternehmender, als der übrige gesamte hohe Adel in Petersburg, weil sie in Folge der Stellung ihres Gemahls, als General-Gouverneur, schon an und für sich ein gewisses Ansehen und Macht besaß, vor welchem sich sehr viele beugten, ja sogar sich fürchteten, die meisten aber verfolgten das Gebaren „ihrer Fürstin“ sehr aufmerksam, hatten aber oft Ursache über das Treiben derselben und ihres Anhanges den Kopf zu schütteln.

Nach dem Coelibat, welches zur Zeit des Bibikov’schen Regimentes im General-Gouvernements Hause herrschte, war der Einfluß einer Frau, welche sich nach keiner Richtung hin etwas zu versagen brauchte, ein ganz bedeutender, namentlich unterwarfen sich demselben fast alle Damen der höheren Stände.

In der ersten Zeit besaß alles einen Anschein und Anstrich von Frische und Lebhaftigkeit, es schien, daß dadurch wirklich etwas nutzbringendes erzielt wird, doch diese Ansicht dauerte nicht lange, und man fing alles dieses von anderer Seite zu betrachten an und darüber sich zu äußern.

Die Fürstin selbst aber war so sehr von der Nützlichkeit und Wohltätigkeit ihrer Mission überzeugt, daß sie sogar, um die Leute sittlich zu bessern, die Bewohnerinnen der „Zufluchtstätte der heiligen Maria Magdalena zur Bekehrung gefallener Mädchen“ an Soldaten – verheiratete.

Dadurch sollte diesen Frauenzimmern die Rückkehr zum unmoralischen Lebenswandel abgeschnitten werden.

Die Fürstin nahm tätigen Anteil an dem Zustandekommen derartiger Ehen und interessierte sich sehr für dieselben; die Bräute wurden von ihr so reichlich ausgestattet, daß eine solche Heirat auf Soldaten eine besonders große Anziehungskraft besaß, und sie sich beeilten eine „Magdalenerin“ zu ehelichen.

Ein solches Mädchen erhielt nicht nur für ihre Verhältnisse reichlich Kleider und Wäsche, sondern auch ein hundert Rubeln, welches letztere für den Soldaten mehr Wert hatte, als die Rückkehr auf die Bahnen der Tugend seiner Braut und nachmaligen Frau.

Hatten die Neuvermählten die Fürstin durch ihre Hochzeit erfreut, teilten sie sich gewöhnlich um das erhaltene Heiratsgut, dann schieden sie in Frieden und Einigkeit von einander und jeder ging danach seines eigenen Weges.

Darüber kursierten in Kiev verschiedene höchst pikante Anekdoten.

Die „Hunde“ suchten ihre früheren Hütten auf, die Sittenlosigkeit und Liederlichkeit wurde jedoch nicht mehr aus eigenem freien Willen ausgeübt, sondern im Einverständnis und mit Bewilligung des ehelichen Gemahles.

Es sind Fälle vorgekommen, daß der Soldat sofort nach der Trauung, noch vor dem Hochzeitsmahle, seine junge Frau dem Brautführer verkaufte.

Als Brautführer figurierten nicht selten „hochgeborene Herren“ und zwar aus dem Grunde, um von der Fürstin „gesehen“ zu werden.

Man konnte eigentlich dem in dieser Art und Weise verheirateten Soldaten es nicht übel nehmen, daß er seiner angetrauten Gattin los und ledig zu werden trachtete.

Was sollte dem Soldaten eine Frau, welche zu arbeiten nicht verstand und zu hungern nicht gewohnt war?

Gewöhnlich heiratete der Soldat eine „Magdalenerin“ geradezu auf Befehl seiner Vorgesetzten, namentlich dann, wenn es der Frau Fürstin beliebte, wieder einmal eine „Magdalenen-Hochzeit“ in Szene zu setzen; der dazu bestimmte Soldat unterwarf sich ohne Murren, stillschweigend und in sein Schicksal ergeben diesem Wunsche.

Man konnte es deshalb nicht dem Soldaten verargen, wenn er sich sofort von einem Weibe lossagte, welches gewohnt war auf den Knien eines reichen Offiziers sitzend, „Butterbrot zu essen und süßen Wein zu trinken“, diese aber wählte wiederum einen Weg, welcher ihr am besten gefiel, ein Leben, welches sie früher schon führte und wo sie am leichtesten und raschesten jene Summe Geldes verdienen konnte, welche sie vertragsmäßig ihrem Manne zu entrichten hatte dafür, daß er ihr die Bewilligung gab, so und dort zu leben, wo sie wollte.

Das waren die Resultate der Sittenverbesserungs-Spielerei; schließlich fand man auch dieses langweilig und abgeschmackt und bekümmerte sich nicht weiter um dieselbe.

Etwas länger dauerte die Proselytenmacherei behufs Bekehrung der Juden zum Christentum, obzwar auch hier verschiedene Seltsamkeiten unterliefen.

Den Eifer der Fürstin nutzte am meisten der Auswurf der jüdischen Gesellschaft aus, charakterlose, böse und bösartige, nach jeder Richtung hin verdorbene, verderbte Leute, Diebe und ähnliches Gesindel, welches sich taufen ließ, um manche Missetat, von ihnen angestellt, dadurch zu decken und in Vergessenheit zu bringen.

Leute, welche unter ihren eigenen Stammesgenossen keinen Schutz mehr fanden, waren so demoralisiert, daß sie eine Religion wechselten, wie man einen Rock zu wechseln pflegt.

Zu diesen Leuten gehörte auch der von dem Introligator angeworbene Ersatzmann, der sich ebenfalls die von anderen angewendete Praxis zu eigen machte, die Fürstin dadurch auszubeuten, daß er sich zur Taufe meldete; einmal getauft, konnte ihm Niemand mehr etwas anhaben, selbst dann nicht, wenn er früher schon – als Jude – in irgendeiner Weise das Gesetz überschritten und verletzt hätte.

Diese Ansicht hatte ihre volle Berechtigung.

Man war zu jener Zeit allgemein (und nicht allein unter den Juden, sondern unter den Rechtgläubigen und der „hohen“ Gesellschaft in Kiev) davon überzeugt, daß nicht das geschieht, was der Fürst befiehlt, sondern das, was die Fürstin wünscht.

5.Besitzer von Mietswagen.
6.Lapserdack ist ein kurzer Rock mit einer genau bestimmten Anzahl von Bändchen und Fransen benäht. Die Talmudisten tragen diese „jüdische Montur“ unter dem oberen langen Rock.
Yaş sınırı:
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28 ekim 2017
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