Kitabı oku: «Die Musenfalle», sayfa 4

Yazı tipi:

Lilly, 14:00

Ich hatte keine Lust mehr auf das Treffen mit Strehl. Den ganzen Vormittag über war ich wie auf Koks gewesen, hatte herumtelefoniert, literweise Kaffee getrunken und vor dem Spiegel getanzt.

Um zwei Uhr nachmittags sank ich zittrig und erschöpft aufs Bett. Ich registrierte die trübe Suppe vor dem Fenster und musste das Licht in meinem Zimmer aufdrehen, um die drückenden Schatten zu verjagen. Trotzdem fühlte ich mich elend.

Du hast gewonnen, sagte ich mir. Du hast geschafft, was du wolltest. Dein Leben wird gut sein. Noch besser als jetzt.

Oder doch nicht? Was, wenn der Kampf der letzten Jahre erfüllender war als die kommende Sicherheit? Ich bewege mich gern am Limit. Wähle zwischen dem längeren, bequemen Weg und dem kurzen über die brennende Holzbrücke instinktiv die Abkürzung. Nicht nur, um schneller ans Ziel zu kommen – so sportlich bin ich nicht –, sondern vor allem, um es nicht den anderen gleichzutun. Niemals.

Ich stand auf, zündete mir eine Zigarette an und öffnete den Kleiderkasten. Ich hatte ein Dutzend Fetzen, die mindestens so nuttig waren wie das Poison-Kostüm. Aber so würde er mich noch oft genug sehen.

Letztendlich fand ich mich in ausgewaschenen Jeans, einem knallroten Top und Cowboystiefeln wieder. Meine Haare band ich ganz oben am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz und war stolz, dass sie trotzdem noch über den halben Rücken reichten. Der Rest war nicht so toll, aber das machte mir meistens nichts aus. Ich hätte das nie laut ausgesprochen, doch ich fand mein Charaktergesicht wesentlich interessanter als Brittas Engels­antlitz. Vermutlich hätte ich trotzdem mit ihr getauscht. Engel hatten es leichter auf der Welt.

Lilly, 20:12

Ich war selbstverständlich davon ausgegangen, dass es sich bei der Böhmgasse 1 um ein Lokal handelte. Aber nichts da, lediglich ein schlichtes Häuschen hinter einem Gartenzaun, umgeben von Fichten und Tannen. Oder so was Ähnlichem, irgendwelchen Nadelbäumen eben.

Ich fluchte. Die ganze scheiß Böhmgasse bestand aus Nummer 1. Hier war sonst nichts!

Ich kramte meinen Schlüsselbund aus der Manteltasche und umschloss ihn so, dass die Schlüsselspitzen aus der Faust ragten. Nicht die tollste Waffe der Welt, doch zum Augenauskratzen konnte es reichen.

Das Gartentürchen war verschlossen. Ich klingelte.

Innerlich begann ich zu zählen. Sollte er bis zehn nicht geöffnet haben, würde ich gehen. Zwei, drei, vi– der Summer ertönte. Scheiße. Ich öffnete das Türchen, bewegte mich aber keinen Millimeter.

Die Haustür ging auf. Er hatte die Haare zurückgekämmt und sah womöglich noch besser aus als gestern. Vielleicht lag es aber auch an der Finsternis.

»Wollen Sie ewig da unten warten?«, fragte er jetzt.

»Ich weiß nicht«, bemühte ich mich um einen frechen Tonfall, »ich habe mein Pfefferspray nicht dabei.«

Er machte einen kleinen Schritt in meine Richtung, blieb aber auf dem Treppenabsatz stehen. »Wenn Sie sich hier unwohl fühlen, können wir uns ein Taxi in die Innenstadt nehmen.«

Ich zog mein Handy hervor und wählte Flos Nummer. Die Tonbandstimme teilte mir mit, dass der Teilnehmer momentan nicht erreichbar war. Ohne Strehl aus den Augen zu lassen, sprach ich ins Handy: »Hi, Flo, ich bin’s. Falls du mich brauchst, ich bin derzeit im elften, in der Böhmgasse eins, zusammen mit Alexander Strehl.« Ich klappte mein Handy zusammen und stieg die drei Stufen hoch.

»Sie sehen hübsch aus heute Abend«, sagte Strehl.

»Sie auch«, antwortete ich automatisch und wurde mir im gleichen Moment bewusst, dass er krank aussah. Seine Augen wirkten riesig, die Wangen hohl, und die Haut, die mir gestern als positiv robust aufgefallen war, sah aus wie Schafskäse.

Ich trat ins Haus. Es gab keinerlei Garderobe, ich stand im Wohnzimmer. Trotz Strehls Protesten zog ich mir die Stiefel aus. Ich konnte wenn nötig auch in Socken flüchten, das helle Parkett hingegen sah so aus, als könnte es keine Widrigkeiten ertragen.

»Schön haben Sie es hier«, murmelte ich und betrachtete die Bilder an den Wänden. Moderne Kunst, sicher saumäßig teuer. Ich drehte mich nach Strehl um. Seine Farbe wechselte von Weiß zu Grau.

»Sie haben bestimmt einen sehr guten Geschmack«, versuchte ich ihn aufzuheitern. »Diese Bilder – wow …«

Er starrte mich an. Ich ließ die Schultern fallen und schlug ergeben die Hände auf die Oberschenkel. »Okay, was ist los? Bereuen Sie die Verabredung mit mir? Bereuen Sie, dass ich die Rolle bekommen habe? Wollen Sie den Vertrag stornieren –«

Er trat zu mir und legte den Zeigefinger auf meine Lippen. »Schschscht«, machte er. »Ich finde Sie wunderbar.«

Ich lachte laut, was zeigte, wie unsicher ich war. War der Mann ein Psychopath? Jedenfalls hatte sich die Sache mit dem Sex von selbst erledigt, nie würde ich mit dem Typen – er küsste mich. Und ich küsste ihn.

Er zog mich runter auf das schöne helle Parkett. Ich konnte gerade noch erfreut feststellen, dass er eine Fußbodenheizung hatte, dann drückte er mich so heftig an sich, dass mir die Luft wegblieb. Mechanisch begann ich ihm beim Ausziehen zu helfen. Warum endete es bei mir eigentlich immer so?

»Kondom nicht vergessen«, murmelte ich und überlegte, ob er mir für die Heimfahrt wohl ein Taxi spendieren würde.

»Natürlich«, sagte er und robbte zu einer Kommode. Ich wusste, je länger ich auf den halbnackten Mann starrte, der in seinen Laden wühlte, desto mehr würde mir die Lust vergehen. Ich griff nach meiner Handtasche und holte meine Geldbörse hervor. Darin befanden sich ein paar Ausweise, meine gesperrte Kreditkarte – und ein uraltes Kondom, wusst ich’s doch.

Während er auf mir lag und viel zu wilde Bewegungen machte, wurde ich wütend. Was zum Teufel trieb ich da? Keine zwei Minuten hatte es gebraucht, bis ich schwach geworden war. Hätte er mich gleich bei der Tür geküsst, dann hätte sogar weniger als eine Minute gereicht. Ich war der Welt größte Schlampe.

Er drückte seine Wange an meine, schwitzte und stöhnte – ich verdrehte die Augen. Wie konnte ich die Sache möglichst nett beenden? Ich musste warten, bis er fertig war, oder? Egal, so wie der sich aufführte, konnte es nicht mehr lange dauern.

Es dauerte lange. Ich hatte genügend Zeit für den Entschluss, Kostüm-Puck, Frederick-Ricky und Wollweste zu sagen, dass ich die Maskerade nicht so nuttig wollte. Ich sehnte mich nach Biederkeit und Anstand, Worte, über die ich sonst nur lachte. Oh, und meinen Eltern würde ich sagen, dass ich Weihnachten zu ihnen kam, ja, dieses Jahr bestimmt. Aua, was machte dieser Idiot da auf mir? Weihnachten, genau, diesmal konnte ich ihnen was richtig Cooles kaufen, vielleicht einen Flatscreen oder so eine Whirlpoolfunktion für die Badewanne. Bis dahin musste ich doch schon die erste Zahlung erhalten haben. Und 2010 konnte ich ausziehen. Raus aus der WG, weg von Britta. Flo würde dann sowieso in Graz sein. Ihm würde ich auch was Cooles kaufen zu Weihnachten, irgendwas für den PC. Und Britta, ja, die würde aus den Latschen kippen, wenn ich ihr eine tolle Handtasche oder so was schenkte, dann könnte ich auch mit ruhigem Gewissen ausziehen, dann würde sie nicht denken, dass es ihretwegen war – Strehl brach erschöpft über mir zusammen. Ich frohlockte. Er begann in meinen Haaren zu wühlen. Bitte kein Nachspiel, bitte, ich brauch so was nicht.

»Na, sehr gut …«, sagte ich, um die Stimmung ein wenig aufzulockern. Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. Ich räusperte mich, so laut es ging. Er schreckte hoch und setzte sich auf. Ich erstarrte. »Das Kondom? Wo ist das Kondom?«

Er stutzte. »Oh, das muss wohl –«

Ich rappelte mich hoch. Verdammt, das verfluchte Ding musste noch in mir sein. Ich biss mir auf die Lippen und begann herumzustochern.

»Soll ich dir helfen?«, fragte Strehl. Ich musste mich zurückhalten, um ihm nicht an die Kehle zu springen.

Als ich das Ding endlich erwischt hatte, stolperte ich Richtung Bad. Ich schmiss die Tür hinter mir zu, stieg in die Dusche und reinigte mich so gründlich wie noch nie in meinem Leben. Als ich schließlich auf dem Frotteeteppich stand und mich abtrocknete, konnte ich mir den Blick in den Spiegel nicht verkneifen. Mein Gesicht sah so aus, wie ich mich fühlte. Ich streckte ihm meine erhobenen Daumen entgegen und gratulierte mir zu dem gelungenen Abend. Dummes Stück, wenn du so was schon ohne Spaß und Freude machst, dann nimm wenigstens Geld dafür.

Ich öffnete die Tür, hörte Strehl mit irgendjemandem reden und blieb abrupt stehen. Seine Stimme klang emotionslos und doch völlig entrückt. »Frieda, tu mir das nicht an … bitte … Frieda …«

Scheiße, war das alles peinlich. Ich stand in seinem Handtuch in seiner Badezimmertür und hörte mit an, wie er eine andere anflehte. Ich kniff die Augen zusammen. Scotty, beam me up!

»Oh, du bist wieder da …«

Ich musste fast die Finger benutzen, um meine Augen zum Öffnen zu überreden. »Ja, ähm, die Dusche ist super, alles Marmor, nicht wahr? Wow …« Ich stakste im Handtuch in die Mitte des Raumes, wo meine Sachen auf dem Boden lagen. Strehl stand daneben mit dem Handy in der Hand und einer Hautfarbe, die mehr als gespenstisch war. Dabei war er es, der mich anglotzte, als hätte er einen Geist gesehen. Und das während der gesamten Zeit, in der ich mich anzog, wo es doch nach dem ersten Mal sowieso kaum was Erniedrigenderes gab, als sich wieder in Klamotten zu werfen.

»Und? Geht es dir gut?«, fragte er.

Der Reißverschluss meiner Jeans klemmte. »Bestens. Ich nehme doch an, dass du kein Aids hast, oder?« Meine Finger zitterten plötzlich, und ich setzte ein kleines Lachen hinterher.

Er hingegen blieb ganz ernst. »Nein, habe ich nicht. Und du?«

»Nein. Und schwanger bin ich hoffentlich auch nicht.« Ich ließ den Reißverschluss einfach offen und sah Strehl an.

Er starrte zurück, als würde er nicht verstehen.

Ich versuchte es noch mal mit dem blöden Lachen. »Ich meine, es wäre eine sehr interessante Info für mich, wenn du mir jetzt sagen würdest, dass du eine Vasektomie hattest. Hm? Vielleicht?«

Sein Gesicht und sein Tonfall blieben völlig ausdruckslos, als er sagte: »Nein, ich hatte keine Vasektomie.«

»Na prima«, presste ich hervor und wünschte, ich könnte die Zeit eine halbe Stunde zurückdrehen.

»Es tut mir leid, dass der Abend so plötzlich endet.«

Ich winkte ab. »Aber nein, das macht doch nichts, ich bin keine von diesen Frauen. Ich bin nicht beleidigt, ehrlich. Und wir – wir können ja mal zusammen essen gehen oder so …«

Während ich sprach, zwängte ich mich in die Stiefel und meinen Mantel. Ich hob die Hand zum Abschied, winkte und stolperte aus der Tür, ehe er mich aufhalten konnte. Ich rannte durch den Garten, durch die Böhmgasse und stoppte erst, als ich den Brechreiz nicht mehr unterdrücken konnte. Ich erbrach mich auf den Hinterreifen eines Porsches, und zwar gerade in der Sekunde, als der Besitzer kam.

Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause, hatte allerdings kein Geld für ein Taxi. Geschlagene dreizehn Minuten dauerte es, bis die Straßenbahn kam.

Ich setzte mich ganz nach hinten und vergrub das Kinn im Mantelkragen. In meiner Nase lag der Dunst von Erbrochenem.

So was war mir eine ganze Weile nicht mehr passiert. Weder das Kotzen noch der Sex, und schon gar kein verrutschtes Kondom. Früher, ja … aber mein Gott, früher war ich jung und dumm.

Und ausgerechnet jetzt, wo ich das erste Mal etwas Lukratives in Aussicht hatte, was heißt in Aussicht? – ich hatte es! Ausgerechnet jetzt musste ich in der Straßenbahn sitzen und mir den Kopf darüber zerbrechen, ob ich mir irgendwas eingefangen hatte. Scheiße!

Der Heimweg dauerte über eine Stunde. Ich war durchgefroren, und auf dem letzten Stück hatte es auch noch zu regnen angefangen. Meine Füße schwammen in den Stiefeln. Das wäre auch mal was. Wasserdichte Schuhe, nicht immer das billige Zeugs.

Wenigstens hatte ich meinen Schlüssel mit, und wenigstens waren beide Vögel ausgeflogen.

Ich warf die Wohnungstür hinter mir zu und schlüpfte mit einem lauten Schmatzgeräusch aus den nassen Tretern. Meine Socken hatte ich bei Strehl gelassen.

Dann ging ich schnurstracks in mein Zimmer und verkroch mich ins Bett. Ich presste die Augenlider aufeinander und war so wütend, dass ich Sterne sah. Blitzende Sterne auf rotem Hintergrund. Mit einem Ruck setzte ich mich auf. Ich drehte das Lämpchen über meinem Bett an, holte Gras, Tabak und Papier aus dem Nachtkästchen und drehte mir eine Tüte. Und gleich noch zwei weitere.

Nur heute noch, nur wegen dieser Aidssache, sobald die ausgestanden war, nie wieder. Nie wieder in meinem ganzen Leben.

Ich rauchte zweieinhalb Joints und fühlte mich ordentlich beschwummert. Besser ging es mir nicht, aber zumindest konnte ich einschlafen.

4
Donnerstag, 21. Oktober
Lilly, 2:15

Dieser Strehl soll mich endlich loslassen. Verdammt, nimm die Finger aus meinem Gesicht! Du Arschloch, ich werd dir –

»Lilly!«

»Flo?«

»Verdammt, was ist das für ein Zeug, das du dir reingezogen hast? Ich hab gedacht, du bist tot.«

Das Licht war so grell, dass es mit Sicherheit Löcher in meine Netzhaut brannte. »Bitte, lass mich –«

»Lilly, steck dir einen Kaugummi in den Mund und komm mit. Da warten zwei Polizisten auf dich im Vorzimmer.«

Ich kniff die Augen zusammen. »Bist du verrückt?«

Flo sah so ernst aus wie nie zuvor. »Scheiße, Lilly, ich hab keine Ahnung, was die von dir wollen, aber du musst kommen.«

Ich fand auf die Schnelle keinen Kaugummi, also schob ich mir eine Halswehtablette in den Mund. Mein Herz klopfte viel zu schnell unter dem roten T-Shirt. Mein Wecker auf dem Nachtkästchen zeigte zwei Uhr sechzehn.

Der Weg durch den Flur erschien mir endlos, ich hatte mehr Angst als damals bei der Aufnahmeprüfung, mehr Angst als bei jedem Casting. Meine Eltern, es waren bestimmt meine Eltern. Einer von ihnen musste tot sein, womöglich beide.

Ich stürzte auf die Polizisten zu, ein Pärchen, das war das Einzige, was ich anfangs wahrnehmen konnte. Ein Mann und eine Frau. Britta stand neben ihnen und sah verstört aus.

»Was ist?«, stieß ich hervor. »Was ist mit meinen Eltern? Sind sie – tot?«

Mann und Frau sahen sich an.

»Jetzt sagen Sie schon!«

Mann ergriff das Wort. »Frau Sommer, es ist nichts mit Ihren Eltern.«

Ich schlug die Hände auf die Brust. »Oh Gott, danke, danke …« Ich war so erleichtert, dass ich beinahe losheulte, bis mir einfiel, dass die beiden dann sicher wegen meiner Joints hier waren. Scheiße!

»Was kann ich dann für Sie tun?«, fragte ich im schönsten Theaterdeutsch, um mir etwas Respekt zu verschaffen nach dem Ausbruch.

Erneut sahen sie sich an. Plötzlich wirkten sie, als wären sie sich nicht mehr sicher, ob ich überhaupt etwas für sie tun konnte.

Wieder ergriff Mann das Wort. Während er sprach, zog er seine Polizeimarke hervor. »Frau Sommer, ich bin Chefinspektor Hans Elfrath und möchte Ihnen einige Fragen zum vergangenen Abend stellen.«

Ich stieß unwillkürlich einen verächtlichen Laut aus. »Ach du meine Güte, jetzt verstehe ich. Hören Sie, ich hab den Porsche nicht angerührt. Egal, was der Typ behauptet. Und dass man sich mal den Magen verrenkt, wird ja wohl noch erlaubt sein.«

Frau machte zum ersten Mal den Mund auf. »Welcher Porsche? Und welcher Typ?«

Ich runzelte die Stirn. »Sind Sie nicht wegen dem Porsche hier?«

»Ich wiederhole: Welcher Porsche? Und welcher Typ?«

Frau war wohl etwas pedantisch. Ich wandte mich an diesen Elfrath und versuchte es auf eine neue Tour. »Möchten Sie einen Kaffee? Tee? So wie es ausschaut, kann diese Sache sich hinziehen. Es sei denn, Sie drücken sich etwas klarer aus.«

»Wir möchten keinen Tee und keinen Kaffee«, spulte Frau herunter.

Flo legte mir warnend die Hand auf den Arm. Ich verstand und wartete.

»Wir möchten uns mit Ihnen über Dr. Alexander Strehl unterhalten«, sagte Elfrath und beobachtete mich dabei scharf. Was natürlich ganz toll war, denn ich zuckte bei dem Namen regelrecht zusammen.

»Was hat er verbrochen?«, fragte ich. Ich durfte doch hoffen, dass er etwas verbrochen hatte, oder? Es würde doch nicht so sein, dass er mich wegen Vergewaltigung angezeigt hatte? Mir entfuhr ein Lachen. So ein Blödsinn.

»In welchem Verhältnis standen Sie zu Dr. Strehl?«

Flo neben mir machte eine ruckartige Bewegung, Brittas Augen verengten sich. Jeder Idiot hätte kapiert, was das »standen« in Elfraths Satz bedeutete. Aber ich musste natürlich wieder eine Show abziehen und frech erwidern: »Jedenfalls in keinem engen, ich wusste nicht mal, dass er Doktor – war?«

»Dann wissen Sie also, dass er tot ist.«

Wären sie doch wegen meiner Joints gekommen … Ich schluckte. »Ich weiß es, weil Sie ›standen‹ gesagt haben.« Hilfesuchend wandte ich mich an Britta und Flo. »Ihr doch auch? Ihr habt das auch mitgekriegt, oder?«

Beide nickten stumm.

»Wir haben Ihre Geldbörse mit Ihrem Führerschein bei seiner Leiche gefunden. Und wenn ich nicht irre, Ihre Socken.«

Frau sah mich abschätzig an. »Und wenn ich nicht irre, ­einiges an Sekreten.«

Mir blieb der Mund offen stehen. »Ist das ›versteckte Kamera‹?«, flüsterte ich.

Flo legte den Arm um mich. Seine Stimme war unnatürlich laut. »Was wollen Sie von unserer Freundin? Sie können doch nicht herkommen und sie wie den letzten Dreck behandeln. Sagen Sie, was Sie wollen, und dann hat sich die Sache.«

»Wir sind hier, um Frau Sommer in einem Mordfall zu befragen.« Keiner von uns dreien zeigte eine besondere Reaktion. War schließlich kaum anzunehmen, dass die beiden wegen eines natürlichen Todes so einen Aufstand machten. Trotzdem fixierte Elfrath mich: »Sie wirken nicht im Mindesten überrascht.«

Am liebsten wäre ich ihm an die Kehle gesprungen. »Stellen Sie schon Ihre Fragen«, presste ich hervor.

Frau sagte: »Wir werden uns setzen müssen. Dieses Gespräch kann länger dauern.«

Lilly, 4:45

Das »Gespräch« dauerte zweieinhalb Stunden und war in Wahrheit ein Verhör.

Ich wiederholte eintausend Mal, dass ich Strehl am Dienstag, dem neunzehnten Oktober, im Kostümfundus kennengelernt hatte und mir bis dahin seiner Existenz nicht bewusst gewesen war. Ich spürte eintausend Mal Fraus Blick auf mir – ich glaube, sie hieß Bauer, für mich aber blieb sie einfach nur Frau –, fühlte das Stigma der Schlampe und wusste, dass ich in den Augen der beiden null Anspruch auf eine faire Behandlung hatte. Geschweige denn auf ihr Vertrauen, egal, wie sehr ich mir den Mund fusselig redete.

Nein, ich war nie zuvor in seinem Haus gewesen. Nein, wirklich nicht, ich log nicht. Nein, auch nicht am Tag davor. Nein, sicher nicht. Nein, er hatte mir gegenüber nichts davon erwähnt, dass am Dienstagabend seine Alarmanlage losgegangen war. Nein. Nein. Nein.

Irgendwann fragten sie mich nach einem Ludwig Seiwald oder so ähnlich. Der Name sagte mir irgendwas, trotzdem schüttelte ich den Kopf.

Als Frau aufstand und zur Toilette ging – sie hatte tatsächlich ein menschliches Bedürfnis –, beugte ich mich zu Elfrath hinüber und sagte leise: »Hören Sie, es hat einen kleinen Unfall mit dem Kondom gegeben. Wird Alexander Strehl noch untersucht? Ich meine, wenn er HIV-positiv ist oder so, würde das doch bemerkt werden?«

Elfrath holte ausgiebig Luft und blies sie noch leidenschaftlicher aus. Ich starrte zur Küchentür, hatte Angst, dass Frau zurückkommen könnte. »Bitte«, flüsterte ich.

»Wir dürfen Ihnen keinerlei Auskünfte über den Verstorbenen geben.«

Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Sind Sie denn kein Mensch? Haben Sie noch nie einen Fehler gemacht?«

»Jedenfalls musste ich noch nie befürchten, dass ich mich mit einer Sexualkrankheit angesteckt habe.«

Ich knallte die Fäuste auf den Tisch und verlegte mich aufs Zischen. »Eins sag ich Ihnen, wenn ich Männer damit anstecke, dann wäre es in Ihrer Hand gewesen, das zu verhindern.«

Frau kam herein. Elfrath gab klein bei. »Schon gut, wenn herauskommt, dass er HIV-positiv war, wird man Sie verständigen.«

Den Blick von Frau können Sie sich vorstellen.

Es war fast fünf, als die beiden gingen. Mit dem Hinweis, dass meine Geldbörse und meine Socken vorübergehend in Polizeigewahrsam blieben und ich mich für weitere Befragungen verfügbar halten müsse. Elfrath hatte mir eine Handynummer gegeben, unter der er erreichbar wäre, falls mir noch etwas einfiele. Ich glaube, er bereute das in dem Moment, als ich beim Verabschieden wiederholte, er solle dem Gerichts­mediziner unbedingt wegen der Aidssache einheizen.

Die nächsten Stunden verbrachte ich vor Flos PC. Anfangs saß er neben mir, gähnte alle zwei Sekunden, bis ich mich seiner erbarmte und sagte: »Leg dich in mein Bett.«

»Du weißt, dass ich eigentlich geplant hatte, heute Vormittag mit Phil nach Graz zu fahren?«

»Das Probewohnen zu zweit«, leierte ich herunter. »Als ob ihr das hier nicht sowieso die ganze Zeit tätet.«

»Das ist was anderes. Sein Lebensmittelpunkt ist dort unten, und ich hab ihm versprochen, dass wir es gemeinsam –«

»Bla, bla, bla.« Ich rang mir ein richtig schönes Lächeln ab. »Ich weiß. Und ich finde es gut. Und natürlich fährst du heute wie geplant hin. Ich bin vollkommen okay, keine Sorge.«

Er antwortete nicht.

Ich seufzte ungeduldig. »Ich meine es ernst. Leg dich in mein Bett, schlaf dich aus, und dann gondle gemütlich nach Graz. Wir sehen uns in einer Woche.«

»Wenn du was brauchst –«

»Meld ich mich, klar.« Er beugte sich zu mir runter, und ich küsste ihn auf die Wange.

Nachdem er die Tür geschlossen hatte, starrte ich gebannt auf den Bildschirm. Ich hatte »Alexander Strehl« eingegeben und 7900 Treffer erzielt.

Der erste Link führte mich zu Wikipedia und dem Lebenslauf des Mannes, mit dem ich vor acht Stunden geschlafen hatte. Ich überflog die Daten. * 23. Oktober 1950 in Mödling; † 20. Oktober 2010 in Wien, war ein österreichischer Manager.

Alle Achtung, da war aber jemand sehr fix, die Sache war doch noch nicht mal offiziell, oder? In zwei Tagen hätte er Geburtstag gehabt … Der Mann war dreißig Jahre älter als ich gewesen – und natürlich Skorpion. Wieso waren es immer Skorpione bei mir?

Der Rest seiner Biografie war ein einziges Blabla. Interessant fand ich lediglich den letzten Satz: Er starb in der Nacht auf den 21. Oktober unter noch ungeklärten Umständen.

Na, wenigstens nicht an Aids. Ich klickte zurück zu Google und gab neben Strehls Namen »HIV« ein. Ich drückte die Enter-Taste und wartete.

0 Übereinstimmungen. Beruhigt war ich trotzdem nicht.

Ich löschte HIV und drückte noch mal Enter. Ich übersprang den Wikipedia-Eintrag und widmete mich dem nächsten.

Das Adrenalin schoss mir bis in die Haarwurzeln. Das konnte nicht wahr sein! Der zweite Eintrag war von einem Onlinemagazin namens Austria twenty-four hours, datiert auf gestern, 16 Uhr 40: Spitzenmanager Alexander Strehl vollkommen gebrochen nach Mord an bestem Freund.

Der Name Ludwig Seibold verschwamm vor meinen Augen. Man musste kein Detektiv sein, um sich zusammenzureimen, dass die beiden Morde miteinander zu tun hatten. Und dass die Polizei mich in beiden Fällen auf dem Kieker hatte.

Ich saß bis um sieben vor Flos PC und klickte mich durch das Society-Leben des Richters. Er war zwei Jahre jünger gewesen als Strehl und seit dem Sandkasten mit ihm befreundet. Man sagte ihm eine harte, aber gerechte Linie im Gericht nach. Ich schnaubte, so ein Scheißklischee, hart, aber gerecht. Klang sehr nach Arsch. Jedenfalls hatte der Typ sich andauernd auf irgendwelchen Protzpartys herumgetrieben, oftmals mit Strehl im Schlepptau.

Am Schluss klickte ich seinen Lebenslauf auf Wikipedia an und stolperte über den zweiten Satz der Biografie: Er war der jüngere Bruder der Regisseurin und Theaterleiterin Frieda Bernhard.

Ich ließ mich gegen die Lehne fallen.

An Flos Tür klopfte es. Ich war unfähig, ein Wort zu sagen, aber Britta kam auch ohne Aufforderung rein. Die Sache musste sie tatsächlich gehörig mitnehmen.

Ich starrte in ihre kugelrunden blauen Augen, saugte mich an ihnen fest und versuchte alles, um die Erinnerung an eine ältere, leidenschaftliche Frau abzuschütteln, die ich jahrelang verehrt hatte, so lange, bis meine Träume von der kalten Wirklichkeit erdrückt wurden, die aus Rechnungen, Hunger und Nebenjobs bestand.

»Wie geht’s dir, Lilly?«

Ich wollte die Starke, Unbeeindruckte spielen, vor allem vor Britta. Sie war die Letzte, der ich mein Herz auszuschütten gedachte. Ich überraschte mich selbst, als ich »beschissen« sagte.

»Kann ich dir helfen?«

»Kennst du Frieda Bernhard?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Dann kannst du mir nicht helfen.«

»Wer ist das?«

Meine Schultern sackten nach vorne, auf meinem Buckel hätte ein Nilpferd Platz gehabt. »Sie ist eine Art Schauspielguru, eine wahre Meisterin. Jedenfalls war sie das, als ich meine Ausbildung gemacht habe. Wir wollten alle in ihre Kommune –«

»Kommune?«

»Sie lebt mit ihren Schauspielern zusammen. Sie ziehen herum, international, haben aber auch eine eigene Bühne, irgendwo im Süden von Wien. Zumindest früher. Keine Ahnung, ob – na jedenfalls …«, ich lachte traurig, »wir haben uns damals alle für eine von zwei Richtungen entschieden, entweder Film und Fernsehen oder Kunst. Ich habe zu den Künstlern gehört und wollte unbedingt in die Kommune.«

Britta verschränkte die Hände vor dem Körper und sah unheimlich sittsam aus. Augenblicklich hatte ich das Bedürfnis, die Füße auf Flos Tisch zu legen und zu rülpsen. »Und?«, fragte sie.

Ich ließ die Füße auf dem Boden und sank noch mehr in mich zusammen. »Nichts und. Niemand, den ich kenne, hat es jemals in die Kommune geschafft.«

Britta runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht, was das mit letzter Nacht zu tun hat.«

Ungeduldig wedelte ich mit der Hand. »Vergiss es, gar nichts, ist mir nur gerade eingefallen.« Ich sah auf die Uhr. »Willst du wirklich was für mich tun, Britta?«

Stummes Nicken.

»Ich brauch dringend einen Kaffee. Mit ganz viel Zucker drin.«

Irgendwie sah sie enttäuscht aus, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Kaum war sie draußen, gab ich Frieda Bernhard und Konservatorium in die Google-Suchfunktion ein.

Wusste ich denn sicher, dass es nie jemand aus meiner Schauspielschule in die Kommune geschafft hatte? Vielleicht fand ich ja doch eine Verbindung, irgendein – ich stutzte. Die ersten beiden Ergebnisse hatten wenig vielversprechend ausgesehen, irgendetwas von einem gemeinsamen Auftritt Frieda Bernhards mit dem Prager Konservatorium. Den dritten allerdings klickte ich an:

Dino Winter, Kurzbiografie:

geboren am 18. November 1976 in Wien

Schauspieldiplom am Konservatorium d. Stadt Wien 1998

1998 – 2000 Episodenrollen in mehreren Serien (u. a. Tatort, Kommissar Rex, Traumschiff)

2000 Mitglied in der renommierten Theatergruppe Frieda Bernhards

2001 Hauptrolle in Une petite histoire d’amour (Goldene Palme in Cannes für den besten Hauptdarsteller, Oscarnominierung für die beste Hauptrolle)

In den letzten Jahren wurde es ruhiger um den Star.

Es wurde ruhiger um den Star. Eine freundliche Umschreibung für ein Karrieretief. Oder hatte er sich freiwillig für den Ausstieg entschieden?

Dino Winter bei Frieda Bernhard. Das passte zusammen wie Hiphop und Mozart. Wobei – warum eigentlich nicht? Meine Augen brannten, die Buchstaben am Bildschirm begannen zu schunkeln. Schunkelmusik … Musikantenstadl und Hiphop, Mozart und Dino … ich war so müde, ich wollte nur noch ins Koma fallen.

Ich klickte einen Link zur Homepage des Schauspielers an und bekam eine Fehlermeldung. Ich suchte nach »Dino Winter« und bekam 142 000 Einträge, die meisten sicher in Verbindung mit Une petite histoire d’amour, dem Film, Sie erinnern sich? Ein Riesenspektakel damals, weil ein österreichischer Schauspieler in einem französischen Film für den Oscar nominiert war.

Den Preis für den besten Sprung ins Fettnäpfchen bei der Premierenfeier hätte jedenfalls ich eingeheimst. Ganz großes Kino. Dino Winter war so ziemlich der letzte Mensch, an den ich mich wenden konnte. Es sei denn, er hatte unsere Begegnung vergessen.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺281,84
Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
241 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783867549561
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu