Kitabı oku: «Wer wir wären», sayfa 2

Yazı tipi:

ZWEI

»Kaffee?«, fragte er.

Ich nickte, während mein Blick den riesigen Raum durchmaß und dabei an etlichen Objekten hängen blieb.

»Bruno Gironcoli hat hier gearbeitet«, sagte Klaus, da er ein Fragezeichen hinter meiner Stirn erkannt zu haben glaubte. »Und nicht nur das. Er hat hier auch gelebt. Ach ja, nur zur Info, der Kaffee schmeckt fürchterlich. Willst du trotzdem einen?«

»Ja«, sagte ich. »Hauptsache, er wirkt.«

»Na dann, ich bin gleich wieder da.«

Ich schlenderte von einem Objekt zum anderen. Manche waren größer als ich, andere wiederum flach und breit, die einen aus Stein oder Metall, andere aus Styropor oder Wolle, manche schienen mehr oder weniger bereit, ausgestellt zu werden, anderen wiederum sah man deutlich an, dass sie noch viele Stunden an Bearbeitung benötigten. Klaus kam mit zwei braunen Plastikbechern zurück und stellte sich mir gegenüber.

»Daran arbeite ich gerade«, sagte er, reichte mir einen Becher und deutete mit dem Kopf auf eine Plastik. »Es ist noch nicht so weit. Da bin ich mindestens zwei, drei weitere Wochen damit beschäftigt.«

»Es schaut gut aus«, sagte ich.

»Nein«, sagte er, »tut es nicht.«

Er nahm einen Schluck Kaffee. Sein Hals spannte sich dabei an. Es wirkte auf mich, als wenn er beim Schlucken starke Halsschmerzen hätte. Ich tat ihm nach, nahm einen kleinen Schluck von der hellbraunen Brühe und kam nicht umhin, das Gesicht zu verziehen.

»Es ist wie mit diesem Kaffee«, sagte er. »Zu viel Zucker ist drin. Oder zu wenig. Oder die Milch ist schlecht. Oder besser gesagt: das Milchpulver. Oder die Qualität der Bohnen gibt nichts her. Oder sie wurden nicht richtig geröstet.«

»Ich finde es gut«, sagte ich.

»Du meinst den Kaffee?«

»Nein«, sagte ich und musste grinsen. »Der Kaffee schmeckt beschissen. Aber deine Arbeit, die finde ich schön.«

»Schön«, wiederholte er leise. »Ich finde sie auch schön. Und da liegt auch das Problem, denn das ist mir einfach zu wenig, weißt du? Die Arbeit soll nicht gut und schön sein, sie soll verstörend sein, sie soll nicht vergessen werden und sich in deine Eingeweide reinbohren, sie soll zu einem Diskurs anstoßen, sie soll zu Abneigung führen oder sprachlos machen, weil Worte wie schön nicht ausreichen, um ein Werk zu beschreiben. Und genau diesen Anspruch erfüllt diese Arbeit nicht. Deshalb ist sie auch noch lange nicht fertig.«

Wir schwiegen eine Minute, dann sagte Klaus, dass er mit dieser Arbeit vielleicht nie fertig werden würde, dass sie, wie so viele andere auch, im Müllcontainer landen würde, dass sie eine von den Arbeiten wäre, die es nicht verdient hätte, anderen Menschen gezeigt zu werden, dass sie vielleicht nur eine Übung wäre, damit er das nächste Mal gleich von Anfang an alles richtig machen könnte.

»Alles richtig machen«, sagte ich und nippte am lauwarmen Kaffee, der diese Bezeichnung kaum verdiente, nun, nachdem ich an den Geschmack gewöhnt war, aber ohne Wiederstand durch die Speiseröhre in den Magen floss.

»Du hast recht«, meinte er. »Alles richtig zu machen, ist genauso langweilig. Es ist eine Gratwanderung, die manchmal gut geht und ein andermal eben nicht. Dann stürzt man in die Tiefe und das Kunstwerk ist verloren.«

»Komisch«, sagte ich, »dass du mich erst jetzt das erste Mal hierher eingeladen hast.«

»Hmm«, machte er und sagte, dass er sich schon schwertue, mit den Lehrenden über eine unfertige Arbeit zu reden. »Das war von Anfang an ein Streitpunkt. Und wenn ich mit einer Plastik zufrieden bin, möchte ich sie zwar herzeigen, aber mit Kritik kann ich dann genauso wenig …« Klaus stockte. »Also, es ist nicht so, dass ich damit nicht umgehen könnte«, sprach er weiter. »Es ist eher so, dass ich damit nichts anfangen kann. Es ist mir im Grunde egal, was die anderen darüber sagen und ob sie etwas daran auszusetzen haben. Die Arbeit kann meinetwegen Ausgangspunkt einer Diskussion sein, sie kann ein Katalysator sein, verstehst du? Der tritt dir in den Hintern und dann bringt er dich auf eine Idee, die dir vorher nicht eingefallen wäre. Das ist Sinn und Zweck des ganzen Schaffensprozesses, zumindest für mich. Die Kritik am Werk selbst interessiert mich nicht. Wenn sie erst mal fertig ist, gibt es daran nämlich nichts zu kritisieren. Ein Mensch, der fertig ist, also geboren wird, daran gibt es auch nichts zu kritisieren. Er ist zu nehmen, wie er ist, und das ist gut so. Bei einem Kunstwerk sollte es nicht anders sein. Man kann, wenn man will, damit in Kontakt treten oder es ignorieren. Aber sagen, dass das hier bitte so zu machen sei und das hier so? Nein, deshalb habe ich mich hier nicht beworben. Es gibt viele Studierende, die ganz heiß auf Kritik sind, die wollen von den Lehrenden fertiggemacht oder in den Himmel gelobt werden. Mich interessiert das nicht.«

»Und du bist hier, weil …?«

»Ich bin dieses besonderen Ortes wegen hier, wegen der Materialien, wegen dem Werkzeug, der Möglichkeit, sich auszubreiten und weil alle hier das Gleiche tun, weil man sich mit seinesgleichen austauschen kann.«

»Verstehe«, sagte ich. »Aber was ist mit der Technik. Die hat man doch nicht gleich so drauf, also kann man zumindest die Ausführung kritisieren, oder?«

»Die Technik«, sagte Klaus, »kommt ganz von alleine durchs Tun. Ein Frühwerk, dem man gewisse technische Mängel ansehen mag, kann genauso interessant, wenn nicht interessanter sein als ein Spätwerk. Wenn man nicht aufpasst, kann das Verfahren vieles kaputt machen. Es gibt praktisch einwandfrei gearbeitete Werke, die nichts in mir auslösen, und dann gibt es welche, die stecken, zumindest aus einer kunstfertigen Perspektive gesehen, in den Kinderschuhen, hauen mir aber derart in die Magengrube, dass mir für einige Zeit die Luft wegbleibt.«

»Technik ist also unwichtig?«, fragte ich einigermaßen verblüfft.

»Nein«, sagte Klaus, »natürlich ist sie wichtig. Aber es gibt Dinge, die sind wichtiger.«

»Zum Beispiel?«

»Dass man einen guten Zugang zu sich selbst hat«, sagte er nach kurzem Überlegen. »Das ist wahrscheinlich das Wichtigste. Dass man das, was in einem tief drinnen brodelt, erkennt und bei Bedarf hervorholen kann. Aber was erzähle ich dir. Das weißt du alles von deinem Studium.«

»Nicht unbedingt«, entgegnete ich. »Bei Konservierung und Restaurierung ist die Ausführung heilig. Natürlich heißt das nicht, dass von uns keine Kreativität abverlangt wird, aber die Gewichtung ist eindeutig.«

Ich fragte Klaus, ob die Verbindung zu ihm selbst ganz von alleine da sei, wenn er an einem Werk arbeite.

»An manchen Tagen«, sagte er, »ist sie da, an anderen Tagen suche ich vergeblich nach ihr. Es braucht Zeit. Viel Zeit und Ruhe. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich stundenlang auf die Oberfläche eines Materials starre, das vor mir am Boden liegt … Und die Gesellschaft«, fuhr er fort, »sie verlangt von uns, dass wir einen anderen Blick auf die Welt haben sollen, dass wir sie mit unseren Werken verzaubern sollen, aber gleichzeitig sollen wir arbeiten, also hackeln, wie jeder andere Bürger auch, während des Tages arbeiten und am Abend Kunst machen, weil das schon gehen wird; wir sollen empfindsam sein und dann doch wieder nicht, wir sollen Missstände aufzeigen, aber dann doch bitte lieber nicht zu tief mit dem Finger in die offenen Wunden eindringen. Und weil die Menschen nicht wissen, was sie von uns wollen, obwohl sie wissen, dass sie uns wollen, tut ihnen jede Million, die zusätzlich vom Steuergeld für die Kunst ausgegeben werden soll, weh. Aber das ist eine andere Geschichte.«

Klaus nahm einen letzten Schluck aus dem Becher, zerdrückte ihn, indem er eine Faust formte, und warf ihn auf seine Plastik. Ich imitierte ihn, nahm meinen letzten Schluck, zerdrückte den Becher, indem ich eine Faust formte, und warf ihn auf seine Plastik. Hellbraune Flüssigkeit rann über den grauen, grob bearbeiteten Stein. Klaus schaute mich lange an, ich wartete darauf, dass er, entgegen seiner Natur, jeden Moment auf mich einprügeln würde.

»Warte hier«, sagte er schließlich. Er verließ den Raum durch eine der beiden Türen, die auf den Gang führten. Für ein paar Minuten war er nicht zu sehen. Ich hörte Holz- und Metallgegenstände, die auf den Steinboden knallten. Als er den Raum wieder betrat, hielt er einen Vorschlaghammer in seinen Händen. Er trat auf mich zu und hob ihn mit zusammengebissenen Zähnen und weit geöffneten Augen über seinen Kopf. Obwohl ich wusste, dass er ihn nicht auf meinen Kopf krachen lassen würde, zuckte ich zusammen. Da senkte er langsam den Hammer und sagte:

»Du zuerst.«

»Wie meinst du das?«, fragte ich.

Er deutete auf seine Plastik.

»Hau drauf«, sagte er. »Aus der wird nichts mehr. Ich habe zu viel weggenommen, schau mal, hier zum Beispiel, aber auch hier und hier und hier.« Er strich mit der Handfläche über ein paar Stellen. Ich konnte nicht erkennen, was daran nicht stimmen sollte.

»Da habe ich zu viel nachgedacht«, sagte er, »zu viel gewollt, da habe ich zu perfekt sein wollen. Bis es zu spät war. Das ist nicht mehr gutzumachen, auch wenn ich noch monatelang daran feile. Also tu mir bitte den Gefallen und hau drauf. Tu es einfach!«

»Bist du dir absolut sicher?«, fragte ich.

»Dir wird doch als angehender Restaurator schon mal ein übermaltes Gemälde in die Hände gekommen sein?«

»Natürlich«, sagte ich. »Oft gibt es sogar mehrere überlagernde Schichten in verschiedenen Schaffensperioden.«

»Dann stell dir bitte vor, dass du jetzt nichts anderes machst, als ein Gemälde neu zu grundieren. Glaub mir, es ist nichts anderes als das. Mit ein bisschen Glück kann ich aus dem Überbleibsel noch etwas Brauchbares machen.«

Zögerlich nahm ich ihm den Hammer ab. Er lag schwer in meinen Händen. Das letzte Mal, als ich einen Vorschlaghammer benutzt hatte, war ich noch kaum ein Jugendlicher gewesen. Mein Bruder Leander hatte, offenbar unabsichtlich, das Puzzle zerstört, an dem ich einige Wochen lang konzentriert gearbeitet hatte. Ich hatte ihn angeschrien, ihn einen kleinen, beschissenen Nichtsnutz und eine lausige, dreckige, behinderte Zecke genannt. Dann hatte ich ihm gesagt, dass ich nicht mehr sein Bruder sein wollte. Leander war damals sechs Jahre alt. Mein Vater nahm mich tags darauf beiseite, drückte mir einen Vorschlaghammer an die Brust und reichte mir zudem eine dünne Stecknadel, die einen kaum vorhandenen Kopf aufwies. Er deutete auf die grob verputzte Garagenwand und machte mit einem Bleistift, den er hinter seinem Ohr hervorgeholt hatte, ein gut sichtbares Kreuz. Die Stecknadel, sagte er, ich solle sie genau dort einschlagen. Ich runzelte die Stirn, da ich noch nicht ahnte, was er mir damit zeigen oder sagen wollte. Mit meiner rechten, zitternden Hand hob ich den Hammer, gerade noch fähig, ihn in angemessener Höhe zu halten. Mit der linken hielt ich die Stecknadel an die Wand. Ich ließ beides nach wenigen Sekunden wieder sinken und sagte, dass das so nicht funktioniere, dass ich einen kleineren Hammer benötige oder einen größeren Nagel. Das sei ihm schon klar, sagte er, aber ich solle trotzdem weitermachen, es zumindest versuchen. Aus meinem Mund drang ein leiser Seufzer, aber ich tat, was er wollte, hob abermals den Hammer hoch und hielt die Spitze der Stecknadel in die Mitte des an die Wand gemalten Kreuzes. Zu fest schlug ich auf den winzigen Kopf der Stecknadel, sie verbog sich und der Hammer rutschte ab, streifte mit der Kante über meinen Daumen und schürfte ein Stück der obersten Hautschicht ab. Ich spürte einen brennenden Schmerz und presste die Lippen aufeinander, ließ mir aber sonst nichts anmerken. Mein Vater nickte, machte dreimal mhmmm und nahm mir den Hammer und die verbogene Stecknadel ab. Er ging in die Hocke und sagte, dass es sich mit Worten ganz ähnlich verhalte, dass manche so hart und schwer seien, dass sie beim Aussprechen Erdbeben auslösen können und fähig seien, Löcher in einer meterdicken Mauer entstehen zu lassen, dass man mit ihnen hingegen keine Stecknadel in die Wand schlagen könne, um daran ein bemaltes Blatt Papier zu befestigen. Und diese Worte, fuhr er fort, wirkten auch auf die Menschen ein. Wenn sie zu heftig seien, würden sie in ihnen Risse erzeugen, die manchmal nur schwer heilbar wären. Alles, was aus meinem Mund komme, sagte er, bewirke etwas in der Welt, das dürfe ich nicht vergessen, und dass es an mir liege, zu entscheiden, wie ich die Welt formen wolle. Es sei daher ratsam, fügte er hinzu, mit dem Gesagten so bewusst wie nur möglich umzugehen, weil man ansonsten nicht nur andere Menschen verletzen könne, sondern, wie ich soeben gesehen hätte, auch sich selbst. Ich hob die linke Hand und betrachtete die abgeschürfte Haut an meinem Daumen. Mein Vater erhob sich, ging in die Ecke der Werkstatt, öffnete einen kleinen Kasten und hielt kurz darauf ein Pflaster in seinen Händen. Er klebte es mir behutsam über die wunde Stelle und meinte, dass in bestimmten Situationen der Vorschlaghammer genau das richtige Werkzeug sei, in anderen sei jedoch ein kleiner Hammer aus Gummi vorzuziehen. Ich verstand, was er mir sagen wollte, nickte und starrte beschämt zu Boden. Er fragte mich, wie viel Zeit ich in den letzten Wochen mit Leander verbracht habe. Obwohl ich bereits wusste, worauf er hinauswollte, sagte ich, dass ich keine Ahnung hätte. Er wiederholte seine Frage. Ich hob den Kopf und sagte ihm die Wahrheit. Mit leiser Stimme meinte mein Vater, dass Leander mich womöglich vermisst, seinen alten Spielkameraden, der nun langsam, aber doch in die Pubertät komme und andere Spiele spielen wolle. Ich tat so, als ob ich nicht wüsste, was er damit meinte, konnte jedoch nicht verhindern, dass Blut in mein Gesicht schoss und sich die Wangen rot verfärbten. Mein Vater lächelte und meinte, dass, wenn ich mich ab und zu mit meinem Bruder beschäftigte, er sicherlich nicht mehr auf die Idee käme, unabsichtlich mein Puzzle zu zerstören. Ich konnte nicht anders als zu lächeln, obwohl ich eigentlich ernst bleiben wollte, denn was Leander getan hatte, war nicht so leicht zu verzeihen. Deshalb nannte ich Leander weiterhin eine Nervensäge, weil er das eben war und weil er das blieb. Ich wollte nicht nachdenken, ich wollte keine Rücksicht nehmen auf das, was aus meinem Mund kam, vor allem dann nicht, wenn ich aufgebracht war. Ich hatte die Allegorie meines Vaters verstanden, aber ich hatte sie nicht verinnerlicht, wollte es nicht; in mir waren die Emotionen um einiges stärker als die Vernunft, ganz zum Leidwesen meines Bruders.

Nun stand ich also mit dem Vorschlaghammer im Atelier der Bildhauerei-Klasse, dachte an diese Szene, und mir wurde schlagartig bewusst, wie sehr ich meinen Vater vermisste. Ich könnte alte Fotos anschauen. Ich könnte alte Videos anschauen. Aber eine Stimme – und auch das Bild zu dieser Stimme – ist ein lächerlicher Ersatz für einen Menschen aus Fleisch und Blut. Und Leander? Ich sah sein Gesicht, es war verschwommen, undeutlich an den Rändern, es hatte keinen Zweck, ihn mir vorzustellen. Er existierte, lebte sein Leben, aber hatte seine Existenz etwas mit mir zu tun?

»Ich habe keine Wut in mir«, sagte ich zu Klaus. »Wie soll ich auf deine Arbeit einschlagen, wenn ich gerade keine Wut empfinde?«

»Glaubst du etwa, dass ich jedes Mal Wut empfinde, wenn ich den Stein bearbeite?«, fragte mich Klaus. »Und glaubst du, dass ein Schlagzeuger jedes Mal, wenn er sein Instrument spielt und mit voller Wucht auf die Trommeln eindrischt, Wut empfindet?«

»Ich sehe schon«, sagte ich und rollte mit den Augen.

Klaus lächelte. Fein gezogene Brauen zierten seine Augen, die mich fordernd beobachteten. Ein Grübchen entstand und verschwand wieder. Klaus hatte ein feminines Gesicht. Es war sehr schön, das konnte man, so dachte ich mir, ganz objektiv behaupten. Ich hätte ihn stundenlang anschauen können, ohne dass mir auch nur eine Sekunde langweilig geworden wäre. Manchmal, wenn ich bei ihm oder er bei mir übernachtete und er vor mir eingeschlafen war, tat ich genau das. Ich beobachtete ihn und fühlte mich wohl dabei, geborgen.

»Mach es doch einfach aus purer Freude«, sagte er.

»Aus Freude zuhauen?«, fragte ich überrascht.

»Na klar«, gab mir Klaus zu verstehen. »Warst du denn nie ein Kind? Es gibt kaum etwas Befreienderes, als etwas Schönes zu zerstören.«

Ich schaute Klaus lange an, dann nickte ich und hob den Vorschlaghammer hoch über meinen Kopf.

DREI

Ich dachte immer, Oberkärnten sei der obere, also nördliche Teil Kärntens, aber dem ist nicht so. In Kärnten ist oben der Westen. Dorthin hat mich Klaus eingeladen. Es war Karfreitag. Vor zwei Tagen war ich angekommen und hatte auch gleich seine Eltern kennengelernt. Seine Mutter hatte mich, als würden wir uns schon seit Jahren kennen, mit einer herzlichen Umarmung empfangen. Ich fragte mich, ob durch sie die Kärntner Seele, die bekanntlich etwas gemütlicher ist als die der anderen Bundesländer, besonders stark durchschien. Klaus’ Vater war ebenso entspannt, jedoch in einer nach innen gerichteten, passiven Form. Während eines Gesprächs nickte oder brummte er von Zeit zu Zeit, um zu signalisieren, dass er gedanklich anwesend war, aber er sprach nicht viel. Auch nickte er gerne ein, vormittags, dann kurz nach dem Mittagessen und noch einmal am Nachmittag, stets mit einem angedeuteten Lächeln auf den Lippen, während in angenehmer Lautstärke das Programm von Ö1 aus den alten Stereoboxen plätscherte. Dieser Mann hatte etwas von einem schweigenden, tief in seine Gedanken versunkenen Mönch, bis er dann doch etwas sagte, mit einem Satz herausfuhr aus seiner scheinbaren Abwesenheit und damit nicht selten so manches auf den Punkt brachte, worüber zuvor lang und breit diskutiert worden war. Ein kommunistischer Nazi, hatte er zum Beispiel gerufen, als wir über die Karrierelaufbahn eines bestimmten Politikers zu sprechen kamen, oder, als es um eine Sportlerin ging: Die kapiert nichts, und sie hat nie was kapiert und wird niemals was kapieren, und nach einer kurzen Pause: Deshalb ist sie so verdammt gut, oder, als es um einen Firmengründer ging: Ein Verlierer, der weiß, wie man gewinnt. Manchmal zankten sich Klaus’ Eltern, wobei es eher wie ein Schauspiel wirkte; jemand brachte den Stein ins Rollen, indem ein Triggerwort, von dem ich nichts wissen konnte, ausgesprochen wurde, woraufhin sofort mit einer Wortsalve reagiert wurde, die wiederum aufgefangen, durchgekaut und abermals zurückgeworfen wurde, und so weiter und so fort. Ein Ballspiel mit Andeutungen und Vorwürfen, die sich einem Nichteingeweihten entzogen, man konnte nur den Kopf nach links und rechts wenden und die wundersame Mechanik einer jahrzehntelang funktionierenden Ehe bestaunen. Kurzum, in dieser Familie war ich gerne Gast, denn sie lebte und gab mir das Gefühl, eine Bereicherung zu sein, anstatt eine Last, für die man zusätzlich kochen und putzen und Betten beziehen musste.

Am frühen Samstagnachmittag, kurz vor dem Osterschmaus, den mir Klaus als Herzstück aller Festessen angepriesen hatte, traf Martha ein. Seit einigen Jahren arbeitete sie in München in einem kleinen, aufstrebenden Architekturbüro. Klaus hatte nicht oft von seiner Schwester gesprochen und ich hatte selten nach ihr gefragt. Sie sei etwas eigen, hatte Klaus kurz vor ihrer Ankunft wiederholt angemerkt, sie tätige oftmals Aussagen, die sie eigentlich nicht so meine. Er sagte voraus, dass sie schwarz gekleidet sein würde, dass sie immer schwarze Kleidung trage, um, so scherzte er, dem Klischee der jungen, erfolgreichen Architektin zu entsprechen. Sie arbeite viel und sei deshalb, na ja, nervlich beansprucht. Ihr Büro habe einige wichtige Aufträge an Land gezogen und hinke nun mit den Planungen hinterher, ergänzte Klaus’ Mutter. Aber ich solle mir keine Sorgen machen, sagte Klaus und legte eine Hand auf meine Schulter, es werde schon gutgehen. Ich wollte ihn fragen, was er damit meinte, aber schon öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer und herein kam eine schlanke, gutaussehende Frau in einem schwarzen Hosenanzug, die ihre Eltern und ihren Bruder begrüßte und ihnen frohe Ostern wünschte und mir zu guter Letzt die Hand entgegenstreckte, wobei es den Anschein hatte, dass ihr diese Geste einige Mühe abverlangte.

»Albert, nehme ich an? Klaus hat dich erwähnt.«

»Das ist mein Name«, sagte ich und schüttelte ihre Hand. Ihr Griff war fest, die Haut selbst aber weich. »Schön, dich kennenzulernen.«

»Ob es schön ist, werden wir noch sehen«, sagte sie.

»Martha!«, rief Klaus’ Mutter ermahnend in ihre Richtung.

»Also gut, dann frohe Ostern, liebster Albert.«

Marthas Blick fühlte sich an, als würde man unter einem Röntgengerät liegen. Ich fragte mich, wonach sie in mir suchte. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit von meinem Scheitel bis zu den Zehenspitzen, als wenn sie ein Gebäude nach seiner Brauchbarkeit, der Beschaffenheit der Fassade und seiner generellen statischen Traglast überprüfen müsste. Hatte ich schon in der ersten Minute etwas Unpassendes gesagt, etwas Falsches getan?

»Ich habe einen Mordshunger, können wir nun endlich essen?«, fragte Martha, nachdem sie den Röntgenvorgang abgeschlossen hatte oder es ihr zu langweilig geworden war, mich länger zu durchleuchten.

»Alles gut«, flüsterte Klaus mir ins Ohr, »alles gut.«

Der Osterschmaus war all das, was mir Klaus versprochen hatte, und mehr noch. Vorzüglicher Schinken, verschiedenste Wurst- und Käsesorten, Eier, fein aufgefächerte Zunge, reichlich frisch geriebener, scharfer Kren und natürlich der berühmte Kärntner Reindling, der bei diesem Fest, so habe ich zumindest gehört, nicht fehlen darf. Während des Essens versuchte ich, nicht zu Martha zu schauen, meine Blicke streiften vom Ei zum Schinken, zum Kren, zum Reindling und wieder zurück zum Anfang. Den Geschmack wollte ich mir nicht verderben lassen. Ablenkung tötet die Wahrnehmung. Das Lesen eines Zeitungsartikels während des Frühstücks? Fünfzehn Minuten später ist das Frühstück weg, und ich weiß nicht mehr, wie es geschmeckt hat. Die Buchstaben des Artikels jedoch liegen mir quer im Magen, als ob ich sie gegessen hätte, die Ertrunkenen im Mittelmeer, die Terroristen in Syrien, die Erdbeben in Japan, die Vergewaltigungen in Indien, die Messerstecherei am Praterstern, die Aussagen der populistischen Politiker, der Verriss einer neuen Ausstellung. Da empfiehlt es sich, besser an nichts zu denken, mit niemandem zu sprechen und niemanden anzuschauen, den man nicht sympathisch findet. Ob alles in Ordnung sei, fragte Klaus’ Mutter mehrmals. Aber ja doch, alles bestens. Und das war es auch. Klaus lachte viel. Und sogar sein Vater zeigte eine Lebendigkeit, wie ich sie in den letzten Tagen nicht an ihm beobachtet hatte. Er erzählte skurrile Geschichten aus seiner Kindheit und Jugend und hörte nicht auf, von seinen Erfahrungen beim Grundwehrdienst zu sprechen, wie er beim Zerlegen und Zusammenbauen seines StG 77 Sturmgewehrs der Langsamste gewesen war, beim Schießen der Schlechteste, wie er die sogenannten Feinde bei einer Truppenübung in Allentsteig mit seiner Kompanie erledigen hätte sollen, aber stattdessen alleine in einem Versteck hinter dicht wachsenden Büschen gelegen war und mit einem nahe vorbeiziehenden Wolfsrudel Kontakt aufgenommen hatte, indem er ihnen getrocknetes Fleisch zuwarf und durchs Fernglas beobachtete, wie sie sich verhielten. Ich hörte zu, genoss das Beisammensein. Aber dann, als ich das letzte mit Kren befüllte Schinkenblatt in den Mund steckte und auf das angenehme Prickeln und Stechen im Gehirn wartete, schaute ich doch zu Martha, die am Kopfende des Tisches saß und stumm kauend eine Scheibe Reindling mit Butter beschmierte. Sie hatte die ganze Zeit über kaum etwas gesagt. Manchmal hatte sie, so erschien es mir, pflichtbewusst gelacht. Ob es echt war, bezweifelte ich. Ich fragte mich, was an ihr überhaupt echt war. Diese makellose, helle, fast schon blattweiße, und ungemein glatt wirkende Haut? Ihre grünen Augen und das dunkle, dichte Haar? Die Haut könnte behandelt sein, mit Make-up zu dem gemacht, was sie war, die Iris von smaragdgrünen Linsen verdeckt, die Haare schwarz gefärbt. Ihr wahrer Charakter, wenn es denn so etwas neben dem normalen überhaupt gibt, könnte ein völlig anderer gewesen sein, ich tippte auf etwas Filigranes im Inneren, das durch einen emotionalen Panzer geschützt werden musste, damit es nicht ohne Vorwarnung bei der ersten Berührung herausquillt und an der Fülle von Eindrücken zerbricht. Ohne dass ich es wollte, musste Mitleid in meinen Blick geraten sein oder eine heruntergekochte, verdünnte Art davon.

»Was gibt es denn zu glotzen?«, fragte sie. »Gefallen dir meine Brüste, hm?«

»Ich habe nicht …«, stammelte ich. »Ich habe nur …«

»Du hast wohl nur zu ihr hingeschaut, weil sie ihren Reindling mit Butter bestrichen hat, habe ich recht?«, fragte Klaus’ Mutter. »Das machen wir hier so, es schmeckt sehr gut, probier es ruhig mal aus.«

»Lass dich nicht von Martha verunsichern«, sagte Klaus. »Sie ist es nämlich, die unsicher ist, deshalb muss sie aggressiv sein.«

»Ich bin nicht aggressiv«, sagte Martha. »Aber wenn mir etwas Komisches auffällt, dann mach ich meinen Mund auf. Und Unsicherheit, mein liebes Bruderherz, lese ich aus deinen Kunstwerken heraus. Du hast wohl noch nicht deinen Stil gefunden, wie?«

»Ich habe kein Problem mit Unsicherheit«, sagte Klaus. »Es stimmt, ich habe meinen Stil noch nicht gefunden, und wer weiß, vielleicht finde ich ihn nie, aber das macht nichts, dann suche ich eben mein ganzes Leben danach und bin unsicher dabei und verleihe diesem Zustand Ausdruck, anstatt es unter eine Decke zu kehren.«

»Du solltest Philosophie studieren, wenn du so gescheit bist.«

»Das mache ich ja zum Teil. In einer Ästhetik-Vorlesung habe ich Albert kennengelernt.« Er drehte mir den Kopf zu und legte eine Hand auf meine Schulter.

»Wie schön für euch«, sagte Martha.

»Es gibt nichts, was daran nicht schön sein sollte«, sagte Klaus’ Vater, befreite ein Ei von seiner dunkelroten Schale, streute Salz darauf und steckte es als Ganzes in den Mund.

»Muss das sein?«, fragte Klaus’ Mutter. Er nickte und machte mit der rechten Hand eine kreisende Bewegung über seinem Bauch. »Es tut mir leid, Albert.«

»Dir muss nichts leidtun«, sagte Martha zu ihrer Mutter. »Das Leidtun gehört ins vorige Jahrtausend. Papa soll tun, was er tun will, und du tust, was du für richtig hältst. Niemand ist für den anderen verantwortlich. Nicht mehr.«

»Das hast du schön gesagt«, meinte Klaus. »Dir wird doch nicht noch das Herz aufgehen bei so viel Empathie?«

»Damit hat das nichts zu tun«, entgegnete sie. »Es geht darum, dass wir Frauen lange genug nett und brav sein und uns entschuldigen mussten. Für die eigenen Handlungen. Für den Mann. Für die Familie. Für die Gesellschaft. Das ist jetzt vorbei.«

»Und der heilige Gral am Ende des Weges ist gefüllt mit Unfreundlichkeit und Zynismus?«, fragte Klaus.

»Welcher heilige Gral? Bist du unter die Priester gegangen?«

»Nein, das nicht.«

»Abgesehen davon hast du, was Frauen betrifft, deinen Mund zu halten. Da kannst du so schwul sein, wie du willst.«

»Bitte«, sagte ihre Mutter, »jetzt beruhigen wir uns wieder. Wir haben schließlich einen Gast bei uns.«

»Und für ihn soll ich mich verstellen?«, fragte Martha.

»Du sollst dich nicht verstellen, aber wenn du etwas netter wärst, würde es dir selbst auch nicht schaden, da hat Klaus schon recht.«

»Ach, jetzt bin ich wieder die Böse, klar! Ihr habt ja keine Ahnung.«

»Von was haben wir keine Ahnung?«, fragte ihr Vater.

»Dass es … das das Leben halt nicht leicht ist, wenn …«

»Wenn man unbedingt bis ganz nach oben will?«, fragte Klaus. Seine Mutter bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Sorry«, fügte er hinzu. »Also, liebe Martha, was wolltest du uns mitteilen?«

»Dir wollte ich mitteilen, dass ich hoffe, dass du keinen Erfolg hast mit deiner Kunst.«

»Das ist nicht nett«, sagte ihr Vater laut schmatzend.

»Ich weiß«, sagte Martha, »aber es tut mir nicht leid. Es ist das, was er hören will, was er hören muss.«

»Es stimmt«, sagte Klaus, »du sollst mein Antrieb sein, denn diesen Wunsch will ich dir nicht erfüllen.«

»Siehst du?«, sagte Martha in Richtung ihres Vaters. »In Wahrheit kann man mir danken. Nett sein bringt einen nicht weiter.«

»Das Architektur-Business ist hart, oder?«, fragte ich, nachdem es plötzlich unangenehm still geworden war. Martha schaute mich an, als ob ich ein Außerirdischer wäre, der sich ungefragt in eine Diskussion einbrachte, von der er nichts verstand, weil er die Menschen nicht kannte, weil er die Kultur nicht kannte, weil er keine Ahnung hatte von der Lebensweise, vom nie enden wollenden Diktat des Lernens, zuerst für die Eltern, dann für die Schule, dann für das Studium, dann für die Arbeit, für das Geld, für den Wohlstand und das eine oder andere schwer erkaufte Luxusgut oder, wenn es nicht so gut lief, fürs nackte Überleben.

»Ich frage mich, was er an dir findet«, sagte sie.

»Wir sind befreundet«, sagte Klaus, »da gibt es nichts zu finden.«

»Ach«, machte sie, »ich sehe schon, es ist diese Süße, das Träumerische und Unschuldige, das ihm anhaftet, nicht wahr? Aber um auf deine Frage zurückzukommen«, Martha wandte den Kopf in meine Richtung: »Warum sollte ich dir bestätigen, was du ohnehin annimmst? Denk dir über die Architektur, was du willst. Mach ein paar Fotos von kuriosen Brücken und putzigen Häusern und sei froh über deine Unwissenheit.«

»Was sie damit sagen will«, meinte Klaus nach einer kurzen Pause, »es ist ein hartes Business.«

Sein Vater gluckste, wobei es sich anhörte, als ob er sich an etwas verschluckt hatte oder ihm der Kren zu heftig in den Kopf gestiegen war. Seine Mutter schmunzelte leise, ich gab einem inneren Drang nach und lachte laut auf, um diese eigenartige Stimmung loszuwerden, und Klaus stimmte mit ein. Ich schaute zu Martha und bemerkte, dass sogar über ihre Lippen der Hauch eines Lächelns gekrochen war.

Vom Badezimmer im ersten Stock aus sah ich durchs geöffnete Fenster in den angrenzenden Wald, die Bäume in der zweiten Reihe waren wegen der Dunkelheit kaum noch auszumachen. Kalte, beinahe winterliche Luft strömte herein und an meinen Füßen vorbei zur Tür, während der Dampf von der heißen Dusche, als würde die Nacht ihn gierig einatmen, so lange nach draußen gezogen wurde, bis nichts mehr von ihm im Zimmer vorhanden war. Die Äste der alten Bäume wurden durch eine sanfte Brise in Bewegung versetzt, sie rieben ihre Nadeln und noch jungen Blätter aneinander und gaben dabei Geräusche von sich, die mir eine Gänsehaut bescherten. Ich schloss das Fenster, spuckte den Rest der schaumigen Zahnpasta ins Waschbecken und spülte gründlich den Mund aus.

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