Kitabı oku: «Elduria - Dragon der Beschützer», sayfa 2
»Ich wollte wissen, wie es dir geht. Ich machte mir Sorgen, dass unsere ehemaligen Verfolger womöglich erneut im Elfenwald nach uns suchen und dich dabei entdecken könnten.«
»Das ist sehr fürsorglich, ich danke dir! Bisher ist das nicht geschehen. Zu ihrem Glück möchte ich behaupten. Denn ich würde sie nicht so glimpflich davonkommen lassen, wie es dir vermutlich einfallen würde. – Falls es sonst nichts mehr zu besprechen gibt …? Gut. Ich drücke euch die Daumen. Halt. Noch etwas, Runa. Du darfst über dich und Dragon keine Sgiath-Schutzglocke aufrufen, wenn ihr als Kolkraben agiert. Die Attacken von Krähen, die sicher nicht ausbleiben werden, würden zu dessen Aufleuchten führen und somit eure wahre Identität verraten. Ihr dürft nur den Protego-Spruch gegen tödliche Flüche nutzen. – Hm. – Aber auch das kann gefährlich werden. Sollte der Hexenmeister euch diese Zauber auf den Hals schicken und ihr fallt nicht tot vom Himmel, wird er sofort mit Feuer fortfahren. Sobald ihr derartige Angriffe feststellt, hat er vorher vergeblich Todesflüche probiert. In dem Fall hilft nur noch, auch Sgiath zu aktivieren und schleunigst zu verschwinden. Ich hoffe, dazu wird es nicht kommen. Viel Glück euch beiden!«
»Danke für die Tipps.« Dragon ist unsicher, ob er sich tatsächlich in der Gestalt dieses Rabenvogels in das gefährliche Gebiet wagen soll.
»Pass du auch auf dich auf!«, entgegnet Runa. »Wir werden deinen Ratschlägen folgen. Ich fände es gut, wenn wir nicht erst in der Nähe der Burganlage des Hexenmeisters Kolkraben studieren könnten. Da wären wir doch bereits auf dem Gebiet der Triqueta. Vielleicht haben wir ja Glück und hier auf dem Berg gibt es einige dieser Vögel.«
»Das hätte für euch den Vorteil, lange vor Erreichen der Burg das typische Kolkrabengehabe üben zu können. Das sind die größten Vertreter der Rabenvögel und entsprechend selbstbewusst nehmen sie es gerne mit einer größeren Anzahl Krähen auf«, sendet Danrya noch, dann ist die Verbindung unterbrochen.
»Das gefällt mir«, antwortet Dragon. Runa hört das und kann sich mit Mühe ein Grinsen verkneifen.
»Das ist ja so typisch«, denkt sie. Durch die Nachfrage, was sie meint, wird ihr bewusst, dass der Junge noch immer ihre Gedanken hören kann. »Ach nichts! Inhibeo!«
Ein Angriff
Runa fröstelt und zieht zusätzlich ihr Ersatzoberteil an, da es während der Nacht kühl geworden ist. Sie legt sich erneut auf ihr Lager im weichen Moos und deckt ihre Jacke über sich.
Ein Feuer hätten sie am gestrigen Abend mit Leichtigkeit entzünden können. Den Spruch »Incendere« hatte das Mädchen bereits mehrfach probiert. Dragon hätte sich außerdem kurzzeitig in seine wahre Gestalt als Drache verwandeln und mittels Feuerstoß jedes noch so frische oder feuchte Holz in Brand setzen können. Doch darauf hatten sie bewusst verzichtet. Ein Grund war der, dass sie nicht damit gerechnet hatten, wie kalt eine Sommernacht auf dem Gipfel eines Berges werden kann. Der andere entsprang ihrer Vorsicht. Ein Feuer auf einer Erhebung, egal wie groß sie ist, wäre in der flacheren Umgebung ein weithin leuchtendes Signal geworden und hätte vermutlich unzählige Feinde angelockt. Wachen auf der Burg des Hexenmeisters wäre der Lichtschein sicher nicht entgangen.
Runa vermag nicht erneut einzuschlafen. Sie blickt zu Dragon hinüber, der sich im Schneidersitz hingehockt hat und jetzt aufmerksam Wache hält. Er scheint nicht zu frieren, obwohl er keine Jacke trägt. Sie rätselt, ob das an seinem inneren Drachenfeuer liegen mag? Sie vermutet, damit die Erklärung gefunden zu haben und wendet ihre Gedanken in eine andere Richtung.
Runa grinst kurz, als sie an den Satz der alten Elfe denkt, in dem diese ihre zunehmende Schusseligkeit beklagt hat. Sie stimmt ihr darin nicht zu. Sie hatte zwar von ihrer Absicht geredet, Atropaia suchen und befreien zu wollen. Aber erwähnte sie dabei auch die Vermutung, dass ihre Amme mit größter Wahrscheinlichkeit in Grimgard zu finden sei? Runa ist sich nicht sicher und schüttelt den Kopf. Das ist letztlich unerheblich. Viel wichtiger erscheinen die Informationen, die sie von Willard und Danrya bekommen hat.
Im östlichen Teil von Merion existiert eine Anordnung aus drei Burgen, die die Spitzen eines gleichseitigen Dreiecks bilden. Sie wird »Triqueta« genannt und dient als Schutz für die Festung Grimgard. Obwohl Drakonias Schreckensburg oberhalb einer Meeresbucht auf steilen Felsen erbaut wurde, liegt die Anlage trotzdem im Zentrum dieser Konstellation und wird somit in alle Richtungen optimal geschützt. Die drei äußeren Festungsanlagen werden zudem jeweils von Zaubermeistern beherrscht, die magische Angriffe verhindern können. In der am weitesten nach Westen ausgerichteten Burg lebt ein dunkler Zauberer, der fast noch gefährlicher als sein Oberhaupt Creulon ist. Er nennt sich »Der Hexenmeister«, während die anderen ihre menschlichen Namen nutzen. Dieser Magier hat, ob durch Zufall oder mit Absicht, den ersten Vorstoß Runas und Dragons Richtung Grimgard abgewehrt. Damit hat er den Beweis angetreten, dass ein magisches Eindringen auf das Gebiet der Triqueta nicht so einfach ist.
»Das Überfliegen der Burg ist also keine gute Idee. Aber auch wenn wir die Anlage weiträumig umgehen, sind damit nicht allen Bedrohungen aus dem Weg gegangen. Sie werden eher größer, da wir uns auf das Gebiet begeben müssen, das zwischen den Festungen der drei Zaubermeister liegt. Ganz davon zu schweigen, dass die Gefahr für uns zusätzlich steigt, je mehr wir uns Grimgard nähern. Wenn ich Danryas Warnungen ernst nehme, und das steht außer Zweifel, ist zunächst »Der Hexenmeister« die größte Hürde. Hm. Ich hoffe, dass uns die Verwandlung in Kolkraben den entscheidenden Vorteil gegenüber den drei Magiern verschafft! Die alte Elfe scheint davon jedenfalls überzeugt zu sein! Ob der dunkle Zauberer meine Zauberkräfte mit irgendeinem Fluch attackiert haben könnte?«
Dragon hatte ihre Schwäche mit Nahrungsmangel begründet, aber als weitere Möglichkeit einen Zauberangriff nicht ausgeschlossen. Dem Mädchen will jedoch kein Zauber einfallen, der das bewirken würde. Doch das muss nicht heißen, dass es den nicht gibt.
Runa nimmt sich vor, noch vorsichtiger als bisher zu sein. Hoffentlich bleibt ihre Verwandlung in Kolkraben bestehen, auch wenn sie das Gebiet der Triqueta erreichen. Es wäre nicht nur fatal, sondern sogar lebensgefährlich, falls sie plötzlich ihre wahre Gestalt annehmen würden. Ob Danrya das vermutet hat, weil sie vor dem Überfliegen der Burg warnte? Dragon könnte sich als Drache in der Luft halten, doch sie würde unweigerlich abstürzen und könnte von Glück sagen, wenn ihr Beschützer sie retten würde. Der müsste in dem Fall sicher gleichzeitig Feuerkugeln ausweichen, ähnlich wie vor Tagen über dem Elfenwald.
Ihr Blick wandert zu Dragon hinüber. Dessen Silhouette wirkt wie ein Scherenschnitt vor dem Horizont, der sich leicht Rosa färbt und vom nahenden Morgen kündet.
Ein leises Keckern lässt den Kopf des Jungen in diesem Augenblick hochfahren. Sollte er erneut eingeschlafen sein? Seine Reaktion spricht nicht dafür. Er versucht herauszubekommen, von wo die Töne kommen und horcht in verschiedene Richtungen.
»Ich glaube, wir bekommen Besuch«, sendet er gedanklich an Runa. »Es hört sich so an, als ob jemand lachen würde.«
»Wer wird denn einen Berg hinaufwandern und dabei Scherze machen. Sollten hier gleich Wegelagerer oder Strauchdiebe auftauchen, die sich derart über eine vermeintlich leichte Beute freuen?«
Ein dunkles Kollern erklingt. Es ähnelt fast dem Bellen oder auch Knurren eines großen Hundes.
»Es könnte ein Wolf sein!«, sendet Dragon. »Ich halte bereits mein Schwert in Händen, mach du deinen Bogen schussbereit. Falls es wirklich einer der grauen Räuber sein sollte, sind vermutlich noch weitere in der Nähe. Sie könnten uns sogar schon eingekreist haben.«
Ein lautes Krächzen lenkt die Blicke der sich gedanklich verständigenden Freunde nach oben in das Geäst einer vom Wind gebeugten Eiche. In der zunehmenden Helligkeit erblicken sie dort zwei dunkle Schatten. Sie hüpfen auf einem dicken Ast herum, schlagen mit den Flügeln und legen die Köpfe schräg. Sie klappern mit den Augendeckeln. Als das Kollern erneut erklingt, kommt es dieses Mal eindeutig von den zwei Schemen.
»Das sind wahrlich keine Wölfe«, lacht Runa jetzt laut. »Du kannst dein Schwert beruhigt zurück in die Scheide stecken.«
»Das sehe ich auch«, mault der Junge. »Aber was für Vögel sind das? Sie sind jedenfalls größer als Dohlen. Meinst du, das könnten Saatkrähen sein, oder möglicherweise Rabenkrähen? Das Licht ist noch zu ungewiss, sonst könnte ich sie besser identifizieren.«
»Vielleicht haben wir Glück, und es sind Kolkraben«, hofft Runa. »Davon unabhängig sollten wir ihnen genau zusehen, wie sie sich benehmen.«
Und das machen die beiden. Das Morgenlicht wird schnell heller und die Beobachter studieren das Verhalten der zwei Rabenvögel. Ob von deren Gekrächze angelockt oder aus einem anderen Grund, ist nicht erkennbar. Plötzlich taucht ein Schwarm ebensolcher schwarzer Vögel auf. Sie sind geringfügig kleiner als die beiden auf dem Ast der Eiche, dafür sind es aber zehn an der Zahl. Ihr Gekreische klingt frohlockend, bevor sie sich auf die etwas größeren Artgenossen stürzen. Doch die Attackierten flüchten keinesfalls. Sie lassen sich geschickt von ihrem Platz hinabfallen, gehen in Gleitflug über und schrauben sich mit kräftigen Flügelschlägen unerwartet senkrecht in den Himmel hinauf. Im Vorbeiflug schnappen sie mit den Schnäbeln zu und rupfen jeweils einem der Gegner eine Schwanzfeder aus. Doch danach fliehen sie keineswegs. Ihr herausforderndes, dunkles Krächzen mischt sich mit den helleren Tönen der anderen. Die scheinen sich gegenseitig anzuspornen. Schließlich sind sie in der Überzahl, auch wenn die Angegriffenen das erste Aufeinandertreffen für sich entschieden haben.
»Das müssen Kolkraben sein«, stellt Dragon begeistert fest. »Sieh nur, wie verwegen sie sich jetzt von oben in den gegnerischen Schwarm stürzen. Ihr Verhalten entspricht den Eigenschaften, die uns Danrya nannte. Sieh dir das an. Die Krähen fliegen auseinander wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen, wenn ein Habicht auf sie herabstößt. Trotzdem werden erneut zwei, nein, sogar drei der ursprünglichen Angreifer durch die Kolkraben gerupft. Die ausgerissenen Federn segeln langsam zu Boden. Wow. Schau nur, wie geschickt die beiden sind. Ich glaube, wir erleben hier soeben eine Sondervorstellung. Ich stimme Danrya begeistert zu. Kolkraben sind die Vögel, in deren Gestalt wir uns auf das Gebiet der Triqueta wagen können. Sie mögen nicht so schnell wie Wanderfalken sein, dafür sind sie eindeutig gewitzter. Siehst du das? Jetzt sind erneut drei Federn ausgerupft und nun fliehen die Gegner. Sie suchen offenbar ihr Heil in der Flucht, verfolgt vom frohlockenden Keckern der Sieger!«
Runa grinst zu dem Kommentar des Freundes. Auch sie hat das Schauspiel nicht nur genossen, sondern versucht, es genauestens zu verfolgen.
»Ich denke, das ist ein kluger Rat von einer angeblich schusseligen Elfe. Was meinst du, können wir es wagen, uns bereits jetzt zu verwandeln, oder warten wir vorsichtshalber bis die zwei Sieger fort sind?«
»Ich habe keine Angst, dass uns die beiden attackieren und von hier vertreiben könnten. Wir sollten sie trotzdem weiter studieren. Wir werden es ja nicht andauernd mit anderen Vögeln zu tun haben. – Wie ist es, hast du noch einige von den Äpfeln? Leg doch einen auf den Platz unterhalb des Baumes, auf dem sie hocken. Wir können dann sehen, ob sie das Obst annehmen und wie sie mit Nahrung umgehen.«
Den Vorschlag führt Runa sofort aus. Ganz langsam nähert sie sich der verkrüppelten Eiche und legt die zwei Teile der vorher halbierten Frucht auf das von der Morgensonne beschienene Moos. Sie wird dabei genauestens von den dunklen Augenpaaren beobachtet. Sobald sich das Mädchen zurückgezogen hat, legen die Vögel ihre Köpfe schräg. Sie krächzen herausfordernd und blicken prüfend abwechselnd zu den Freunden und auf die Apfelhälften hinab.
Runa und Dragon verhalten sich still. Sie sagen kein Wort und vermeiden jede Bewegung. Innerhalb weniger Augenblicke segelt einer der Kolkraben nach unten, während der andere offenbar Wache hält. Der Vogel schnappt sich geschickt eines der Stücke und fliegt mit der Beute zu seinem Partner hinauf. Entgegen der Vermutung holt sich der nun nicht die zweite Hälfte. Sie teilen sich das erbeutete Obststück indem sie abwechselnd mit ihren kräftigen Schnäbeln Stückchen aus dem auf einer Astgabel platzierten Apfel reißen. Sobald das aufgefressen ist, beäugen beide die wartenden Menschen. Sie kollern und krächzen. Dann nicken sie heftig mit den Köpfen. Dass sie sich dadurch bedanken wollen, bezweifelt Runa, trotzdem findet sie den Gedanken schön.
»Schau nur. Jetzt ist die zweite Hälfte dran.« Damit hat Dragon Recht. Wie beim ersten Mal hält einer der Vögel Wache, derweil sich der andere geschickt das Obst schnappt und zu seinem Partner bringt.
Unerwartetes Zusammentreffen
Die Mittagszeit ist bereits vorbei, als die beobachteten Kolkraben davonfliegen. Runa und Dragon essen jeweils einen Apfel und schauen ihnen hinterher. In der Ferne nehmen sie verschwommen ein größeres Gebäude wahr. Das hatten sie gestern als die Festung des Hexenmeisters identifiziert.
»Was meinst du, sollen wir den Vögeln folgen? Das wäre bestimmt der kürzeste Weg zu Drakonias Burg.« Runa ist unsicher, ob sie sich erneut derart nah an den dunklen Magier wagen können.
»Dort könnten wir vermutlich üben, ob auch wir uns gegen einen Krähenschwarm behaupten können. Danrya ist doch überzeugt, dass in der Nähe von Festungen haufenweise Krähen zu finden sind. Als dein Beschützer rate ich jedoch dazu, lieber einen Umweg in Kauf zu nehmen. Das geschieht nicht aus Feigheit, keineswegs. Ich möchte nur nicht, dass du womöglich gefangen wirst!«
»Einverstanden«, bestätigt das Mädchen. »Dann verwandeln wir uns jetzt in die neue Gestalt. Muto speciem.«
Im nächsten Moment hockt es erstaunt auf dem Boden und schlägt probehalber mit den Flügeln. Der Junge verwandelt sich ebenfalls in einen dieser tiefschwarzen Rabenvögel. Beide wenden ihre Köpfe hin und her, klappern mit den Augendeckeln und stoßen ein erstes, herausforderndes Krächzen aus. Runa betrachtet die etwas größere Gestalt ihres Freundes.
»Wo ist denn das Langmesser geblieben? Ich kann auch den Lederriemen nicht entdecken, mit dem die Scheide sonst auf dem Rücken befestigt ist.«
»Die sind genauso wie meine Kleidung in die Umwandlung miteinbezogen worden. Schau dich nur selbst an. Weder die Jacke noch der Rucksack liegen in deiner Nähe. Wenn unsere Bekleidung und Ausrüstung nicht mitverwandelt werden würden, hätten wir bei der Rückverwandlung erhebliche Probleme.«
»Stimmt, dann wären wir nackt. Daran habe ich nicht gedacht.«
»Ich wusste es bereits im Vorhinein. – Jetzt fragst du sicher, wie dass mit dem Lederriemen ist, wenn ich mich in meine Drachengestalt verwandelte. Ich sparte sie einfach von der Verwandlung aus.«
Runa schüttelt den Kopf. Derartige Details hat sie bisher nicht beachtet, findet die Umwandlung in der stattgefundenen Art und Weise aber logisch.
Sie macht einen Hopser und schlägt mit den Flügeln. Sie muss den Start vom Boden mehrfach üben, bevor sie sich ähnlich wie Dragon gekonnt in die Luft hinaufschwingen kann. Sobald das zu ihrer Freude klappt, kollern beide zufrieden. Ihre Rufe schallen weit in die Ferne. Wie vorhin besprochen fliegen sie nicht in Richtung der Burg des Hexenmeisters. Zur Sicherheit schlagen sie einen großen Bogen um die Festung, indem sie sich zuerst nordöstlich, dann östlich und nach einer Flugstunde zum Südosten umorientieren. Sie überfliegen dabei Schafweiden und mit grauen Schindeln gedeckte Unterstände, aber auch Häuser und heimelige Laubwälder, die Runa an den Elfenwald im Westen erinnern.
»Ob hier ebenfalls Elfen leben?«, fragt sie Dragon.
»Das wird früher so gewesen sein, bevor Drakonia in Merion die Macht übernahm«, entgegnet der Freund. »Wenn wir viele Tage Richtung Norden fliegen würden, kämen wir zu dem geheimen Wald, in dem heute die Nordelfen leben.«
»Woher weißt du das? So weit bist du in deinen Jahren als Mensch doch vermutlich nicht gewandert, oder?«
»Nein. Von der Küste Eldurias aus bin ich fast direkt nach Homarket gekommen. Das ist vor sieben Jahren gewesen, wie du weißt. – Danrya hat mir gesagt, dass sich viele der Elfen aus den verschiedenen Königreichen dorthin zurückgezogen haben. Sie will dort Unterstützung für einen Aufstand gegen Drakonia und die mit ihr verbündeten, dunklen Zauberer gewinnen, wie sie uns sagte.«
In der beginnenden Dämmerung entdecken sie unter sich einen schnurgerade verlaufenden Weg.
»Das wirkt wie eine befestigte Straße, auf der Wagen mit Waren, aber auch Truppen schnell bewegt werden können.« »Stimmt«, bestätigt Runa. »Ob das die direkte Verbindung von der Burg des Hexenmeisters zur Feste Grimgard ist?«
»Hm. Lass mich überlegen. Sie verläuft etwa von Nordwest nach Südost. Das könnte schon passen.«
Dragon ist etwas unsicher. Danrya hatte ihm eine Skizze der Triqueta gezeigt. Jede der drei Burgen wird darin über eine bogenförmig verlaufende Linie mit den anderen zwei Festungen verbunden. Dadurch entsteht ein Gebilde mit drei spitzen, aber länglich runden Blättern, auf deren Endpunkten sie die Kastelle einzeichnete. In den mittleren, von den Bögen umrandeten Bereich, skizzierte die Elfe Grimgard. Sollten die Verbindungsstraßen kreisbogenförmig existieren, müssten zusätzliche Straßen zu Drakonias Festung gebaut worden sein. Sonst hätte das dem Bedürfnis widersprochen, im Notfall Soldaten schnell von einem Ort zum anderen zu senden. Nein! Dragon ist überzeugt, die Elfe wollte mit der Skizze etwas davon Abweichendes darstellen. Was das sein soll, vermag er jedoch nicht zu erkennen.
»Die Zeichnung habe ich auch gesehen«, unterbricht Runa seine Gedanken. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Kreisbögen eine magische Bewandtnis haben. Wir müssen Danrya bei nächster Gelegenheit danach fragen.«
Die beiden Kolkraben folgen inzwischen der geradlinigen Straße. Tagsüber haben sie bemerkt, dass sich von Osten kommend immer mehr dunkle Wolken drohend am Himmel auftürmen. Urplötzlich zuckt ein greller Blitz zur Erde hinab, und sofort darauf kracht ein gewaltiger Donnerschlag.
»Wir müssen uns einen geschützten Ort suchen!« Dragon blickt erschrocken zur Wolkendecke hinauf. Dort sind nicht mehr nur aufgetürmte, einzelne Wolkenfelder zu sehen, der komplette Himmel besteht aus ihnen. Dicke Regentropfen fallen daraus herab und werden bereits nach wenigen Sekunden zu einer dichten Wasserwand.
Das Fliegen wird unter diesen Bedingungen zur Unmöglichkeit. Die Freunde lassen sich mit dem strömenden Regen zu Boden sinken. Sie überfliegen noch zwei Häuser, bis sie eine freistehende Scheune entdecken. Sie nutzen eine Öffnung in der hölzernen Giebelwand und huschen erleichtert hinein. Hier sind große Vorräte an Heu gelagert, die vom Lehmboden bis zum Dach geschichtet sind. Sie erkennen trotz des diffusen Lichtes, dass es hier von verschiedenen Tieren wimmelt. Die haben offensichtlich ebenfalls Schutz vor dem Unwetter gesucht, das draußen mit unverminderter Heftigkeit tobt. Blitz und Donner wechseln sich unablässig ab. Der prasselnde Dauerregen bildet erste Wasserläufe, die nicht nur um, sondern an einigen Stellen auch in das große Gebäude strömen.
Die Kolkraben landen auf einem Querbalken und schütteln das Wasser aus ihrem glänzenden Gefieder. Sie klappern mit den Augendeckeln und beobachten mit schräg gehaltenen Köpfen unzählige Mäuse, die vorsichtig ihre spitzen Schnäuzchen in die Höhe halten. Die kleinen, aber blanken Augen blicken nach oben, die Barthaare zittern und die runden Ohrmuscheln sind aufgestellt. Die flinken Nager scheinen sich zu fragen, ob die großen Vögel eine Gefahr für sie bedeuten. Davon sind sie offenbar überzeugt, da sie sich schnell tiefer ins Heu wühlen.
Plötzlich zeichnet sich im Blitzschein ein helles Viereck auf dem Boden ab. Das Scheunentor ist geöffnet worden! Der Donner ist ohrenbetäubend. Regenschauer werden ins Innere gedrückt, während gleichzeitig drei Soldaten ihre ängstlich schnaubenden Pferde hereinführen. Ihnen folgt ein weiterer Mann, der zuerst seinen Umhang ausschüttelt, bevor er sein Reittier ebenfalls ins Trockene folgen lässt. Runa und Dragon hatten noch vor wenigen Augenblicken überlegt, ihre menschliche Gestalt anzunehmen, was sie beim Anblick der Bewaffneten aufgeben.
»Wohin mögen die unterwegs sein?« Das Mädchen weiß nicht, ob das wichtig ist, trotzdem fühlt es eine unerklärliche Unruhe.
»Ich vermute, sie wollen nach Grimgard.« Der Junge ist davon überzeugt und liefert sofort die Erklärung für seine Behauptung. »Ich meine, sie vor kurzem auf der Straße gesehen zu haben. Jedenfalls sah ich unter uns einige dunkle Schemen, die sich in gleicher Richtung wie wir bewegten. Sollten sie aus der Gegenrichtung gekommen sein, hätten wir sie nicht sehen können.«
»Ich habe sie nicht bemerkt.«
»Vielleicht sind meine Augen besser als deine«, versucht Dragon zu scherzen. Er wird bei den folgenden Worten Runas jedoch sofort wieder ernst.
»Falls ich mich nicht täusche, ist einer der Bewaffneten Gwydion, der Wachtmeister und Vertraute Owains, der uns von Homarket aus verfolgt hat.«
»Auch wenn der uns nicht in der Kolkrabengestalt erkennen kann, sollten wir aus der Mitte des Raumes verschwinden. Dort am Rand sind wir vermutlich besser aufgehoben.«
Runa nickt automatisch, bevor sie Dragon folgt, der langsam auf dem Balken zur Seitenwand schreitet. Sie vermeiden, sich hüpfend zu bewegen, weil sie dadurch womöglich von den Männern unten bemerkt werden würden. Sobald sie am Rand angekommen sind, betrachten sie die drei Bewaffneten und den Mann, in dem sie zu Recht den Magier vermuten, der Feuerbälle auf sie geschleudert hat.
»So ein Sauwetter!«, flucht Gwydion. »Ich verstehe nicht, warum du keinen magischen Schutz um uns wirken wolltest. Das hätte uns davor bewahrt, derart durchnässt zu werden. Ha… ha… hatschi!«
»Das liegt doch auf der Hand. Ich habe uns mittels Magie so schnell wie möglich Richtung Grimgard geführt. Sollte ich den von dir erwähnten Schutz gewirkt haben, würden uns die Verfolgten wegen der unvermeidlichen Leuchterscheinungen, sobald Regentropfen darauf fallen, bereits von weitem bemerkt haben. So, wie ich Creulon verstanden habe, ist er der Meinung, dass das Mädchen über gewisse Zauberkräfte verfügt. Selbst wenn die nur gering sein sollten, was nicht bewiesen ist, hätte das Kind sofort gewusst, dass einer von uns Magie beherrschen muss.«
»Aber, falls wir we… – ha… hatschi – wegen Krankheit ausfallen, ist nichts – ha… ha… hatschi – gewonnen!«
»Dagegen kann ich etwas machen. Hey, jetzt lauf nicht weg. Ich werde die Erkältung schnell vertreiben. Du kannst mir vertrauen.«
Doch der alte Soldat scheint sich nicht sicher zu sein. Er weicht bis an eine Wand vor dem nachrückenden Magier zurück. In die Enge getrieben warnt er:
»Sollte der Spruch daneben gehen, kannst du was erleben!«
Die anderen zwei Bewaffneten grinsen über die Angst ihres Vorgesetzten. Wenn sie später ihren Kameraden davon erzählen, wird es ihnen schlecht ergehen, wie sie wissen. Der Wachtmeister versteht keinen Spaß, sollte seine Autorität durch derartiges Verhalten untergraben werden. Trotzdem finden sie allein diese Situation, in der sie den alten Haudegen ängstlich erleben, durchaus als lohnendes Erlebnis.
Währenddessen spricht der Magier: »Salvus«. Sofort fühlt sich Gwydion besser. Er will soeben noch dem unwiderstehlichen Drang zu niesen nachgeben, da ist der bereits verschwunden. Der Zauberer nickt zufrieden und wendet sich den anderen zu.
»Kann ich noch jemandem zu Diensten sein? Es tut auch bestimmt nicht weh!« Er hat offenbar deren Gefeixe bemerkt und schreitet grinsend auf die Männer zu. Die erheben sich stotternd.
»Ne… nein, Da… danke!«
»Wir s… sin… sind völlig ge… gesund.«
Sie versuchen, ihre Angst nicht zu zeigen, weichen aber vor dem Magier zurück.
»Seid ihr sicher? Es gibt kein leises Kribbeln oder eine verstopfte Nase? – Na gut. Falls sich das ändern sollte, wendet euch vertrauensvoll an mich. Fragt Gwydion, es ist völlig schmerzlos.«
Der Wachtmeister ist jetzt an der Reihe zu grinsen.
»Stimmt genau«, bestätigt er.
Die sich in den Schatten drückenden Kolkraben nimmt der alte Soldat erst in diesem Moment wahr. Er kraust die Stirn. Er überlegt, ob sie hier im Stall gewesen sein könnten. Oder sind sie ihnen gefolgt? Er ist unsicher, meint aber doch, zwei Schemen bemerkt zu haben, die über sie geflogen waren. Das war etwa in Höhe des letzten Hauses. Ob er den Magier auf die beiden Tiere aufmerksam machen soll? Er öffnet bereits den Mund, zuckt dann jedoch die Schultern. Die Vögel können keine Gefahr darstellen, ist er überzeugt. Er möchte sich nicht erneut dem Spott seiner Untergebenen aussetzen. Den Gefallen, dass sie ihn für abergläubisch halten, weil er Verdächtiges hinter schwarzen Vögeln vermutet, will er ihnen nicht tun. Er hatte durchaus, genau wie der Zauberer, deren grinsende Gesichter und das gegenseitige Anstoßen bemerkt.