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WAGNERIANER-FORSCHUNG

Eine Welt, die sich um Wagner dreht: Nur 36 Prozent des Wagner-Publikums sehen sich selbst als Wagnerianer. Alle anderen verwahren sich dagegen – weil ihnen Wagnerianer als versnobt und wahnsinnig gelten.

Foto: Robert Freiberger

WAGNERIANER-FORSCHUNG

Sie reisen nicht, sie pilgern

Das Festspielhaus, die Weihestätte. Wagner, der Meister. Solche Stereotype tauchen häufig auf, wenn es um die Anhänger von Wagners Werken – die sogenannten Wagnerianer – geht. Aber was ist eigentlich ein Wagnerianer? Eine Studie geht dieser Frage jetzt nach – und klärt dabei, warum die meisten Wagnerianer sich selbst nie so nennen würden

Von Elfi Vomberg

Manchmal hat Michael Ashton Sorge, dass er zu fanatisch wird. „Ich bin eigentlich schon mehr als ein Wagnerianer – ich würde mich eher als Wagner-Besessener bezeichnen“, erklärt er mit verschmitztem Lächeln. Und schon ist der Neuseeländer wieder in Gedanken versunken – weit weg, 18 300 Kilometer entfernt in seinem geliebten Deutschland. Im Hintergrund hört man die Rheintöchter säuseln. „Nach diesen 132 Takten am Anfang vom „Rheingold“ war es um mich geschehen“, erinnert sich Ashton an seinen ersten Opernabend in Deutschland vor einigen Jahren.

Der 54-Jährige sitzt am Küchentisch in seinem kleinen Häuschen in Wellington und tut das, was er oft nach der Arbeit macht: Wagner hören, Wagner-Literatur studieren, über Wagner nachdenken. „Ich erkenne sehr viel von Richard Wagner in mir selber – abgesehen vom Antisemitismus natürlich. Aber ich kann mich mit seiner Person identifizieren. Dieses Hochsensible und Empfindliche an ihm fasziniert mich. Sein Werk bietet eine große psychologische Tiefe, die einen großen Reiz für mich hat“, erklärt der Germanist. Nachdem seine deutsche Frau vor 15 Jahren starb, war das die Welt, in die er sich flüchtete.

Eine Art Parallelwelt, in der er Ablenkung und Trost fand. Er lebte damals noch in München, zog jedoch nach Neuseeland zurück, um den Schmerz zu vergessen. Seitdem hat er Sehnsucht – nach Bayern, nach Heimatgefühl, nach Wagner. „Es ist eine Welt mit Licht und Schatten. Wagner spricht mich sehr direkt an. Es gibt für mich keine Musik, die emotionaler ist und die mich so in ihren Bann zieht“, sagt er, hebt den Zeigefinger und lauscht. Eine seiner Lieblingsstellen röhrt aus den Lautsprechern, leise raunt er dem Besucher zu: „Walhall-Motiv“ – und blättert dabei in der Partitur, um die richtige Stelle zu finden.

Der Begriff Wagnerianer scheint bei den Opernbesuchern stark negativ besetzt und mit zahlreichen Klischees verbunden

Michael Ashton scheint ein Wagnerianer zu sein, wie er im Buche steht. Aber was ist überhaupt ein Wagnerianer? Eine genaue Definition für diese Spezies gibt es nicht. Winfried Gebhardt, Professor für Soziologie an der Universität Koblenz, wagt einen Versuch: „Es sind Leute, die ihr Herz entweder an die Person oder an das Werk hängen. Insofern sind sie auch Fans. Das Besondere an den Wagnerianern ist, dass sie mit Wagners Werk einen oft weltanschaulich-fundierten Sinn verbinden.“

Immer wieder tauchen ähnliche Stereotype und Bilder über die Spezies der Wagnerianer auf: Sie sehen Bayreuth als Weihestätte und reisen nicht dorthin, sondern pilgern. Im Publikum erkennt man sie angeblich daran, dass sie mit Partitur und Bleistift bewaffnet dem Musikgenuss folgen und dabei akribisch die Leitmotive verfolgen. Soweit das Klischee. Die Studie „Wagnerianer heute“ zeigt, dass sich die Spezies der Wagnerianer tatsächlich in besonderem Maße mit Wagners theoretischen Schriften, seiner Person und den Hintergründen seiner Kompositionen beschäftigt. Die Umfrage wurde unter den Besuchern der Kölner Oper durchgeführt und geht dem Phänomen des „Wagnerianers“ nach. CD-Sammlungen, Bücher und Partituren – die Wagner-Fans memorieren regelrecht das Erbe des Komponisten in ihren Regalen. Andererseits geht aus der Studie hervor, dass es in Kreisen des Wagner-Publikums einen Vorbehalt gibt, sich als „Wagnerianer“ zu bezeichnen.

Der Begriff scheint bei den Opernbesuchern stark negativ besetzt und mit zahlreichen Klischees verbunden. „Die Wahnsinnigen“, „Nerdentum“, „antiquiert“, „kulturaggressiv“, „versnobte Elite“ – Phrasen, die immer wieder von den Befragten im Zusammenhang mit den Wagner-Fans genannt werden. Nur 36 Prozent der Befragten bezeichnen sich als „Wagnerianer“, alle anderen schrecken oftmals vor dieser Etikettierung zurück. Wie zum Beispiel Befragter Nummer 96, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er hat schon 80-mal den „Ring“ live auf einer Opernbühne gesehen, so ziemlich jedes theoretische Werk Richard Wagners gelesen und kann schon nicht mehr zählen, wie viele verschiedene CD-Aufnahmen er im Schrank hat. Auf die Frage, ob er sich denn als „Wagnerianer“ bezeichnen würde, beteuert er mit großen Augen und abwehrender Gestik: „Um Gottes willen – nein, auf keinen Fall. Da kommen mir zu viele negative Begriffe wie Antisemitismus und Nationalsozialismus in den Sinn.“ Ein Problem, das oft in einem Atemzug mit der Szene genannt wird. Dennoch gibt es genügend Wagner-Fans, die die negativen Klischees außer Acht lassen – und sich manchmal durchaus auch stolz als „Wagnerianer“ vorstellen.

Das besondere an den Wagnerianern ist, dass sie mit Wagners Werk einen oft weltanschaulich-fundierten Sinn verbinden

So wie Michael Ashton aus Neuseeland. Die erste Begegnung mit Wagner hatte er schon als siebenjähriges Kind beim Spielen zu Hause. „Mit Wagner habe ich deutsche Umlaute gelernt“, erklärt der Neuseeländer lachend. Mit einem dicken Buntstift machte er sich damals an die Korrekturen in einem englischen Opernführer, in dem immer die Rede von Wagners „Gotterdammerung“ war. In stundenlanger Lektoratsarbeit versah der kleine Michael das Werk der Eltern mit deutschen Umlauten. Da war der Schritt zur akribischen Leitmotivsuche nicht weit. Doch langsam merkt der 54-Jährige, dass seine Wagner-Phasen, wie er die Zeiten nennt, in denen er stundenlang vor der Stereoanlage sitzt und die Welt um sich herum vergisst, sich häufen. „Ich bekomme langsam etwas Angst vor einem Wagner-Koller. Wagner ist gefährlich. Sein Werk ist so intensiv, dass es einen dermaßen packt, dass es zur Droge wird. Es ist manchmal mehr als es für einen gut ist. Ich muss aufpassen, dass ich mit beiden Beinen auf der Erde bleibe. Manchmal saugt mich seine Musik so rein, dass ich immer mehr haben will und darüber jegliches Zeitgefühl vergesse – das ist schon gefährlich.“

Einer, der den Wagner-Kult aus einer anderen Perspektive erlebt, ist Juraj Cižmarovic. Er ist bekennender Wagnerianer. Seit 17 Jahren treibt es ihn nach Bayreuth, auf den Grünen Hügel, in das Festspielhaus – unter die Bühne, in eine Muschel. Wie Wagner es nannte: in den mystischen Abgrund. Im Festspielorchester ist er einer von fünf Konzertmeistern. „Es ist nicht einfach, die zwei Sommermonate ohne Schmerzen zu überleben. Es tut im Rücken und Nacken weh – und der Kopf ist oft leer. Sie sind während der Festspiele so verseucht mit diesem Klang. Wagner geht in die Poren rein“, erklärt er. Doch Juraj Cižmarovic ist nicht schmerzempfindlich, er ist hart im Nehmen. Besonders wenn es um Wagner geht. Denn das Konzerterlebnis entschädigt: „Wenn man dann im Festspielhaus sitzt. Wenn das Licht aus ist und der erste Ton gespielt ist – dann sind Sie in einer Zauberwelt. Dann beginnt die Magie. Sie werden über mehrere Stunden verführt und Sie werden dabei von nichts Weltlichem gestört“, schwärmt Cižmarovic.

Auch Befrager Nummer 96, der eigentlich vehement abstreitet, ein Wagnerianer zu sein, versucht Jahr für Jahr die begehrten Karten für die Festspiele zu ergattern – „für dieses Gefühl von vollkommenem Klang und einmaliger Atmosphäre“, wie er das Erlebnis beschreibt. Sogar der nächsten Generation legt der 68-jährige Opern-Fan den Wagner-Kult in die Wiege: Denn für seinen sechs Wochen alten Enkel gab es zur Taufe die Anmeldung für die Warteliste in Bayreuth. Vielleicht kann er so schon im Grundschulalter auf sein erstes Bayreuth-Erlebnis hoffen. Aber Wagnerianer? „Auf keinen Fall. Die sind fanatischer.“

Die Autorin:

Elfi Vomberg hat an der Universität zu Köln Musikwissenschaft, Germanistik und Soziologie studiert und anschließend bei der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf volontiert. Sie arbeitet als freie Redakteurin, Moderatorin und Kulturjournalistin für den Westdeutschen Rundfunk und promoviert am Forschungsinstitut für Musiktheater in Bayreuth.

CHAMBERLAIN

Geistige Granaten

Als der Erste Weltkrieg begann, hieß es auf dem Grünen Hügel zunächst: „Wir spielen weiter.“ Einer der wichtigsten Kriegs-Propagandisten war der Ideologe Houston Stewart Chamberlain – ein Wagnerianer, der bald von Bayreuth aus agierte. Über Chamberlain und den Beitrag des Hauses Wahnfried zum Ersten Weltkrieg.

Von Bernd Buchner

Vor genau einem Jahrhundert begann der Erste Weltkrieg. Für die Bayreuther Festspiele hatte der Kriegsausbruch verheerende Folgen. Zehn Jahre lang blieb das Festspielhaus geschlossen, von 1914 bis 1924. In die allgemeine Kriegsbegeisterung hatte das Haus Wahnfried keineswegs eingestimmt. Das Leitmotiv „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ übersetzten die Wagners als Auftrag zur Kulturmission, nicht zur militärischen Expansion. Doch als der Krieg begann, wurde der Bayreuther Vorzeige-Ideologe, Houston Stewart Chamberlain, zu einem der wichtigsten Propagandisten der deutschen Kriegführung. Als „geistige Granaten“ lobte selbst Kaiser Wilhelm II. Chamberlains Kriegsschriften, die viele Soldaten im Tornister mitführten.


Wer war dieser Chamberlain? Geboren in Südengland am 9. September 1855 als Sohn eines englischen Generals, verlor er seine Mutter bereits bei der Geburt. Er wuchs bei Verwandten in Frankreich auf, besuchte in England die Schule, betrieb seit 1879 naturwissenschaftliche Studien in Genf. 1885 bis 1889 lebte Chamberlain in Dresden, danach in Wien. Kurz vor der Jahrhundertwende erschien sein vielgelesenes Hauptwerk „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“, in dem der Privatgelehrte eine Synthese von Geschichte und Naturwissenschaft auf der Grundlage einer arischen Rassenideologie versuchte. Das zweibändige Buch wurde zu einer Urschrift der völkischen und nationalsozialistischen Bewegung.

1882, im Jahr der „Parsifal“-Uraufführung, kam Chamberlain erstmals nach Bayreuth. Später lernte er Wagners Witwe Cosima kennen, die beiden begannen einen intensiven Briefwechsel. Der Engländer schrieb eine Wagnerbiografie und wurde zu einem führenden Vertreter des Bayreuther Kreises, der für sich in Anspruch nahm, die ideologische Prägung der Festspiele im Sinne des Komponisten zu pflegen und weiterzuentwickeln. 1908 wurde Chamberlain dessen Schwiegersohn – er heiratete Wagners zweite Tochter Eva und siedelte nach Bayreuth über. Nach dem Weltkrieg erkrankte er schwer, war an den Rollstuhl gefesselt, litt wohl unter Syphilis. Hitler konnte er noch als künftigen Herrscher preisen, ehe er am 9. Januar 1927 seinem Leiden erlag.

In der historischen Forschung blieb Chamberlain lange ein Unbekannter – parallel übrigens zur Vernachlässigung der ideologischen Prägungen der Festspiele. Die einzige Chamberlain-Biografie, noch heute wegweisend und lesenswert, schrieb der US-Forscher Geoffrey G. Field in den 1970er Jahren. Sie wurde bis heute nicht ins Deutsche übersetzt. Inzwischen liegt immerhin Anja Lobenstein-Reichmanns bemerkenswerte Habilitation „Houston Stewart Chamberlain. Zur textlichen Konstruktion einer Weltanschauung“ aus dem Jahr 2008 vor. Nun aber sind weitere Arbeiten in Vorbereitung, die spannende Diskussionen versprechen und fruchtbar für weitere Forschungen sein dürften.

Gegenwärtig sind zwei deutsche Forscher intensiv mit dem englischen Ideologen beschäftigt, Udo Bermbach und Sven Fritz. Die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein. Spricht man mit ihnen, erhält man die Vorstellung einer bevorstehenden Forschungskontroverse, die spannend werden dürfte. Doch auch manche überraschende Gemeinsamkeiten sind herauszuhören. Bermbach, Jahrgang 1938, renommierter Wagnerforscher und langjähriger Politikprofessor an der Universität Hamburg, bereitet eine „Kombination von Biografie und Werk-analyse“ zu Chamberlain vor, die im kommenden Jahr im Metzler-Verlag erscheinen soll.

Ebenfalls 2015 dürfte die Doktorarbeit von Fritz veröffentlicht werden, in der er Chamberlain in die völkische Bewegung seiner Zeit einzuordnen versucht. Der junge Historiker, der am Projekt „Verstummte Stimmen“ von Hannes Heer beteiligt war, sieht den Bayreuther Ideologen als „Scharnierfigur“ zwischen Kaiserreich, Weltkrieg und dem frühen Nationalsozialismus. Chamberlain folge den politischen Bewegungen und sei „immer am Puls der Zeit“. Fritz stellt die Grundfrage, wie viel Einfluss Wagners Schwiegersohn auf die Politik hat. Ist er ein Ideologe, „der in der Bayreuther Einöde sitzt“, oder ein gewiefter völkischer Netzwerker, der versucht, seine Weltanschauung in konkrete Politik zu übersetzen?

Die Wagnerstadt war für Chamberlain ein denkbar geeignetes Wirkungsfeld. Cosima sprach ganz im Sinne ihres Mannes von der „Kunstanschauung, die zur Welt-Anschauung wird“. Sie brachte damit zum Ausdruck, dass es in Bayreuth nur deshalb auch Wagnerianer geben konnte, weil hinter dem künstlerischen Schaffen des Komponisten eine politische Überzeugung stand. Chamberlain verstand sich deswegen als „Bayreuthianer“, die ideologisch aufgeladene Variante des Wagnerianers. So wurde er zum „Herold eines wahnfriedschen Deutschlands“, wie Ludwig Marcuse spottete, und zum „Größten unter den Zwergen von Bayreuth“.

Durch die „Grundlagen“, die bis 1922 mehr als hunderttausend Mal verkauft wurden, galt Chamberlain als führender Repräsentant der völkischen Bewegung. Der Engländer, so Fritz, habe zugleich versucht, seinen Bucherfolg „politisch zu übersetzen“ und bestimmte Kreise zu beeinflussen, vor allem in der Rassefrage. Paradoxerweise geriet er aber mit dem Buch in einen Konflikt mit Wahnfried – man warf ihm vor, den Ideengeber Wagner verschwiegen zu haben. Nun hob man das Thema Rasse in den Schriften des Komponisten besonders hervor – damit verschärfte sich zugleich die Bayreuther Ideologie. Wagners Erbe wurde von einer eher passiven zu einer aggressiven Weltanschauung.

Eine der grundlegenden Forschungsfragen zu Wagner und Bayreuth ist, ob die Gedankenwelt des Komponisten nach seinem Tod in unzulässiger Weise verengt oder erweitert wurde – und welche Rolle Chamberlain dabei spielt. Schon Nietzsche hatte gegen jene Ideologen gewettert, „die Wagner mit sich selbst verwechseln“. Antimodernismus, Kulturpessimismus sowie Fremden- und Demokratiefeindlichkeit waren am Grünen Hügel schon zu Lebzeiten ihres Gründers virulent. „Wagner war ein durch und durch politischer Mensch“, sagt Bermbach und verweist auf seine Rolle in der Dresdner Revolution von 1849 oder als Ideengeber für den bayerischen König.

Für „völlig falsch“ hält Bermbach die These, erst Chamberlain habe Bayreuth politisiert. Fritz spricht in dieser Frage von einem „Prozess“. Die ursprüngliche Politisierung, etwa durch die Rassenfrage oder die Verknüpfung mit der Kunst, komme von Richard Wagner selbst – er sei die „Wurzel“. Doch die Kanalisierung, Überhöhung sowie die Konstruktion eines geschlossenen Weltbildes sei den Nachfolgern überlassen geblieben – Witwe Cosima, Hans von Wolzogen, langjähriger Schriftleiter der „Bayreuther Blätter“, sowie Chamberlain. Vor allem dieser habe die Bayreuther Ideologie in enger Verbindung mit Cosima Wagner weiterentwickelt.

Am 22. Juli 1914 wurden die Bayreuther Festspiele eröffnet. Doch sie standen angesichts der Entwicklungen von vornherein unter einem schlechten Stern. Viele Festspielgäste reisten bereits nach dem österreichischen Ultimatum an Serbien am 23. Juli 1914 wieder ab, „Parsifal“ musste bereits vor halbleeren Rängen gespielt werden. Siegfried Wagner gab zunächst die Parole „Wir spielen weiter“ aus, brach die Festspiele aber bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 1. August ab. Vom sprichwörtlichen August-erlebnis, das inzwischen als Mythos zur Stärkung des Durchhaltewillens der deutschen Bevölkerung entlarvt ist, war in Bayreuth nicht sonderlich viel zu spüren.

Am Grünen Hügel verkehrte es sich gar in sein glattes Gegenteil. „Die Bayreuther waren entsetzt über diesen Weltkrieg“, erläutert Bermbach. Man habe befürchtet, dass Deutschland nur verlieren könne. Wolzogen äußerte sich fast schon defätistisch über die Kriegsaussichten: „Sogar ein physisches Unterliegen ließe sich denken, wobei doch aber der moralische Sieg auf unserer Seite wäre.“ Chamberlain fürchtete um die Vorrangstellung des Reiches als europäische Wissenschafts- und Kulturmacht. Als „feindlicher Ausländer“ musste sich Wagners Schwiegersohn regelmäßig bei der Polizei melden, erst 1916 wurde er eingebürgert.

Mit den „Kriegsaufsätzen“ wies Chamberlain indes seine stramm deutschnationale Haltung eindrucksvoll nach. Die Aufsätze erschienen seit September 1914 und fanden weite Verbreitung. „Lauter 42-Zentimeter-Bomben“, so kündigte er seine Pamphlete martialisch an. Die Traktate sind im Ton allerdings eher zurückhaltend. Chamberlain formuliert keine Kriegsziele, sondern singt neben weitschweifigen kulturgeschichtlichen Abhandlungen das Loblied des vermeintlich friedlichen Deutschland, das von einer Welt von Feinden umgeben sei.

Die Kriegsschriften seien „sehr stark gegen England gerichtet“, so Bermbachs Befund. Chamberlain sieht Großbritannien als „treibende Macht“ auf dem Weg in den Weltkrieg an und beschimpft seine ursprüngliche Heimat als „Nation von Schafen“ und „Apotheose des Kleinhirns“. Bittere Klage führt er über die antideutsche Kriegspropaganda, hingegen lobte Chamberlain den fachmännischen Umgang der Soldaten mit Kunstwerken in den besetzten Gebieten. Angesichts der Begeisterung der Landser für die französische Gotik vergaß er indes das „Strafgericht von Löwen“ zu erwähnen, bei dem betrunkene Soldaten am 25. August 1914 nicht nur 200 Bewohner der belgischen Stadt umbrachten, sondern auch die berühmte Universitätsbibliothek in Brand steckten.

Im Verlauf des Weltkriegs habe Chamberlain nochmals eine „Form von Radikalisierung“ durchlaufen, so die Feststellung von Sven Fritz. So trat er gemeinsam mit einer Reihe von Wagner-Familienmitgliedern in den Alldeutschen Verband und in die Deutsche Vaterlandspartei ein. Im Haus Wahnfried erläuterte er den Frontverlauf an einer großen Karte. Zudem verknüpfte Chamberlain das Kriegsgeschehen zusehends mit dem Rassenkampf und dem Antisemitismus, der in den Kriegsschriften nur an wenigen Stellen vorkommt. Sein abgründiger Judenhass zeigte sich etwa, als er dem später als Reichsaußenminister von Rechtsradikalen ermordeten Walther Rathenau „Kriegswucher“ vorwarf.

Nach dem Krieg und dem Untergang der Hohenzollernmonarchie entstanden über Bayreuther Mittelsmänner rasch Kontakte zwischen Wahnfried und dem frühen Nationalsozialismus. Chamberlain rühmte Hitler, der ihn im Oktober 1923 besuchte, als „Mann der Vorsehung“ und sprach sich für einen antimarxistischen „Vernichtungskampf“ aus. Zwar gab es auch Differenzen zur NS-Bewegung – wie Wagner lehnte Chamberlain den Imperialismus als den Germanen wesensfremd ab. Doch die Nationalsozialisten vereinnahmten den Bayreuther Ideologen rasch für ihre Zwecke und warben etwa in Wahlkämpfen mit seinen markigen völkischen Sprüchen.

Udo Bermbach will Chamberlain allerdings nicht auf seinen Rassismus und Antisemitismus reduzieren, sondern seine gesamte Persönlichkeit in den Blick nehmen. Es gehe allerdings nicht darum, ihn zu rehabilitieren, „das muss und kann man nicht“. Als Wagners Schwiegersohn Hitler traf, saß er bereits im Rollstuhl, von einer schweren Krankheit gezeichnet. „Ich gäbe meinen linken Arm darum, als Deutscher geboren zu sein“, hatte Chamberlain lange zuvor gesagt. Ironie der Geschichte: Sein linker Arm wurde tatsächlich gelähmt. Nach langem Siechtum starb er am 9. Januar 1927 in Bayreuth. Bei der Trauerfeier sprach Adolf Hitler.

HOUSTON STEWART CHAMBERLAIN,

geboren 1855 in Portsmouth, England, ist der Verfasser der Schrift „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ (1899), das zu einem Standardwerk des rassischen und ideologischen Antisemitismus in Deutschland avancierte. Chamberlain war ein führender Vertreter des Bayreuther Kreises, der für sich in Anspruch nahm, die ideologische Prägung der Bayreuther Festspiele im Sinne des Komponisten weiterzuentwickeln, und heiratete 1908 Wagners Tochter Eva. Er starb 1927 in Bayreuth.

Der Autor:

Dr. Bernd Buchner ist Historiker und Journalist. Er war Kulturredakteur des „Nordbayerischen Kuriers“ und arbeitet heute als Redakteur für den Evangelischen Pressedienst (epd) in Frankfurt am Main. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er das Buch „Wagners Welttheater. Die Geschichte der Bayreuther Festspiele zwischen Kunst und Politik“ (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 256 Seiten, 39,90 Euro).

Foto: Bayerische Ostmark

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