Kitabı oku: «Eine Reise ins Nichts», sayfa 5
Dresden
Dresden – Goldenes Blut
Johannes war wirklich nett und freute sich sogar auf ihren unangemeldeten Besuch. Seine Wohnung war riesig und geschmackvoll eingerichtet. Das größte Zimmer beherbergte eine imposante Bibliothek. Gustav war verzückt, Johannes stolz und Ramona hungrig und durstig.
„Können wir nicht vorher ins Restaurant gehen, bevor ihr zwischen die Bücherregale verschwindet?“, schlug sie vor und Gustav bestätigte, dass sie seit dem Morgen nichts gegessen hätten.
„Ihr packt eure Sachen aus, erfrischt euch und ich bereite schnell das Abendessen zu. Ich könnte euch edlen Rotwein aus Deutschland anbieten. Aber wenn ihr von Wein die Nase voll habt, dann wäre ein lokales Bier auch möglich.“, entschied Johannes in liebenswürdiger Art.
„Wir trinken beides!“, rutschte Gustav heraus. Aber Johannes lachte zustimmend und zeigte ihnen das Zimmer. Mit eigenem Bad und, die Welt war gut, Doppelbett!
Erschöpft setzte sich Gustav aufs Bett und sah Ramona zu, wie sie die Taschen öffnete und kramte. Er winkte sie zu sich.
„Komm her, mein Hasenpups, und lass dich ein wenig verwöhnen.“
Ramona drehte sich um und sah ihn mürrisch an.
„Vergiss es, du Besessener! Hast mich heute fast umgebracht! Überall blaue Flecken! Die sind groß, wie dein blödes Buch! Kannst du dir vorstellen, wie es wehtut?“, sagte sie und streifte sich ihre Sachen ab.
Erstaunt musterte er ihre Flecken und Beulen, sprang auf und stürmte zu ihr.
„Tut mir leid! Sei mir nicht böse, mein Schatz. Ich weiß, dass ich zu übermüdet war und ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich ernsthaft verletzt hätte. Hast Du große Schmerzen? Kann ich etwas für dich tun? Was brauchst du, mein Schatz?“
Er wimmerte wie ein geprügelter Hund.
„Ist schon gut, Gustav!“, antwortete sie, „Erst einmal könntest du mir den Rücken einseifen, weil meine Schulter schmerzt und weil ich zu müde und faul bin, um mich selber zu waschen.“
Dann schlüpfte sie in die Dusche und Gustav folgte ihr schmunzelnd.
Bevor er mit seiner einfühlsamen Massage begann, mahnte Ramona:
„Aber heute Nacht muss ich mal wieder schlafen. Versprich mir, dass wir heute unser Bett dafür nutzen, wofür es eigentlich erfunden wurde. Einverstanden?“
Gustav nickte ohne Widerspruch.
„Gut, du Irrer, dann fang jetzt an!“, befahl sie und schloss ihre Augen.
Johannes war ein großartiger Gastgeber und das Essen, der Wein und das Bier waren köstlich. Zwanglos beendeten sie ihr Mahl und plauderten in kleiner Runde.
Bislang unterhielten sie sich über belanglose Dinge. Ramona hatte schon ein paar Gläschen getrunken und wollte nun wissen, wo Johannes seine Frau sei oder ob er etwa ledig wäre, trotz seiner Vorzüge und seiner liebenswürdigen Art.
Gustav räusperte sich und sah Ramona strafend an. Ihre Zungenspitze konnte er deutlich erkennen. Kleines, süßes Miststück!
„Johannes, jeder Frau wäre glücklich mit einem so perfekten Mann!“, säuselte sie vergnügt, ohne auf Gustav zu achten.
Johannes lächelte freundlich und erklärte ihr, dass er eigentlich Männer lieber habe. Für eine feste Beziehung wäre er inzwischen auch zu alt und festgefahren.
„Nun, meine Liebe, ich könnte es nicht ertragen, wenn mein Partner meine Bücher durcheinander brächte. Er müsste schon so ein hübscher Buchliebhaber sein wie dein Geliebter. Aber Gustav steht nicht auf Männer. Das hatten wir gleich damals geklärt.“, erklärte Johannes in leichter und liebenswürdigster Form.
„Sei nicht so neugierig, Ramona! Du machst unseren Gastgeber verlegen.“, warf Gustav ein und er überlegte, wie er das Gespräch in eine andere Richtung bringen konnte.
„Ihr macht mich nicht verlegen. Du, mein Gustav und ich, wir sind seit so vielen Jahren befreundet. Und über deine Ramona hast du mir so viel erzählt. Ich meine, dass ich sie fast so gut kenne wie dich.“, sagte Johannes lächelnd.
„Was hat denn dieser Irre über mich erzählt?“, fragte Ramona überrascht. Neugier befiel sie.
Gustav rutschte unruhig hin und her.
„Eigentlich nichts. Ich habe vielleicht hin und wieder, …erzählt habe ich ja nicht viel…“, stammelte er, ohne dass weder Ramona noch Johannes zuhörten.
„Oh, meine Liebe, er spricht fast ausschließlich von dir. Er betet dich an und ich finde, dass er nicht übertrieben hat. Ihr seid wirklich ein bezauberndes Paar und ich freue mich, dich endlich persönlich kennenzulernen.“, erklärte Johannes und prostete Ramona freundlich zu.
„Ja, ich freue mich auch.“, sagte sie lächelnd.
„Und er betet mich an, ja?“, fügte sie skeptisch hinzu.
„Wie ein liebestoller Iltis! Manchmal hat er auch geflucht über dich, aber nur, weil du so keine Lust auf Sex hattest. Aber wie ich erst hörte, das war aber ganz unbeabsichtigt von mir, hat sich das ja inzwischen geändert. Eure Liebe war ja nicht zu überhören. Das ist schön für euch beide.“, antwortete Johannes.
Ramona errötete und Gustav war aufgesprungen.
Vorwurfsvoll schaute er auf Ramona hinab.
„Musst du auch immer so laut dabei sein, mein Hasenpups?“
„Gustav!“, schrie sie, „Du solltest mich davor bewahren. Das ist mir unglaublich peinlich! Tut mir leid, Johannes, aber Gustav ist ein Irrer, der mir Angst macht und dann schreie ich manchmal, aber wirklich nur vor Angst und ein bisschen aus Spaß.“, versuchte sie sich zu rechtfertigen.
„Und Spaß hattest du reichlich, mein Honigbäckchen!“, grinste Gustav.
Es klang ein wenig nach Triumph. Selbstgefälliger Mistkerl!
„Und so ganz geräuschlos bis du ja auch nicht. Du solltest dir mal dabei zusehen.“, schimpfte sie.
Johannes schaltete sich ein, um den kleinen Streit zu schlichten.
„Wegen mir müsst ihr euch nicht zanken. Es ist schön, wenn zwei Liebende unter meinem Dach lieben.“
„Das, was dieser Irre mit mir macht, ist keine Liebe, sondern Besessenheit.“, fauchte sie.
Unangenehmes Schweigen machte sich breit.
Ramona war sauer, weil sie sich ihrer Paarungslaute schämte. Gustav war sauer, weil Ramona ihre Liebe zueinander verleugnete und Johannes schwieg einfach nur, weil er gerne angespannte Situationen beobachtete.
„Ich liebe dich trotzdem, mein Schatz!“, beendete Gustav das unschöne Schweigen.
„Wir sollten viel lieber darüber reden, was wir in Dresden und der nahen Umgebung uns ansehen könnten. Außerdem brauchen wir morgen ein Hotel, denn wir haben vor, ein paar Tage zu bleiben.“
Doch Johannes wehrte gleich ab und bestand darauf, dass sie beide in seiner Wohnung bleiben müssten. Er holte auch sofort einen Wohnungsschlüssel und legte ihn freundlich auf den Tisch.
„Und wenn es euch interessiert, dann besucht mich in Moritzburg. Ich nehme mir gern die Zeit und mache eine persönlich Führung für euch durch das Schlossarchiv.“, sagte er.
Gustav und Ramona schauten sich verschwörerisch an.
„Oh ja, in Moritzburg war ich noch nie!“, sagte aufgeregt Ramona und klatschte in ihre Hände. „Und du Gustav, hast für die nächsten Tage eine wichtige Aufgabe! Fasse mich ja nicht an und halte deine Körperteile in Zaum.“, wandte sie sich eindringlich an Gustav.
Er schmunzelte.
„Jawohl, mein kleines Weihnachtsglöckchen!“
Die Nacht verlief ausnahmsweise ohne Zwischenfälle, auch ohne richtigen Sex und ohne Gebrüll. Als sie frühstückten, war Johannes schon fort.
„Du hast einen netten Freund und er verdient offensichtlich gutes Geld als Restaurator.“, bemerkte Ramona, „Hattet ihr beide mal ein Verhältnis? Los, sag schon!“
Gustav mochte nicht über solche Dinge reden.
Sie ließ jedoch nicht locker und nervte mit ihren Fragen.
„Höre mir zu, du neugieriger Hasenpups! Seit fast zehn Jahren versuche ich dich in mein Bett zu locken. Und nun, da wir endlich ein echtes Verhältnis begonnen haben, fragst du mich nach Affären, die ich mit Johannes gehabt haben soll? Konzentriere dich besser auf unser Verhältnis, denn das könnte unsere Zukunft sein.“, erklärte er.
Nachdenklich schlürfte Ramona ihren Kaffee.
Was meinte Gustav mit Zukunft? Irgendwie hatte sie keinerlei Gedanken darauf verschwendet. Ramona agierte meist aus ihren Bauch heraus. Ihr letztes Verhältnis war katastrophal. Er hieß Werner, sah ganz vernünftig aus und hatte einen muskulösen Körper. Er ging mehrmals die Woche ins Fitnessstudio, wo er sich auch Hormone spritzte. Im Bett war er eine Niete. Ramona vermutete, dass die Hormone nur den Muskeln dienten und die restlichen Organe schrumpfen ließen. Sein Gehirn war scheinbar schon völlig schwammig und er hatte die Allgemeinbildung eines Dackels. Damit konnte sie absolut nichts anfangen. Dummheit tat ihr sogar körperlich weh und Werner bereitete ihr Schmerzen. Nach wenigen Wochen jagte sie ihn raus und seit dieser Zeit lebte sie ohne sexuelle Abenteuer. Und dann kamen Florenz und Gustav, Rotwein und romantische Nächte. Ramona überlegte. Hätte sie vielleicht im letzten Jahr die Pille nicht absetzen sollen?
„Oh mein Gott!“, stöhnte sie und schloss die Augen.
„Du sollst mich nicht so nennen! Was ist los?“, fragte Gustav.
„Nichts, ich meine, ich weiß nicht, ob wir eine Zukunft haben. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“, antwortete sie unsicher.
Gustav glaubte, dass sie sich Sorgen machte, ob er und Johannes es miteinander getrieben hatten. Vielleicht hatte sie auch Angst wegen Aids.
„Ich hatte mit Johannes keinen Sex. Wir hatten darüber geredet und ich habe ihm erklärt, dass ich vorzugsweise auf Frauen stehe. Ganz simpel. Johannes wäre auch nicht der Typ, der ständig jeden an die Hose geht. Auf diesem Gebiet ist er konservativer als wir beide zusammen.“
Sie nickte und war trotzdem etwas abwesend in ihren Gedanken.
Ramona und Gustav spazierten später durch die Stadt. Sie mussten einige Sachen kaufen und landeten in einem riesigen Einkaufszentrum. Ramona brauchte ganz nötig bequemere Kleidung, denn für ein spontanes Abenteuer war sie nicht ausgerüstet.
Sie trug gern leichte Kleider und reizvolle Unterwäsche, doch nun suchte sie sportliche Sachen. Irgendwann fand sie auch eine Hose, die Gustav begutachten sollte. Er fand sie zwar geeignet und passend, mochte aber die leichten Sommerkleider lieber. Also kaufte Ramona eine hautenge Jeans und ein hübsches Sommerkleid zusätzlich. So stolperten sie durch unzählige Läden.
Vom Einkaufsbummel erschöpft, kamen sie spät zurück. Johannes war scheinbar noch unterwegs und die Wohnung leer. In ihrem Zimmer warf Gustav die Einkaufstüten auf das Doppelbett. Dann schmiss er seine Schuhe in die Ecke und zog sich die Hose aus.
„Mir gefallen die Schuhbacken, die mir richtig wehtun.“, stöhnte Ramona.
„Wer ist krank?“, fragte Gustav verwundert.
Ramona wurde rot, begann aber zu lachen. Verdammte Schuhbacken!
„Ist ja gut! Ich wollte nur sagen, dass mir die Schuhe drücken.“, sagte sie.
„Und weil du auf meinen Arsch geschaut hast, sind dir die Worte verrutscht!“, jubelte er fröhlich, denn er hatte sie wieder ertappt.
Ramona passierte es öfter, dass sie Worte verdrehte oder ganz falsch einsetzte. Es handelte sich dabei aber nicht um eine Art Sprachfehler, sondern um reine Nachlässigkeit. Ihre Gedanken waren meist schneller, als ihre Zunge es formulieren konnte. Während sie noch sprach, waren ihre Gedanken bereits schon beim nächsten Thema und so rutschten ihr hin und wieder einzelne Worte weit voraus.
„Eigentlich finde ich dein Kleid ziemlich hübsch und Schamlippen bunt.“, sagte sie einmal zu einer Freundin. Gemeinsam schlenderten sie durch ein Einkaufszentrum und unterhielten sich über ihre Kleidung und Kosmetik. Ihre Freundin wollte nur wissen, ob ihr Kleid auch farblich zum Lippenstift passen würde und Ramona wollte ihr erklären, dass das Kleid etwas zu bunt sei, der Lippenstift aber eine hübsche Farbe hätte, aber auch nuttig aussah. Während sie das sagte, dachte sie über Lippen nach. Ramona benutzte niemals Lippenstift. Ihre Lippen waren etwas schmal, doch schminken mochte sie sich nicht, denn sie empfand es als ein wenig nuttig. Ihre Freundin trug hingegen kräftige Farbe auf die Lippen und sah manchmal viel zu auffällig aus, als wolle sie sich jedem Mann anbieten. Das war schamlos. Eine anständige Frau sollte sich mit Schminke zurückhalten. Ramona dachte über ihre eigene Schamgrenze nach. Und so fügte sie ein Wort aus diesen Gedanken in den Satz des vorherigen Gedankens, den sie gerade aussprach, mit ein.
Aus
buntes Kleid
,
Lippenstift
und
schamlos
entstand dann:
„
Schamlippen bunt.
“
Darüber erschrak sie natürlich und ihre Freundin war schockiert, denn einen Sinn ergaben ihre Worte nicht.
Unglücklicher Weise passierte es ihr regelmäßig.
Statt „
Flugzeug“
sagte sie einmal „
Flugflirt
“, weil sie darüber nachdachte, dass ein langer Flug eine günstige Gelegenheit für einen Flirt sei. Schließlich saß man stundenlang nebeneinander, konnte auch nicht einfach gehen und war trotzdem nach jedem Flug wieder frei. Im Flugzeug waren Flirts ungefährlich und wenn man Glück hatte, saß dicht neben einem selbst ein attraktiver Mann. So sagte sie dann:
„Neulich war ich ziemlich erregt im Flugflirt, weil sich die Landung verzögerte.“
Alle lachten und Ramona verfluchte ihre Nachlässigkeit.
In Gustav seiner Gegenwart war es ihr egal und sie konnte darüber lachen.
„Dir tun also die Schuhbacken weh, ja?“, grinste er vergnügt.
„Ich habe nicht auf deinen Arsch geschaut, sondern an meine zarten Wangen gedacht.“, entgegnete sie lächelnd, verlegen und etwas verzweifelnd. Sie konnte nicht lügen.
„Dir gefallen also meine Pobacken?“, fragte er weiter und streckte ihr seinen Hintern entgegen. Ramona schnaufte.
„Vielleicht habe ich flüchtig und unbeabsichtigt draufgeschaut.“, erwiderte sie verlegen, denn Gustav konnte sie einfach nichts vormachen.
„Du musst einfach langsamer sprechen, mein Hasenpups. Spreche mir nach:
Mir tun die Füße weh und ich will die Schuhe schnell ausziehen. Lieber Gustav, dein Arsch ist übrigens geil und er gefällt mir sehr. Ich möchte deine Backen küssen.
“
„Das sage ich niemals!“, entschied Ramona stolz.
„Dann kann ich dir nicht helfen.“
Beide lachten.
Am nächsten Tag zogen Ramona und Gustav wieder in die Stadt. Dresden war in dieser Jahreszeit eine wahre Schönheit und sie schlenderten einfach nur so, ohne ein Geschäft zu besuchen. Sie überquerten die Elbe auf mehrere Brücken und es ging hin und her mit keinem festen Ziel. Irgendwann nahmen sie den Bus und fuhren die etwa 20 Kilometer nördlich zur Moritzburg.
Das barocke Jagdschloss lag malerisch auf einer Insel inmitten eines Sees. Massen von Touristen wurden abgeladen und ergossen sich in die Parkanlagen.
Eine Frau am Eingang telefonierte auf ihre Anfrage kurz und gab den Hörer an Gustav weiter.
„Ich bin gleich bei euch. Setzt euch doch einfach ins Restaurant im Innenhof und wartet dort auf mich.“, hörte er Johannes sagen und dann legte er auch schon wieder auf.
Das Wetter war mehr, als nur angenehm und ihre Stimmung war in Hochform. Immerhin hatten sie Urlaub.
„Zeit für ein frisches Bier vor barocker Kulisse, mein kleiner Hasenpups.“, sagte er und Ramona hakte sich fröhlich bei ihm ein.
„Hast du einen Plan, Mister Bond?“, fragte sie.
Gustav schüttelte mit dem Kopf.
„Mein einziger Plan bezieht sich darauf, wie ich mein heißes Bondgirl vernaschen kann. Am besten gleich!“, sagte er.
„Du bist nicht normal! Willst ja nur, dass ich wieder laut stöhne und alle es mitbekommen. Vergiss es!“
Beide lachten.
Nach einer Weile, die ihnen kurzweilig erschien, tauchte Johannes auf.
Gemeinsam gingen sie an den Gruppen von Touristen vorbei und besichtigten die prächtigen Schlossräume. Überall hingen Trophäen, in den Sälen, den Hallen und sogar in den Treppenhäusern. Meist waren es die Geweihe von Hirschen.
„Wo hängt denn das größte Geweih?“, fragte Ramona, als wäre sie auf Rekordjagd.
„Im Audienzsaal. Wir sind gleich dort. Da momentan der Speisesaal restauriert wird, wurden dort die mächtigen Geweihe vorübergehend ausgestellt. Aus Platzmangel liegen sie nur auf dem Fußboden.“, erklärte Johannes beflissen.
Der Raum war nicht besonders groß, aber voll gestellt mit Hirschgeweihen. Am Fußboden lagen gigantische Geweihe. Alle über 50 Enden zählend und zentnerschwer.
„Das wird leicht, denn die Hirschschädel liegen hier völlig ungesichert.“, flüsterte Ramona Gustav ins Ohr. Doch er konnte ihre Freude nicht teilen und zeigte nach oben. Dort hingen weitere Geweihe.
„Welches ist es?“, flüsterte sie.
Johannes erzählte unterdessen irgendetwas über die Baugeschichte des Schlosses und warum August der Starke genau hier seine Sammlung haben wollte, ohne dass sie beide richtig zuhörten. Als Johannes sich zu ihnen umdrehte, sah er, dass sie gespannt vor der Tür standen und ein bestimmtes Geweih anstarrten.
„Ach ja, der berühmte
66-Ender
aus Briesen! Darüber müsste Gustav ja alles wissen.“, sagte er.
Über der hohen Tür hing ein vergoldeter Schädel mit fast weißem Geweih. Im Hintergrund war eine Art Altar mit drei barocken Engeln gemalt. Gustav schaute Ramona an und begann zu erzählen:
„Er wurde durch den Kurfürsten von Brandenburg erlegt und später an den Sachsenkönig verschenkt. Diesen Hirsch bezeichnet man als monströs. Er ist sogar kleiner und leichter als die anderen Geweihe und gilt trotzdem als kapitalstes Rotwild aller Zeiten. Das Geweih ist wirklich etwas untypisch und beinahe schaufelartig. Trotzdem ist es ein echter Rothirsch. Erlegt wurde er am 16. September 1696 im Forst von Briesen. Dort steht genau an der Stelle des Abschusses ein historisches Denkmal, … vermutlich aus dem Jahr 1706 oder 1707. Es gibt zahlreiche Kopien, doch hier hängt das Original.“
„Stimmt. Und weil er mit seinen 66 Geweihspitzen unübertroffen ist, wurde sein Schädel damals vergoldet.“, ergänzte Johannes.
„Zum 200. Jubiläum, im September 1896, wurde er für ein paar Tage nach Briesen geschafft. So kam der Hirsch noch einmal an die Stelle zurück, wo er einst geschossen wurde.“, fügte Gustav hinzu.
Ramona und Johannes sahen sich an und bemerkten, wie Gustav tief in seinen Gedanken versunken war. Ramona fand die Trophäe ein wenig enttäuschend, obwohl es als einziges Stück vergoldet war. Außerdem hing der Schädel viel zu hoch und ohne Leiter kämen sie nicht heran.
„Sind denn die Geweihe mit einer Alarmanlage gesichert, so wie die alten Gemälde im Dresdener Zwinger?“, fragte Ramona.
Gustav stockte der Atem, doch Johannes schien sich nicht sonderlich über die Frage zu wundern.
„Nein. So wertvoll sind sie dann auch nicht. Aber das Porzellan ist streng gesichert, Meißener Porzellan für das Königshaus. Das ist wirklich wertvoll. Und dann die königliche Bibliothek! Dort dürfen keine Touristen hinein. Viel zu empfindlich!“
Anschließend führte Johannes sie durch die gesperrten Bereiche des Schlosses. Doch Ramona und Gustav schienen nicht recht interessiert zu sein.
Nachdem der Rundgang abgeschlossen war, entschuldigte sich Johannes, weil er sie wieder allein lassen musste.
„Wir sehen uns zum Abendessen bei mir. Leider muss ich wieder in meine Bibliothek. Aber ihr zwei habt sicherlich noch einen schönen Tag. Also dann, bis später!“
Wieder saßen sie im Schlossrestaurant und löschten ihren Durst. Es war ein heißer Tag.
„Hast du jetzt einen Plan, wie wir das Geweih mit dem Schädel untersuchen können?“, fragte sie. Gustav grübelte angestrengt.
„Sieht aber nicht aus, als stecke im Maul des Tieres irgendeine Schatzkarte,“ bemerkte Ramona verschwörerisch.
„In einer Stunde schließt das Schlossmuseum und alle Touristen sind fort. Vielleicht sollten wir uns irgendwo drinnen verstecken und nachdem die Reinigungsfirma fertig ist, uns das Hirschgeweih genau ansehen. Der Schädel ist vergoldet und wer weiß, was im Inneren versteckt ist.“, überlegte Gustav.
„Wie?“, fragte Ramona, „Schließen wir uns jetzt für ein paar Stunden ins Klo ein? Wenn es Reinigungsfirmen gibt, dann bestimmt dort!“
Gustav wiegte sein Haupt.
„Ich habe mir alles genau angesehen. Im Treppenhaus gibt es jenseits der Absperrung eine Nische, wo wir uns sicher verstecken können. Allerdings müssen wir geduldig sein. Nachdem die Reinigungskräfte fertig sind und bevor die Sicherheitsleute ihre Runden drehen, haben wir eine gute Chance. Ich schätze, nicht länger als 30 Minuten. Danach wird sicherlich die Alarmanlage eingeschaltet.“, meinte er skeptisch. Es war kein ausgereifter Plan.
„Nö. Mit dir allein in einer engen Nische? Erst spielen wir Verstecken und danach gibt es Doktorspiele! Ich denke, wir ziehen uns einfach die Kleidung der Reinigungskräfte über und tarnen uns. Dann müssen wir uns nicht ewig verstecken, du kommst nicht auf dumme Gedanken und wir hätten so auch mehr Zeit. Außerdem fallen Fensterputzer mit einer Leiter nicht auf.“, lautete Ramonas Fazit. Das war ein besserer Plan.
Gustav fand die Idee auch prima und gleich machten sie sich auf den Weg, um die Reinigungstrupps abzufangen. Da sie dank Johannes Führung auch die Personalbereiche kannten, fanden sie auf Anhieb die Umkleideräume. Ramona schlüpfte in einen Kittel und Gustav zwängte sich in einen engen Kombianzug.
„Sogar darin siehst du sexy aus!“, grinste Gustav und zupfte an Ramonas Kittelschürze.
„Kann ich leider nicht erwidern. Mit deinem Hosenanzug siehst du aus, wie eine Presswurst im Kunstdarm! Solltest du vielleicht immer tragen!“, antwortete Ramona und sie konnte sich ein eigenes Grinsen nicht verkneifen. In einer Kammer nebenan fand Gustav eine Aluleiter und beide liefen geschäftig durch die leeren Gänge. Die Touristen waren endgültig fort und nur ab und zu begegneten sie Putzfrauen. Niemand hielt sie auf.
Endlich hatten sie den Audienzsaal erreicht.
„Ich steige rauf und du hältst die Türen im Auge.“, raunte Gustav, als er flink die Leiter anstellte.
„Mach hin! Es sind drei Türen!“, schimpfte Ramona. Ihr Herz schlug heftig und die Angst steigerte sich.
Gustav stieg die Leiter hinauf und streichelte über das goldene Maul des Hirsches. Schnell tastete er den gesamten Schädel ab, untersuchte danach das Geweih nach Versteckmöglichkeiten. Nichts!
Ohne weitere Verzögerungen packte er das Geweih mit den Händen und rüttelte vorsichtig, als sich der goldene Schädel einen Spalt breit öffnete. Gustav bekam mit Mühe zwei Finger in die Spalte und zog aufgeregt ein altes Pergament hervor.
„Treffer!“, zischte er mit rasendem Herzen.
Schnell stopfte er es in seine Hosentasche und kletterte flink hinab.
Als er zu Boden sprang und Ramona seinen Fund zeigen wollte, erstarrte er.
Ein Mann mit dunklem Anzug hielt Ramona fest und verschloss ihren Mund mit seiner groben Hand. Seine Augen waren an Gustav geheftet.
„Sicherheitsdienst! Legen Sie ihren Diebstahl langsam auf den Fußboden und treten sie zurück.“, sagte er leise mit monotoner Stimme.
Ramona wehrte sich und versuchte sich aus ihrer Umarmung zu befreien. Doch mehr als ein Gewimmer kam nicht.
Der Mann drückte noch fester zu und fauchte ihr ins Ohr:
„Wenn ich jetzt loslasse, dann hältst du dein Maul und gibst keinen Laut von dir! Ansonsten kann es wirklich wehtun!“
Dann stieß er sie grob von sich. Ramona schlitterte in Richtung Gustav und ging fast zu Boden.
„Arschloch!“, rief sie.
„Komm her, mein Schatz. Stell dich hinter mich.“, sagte Gustav ruhig und mit fester Stimmer.
„Der ist kein Wachmann.“, fügte er hinzu.
„Kein Wachmann? Wer sind Sie und was wollen Sie von uns?“, fragte sie zornig.
Plötzlich zog der Mann im dunklen Anzug eine Pistole aus seiner Jacke und richtete sie eiskalt auf Ramona.
„Gib mir das, was du gerade gefunden hast und ich lasse euch lebendig hier! Dein vorlautes Weibsbild erschieße ich zuerst bei 10 … und eins, zwei …“
Langsam umkreiste er Gustav, wie ein Raubtier. Gustav ging rücklings an die Wand, so dass der Mann Ramona im Rücken hatte. Trotzdem richtete er unbeeindruckt seine Waffe auf Ramona.
„Also gut!“, sagte Gustav, „Ich lege es auf den Boden. Machen Sie keinen Scheiß, sonst brülle ich die echten Wachleute zusammen!“
Langsam zog Gustav das Pergament aus seiner Tasche und bückte sich, um es abzulegen. Angespannt sah der Mann im dunklen Anzug ihm zu.
Gustav blickte zum Hirschschädel nach oben und sagte:
„Wer sind Sie und was wollen Sie mit dem Pergament? Das nutzt Ihnen nichts, denn Ihnen fehlt das Wissen …“
In diesem Moment, als beide Männer auf die Trophäe noch oben schauten, griff Ramona blitzschnell einen Absperrständer und schlug ihn mit voller Kraft auf den Kopf des Mannes.
Ohne eine Schuss abzugeben, schleuderte er polternd zu Boden und blieb bewegungslos liegen.
Geschockt sah ihr Gustav zu, wie sie geschickt die Taschen des Mannes durchsuchte. Endlich löste sich auch Gustav aus seiner Starre und sprang ihr zur Seite. Seine Taschen waren leer. Keinen Ausweis, keine Brieftasche, kein Telefon.
Dunkles Blut floss aus der furchtbaren Kopfwunde des Mannes.
„Steck die Waffe ein und vergiss nicht, sie zu sichern. Wäre nicht gut, wenn sich in deiner Hose ein Schuss lösen würde. Und jetzt schnell weg hier!“, sagte sie.
Gustav verstaute das Pergament und beide liefen gehetzt durch die Räume und in Richtung Ausgang.
Dort saß ein regulärer Wachmann und nickte beiden freundlich zu.
„Hallo, wir haben jetzt endlich Feierabend! War wieder ganz dreckig. Schönen Abend noch.“, rief Gustav dem Wachmann zu und sie versuchten möglichst unaufgeregt weiter zu gehen.
Endlich waren sie im Schlosspark.
„Was hast du gefunden?“, fragte Ramona ungeduldig.
„Nicht jetzt! Lass uns erst verschwinden. Im Ort gibt es Taxis und dann fahren wir zu Johannes und besprechen alles in Ruhe.“
„Was für ein Tag!“, hechelte sie.
„Verdammter Mist! Wer war dieser Typ? Woher wusste der, dass wir dort waren und wer weiß noch von dieser Sache? War der eigentlich tot?“, rief er schnell laufend.
„Gustav! Der hätte erst mich und dann dich erschossen. Der war kein harmloses Schlossgespenst, sondern ein Spion und ein Killer! Willst du um diesen Typen trauern?“, entgegnete sie aufgeregt.
Beide rannten inzwischen und wollten nur noch diesen Ort verlassen.
„Nein, nein, mein Schatz! Hast du gut gemacht. Bist wirklich eine tolle Frau! Aber vielleicht hast du ein schlechtes Gewissen? Man bringt keine Menschen um, als wäre es ein Hobby mit öffentlicher Würdigung, oder?“, meinte er.
„Ist kein Hobby von mir, wirklich nicht. Ich habe nur emotional gehandelt. Aber vielleicht willst du, dass ich mich noch schlechter fühle?“
„Natürlich nicht.“, entgegnete Gustav.
„Der hätte mit uns kein Mitleid gehabt! Ich wollte ihn nur einschläfern!“
„Mit einem Messingständer durch die Schädeldecke?“, fragte er unsicher mit runzelnder Stirn.
„Er hatte mir wehgetan! Sollte ich ihn mit einer Postkarte ohnmächtig wedeln?“, erwiderte sie.
„Nein, nein! Natürlich nicht. War toll gemacht und so effektiv!“
„Genau. Und schließlich leben wir noch!“, rief Ramona ihm zu.
Das Taxi fuhr direkt zur Wohnung. Während der Fahrt versuchten sie sich gegenseitig zu beruhigen. Bereits im Treppenhaus der Wohnung hörten sie fröhliche Stimmen, die endgültig ihre Panik vertrieben.
Johannes hatte Gäste eingeladen und Getränke serviert. Ramona und Gustav versuchten ihre Erlebnisse nun abzustreifen und erwähnten kein Wort darüber, was passiert war. Was hätten sie auch sagen sollen?
Die Gäste schauten neugierig auf die beiden Ankömmlinge.
„Hattet ihr noch einen schönen Tag?“, erkundigte sich Johannes.
„Oh ja. War toll und … interessant war es auch.“, sagte Gustav.
Zielsicher griff er die Hand Ramonas.
Nach ein, zwei Gläschen fiel die Anspannung endgültig von ihnen. Die versammelten Gäste waren nett und die Gespräche sehr kurzweilig. Inzwischen unterhielten sie sich über Kultur, Literatur, schwelgten in Erinnerungen. Letztlich sprachen sie über die Beziehungen, die sie alle irgendwie verbanden. Da es Freundinnen und Freunde Johannes waren, vermutete Ramona anfangs, dass es befreundete Lesben und Schwule waren. Doch dann merkte sie, dass sie Ehepaare waren, ganz normale Leute. Ein wenig schämte sie sich für ihre eigenen Vorurteile.
Die Gäste hatten gepflegte Umgangsformen und verfügten über viel Witz. Sie alle waren angenehme Gesprächspartner und furchtbar nett. Armin war ein alter Freund von Johannes, Junggeselle und nicht schwul. Er unterhielt sich mit Ramona und machte ihr reizende Komplimente, ohne aufdringlich zu werden. Trotzdem schaute Gustav misstrauisch den beiden zu. Er versuchte mit Susi eine Unterhaltung zu führen, aber sie war ihm etwas zu neugierig. Susi war mit Armin irgendwie befreundet, wurde aber von ihrem Ehemann Uwe begleitet. Vielleicht hatten sie sogar ein Verhältnis miteinander, aber Uwe schien es nicht zu beunruhigen, wenn Susi und Armin miteinander Berührungen austauschten. Ronny und Anja alberten als festes Paar miteinander herum und lächelten ohne Pause. Und schließlich Luise, die allein lebte und als Musikerin in der Semperoper arbeitete. Nach dem Essen versammelten sie sich um einen Tisch und saßen bequem in ihren Sitzen. Johannes verteilte mit vielen Aufmerksamkeiten Getränke. Ramona lehnte sich an Gustav an und genoss die gemütliche Atmosphäre in vollen Zügen. Das Erlebte in der Moritzburg war fast vergessen.
„Ramona, nun erzähl uns bitte, wie dich Gustav erobert hat, dieser Charmeur. Johannes erzählte uns, dass ihr euch schon so lange kennt.“, sagte Susi, die offensichtlich gut informiert war.
Ramona antwortete mit einiger Verlegenheit in ihrer Stimme:
„Nun, er lief mir schon fast zehn Jahre hinterher. Ständig schenkte er mir Blumen, meist waren es Rosen. Bevor sie welkten, brachte er neue und frische Blumen. Er war wirklich süß!“