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Kitabı oku: «Das Schweigen der Prärie», sayfa 31

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VI

Bald darauf kam der Per Hansen, um nachzuschauen. Er wolle mit den Solumbuben nach Norden, um das Vieh mit Heu und Wasser zu versehen. Dabei wolle er zugleich beim Germund Dahl vorsprechen, ob nicht vielleicht einer seiner Buben herkommen und der Sörrina in der Wirtschaft helfen könne. — Heute abend werde er über alles berichten, — jetzt habe er zum Plaudern nicht Zeit. —

Im ganzen Settlement hatten die Menschen alle Hände voll zu tun; das Wetter war noch immer unsicher, und es war nach dem Sturm Schaden genug auszubessern. Auf den meisten Farmen bestanden die Stallgebäude noch aus Erdhütten oder Strohschuppen; einige waren vollkommen eingeschneit, von andern hatte der Sturm alles Stroh abgerissen, — die Stangen schauten aus den Schneeverwehungen wie abgenagte Knochen heraus. Von einigen Wohnhäusern war nur das Dach noch sichtbar, von vielen Gammen reichte der Schornstein gerade soeben über die Schneefläche. Bei Tönset‘n unten am Bach stieg der Rauch unmittelbar aus dem Schnee auf.

In vielen Häusern gab es nur noch das dürre Korn und den Tropfen Milch, den die Kühe hergaben. Bei den letztangekommenen Farmern am Rande der Siedlung war auch nicht einmal das mehr vorhanden. Aber die Menschen jener Zeiten waren ungemein hilfsbereit; was einer hatte, teilte er mit dem andern oder lieh es bereitwillig her; fand einer einen Ausweg, teilte er‘s dem andern mit. —

Als der Per Hansen nach dem Nachtessen wieder zum Hans Olsen kam, saß Tönset‘n in der Schlafkammer. Er war heute abend bedrückt, war wortkarg; die Kjersti hatte fast den ganzen Tag das Bett hüten müssen, weil sie von Gliederschmerzen so geplagt gewesen. Nicht einmal den Topf könnt‘ einer unter sie schieben! Er habe sowohl sie wie sich selber zu besorgen gehabt, und noch dazu alles im Stall!

Er sah Hans Olsens fiebergerötetes Gesicht, hörte das pfeifende Atmen und war nun doch im Zweifel, ob er, Syvert Tönset‘n, jemals den Husten so schlimm gehabt. Aber dann überlebte der Mann das nimmer! Doch das behielt Tönset‘n für sich.

Es war dem Hans Olsen den ganzen Tag schlecht gegangen, die Krampfanfälle hatten sich gemehrt, er war unruhig und gereizt gewesen, hatte bald um das eine, bald um das andre gebeten; immer wieder wollte er Bescheid über das Wetter. Jetzt lag er zwischen den Anfällen still und sprach langsam von dem, was unabwendbar war. Er bat beide Nachbarn, der Sörine mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, so gewiß er ihnen dasselbe getan, wäre das Umgekehrte eingetreten. »Du, Per Hansen, mußt heute nacht bei mir bleiben! Die Sörrina muß in den Nächten Ruhe haben; sie hat sich jetzt mit vielem draußen abzuplagen und bedarf der Rast, — es kann noch lange mit mir dauern.«

So hielt denn der Per Hansen Nachtwache. Die Sörine legte sich in der Nebenkammer angezogen aufs Bett, um gleich bei der Hand zu sein — die Tür zwischen beiden Räumen stand offen. Aber da sie fast den ganzen Tag draußen in der Kälte hatte herumstampfen müssen, lag sie bald in tiefem Schlaf.

Als Ruhe im Hause eingetreten war, blickte der Hans Olsen nach einer Weile auf und fragte laut, ob die Frau schliefe. Als er sich dessen versichert, begann er nach einer Weile stummen Sinnens eingehend darzulegen, wie er später alles geordnet haben wolle. Er hatte ein paar Schulden bei einigen Leuten in Sioux Falls, — die erwähnte er zuerst; mehrere Neusiedler schuldeten ihm Geld für Saatkorn und Vieh; er nannte sie beim Namen und eines jeden Schuldsumme, — es stellte sich später heraus, daß er allen ein Beträchtliches erlassen hatte. Die Sörine solle die Farm behalten und auf ihr wohnen bleiben, — dem Lande hier draußen gehöre die Zukunft, dessen sei er gewiß. Der Per Hansen müsse hernach ihre rechte Hand sein, — könne er ihr einen ordentlichen Knecht verschaffen, werde sie sich mit den Kindern durchhelfen können. — Ja, und dann war da noch der Kleine-Hans, — schwer sei es von hinnen zu fahren, ohne zu sehen, wie der sich einst als Mann arten werde! Zeige es sich, daß er gute Gaben für die Bücher habe, sollten sie zusehen, ihn auf St. Olavs hohe Schule zu schicken. Möge der Herrgott es so fügen, daß er Pastor werde —! Das aber heiße freilich zu Großes erhoffen!

Er brachte die Worte nur mühsam hervor. Bisweilen ging ihm der Atem aus. Per Hansen nickte nur zu allem, vermochte nichts anderes vorzubringen als: »Sei unbesorgt, — überleg es dir genau, — so wird es bestimmt gemacht!« —

Der Per Hansen wußte es sich nicht zu erklären, aber er hatte das sichere Gefühl, daß der Kranke noch etwas auf dem Herzen habe. Bei jeder Pause dachte er: Jetzt kommt‘s!

Aber dann schien doch nichts mehr zu kommen. Der Hans Olsen schwieg, sah vor sich hin. Ein paar Hustenanfälle kamen; er wurde außerordentlich unruhig; in dem großen Brustkasten pfiff und keuchte es wie in einem lecken Blasebalg, der ständig unter vollem Wind gehalten wird.

Als die Anfälle nachließen, begann der Hans Olsen wieder von vorne, wiederholte sich ängstlich und suchend, aber ohne die Klarheit von vorhin.

Bald nach Mitternacht hatte er eine ruhige Stunde; er schwieg, schaute ab und zu den Nachbar an, — etwas Wundersames lag in dem Blick. — Nahte jetzt das Ende? —

Als aber der Kranke wieder zu sprechen begann, sagte er etwas ganz Unerwartetes; er schlug die Augen nieder und fragte leise:

»Liegt der Schnee wohl arg hoch?«

»Zwischen uns und euch überall mindestens vier Fuß,« sagte der Per Hansen, »und ebenso hoch überall auf ebenem Felde; — unten am Bach bei Tönset‘n sind‘s sicher zwanzig!«

»Nein, liegt er wirklich so hoch!« Der Kranke ließ einen schweren Seufzer fahren, tastete unruhig mit der Hand übers Bett und wiederholte murmelnd: »Nein, liegt er wirklich so hoch!«

»Denkst du an etwas Bestimmtes?«

»Dann ist gewiß kein Vorwärtskommen!« Das große Gesicht verdüsterte sich und glänzte von Schweiß.

Der Per Hansen fühlte, daß sich ihm der Hals zusammenschnürte; er hüstelte und sagte energisch:

»Sag es, was es auch sei, Hans Olsen! — — Wolltest du den Doktor?«

Der Kranke sah ihm gerade ins Gesicht: »Oh, ich habe den Pastor nötiger, siehst du!« Er hielt einen Augenblick inne, fügte dann hinzu: »Aber es muß ja wohl im Verlauf eines Tages draußen besser werden, — glaubst du nicht auch?«

Er wartete eine Weile auf die Antwort des andern, sah auf und wiederholte bittend: »Glaubst du nicht auch?«

Der Per Hansen stand auf, begann im Zimmer herumzugehen, — es war so stickig hier drin, ihm wurde ganz schwindlig davon — — — Gott gnade dem, der jetzt die Prärie befahren mußte!

Er trat wieder ans Bett: »Brauchst du ihn durchaus?«

»Es ist furchtbar, in des lebendigen Gottes Hände zu fallen!« Das Gesicht des Kranken arbeitete und verzerrte sich; der Per Hansen mußte sich gegen den Stuhlrücken stützen, so erschütterte ihn der Anblick.

Der Kranke begann von neuem: »Es ist furchtbar — in seine Hand — zu fallen!«

»Still jetzt, still, Mann, — sprich nicht so gotteslästerlich!« rief der Per Hansen. »Nein, so bleib doch liegen, — die Decken fallen herunter!«

Der Kranke hatte sich mit ungeheurer Kraftanstrengung aufgerichtet — er wimmerte zwischen Hustenanfällen:

»Geh nach der Sörrina!«

Beide, Per Hansen und die Frau, glaubten eine Zeitlang, daß er den Anfall nicht überstehen werde. Der Per Hansen verfiel schließlich darauf, ihm wie einem Kinde, das sich verschluckt hat, den Rücken zu klopfen. Dann ließ der Anfall allmählich nach; schließlich fiel der Kranke in tiefen Schlaf, der bis zur Morgendämmerung anhielt.

Bei Tagesgrauen war die Sörine wieder auf. Der Kranke erwachte und sah besser aus. Der Per Hansen zog sich zum Weggehen an, — er habe daheim nach vielem zu sehen und auch noch das Vieh des Hans Olsen im Norden zu besorgen.

Der Hans Olsen verfolgte diese Vorbereitungen mit seltsam traurigen Augen — wie ein Hund, der eingesperrt wird, wenn der Herr ausgeht. Er rief ihn zu sich ans Bett und wollte wissen, wie das Wetter aussehe. Er fragte so sonderbar — rein als schäme er sich:

»Es ist wohl noch immer nicht Reisewetter?«

Der Per Hansen mußte über die Kindlichkeit lachen und wußte nichts Rechtes zu sagen. Aber es ging nicht an, ihn ohne Antwort zu lassen. Er faßte sich, knöpfte die Joppe zu, zog die Fäustlinge an und sagte in bestimmtem Ton, jetzt müsse der Hans unbedingt ein wenig ausruhen. Heute nacht habe er geschlafen wie ein Stein, und es gehe ihm schon weit besser. »Ich komme im Laufe des Tages zurück!«

» — Glaubst du nicht, daß es ginge?« —

Den Per Hansen packte die Furcht; er tat einen Schritt zurück und sagte hastig: »Ruh dich jetzt aus, Hans Olsen, — wir wollen zusehen, — so glaube mir doch!«

Da ergriff der Kranke die Hand des alten Kameraden, fast wie mit früherer Kraft, und drückte sie fest und herzlich: »Du Per Hansen, du Per Hansen!« murmelte er und sank dann ermattet auf das Kissen zurück.

VII

Der Per Hansen kam bei grauendem Morgen heim und sah aus, als habe er die Sprache verloren. Er setzte sich in der großen geräumigen Küche an den Tisch und ließ sich zu essen geben, — von Zeit zu Zeit sah er zum Fenster hinaus. — Die Beret setzte alles vor ihn hin und fragte, wie es drüben stehe. Er antwortete kurz angebunden, aß lange und sah immer wieder hinaus. Dann stand er auf, stellte sich mit dem Rücken vor den Herd, verschränkte die Hände hinter sich, als wäre er durchfroren und könne dem Feuer nicht nahe genug sein.

»Es steht nun so um ihn,« begann er gedankenvoll, »daß er überzeugt ist, er stehe von diesem Lager nicht mehr auf, — und das mag auch zutreffen. Aber er jammerte, daß er durchaus den Pastor haben müsse! — Rein unheimlich ist es, ihn anzusehen. — Kannst du es mir erklären?« Er sagte es vor sich hin, als denke er laut, nicht, als frage er die Frau.

Die Beret hatte die Arbeit unterbrochen; ihr Gesicht erstrahlte von innerem Glanz, — sie sagte freudig: »Das verstehe ich gut; der Herrgott sei ihm nahe und erhöre sein Seufzen! — Es muß sogleich jemand versuchen, den Pastor zu erreichen!«

Der Per Hansen starrte vor sich hin.

Die Beret kam mit dem abgeräumten Geschirr und blieb vor ihm stehen: »Du mußt jemand mit dir nehmen! — Entsetzlich ist es zwar; ginge es nicht an zu reiten?«

»Reiten —, was redest du für Zeug!«

Sie sah ihn an und sagte mit Nachdruck:

»Aber es ist fürchterlich, daß eine Seele der Hölle verfällt, wenn Menschen es hindern können!«

Der Per Hansen lächelte grimmig: »Ja, soll auch der Hans Olsen dorthin, dann sind hier herum nicht viele, die einst in die entgegengesetzte Richtung fahren, — der kommt schon noch dahin, wo er hingehört!«

Ihr schauderte. Wie gotteslästerlich hörte sich das an; sie setzte das Geschirr äußerst erregt auf den Tisch: »Wir wissen doch nur zu gut, wie sich das Leben hier draußen geartet hat! — Boden hieß es und Haus, und mehr Boden, und Vieh. Auch der Hans Olsen hat ständig danach gegiert, — darin ist sein Leben aufgegangen! — Jetzt beginnt es ihm einzuleuchten, daß er sich im Himmel keine Schätze gesammelt hat; — es hält doch nicht schwer zu verstehen, daß es einem Menschen um seiner Sünde willen angst wird und er von ihr losgesprochen werden will!«

»Es sieht so aus, als verstehe ich mich auf nichts!« sagte der Per Hansen bitter. »Obwohl es für einen erwachsenen Menschen nicht schwer halten sollte zu verstehen, daß heute niemand lebend über die Prärien bis James River kommt! Und daß der Herrgott sich des Hans Olsen nicht auch ohne Pastor und Küster erbarmen werde, das wirst du mich nimmer glauben machen!«

»Der Gott dieser Welt hat die Sinne der Ungläubigen verblendet! Einem Menschen sollen die Augen geöffnet werden, und wir wollen dazu die Hand nicht reichen!«

»Jetzt hüte deinen Mund, Beret!« sagte Per Hansen erregt. »Willst du mich geradezu in den schwarzen Tod hinauszwingen?«

»Wie häßlich du redest, Per Hansen!«

»Redest! — Glaubst du nicht, der Herrgott hätte Reisewetter geschickt, hätte er gewollt, daß ich mich auf diese Fahrt begebe?«

Sie sah ihn an: »Man könnte doch versuchen, weiß ich recht?« sagte sie besonnener. »— Und wenn du jemanden mitnähmest; der Henry hat einen leichten Schlitten, und es geht doch auch an, wieder umzukehren, — der Herrgott vergibt uns, was wir nicht durchzuführen vermögen!«

»Es ist gewiß das beste, der Henry macht‘s allein — diesmal!« sagte der Per Hansen in hellem Zorn, ging zur Treppe und rief dem Ole und dem Großen-Hans nach oben zu, jetzt müßten sie gefälligst zusehen, in die Kleider zu kommen; zog sich an, ging hinaus an die Morgenarbeit.

Es war draußen viel zu besorgen; aber er war heute zu erregt. Alles miteinander war wie auf den Kopf gestellt. Daß verständige Menschen nicht über ihre eigene Nase hinwegsehen konnten! Da stellte sich der Hans Olsen ganz närrisch an, weil er durchaus einen Pastor brauche, obwohl es auf Gottes weiter Erde keinen besseren Menschen gab als ihn. Und die Beret verlangte von ihm, dem Per, er solle kopfüber ins Meer springen, — sie, die ein Herz hatte, daß sie keiner Maus etwas zuleide tun konnte! — Er hatte sich alle seine Tage darum abgerackert, daß sie und die Kinder es gut haben sollten, — und da wurde ihm ins Gesicht geschleudert, daß er wie ein elender Maulwurf sei, der nur das Loch sieht, in dem er buddelt! Ja, weiß Gott, eine seltsame Welt! — — Nun, dann war wohl er der Verdrehte!

Die Buben kamen, und alle drei nahmen die Skier und fuhren nach Norden, um nach dem Vieh zu sehen. Grauwetter war‘s, und kalt wehte es aus Westen. Aber der Große-Hans war so unbändig froh über all den Schnee und die Skier, die so fein über die Schneewehen glitten, daß es ansteckte und des Per Hansens Mißmut wich.

Während der Arbeit bei der Herde plauderte er mit den Buben wie mit gleichaltrigen Kameraden, wie immer, wenn er recht gut aufgelegt war. Diese Unmenge Schnee, die prophezeie also ein Kornjahr für den Sommer. Und treffe das wirklich zu, dann würden sie zum Herbst einen großen Stall bauen; aber dann wollten sie es nicht so albern machen, wie der Torkel Tallaksen, und Stall und Scheuer gesondert bauen! Das sehe zwar gut aus, sei aber unpraktisch, — es werde teurer und die Häuser kälter. Nein, einen Staatsstall wollten sie sich schaffen, rot gestrichen und mit weißen Windbrettern an den Ecken, — denn das nehme sich stattlich aus!

Und er gab ihnen noch manchen trefflichen Rat. —

Sie hatten reichlich Arbeit. Sie mußten das Vieh mit Wasser und Heu versorgen; sie schütteten die Streu und verstopften die Löcher in den Wänden mit Stroh, sie plauderten und arbeiteten alle drei wie Männer. Dem Per Hansen war dabei, als wälze er etwas Schweres von sich ab.

Kaum waren sie fertig, da nahmen die Buben ihre Skier und sausten davon. Sie legten den Heimweg über die höchste Kuppe und hatten glatte Abfahrt bis zum Bach. Herrlich war es mit all dem Schnee! —

Als er endlich an seinen Hof kam, trat die Sörine aus der Küche und schnallte sich ein Paar Skier an. Sie hatte kaum mehr an, als sie im Haus trug, sah er, hatte nur ein Tuch lose über den Kopf geworfen; er schloß daraus, daß sie in großer Eile von Hause weggegangen sei, und er ahnte das schlimmste.

Es sei gewiß nicht viel ärger geworden, soweit sie sehen könnte, erläuterte sie ihr Kommen traurig, als er auf sie zutrat, und schlug die Augen nieder, — der Hans sehe eher besser aus. — Aber jetzt sei die Bridget dagewesen und habe nach ihm gesehen; die habe ihm keine Hoffnung gegeben. »Da mußte ich her,« fuhr die Sörine fort, »und mich ein wenig mit dir beraten. — Er spricht davon, daß du nach dem Pastor reisen werdest, und das möchte wohl nötig sein, und er ist dessen so froh. — Jetzt sehe ich jedoch, daß es nicht wegbar ist; solltest du aber dennoch aufbrechen, so ist es vielleicht besser, wir versuchen, den Doktor zu erreichen! — Ich sehe zwar, daß das Wetter nicht danach ist, mußte aber doch einmal nachhören.«

Der Per Hansen sah auf die Skier, ihre Stimme klang dünn und kümmerlich in dem graukalten Wehen; er merkte, wie ihn selber fror, und sah, wie dünn angezogen sie vor ihm stand.

»Wärme dich erst, ehe du gehst,« sagte er still.

»Nein, jetzt muß ich schleunigst heim. — Ich weiß, es ist häßlich von mir, daß ich komme, aber« — die Stimme setzte eine Weile aus, kam dann wieder — »es ist so seltsam, ihn von hinnen fahren zu sehen, ohne auch nur das geringste für ihn tun zu können! — Und dann ist es auch das, daß für dich niemals etwas unmöglich gewesen ist, und da dachte ich, vielleicht wissest du auch jetzt einen Rat!«

— »Hat er dich gebeten, herzugehen?«

»Das hat er zwar gerade nicht — aber er plagte sich damit, ob du nicht bald fertig seiest, — ich verstand ihn so, daß er wünschte, ich solle nachschauen gehen —.«

Der Per Hansen sagte nichts mehr; er sah sie auch nicht an, und da ging sie.

Er nahm die Skier ab, klopfte sorgsam den Schnee los und lehnte sie gegen die Wand. Aber er ging nicht hinein. Seine Gedanken folgten der über die Ebene gleitenden Frau, überholten sie und sahen den Nachbar in der Hütte liegen, sahen, daß die großen Augen ihn flehend anstarrten, wie die eines Hundes. — Er schaute lange regungslos in die Luft.

In der Küche spielte der kleine Per Getreidedreschen. Als der Vater hereinkam, rannte er auf ihn zu und rief voller Eifer und möglichst männlich: »Komm und hilf mir, Ral, dann werden wir noch vor Abend fertig!« — Das Mittagsmahl war noch nicht fertig; der Vater zog sich aus und spielte mit dem Büblein, und bald hockte auch er auf dem Fußboden.

Während des Essens wechselten die Eltern kaum einige Worte; ihre Augen wichen sich aus.

Nach Tisch wollte das Knäblein durchaus mit dem Vater weiterspielen, — und der Per Hansen setzte sich wieder zu ihm und beratschlagte mit ihm, wie sie es anstellen könnten, daß sie noch heute mit dem Dreschen ordentlich vorankämen.

Die Mutter räumte ab und sah ihnen erstaunt zu. Da spielte er jetzt mit dem Kinde, rein als gäbe es in der ganzen Welt für ihn keine ernstere Aufgabe! — — Der Tag verstrich, — gedachte er wirklich nicht, etwas zu unternehmen? Sie hätte schreien mögen, so quälte sie die Unruhe. — War er denn steinstockblind geworden!

Nachdem sie aufgewaschen, sah sie eine Weile zum Fenster hinaus; dann ging sie zum Kleiderhaken und begann sich anzuziehen. Er merkte auf.

»Willst du hinaus?«

»Ja.« — Sie zog sich eine seiner Überjacken an und eine große Strickmütze über den Kopf.

Er sah wieder auf: »Willst du weit fort? Du ziehst dich so warm an?«

Sie zauderte mit der Antwort.

»Ich muß zum Henry, — es muß jemand für den Hans Olsen fahren!«

Sie hatte rote Wangen, ihre Augen leuchteten in einem stillen Licht.

Der Per Hansen lachte und stand auf.

»Jetzt nimm dich zusammen, Frau!« sagte er, als rede er einem unartigen Kind gütlich zu. »Es ist draußen nicht Weiberwetter, — das siehst du wohl selbst!«

»Es ist gewiß auch nicht Wetter für Mannsleut, scheint es!«

Er stand plötzlich vor ihr, — weiß im Gesicht, mit bösen, flackernden Augen.

Gott tröste mich, dachte sie, jetzt legt er Hand an mich, — und doch habe ich nur gesagt, was wahr ist!

»Jetzt wollen wir nicht weiter fackeln!« sagte er heiser. »Hast du — hast du etwas mit dem Henry zu bereden, kannst du es hier im Hause tun, aber du sollst dich heute nicht von Haus zu Haus herumtreiben!«

Ehe sie sich noch besinnen konnte, war er zur Küche hinaus.

VIII

Vor der Treppe ragten die Vorderkufen eines Schlittens auf, eines plumpen Gefährts, selbstverfertigt und mit Eisenbeschlag; es war so schwer, daß die Buben mit ihm nicht fertig geworden waren und es hier hatten stehenlassen. Der Per Hansen hatte sich heute schon darüber geärgert, daß die Buben es dort gelassen. Als er jetzt herauskam, war das erste, was seine Augen sahen, der Schlitten. Er sprang hinzu, riß ihn mit einem gewaltigen Ruck hoch und schleuderte ihn weit weg in eine Schneewehe, so daß nur die eine Kufe herausguckte.

»So!« murmelte er.

Und jetzt war es, als verlasse ihn der Zorn; nur das Gesicht war noch blaß. — Die Skier lehnten an der Hauswand; er schnallte sie an — zögerte einen Augenblick, stieß dann den Stock ein und fuhr ab.

Im Osten des Settlements wohnten zwei Burschen aus Telemarken, die vor ein paar Jahren hergekommen waren. Die verstanden sich trefflich darauf, Skier zu fertigen. Letzten Winter hatten sie sich jeder ein Paar mit Bindung und Stab gearbeitet, — Staatsskier; kurz vor Weihnachten noch hatten die Burschen zwei Stadtfahrten auf ihnen gemacht.

Zu denen fuhr jetzt der Per Hansen. Nach einer Stunde kam er zurück mit einem Paar Skier auf den Schultern; auf dem andern lief er. Keines gehörte ihm.

Die Beret war, seit er aus der Küche gestürzt, in großer Aufregung in der Stube auf und ab gegangen. — Ich habe gewiß etwas Schlimmes angerichtet, dachte sie. Ich weiß, ich sagte zuviel, — aber was hätte ich tun sollen? Es muß jemand fahren, — ich habe niemanden sonst, mit dem ich reden könnte.

Jetzt sah sie ihn mit dem Skier zurückkommen, begriff sofort und wurde froh. — Wie klug von ihm, diese Skier zu holen. Vernünftigeres hätte ihm gar nicht einfallen können. Wen er wohl mitnehmen mag? Wäre er doch schon am Vormittag darauf gekommen, — ich und die Buben hätten wohl nach dem Vieh sehen können. Ich muß ihm schnell einen Tropfen Kaffee kochen, daß er etwas Warmes in den Leib bekommt, ehe er fährt. — Heute kommen sie übrigens nicht mehr weit!

Sie setzte den Kaffeekessel über und deckte den Tisch. — Ich will es recht schmuck für ihn anrichten, ein Tischtuch auflegen, — dann sieht er, daß ich nur will, was gut ist! —

Die beiden älteren Buben gruben zwischen dem Stall und dem ganz zugeschneiten Schweinekoben einen Gang durch den Schnee. Dorthin ging der Per Hansen zuerst. Er gab sich gute Zeit mit den Buben zu reden, und als ihm schien, daß sie nicht aufmerksam genug zuhörten, nahm er die Skier ab und kam in den Gang hinein. Er müsse jetzt auf eine Wanderung, sagte er, und es sei nicht gesagt, daß er bald zurückkomme; könne er sich darauf verlassen, daß sie gut nach allem sehen würden? — Die Buben waren so emsig bei ihrem Tun, daß sie kaum auf seine Worte achteten; — er solle nur ohne Sorge reisen, sie würden schon alles bewirtschaften. Und dann gruben sie weiter und stritten sich, wie lange es dauern werde, bis sie an den Schweinekoben gelangten.

Er ließ die Buben und ging mit den Skiern ins Granary; Kornhaus, eine Art Vorratskammer (Speicher). dort schmierte er das eine Paar gut mit Talg ein und steckte sich den Talgklumpen in die Tasche; auch die Bindung mußte er noch einrichten.

Als er gerade dabei war, kam der Peder Sieg hereingestampft: jetzt habe die Mutter Kaffee gekocht, — sie habe gesagt, er müsse kommen, ehe der kalt werde.

Die Augen des Vaters leuchteten auf. »So, das hat also die Mutter gesagt?«

»Sie sagte, er sei fertig.«

Der Per Hansen hatte die Bindung jetzt so zurecht bekommen, wie er sie haben wollte, und suchte nach einer Rebschnur, um das zweite Paar damit auf den Rücken zu binden.

»Hieß sie dich das sagen?«

»Sie sagte, sie sagte — komm gleich — sagte sie!«

Der Vater beguckte das Büblein. »Du hast so wenig an, du Permann!« sagte er milde und fühlte über die Backen und mußte zugleich den Finger in den weichen, warmen Halswinkel kriechen lassen. Das Büblein quietschte auf; der Vater lachte:

»Hm — hm, kalt wie ein Eiszapfen, — scher dich auf der Stelle hinein! — Jetzt hat also die Mutter den Kaffee fertig?«

Der Per Hansen trug das Büblein hinaus und setzte ihn behutsam nieder, ging dann zurück nach den Skiern; das eine Paar band er sich auf den Rücken, das andere schnallte er an.

Das Büblein wartete: »Kommst du, Vater?«

»Pack dich hinein!« sagte der Vater hart. »Ich komme nach einer Weile nach!«

Dann reckte er sich und zog die Fäustlinge über.

Da besann er sich noch auf etwas:

»Du, Permann!«

»Ja?«

»Im Kämmerlein liegt ein Knäuel Bindfaden; das mag die Mutter dir schenken; und jetzt sei recht flink und habe mir alles gedroschen, bis ich wieder heimkomme!«

»Allright!« rief der Kleine und stapfte weg.

Der Per Hansen wartete, bis der Bub zur Tür hinein war, nahm dann einen Stab in jede Hand und fuhr davon. — Schaute dort nicht ein Antlitz durchs Fenster? — —

Er sah nicht mehr zurück. — Er kam dort vorbei, wo die Buben im Schnee arbeiteten, hörte sie schwätzen, wollte noch einmal mit ihnen sprechen; aber es kam nicht dazu, — er schob sich nach Westen. — Es zog etwas an ihm, — es war so, als hätte er die Trense an, jemand strammte den einen Zügel. Er mußte den Kopf beugen, um mit dem fertig zu werden: »Nein, jetzt nicht! — Jetzt nicht!« murmelte er bitter und wischte sich die Augen mit dem Fäustling.

Am Küchenfenster stand die Beret und sah ihm nach. Die guten Augen weiteten sich zu einer Frage. Wollte er denn nicht hereinkommen, — hatte der Permann vergessen, es ihm zu sagen? — Er kam doch wohl noch herein? — Und sie hatte alles so hübsch für ihn angerichtet! — Nein, das ging nicht an, sie mußte durchaus wissen, wen er mitzunehmen gedachte!

Sie eilte zur Tür, lief auf die Treppe, wollte ihn rufen. Aber da war er schon weit weg. — Der Weststurm blies ihr ins Gesicht; die Augen liefen ihr gleich voll Wasser, so daß sie ihn kaum noch erblickte. — Windstöße fauchten aus dem endlosen Grau heran, fegten den Schnee vor sich her; er tanzte auf und ab, legte sich und stiemte wieder auf. — Bald war der Per Hansen durch das Schneetreiben nicht mehr zu erkennen.

Es wehte so kalt und fuhr ihr durch Mark und Bein. —

Der Per Hansen trat beim Hans Olsen ein und plauderte eine Weile mit ihm in der Kammer. Die Worte fielen vereinzelt. — Der Per Hansen wußte nichts zu sagen, fand auch nicht, daß er hier etwas zu suchen habe. Er erhob sich bald: Jetzt fahre er; was für eine Art Fahrt das werde, wisse er nicht. Glücke sie, bringe er den Pastor mit; — jetzt müsse sich der Hans derweile nur brav ausruhen, — er dürfe sich um nichts bangen und grämen!

Der Hans Olsen faßte die Hand des andern und wollte sie gar nicht mehr loslassen; wie ein Kind war er, das lange gebettelt und endlich seinen Willen bekommen hat.

»Ich wagte nicht, dich zu bitten, siehst du!« erklärte er. »Denn ich wußte ja, du werdest helfen, sobald es Fahrtwetter wird. So bist du immer gewesen, — jetzt weiß ich, ich werde schlafen.«

Draußen in der Küche hatte die Sörine den Tisch gedeckt und beeilte sich, den Kaffee einzuschenken. Als er hinauskam, nötigte sie ihn, erst noch einen Schluck zu trinken, ehe er sich auf den Weg begab.

»Auch hier gibt es Kaffee? — O nein,« murmelte er und schüttelte den Kopf, »es mag genug damit sein für heute!«

Damit ging er hinaus.

Als er die Skier an den Füßen hatte, reckte er sich auf und sah heimwärts, während er sich die Fäustlinge anzog. Er konnte das Haus dort drüben gerade noch erkennen. — Das Weiße ringsum wuchs herauf, stieg, — flutete auf. Schneewirbel spritzten hoch übers Dach, bisweilen verschwand das Haus.

Er seufzte tief, fuhr sich mit den Fäustlingen über die Augen und brach auf.

Er nahm Peilung von Häusern und Landschaft und legte den Kurs, wie er glaubte, ihn einhalten zu müssen, — mit dem hatte es gewiß keine Gefahr. Den ganzen Tag über hatte der Wind nur aus einer Richtung geweht und hielt sich wohl weiter!

Und dann dachte er nicht mehr an den Kurs, sondern überlegte, ob es nicht doch verkehrt gewesen war, daß er nicht den Kaffee getrunken hatte, wenn sie sich erst die Mühe gemacht, ihn anzurichten? — Jetzt sollst du sehen, grämt sie sich, daß ich so sonderbar bin. Dann ist sie traurig und hat wenig Geduld mit den Buben; und doch bedarf es einer behutsamen Hand bei solchen lebensvollen Füllen — das versteht sie nicht! —

Die Gedanken strömten ihm zu, weich und warm, und er lächelte ihnen entgegen:

Sei gewiß, daß sie den Permann dich heut abend ins Nachtgebet einschließen läßt, falls er nicht von selbst daran denkt. Es sollte artig sein, ihnen zuzuhören!

— — Er glitt davon in gleichmäßigem Schwung, richtete sich nach dem Wind. Das Bild verließ ihn nicht mehr — es sollte wohl artig sein, sie zu sehen, o du Permann, du Permann! — Sollte aus dir nicht ein ganz besonderer Kerl werden, der du so gut angehalten wirst! —

Die Dämmerung und das Schneetreiben hüllten ihn immer mehr ein, die Finsternis senkte sich schnell herab; der Schnee fiel dichter, — Wirbel klebten sich ans Gesicht, — keine Gefahr, — der Wind hatte sich ja nicht gedreht, — daheim stand alles zum Rechten! Und jetzt betete die Mutter mit dem Permann zur Nacht! — Geh du nur — geh du nur!

Ungefähr auf der Mitte des Weges zwischen Colton und James River liegen ein paar Hügel; einige Settlers hatten sich bereits hier festgebissen.

Auf einem dieser Hügelzüge stand ein alter Heuschober. Ein Neusettler hatte etwas Grobheu im Flachland gemäht und es hier oben aufgeschichtet, hatte dann aber herausgefunden, daß dieses Heu wenig zum Futter tauge, und da war der Schober stehengeblieben. — An einem Tage im Sommer nach des Hans Olsens Tod streiften ein paar Burschen die Prärie ab auf der Suche nach einer Herde Jungvieh, die sich verlaufen hatte. Sie kamen an dem Heuschober vorbei. Und es wurde ihnen unheimlich zumute: Auf der Westseite hockte ein Mann, den Rücken gegen das Heu gelehnt. Mitten im warmen Sommer war es. Aber der Mann hatte zwei Paar Skier bei sich, das eine Paar lag neben ihm, das andere war auf dem Rücken festgeschnürt.

— Der Mann hatte sich die dicke Strickmütze gut über die Ohren heruntergezogen und große Fäustlinge an den Händen; er hielt einen Stab in jeder Hand.

Für die Burschen sah es so aus, als raste der Mann und warte auf Schnee, um weiterzufahren. — Er starrte geradeaus — nach Westen. — —