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Kitabı oku: «Das Schweigen der Prärie», sayfa 29

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X

Als die Beret, das Kind liebkosend, auf dem Kissen lag, befiel sie schwere Schlaftrunkenheit. Das tat so wohl, sie mochte nicht widerstehen. Sie schlummerte ein; ihr war, als werde sie in eine strahlende, von Regenbogen durchwobene Bläue hinaufgetragen; es war warm und weich zugleich, darinnen sprach jemand schön und vernehmlich, und zu guter Letzt umspannte es die ganze Erde. —

Lange konnte es nicht gewährt haben; sie erwachte davon, daß ein Kind neben ihr sie mit einem feuchten Fingerlein ins Augenlid stupfte; sie stützte sich auf den Ellbogen und strich sich übers Gesicht; — es lag noch ein Schleier darüber.

Ich muß arg fest geschlafen haben, dachte sie.

Sie starrte das Kind neben sich an, strich sich wieder über die Augen, ohne zu begreifen.

Aber was treibe ich bloß für Unsinn, das ist ja doch mein kleiner Per!

Sie setzte sich auf, nahm ruhig das Kind und hob es auf den Schoß.

Sie zitterte und berührte ihn so behutsam, wie wenn man dem geliebten Menschen zum ersten Male nahe kommt.

»Jetzt will der Bub aber essen,« maunzte es.

»Ja freilich muß das Männlein jetzt essen!«

Der Bub rangelte sich vom Schoß auf den Boden; sie konnte sich gar nicht satt sehen an ihm, ja, ihr wurde rein angst bei all der Lebendigkeit, die aus dem Wichtlein quoll.

Sie stand jedoch geschwind auf, um dem Kind sein Essen zu holen; sie wollte zum Wandbrett nach der Milchschüssel, mußte aber auf halbem Wege stehenbleiben und sich tief verwundert umschauen: wie merkwürdig hier alles war! — Was mochte wohl geschehen sein? — Das war ja rein, als sei sie Jahr und Tag nicht hier gewesen

Das Kind kam ungeduldig nachgetappelt und zupfte sie am Rock. Sie nahm eine Schüssel Milch herab, — wo war jetzt bloß der Löffel, den sie immer zum Rahmschöpfen benutzte? Und der Rahmnapf? Und gab sie denn dem Kinde nicht immer aus derselben Tasse zu trinken? — Und das Brot? Es mußte doch wohl eine Scheibe Brot in die Milch gebrockt bekommen? Ja, wo war denn bloß das Brot geblieben? —

Die Beret suchte in ihrer eigenen Stube wie eine Hausmutter, die lange fortgewesen ist und inzwischen eine Fremde den Haushalt hat besorgen lassen. Und sie fühlte die Freude des Heimgekehrtseins und erstarkte daran. Hier fand sie das eine, dort das andere, und das Büblein bekam schließlich sein gehöriges Essen.

Jetzt kam ihr etwas in den Sinn, und sie schaute sich wieder um: Wo waren denn aber heute die andern? — Der Per Hansen sollte doch wohl in der Nähe sein, — hatte sie nicht soeben mit ihm gesprochen? Und wo waren die Kinder, — konnte sie sich denn heute auf nichts besinnen? — Sie ärgerte sich über sich; mußte aber doch auch lachen: vor einer kleinen Weile hatte sie noch alle miteinander um sich gehabt, und jetzt konnte sie sich auf gar nichts mehr besinnen? Ja, heute ging sie doch wahrhaftig wie närrisch umher!

— Darüber muß ich mir doch aber klar werden, dachte sie und ging hinaus.

Draußen bot ihr der Nachmittag mit lauer Luft ein freundliches Willkommen; sie atmete tief und empfand es so sehr angenehm. — Die Augen blieben an den Bäumen rings um die Hofreite hängen, und wieder stand sie betroffen —: da dämmerte ja geradezu ein Wald in der Sonne hin? — Ein Stück weiter ab stand auf der Prärie ein halbfertiges Haus. Ja, war denn das des Hans Olsen neues Haus? Wie gut für die Sörrina, bald in einem Hause zu wirtschaften; was man auch sagen mochte: diese Gammen blieben nur ein Notbehelf, — wurden sie erst alt, dann fiel soviel Staub und Schmutz vom Dach.

Aber dort kam einer aus dem Stall, ein mächtiger, etwas vornüber gebeugter Mann; er grüßte sie sanft mit tiefer Stimme und nahm den Weg über die Prärie. Die Beret wäre fast ängstlich geworden: war das nicht der Hans Olsen? Erkannte sie ihre nächsten Nachbarn nicht?

Sie hörte jemanden im Stalle, ging hin und lugte hinein.

»Bist du hier?« fragte sie.

Ein breitschultriger, untersetzter Mann trat ins Tageslicht, mager und mit gefurchtem Gesicht und angegrautem, zerzaustem Bart, in dem Heuhalme hingen.

Sie mußte sich den Mann genauer betrachten, wurde erst ängstlich, mußte dann aber über sich lächeln.

»Kannst du mir sagen, — wie schaust du bloß aus?«

Der Per Hansen blieb stehen, starrte sie an; er klammerte sich an den Pfosten zwischen den zwei Viehständen, um sich zu halten.

Als die Beret das sah, bekam sie es ernstlich mit der Angst; sie trat schnell hinzu.

»Bist du krank?« fragte sie teilnehmend; »du darfst dich nicht so abrackern, wenn du so elend bist; denn so eilt es doch wohl nicht?«

»Nein, nein,« sagte er wie abwesend und wagte nicht, sie anzusehen.

»Jetzt mußt du sofort aufhören, — ich laufe hinein und koche dir etwas!« Sie war so voll Sorge für ihn, daß sie seine Antwort nicht erst abwartete.

Der Per Hansen blieb in der Stalltür stehen und sah ihr nach, wollte hinterher und ihr etwas sagen, wagte es aber nicht. — Ein Spaten lehnte neben der Tür; er nahm ihn und stellte ihn weiter hinein; nein, hierher nicht; und er setzte ihn wieder zurück. — Der Hammer, den er gerade gebraucht hatte, lag auf dem Boden. — Den Hammer darf ich nicht vergessen fortzulegen, sonst wird er in den Boden getrampelt! — Aber er ließ ihn liegen. Er bebte, daß er sich stützen mußte.

— Das weiß ich: so hat sie seit Jahr und Tag nicht ausgesehen. — Er seufzte schwer: Aber das hat wohl nichts weiter zu bedeuten! —

Die Beret schürte sofort das Feuer im Herde; das Männlein saß noch immer am Tisch. »Und jetzt will der Permann aber noch mehr!« krähte es. Aber sie hatte nicht Zeit, sie setzte geschwind einen Kessel über und tat Milch hinein. Er hat sich gewiß bei dem ewigen Regen erkältet, dachte sie, und muß sogleich etwas Warmes in den Leib bekommen! Ich tue tüchtig Pfeffer hinein. Bekäme ich ihn doch dazu, sich ins Bett zu legen und ordentlich zu schwitzen, dann würde ich ihn bald gesund machen, — es pflegt bei ihm nicht lange anzuhalten.

Wie sie die Bettdecke zurückschlug, fiel ihr Blick in den Spiegel beim Kopfende des Bettes; sie mußte einhalten und sich anschauen.

— Ich sehe aber auch aus! Kein Wunder, daß er mich so seltsam anschaute; er, der mich immer so nett und sauber haben möchte!

Während sie auf das Aufkochen der Milch wartete, wusch und kämmte sie sich. Dann holte sie aus der Lade geschwind ihre Sonntagskleider und warf sie sich über und schwätzte dabei mit dem Büblein.

So, jetzt sehe ich doch nicht mehr aus wie eine Vogelscheuche!

Die Milch kochte auf, sie nahm den Kessel vom Feuer und ging, ihn hereinzurufen.

Der Per Hansen trat in seine Hütte ein wie ein Kind, das zu Fremden kommt und sich vor lauter Scheu nicht getraut, die Mütze wegzulegen. Aber der kleine Per saß noch immer am Tisch, und da ging er zu ihm, nahm ihn auf den Schoß und strich ihm übers Haar, — er war nicht imstande, etwas zu sagen, und er wagte auch nicht, sie allzusehr anzuschauen.

Die Beret brachte ihm eine Tasse dampfender Milch.

»Ich habe Pfeffer hineingetan, und jetzt mußt du zusehen, alles so heiß wie möglich in dich hineinzutrinken, und dann legst du dich ins Bett und packst dich gut ein!«

Er tat, wie sie es ihn geheißen, trank eine Tasse nach der andern, sah sie unverwandt an, — sagte kein Wort.

Sie setzte sich neben ihn und erzählte, wie wunderlich es hier heute gewesen sei; sie habe sich eine Weile mit dem Kinde hingelegt, und als sie wieder aufgestanden sei, habe sie sich auf rein gar nichts mehr besinnen können. »Denke dir nur, es war, als hätte ich Jahr und Tag verschlafen!«

Der Per Hansen hörte zu, sah sie an, trank die heiße Milch, bis ihm die Tränen über die Backen liefen.

Derweile plauderte sie mit ruhiger, lieber Stimme, — ganz wie seine alte gottgesegnete Gold-Beret.

Als er aber wirklich durchaus nicht mehr trinken konnte, sagte sie, jetzt müsse er sich sofort hinlegen, — wenn er nur tüchtig schwitze, gehe alles vorüber!

Der Per Hansen fügte sich wie ein artiges Kind; sie wickelte ihn selber fest in die Decke.

»Jetzt sieh zu, daß du eine Weile schläfst; dann spürst du schon, wie es besser wird, — das geht bestimmt vorüber!«

Der Per Hansen kehrte sich zur Wand, weinte still vor sich hin, krampfte die Hände ineinander, mußte sie aber gleich wieder auseinandernehmen, um sich die Augen zu wischen.

Nach geraumer Zeit warf er die Decke ab und setzte sich auf den Bettrand, blieb sitzen und schaute die Beret an; und jetzt ließ er die Augen auf ihr ruhen.

»Aber mein! Stehst du schon auf?« fragte sie erstaunt und forschte in seinem Gesicht; sie verstand sich doch heute auch gar nicht auf ihn.

»Oh, ich muß zusehen, bald mit dem Stall fertig zu werden; wir müssen mit dem Hausbau beginnen, sobald der Hans Olsen so weit ist, daß er mir beim Anfahren helfen kann. — Das war ein ungemein guter Trank, den du mir da zubereitet hast; — hast du noch mehr davon?«

Er schlenderte in der Stube herum; er mußte sich irgendwie Luft schaffen; er faßte das Büblein und schwenkte es zur Hüttendecke hinauf, daß es vor Freude quietschte und jauchzte.

»Es ist doch arg, wie seltsam ihr heut alle seid!« sagte die Beret, brachte die Tasse und stand lächelnd dabei.

Die Riesin trinkt Christenblut und beruhigt sich

I

Die Alten erzählen Seltsames aus den ersten Jahren — jenen Zeiten, da sie das Reich gründeten:

Da war der rote Sohn der Prärie mit seinem heißen Haß gegen das Bleichgesicht. Entsetzen breitete sich vor ihm in den ersten Jahren; er konnte niederschlagen, in Stücke reißen und zerschmettern, — blutig ist die Sage von seinen Fahrten. —

Weit schlimmer jedoch war die Schwermut, mit der die Widde, die Riesin, das Gemüt des Menschen bedrängte; die machte so manchen zum Selbstmörder und füllte eine Anstalt nach der anderen mit verelendeten Geschöpfen, die einst Menschen gewesen waren. Es ist so eigen damit, wenn der Blick Jahr auf Jahr den Horizont umkreist, ohne einen Ruhepunkt zu finden. —

Und dann die Jahre der Heuschreckenplage, — mit vergeblicher Mühsal, mit Hunger und Seuche! — Dabei sei nichts zu tun, meinten die, welche es überstanden; wir alle schulden dem Herrgott einen Tod, das ist klare Rechnung! Ging man dabei nicht drauf, mußte man später von hinnen; das kam auf eins heraus. — Ach ja, Arme erfinden sich vielerlei Trost. Und Whisky war billig in jenen Tagen und leicht zu bekommen! —

Dann die entsetzlichen Stürme, die an warmen Sommertagen plötzlich daherbrausten. In einem einzigen Augenblick zerdrehten sie die Behausung, die der Mensch sich mit Mühen errichtet, zu Spänen, die hinterher wie Zotteln an einem schäbigen Pelz in der Erde steckten.

— Menschenmacht? Nenne sie nicht; das hieße die Allmacht herausfordern! —

Und doch ist es auch wieder so, als hätte in jenen Tagen nichts den Menschen etwas anhaben können. Sie stürzten sich blind in das Unmögliche und leisteten das Undenkliche. Sank jemand dabei um — und das geschah oft — faßte sogleich der nächste zu. Das Menschengeschlecht hatte sich verjüngt. Das Unglaubliche schwebte in der Luft, die Menschen schlürften es ein und liefen wie im Taumel umher, warfen sich weg und lachten dazu. Freilich ging es an — alles ging an; hier gab es nichts Unmögliches mehr! —

Ein solches Übermaß von Glauben und Selbstvertrauen hat der Mensch der Geschichte weder vorher noch später bezeugt.

II

In uralten Zeiten soll es einmal vierzig Tage und vierzig Nächte geregnet haben, und das muß entsetzlich gewesen sein. Aber im Winter 1880/81, da schneite es zweimal vierzig Tage und vierzig Nächte hindurch. —

Der Schnee kam im Herbst, am 15. Oktober, und fiel noch, als schon der Sommermerktag, der 14. April, gewesen war.

Der Schnee flog herbei aus allen vier Ecken der Welt, am schlimmsten aber aus Süden; denn dann fielen die Flocken so groß wie die Semmeln. Ein seltenes Mal kroch die Sonne heraus, sorgte für einen oder zwei klare Tage, die die Schneeschicht tüchtig kneteten und zusammenbuken, damit mehr Platz werde für das, was sogleich hinterher kam. Oft erwachten die Menschen des Morgens in einer faden, qualmigen Luft und lauschten nach dem Wind an den Hausecken. Nein, aber was war denn das? Nur ein sonderbares Dröhnen im Schornstein ließ sich vernehmen. Man sprang aus dem Bett, fuhr in die Kleider, wollte hinaus. Und dann war da einer, der sich mit Kraft und Gewalt gegen die Tür sperrte! Ein zähes Ungeheuer lag davor. Man stieß und schob, stemmte sich gegen den Fußboden und bekam schließlich einen Spalt auf, so daß einer der Männer sich wie ein Wurm hinaus- und hinaufwinden konnte; — endlich stand man auf dem Deckel einer ungeheuren Mehlkiste, aus der es stiemte.

Dann hieß es, sich zu den Hütten hinuntergraben. Man schaufelte Stollen von der Hütte zum Stall, wohl auch von Nachbar zu Nachbar, wenn es nicht gar zu weit war und das Jungvolk sich gern betätigen wollte.

Als das alles im Spätfrühling taute, war dort, wo nichts als plattes Land gewesen war, nur noch Wasser; es war ganz wie zu Noahs Zeiten. Der eine segelte in einem Wagenkasten davon, andere auf einem Haus- oder einem Stalldach; viele gingen drauf, — es fehlte auch die Arche, auf die sie hätten flüchten können. —

Die Not unter den Menschen war groß. Ein Vorrat nach dem andern schwand dahin. Da der Winter so früh gekommen war, glaubten die Leute anfangs nicht so recht an seine Dauer; — Im November fiel nicht sonderlich viel Schnee, aber die Tage waren grau und unfreundlich. Der Dezember brachte mehr Schnee; der Januar tat tüchtig dazu; und im Februar kamen die Winterriesen selber daher. Die Kartoffeln blieben bei den meisten in der Erde; das Korn konnte vielfach nicht ausgedroschen werden; aus der Stadt konnte für den Lebensunterhalt nichts beschafft werden.

In allen Häusern wurde gemahlen. Als nämlich allmählich der Mehlvorrat zu Ende ging, mußte als letzter Ausweg die Kaffeemühle heran. Wer keine Mühle hatte, mußte sich eine leihen, — bisweilen benutzten vier Nachbarfamilien dieselbe Mühle.

Tallaksen bewies aber auch jetzt seinen Zug ins Große: er borgte sich sämtliche Kaffeemühlen der Nachbarschaft zusammen und ließ seinen ganzen Hausstand vier Tage lang von morgens bis abends mahlen. Dann konnte keiner mehr. — Und einer der Tallaksenbuben nahm die Skier, um die Mühle, die sie von Tönset‘n geliehen, wieder zurückzubringen. Am Tage zuvor hatte es getaut, in der Nacht war Frost gekommen; an einigen Stellen trug die neue Kruste schon; zumeist aber brach sie unter dem Fuß ein. Unten am Bach häuften sich die Schneewehen bergehoch. Der Bub fuhr den Abhang hinab, ohne zu bremsen, bekam größeren Schuß, als er berechnet hatte, und fiel kopfüber in eine Wehe. Die Skier sausten nach rechts, die Kaffeemühle nach links; und als der Bub ihr nachkrabbeln wollte, krachte es unter ihm und begrub ihn mitsamt der Mühle. Der Bub buddelte sich heraus und machte sich ans Suchen, trampelte und brach immer wieder ein; aber die Mühle fand er nicht. So blieb ihm denn nichts anderes, als sich mit diesem Bescheid zu Tönset‘ns Gehöft zu begeben.

»Du hast doch wohl nicht etwa die Kaffeemühle weggeschmissen?« fuhr Tönset‘n auf.

Nein, lachte der Bub, akkurat weggeschmissen nicht; und er wisse auch genau, wo sie liege, — er könne sie bloß nicht finden!

»Grinsest du auch noch darüber, du Gimpel!« Tönset‘n ergrimmte so sehr, daß er dem Buben eins hinters Ohr gab; zog sich sofort die Winterjacke an, rannte zu den Nachbarn und kommandierte sie ans Suchen, und dabei ließ er eine Äußerung fallen, die seither im Settlement zum geflügelten Wort geworden ist: »Ganz gleich, ob wir selber krepieren: wenn wir bloß die Mühle finden, — verstanden, Mannsleut!« —

Am schlimmsten aber war doch der Mangel an Brennwerk. Weder Holz noch Kohle war aufzutreiben. In allen Hütten drehten die Leute Heuwische.

Ganze Herden ersoffen im Schnee, verschwanden im ersten Herbststurm und wurden erst wieder gesehen, als im Frühjahr der Schnee schmolz, nachdem sie dort bereits sechs Monate gelegen hatten. Ein grausiger Anblick.

Und ähnlich erging es den Menschen. Die einen kamen auf die gleiche Weise um; andere holte der Husten. Ärztlichen Beistand gab es nicht; nicht einmal die alten Hausmittel standen zur Verfügung, weder Salbe noch Heilkräutertrank. Wo einer starb, wurde er in ein entbehrliches Stück Zeug gehüllt und einstweilen beiseite gestellt.

Im Frühling gab es rings in den Settlements viele Begräbnisse.

III

Hans Olsens zweiter Landquart lag am Oberlauf des Baches und grenzte im Süden an die Solumbuben. Er hatte das ganze Stück umzäunt und hielt dort eine große Herde Jungvieh. Zur Sommerszeit bedurfte sie keiner andern Pflege, als daß ihr ab und zu ein Klumpen Salz hingelegt wurde. Gras war genug vorhanden und Wasser im Bach.

Letztes Jahr hatte er die Rinder hier bis in den Spätherbst hinein gehalten. Dies Jahr hatte er alles entbehrliche Stroh und Heu hingefahren und noch dazugekauft. Im Herbst hatte er aus Stangen und Stroh einen Schuppen errichtet und beabsichtigte, die Herde darin überwintern zu lassen.

Der Winter brach herein, ehe noch der Schuppen fertig war; gleichwohl war es ihm geglückt, das Vieh hier draußen bis in den Februar durchzubringen, und jetzt, so meinte er wie andere auch, sei das schlimmste für dies Jahr überstanden.

Und da stand man erst am Anfang!

Der siebente Februar dämmerte zu einem graukalten Tage herauf. Schneeflocken — groß und zerzaust — kamen aus Westen geflogen. Der Wind wuchs mit dem Tage. Die Flocken fielen dichter, aber kleiner und fester. Um die Mittagszeit waren Himmel und Erde ein einziges Gewühl frosttrockenen Schnees. Der West peitschte sich auf und raste immer grimmiger, blies die Flocken mit solcher Gewalt vor sich her, daß sie an den Wänden der Häuser hängen blieben.

Als am Nachmittag das Wetter immer stärker tobte, mußte der Hans Olsen nach dem Vieh am nördlichen Bachufer sehen. Wäre er nicht so ortskundig gewesen und hätte er nicht verstanden, nach dem Winde Richtung zu nehmen, hätte er sich nimmer hingefunden.

Es sah übel aus bei der Herde. Von der Westwand des Schuppens war die Strohbekleidung großenteils abgeweht. Die Tiere hatten notdürftig Zuflucht in den Stroh- und Heuschobern gefunden. Er sah sofort, daß, falls es ihm nicht gelänge auszubessern und das Vieh unter Dach zu bringen, er morgen erheblich ärmer sein werde.

Das erste, was er tat, war Stroh heranzutragen und zwischen die Stangen zu stopfen, so daß der Schuppen einigen Windschutz bot. Darauf trug er Stroh hinein zur Streu.

Der graue Tag war fast vergangen, bis er das Vieh hineintreiben konnte. Aber es wollte sich nicht treiben lassen. Kaum hatte er ein paar Tiere so weit von dem Schober weg, daß sie das Unwetter zu fühlen bekamen, so machten sie mit gesenkten Köpfen kehrt. So ging das also nicht! Er ließ das Vieh sich lagern und nahm immer nur eines auf einmal, — die größten führte er, die kleinsten aber trug er einfach auf den Armen in den Schuppen. Sie hatten sich mit tiefen Gängen in den Schober hineingewühlt und waren schlecht zu erwischen. Das war schwere Arbeit in dem matschigen Schnee, und der Schweiß lief an ihm in Strömen herunter.

Der späte Abend überraschte ihn, ehe er noch ganz fertig war.

Rundum erhob sich die Nacht voll fegenden Sturmes. Schneegischt trieb sie in gewaltigen Wogen vor sich her, heulte und kreischte dazu.

Er stand in der Schuppentür und war so müde, daß ihm jedes Glied zitterte; er mußte vor dem Anprall des Sturms die Augen schließen. Mechanisch machte er sich auf den Heimweg, — kam ein paar Schritt weit, mußte stehenbleiben und nach Luft schnappen. Da kam ihm in den Sinn, daß er sich bei dieser pechschwarzen Dunkelheit und solchem Gestöber unmöglich heimfinden könne.

Er tastete sich die paar Schritt zurück. Er überlegte nicht viel, aber es stand klar vor ihm, daß er gut dran getan hatte, das Vieh zu bergen. Draußen wären nach dem Unwetter nicht viele mehr am Leben geblieben. Hätten sie jetzt mehr Streu, könnten sie es sogar behaglich haben!

Er hatte noch nicht lange in der Schuppentür gestanden, da fingen leise Schüttelfröste an, ihn zu durchschauern. Er fror nicht eigentlich; nur wollten die Muskeln nicht Ruhe geben; die zogen sich zusammen und lockerten sich wieder, wie Stahlfedern, die plötzlich lebendig geworden sind.

Lege ich mich jetzt zwischen das Vieh, so kann ich die Wärme besser halten, fiel ihm ein. Bald hellt es auf, dann komme ich heim, zur Sörrina und den Kindern. — Sie ist doch hoffentlich vernünftig genug, daß sie nicht die ganze Nacht aufbleibt und auf mich wartet?

Er tastete sich in die dichteste Schar hinein und legte sich mit dem Rücken an einen großen Jungstier; er erkannte ihn, als er ihn beim Kopf faßte, daran, daß ein Horn abgebrochen war. Sein Unterzeug klebte ihm vom Schwitzen am Körper; aber bald machte sich die Wärme vom Ochsen bemerkbar. Vielleicht war alles nicht einmal so schlimm! Jetzt war alles glücklich geborgen, zu Hause alles in Ordnung und überhaupt alles nur gut. — Die Gedanken verschwammen im Nebel.

Nein, er wollte nicht schlafen; — er tat es wohl auch nicht. Er schwebte nur in einer wunderlichen Schlaftrunkenheit, die so wohltuend war nach der wüsten Arbeit. — An seinem Rücken atmete es gleichmäßig und ruhig, — auf und ab ging es, auf und ab, wie die kleinen Wellen an einem Sommertage. — Hätte er vor der Brust nur auch ein Kalb liegen gehabt! Unwillkürlich streckte er die Arme aus, bekam ein Tier zu fassen und erhob sich gerade so weit, daß er es an sich heranziehen konnte. War wohl zu hart mit dem armen Tierlein umgegangen? Er streichelte es und redete ihm freundlich zu. Jetzt hatte er es so gut, wie es bei solchem Wetter nur anging! — Der Hans Olsen kauerte sich zusammen.

Der kalte Luftzug blies und zog unaufhörlich. Es war eine entsetzliche Nacht! Das schlimmste war die Kälte. Durch jeden Spalt stäubte der Schnee; er wurde vom Wind aufgehäufelt, wieder eingeebnet, dann wieder zusammengekehrt, — in endlosem Spiel. —

Der Hans Olsen zuckte zusammen; es hatte ihn etwas in Arm und Bein gestochen. — Waren das nicht überhaupt zwei? Und die gebrauchten beide Hände! Der eine arbeitete sich von den Beinen zum Kopf, der andere von den Ellenbogen auf die Schulterblätter zu. Gerade als die beiden sich getroffen hatten, gab es in ihm jenen Ruck. Er hob sich mit gewaltsamer Anstrengung auf die Knie. Die Schneedecke glitt ab; kalt stiemte es ihm ins Gesicht.

Das war doch merkwürdig! Hatte er die Füße verloren? — Und wo waren die Hände geblieben? — Er stellte sich auf, wollte zur Tür und nach dem Wetter schauen, stolperte aber über Humpel unter dem Schnee. Die Humpel sprangen auf und rannten davon; und jedesmal fuhr ihm kalter Frostrauch ins Gesicht.

Er konnte das nicht verstehen ? Er war doch nicht betrunken ? Aber die Füße wollten ihn nicht tragen! Die eine Hand schien ganz verschwunden zu sein.

So, hier war wenigstens die Wand! Er lehnte sich fest gegen sie.

Die Hand mußte doch abgefroren sein ? — Er hatte den Fäustling von der andern abgestreift, faßte um Finger, die er nicht fühlte, beugte sie und sah, daß sie gebeugt wurden, fühlte aber nichts. Da hieß es unverzüglich etwas tun! Und er ließ sich auf den Boden fallen und fing an, sich mit Schnee zu reiben, — hauchte dazwischen auf die Hand und rieb weiter. Er merkte, jetzt fror er zutiefst in seinen Eingeweiden; aber jetzt war nicht die Zeit, das zu beachten.

— Ja ja, murmelte er, jetzt ist es mit der hier so gut, wie es angeht, jetzt müssen wir sogleich die Füße vornehmen, — gelingt es mir nicht, die heut nacht aufzutauen, dann bin ich für Lebenszeit ein Krüppel! —

Besonnen, wie er alles tat, versuchte er die Stiefel auszuziehen, brachte es aber nicht zuwege. Da trennte er sich mit dem Taschenmesser erst den einen, dann den andern ab und setzte sie gegen die Wand. Die Socken verursachten ihm keine Mühe, die steckte er sich vor die Brust.

Jetzt stand er auf und begann die Wand entlang zu laufen; er stolperte oft, ließ aber nicht nach. Nach einer Weile setzte er sich und rieb die Füße von neuem. — Er rieb lange, — stand auf und lief wieder, — lief in großen Sätzen, hockte sich hin und begann von vorne. Die Gedanken arbeiteten die ganze Zeit über träge, schienen an einem weit entfernten Ort zu verweilen. — Es ist gewiß das klügste, daß ich es vermeide, allzustark zu reiben, — ich habe oft genug selber gesehen, wie leicht sich die Haut von einem erfrorenen Glied ablöst. — Wer jetzt doch bloß kalt Wasser hätte!

Er zog die Strümpfe wieder an und suchte sich die Stiefel. In der einen Ecke hatte er zwei Sparren mit Draht zusammengebunden; er tappte hin, wickelte den Draht ab und schnürte ihn sich um die Stiefelschäfte.

Jetzt stampfte er längs der Wände auf und ab, — schlug die Arme über Kreuz zusammen, sprang auch dazwischen.

Das Stechen hatte zwar nachgelassen, — alles war wohl besser geworden, — übrigens war er keiner Sache mehr sicher. — Das Denken war nicht in ihm; es stand gleichsam außerhalb und glotzte ihn durch das Gestöber an.

— Es ist klar, sagte es weit hinten im Finstern, daß es mit dir vorbei ist, wenn du heute nacht hier bleibst. Den Zaun vom Henry findest du, — du weißt, wo der vom Per Hansen abbiegt, — dann folgst du dem bis dorthin, wo dein eigener beginnt; der führt geradewegs auf deine Stallwand. — Ob du dich hier oder da draußen für immer hinlegst, macht keinen Unterschied. — »Ja, ja,« murmelte er müde. »Das könnt‘ schon stimmen!«

Er zwängte sich zum Schuppen hinaus und kroch im Sturm davon.