Kitabı oku: «Blut und Scherben», sayfa 6

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Auf diese zweite Meinung verzichtete Dr. Pohlmann und so reizte es Kerstin, einen Blick in seine Arbeit zu werfen. Sie wusste, dass sie um Erlaubnis hätte bitten müssen, um den guten Ton im Institut einzuhalten, aber an diesen guten Ton hielt sich Dr. Pohlmann gegenüber Kerstin selbst nicht mehr. Sie brauchte nicht lange zu suchen, um den frischen Obduktionsbericht zu finden. Uwe Rand sei Dank, obwohl das Dokument noch den Hinweis Entwurf trug. Kerstin überflog den Text, dann nahm sie sich einzelne Passagen genauer vor. Zum Schluss sichtete sie das Bildmaterial. Hier war Dr. Pohlmann im aktuellen Fall nicht besonders fleißig gewesen. Er versuchte immer noch, seine Befunde verbal zu dokumentieren und verzichtete weitgehend auf ein umfangreiches Bildmaterial, das zumeist nur mit wenigen Worten auskam, wenn ein Experte sich die Bilder ansah.

Kerstin erstellte sich einen Ausdruck des Berichts. Sie nahm einen Stift und markierte einige Stellen. Sie konnte nicht alle Schlussfolgerungen von Dr. Pohlmann nachvollziehen. Die These mit der Alkoholisierung war besonders kritisch. Pohlmann hatte gefolgert, dass das Opfer zum Zeitpunkt seines Todes alkoholisiert gewesen sein musste, weil sich in Proben des Magengewebes leichte Alkoholzerfallsprodukte nachweisen ließen. Er fand das Ergebnis so eindeutig, dass er es im Bericht ausdrücklich erwähnt hatte. Und genau bei so einer Schlussfolgerung war Kerstin immer vorsichtig, gerade wenn es sich um eine Leiche im mittleren oder fortgeschrittenen Verwesungsstadium handelte. Bei der inneren Verwesung einer Leiche, kam es sehr häufig vor, dass der Mageninhalt erst nach dem Tod zu gären begann und das dadurch das Magengewebe kontaminiert wurde.

Es gab aber weitere Punkte in Dr. Pohlmanns Bericht, die Kerstin stutzig machten. Er hatte über mehr als eine halbe Seite eine keulenartige Waffe beschrieben, die er als Tatwaffe auserkoren hatte, ohne dass ihm eine solche Waffe überhaupt vorlag. Es ist richtig, über Art und Form einer möglichen Tatwaffe im Obduktionsbericht Aussagen zu machen, aber bei Dr. Pohlmann schwang die Gewissheit mit, als seien die Verletzungen, die zum Genickbruch des Toten geführt hatten, eben durch eine keulenartige Waffe hervorgerufen worden. Unbewusst musste jedem Leser des Berichts ein Bild vor Augen stehen, und zwar das Bild eines Baseballschlägers, ohne dass Dr. Pohlmann dieses Wort benutzt hatte. Kerstin selbst hätte lediglich die Auswirkungen der möglichen Gewaltanwendung beschrieben. In der Regel erwähnt man den Typ einer Tatwaffe erst, wenn die mögliche Tatwaffe auch gefunden wurde oder es auf Grund von Zeugenaussagen Hinweise auf die Ausführung der Tatwaffe gab.

Kerstin hatte den Obduktionsbericht gründlich markiert, Unterstreichungen gemacht, Notizen. Sie blickte noch einmal über den Ausdruck. War das fair, was sie hier tat? War der Gedanke, der ihr spontan einfiel, fair gegenüber einem Kollegen? Es wäre etwas Anderes gewesen, wenn Dr. Pohlmann sie um ihre Meinung gebeten hätte. Kerstin legte die flache Hand auf die Papiere vor ihr. Sie dachte noch einmal über Uwe Rands Anschuldigungen nach. Dann schüttelte sie den Kopf. Kurz blitzte es in ihr auf, die Obduktion an dem Toten selbst noch einmal durchzuführen. Sie schüttelte erneut den Kopf, als wenn es einem imaginären Gegenüber galt, mit dem sie diskutierte. Nein, das konnte sie nicht machen, das verbot sich von selbst. Es wäre einfach nur unkollegial. Sie atmete tief ein. Wie kollegial wäre eigentlich Dr. Pohlmann ihr gegenüber gewesen?

*

Die erkennungsdienstlichen Untersuchungen waren schnell abgeschlossen. Es schien so, als wenn die Polizei bereits alles von Rainer Eckermann hatte, Finger- und Handballenabdrücke, DNA-Proben. Es wurden lediglich neue Fotografien gemacht. Der Polizeiwagen, der ihn anschließend vom Tempelhofer Damm in die Keithstraße gebracht hatte, war mit Blaulicht durch die Stadt gerast. Rainer Eckermann saß jetzt in dem kleinen, fensterlosen Raum. Er wusste nur, dass es um Ken Börder ging. Ken Börder war tot.

Die Tür öffnete sich ohne Vorwarnung. Werner Tremmel betrat lächelnd den Verhörraum und stutzte sofort. Er drehte sich zu Patrick Arnold um, der gleich nach ihm hereingekommen war.

»Was ist das denn? Warum trägt Herr Eckermann Handschellen? Wo sind die Schlüssel?«

Patrick zuckte überrascht mit den Schultern.

»Hole doch bitte die Schlüssel«, sagte Werner Tremmel und wandte sich dabei an Rainer Eckermann. »Das tut mir wirklich sehr leid, da muss es wohl ein Missverständnis gegeben haben. Sie sollten hier nicht mit Handschellen sitzen.«

Rainer Eckermann nickte unbewusst. Patrick verschwand. Werner Tremmel setzte sich auf einen der freien Stühle.

»Wenigstens haben Sie ein Wasser.« Er deutete auf das volle Glas, das vor Rainer Eckermann stand. »Sie können auch einen Kaffee bekommen, wenn wir hier gleich fertig sind.«

»Danke!«, war Rainer Eckermanns knappe Antwort.

Werner Tremmel schwieg, sah Rainer Eckermann nur an, lächelte. Dann ging die Tür des Verhörraumes wieder auf. Patrick brachte den Schlüssel. Er blickte Werner Tremmel an, der sein Okay gab. Rainer Eckermann wurden die Handschellen abgenommen. Instinktiv rieb er sich die Handgelenke, griff schließlich nach dem Glas Wasser und trank es fast ganz aus.

»Möchten Sie noch etwas?«, fragte Werner Tremmel.

Rainer Eckermann schüttelte den Kopf.

Tremmel bedeutete Patrick, sich ebenfalls zu setzen. Außer dem Glas war der Tisch leer, kein Notizblock, kein Aufzeichnungsgerät. Werner Tremmel faltete seine Hände und legte sie auf die Tischplatte. Er sah wieder Rainer Eckermann an, ließ noch ein paar Sekunden verstreichen, bis er begann.

»Das hier soll erst einmal ein kleines Kennenlerngespräch sein. Sie sollen erfahren, warum die Staatsanwaltschaft sich genötigt sah, einen Haftbefehl gegen Sie vollstrecken zu lassen. Das ist natürlich auf einem Freitag, also so kurz vor dem Wochenende, nicht sehr angenehm, weder für Sie noch für uns. Wir wollen sehen, dass wir das so schnell wie möglich hinter uns bringen.« Werner Tremmel stutzte. »Ach, jetzt hätten wir fast etwas vergessen. Natürlich dürfen wir mit Ihnen eine erste Befragung durchführen, aber mir wäre es lieber, wenn Sie jetzt schon einen Rechtsbeistand an Ihrer Seite hätten. Wir sitzen hier ja auch zu zweit.« Werner Tremmel nickte Patrick zu und sah danach auf seine Armbanduhr. »Wann wird denn Ihr Anwalt hier sein?«

»Mein Anwalt?«, wiederholte Rainer Eckermann. »Ich habe keinen Anwalt.«

»Aber Ihnen wurde doch bei der erkennungsdienstlichen Untersuchung angeboten, einen Pflichtverteidiger zu beantragen? Sie haben das Formular doch bestimmt ausgefüllt?« Werner Tremmel wollte sich von seinem Stuhl erheben. »Ich werde nachfragen, ob das Formular liegengeblieben ist.«

»Nein«, sagte Rainer Eckermann zögerlich.

»Was, nein?« Werner Tremmel hielt in der Bewegung inne.

»Man hat mir sicher … also ich weiß nicht, ich habe das Formular noch nicht ausgefüllt. Ich …«

»Das ist zu dumm.« Werner Tremmel krauste die Stirn. Er sah noch einmal auf seine Armbanduhr. »Bis wir das alles in die Wege geleitet haben, wird es heute zu spät für einen Anwalt sein. Wir müssen die Befragung dann auf Montag oder Dienstag verschieben.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann den Haftbefehl nicht übergehen. Ich würde Sie gerne über das Wochenende wieder auf freien Fuß setzen. Es ist ja wirklich sehr unangenehm, wenn wir zwei Tage verlieren.«

»Warum verlieren?«, rief Rainer Eckermann. »Sie können mir doch sagen worum es geht. Vielleicht klärt sich alles auf und ich brauche gar keinen Anwalt. Ich habe das mit dem Haftbefehl nicht verstanden. Was ist mit Ken Börder? Ja ich kenne einen Ken Börder, aber ich habe ihn seit Monaten nicht gesehen. Was hat er ausgefressen? Ich versichere Ihnen, ich habe nichts damit zu tun.«

»Ich weiß nicht, ohne Anwalt.« Werner Tremmel schüttelte erneut den Kopf.

»Doch, doch, ich bestehe nicht darauf«, rief Rainer Eckermann und seine Stimme klang jetzt schon etwas verzweifelter.

»Das müssen Sie uns aber unter …« Werner Tremmel stockte kurz. »Nein, das wäre nicht gut. Sie haben ein Recht darauf, auch beim ersten Verhör.«

»Unterschreiben? Ich unterschreibe gerne, dass Sie mich über meine Rechte aufgeklärt haben und das ich auf einen Rechtsbeistand verzichtet habe.« Rainer Eckermann schluckte.

Fünf Minuten später hatte er unterschrieben, was Werner Tremmel längst vorbereitet hatte. Das Glas Wasser wurde noch einmal aufgefüllt und es wurde auch eine Kanne Kaffee und drei Plastikbecher gebracht. Werner Tremmel schenkte sich ein und nippte an seinem Becher.

»Herr Eckermann, am Mittwochabend wurde die Leiche von Ken Börder gefunden. Können Sie uns nähere Angaben darüber machen, wo wir die sterblichen Überreste Ihres Kumpels Ken Börder aufgefunden haben?«

»Wieso? Ich verstehe die Frage nicht. Kenny ist tot?«

Werner Tremmel lächelte. »Sie können uns die ganze Sache erzählen, dann sind wir hier schnell fertig, alles wird gut.«

»Was für eine Sache? Was soll gut werden?« Rainer Eckermann schluckte. »Sie wollen doch nicht behaupten, dass ich etwas mit Kennys Tod zu tun habe? Und er ist wirklich tot?«

»Ja, ich fürchte, Herr Ken Börder ist tot, das Opfer einer Gewalttat. Vielleicht lässt sich ja alles ganz einfach erklären«, drängte Werner Tremmel. »Sie sagen uns, was geschehen ist?«

Rainer Eckermann krauste die Stirn, dann verschränkte er die Arme vor der Brust. »Bevor ich Ihnen auch nur einen Deut über Kenny Börder und mich erzähle, möchte ich hören, was Sie mir vorwerfen, obwohl ich es mir fast schon denken kann.«

Werner Tremmel lächelte. »Gut, wir haben gedacht, dass es so für Sie einfacher ist.« Er wandte sich an Patrick. »Zeigen wir Herrn Eckermann die Bilder.«

Patrick nickte und zog einen Stoß Fotografien unter seinem Schreibblock hervor. Werner Tremmel nahm den Stoß und legte das erste Foto auf den Tisch vor Rainer Eckermann.

»Diesen Ort kennen Sie doch, oder waren Sie nachts dort, dann sieht ja manchmal alles ganz anders aus.«

Rainer Eckermann öffnete langsam den Mund, sagte aber nichts. Werner Tremmel nahm das nächste Foto.

»Das hier ist nicht so schön, so haben wir Ken Börder gefunden. Da haben wir sein Grab schon etwas ausgehoben. Erkennen Sie ihren Freund wieder?«

Rainer Eckermann schluckte. Er wischte sich mit der Hand über Nase und Mund und atmete dabei langsam aus. Werner Tremmel legte das nächste Foto hin. Es war eine Nahaufnahme der rechten Hand von Ken Börder, an der drei Finger fehlten.

»Das waren wahrscheinlich Wildschweine. Einen Finger haben wir noch gefunden. Sie hätten die Leiche Ihres Freundes tiefer vergraben müssen, aber ich nehme an, Sie waren in Panik.«

»Ich, ich ...«, stotterte Rainer Eckermann, dann zögerte er und fasste sich wieder. »Wie kommen Sie darauf, dass ich etwas damit zu tun habe? Ich habe Kenny vor einem halben Jahr zuletzt gesehen. Wie kommen Sie auf mich? Haben Sie Beweise?«

Werner Tremmel lächelte. »Uns wäre natürlich ein Geständnis von Ihnen lieber, aber wir haben so auch schon genug Indizien, ansonsten hätte der Herr Staatsanwalt … Jedenfalls wissen wir, wie eng Sie mit dem Opfer befreundet waren.«

»Eng befreundet«, wiederholte Rainer Eckermann. »Was soll das heißen? Und wenn das so wäre, warum sollte ich etwas mit dem Tod eines engen Freundes zu tun haben.«

»Ja, das kann ich Ihnen auch nicht sagen, wie das in Ihrem Fall war, das kann ich nur vermuten.« Werner Tremmel atmete tief ein. »Sie kennen doch das Sprichwort, Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Entschuldigen Sie, aber es kann eben auch unter Freunden zu einem tödlichen Streit kommen.«

»Streit?«, rief Rainer Eckermann. »Wer behauptet das?«

»Sie geben es also zu?«

»Was gebe ich zu?«

»Der Streit im Februar. Sie kennen doch die Bunger Allee 17 in Charlottenburg, Sie wissen doch, dass Ken Börder dort gewohnt hat.« Werner Tremmel gab Patrick die Fotografien zurück, ohne Rainer Eckermann aus den Augen zu lassen.

»Ach, von dort kommt das. Wer?«

»Das ist jetzt unwichtig. Sie geben den Streit also zu. Danach wurde Ken Börder nicht mehr gesehen. Die Obduktion an seiner Leiche hat ergeben, dass er auch höchstens solange tot ist. Haben Sie ihn noch in derselben Nacht getötet. Wo? In seiner Wohnung oder in Ihrer? Wir werden das alles beweisen können, aber es macht dem Erkennungsdienst natürlich viel Arbeit. Darum sagen Sie uns bitte jetzt und hier, wo wir suchen müssen und diese Angelegenheit ist bald für Sie vorbei. Totschlag. Sagen Sie uns, dass es Totschlag war und kein Mord, kein heimtückischer Mord. Das ist Ihre Chance und die wollen wir Ihnen geben, aber wir brauchen ein Geständnis.«

Werner Tremmel schwieg nach diesen Ausführungen. Rainer Eckermann schien zu überlegen, sagte aber ebenfalls kein Wort. Es vergingen zwei, drei Minuten, dann erhob sich Werner Tremmel und wandte sich an Patrick.

»Ich sage Bescheid, dass wir für heute fertig sind. Du wartest bitte solange.«

*

Marek hörte einen Wagen in seiner Auffahrt. Er wollte gerade einen der Zementsäcke aufschneiden. Er legte das Messer auf den Boden und ging ans Fenster. Kerstin stieg gerade aus ihrem roten Opel Astra und winkte ihm. Er ging zur Haustür und hinaus auf den Hof. Kerstin hatte bereits die Kofferraumklappe ihres Wagens geöffnet.

»Da musst du mal mit anpacken«, sagte sie fröhlich, »oder komme ich ungelegen?«

Marek lächelte. »Niemals.«

Er trat neben sie, gab ihr einen Kuss auf die Wange und sah sich den Inhalt des Kofferraums an.

»Du wolltest doch mal lernen, wie man anständige Arbeit verrichtet«, sagte sie. »Ich gebe heute einen Kurs.«

»Oh, was ist das alles?« Marek nahm eine Dreieckskelle aus dem Kunststoffkübel in Kerstins Kofferraum. »Die habe ich auch, aber da hört es schon auf.«

Kerstin schob Marek bei Seite, griff in den Kübel und holte die einzelnen Werkzeuge heraus. »Das sind verschiedene Truffel, drei Fugenkellen und zwei Traufel. Es gibt auch einen ganz breiten Traufel, den man zu zweit benutzen kann, aber den habe ich nicht besorgt, weil du ja meist alleine hier werkelst.«

»Alleine, ich dachte, das wolltest du jetzt ändern«, sagte Marek lachend.

Kerstin grinste. »Ich zeige dir nur wie es geht, oder besser gesagt, wie es richtig geht.«

Marek kratzte sich am Kinn. »Traufel?«

»Der Laie sagt dazu Glättkelle und die wird Bestandteil unserer ersten Lektion sein.«

»Dann ist der Truffel die Putzkelle.« Marek nahm das Werkzeug und wog es in seiner Hand. »Ich glaube, so eine habe ich bereits.«

»Ganz bestimmt nicht«, erwiderte Kerstin mit erhobenem Zeigefinger. »Mein Vater würde sagen, du hast nur Maurerschrott, den kann man nicht einmal für eine Armierung gebrauchen.«

»Das sagt dein Vater?«

»Das sagen wir beide, das sagen mein Vater und ich.« Kerstin nahm Marek den Truffel aus der Hand. »Zum Glück hast du beim Putz nicht gespart, davon habe ich mich das letzte Mal bereits überzeugt.«

Marek zuckte mit den Schultern. Kerstin legte das Werkzeug zurück in den Kübel, den Marek dann aus dem Kofferraum des Astras hob. Sie gingen ins Haus, Kerstin voran. In den nächsten anderthalb Stunden bestimmte sie, gab Anweisungen wie ein alter Maurermeister und Marek hatte zu folgen. Mangels einer Mischmaschine, die sich Marek unbedingt noch zulegen sollte, nahm er den Rührstab an der Bohrmaschine. Kerstin ließ ihn sehr lange mischen, prüfte mit ihrem Truffel immer wieder die Konsistenz der Putzmasse. Marek lief der Schweiß, obwohl die Bohrmaschine den größten Teil der Arbeit verrichtete.

Dann kam der große Augenblick. Kerstin wollte Marek den richtigen Schwung beibringen. Sie führte es ihm vor und er war von ihrem Putzergebnis beeindruckt. Er schaffte es nicht annähernd so gut. Kerstin war sehr kritisch. Er musste den Putz wieder abkratzen und es erneut probieren. Das ging zwei-, dreimal so. Sie führte es ihm ebenso häufig vor. Marek war am Ende sehr konzentriert, aber es machte ihm auch Spaß.

Das Arbeiten mit dem Traufel war dann einfacher als gedacht. Kerstin schaffte zwar eine äußerst glatte Fläche gleich mit dem ersten Zug, aber auch Marek musste nur einmal korrigieren.

»Naturtalent«, lobte sie ihn, schüttelte aber gleich mit dem Kopf. »Wobei ich denke, dass es eher am guten Werkzeug liegt, das glättet den Putz ja fast von alleine.«

Marek ließ es über sich ergehen. Er setzte den Traufel immer wieder an, arbeitete sich über die verputzte Wand und glättete alle Unebenheiten, dass es fast perfekt war. Kerstin und er traten wie synchron zwei Schritte zurück und betrachteten Mareks Werk. Sie nickten auch synchron.

»Fertig für heute«, sagte Kerstin nach ein paar Sekunden und klatschte in die Hände. »Das Werkzeug musst du natürlich alleine reinigen, das macht immer der Lehrling. Aber vorher holst du noch den Picknickkorb aus meinem Auto.« Sie hielt ihm ihren Autoschlüssel entgegen. »Vorne im Fußraum auf der Beifahrerseite. Oder hast du schon gegessen?«

Marek schüttelte den Kopf und nahm den Schlüssel entgegen. »Zu Befehl, im Fußraum, Beifahrerseite!«

Während er zum Wagen ging, begann Kerstin schon einmal Wasser in einen Eimer laufen zu lassen. Sie löste grobe Putzreste von Truffel und Traufel und legte die Werkzeuge schließlich in den halbvollen Eimer. Marek kam zurück.

»Ich habe ihn in die Küche gestellt. Ich nehme an, du deckst auf, während ich hier zu Ende saubermache?«

Kerstin nickte und überließ Marek das Feld. Er beeilte sich. Zehn Minuten später brachte er zwei volle Wassereimer nach hinten in den Garten und entleerte sie neben dem Schutthaufen. Kerstin brachte noch einen Teller mit Käse hinaus auf die Terrasse und stellte ihn auf den Gartentisch, den sie mit einer grünen Tischdecke dekoriert hatte. Sie schaute sich nach ihm um. Er hatte die Eimer über Kopf auf dem Schutthaufen abgelegt und war auf dem Weg zurück zur Terrasse.

»Hände gewaschen?«, fragte sie.

Marek stockte kurz, nickte dann eifrig und streckte ihr seine Hände entgegen.

»Hast du das Werkzeug auch ordentlich gereinigt?«

»Jawohl, mit Wasser und Schwamm, blitzeblank.«

»Und wo hast du es hingelegt, doch nicht auf den Schutthaufen?« Kerstin stemmte die Hände an die Taille.

»Nicht doch.« Marek schüttelte den Kopf. »Liegt drinnen, alles ordentlich auf einem alten Handtuch abgelegt, damit ich es morgen gleich wiederfinde.« Er stutzte. »Musst du immer so strenge Fragen stellen?«

»Ich kann auch anders.« Kerstin lachte. »Willst du ein Bier oder soll ich eine Flasche Wein aufmachen.«

Marek grinste. »Oh, Bier auf Wein, das lass sein. Also kein Bier, obwohl es besser zu einem Maurer passen würde.«

»Du weißt doch, dass das nur ein Klischee ist«, sagte sie, wandte sich um und ging ins Haus zurück.

Marek hatte es sich bereits bequem gemacht, als Kerstin mit der geöffneten Flasche und zwei Gläsern zurückkam. Sie stellte die Gläser auf den Tisch und schenkte ein. Sie reichte Marek seinen Wein, nahm ihr eigenes Glas in die Hand, und setzte sich ebenfalls. Sie prosteten sich zu und tranken jeder einen Schluck.

»Das Brot braucht noch ein paar Minuten«, sagte sie.

»Für was?«, fragte Marek.

»Na, das hast du doch wohl gerochen. Ich backe frisches Brot. Den Teig habe ich zu Hause vorbereitet.«

Marek konzentrierte sich und atmete durch die Nase ein. »Natürlich habe ich das gerochen. Maurern, backen und an Leichen schibbeln, alle Achtung.«

Kerstin nickte. »Wenn man will, kann man alles in eine Beziehung bringen, alles hat etwas miteinander zu tun.«

»Das versuche ich mir bei meinem Job auch immer einzureden«, entgegnete Marek.

»Aber es ist doch nicht für immer«, meinte sie. »Ich dachte, es wäre Teil deiner Ausbildung, damit du auf beiden Seiten einmal gestanden hast.«

»Es ist ja schon in Ordnung, aber warum werde ich gleich zu Rooses Stellvertreter gemacht? Ein Praktikum von sechs Monaten oder einem Jahr hätte doch gereicht.«

»Vielleicht kommt es ja auch so«, sagte Kerstin. »Lass Kowalski erst einmal wieder zurück in Berlin sein und wenn er dann wirklich im nächsten Jahr in den Ruhestand geht, bekommst du deine eigene Operative Einheit und bist diesmal ein richtiger Leiter und nicht nur kommissarisch.«

»Kommissarisch!«, Marek lachte. »Das würde mir schon reichen, Hauptsache Mordermittler.«

»Das wird auch wieder so kommen«, ermutigte sie ihn. »Ich sage doch, es ist Teil der praktischen Ausbildung. Du durchläufst mehrere Dezernate mit den unterschiedlichsten Ausrichtungen, um alles kennenzulernen, sowohl die Sichtweise der Ermittler, als auch die des Erkennungsdienstes.«

»Dann fehlt ja nur noch die Pathologie«, sagte Marek und nahm noch einen Schluck Wein.

»Da musst du aber aufpassen, an wen du gerätst.«

»Wieso, natürlich würde ich in deinem Team arbeiten«, rief er. »Als Sektionsgehilfe, das ist doch wohl klar.«

»Ich habe aber kein Team, zumindest kein festes. Die Sektionsgehilfen sind nicht mehr nur einem Pathologen zugeteilt. Dafür habe ich selbst gesorgt und mir dafür nicht überall Freunde gemacht.«

»Du sprichst von Pohlmann?«, fragte Marek.

»Dr. Pohlmann, darauf legt er großen Wert, und er ist auch sonst sehr konservativ. Und er versteht nicht, dass man mit zweiunddreißig bereits habilitiert ist.«

»Ich dachte du bist älter als zweiunddreißig.«

»Na danke.« Kerstin lachte und schüttelte den Kopf. »Pohlmann hat sich meinen Lebenslauf damals ganz genau angesehen, der wusste alles und hat hinter meinem Rücken alles kommentiert.«

»Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich erarbeiten«, sagte Marek. »Und übrigens siehst du aus wie neunundzwanzig.«

»Damit rettest du es jetzt auch nicht mehr.« Kerstin wurde nachdenklich. »Dabei macht Pohlmann selbst dauernd Fehler.«

»Aber es kostet wenigstens keine Menschenleben«, witzelte Marek. »Kennst du den? Ein Chirurg kann viel, weiß aber nichts. Ein Internist kann nichts, weiß aber viel. Ein Psychologe kann nichts und weiß auch nichts. Ein Pathologe kann viel und weiß viel ...«

»... aber es nützt niemandem mehr etwas«, ergänzte Kerstin. »Uralter Medizinerwitz, den meistens keiner versteht, nicht mal Pohlmann. Und die Pointe ist auch nicht ganz richtig. Natürlich nützen das Können und Wissen eines Pathologen jemandem und nicht zuletzt der Gerechtigkeit. Wenn man hier Fehler macht, lässt man Mörder laufen, die danach wieder töten, oder bringt Unschuldige vor Gericht.«

»Und Pohlmann hat einen Mörder laufen lassen?«, fragte Marek.

Kerstin schüttelte den Kopf. »Das ist ja nur im übertragenen Sinne gemeint. Pohlmann liefert unvollständige Fakten. Dass er es nicht besser weiß, ist nicht so schlimm, dass er sich nicht absichert, ist schlimmer.«

»Sprichst du von einem Fall, den ich kenne?«, fragte Marek.

Kerstin nickte. »Du bist doch Mittwochabend zu einem Tatort gerufen worden.«

»Der Tote aus dem Wald, die vergrabene Leiche? Tremmels Fall.«

»Ist Tremmel der Mordermittler?«, fragte Kerstin. »Na, das passt. Tremmel und Pohlmann verstehen sich ganz gut, glaube ich. Tremmel lässt Pohlmann eher mal etwas durchgehen. Bei mir hat sich KHK Tremmel immer geziert. Der hat sich sogar mal über mich beschwert, weil ich eine seiner Leichen nicht vorgezogen habe, obwohl gar kein Grund zur Eile bestanden hat.«

»Was meinst du damit, dass Tremmel Pohlmann was durchgehen lässt?«

»So habe ich das nicht gemeint. Tremmel hat wohl nichts damit zu tun. Ich habe nur vom Sektionsassistenten erfahren, dass Pohlmann eure Erdleiche nicht so untersucht hat, wie man es bei Exhumierungen eigentlich machen sollte.«

»Du meinst Uwe Rand?«, fragte Marek.

»Vielleicht. Jedenfalls hat sich Pohlmann mit der Beschreibung der Todesursache gleich festgelegt, ohne noch andere Möglichkeiten einzubeziehen.«

»Genickbruch? War die Todesursache denn kein Genickbruch?«

»Doch schon, das ist wohl zweifelsfrei«, erklärte Kerstin. »Pohlmann hat aber eine Tatwaffe beschrieben, die noch gar nicht aufgefunden wurde, und damit hat er auch den Tathergang festgelegt.«

»Gut, und was noch?«

»Bei einer exhumierten Leiche ist es nicht ganz einfach, oberflächliche Verletzungen zu identifizieren. Die Haut verändert sich, Abschürfungen oder Hautrisse können auch durch das Liegen in der Erde verursacht worden sein oder haben sich unter dem Einfluss der Verwesung oder von Feuchtigkeit stark verändert. Zumeist übersieht man solche Verletzungen, wenn man sich nicht die Zeit nimmt.«

»Und Pohlmann hat sich nicht die Zeit genommen?« Marek überlegte. »Gestern Vormittag hat er seinen Obduktionsbericht vorgestellt. Gut, er hat eingeräumt, dass ihm noch nicht alle Ergebnisse vorliegen, aber er hat tatsächlich von einer möglichen Tatwaffe gesprochen.«

»Sag ich doch«, rief Kerstin. »Und habt ihr eine Tatwaffe gefunden?«

Marek zögerte. »Tremmel hat einen Tatverdächtigen festgenommen. Wir haben tatsächlich einen Baseballschläger in seiner Garage gefunden, aber das konnte Pohlmann gestern noch nicht wissen.«

Kerstin zuckte mit den Schultern. »Dann muss ich wohl alles zurücknehmen.«

»Nein, nein«, Marek schüttelte den Kopf. »Mein Gott, ist denn jeder gleich der Mörder, wenn er einen Baseballschläger besitzt, auch wenn er als Tatverdächtiger in Frage kommt. Tremmel hat förmlich danach gesucht, nicht direkt nach einem Baseballschläger, aber doch nach einer Schlagwaffe, wie sie Pohlmann in seinem Vortrag beschrieben hat.«

»Ich sage doch, Tremmel folgt Pohlmann.« Kerstins Stimme klang aufgeregt.

»So kann man das auch nicht sagen«, beschwichtigte Marek.

»Das ist ja noch nicht alles. Uwe meint, dass sich Pohlmann auch mit dem Todeszeitpunkt geirrt hat.«

»Doch Uwe Rand?«, fragte Marek.

»Das ist doch egal, ob Uwe oder ein anderer Kollege«, sagte Kerstin schnell. »Die Leiche kann kein Jahr in der Erde gelegen haben.«

»Das wissen wir bereits«, sagte Marek ruhig.

»Wie?«, fragte Kerstin. »Hat Pohlmann seinen Bericht überarbeitet?«

»Es gibt einen Zeugen, der den Toten noch vor einem halben Jahr lebend gesehen hat.«

»Und was sagt Tremmel dazu?«

»Noch gar nichts«, erklärte Marek. »Das ist alles noch ganz frisch. Die haben erst heute begonnen, den Tatverdächtigen zu verhören. Tremmel hat noch nicht wieder zu einem Briefing eingeladen.«

»Und woher weißt du dann davon?«, fragte Kerstin.

»Thomas hat mich informiert, obwohl er eigentlich bei den Ermittlungen ausgeschlossen ist, aber er hat die Recherchen gemacht und quasi den Namen des Tatverdächtigen ausgegraben.«

»Stimmt, Thomas ist ja bei Tremmel gelandet«, erinnerte sich Kerstin. Sie überlegte. »Er ist von den Ermittlungen ausgeschlossen, was heißt das?«

»Tremmel und Thomas können nicht so gut miteinander.«

»Was ja wohl eindeutig an Tremmel liegt. Ich weiß auch immer nicht, was ich von dem halten soll. Zum Glück habe ich selten mit ihm zu tun.«

Marek nickte. »Jedenfalls wird sich der von Pohlmann geschätzte Todeszeitpunkt nach vorne verschieben. Dafür haben wir im Besitz des Tatverdächtigen einen Gegenstand sichergestellt, der Pohlmanns These zur möglichen Tatwaffe stützt. Es steht also eins zu eins.«

Kerstin grinste. »Das klingt so gestelzt. Also, wen hat Tremmel verhaftet?«

Marek grinste zurück. »Der Mann heißt Rainer Eckermann und war offensichtlich ein enger Kumpel von Ken Börder. Ja und dann hat der Mann ausgerechnet noch diesen Baseballschläger in seiner Garage liegen.«

Kerstin schüttelte den Kopf. »Trotzdem glaube ich Uwes Meinung, dass Pohlmann nicht sauber gearbeitet hat.«

»Was schlägst du also vor?«

Kerstin zuckte mit den Schultern. »Natürlich muss Tremmel es hinnehmen, dass sein Pathologe Fehler macht oder eben falsche Schlüsse zieht. Pohlmann würde das selbstverständlich leugnen oder er würde es unter den Tisch kehren oder behaupten, so etwas niemals endgültig gemeint zu haben.«

»Und du meinst nicht, er wird dich noch einmal um Rat fragen, wo du doch für exhumierte Leichen die Expertin bist?«, fragte Marek.

Kerstin grinste. »Mich um Rat fragen, das würde der niemals tun. Der berät sich nicht mit Kollegen, der delegiert höchstens, was übrigens ein guter Trick ist, um das eigene Unvermögen zu kaschieren.«

»Und wenn du es ihm anbietest, zum Beispiel eine zweite Obduktion?«

»Ich sag doch, er würde es nicht annehmen. Er würde mir daraus sogar einen Strick drehen, sich irgendetwas ausdenken.«

»Was denn?«

Kerstin seufzte. »Weiß nicht, der hat da so seine Tricks. Ein Sektionsassistent wurde wegen Pohlmann schon einmal gefeuert, obwohl es doch so schwer ist, gute Leute zu finden.«

»Und wenn du es heimlich machst?«, fragte Marek.

»Was?«

»Die Obduktion an der Leiche, an Ken Börder.«

Kerstin schüttelte heftig den Kopf. »Dann bin ich die nächste, die fliegt. Ich habe zurzeit ohnehin einen schweren Stand. Als ich vor drei Jahren hier in Berlin angefangen habe, da konnte ich mich noch mit ein paar Neuerungen in der Gerichtsmedizin durchsetzen, da war auch der alte Professor Bauer noch im Amt. Pohlmann und unser neuer Chef haben zusammen studiert. Die sind zwar nicht direkt befreundet, aber eine gemeinsame Vergangenheit verbindet eben. Wenn ich mir da jetzt etwas erlaube ...« Kerstin unterbrach sich und zuckte plötzlich zusammen. »Verdammt, das Brot!«

Beim Aufstehen stieß sie ihren Stuhl um. Marek konnte nur noch hinterherschauen, wie sie ins Haus rannte.

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