Kitabı oku: «Afrikanische Europäer», sayfa 5
Latinos Leben und Werk enthüllt eine äußerst komplexe Art von Beziehung zwischen Afrikanern und Europa. Der Forschung über ihn gilt hier ein besonderes Augenmerk, da sie sich sowohl auf sein Leben als auch auf seine Schriften bezieht, deren Beitrag zur Dichtung der Renaissance heute allgemein anerkannt ist. Ein genauer Blick auf sein Werk bietet einen interessanten Hintergrund, während Analysen seines Lebens, seiner Tätigkeit und seiner Position in der Gesellschaft ein Licht auf Vorstellungen von Ethnizität und race werfen.
Juan Latino oder Johannes Latinus (ca. 1518 bis ca. 1594) war ein Sklave in Granada, der aufgrund seiner Lateinkenntnisse Berühmtheit erlangte. Er profitierte von seiner Nähe zum dritten Herzog von Sessa, Gonzalo Fernandez de Córdoba, dem Sohn seines Besitzers. Juan de Sessa, wie Latino damals genannt wurde, folgte dem Herzog an die neu eröffnete Universität von Granada. Lernbegierig und begabt, wurde er wahrscheinlich aufgrund seiner außergewöhnlichen Leistungen als Latinist auf den Namen Juan Latino getauft. Er erlangte seinen Bachiller im Jahr 1546 mit etwa 28 Jahren und immer noch als Sklave. 1557 erhielt er dann den Magister artium. Später wurde Latino freigelassen und lehrte fortan Grammatik an der Kathedralschule.
Latinos Herkunft, sein Name und seine Ehe sind bis heute Themen von Interesse. Insbesondere die Ähnlichkeit des Begriffs Ladino zu dem Namen Latino lässt sich nicht ignorieren. Ladino war der Name, den man versklavten Menschen gab, die fließend Kastilisch sprachen. Der Spitzname könnte daher ein Wortspiel gewesen sein, das die Beherrschung des Lateinischen sowie des Kastilischen durch einen versklavten Mann zum Ausdruck brachte. Die Wahrnehmung von Ladinos basierte auf Stereotypen. Man hielt sie für unzuverlässig und irgendwie gefährlich, sofern sie keiner besonderen Kontrolle unterstanden. In Cervantes Don Quijote wird ein gelehrter Mann erwähnt, der beschrieben wird als »el negro Juan Lati-«.98 Manche Wissenschaftler*innen behaupten, Cervantes habe sich durch diese Beschreibung über Latinos Lateinkenntnisse lustig gemacht und nahegelegt, seine Leistungen in der Sprache wären »eine Belanglosigkeit, die amüsierte Besitzer erfreute«.99 Es wurde jedoch auch argumentiert, Latino habe die Wahrnehmung der anderen über seine Umbenennung auf eine clevere Weise vorweggenommen, Cervantes habe den Gelehrten in seinem Gedicht »Urganda die Unbekannte« im Vorwort zu Don Quijote vielmehr gepriesen.100
Ungeachtet dieser Analysen zeigt Baltasar Fra-Molinero überzeugend auf, wie Latino seine Abstammung nutzte, um sich die Unterstützung durch Don Juan de Austria, den Halbbruder Philipps II., zu sichern, indem er diesem schmeichelte, während er seine eigene afrikanische Herkunft mit der Habsburger-Dynastie Don Juans und Philipps verglich. In Ad regem Catholicum et invictissimum Philippum elegia schrieb er:
Der Verfasser dieser Zeilen stammt nicht von diesem Teil der Welt.
Sein Name ist Latinus, und er kam aus dem Land Äthiopien, um die Taten Juan de Austrias mit der bewundernswerten Kunst der Poesie zu besingen.
Unbesiegter Philipp, auf Knien bittet Euch dieser Sänger, Eures Bruders Dichter sein zu dürfen.
Wenn die Kriege des Austrias dem Dichter zu Ruhm verhelfen,
dann wird das Schwarzsein des Dichters Don Juan zu einem Phönix machen.101
Fra-Molinero untersucht, wie Latino einerseits sein durch Äthiopien signalisiertes Schwarzsein mit seiner Kenntnis des Lateinischen und den Erfolgen der österreichischen Habsburger-Dynastie verband und andererseits durch das Symbol des Phönix Don Juan mit den Geschichten und Traditionen der Phönizier gleichsetzte. Seine Vision Europas umschließt also sowohl den Osten als auch Äthiopien. Zusätzlich bezieht er sich auf Ovids Phönix und dessen Fähigkeit, aus der Asche wiederaufzuerstehen.102
Fra-Molinero bemerkt ebenfalls, wie sorgfältig Latino eine klare Trennungslinie zog zwischen den Äthiopiern und den Morisken – spanischen Muslimen, die man gezwungen hatte, zum Christentum überzutreten. 1566 hatte Philipp II. aufgrund eines tiefen Misstrauens seinen Morisken-Untertanen verboten, mit Schwarzen Sklaven zu handeln und diese zu besitzen.103 Äthiopier konnten hingegen christliche Figuren sein, wie etwa Latino oder der Priesterkönig Johannes. Aus Ostafrika stammende ehemalige Sklaven, wie Latino selbst, hatten das Christentum und die Lebensweise Granadas übernommen. Darüber hinaus gehörten die Äthiopier zu den ersten konvertierten Christen, wie die Bibel berichtet. Der Verweis auf Äthiopien ist daher verbunden mit dem Neuen Testament, den Heiligen Drei Königen und dem frühen Christentum.104 Juan Latino nutzte rassifizierte und religiöse Unterschiede im Kontext des damaligen Granada, um die Elite und seine Leser*innen von seiner Assimilierung an die Gesellschaft zu überzeugen. Tatsächlich ging er noch einen Schritt weiter und übernahm die Werte und die Sprache der Poesie, welche in der Oberschicht verbreitet waren. Gleichzeitig war er sich jedoch bewusst, dass er dem König und Don Juan keineswegs glich und sich um deren Akzeptanz zu bemühen hatte.
Latinos Position hätte tatsächlich als fragwürdig angesehen werden können. Allerdings hatte er einen Status erlangt, wie er in jenem Kontext nur sehr wenigen Schwarzen Männern vorbehalten war. Dafür konstruierte er sich sorgfältig eine Persona, die ihm ein gewisses Ausmaß an Freiheit und ein Einkommen bescherte. Als ultimatives Zeichen der Assimilation konnte die Heirat einer weißen Frau gelten. Wie Aurélia Martín Casares und Marga G. Barranco feststellen, kamen interethnische Ehen zu dieser Zeit jedoch kaum vor.105 Gleichwohl ging Latino auch diesen Schritt, und die ungewöhnliche Verbindung zwischen ihm und einer weißen Frau sollte gar Akzeptanz finden, ein weiterer Hinweis darauf, dass er unter dem Schutz des Königs und dessen Bruder stand. Tatsächlich genoss Latino ebenfalls den Schutz von Erzbischof Pedro Guerrero, der bei der Christianisierung der Morisken einen vergleichsweise maßvollen Ansatz verfolgte. Er glaubte daran, die Elite der Morisken in spanischen Institutionen ausbilden und damit den Wirkungskreis des Lateinischen fördern zu können. Zugleich sprach er sich für die Verwendung des Arabischen aus, um die Morisken von den Vorteilen des Christentums zu überzeugen. Er war es auch, der maßgeblich dafür sorgte, dass Latino an die Kathedralschule in Granada berufen wurde. Latino heiratete Ana de Carleval, die Tochter des herzoglichen Gutsverwalters, deren Erbe dem Paar ein ausgesprochen angenehmes Leben ermöglicht haben soll. Ihr Vater hatte Latino angestellt, um sie in Musik und anderen Fächern zu unterrichten, und wurde durch die Umstände gezwungen, die Verbindung zu akzeptieren. Die beiden bekamen zwischen 1549 und 1559 vier Kinder. Manche Stimmen behaupten dabei, dass Latino zum Zeitpunkt der Eheschließung trotz der Anerkennung der Ehe durch die Kirche noch ein unfreier Mann gewesen sei.106
Martín Casares zufolge setzte eine breitere Faszination für Latinos Arbeit im Wesentlichen im 20. Jahrhundert ein, wobei der in Granada geborene Philosoph Antonio Marín Ocete, der sein Lebenswerk den Schriften Latinos widmete, den Auftakt machte. Auch wenn Marín Ocetes Arbeit selbst nur wenig Beachtung gefunden hat, haben wir die meisten Einsichten in Latinos Leben – von seiner Kindheit, seiner Erziehung und seinen Lehrern bis zu seinen Verbindungen und Freundschaften – seiner unermüdlichen Forschungstätigkeit zu vedanken, wie Aurélia Martín Casares betont. Außerdem weist sie darauf hin, wie prägend der Blick Marín Ocetes auf Latinos Werk ist, insbesondere seine wiederkehrende Hervorhebung der außergewöhnlichen Fähigkeiten eines Schwarzen Mannes. Marín Ocetes Schriften bezeichneten den Gelehrten als den »Schwarzen Juan Latino«. Die von westlichen Wissenschaftler*innen häufig unternommene Verknüpfung von Hautfarbe und Fähigkeiten scheint bei Marín Ocetes Versuch, dieses »Schwarze Wunderkind«107 zu verstehen, eine nicht unwesentliche Rolle gespielt zu haben.
Während Marín Ocete sich mit Latino beschäftigte, begannen auch Velaurez B. Spratlin und Carter G. Woodson, der 1916 das Journal of Negro History gegründet hatte, sich für den afrospanischen Gelehrten zu interessieren. Spratlins Ziel war es, Afroamerikaner zu ermuntern, ihr Augenmerk auf die Beiträge von Menschen afrikanischer Abstammung in Europa zu richten. Neben dem Leben Latinos erforschte er auch die Biografien anderer afroeuropäischer Figuren. Seine Mission, den Horizont seiner afroamerikanischen Mitbürger*innen zu erweitern, zielte nicht allein auf der Rolle hochgebildeter historischer Männer und Frauen. Er untersuchte auch die Präsenz Schwarzer Figuren in den Komödien Europas zur Zeit der Renaissance. Woodson dagegen stellte die Frage nach der Wahrnehmung von race im Spanien und Portugal des 16. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu Marín Ocete waren Spratlin und Woodson der Ansicht, Latinos Fähigkeiten sollten nicht einem Ausnahmecharakter zugeschrieben werden. Latinos Leistungen in einer Umgebung, die Schwarzen Menschen nicht förderlich war, diente als wichtige Richtschnur für die »negro race«. Sie wollten demonstrieren, dass Schwarze die intellektuellen Kapazitäten hatten, Großes zu erreichen, wenn sie die Gelegenheit dazu bekamen. Tatsächlich gelang Woodson ein ähnlicher Aufstieg zur Berühmtheit. Er erlangte 1912 den Doktorgrad und begründete 1926 die »Negro History Week«. Daraus wurde jene internationale Feier, die heute als Black History Month bekannt ist. Gleichwohl veröffentlichte der als weiß rassifizierte Wissenschaftler Otis Howard Green 1939 eine Rezension, die die Originalität von Spratlins Studie Juan Latino, Slave and Humanist abstritt und die den beiden Wissenschaftlern so wichtigen Überlegungen zu Bildung und Leistung als Mittel zur Aufklärung und Kritik verwendete.108
Es folgten weitere Untersuchungen im Zusammenhang mit den Black Studies in den Vereinigten Staaten. Dabei ist interessant, dass einige dieser Arbeiten das Thema race in einem weiteren Rahmen behandelten, beispielsweise in Bezug auf Schwarze Menschen, Juden und Mauren, während andere sich mit der Versklavung befassten. Seither haben etwa fünfzig Studien das Werk Juan Latinos analysiert. Bemerkenswert daran ist der ständige Wechsel zwischen seinem Wirken als Dichter, als Humanist und als Chronist seiner Zeit. Latinos Werk, das Literatur sowie Texte umfasst, die heute als zeitgeschichtliche Kommentare bezeichnet würden, berichtet uns von der in Granada vorherrschenden Sicht auf Ausländer und Nicht-Christen und vom Schicksal jener, die als Bedrohung des Narrativs angesehen wurden, das die Stadt zu erzeugen suchte.
Es war just die Erschaffung eines Narrativs, welche Latino selbst mit Austrias Carmen vollbrachte, seinem einflussreichen Bericht über die Seeschlacht von Lepanto im Jahr 1571. In der Schlacht standen die Republik Venedig und das Spanische Kolonialreich im Golf von Patras im Westen Griechenlands dem Osmanischen Reich gegenüber. Es war ein maritimes Gefecht, das der fromme Christ Philipp I. von Spanien gewinnen musste, um eine klare Botschaft an die in Nordafrika lebenden Muslime zu senden, die das Osmanische Reich unterstützten. Außerdem war es der Zusammenstoß zweier fest entschlossener Männer: Ali Pascha, der Schwiegersohn von Sultan Selim I., auf der einen und Don Juan de Austria auf der anderen Seite. Die Schlacht war blutig, etwa 40.000 Männer starben und 10.000 wurden verwundet. Latino veröffentlichte die Chronik in einem Gedichtband zu Ehren von Philipp I., Papst Pius V. und Philipps neugeborenem Sohn, dem Infanten Ferdinand.109 Das Gedicht wurde nur achtzehn Monate nach der Schlacht verfasst.
Elizabeth R. Wright zeigt auf, wie reduziert dieses Gedicht konstruiert ist. Sie stellt fest, dass es »Vergils Zwölf-Bücher-Form miniaturisiert«, wodurch ein effizientes didaktisches Werkzeug entstehe, in dem die Methoden aus Latinos Seminaren nachklingen. Weiter bemerkt sie, Latino habe seine Effizienz als Redner erfolgreich auf das Gedicht übertragen, das so lehrhaft wie machtvoll sei.110 Latino kopierte Vergils Stil nicht einfach, sondern versetzte dessen Motiv der Nacherzählung von Schlachten in eine in Aufruhr geratene christliche und muslimische Welt. Beispielsweise nimmt er seine Leser*innen mit auf eine Reise zum Zweiten Aufstand in den Alpujarras (1568–71), bei dem die Morisken gegen die christliche Herrschaft rebellierten. 1567 erlassene Regeln verlangten, dass »alte Christen« in Gegenden mit einer bestimmten Anzahl von Morisken anzusiedeln waren, von denen man vermutete, dass sie noch immer verbotene Praktiken pflegten. Dauerhafte Überwachung, Eingriffe in ihr Familienleben und repressive Maßnahmen führten zu Unzufriedenheit und schließlich zur Rebellion. Don Juan de Austria gelang es, den Aufstand niederzuschlagen. Etwa 80.000 Morisken wurden aus Granada vertrieben, 10.000 versklavt.
In Austrias Carmen zog Latino eine Verbindung zwischen der Geschichte der Alpujarras und der Seeschlacht von Lepanto. Obgleich er die christlichen Streitkräfte preist, wechselt er in der Erzählung von christlichen zu osmanischen Standpunkten. Die Konfrontation der beiden Imperien in Gestalt ihrer Anführer wird ausführlich beschrieben. Ali Pascha wird am Ende gefangen genommen und getötet, sein Kopf auf einen Pfahl gesteckt, damit seine Soldaten ihn sehen können. Ohne Vorwarnung erblicken auch seine beiden Söhne den ausgestellten Kopf ihres Vaters. Als Leser*in kommt man nicht umhin, den Schmerz der Kinder zu spüren, die die Spanier daraufhin anflehen, sie ebenfalls zu töten. Die Chronik führt ihre Leser*innen ferner nach Algier und demonstriert so die engen Verknüpfungen, die zwischen verschiedenen Mittelmeergegenden bestanden. Wright kommt zu dem Schluss, dass Austrias Carmen zwar die christliche Schlagkraft lobte und die Entscheidung des Königs, die Morisken zu vertreiben und versklaven, unterstützte, dass es aber ein Fehler wäre, die komplexe Dynamik zu unterschätzen, die verschiedene Protagonisten miteinander verband und die Möglichkeit weiterer Unruhen offenhielt.111 Latinos Text unterstrich die schwierige und explosive Natur eines Zusammenlebens von Christen und Muslimen. Er feiert den König und befürwortet dessen Entscheidungen, betont jedoch auch, dass der vorübergehende Frieden zu einem hohen Preis errungen wurde. 1573 begriff Latino, dass die toleranteren Ansichten des Erzbischofs Guerrero nicht geteilt wurden. Die Verhärtung der königlichen Haltung gegenüber den Morisken, Don Juans vom König gebilligte brutale Unterdrückung und die darauffolgenden grausamen Maßnahmen zwangen Latino dazu, seine Position klarzustellen. In einer Umgebung, in der ein hohes Maß an Misstrauen und Verdacht gegenüber als Fremden wahrgenommenen Menschen herrschte, erschien eine öffentliche Unterstützungsbekundung für die Mächtigen erforderlich. Dies mag einer der Gründe dafür gewesen sein, weshalb Latino Austrias Carmen schrieb und veröffentlichte.
Häufig wird Latino als Renaissance-Humanist bezeichnet. Henry Louis Gates Jr., Maria Wolff und Baltasar Fra-Molinero zufolge sind Latinos humanistische Ansichten allerdings nicht zu verstehen, ohne sich der Frage nach rassifizierten Unterschieden zu widmen. Sich auf einen Artikel von Antonio González Garbín von 1886 beziehend, weisen Gates und Wolff auf die dortige Charakterisierung Latinos als »gelehrter Humanist« und »einzigartiger, berühmter Äthiopier« hin.112 Wie schon bemerkt wurde, ist diese Berücksichtigung seiner Talente im Zusammenhang mit seiner race in der Forschung über den Dichter ab dem 20. Jahrhundert verbreitet. Vor dem 19. Jahrhundert wurde Latino als eine spannende Figur gesehen, deren edle Attribute mit seinem angeblich ungewöhnlichen Intellekt in Verbindung gebracht wurden. Und im 19. Jahrhundert zog man aus seinem Leben und Werk Rückschlüsse auf die Natur des Menschen.
Fra-Molinero hinterfragt den Begriff des Humanismus, indem er Latinos komplexes Umfeld betrachtet und darauf hinweist, er habe beschlossen, sich als Humanist zu bezeichnen, weil dies als besonders opportun galt. Ein »katholischer Universalismus«, der im Widerspruch zu den zu jener Zeit in Granada herrschenden gesellschaftlichen Realitäten stand, bot einen interessanten Fokus für jemanden, der sowohl dazugehörte als auch ein Anderer war. Durch ihn hielt er seinen Zeitgenoss*innen einen wenngleich verzierten, so doch entlarvenden Spiegel vor.113 Tatsächlich nannte Latino sich, womöglich als Provokation, in der sein Spitzname widerhallte, Johannes der Äthiopier, womit er signalisierte, dass er gleichzeitig ein Christ und ein Ausländer, ein Humanist und ein Schwarzer Mann war. Fra-Molinero weist auf den gegensätzlichen Charakter dieser Kategorien im Europa des 16. Jahrhunderts hin.114 Die ein Jahrhundert zuvor begonnene koloniale Expansion in Richtung des amerikanischen Kontinents hatte die europäische Wahrnehmung im Sinne einer intellektuellen Hierarchie geprägt. Die Araber galten nicht als ungebildet, wurden aufgrund ihrer Religion aber dennoch als unterlegen angesehen. Humanisten waren weiße Europäer. Sie bildeten eine superiore Kategorie von Männern, deren Aufgabe es war, zu erziehen, zu bekehren und zu beherrschen. Latinos Erfahrung stellte allein durch seine Hautfarbe und seinen Status etablierte Begrenzungen und Annahmen infrage. Bevor er Austrias Carmen verfasste, bat er um die Erlaubnis, ein Gedicht über Don Juan de Austria zu schreiben, was ihm auch gestattet wurde. Latino verstand, dass er, obgleich er gebildet und von den Herrschenden weitgehend akzeptiert war, aufgrund seiner Hautfarbe erst um eine Genehmigung des Hofes ersuchen musste.115 Dieses Gedicht war zum Vergnügen der Elite bestimmt. Austrias Carmen dagegen richtete sich an ein gebildetes Publikum, das mit den politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Spannungen vertraut war, die in dem Epos zum Tragen kommen.
Andrew Lemons weist darauf hin, dass Juan Latinos Werk sich neben Geopolitik und »klassischer Bildung« mit einer Reihe von unerwarteten Alliterationen auch dem »literarischen Experimentieren« widmete.116 Ebenfalls zu vermerken seien die eingefügten Verweise auf den römischen Dichter Lukrez, insbesondere in Form der Einleitungsformel omnia quae (»alles das«).117 Lemons hält fest, dass Latino sich selbst als Humanist und neolateinischer Dichter bezeichnete, dessen intellektuelle und literarische Bestrebungen sich auch zu Giovanni Pontano, dem berühmten Dichter und Humanisten aus dem 15. Jahrhundert, zurückverfolgen ließen. Pontano hatte eine Analyse von Lukrez’ Lehrgedicht De Rerum Natura vefasst. Lemons zufolge bildeten interpretatorische Texte wie die Pontanos ein erkennbares Vorbild für die Art und Weise, in der Latino mit Worten, Satzkonstruktionen, Rhythmus, Metaphorik und allgemeiner »Poesietechnik« experimentierte.118 Allerdings deutete er auch an, dass der Traum einer besseren Welt, erbaut von jenen, die das Lateinische bereichert und befördert hatten, nicht verwirklicht wurde. Der neue, sich etablierende Ansatz in der Schriftgelehrsamkeit bot dem Meister des Wortes, der geglaubt hatte, literarische Überlegenheit könne alle Grenzen beseitigen, keinen würdigen Platz. Latinos Zeitgenossen wie Cervantes und Lope de Vega hatten ihn zu einer Karikatur degradiert.119 Diese Lesart von Latinos Schicksal steht jedoch in einem starken Kontrast zu den reichlichen Berichten über sein Leben und Werk, die in den folgenden Jahrhunderten verfasst wurden. Entgegen Lemons Ansichten hat Latino schließlich doch seinen Platz als Renaissance-Dichter, Humanist und Chronist seiner Zeit gefunden.
Allerdings zeigt sich in der Art der Darstellung Latinos deutlich, dass die Leser*innen des 16. und 17. Jahrhunderts sich schwer damit taten, seinen Weg zu akzeptieren. Besonders aufschlussreich in dieser Hinsicht sind Theaterstücke aus dem 17. Jahrhundert. In spanischen Dramen tauchten Schwarze Figuren zu einer Zeit auf, in der sich die Iberische Halbinsel mit der räumlichen Nähe einer relativ großen Anzahl von Menschen afrikanischer Abstammung im Vergleich zum Rest der europäischen Bevölkerung auseinandersetzen musste sowie mit den Herausforderungen, die sich dadurch für den idealen europäischen Diskurs über Monarchie und Christentum stellten. Latinos Geschichte entfaltete sich innerhalb der größeren Geschichte Spaniens, Portugals und des subsaharischen Afrikas. Seine afrikanischen Wurzeln sind Quelle unzähliger Debatten gewesen, und bis heute lässt sich schwer sagen, ob er in Spanien geboren oder mit seiner Mutter dorthin gebracht wurde. Auch über die Herkunft seiner Mutter wissen wir nichts. Sie könnte aus Westafrika nach Spanien verschifft worden sein, um dort als Hausdienerin oder Sexobjekt verkauft zu werden, wie es afrikanischen Frauen in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts häufig widerfuhr. Allerdings wurde Latino vielfach als »Vollblutafrikaner« bezeichnet, was bedeuten würde, dass seine Eltern nicht unterschiedlicher Abstammung waren.120 Auch ist vorgebracht worden, er könnte aus Nordafrika gewesen sein, was jedoch hellere Haut nahelegen würde als die den Schilderungen entsprechende eher subsaharische Anmutung. Michael A. Gomez glaubt dennoch an die potenzielle nordafrikanische Herkunft Latinos.121 Das Gebiet der Berberdynastie der Almoraviden, die sich im 11. Jahrhundert bildete, erstreckte sich bis nach Al-Andalus (Spanien und Portugal). In ihrer Armee setzten die Almoraviden auch muslimische westafrikanische Soldaten ein. Diese Männer wurden irgendwann freigelassen und waren in der Lage, sich in das andalusische soziale Gefüge zu integrieren, wo sie häufig mit Nordafrikanern verkehrten. Nach der Reconquista wurde den Morisken und den versklavten Westafrikanern die Verrichtung körperlicher und ungelernter Arbeiten zugewiesen. Im 15. Jahrhundert lebten diese Gruppen dann bereits zusammen.
Aufzeichnungen zeigen, dass in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Dynamik aktiver Umsiedlung westafrikanischer versklavter Menschen einsetzte. Im Jahr 1444 wurden 235 Westafrikaner nach Lissabon geschickt. Fest entschlossen, näher an den Sklavenmärkten zu sein, konnten die portugiesischen Händler 1448 einen dauerhaften Handelsposten in Mauretanien errichten.122 Das Valencia des 15. Jahrhunderts erlebte einen Anstieg der Anzahl subsaharischer Afrikaner und Guanchen, der indigenen Bevölkerung der Kanarischen Inseln, die nicht über Nordafrika anreisten, sondern direkt mit Schiffen anlandeten. Die Seewege waren nun in der Hand italienischer und portugiesischer Händler, nachdem die beiden Seefahrernationen bereits seit Jahrhunderten das Mittelmeer durchkreuzt hatten. 1475 waren die afrikanischen Küsten südlich des Äquators erreicht worden, und 1488 gelangte man an das Kap der Guten Hoffnung. Weiter östlich reisten sie 1497 mit Seefahrern wie Vasco da Gama, und 1520 beherrschte Portugal den Indischen Ozean.123
Annette Ivory bemerkt, dass von den 429.362 Einwohnern Sevillas im 16. Jahrhundert etwa 14.670 Schwarze Menschen waren. Ihr zufolge hat sich durch die Verfügbarkeit von Schwarzen Arbeitskräften der Wettbewerb um Beschäftigungen verschärft. Damit einher ging die Inszenierung Schwarzer Figuren in Theaterstücken, die lächerlich gemacht wurden. Das Porträt des Schwarzen Clowns sollte gesellschaftliche und ökonomische Ängste beschwichtigen.124 Im Granada des 16. Jahrhunderts waren bis zum Aufstand in den Alpujarras von 1568 bis 1571 die meisten versklavten Menschen afrikanischer Abstammung, während der Jahre des Aufstands waren gar 90 Prozent der versklavten Menschen, die in Granada verkauft wurden, Morisken.125 Ebenfalls im 16. Jahrhundert taucht in juristischen Dokumenten die Bezeichnung negro (Schwarz) anstelle von esclavo (Sklave) auf. Emily Weissbourd liefert ein bemerkenswertes Beispiel für solche Begriffsverschiebungen mittels Dokumenten aus der Zeit zwischen 1559 und 1576, die auf »die Schwarzen [negros] Ihrer Majestät« anstelle von »die Sklaven Ihrer Majestät« verweisen, wenn sie von den Menschen reden, die in den Silberminen in der Nähe von Sevilla versklavt waren.126
Veränderungen im Sprachgebrauch wiesen auch auf sich wandelnde Positionen innerhalb der Gesellschaft hin. Beispielsweise war die Figur der Kammerfrau in komischen Stücken oft eine Frau von doppelter Herkunft, bekannt als die mulatta. Sogenannte mixed-race Frauen, die fließend Kastilisch sprachen, wurden als schickliche Begleiterinnen für Damen des Adels angesehen. Nicholas R. Jones zeigt die Diskrepanz zwischen diesen Frauen und weiblichen Schwarzen auf, die in spanischen literarischen Texten der Frühmoderne durch Beschimpfungen degradiert, aber auch anonymisiert wurden.127 Jones hält fest, dass »Schwarze Frauen im frühmodernen Iberien ästhetisch, kulturell und institutionell ihrer Handlungsfähigkeit und Menschlichkeit beraubt wurden«.128
Dies setzt sich auch im Interesse der Theaterautoren von Diego Sánchez de Badajoz bis Lope de Rueda für die »Schwarze Sprache« (auch bekannt als afrohispanische Sprache) fort: Die Aussprache bestimmter Vokale ließ Zweifel daran aufkommen, was eine Figur meinte. Diese Ambiguität sollte auf der Bühne eine komische Wirkung erzeugen und zugleich das Publikum daran erinnern, dass diese Figuren Außenseiter*innen waren, die die Sprache niemals fließend beherrschen würden. Weiße Schauspieler in schwarzer Schminke spielten Schwarze Rollen. Jones betrachtet zwei inszenierte Schwarze Frauen, Eulalla und Guiomar, in Ruedas Theaterproduktionen Eufemia und Los engañados und schlussfolgert daraus, die Charakterisierung weiblicher Schwarzer Körper sowie die Verwendung Schwarzer Sprache trügen zu einer »Politik der Opazität« bei.129 Diese Frauen beförderten jedoch nicht nur Ruedas Erfolg als Theaterautor, sie liefern uns auch Beispiele für Widerstand und die Demonstration einer Form von Handlungsmacht, die über Ruedas Intentionen hinausweisen. Sie existierten außerhalb des Zwecks, einfach nur ein weißes Publikum zu amüsieren. Jones beschreibt sie als Schwarze Diven, wobei er sich auf frühe afroamerikanische feministische Standpunkte und Theorien stützt. Indem er Sojourner Truths berühmte Rede »Bin ich etwa keine Frau?« zitiert, die Schwarze Sprache sowohl verwendet als auch transzendiert und als Echo noch auf zeitgenössische Schwarze Feminist*innen wirkt, postuliert Jones Schwarze Diven als Stimmen des Widerstands, die »in ihrem Auftreten über maskulinistische und rassistische Bilder hinausgehen, die von europäischen Dramatikern, Geschichtsschreibern, Theologen und Autoren verwendet werden«.130
Der Sklavenhandel des 17. Jahrhunderts lag nicht allein in den Händen Portugals und Spaniens, auch die Republik der Vereinigten Niederlande, England und Frankreich beteiligten sich am sogenannten Afrikahandel. Die Epoche wurde geprägt durch interessante Veränderungen in der Wahrnehmung von Menschen afrikanischer Abstammung. In Spanien tauchte in den Stücken von Autoren wie Lope de Vega und Diego Jiménez de Enciso die Figur des gebildeten Schwarzen Mannes auf. Encisos Stück La comedia famosa de Juan Latino wurde lange nach Latinos Tod geschrieben. Es handelt von seinem Leben, von seinen bescheidenen Anfängen als versklavter Junge bis zu seinem Erwachsenenalter, in dem er als gelehrter Latinist an eine renommierte Schule berufen wurde und eine weiße Frau heiratete. Wie Ivory bemerkt, geht es in dem Stück um das Schwarzsein, aber weiter gefasst auch um andere Minderheiten im Spanien des 17. Jahrhunderts.131 Der Protagonist lebt Seite an Seite mit einer Gemeinschaft aus Juden und Mauren, die als Bösewichte des Stückes fungieren. So muss Latino etwa bei seiner Ankunft an der Universität von Granada die Feindseligkeit der konvertierten jüdischen Figur Villanueva überwinden. Die Spannungen zwischen den beiden Figuren basieren auf rassifizierten Unterschieden. Villanueva akzeptiert nicht, dass ein ehemals versklavter Mann ihm innerhalb der Institution gleichgestellt sein könnte. Diese Spannungen werden noch verschärft durch die Auszeichnungen, die Latino verliehen werden, auch wenn dieser noch immer die rechtliche Stellung eines Sklaven einnimmt.
Ivory weist auf die Wichtigkeit hin, die Verwendung der Begriffe negro und esclavo für Schwarz und Sklave zu analysieren. Tatsächlich benutzt Villanueva sie in dem Stück als austauschbare Begriffe, um zu zeigen, dass Schwarzsein bedeute, ein Sklave zu sein, und umgekehrt. Er geht noch einen Schritt weiter und versucht, Latino dessen Menschlichkeit abzusprechen, indem er behauptet: »esclavos no son hombres« (»Sklaven sind keine Menschen«), was ebenso bedeutet, dass Schwarze keine Menschen seien.132 Zu einer Zeit, in der »negro« im Rest von Europa begann, sowohl die Bedeutung von »Schwarz« als auch von »versklavt« anzunehmen, und in der die Entmenschlichung von Menschen afrikanischer Abstammung als Mittel gebraucht wurde, um ihre Versklavung und die angeblich zivilisierende Mission der Europäer zu rechtfertigen, ist es interessant festzuhalten, dass diese Ansichten in dem Stück von einer Gemeinschaft geteilt und artikuliert werden, die als jüdische bestimmt wird, obwohl diese zu jener Zeit ebenso an den Rand der Menschheit gedrängt wurde.
Das Thema soziale Mobilität, Assimilierung und race scheint auch in der Ehe von Latino und der adligen, weißen Ana auf. Im Stück muss sich Latino der Frage seiner Hautfarbe stellen. Zu Beginn lehnt Ana einen Schwarzen Lehrer ab. Später muss Latino sie davon überzeugen, dass seine intellektuellen Fähigkeiten die negativen Assoziationen seiner Hautfarbe bei Weitem übertreffen. Dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass dunklere Haut in der Gesellschaft Granadas bei Erscheinen des Stückes abgewertet wurde. Enciso spielt mit verschiedenen Wahrnehmungen von rassifizierten und religiösen Unterschieden. Um Ana davon zu überzeugen, dass er ein würdiger Lehrer ist, stellt Latino sich beispielsweise selbst als von den Morisken zu unterscheiden dar.
Im Stück versuchen auch Don Fernando, ein adliger Maure, und Cañeri, ein Schwarzer Muslim, Ana zu umwerben, aber Latino ist es, der ihr Herz gewinnt. Don Fernando beschließt, sich dem Zweiten Aufstand in den Alpujarras anzuschließen, und wendet sich letztlich dem Islam zu. Diese Entscheidung führt zu seinem Tod. Er beginnt an der Spitze der spanischen Aristokratie und endet am Boden. Die Figur des Cañeri ereilt ein vorhersehbar ähnliches Schicksal.133 Nachdem er versucht hat, den Spaniern zu erklären, wie sie mit ihren Minderheiten umgehen sollen, und sich geweigert hat, den Platz zu akzeptieren, der ihm als Schwarzer Mensch und als Muslim zugewiesen wurde, muss er ebenfalls sterben. Die Spannungen zwischen Muslimen, Morisken und Juden waren bis zum 17. Jahrhundert nicht abgeklungen. Das Publikum billigte die harschen Entscheidungen seiner Herrschenden.
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