Kitabı oku: «Sterbewohl», sayfa 3

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Kapitel 9

Fred hatte uns wie versprochen zum Abendessen eingeladen. Sobald ich im Kreis der anderen war, fühlte ich mich fast behaglich. Nichts schien mehr so schlimm zu sein, wie es einem beim alleine vor sich hinbrüten vorkam.

Fred machte sein übliches Abendessen, Toast Hawaii, in der Mikrowelle. Dazu gab es einen kühlen, fruchtigen Weißwein. Sein Alternativessen war Räucherlachs mit Zwiebeln, Senfsoße und Toast. Zum Nachtisch servierte es meistens Vanilleeis mit Whiskey. Ab und zu drückte er eine Schokoladensoße aus der Tube darüber.

Als wir bereits am Tisch saßen, klingelte es. Ich war sehr überrascht: Marwa kam dazu, Freds Journalistenfreundin. Hatte Fred doch tatsächlich sein Versprechen wahr gemacht! Sie war hager, elegant gekleidet und hatte ein intelligentes Gesicht. Sie hatte sich sogar schon auf Fehmarn angemeldet und es war völlig problemlos gewesen. War man, wie Marwa, über 65 und meldete sich auf eigene Initiative zum Sterbeseminar an, durfte man das Hotel frei wählen. Solche Leute mochte der Staat ganz besonders. Sie wurden bevorzugt behandelt.

Im weiteren Verlauf der Unterhaltung erfuhren wir, für welche Zeitungen Marwa Artikel geschrieben hatte. Es waren zwar nicht viele, dafür aber wichtige Zeitungen. Seit die BP am Ruder war und die Meinungsfreiheit eingeschränkt hatte, schrieb Marwa nur noch über unverfängliche Themen wie Käferplagen, Waldsterben, Mülltrennung ... Wobei die unverfänglichen Themen mit der Zeit immer weniger wurden. Je unfreier der Staat wurde, desto mehr Bereiche wurden politisch.

Was uns alle sehr erstaunt hatte: Bevor Marwa sich zu Tisch setzte, ging sie mit einem kleinen Gerät durch Freds Wohnung. Wie sie uns hinterher erklärte, prüfte das Gerät alle erdenklichen Frequenzbereiche und zeigte bestimmte Anomalitäten an. Sie tastete sogar Freds Esstisch von unten ab. „In den meisten Privatwohnungen sind noch keine Minispione installiert. Das wäre einfach zu aufwendig“, war ihr Fazit.

Ich war sehr beeindruckt von Marwa. Bei Anna hingegen bemerkte ich ein kleines Grinsen. Sie hatte ihren Mundwinkel verzogen, während sie Marwa den Tisch abtasten sah. Vielleicht glaubte sie ihr nicht. Vielleicht glaubte sie auch nicht, dass der Staat seine Bürger abhörte.

Obwohl Freds Wohnung abhörfrei zu sein schien, traute Marwa der Sache doch nicht ganz. Waren die Abhörspione abgeschaltet, konnte ihr Gerät sie nicht erkennen. Nur in Funktion sendeten sie Frequenzen aus. Daher sprachen wir nicht über das Wichtigste: wie wir im Sterbehotel auf Fehmarn vorgehen wollten, um den Staat zu entlarven. Wir diskutierten allerdings darüber, wie wahrscheinlich es war, dass aus den Sterbehotels niemand mehr lebend zurückkam.

„Ihr werdet sehen, wir fahren hin, haben auf Staatskosten unseren Spaß im Hotel und sind nach den zwei Wochen wieder zu Hause“, flötete Anna.

Mir war nicht ganz klar, worauf sich ihre harmlose Sicht der Dinge stützte, und ich erwähnte unsere Nachbarn, die Lehmanns.

„Das mit den Lehmanns war wirklich ein bisschen seltsam“, gab nun auch Anna zu. „Aber kennst du sonst noch Leute, die nicht mehr zurückkamen?“

Ich musste zugeben, außer den Lehmanns niemanden zu kennen.

Anna bezweifelte dann auch, dass wir überall ausspioniert würden.

Auf belebten Straßen und öffentlichen Plätzen waren zwar Überwachungskameras angebracht. Die stammten aber noch aus der Zeit vor der Regierung der BP und hatten mit den terroristischen Anschlägen zu tun, die das Land erleiden musste.

Marwa beurteilte es pragmatisch: „Jeder Staat, der gegen die Interessen der Bürger arbeitet, zum Beispiel ihre wichtigsten Rechte einschränkt, muss seine Bürger überwachen, um sich am Ruder zu halten. Der Bürger eines übergriffigen Staates ist immer ein potenzieller Staatsfeind, den der Staat in Schach halten muss.“

Anna zuckte nur mit den Schultern. Und Max murmelte dunkel: „Zum Glück muss das meine Irmgard nicht mehr miterleben.“

Kapitel 10

Die Zeit raste. Ich fühlte mich schwer unter Druck. Ich wollte noch alles tun, was mir wichtig war. Eine letzte Reise kam nicht mehr infrage. Dafür war die Zeit zu knapp. Aber ich ging an die Plätze in meiner Stadt, die wichtige Erinnerungen für mich bargen. Erinnerungen, die mich immer noch glücklich machten. Ich suchte den kleinen Schulpark auf. Die im Kreis angepflanzten Büsche standen noch an Ort und Stelle. Sie boten jetzt sogar ein noch besseres Versteck. Dort hatte ich zum ersten Mal einen Jungen geküsst. Oder besser, er hatte mich geküsst. Er war viel attraktiver gewesen als ich, und es kam für mich daher völlig unerwartet. Ich ließ mich ins Gebüsch ziehen, ließ ihn machen, stellte mich einigermaßen tollpatschig an. Der schönste Moment war, als ich danach noch eine Weile alleine dortblieb. Ich freute mich unbändig und ich triumphierte. Wenn man jung ist und man bekommt etwas so Schönes, Unerwartetes geschenkt, denkt man, man hätte es verdient und es ginge von nun an so weiter. Meistens korrigiert das Leben einen solchen Übermut sehr schnell. Ich vermute, jeder hat so einen frühen Moment des Triumphes erlebt. Und vielleicht hätten sich noch weitere Momente an den einen schönen Moment gereiht, wenn man nicht triumphiert hätte. Wenn man nichts weiter erwartet hätte. Wenn man einfach nur den Augenblick genossen hätte, ohne Rücksicht auf ein Morgen. Aber wie soll man in dem Alter wissen, dass das Leben kein Freifahrtschein ist?

Ich besuchte eine Menge Orte, an denen ich hing: das alte Hallenbad, in dem wir Schwimmunterricht gehabt hatten. Die Stimmen hallten in dem hohen Gewölbe merkwürdig nach. Das Plätschern des Wassers klang besonders. Alle Geräusche wurden verstärkt und gleichzeitig runder im Ton. Schwimmen war jedes Mal ein Fest gewesen in dem alten Gebäude. Ich setzte mich nochmal in die Bibliothek, in der ich oft Romane gelesen hatte, atmete den Geruch der alten Bücher ein, der mit Kaffeeduft vermischt war. Ich versuchte, meine liebsten Freundinnen und Freunde zu besuchen oder wenigstens anzurufen. Ich brachte es aber nicht fertig, mit ihnen über das Sterbehotel zu reden. Ich wollte sie unbeschwert treffen, so als sei alles in Ordnung. Wenn jemand schwer krank ist, erzählt er das auch nicht allen und genießt es, von denen, die es nicht wissen, für gesund gehalten zu werden.

Innerhalb einer Woche hatte ich das Wichtigste erledigt. Anna, Max, Fred und Marwa taten nichts dergleichen. Anna ging ganz normal ihren täglichen Beschäftigungen nach, als wäre nichts anders. Sie war ja auch davon überzeugt, wir kämen von Fehmarn wieder zurück. Mir war wirklich schleierhaft, weshalb sie unserem Staat vertraute. Fred und Marwa verbrachten ihre Zeit mit Planungen. Sie kundschafteten im Internet die Insel aus und Marwa stellte eine Ausrüstung zusammen. Ihnen fehlte schlicht die Zeit, ihrem vergangenen Leben nachzutrauern. Vielleicht wollten sie es auch gar nicht. Fred hatte endlich wieder ein Projekt, das war für ihn wichtiger als alles andere. Und Marwa schätzte ich als nüchtern und pragmatisch ein. Sie konnte völlig in einer Aufgabe aufgehen, wobei für sie rationale Lösungen an erster Stelle standen und Gefühle warten mussten. Max tat nur eine Sache, die meinem Tun ein bisschen ähnelte. Er besuchte das Grab seiner Frau, was er vordem nicht getan hatte. Es hatte ihn zu sehr deprimiert. Ich konnte mir vorstellen, dass er am Grab Zwiesprache mit seiner Irmgard hielt. Vielleicht teilte er ihr mit, er käme bald nach.

Kapitel 11

Es waren noch drei Tage bis zu unserer Abfahrt. Das Gesundheitsamt hatte uns mitgeteilt, wir würden vom Bus vor unserer Haustüre abgeholt. Von einem komfortablen Kleinbus für gerade mal sechs Personen.

Am Abend trafen wir uns wieder bei Fred. Auch Marwa war da. Niemand störte es, dass es wieder Toast mit Ananas und Schinken aus der Mikrowelle gab. Sogar die Sauerkirsche in der Mitte der Ananas fehlte nicht.

Fred und Marwa kannten inzwischen die gesamte Insel. Und das Beruhigende war, es gab ganz in der Nähe des Hotels eine Fähre der Scandlines, die nach Dänemark übersetzte. Sie fuhr die 18 km zwischen Puttgarden und Rödby jede halbe Stunde hin und her, immer 15 und 45, auch die ganze Nacht durch. Im Notfall konnten wir sie vom Hotel aus über den Strand erreichen. Es wäre ein zwanzigminütiger Fußmarsch. Man musste sich allerdings ranhalten. Mein Herz klopfte, meine Stimmung verbesserte sich schlagartig. Wahrscheinlich schüttete mein Gehirn Glückshormone aus. Unser Schicksal war also noch nicht endgültig besiegelt. Und ich würde in dieser Nacht ruhig schlafen können.

Sicher, die Dänen wiesen Deutsche ohne Geld wieder aus. Aber von dort könnte man weiterziehen und weiter …

Nicht nur ich war erleichtert, auch die anderen hoben die Gläser. Nur Max lächelte nicht. Er trank einen Schluck, verzog keine Miene und starrte vor sich hin ins Leere.

„Was überlegst du, Max?“, fragte ich ihn.

Er erschrak. Dann antwortete er: „Ich musste nur eben an Diedrichson denken. Er wohnt gegenüber. Hat sich umgebracht. Wusstet ihr das?“

Fred und Marwa hatten noch nichts davon gehört.

„Sie haben ihn in den Tod getrieben. Da bin ich mir sicher“, sagte Max leise.

Anna machte „Pffft“ und verdrehte die Augen. „Der Mann war letztlich ganz alleine dafür verantwortlich, was er tat.“

Max zuckte nur mit den Schultern. „Diedrichson ist nicht der einzige Arbeitslose, der sich umgebracht hat. Ich weiß das von meinem Cousin“, erklärte er eindringlich.

„Woher will dein Cousin so was wissen?“, blaffte Anna.

„Mein Cousin ist Bestatter.“

Alle schwiegen. Es war ein unbequemes Schweigen. Ein Erschrecken und Verdachtschöpfen lag darin.

Max fuhr unbeirrt fort. „Mein Cousin bekommt von den Hinterbliebenen meist die Geschichte der Verstorbenen zu hören. Und bei den Arbeitslosen ist die Selbstmordrate sprungartig angestiegen. Schon seit Jahren.“

„Und was soll das nun heißen?“, fragte Anna verunsichert.

„Man hat sie so lange drangsaliert, bis sie sich das Leben genommen haben. Und ich spreche jetzt nicht nur von den Behörden. In den letzten Jahren ist doch unsere gesamte Gesellschaft darauf getrimmt worden, Arbeitslose zu verachten. Fast jeder hält sie für Schmarotzer. Selbst in Fernsehserien werden sie vorgeführt.“ Max senkte den Blick, guckte auf seinem Teller herum, sah wieder auf. „Genau wie wir Alten. Du schämst dich mittlerweile, alt zu sein. Du verschweigst, dass du nicht mehr arbeitest. Denn darum geht es. Sobald du kein Geld mehr bringst, bist du ein Parasit. Du liegst der Allgemeinheit auf der Tasche. Andere müssen für dich arbeiten, damit du deine Rente bekommst oder deine Arbeitslosenunterstützung. Sie machen es wie mit Hennen, die keine Eier mehr legen, die wandern in den Suppentopf.“

Niemand machte mehr eine Bemerkung. Wir wussten alle, so war es. Auch Anna konnte sich dem nicht entziehen. Sie verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse.

Jedem von uns war es schon mindestens ein Mal passiert, dass uns eine wildfremde Person fragte, was wir davon hielten, rechtzeitig zu gehen, bevor wir der Gesellschaft zur Last fielen. Das konnte beim Frisör sein, da fragte einen plötzlich die Kundin, die neben einem saß, danach. Oder im Bus, da fragte einen die Sitznachbarin aus heiterem Himmel, ob man später, wenn man Rente bezog, auch ans freiwillige Sterben dachte. Dass Leute auch mal indiskrete Fragen stellten, war nichts Neues. Ich wurde etwa öfters gefragt, wie viel ich als Grundschullehrerin verdiente. Wahrscheinlich fragten mich die Leute danach, weil sie hören wollten, wie wenig ich verdiente, damit sie mit ihrem eigenen Verdienst zufriedener sein konnten. Wenn es um die Frage nach dem freiwilligen aus dem Leben Scheiden ging, hatte ich allerdings den Verdacht, der Staat bezahlte Leute, die einem diese unangenehme Frage stellten, um einen unter Druck zu setzen.

Kapitel 12

Je mehr wir tranken, desto lauter schimpften wir über den Staat. Bis es an Freds Tür läutete.

Die Türglocke war schrill. Fred hatte sie auf die höchste Lautstärke gestellt, da er leicht schwerhörig war, aber noch keine Hörgeräte tragen wollte.

Alle verstummten. Die Angst stand uns ins Gesicht geschrieben. Die einen erblassten, die anderen rissen die Augen weit auf. Nur Max’ Miene veränderte sich nicht.

Es läutete noch einmal.

Fred stand auf und wankte zur Eingangstür.

Er öffnete nicht sofort.

Es läutete ein drittes Mal. Es fuhr einem durch Mark und Bein.

Vorsichtig guckte Fred durch den Spion, so zögerlich, als hätte er Angst, dass die Person auf der anderen Seite der Tür ihm mit einer Nadel ins Auge stechen könnte. Plötzlich zuckte er zurück und drehte sich zackig zu uns um. Auf seinem Gesicht lag ein breites Grinsen. „Nur mein Sohn.“

Zuerst holte ich tief Luft, da ich vor Schreck ganz vergessen hatte zu atmen, erst dann wunderte ich mich, dass Fred einen Sohn hatte. Von einem Sohn hatte er uns noch nie erzählt.

Ein großer, breitschultriger blonder Mann um die vierzig trat ein.

Fred führte ihn zum Tisch, stellte ihn vor und wurde dabei leicht rot. „Tommy kümmert sich um meine letzten Angelegenheiten“, erklärte er uns.

Dann nahm er seinen Sohn an der Schulter und brachte ihn nach nebenan. Wenig später hielt Tommy ein DIN-A4-Couvert in Händen und ließ sich von seinem Papa zur Wohnungstür begleiten.

„Wir sehen uns da oben“, sagte Tommy noch zum Abschied, zeigte mit dem Finger hoch zur Decke und ging heiter grinsend.

Fred setzte sich mit einem Räuspern wieder zu Tisch und stürzte ein Glas Wein hinunter. Er blieb stumm.

„Warum hast du uns nichts von deinem Sohn erzählt?“, wollte Anna wissen.

Es dauerte eine Weile, bis Fred sich durchrang, über Tommy zu sprechen. Die Sache war die, Tommy genierte sich für seinen Papa. Er hatte gleich nach der Schule jeden Kontakt zu ihm abgebrochen und Geld verdient. Wahrscheinlich hatte er die Nase voll gehabt von Freds unzähligen Projekten, die allesamt scheiterten. Und von den großen Hoffnungen, die Fred jedes Mal schürte, von seinen leeren Versprechungen, dass es jetzt endlich klappen würde und er diesmal ganz groß rauskäme. Es war ärgerlich, einen Vater wie Fred zu haben. Ein solcher Vater musste einem wie ein Betrüger vorkommen.

Als Fred uns mitteilte, seinem Sohn wäre es egal, wenn er stirbt, tat mir Fred dann doch leid. Fred hatte seinen Sohn nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder angerufen, um ihn als Sachwalter und Erben einzusetzen. Tommys erste Frage war gewesen: „Um wie viel handelt es sich denn?“ Als Fred ihm mitteilte, er wolle nächste Woche Sterbewohl schlucken, hatte Tommy nur bemerkt: „Na, wenn du das willst.“

„Dann hast du ihm nicht gesagt, dass wir gar nicht vorhaben zu sterben?“, wollte Marwa nun doch wissen.

Fred errötete wieder. Es wirkte merkwürdig auf mich, einen so alten Mann erröten zu sehen, und er tat mir erneut leid.

Fred wollte darauf nichts antworten.

Anna brachte es auf den Punkt. „Du vertraust ihm nicht.“

Fred verzog den Mund, ruckte auf seinem Stuhl hin und her. „Es wäre zu umständlich gewesen, ihm alles zu erklären“, brachte er schließlich hervor. Er hustete. „Wir haben nicht mehr so viel Zeit.“

Kapitel 13

Meine Wohnung erschien mir seltsam leer am Vorabend der Abfahrt. Ich hatte gepackt. Fast nur Sportliches und Laufschuhe. Fluchtkleidung. Die Beruhigungstabletten hatte ich natürlich auch dabei. Bisher hatte ich nur zwei davon geschluckt. Die machten einen stark benommen und man konnte nicht mehr klar denken. Man fand alles harmlos, ja sogar lächerlich. Gleichzeitig wuchs in einem ein großes Schlafbedürfnis. Es schwebten einem Betten in allen Formen und Größen vor. Kissen und Decken. Daunen und Matratzen. Sich schlafen zu legen wurde zur Sucht. Nur im äußersten Notfall wollte ich diese Pillen nehmen. Wenn ich mit den Nerven am Ende war.

Von der Bank hatte ich Bargeld abgehoben. Nicht alles, damit es nicht auffiel. Aber mehr, als ich auf eine Reise je mitgenommen hätte. Fred hatte uns das geraten. Die Kreditkarte konnten sie einem jederzeit sperren, wenn man im Ausland war.

Ich stellte den Koffer in die Diele und blickte mich um. Es war sehr still in meiner Wohnung. So still hatte ich meine Räume noch nie erlebt. Meine Wohnung hatte auf einmal etwas Unberührtes, wirkte, als wären gar keine Bewohner mehr da, als wäre ich schon fort. Meine Wohnung nahm womöglich vorweg, dass ich nicht mehr zurückkehrte. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Hier lauerte bereits eine tödliche Einsamkeit. Die Dinge gehörten schon niemandem mehr, waren herrenlos geworden …

Ich drehte den Fernseher laut auf, um mich zu wehren. Es kam eine Talentshow. Ein Mädchen sang poppig. Die Stimme füllte bald, wie helles Licht, meine Wohnung bis in alle Winkel und das Gespenstische verschwand.

Kapitel 14

Am 20. April um zehn Uhr morgens kam pünktlich der Kleinbus, um uns abzuholen. Es war ein Bus mit sechs Plätzen, außer uns vier kamen aber keine weiteren Reisenden dazu.

Der Fahrer war bester Laune und bot uns gleich Sekt aus dem Bordkühlschrank an, nachdem er unsere Koffer verstaut hatte.

Anna saß entspannt neben mir. Sie machte es sich bequem. Ich fühlte mich noch nicht sehr locker. Ich wollte zwar glauben, dass wir jederzeit das Hotel wieder verlassen konnten, um notfalls auch die Fähre nach Dänemark zu nehmen. Aber vielleicht wussten sie es zu verhindern. Vielleicht sperrten sie uns ein, sobald wir im Hotel ankamen. Konnte man wirklich wissen, was uns erwartete?

Der Bus fuhr nahezu geräuschlos. Die Landschaft flog vorbei. Es war ein sonniger Tag. Hier und da schwammen ein paar Wölkchen im Blau, die der Wind zerrupfte. Fred und der Fahrer hatten ein Gespräch begonnen.

„Bringen Sie viele Leute in die Sterbehotels?“, fragte Fred den Fahrer.

Der Fahrer kicherte. „Sterbehotels? Was ist denn das für ein Wort? Klingt ja wie in einem Horrorfilm.“

„Wie nennen Sie denn diese Hotels mit den Sterbeseminaren?“

Der Fahrer zögerte einen Moment lang. „Also Ihr Hotel auf Fehmarn heißt Hotel Paradies.“

„Und fahren Sie die Gäste hin und auch wieder zurück?“

Der Fahrer brauchte wieder einen Moment, bis er antwortete. „Ich fahr die Leute hin.“

„Sie fahren niemanden zurück?“

„Ich fahr nur drei Tage die Woche. Das sind immer die Hinfahrten.“

Fred räusperte sich. „Und wer holt uns wieder ab?“

Der Fahrer musste nachdenken. „Da müssen Sie sich an die Hotelrezeption wenden, denk ich.“

Der Fahrer fuhr die Leute nur hin, überlegte ich. Es gab keine Rückfahrt vom Sterbehotel. Das hier war eine One-Way-Fahrt. Eine Fahrt in die Sackgasse. In den Tod … Meine Gedärme rumorten. Ich musste den Fahrer bitten, dringend an der nächsten Raststelle anzuhalten. Zum Glück waren wir bereits auf der Autobahn, und es waren nur noch sechs Kilometer bis zur nächsten Toilette.

„Sie müssen jetzt schon? Wir sind doch eben erst weggefahren“, konnte der Fahrer sich nicht verkneifen zu bemerken. „Sind Sie krank?“, fragte er dann noch frech.

Ich stammelte: „Nein, nein. Es hat mir zu Hause nur nicht mehr gereicht.“

Ich hatte glatt Durchfall bekommen. Um ein Haar schaffte ich es auf dem Rastplatz noch auf die Toilette. Als ich mich wieder beruhigte und mein Blick über die weißen Kacheln wanderte, spürte ich auf einmal eine große Erleichterung bei dem Gedanken, jetzt durch den Hintereingang der Toilette einfach abzuhauen. Ich war hier drinnen noch ein freier Mensch. Niemand würde es verhindern, wenn ich jetzt floh … Aber wo sollte ich hin? Ohne Jacke, ich hatte meine Jacke im Bus gelassen. Nur mit meiner Handtasche …?

Als ich wieder im Bus saß, war ich frustriert. Als hätte ich eine Klausur nicht bestanden. Ich war eben niemand, der das Schwierige und fast Unmögliche in Angriff nahm.

Fred war mutiger. Sobald wir wieder auf der Autobahn waren, fragte er den Fahrer weiter aus: „Wie lange machen Sie das schon?“

„Was?“

„Die Leute in die Sterbehotels fahren.“

Der Fahrer kratzte sich im Nacken. „Seit drei Jahren ungefähr.“

„Gefällt Ihnen der Job?“

Der Fahrer zögerte wieder. Er antwortete unwirsch: „Ist ein Job wie jeder andere.“ Dann besann er sich: „Die Fahrten sind schon ganz schön. Man kommt über Land.“

„Wissen Sie denn, was in den Hotels so abläuft, in die Sie die Leute bringen?“

Der Fahrer hustete jetzt laut. Dann antwortete er ruppig: „Ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich Sie unterhalte“, und drehte das Radio auf.

Lautes Musikgedudel ertönte. Und er stellte den unseligen Apparat nicht mehr ab, bis wir auf Fehmarn waren.

Die Fahrt dauerte viele Stunden. Ich konnte mich kaum auf die Landschaft konzentrieren. Meine Gedanken waren woanders. Ich bekam gerade mal mit, wie das Land irgendwann abflachte, wie sich der Horizont weitete und das Licht heller wurde. Erst als wir die Brücke zur Insel überquert hatten, wachte ich quasi auf und musterte ganz genau meine Umgebung.

Rechts und links waren weite Äcker, manche gesäumt von Blühstreifen. Wir fuhren an einer riesigen Mastanlage für Hähnchen vorbei. Es stank auf einmal nach Mist. Ein paar kleinere Fabriken gab es auch, mit schwarz rauchenden Schloten. Ansonsten wirkte alles wunderbar leer. Man sah keine Menschen und es gab auch keinen Gegenverkehr.

Da glitzerte die Landschaft vor meinen Augen unter einem weiten Himmel in einer Luft angereichert mit Salzkristallen.

Irgendwann verließen wir das Niemandsland und man sah auf der Seite die Inselhauptstadt in rotem Klinker.

Richtung Marienleuchte bogen wir von der Autobahn ab. Und da war es wieder, das Meer. Es erstrahlte silbern und träge im Abendlicht. Eine frisch geteerte Straße führte uns am Leuchtturm vorbei, und dort, zwischen Marienleuchte und Puttgarden, lag ein völlig neues Hotel, etwas zurückversetzt vom Strand, mitten in der Landschaft.

Der Strand hatte etwas Wildes. Es gab keine Restaurants oder Cafés, keine Promenade, es war einfach ein langer, naturbelassener Streifen. Man war mitten in der reinen Natur, wenn da nicht die riesigen Windräder gewesen wären. Die störten nicht nur optisch. Als wir vor dem Hotel ausstiegen, trug der Wind ein unheimliches Geräusch von ihnen herüber; es machte dumpf und in Staccato-Abständen wusch, wusch.

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