Kitabı oku: «Gerechtigkeit über Grenzen», sayfa 6
Schlussfolgerungen und nachträgliche Einfälle
Die Theorie der Pflichten, die ich hier kurz skizziert habe, ist den meisten von uns erstaunlich vertraut. Sie unterscheidet sich nur wenig von den menschlichen Pflichten, die man im christlichen oder einem anderen religiösen Umfeld antrifft. Und sie hat ihren Weg in die Welt der Sprichwörter gefunden. Viele Entwicklungshilfeorganisationen haben sich ein chinesisches Sprichwort zum Motto gewählt: „Gib einem Menschen einen Fisch, und du ernährst ihn für einen Tag. Bring ihm das Fischen bei, und du ernährst ihn für das ganze Leben.“ Obwohl diese Position traditionell und vertraut ist, wird sie von heutzutage favorisierten ethischen Theorien kaum unterstützt. Utilitaristische Positionen verfolgen das Streben nach Glück, ohne sich um die Erfüllung von Bedürfnissen zu bemühen. Die Menschenrechtsperspektive versäumt es, eine Pflicht zur Unterstützung der Bedürftigen zu begründen. Daher möchte ich diese kurze Skizze mit einigen polemischen Fragen abschließen und nicht mit einem Gefühl der Gewissheit. Wie und warum haben wir es möglich gemacht, dass vage Bilder von maximalem Glück und selbstbezogene Visionen von der Einforderung von Menschenrechten unser Verständnis für so zentrale ethische Elemente wie Gerechtigkeit, Wohltätigkeit und Respekt für die Autonomie des Menschen trüben? Warum sind so viele Menschen sich sicher, dass unsere Verpflichtung dem Anderen gegenüber sich darin erschöpft, dass wir uns nicht in ihre Angelegenheiten einmischen – und letztlich nichts tun?
Wenn menschliche Pflichten sich auf die Forderung nach Achtung vor und Sorge für die Autonomie der anderen gründen, dann finden wir vielleicht eine weitere Aussage von Simone Weil interessant:
Diese Verpflichtung ist dann erfüllt, wenn die Achtung einen tatsächlich und nicht nur vorgeblich wirksamen Ausdruck findet; was nur auf dem Wege über die irdischen Bedürfnisse des Menschen geschehen kann. Das menschliche Gewissen hat diesbezüglich immer unveränderlich gleich geurteilt. Schon die Ägypter vor Tausenden von Jahren glaubten, eine Seele könne nach dem Tode keine Rechtfertigung erlangen, wenn sie nicht sagen könnte: „Ich habe niemand Hunger leiden lassen.“ Alle Christen müssen befürchten, eines Tages aus Christi eigenem Munde die Worte zu vernehmen: „Ich habe Hunger gehabt, und du hast mir nicht zu essen gegeben.“ Jeder stellt sich den Fortschritt in erster Linie als den Übergang zu einem gesellschaftlichen Zustand vor, in welchem die Menschen nicht mehr Hunger leiden.28
Um diesen Sprung zu vollziehen, reicht es tatsächlich nicht aus, dem Bettler am Tor eine Mahlzeit zu geben. Die Chancen in der Moderne sind vielfältiger. Daher ist politisches Handeln ebenso – ja vielleicht noch mehr – gefragt als ein rein individuelles. Natürlich kann kein Mensch alles tun. Doch das wird ohnehin nur jene treffen, die sich eine ausschließlich individuelle Konzeption von menschlichem Bemühen und Erfolg zueigen gemacht haben. Wenn wir im Hinterkopf behalten, dass viele menschliche Bemühungen und Erfolge nicht individuell sind, werden wir das weiter nicht problematisch finden. Wir dürfen also schlussfolgern, dass kein Individuum und keine Institution daran gehindert werden kann, Entscheidungen, die in ihrer Macht stehen, so zu treffen, dass sie die Pflichten gegenüber den Hungernden erfüllen helfen, statt sie zurückzuweisen.
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Recht auf Entschädigung29
Gesetzliche Rechte und Grundrechte auf Entschädigung
In den Debatten liberaler Kreise wurde das Recht auf Entschädigung häufig zitiert und diskutiert. Dabei wird immer wieder das Argument vorgebracht, dass ein grundlegendes (natürliches, menschliches oder moralisches) Recht auf Entschädigung anerkannt werden sollte, weil dies viele Leben verbessern würde. So könnte man in entwickelten Gesellschaften als Wiedergutmachung für die frühere Vorenthaltung gleicher Chancen ein Recht auf Sonderbehandlung in der Ausbildung und im Beruf geltend machen. Oder man könnte davon ausgehen, dass Ungerechtigkeiten aus der kolonialen Vergangenheit durch eine Sonderbehandlung betroffener Drittweltländer in puncto Entwicklungshilfe ausgeglichen werden sollten.
Die Vorstellung von gesetzlichen Rechten auf Entschädigung leuchtet uns unmittelbar ein. Solche Gesetze würden einen (ansatzweisen) Ausgleich für erlittene Schäden vorsehen. Der Schaden, der dadurch behoben werden soll, kann, muss aber nicht durch Fehlverhalten verursacht worden sein. Er kann auch auf Fahrlässigkeit, Zufall oder natürliche Ursachen zurückgehen. Rechtlich gesehen hängt die Entschädigung nicht immer davon ab, dass das Opfer einen Schaden erlitten hat, der sich auf das Fehlverhalten eines anderen zurückführen lässt. Auch werden nicht immer diejenigen, die sich falsch verhalten haben, mit den Kosten der Entschädigung belastet. So gibt es Versicherungspolicen, die vor Schäden durch Katastrophen oder Fahrlässigkeit schützen. Es gibt gesetzliche Rechte, die den Opfern von Gewalttaten Entschädigung zusprechen, aber auch Personen, deren Eigentum beschlagnahmt oder beschädigt wurde, Opfern von übler Nachrede und Kunstfehlern sowie Opfern von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Erdbeben. Juridische Entschädigungsrechte sind eine durchaus übliche Form, dem Leid von Menschen zu begegnen, die in irgendeiner Form geschädigt wurden, ob dieser Schaden nun auf die (kriminellen) Taten anderer zurückzuführen ist, auf ihre eigene Fahrlässigkeit oder eine Naturkatastrophe. Die Existenz solcher Rechte ist kein Beleg dafür, dass das Recht auf Entschädigung in irgendeiner Weise ein Grundrecht darstellen würde. Gesetzliche Entschädigungsrechte haben nicht immer eine moralische Begründung. Und selbst dann steht dahinter nicht unbedingt ein Grundrecht auf Schadensersatz, sondern häufig ein anderer Anspruch oder eine Institution. Und doch wird von vielen das Recht auf Entschädigung als Grundrecht behandelt. Erstaunlicherweise haben diesen Weg einige Libertäre (Laissez-faire-Liberale)30 und – weniger überraschend – viele Wohlfahrtsliberale (die Parteigänger der sozialen Gerechtigkeit) eingeschlagen. Wo dieses Recht allerdings endet, darüber sind die beiden Gruppierungen sich alles andere als einig.
Seit den 1970er-Jahren konzentriert sich die Diskussion über das Recht auf Entschädigung häufig auf Fälle, in denen Armut und Diskriminierung die Chancen einer bestimmten sozialen Gruppe – in den entwickelten Ländern beispielsweise von Frauen und ethnischen Minderheiten – auf Ausbildung und Arbeit angeblich gemindert haben. Die vorgeschlagenen Abhilfestrategien, die meist mehr diskutiert als wirklich umgesetzt wurden, beinhalteten verschiedene Maßnahmen zur Ausbildung und Arbeitsbeschaffung, die die vorher ungerecht verteilten Chancen wettmachen sollten. Das Recht auf Entschädigung wurde gerechtfertigt – oder bestritten – als Möglichkeit, für vergangenes Fehlverhalten Wiedergutmachung zu leisten.
In der Folge rückten internationale Maßnahmen kompensatorischer Gerechtigkeit in den Fokus der Debatte. Eine zentrale Frage war dabei, ob Wiedergutmachung auch den Nachkommen jener Menschen zusteht, die während und nach der europäischen Invasion der nicht-europäischen Welt31 zu Schaden kamen. Häufig geht man davon aus, dass zu den Opfern der einstigen europäischen Expansion auch die Nachkommen jener Menschen zählen, die früher versklavt wurden (d. h. Bürger schwarzer Hautfarbe in den USA), in ihrem eigenen Land zur Minderheit wurden (Aborigines in Australien, Maori in Neuseeland und Indianerstämme in Kanada und den USA) sowie die Nachkommen von Menschen, die über Jahrzehnte kolonialer Herrschaft unterworfen waren, aber von europäischen Siedlern nicht vertrieben worden waren (die heutigen Bewohner ehemaliger Kolonien). Doch die Argumente für ein Recht auf Entschädigung erfahren weitgehend Widerspruch.
Wiederherstellung, Strafe und Entschädigung
Entschädigung ist immer eine sekundäre Reaktion auf eine vorausgegangene Schädigung. Viele Liberale sind der festen Auffassung, dass nur Schäden, die aus der Verletzung von Rechten entstehen, ein Recht auf Entschädigung begründen. Verlust oder Schaden, der selbst verantwortet ist oder auf natürliche Ereignisse zurückgeht bzw. auf andere Vorkommnisse, die keine Rechtsverletzung darstellen, unterliegen nicht dieser Rechtsauffassung. Wenn keine spezifischen gesetzlichen oder sozialen Absprachen bestehen, in solchen Fällen Entschädigung zu leisten, haben die Geschädigten keinen Anspruch an andere, so diese ihre Rechte nicht verletzt haben. (Manche der Autoren weigern sich sogar, Menschen, die eine Schädigung erfahren haben, welche keine Rechteverletzung darstellt, als „Opfer“ zu bezeichnen.)
Bevor wir uns mit dem Recht auf Entschädigung beschäftigen können, müssen wir uns fragen, was Entschädigung eigentlich ist und wie sie sich von anderen Formen rektifikatorischer Gerechtigkeit unterscheidet. Denn selbst wenn Rechte verletzt wurden, ist die Entschädigung nur eine unter verschiedenen Formen der rektifikatorischen Gerechtigkeit. So kann Fehlverhalten auch durch Wiederherstellung des alten Zustands ausgeglichen werden, durch Rückgabe, Entschuldigung, durch Vergebung oder Akzeptanz. Oder aber durch Strafe, die von Ausgrenzung, Zensur, der Todesstrafe oder einer anderen körperlichen Bestrafung bis hin zu modernen Formen des Strafvollzugs reichen kann, zu einem (mitunter nur teilweisen) Verlust der Freiheit und zu verschiedenen Formen sozialer Kontrolle und Überwachung. Zu jeder Form rektifikatorischer Gerechtigkeit gäbe es einiges zu sagen. Ich werde die Wiederherstellung des alten Zustands und die Strafe überblickshaft behandeln, und mich dann stärker auf die Entschädigung bzw. das Recht auf Entschädigung konzentrieren.
Die Wiederherstellung des alten Zustandes versucht, eine Situation zurückzubringen, die vor dem Fehlverhalten gegeben war. Sie stellt weniger eine Reaktion auf Täter bzw. Opfer dar als vielmehr den Versuch, die Beziehung zwischen ihnen erneut in Gang zu bringen. Die konkrete Wiederherstellung – von nationaler Unabhängigkeit oder von Grenzen, von Eigentumsverhältnissen oder von Gefühlen – bleibt meist unvollständig. Selbst nach der Wiederherstellung sind die Verhältnisse nicht mehr so, wie sie einst waren, obwohl man das Resultat als symbolisch für eine vollkommene Wiederherstellung stehend annehmen kann. Manche Arten der Wiederherstellung sind ohnehin rein symbolisch – eine Entschuldigung, die zugehörige Vergebung und gegenseitige Akzeptanz können das Unrecht ja nicht wirklich aus der Welt schaffen, sondern es (bestenfalls) ungeschehen machen.
Die Wiederherstellung kann nicht durch Stellvertreter erfolgen. Das, was verloren ging, oder sein symbolisches Äquivalent muss tatsächlich von denen kommen, die Unrecht getan haben, oder von deren Erben bzw. Nachfolgern. Die Restauration der Stuart-Monarchie in England und Schottland 1660 konnte ja Charles I. nicht wieder auf den Thron hieven. Er war hingerichtet worden. Aber sie konnte seinen Erben, den die Royalisten als König anerkannten, auf den Thron setzen. Das geschah nicht durch das Parlament, das Charles I. abgesetzt hatte, sondern durch spätere Führer des Landes, die während des Interregnums in beiden Lagern gestanden waren. Man erkannte dem König auch nicht das volle Ausmaß der früheren Rechte zu, aber doch eine ganze Reihe. Was also Restaurationen anging, so war diese weitgehend vollständig. Der rechtmäßige König erhielt seinen rechtmäßigen Thron zurück. Die symbolische Angemessenheit des Getanen wurde von allen Betroffenen akzeptiert, was notwendig war, wenn man dies als echte Restauration bezeichnen sollte: Es hätte nichts gebracht, hätte man Charles II. einen anderen Thron zuerkannt. Oder seinen Thron einem anderen König. Ein anderes Beispiel symbolischer Angemessenheit ist die öffentliche Rückgabe der Jagdgebiete und heiligen Stätten der Aborigines an die Nachfahren derer, denen sie unrechtmäßig genommen wurden. Man hätte nicht von Wiederherstellung des alten Zustands sprechen können, wenn man dem Volk die gleiche Anzahl an Quadratkilometern zugewiesen hätte oder eine Ausgleichszahlung. Auch nicht, wenn man den Aborigenes erlaubt hätte, ihr verlorenes Land zurückzukaufen.
Eine symbolische Restauration erfordert nicht, dass das spezifische verlorene Gut, der verlorene Status oder die verlorene Beziehung wiederhergestellt wird (was manchmal unmöglich ist). Sie verlangt vielmehr, dass derjenige, der Unrecht getan hat, oder seine von beiden Seiten anerkannten Erben bzw. Vertreter, die Schuld anerkennen und dass diese Anerkenntnis auch von jenen getragen wird, denen sie Unrecht getan haben – oder ihren wechselseitig anerkannten Erben bzw. Vertretern. Es ist nichts erreicht, wenn jemand anderer als derjenige, der für das Unrecht verantwortlich ist, „sich entschuldigt“. Oder wenn jemand anderer als das Opfer diese Entschuldigung „akzeptiert“ bzw. „vergibt“. Die Wiederherstellung des alten Zustandes mag die weitreichendste Reaktion auf die einstmalige Verletzung von Rechten sein und auch die einzige, die vergangenes Unrecht wirklich ungeschehen macht. Doch sie ist meist kaum durchführbar und in öffentlichen Dingen häufig nicht angemessen.
Nichtsdestotrotz lässt sich eine symbolische Restauration auch im öffentlichen Leben erreichen, wenn die Vertreter einstiger Täter die Verantwortung für die Verbrechen übernehmen, die ihre Vorfahren begangen haben. So entschuldigte sich 1990 der Präsident der Bundesrepublik Deutschland im Namen des deutschen Staates (der nach internationalem Recht der Nachfolger des Dritten Reiches ist) bei der (damals noch existierenden) Tschechoslowakei für die 1938/39 erfolgte Invasion und Annexion des Landes durch die Nazis. Der tschechoslowakische Präsident Vaclav Havel wiederum entschuldigte sich für die Vertreibung der Deutschen aus tschechoslowakischen Gebieten nach dem Krieg. Man änderte keine Grenzen, tauschte keine Raubkunst aus: Es ging einfach nur darum, die Beziehungen zwischen beiden Ländern wiederherzustellen, indem man wechselseitig das Unrecht der Vergangenheit auf beiden Seiten anerkannte. Ein ähnliches symbolisches Schuldanerkenntnis vonseiten eines Staates gab es, als die chilenische Wahrheits- und Versöhnungskommission in einer Situation, in der kein individueller Täter ausgemacht und bestraft werden konnte (Es hatte eine Amnestie gegeben.), zumindest die Schuld anerkannte, die auf beiden Seiten aufgehäuft worden war. Dies geschah durch eine feierliche und offizielle Aufzählung aller Verbrechen, die vonseiten des Staates und seiner (anonym bleibenden) Offiziere und Beamten begangen worden waren. Grundlegend dafür waren die Berichte der Opfer: Diese öffentliche Anerkennung der Aussagen, der Ehre und Unschuld der Getöteten und Gefolterten und des Unrechts, das ihnen geschehen war, machte symbolisch einiges wieder gut. Es benannte die Opfer, nicht die Täter. Es wurde niemand beschuldigt, doch beweisrelevante Belege wurden an die Gerichte weitergegeben.32
Das Thema Strafe kommt in Diskussionen über rektifikatorische Gerechtigkeit häufiger zur Sprache als die Wiederherstellung des alten Zustandes. Wie Letztere kann auch Strafe nicht stellvertretend übernommen werden: Und doch ist sie keine Reaktion auf zerbrochene moralische Beziehungen, sondern einzig und allein auf frühere Vergehen. Und es gibt natürlich viele verschiedene Formen der Bestrafung. Ausgrenzung wird zwar wenig diskutiert, dafür aber umso häufiger angewendet und vertreten. (Man erinnere sich nur an die Funktion von Sibirien als Verbannungsort und andere Formen der Ausgrenzung in modernen Staaten. Oder aber an Arendts hypothetisches Urteil über Eichmann, den sie ins totale „Exil von der Welt“ schicken wollte.) Auch Zensur spielt eine gewisse Rolle in modernen Theorien der Strafe, während die Todesstrafe und andere Formen körperlicher Bestrafung abgelehnt werden zugunsten von Formen sozialer Kontrolle wie Gefängnis, Überwachung, Bußgelder und anderer (auch teilweiser) Einschränkungen der Freiheit. Die Kontroversen, welche Form Strafen annehmen sollten, beherrschen seitdem die Diskussion über rektifikatorische Gerechtigkeit. Es gibt höchst unterschiedliche Ansichten über die Bedeutung von Vergeltung für begangenes Unrecht, Verhinderung weiterer Straftaten und Schutz möglicher Opfer vor künftigen Verbrechen.
Die Entschädigung ist ein weiterer, eigenständiger Ansatz, vergangenes Fehlverhalten und den dadurch entstandenen Schaden auszugleichen. Sie bezieht sich weder auf moralische Beziehungen noch auf die Täter, sondern einzig auf die Geschädigten. Es handelt sich dabei um eine ganz eigene Form rektifikatorischer Gerechtigkeit, denn sie muss in einer Hinsicht Stellvertretern offenstehen und kann dies in einer anderen.
Opfer erhalten eine Entschädigung, wenn jemand ihnen einen äquivalenten, aber nicht identischen Ersatz (stellvertretend) für ihren Verlust oder Schaden anbietet. Und das Äquivalent selbst kann stellvertretend angeboten werden, zum Beispiel von Menschen, die für den Verlust oder Schaden nicht verantwortlich sind (Steuerzahler späterer Generationen). Entschädigung unterscheidet sich von der Restauration darin, dass sie nicht zurückgibt, was das Opfer verloren hat: Jemand, der ein gekidnapptes Kind seinen Eltern zurückgibt oder ein gestohlenes Auto seinem Eigentümer, leistet keine Entschädigung, sondern eine (möglicherweise nicht vollständige) Wiederherstellung. Entschädigung unterscheidet sich auch von der Strafe. Die Strafe versucht, Fehlverhalten zu bereinigen, indem sie sich auf die Täter konzentriert. Die Opfer finden dabei meist weniger Beachtung, genauso wenig wie die Beziehung zwischen Opfer und Täter.
Diese kurzen Anmerkungen zu Wiederherstellung, Strafe und Entschädigung zeigen nicht nur, dass es sich dabei um unterschiedliche Korrektive handelt, sondern auch, dass jedes in einem umfassenden Bild der rektifikatorischen Gerechtigkeit seinen ganz eigenen Platz hat. Denn deren Ziel muss es sein, Überlegungen anzustellen, was nötig ist, um die vormaligen Beziehungen zwischen Tätern und Opfern wiederherzustellen, und daneben aufzeigen, was mit den Tätern und mit den Opfern geschehen soll. Führen wir jedoch unsere Überlegungen weiter, dann gelangen wir zu der Erkenntnis, dass eine adäquate Wiederherstellung sowohl der Strafe als auch der Entschädigung zuvorkommt. Sobald eine Fehlhandlung sozusagen gelöscht ist, gibt es nichts zu strafen und nichts zu entschädigen. Adäquate Wiederherstellung mag in der faktischen Wiederherstellung dessen bestehen, was unrechtmäßig genommen wurde. Oder in einer symbolischen Rückgabe und einer symbolischen Bestrafung, die darauf abzielt, für etwas „Wiedergutmachung“ zu leisten. Wenn es zur Wiederherstellung kommt, ist dies keine Entschädigung. Hier wird kein materielles Äquivalent übereignet. Außerdem kann die Wiederherstellung nicht von irgendjemandem geleistet werden. Sie ist vielmehr ein symbolisches Angebot vom Täter an das Opfer (bzw. ihre jeweiligen wechselseitig anerkannten Nachfolger), das die frühere Beziehung wiederherstellen soll. Daher wird durch diesen Akt sowohl die Entschädigung als auch die Strafe überflüssig, beides würde sogar beleidigend wirken.
Angebote zur Entschädigung sind daher unabhängig von Vorschlägen, jene zu bestrafen, die andere diskriminiert oder ihre Rechte in anderer Form verletzt haben. Die Täter könnten ja schließlich schon lange tot oder schlichtweg unbekannt sein. Die Opfer von Unglücksfällen oder Verbrechen können ja auch entschädigt werden, wenn niemand weiß, wer für die Taten ursächlich verantwortlich ist, was bedeutet, dass auch niemand bestraft werden kann.
Diese allgemeinen Ausführungen sagen nichts aus über das Recht auf Entschädigung, das Gegenstand einiger Diskussionen ist. So haben zum Beispiel viele der Laissez-faire-Liberalen Bedenken, was das Recht auf Entschädigung angeht, außer im Falle von Verstößen, bei denen die Verantwortlichen klar identifiziert und für Entschädigungsleistungen an die Opfer herangezogen werden können. Vor diesem Hintergrund ist das Recht auf Entschädigung symmetrisch zum Recht auf Strafe. Und jede gerechtfertigte Entschädigung erfordert eine Partei, die den Schaden verursacht hat, und eine, die ihn erlitten hat. Die Wohlfahrts- oder Sozialliberalen wiederum sind zwar damit einverstanden, dass bei Rechtsverletzungen eine Entschädigung fällig wird. Doch sie lehnen den Gedanken ab, dass die Verpflichtung zur Entschädigung nur jene trifft, die für den speziellen Schaden verantwortlich sind. Rechteverletzungen, die durch bestimmte soziale Praktiken geschehen, begründen in ihren Augen das Recht auf Entschädigung, selbst in Fällen, wo es schwierig oder unmöglich ist, die Täter zu identifizieren.