Kitabı oku: «Der sechste Sinn», sayfa 11
Ein spannender Auftritt
Thomas Klem ging mit raschen Schritten den schmalen festgetretenen Pfad durch den Park entlang, der im Laufe dieser Erzählung von nicht wenigen eilenden Füßen bevölkert worden ist. Tyr tanzte an seiner Seite wie ein muntres Hündchen, gewaltig stolz, daß der große Vetter, den er in seinem begeistrungsfähigen Kinderherzen aufs höchste bewunderte, ihn zu einem Spaziergang eingeladen hatte.
Sie sprachen ein bißchen von Schlitten und Flugmaschinen, bis Thomas plötzlich sagte:
»Sage mir, Tyr, welche von Deinen Schwestern hast Du am liebsten?«
»Tine,« antwortete Tyr ohne sich zu bedenken.
»Ich auch,« sagte Thomas unwillkürlich.
Das wußte Tyr wohl; er grinste verschmitzt.
»Warum hast Du Tine am liebsten?« fragte Thomas pädagogisch.
»Monny neckt einen immer,« lautete die Antwort.
»So neckst Du sie wohl wieder?«
»Manchmal,« mußte Tyr zugeben.
Thomas packte Tyr mit freundschaftlichem Griff. »Sage mir, mein Junge, hast Du je Monny Verdruß bereitet? Du sollst mir jetzt antworten. Ich will Dir sagen Tyr, ich glaube es, und ich habe Grund es zu glauben.«
Tyr protestierte.
Thomas fuhr fort. »Es ist mir beinahe gewiß, und wenn Du mir nicht alles erzählst, werden wir nie wieder gute Freunde.«
»Wahrhaftig, ich habe es nicht!« dabei blieb Tyr.
Thomas spezialisierte seine Beschuldigung. »Ich will Dir nämlich erzählen, ich weiß, daß Du Stine einmal überrascht hast und gesehen, wie sie einen Brief in ein Fach des alten Sekretärs, der zu Haus in eurer Wohnstube steht, legte. Willst Du das etwa leugnen, sieh mich an, Du wirst dunkelrot! Du mußt nicht lügen! Wenn ich Dich frage, mußt Du die Wahrheit sagen!«
Tyr begann zu wünschen, er wäre zu Haus geblieben.
»Ich habe es nur ein einziges Mal gesehen,« gab er zu und blieb zurück.
»Wann?« fragte der Richter. »Nein, komm her an meine Seite.«
»Da liegt so viel Schnee,« wandte Tyr ein.
»Unsinn,« sagte Thomas, »ein tüchtiger Junge in Wasserstiefeln geht dem bißchen Schnee nicht aus dem Wege. Ich will wissen, wann Du sie überraschtest.«
»Mittwochs,« kam es leise von Tyrs Lippen. Er war glühend rot.
»Und dann schwatztest Du natürlich?« fuhr der unbarmherzige Untersuchungsrichter fort.
»Ich habe es nur einem einzigen Menschen gesagt,« führte Tyr als einen im hohen Grade mildernden Umstand an.
»Wem?« lautete die nächste Frage.
»Muß ich es sagen?« fragte der arme Sünder.
»Ja, Du mußt.« Es klang wie ein Befehl.
»Niels!« kam es zögernd.
Thomas nahm ihn bei den Ohren: »Schäme, Dich, Junge, warum schwatztest Du?«
Dann fiel ihm ein, daß der Zeitpunkt von Bedeutung für die Gedankenreihe war, die er im Begriff stand, aufzubauen. »Wann schwatztest Du, Du böser Bube?« fuhr er fort, indem er ihn schüttelte.
Tyr war es, zart ausgedrückt, übel zumute.
»Es war Sonnabend abend,« brachte er mühsam hervor. »Niels hatte mir erzählt, da wäre einer, der im Park draußen hinter Monny her wäre, und er glaubte, es wäre einer, der ein Stelldichein mit ihr hätte. Und weil mich Monny so geneckt hatte, da wollte ich sie wieder necken, und da erzählte ich es Niels, weil ich wollte, Niels sollte am Morgen den Brief nehmen und ihn einem geben, der ihn, wie ich wußte, gern würde haben wollen.«
Tyr bekam einen Puff, daß er in den Schnee purzelte.
»Warum nahmst Du ihn nicht selbst,« fragte Thomas. – Es war von Wichtigkeit, das Verhör fortzusetzen.
»Nein, denn ich bin Sonntags nie so früh auf,« sagte Tyr, »und es war ja Sonntag. Und da fand ich es so fad.«
»Wer sollte die Geschichte mit dem Brief erfahren?« fragte Thomas, der jetzt ganz von seinen eignen Gedanken eingenommen war.
Tyr antwortete nicht.
»Willst Du antworten, Junge!« sagte der Assessor scharf.
»Der Ingenieur,« flüsterte Tyr glühend rot.
»Das heißt also, Du sagtest Niels, er sollte Willumsen erzählen, daß ein Brief im Sekretärfach läge, den Willumsen nehmen sollte, obwohl er nicht für ihn bestimmt war. Wie?«
Tyr ließ die Ohren hängen und blieb zurück seine Munterkeit war verschwunden.
»Kannst Du nicht begreifen, daß Du etwas sehr häßliches getan hast?«
»Doch, aber es ist so gar nicht sicher, daß Niels es dem Ingenieur erzählt hat!« wandte Tyr mit Aufbietung seines ganzen Selbsterhaltungstriebes ein. »Und selbst wenn er es gesagt hätte, so ist der Ingenieur doch so ein anständiger Mann, daß es ihm nie einfallen könnte, einen Brief zu nehmen, der nicht für ihn bestimmt ist, und dann ist es ja auch nicht sicher, daß überhaupt ein Brief da war.«
»Halt den Mund, Junge!« fuhr ihn Thomas an.
Es war nämlich wirklich beachtenswert, was der Junge sagte. Kaum wahrscheinlich war es, daß Willumsen die Gastfreundschaft so mißbraucht haben sollte daß er sich heimlich einen Brief aneignete, der nicht für ihn bestimmt war. Und in diesem Fall war die ganze Sache ohne Bedeutung. Aber es blieb immer ein Punkt übrig, den Thomas untersuchen mußte, nämlich, ob es sich so verhielt, daß die Aufmerksamkeit des Ingenieurs auf den Sekretär gelenkt worden war. Mittwoch abend hatte Tyr von den Briefen erfahren, Sonnabend abend hatte er sein Wissen weitergegeben und Sonntag morgen konnte . . .
Hier machte Thomas halt. Sollte er seinen Verdacht direkt gegen Ingenieur Willumsen richten? Er kannte den Mann nicht; das war eine dürftige Grundlage für einen Verdacht, aber gegeben war es, daß Willumsen erfahren haben konnte, daß der Sekretär als Aufbewahrungsort für das Geld diente. Und mit dieser Möglichkeit trat der Ingenieur in den Kreis der Verdächtigen ein.
Doch zugleich öffnete sich die Möglichkeit, daß es ein ganz andrer gewesen wäre, eine vierte Person, wenn man die Spuren weiter verfolgte, die sich dem Assessor bei seiner Untersuchung in allzugroßer Zahl ergeben hatten. Er mußte Geduld haben, aber gerade darum war es nötig, daß er selber aktiv eingriff, und in tiefen Gedanken, ohne Tyr, der beschämt hinter ihm herschlich, zu beachten, beschleunigte er seinen Gang nach dem Waldhüterhaus, wo die Ereignisse auf ihn warteten.
Jetzt stehen wir nämlich unmittelbar vor dem spannendsten Moment. Es erweist sich deshalb als notwendig, eine Übersicht über Zeit, Ort und Ereignisse vorzunehmen, da es sonst, bei der Fülle der Begebenheiten, die sich an diesem einen Tage abgespielt haben, vielleicht schwierig ist, sie alle auseinanderzuhalten und sie stets gegenwärtig zu haben.
Es war 10 Uhr, als der Kreisrichter und der Assessor ankamen; das Frühstück wurde etwas zeitiger als sonst eingenommen, und die Mahlzeit war kurz nach zwölf beendet. Das große Verhör über Klemmesen fand gegen halb ein Uhr statt, zur gleichen Zeit machte Monny ihren Besuch bei Arthur Franck im Waldhüterhaus und hatte die Begegnung mit Willumsen auf der Landstraße. Gegen ein Uhr war Niels im Verhör, und nach ihm kam die Reihe an Willumsen und Klemmesen. Darauf begaben sich Niels und Klemmesen auf die Expedition, deren weiteren Verlauf der Leser noch zu erfahren hat, und während die beiden sich langsam ihrem Ziele näherten, ging Willumsen nach dem Waldhaus, um seine eigenmächtig übernommene Mission auszuführen. Das kurze Verhör und Monnys Beichte änderten die Pläne des Assessors, und während Monny zur Rettung des Geliebten hinauseilte, verschaffte Thomas sich das Wissen, das von Tyr auf dem Wege nach dem interessanten Brennpunkte noch ergänzt wurde. Unterdessen war es drei Uhr geworden und um fünf sollte das Mittagessen stattfinden.
Thomas hatte also seine Zeit gut gebraucht.
Aber die im Waldhüterhaus draußen?
Dort hatten wir ja Monny um Arthurs Hals und Willumsen beiden gegenüber verlassen.
Monny mußte in dem Ingenieur einen bitteren Feind sehen, und jetzt, wo es galt Arthur zu retten, wollte sie dem Feinde trotzen, und wenn sie ihm die Augen auskratzen müßte. Monny war bereit für den, den sie liebte, zu kämpfen.
Aber Willumsen wollte garnicht als Feind auftreten. Es handelte sich für ihn darum, die Situation zu retten; er hatte im Augenblick alle Hoffnung aufgegeben, seinen Rivalen um Monnys Gunst zu schlagen; das einzige, woran er denken konnte, war, ihn in der Stille fortzubringen. Insofern waren seine Pläne denen Monnys durchaus nicht entgegen.
Nur ein Ding war unmöglich: – Arthur Franck konnte nicht fliehen; und das war es, was Willumsen mit freundlichen Worten Monny begreiflich zu machen suchte. Sie starrte ihn an mit Blicken wie ein umzingelter Königstiger. Sie wollte nicht an seine friedlichen Absichten glauben; ihr Instinkt sagte ihr, daß er der Feind war, und ihr Instinkt wollte nicht schweigen, trotz seiner überredenden Worte.
Willumsen wiederholte Monny das meiste von dem, was er Arthur gesagt hatte; er sprach allein; die beiden antworteten nicht, aber es verging geraume Zeit mit dem Gerede, und man kam nicht weiter.
Da ertönten Schritte draußen, und Monny verstand, daß es die Absicht des Feindes gewesen war, die Flucht zu verzögern – bis die Verstärkungen aufmarschiert wären.
Der Schein war gegen Willumsen.
Er sprang rasch zur Tür und schloß sie ab.
Draußen erscholl Klemmesens Stimme.
»Aufgemacht im Namen des Königs und des Gesetzes, die Polizei ist da!«
Niels begann die Tür mit den Füßen zu bearbeiten, aber sie war solid, aus altem guten Eichenholz.
Willumsen parlamentierte:
»Ich bin es, Klemmesen,« sagte er. »Ich habe den Befehl des Assessors. Sie können ruhig nach Hause gehen, ich werde das übrige besorgen.«
Aber Klemmesen erinnerte sich, daß der Assessor ein Stück von Willumsen abgerückt war; und stolz auf den Besitz des größeren Vertrauens, lehnte er einfach den Ingenieur als Parlamentär ab. Niels hatte eine geraume Zeit beim Konsumverein im Dorf gewartet und sich seiner Gewohnheit treu fleißig die Nase begossen. Er war voller Tatendrang und Wagemut und machte gemeinschaftliche Sache mit Klemmesen, der von seiner langen Umgehung etwas steif gefroren war. Die Umgehung war etwas länger als wünschenswert ausgefallen, weil er den Versuch gemacht hatte, den Waldhüter zu treffen, da er Niels nicht ganz traute, denn er hatte ihn unvorsichtigerweise eine lange Umgehung machen lassen, die unglücklicherweise an einem Branntweinausschank vorbeigeführt hatte.
»Aufgemacht im Namen des Gesetzes, es ist die Polizei!« wiederholte Klemmesen und Niels trat wieder gegen die Tür.
»Ist Polizeidiener Hansen mit?« fragte Willumsen von drinnen.
»Wir brauchen keinen Polizeidiener, wir sind unsre eigne Polizei!« rief Niels mit heiserer Branntweinstimme.
Willumsen wandte sich zu den beiden.
»Es ist nichts weiter,« sagte er; »es sind nur Klemmesen und Niels; der letztere scheint ganz gehörig eingeheizt zu haben, es hat also keine Gefahr. Es ist nur notwendig, daß ich die beiden Menschen zur Vernunft bringe, und ich hoffe, das wird glücken. Sie können mir ruhig vertrauen! Ich gehe jetzt hinaus zu ihnen, und wenn Sie wünschen, können Sie ja die Tür hinter mir zuschließen.
Arthur nickte. Monny begann ein wenig Zutrauen zu dem Ingenieur zu fassen. Es war doch möglich, daß Sie sich geirrt hatte.
Die Tür flog auf, sie öffnete sich nach außen und Niels taumelte zurück. Mit einem Satz war Willumsen über die Schwelle, und die Tür wurde hinter ihm zugezogen.
Der Ingenieur stand jetzt draußen in dem kleinen Vorzimmer; Niels rieb sich das Hinterteil, das in etwas unsanfte Berührung mit dem Rahmen der Außentür gekommen war.
»Was zum Henker soll das heißen,« zischte Klemmesen, »halten Sie es mit dem Dieb?«
»Pst,« sagte Willumsen, »Fräulein Monny ist drinnen bei ihm.«
»Monny!« rief Niels, »drinnen bei dem Dieb! Er tut ihr ein Leid an! Aufgemacht im Namen des Gesetzes!«
Und Niels hämmerte wieder auf die Tür los.
»Hören Sie jetzt einmal, Niels,« sagte Willumsen fest, »Sie sind ja betrunken – jawohl. Wollen Sie die Güte haben, sich wie ein ordentlicher Mensch aufzuführen. Es ist ein junger Mensch drinnen, den der Assessor kennt, und der Assessor wird die Sache schon in Ordnung bringen. Sie und Klemmesen können ruhig nach dem Gut zurückgehen. Ich werde für den Rest sorgen. Im Bösen richten Sie bei mir nichts aus, und ich bin gewohnt, meinen Willen im Guten zu kriegen.«
Niels rieb sich seinen Schenkel.
»Was geben Sie?« schmunzelte er.
Willumsen lächelte; er kannte den Universalbalsam, der die geheimsten Türen bei Niels aufschloß.
Niels bekam zwei Kronen und ging damit in die inaktive Reserve über. Aber Klemmesen war nicht gesonnen, sich in dieser Weise lumpen zu lassen. Die Sache war nämlich die, daß dem Verwalter nach der inhaltsreichen Zusammenkunft mit dem Assessor die Augen dafür aufgegangen waren, daß der Weg zu Rahel versperrt war. Es war vergeblich, daß er den Mund nach Tine spitzte. Aber Lea war noch übrig. Und im selben Augenblick, wo er sein Begehr auf Monny richtete, hörte die Interessengemeinschaft auf, die sich zwischen ihm und dem Ingenieur entwickelt hatte. Willumsen war nicht länger sein Freund, sondern ein gefährlicher Nebenbuhler. Für den braven Mann galt im Kartenspiel wie in der Liebe keine Brüderschaft, und wenn es darauf ankam, wollte er dem Ingenieur schon zeigen, wer von ihnen beiden am festesten Fuß auf Braendholt gefaßt hätte.
Alles das bestimmte seine Taktik und machte ihn feindlich und unwillig gegen den Ingenieur. Es stimmte ihn auch nicht milder, daß seine vom Spiritus bezwungenen Hilfstruppen auf die schnödeste Weise zum Feinde übergingen.
»Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Ingenieur,« sagte er. »Ich habe den Befehl, den jungen Menschen zum Assessor aufs Gut zu bringen. Er ist des Diebstahls verdächtig. Der Assessor will nicht, daß sich die Polizei einmischt, er verläßt sich auf mich, und das kann er ruhig. Ich bleibe hier, keiner soll lebend das Haus verlassen, solange ich hierstehe, machen Sie mit dem Wicht dort was Sie wollen. Und im übrigen können Sie nach dem Gut gehen und die persönlichen Befehle des Assessors holen! – Aber schriftlich, Freundchen – das ist das einzige, wovor ich mich beuge.«
Und Klemmesen brüstete sich in all seiner Macht wie ein prächtiger Hahn auf dem heimatlichen Misthaufen. Das war kein dummer Gedanke; im Grunde erreichte Klemmesen gerade auf diesem Wege, was er wollte, und das Ende vom Liede war, daß Niels nach dem Hofe zurückgeschickt wurde, um nähere Ordre aus dem Hauptquartier zu holen.
Drinnen in der Stube saßen Monny und Arthur schweigend auf der Bettkante; sie lehnte den Kopf an seine Schulter und weinte. Er fand, es war eine fatale Situation, in die er geraten war, und verwünschte seinen jugendlichen Leichtsinn. Er war an den Ort gebunden, in einer Falle gefangen und außerstande zu entwischen.
Monny, wollte er, sollte durchs Fenster flüchten, aber davon wollte sie nichts hören. So blieben sie also sitzen, während Arthurs Reisetasche, die seine wenigen Habseligkeiten und ein paar besonders wichtige Papiere enthielt, auf dem Tisch am Bett stand und darauf wartete, von den Siegern beschlagnahmt zu werden.
Daran dachten die beiden nicht einmal, sie saßen dicht aneinandergeschmiegt wie zwei von der russischen Polizei in einer Hütte belagerte Nihilisten.
Im Grunde war es sehr traurig.
In der Wohnstube des Waldhüters saßen Klemmesen und Willumsen. Auch diese beiden sprachen nicht mit einander. In den Augen des Verwalters lauerte Haß, und Willumsen war mit seinen Plänen beschäftigt. Wie er den Assessor kannte, konnte er vorausberechnen, daß dieser sich persönlich nach der belagerten Festung hinausbegeben würde. Wie das Ganze sich entwickeln würde, hing von ihm allein ab. Der junge Mensch würde kaum Widerstand leisten, sondern sich in das Unvermeidliche finden, und was Monny anlangte, so galt es nur Geduld zu haben.
Während alles dies vor sich ging, war die sehnsüchtig erwartete Hauptperson in dem spannenden Drama auf dem Wege zum Schauplatz der Ereignisse. Niels wählte den Waldweg mehr aus Instinkt als eigentlich aus Berechnung, denn der Weg übers Feld war, wie schon erwähnt, der nähere; so kam es, daß er an dem Gatterübergang auf Thomas und Tyr stieß, die, wie wir wissen, auf dem Wege hinaus waren.
Von Niels erhielt Thomas eine mehr drastische als eigentlich zusammenhängende Darstellung von dem, was vorgegangen war, nur mit Weglassung der kleinen Schnäpse, die Niels in der Wartezeit hinter die Binde gegossen hatte; aber sie sprachen in dem Schlucken des braven Automedon so deutlich mit, daß es dem Assessor nicht verborgen bleiben konnte, welche Rolle sie für seinen Gewährsmann bei der Entwicklung der Ereignisse gespielt hatten.
Thomas schüttelte den Kopf, aber seine Tätigkeit hatte ihn in so nahe Berührung mit der Wirkung des Alkohols gebracht, daß er wußte, es ist ganz überflüssig, zu versuchen, einem berauschten Mann klar zu machen, daß er unter dem Einfluß von Spiritus stehe. Er entnahm dem Bericht das Wesentliche und überließ Tyr die unmittelbare Belustigung, die sich an Niels mit der Zeit recht wohl proportionierten Rausch knüpfen ließ.
Klemmesen war der erste, den der Assessor draußen traf. Der gute Verwalter hatte das Bedürfnis gefühlt, frische Luft zu schöpfen und sich in die Tür des Waldhüterhauses gestellt, seinen Kompagnon und Nebenbuhler in der schwülen kleinen Stube seinen eigenen Betrachtungen überlassend.
Von ihm erhielt Thomas eine Bestätigung der von Niels schlucksend vorgebrachten Erzählung, und es war dem Assessor augenblicklich klar, daß es eines festen und energischen Auftretens von seiner Seite bedurfte, damit die Ereignisse weiter rollten auf dies oder jenes unberechenbare Endziel los. Er musterte sein Heer.
Willumsen erschien jetzt in der Tür, er hatte die Unterhaltung draußen gehört und wünschte zuerst mit dem Assessor zu sprechen. Rein numerisch war nichts im Wege, die Belagerten waren also zwei, ein Mann und ein Weib. Die Belagerer waren ganze fünf, Tyr eingerechnet. Von diesen fünf war Niels sternhagelvoll, indem sein kleiner Rausch in der starken Kälte von Minute zu Minute von selber wuchs. Tyr war minderjährig und non combattant; Willumsen war für einen der Eingesperrten persönlich interessiert, und Thomas fand heraus, daß er sich in Wirklichkeit nur auf sich selbst und den braven Verwalter verlassen konnte.
Aber auf Klemmesen meinte er sich auch wirklich verlassen zu können. Sein erster Gedanke war, einen Teil seiner Heeresmacht ins Hauptquartier zurückzuschicken, und nur mit wenigen aber erprobten Truppen ins Feuer zu gehen. Willumsen verhinderte diese Taktik, indem er sich vordrängte und eine Unterredung mit dem Assessor begehrte.
Thomas empfing ihn mit gerunzelten Brauen.
»Herr Ingenieur,« sagte er, »ich schätze es nicht, daß man die Verabredungen, die man mit mir getroffen hat, bricht. Wir hatten uns geeinigt, daß Sie erst nach Mittag hierher gehen sollten. Ich hatte gewünscht, daß Sie und Hansen einige Untersuchungen vornehmen sollten, von denen ich mir Erfolg versprach. Sie gingen Ihre eignen Wege ohne mich davon zu unterrichten. Ich möchte Ihnen sagen, daß ich das nicht schätze und daß Sie in Zukunft nicht auf mein Vertrauen zu rechnen haben!«
Willumsen erwiderte: »Der Herr Assessor haben auch mir gegenüber unsre Abmachung gebrochen. Sie übertrugen es mir, den jungen Menschen nach dem Gute zu bringen, und nun sehe ich, daß Sie ohne etwas zu sagen, Klemmesen und Niels herausgeschickt haben. Ich habe kein Recht mich zu beklagen, aber Vertrauen beweist es jedenfalls nicht.«
Thomas nickte. »Ich habe das Recht des Richters vorsichtig zu sein und Argwohn zu hegen. Ich wünschte nicht, daß Sie mit dem jungen Manne redeten. Nun haben Sie also mit ihm gesprochen. Was für einen Eindruck haben Sie erhalten?«
»Daß er der Dieb ist,« sagte Willumsen bestimmt. »Es war meine Absicht die Sache so zu ordnen, daß ein Skandal vermieden würde. Jetzt hat der junge Mann das selber unmöglich gemacht und muß sich nun in sein Schicksal finden.«
»Sieh an,« erwiderte Thomas und warf den Kopf zurück. »Sie vergessen mein guter Herr, daß Sie nicht die Polizei hier sind, und daß Sie, wenn Sie sich nicht einmal nach erteilten Befehlen richten, kaum erwarten können, wieder zu Rate gezogen zu werden. Sie sollten nach Hause gehen.«
Willumsen richtete sich empor.
»Ich will ungern dem Herrn Assessor zuwiderhandeln, aber ich ziehe vor, hier zu bleiben.«
»Sieh einmal an,« sagte Thomas lächelnd. »Sie stellen sich also auf die Hinterbeine.«
»Ich habe erfahren,« erwiderte Willumsen sehr bestimmt, »daß der junge Mann ein Bekannter von Ihnen ist.«
»Wer hat das gesagt?« fragte Thomas kurz.
»Er selber,« lautete die Antwort. »Sie können die Geschichte vielleicht selbst ordnen, Herr Assessor; aber da ich einmal hineingezogen bin, so verlange ich auch dabei zu sein. Wenn nicht aus einem andern Grunde, so, weil ich voraussetzen kann, daß Sie, Herr Assessor, wenn Sie ihn aus den angeführten Gründen laufen lassen, ihren Verdacht vielleicht auf mich richten werden, und dem wünsche ich mich nicht auszusetzen.«
»Sie sind sogar ein ganz vernünftiger Kerl,« sagte Thomas und klopfte dem Ingenieur auf die Schulter, »und deshalb sollen Sie trotz ihres Mangels an Subordination die Erlaubnis erhalten, noch ein wenig mit zu spielen. Fangen wir also an!«
Thomas schritt zur Tür, die die beiden Belagerten deckte.
»Monny,« rief er und klopfte an die Tür. »Ich bin es, Thomas!«
Drinnen folgte eine leise Beratung.
»Monny,« wiederholte Thomas, »schließ auf.«
Es dauerte eine Weile, bis die beiden sich einigen konnten, aber schließlich ging Arthur an die Tür und schloß sie auf.
»Herr Assessor,« sagte er, »ich muß mit Ihnen reden.«
Monny verbarg sich in einem Winkel in der kleinen Fremdenstube.
»Wer sind Sie?« fragte Thomas.
»Sie kennen mich doch!« lautete die Antwort.
»Ich habe nicht die Ehre,« antwortete Thomas spöttisch. »Hier ist es alles andere als hell. Wollen Sie so freundlich sein, in den Salon einzutreten. – Und Du, Monny, kannst nach Hause gehen.«
»Ich bleibe hier,« sagte Monny trotzig.
Thomas zuckte die Achseln. »Gut, so bleibst Du hier!«
Die beiden Friedlosen wurden also in die Wohnstube hineingelassen, wo Willumsen und Klemmesen bereits Aufstellung genommen hatten. Niels hatte sich draußen auf die steinernen Treppenstufen gesetzt und war im Begriff einzuschlummern. Tyr stand in der Türfüllung und guckte mit erstaunten Augen zu.
Thomas betrachtete den Gefangenen. »Also Ihr Name?«
»Sie kennen mich gut, Assessor Klem,« sagte Arthur keck. »Ich wünsche meinen Namen nicht vor den Leuten hier zu nennen.«
Thomas musterte Arthur von oben bis unten.
»Ein reisender Handwerksbursche – wie, Monny, warst Du da drinnen mit einem reisenden Handwerksburschen eingeschlossen? Wie haben Sie die Bekanntschaft dieser Dame gemacht?«
Arthur warf den Kopf zurück. »Wir vergeuden ja bloß Zeit. Wollen Sie diese Menschen fortschicken, Assessor Klem, so werde ich Ihnen im Handumdrehen die ganze Geschichte erzählen.«
»Nein, das will ich nicht,« sagte Thomas, »ich habe absolut keine Lust, mit Ihnen unter vier Augen zu sprechen. Ich kenne Sie nicht.«
Und Thomas wandte sich an Willumsen.
»Sie sagten mir auch, der junge Mensch habe Ihnen erzählt, er kennte mich. Das ist möglich; es erscheinen jährlich vor der achten Kammer fünf- bis sechshundert Diebe verschiedener Größe und verschiedenen Alters, es ist ja möglich, daß der Bursche professional ist und mich daher kennt. Ich kenne ihn nicht, ich habe ein ganz gutes Gedächtnis, aber den hier kenne ich nicht.«
Franck begriff nicht, warum Thomas ihn verleugnete.
Und Willumsen wußte nicht, ob der Assessor die Wahrheit sprach, oder ob er log.
Klemmesen dagegen, der kein Wort von alledem begriff, bot seine guten Dienste mit echt ländlicher Bereitwilligkeit an.
»Herr Assessor,« sagte er, »mit dem Bürschchen werde ich allein fertig, und wenn es sein muß, kann der Ingenieur so mit zugreifen. Niels ist ja nach seiner Gewohnheit etwas benebelt. – Aber hiermit werden wir bequem fertig. Wenn der Herr Assessor also wünschen . . .«
Und Klemmesen schickte sich an, Arthur Franck zu packen und mit fester Hand in die Ereignisse einzugreifen.
»Ja,« erwiderte der Assessor, »das wird wohl nötig werden. Wollen Sie also nicht so gut sein, mir Ihren Namen zu sagen?«
»Ich heiße Petersen,« sagte Franck, »und bin wandernder Handwerksbursche.«
»Hm,« brummte Thomas, »und Ihre Bekanntschaft mit der jungen Dame?«
»Ich kenne die junge Dame nicht,« sagte Arthur weiter.
»Mir schien, Sie erzählten mir etwas anderes, Herr Willumsen,« rief der Assessor zu Willumsen gewandt.
»Herr Assessor führen ja an,« antwortete Willumsen spitz, – »es ist wohl zuviel verlangt, daß dieser junge Herr unter diesen Umständen die Wahrheit sagen soll.«
»Sie haben vollkommen Recht,« sagte Thomas mit einem Lächeln. »Aber sehen Sie, mein lieber Ingenieur, Sie kennen den Geschäftsgang bei einem Verhör doch nicht. Im ersten Verhör darf der Beschuldigte lügen so viel er will. Wir beschränken uns darauf, seine Erklärungen zu Protokoll zu nehmen, und wenn sie ein paar Seiten füllen. Später kommt dann die Reihe an die Wahrheit.
Sie wollen also nicht Rechenschaft über sich selber ablegen, junger Mann?« fuhr Thomas fort. »Dann sind Sie verhaftet.«
Franck zuckte zusammen.
»Verzeihung, Herr Assessor, aber Sie sind nicht die Polizei; ich lasse mich von Ihnen nicht verhaften.«
»Ah, Sie wünschen, daß alle Formalitäten erfüllt werden, junger Mann! Sie sind vielleicht sogar Jurist, aber über das Studium sind Sie wohl kaum herausgekommen. Sie werden später im Leben erfahren, daß die Theorie, wie Geheimrat Goethe sagt, grau ist, während des Lebens goldener Baum, so merkwürdig es klingt, grün ist. Es ist teuer, in einer kriminellen Sache mit einem Untersuchungsrichter unter Erfüllung aller Formalitäten zu prozessieren, es kostet nur Zeit!
Aber wenn Sie es wünschen, so kann Herr Klemmesen heimgehen und Polizeidiener Hansen holen; mit dem können Sie sich in die vorbereitende Unterhaltung einlassen, die die Verhafteten mit dem untergeordneten Personal der Gerechtigkeit zu führen pflegen und aus der ein sogenannter Rapport resultiert.«
Was Teufel steht er da und plappert, dachte Willumsen.
Dasselbe dachte Franck.
Thomas ließ den Blick durch die Stube schweifen. Er konnte den Verdacht gegen den jungen Mann noch nicht aufgeben. Es war doch möglich, daß er am Ziele stand. Er vermißte ein kleines Requisit und wandte sich direkt an den Angeklagten.
»Haben Sie Gepäck junger Mann?«
Franck nickte.
»Ich werde« . . . sagte Willumsen; seine Gedanken gingen denselben Weg wie die des Assessors.
»Nein, lassen Sie mich,« erwiderte Thomas rasch und war bereits an der Tür zum Vorzimmer. Franck folgte ihm auf den Fersen, Klemmesen wollte dazwischentreten, aber der Assessor wandte sich auf der Schwelle um.
»Friedlich, meine Herren,« sagte er.
Dann ging er in das kleine Zimmer, wo Francks Tasche auf dem Tisch stand, fertig zur Eisenbahnstation und fort von dem Schauplatz dieser Ereignisse getragen zu werden. Thomas griff nach der Tasche, aber Franck schnappte sie ihm vor der Nase weg.
»Nun denn,« sagte Thomas und biß sich auf die Lippe. »Sie setzen die Prozedur mit der Formalität fort. Wie Sie wollen. Ich habe persönlich eine Formalität übersehen, nämlich die, Ihnen mitzuteilen, was Sie übrigens wohl wissen, was Ihnen aber heilsam sein kann einmal aus meinem Munde zu hören, daß Sie des Einbruchdiebstahls beschuldigt werden. Sie können die Behandlung der Sache in gewissem Grade vereinfachen, wenn Sie uns die Erlaubnis geben, den Inhalt dieser Tasche zu sehen.«
In der Tasche lagen alle Briefe Monnys; sie stand laut schluchzend in der Tür und streckte flehend die Hände nach dem jungen Mann aus.
»Sie bekommen den Inhalt dieser Tasche nicht zu sehen,« sagte Arthur fest und bestimmt.
Thomas betrachtete den jungen Menschen scharf.
»Das ist dumm von Ihnen, junger Mann,« antwortete er. »Entweder liegt das gestohlene Geld in Ihrer Tasche, und dann verkürzen Sie die Pein sich selbst und uns, oder es liegt nicht darin. Im letzteren Fall ist nichts entschieden; es ändert nichts an Ihrer Lage, aber es macht einen besseren Eindruck auf uns. Sie sollten Ihren Entschluß ändern und den lächerlichen Protest aufgeben.«
»Ich bleibe bei meinem Protest,« sagte Arthur trotzig, während seine Hand sich fest um den Henkel der Tasche schloß.
Thomas zuckte die Achseln.
Klemmesen drängte sich vor. »Darum kümmern wir uns nicht im geringsten, nicht Herr Assessor? Der Dieb soll seine Beute herausrücken.«
Und der Verwalter langte nach der Tasche.
Thomas rückte sein Monokel zurecht. »Sie irren sich, Klemmesen! Ich bin Beamter, und es ist mein Stolz, daß ich immer dafür sorge, daß das Formelle in Ordnung ist. Der junge Mensch ist formell in seinem Recht. Ich habe keine Polizeigewalt hier, und die Herren auch nicht. Es bleibt nichts andres übrig, als die Polizei zu benachrichtigen, das können Sie besorgen, Klemmesen. Mit dem andern gewinnen wir nichts, und Zeit haben wir. Sie verstehn mich, nicht wahr, Willumsen?«
Willumsen nickte, aber Klemmesen ließ ein verdrießliches Brummen hören.
Niels schob seinen Priem auf die andere Seite.
»Das ist des Teufels, wie rücksichtsvoll die Polizei geworden ist; das pflegt sie sonst nicht zu sein.«
»Niels muß nicht glauben, was über die Polizei in den Blättern steht,« sagte der Assessor freundlich. »Wir tun nur das, wozu wir berechtigt sind – niemals mehr. Punktum!«
Thomas wandte sich wieder zu Arthur.
»Wie Sie sehen, ist Ihre Sache in guten Händen. Sie können sich auf mich verlassen; man wird mit Ihnen nach dem Gesetz verfahren, und Sie wünschen es ja nicht anders – nicht?«
Arthur nickte bestätigend.
»Gut, so will ich Sie fragen, ob Sie mir erlauben, diese Tasche zu versiegeln. Sie ist, wie Sie sagen, nicht verschlossen. Ich schlage vor, wir binden ein Band darum, dort auf dem Tisch liegt Lack, ich werde die Tasche versiegeln und sie dem Kreisrichter überliefern lassen. Um alle Unannehmlichkeiten zu vermeiden, bitte ich Sie, mir dann zu folgen. Es ist eine Höflichkeit gegen Sie, es ist ein Vertrauen, das Sie mir beweisen. Sie sagen, Sie kennen mich; gut, um so leichter wird es Ihnen fallen, mir Vertrauen zu schenken. Ich pflege das Vertrauen, das man mir schenkt, nie zu täuschen.«
Arthur überlegte einen Augenblick, dann sagte er:
»Ja, ich nehme den Vorschlag an.«
»Das freut mich,« erwiderte der Assessor.
Arthur reichte ihm die Tasche.
»Wollen Sie mir den Bindfaden reichen, der dort hängt!« sagte Thomas zu Klemmesen, und der Verwalter reichte ihm ein Stück Bindfaden, das an dem Bücherregal des Waldhüters hing. Der Assessor schnürte den Bindfaden sehr vorsichtig um die Tasche. Dann wandte er sich an Willumsen.