Kitabı oku: «Böse Obhut», sayfa 2
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Wenig später klopfte Gilda an Lauras Tür und streckte den Kopf in ihr Büro. „Alles erledigt, der Auftrag ist unterschrieben, die Anzahlung haben wir in bar erhalten, Herr Schlüter ist weg."
Laura, die Papiere auf verschiedene Stapel sortierte, lächelte. „Gut. Fang am besten gleich mit den Recherchen an. Schau mal, was du alles am Computer über diesen Michael Ehrling und über die Schule herausfinden kannst. Ich arbeite mich durch die Rechnungen, dann klinke ich mich auch ein."
Gilda nickte und schloss leise die Tür. Sie kletterte hinter den Schreibtisch. Das war nicht einfach, da sie mehrere Kisten, die mit Computerzubehör und Kabeln gefüllt waren und nicht in die überfüllten Schränke passten, vorsichtig übersteigen musste, ohne auf die dicke Daunenjacke zu treten. Zum Glück hatte der Tisch auf der Vorderseite eine Verblendung, sodass die Besucher das Chaos nicht sehen konnten. Laura bestand verständlicherweise darauf, dass der Vorraum ordentlich und aufgeräumt aussah, und hatte anfangs von ihr gefordert, den Kram, wie sie es nannte, wieder mit nach Hause zu nehmen. Doch sie hatte sie davon überzeugen können, dass dieses Equipment notwendig war, um ihre besondere Art von Recherchen durchzuführen.
Sie setzte sich an den Schreibtisch und gab zuerst den Namen des Klienten in den Computer ein. Er hatte so ein Aufhebens um seine Bekanntheit und seinen guten Ruf gemacht, dass sie wissen wollte, mit wem sie es zu tun hatten. Tatsächlich gab es viele Einträge. Er war Abgeordneter im Landtag und schien jede Möglichkeit zu nutzen, um im Licht der Öffentlichkeit zu stehen. Gelangweilt klickte sie durch eine Reihe von Bildern, auf denen Bernd Schlüter mit den Vorsitzenden von Ortsvereinen jeder Art Bier trank, eine Hundeschau eröffnete, mit Unternehmern für einen guten Zweck Golf spielte und bei christlichen Frauen Rede und Antwort stand. Andere Fotos zeigten ihn beim Wahlkampf, wo er in wenig kleidsamem Orange und mit breitem Lächeln Broschüren an die Wähler verteilte. Als Politiker musste man wirklich jeden Mist mitmachen.
Sie öffnete Bernd Schlüters Webseite und rief seine Vita auf. Ein großes Foto von ihm im dunklen Anzug dominierte die Bildschirmseite, darunter waren die politischen Stationen und Erfolge aufgelistet. Informationen zu seiner Familie oder über die Kindheit im Internat fehlten.
Gilda wechselte zur Suchmaschine und gab Michael Ehrlings Namen ein. Der pflegte einen deutlich zurückgezogeneren Lebensstil, sie fand lediglich einen Eintrag. Sein Name war als Ansprechpartner der Drogenberatungsstelle DROBERA samt Öffnungszeiten gelistet. DROBERA war an eine Pfarrei in der Nähe des Kölner Hauptbahnhofs angeschlossen, die sich um hilfsbedürftige Kinder und Jugendliche kümmerte und vom Pfarrer geleitet wurde. Gilda musste schmunzeln: Der Priester hatte sich vor der Kirche neben einem großen, steinernen Kreuz im Gegenlicht fotografieren lassen. Sowohl das Kruzifix als auch er warfen lange, pechschwarze Schatten und außer seiner Silhouette in der Soutane war nichts von ihm zu erkennen.
Das Foto wirkte wie die Werbung für einen Horrorfilm.
Schließlich rief sie die Webseite des Internats Waldheim auf. Anders als bei der DROBERA machte der Internetauftritt der Schule einen professionellen Eindruck. Die Bilder zeigten ein heimeliges Haus inmitten einer grünen Sommerlandschaft, davor strahlende Kinder und gütig aussehende Pädagogen. Gilda dachte an ihre heruntergekommene Realschule mit den zerkratzten, kaugummiverklebten Bänken und den gefrusteten Lehrern und musste seufzen. Wäre sie auf so eine Schule gegangen, hätte sie bestimmt andere Ergebnisse erzielt. Gute Noten hatte sie wegen ihrer unbehandelten Legasthenie nie gehabt, so sehr sie sich auch bemüht hatte.
Seit sie in der Detektei arbeitete, hatte sich vieles zum Besseren gewendet. Laura war zuerst schockiert gewesen über die Schreibfehler, die sie gemacht hatte. Doch dann hatte sie sie gefördert, hatte ihr Berichte zum Abschreiben gegeben und sie geduldig korrigiert. Vermutlich hatte sie geglaubt, dass Gilda das nicht merken würde, aber es war ihr natürlich sofort aufgefallen. Und sie genoss es. Ihre Eltern hatten sich nie für ihre schulischen Leistungen interessiert. Sie führten ein italienisches Restaurant und ihrer Meinung nach reichte es aus, wenn sie gut kochen konnte, um das Familienunternehmen später zu übernehmen. Nachhilfe und Förderstunden hätten nur Zeit und Geld gekostet und sie daran gehindert, im Lokal zu helfen.
Damals hatte sie resigniert und sich gefügt. Aber ihr Leben am Herd zu fristen, hatte sie sich nicht vorstellen können. Deshalb hatte sie sich nach der Mittleren Reife, sehr zum Missfallen ihrer Eltern, mit Jobben durchgeschlagen. Es war ein unstetes Leben gewesen, von der Hand in den Mund, und oft war am Ende des Geldes noch viel Monat übrig gewesen. Das war jetzt anders. Sie konnte ihre Fähigkeiten und Computer-Kenntnisse erfolgreich einsetzen, die Kollegen respektierten sie. Das gab ihr Selbstbewusstsein und die Motivation, ihr Leben endlich in die Hand zu nehmen und etwas Richtiges daraus zu machen. Mit der Prämie, die sie für die Lösung des Dornheckensee-Falles bekommen hatte, hatte sie den Führerschein gemacht. Jetzt sparte sie auf ein Auto, es musste ja nichts Teures sein, und plante, das Abitur am Abendgymnasium nachzumachen. Und später wollte sie sogar studieren. Leider konnte sie erst im nächsten Sommer mit der Schule starten, dabei hätte sie am liebsten sofort losgelegt. Sie hatte Bücher in der Bücherei ausgeliehen, um sich einzuarbeiten, außerdem leistete sie Justin so oft wie möglich Gesellschaft bei seinen Hausaufgaben. Das frischte ihr Gedächtnis auf und ihm gefiel es, ihr Lehrer zu sein bei den Themen, die sie nicht beherrschte.
Sie griff zum Telefon und rief bei der Kontaktnummer des Internats an. Es klingelte lange, sie wollte schon auflegen, als sich eine Frauenstimme meldete.
„Internat Waldheim."
„Guten Tag, hier spricht Gilda Lambi von der Detektei Peters in Bonn. Ich rufe im Namen eines Klienten an, der ein früherer Schüler von Ihnen ist. Er möchte ein Jubiläumstreffen organisieren und dafür suchen wir die Namen und Adressen seiner Mitschüler. Können Sie uns weiterhelfen?"
„Nein, das geht selbstverständlich nicht. Wir haben anderes zu tun." Gilda spürte, dass ihr Gegenüber auflegen wollte.
„Augenblick, wäre das nicht eine schöne Publicity? Wiedersehensfreude, alte Verbundenheit, glückliche Erinnerungen. Sind Sie nicht neugierig, was aus den Schülern geworden ist?" Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille.
„Hallo, sind Sie noch da? Hallo!"
„Ja", ließ sich die Frau vernehmen. „Natürlich wäre es schön zu sehen, dass die Schüler einen guten Weg genommen haben und erfolgreich sind. Aber ich wüsste nicht, wie wir dabei helfen können."
„Ganz einfach: Sie können mir eine Liste der Schüler mailen, die gleichzeitig mit unserem Klienten, Bernd Schlüter, die Schulbank gedrückt haben."
„Bernd Schlüter?", kam es scharf von der anderen Seite. „Das ist doch ewig her."
„Immerhin erinnern Sie sich an ihn", sagte Gilda leicht erstaunt.
„Erinnern wäre zu viel gesagt. Bernd Schlüter ist ein bekannter Politiker und der Berühmteste unserer Ehemaligen."
„Wie dem auch sei, können Sie mir bitte die Namen der Schüler geben, die im Zeitraum von 1970 bis 1976 bei ihnen ...", sie wollte schon 'einkaserniert' sagen, konnte sich aber bremsen. „... waren?"
„Nein, ich sagte es bereits. Die Unterlagen haben wir nicht mehr. Jedenfalls nicht so ohne Weiteres. Vielleicht gibt es noch Ordner im Keller, aber ich habe keine Zeit, das alles durchzusehen."
„Ok." Gilda überlegte in rasendem Tempo. „Und wenn wir vorbeikommen und selbst nachsehen?"
„Auf keinen Fall!"
„Hilft es, wenn Bernd Schlüter Sie kontaktiert und darum bittet? Denken Sie daran, dass er Ihnen nützlich sein könnte."
„Nein, die Mühe kann er sich sparen."
„Dann drücke ich mich anders aus: Bernd Schlüter ist es wichtig, seine Freunde wiederzusehen. Er wäre sehr enttäuscht, wenn sein Vorhaben Ihretwegen scheitert. Als Politiker verfügt er über weitreichende Kontakte. Ich könnte mir vorstellen, dass er die auch zum Nachteil Ihrer Schule nutzen kann. Das wollen Sie sicher nicht. Und alles nur, weil Sie ihm diesen kleinen Gefallen nicht tun möchten."
Die Frau am anderen Ende lachte ärgerlich auf. „Also gut. Ich habe keine Zeit, mich weiter mit so einem Unsinn herumzuschlagen. Sie können jemanden vorbeischicken und sich die Unterlagen ansehen. Aber wenn da irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, ist sofort Schluss! Haben Sie mich verstanden?"
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Michael Ehrling schob den vergilbten Vorhang gerade so weit zur Seite, dass man ihn von draußen nicht sehen konnte, und spähte auf den Kirchenvorplatz.
Das grelle Blaulicht zweier Polizeiautos und eines Krankenwagens blitzte rhythmisch und kalt durch den düsteren Vormittag und wurde von den Pfützen des vom Streusalz geschmolzenen Eises auf dem Asphalt reflektiert. Er wusste, warum sie dort standen, er selbst hatte Zora heute Morgen auf den Kirchenstufen gefunden. Ein Blick hatte genügt, um zu sehen, dass es eine Überdosis gewesen war. Die lange, silberne Nadel der Plastikspritze hatte noch in ihrem mageren Arm gesteckt. Aber verstanden hatte er es nicht. Sie war seit Wochen clean gewesen. Dessen war er sich sicher. Wenn einer so etwas erkennen konnte, dann war er das. Außerdem hatte sie ihre Schlupfwinkel, sie hätte sich niemals mitten auf dem Kirchplatz und direkt vor der DROBERA einen Schuss gesetzt. Das hätte sie ihm nicht angetan. Drogenabhängige hatten wenig moralische Skrupel, doch untereinander hatten sie den Rest eines Ehrenkodex.
Nach einem langen Blick auf ihr blasses Gesicht, das ausgesehen hatte, als würde sie schlafen, war Michael in die DROBERA gelaufen und hatte die Tür zugeschlagen. Mit zitternden Fingern hatte er Kaffee eingeschenkt und nach kurzem Zögern einen ordentlichen Schuss Wodka hinzugegeben. Die Polizei hatte er nicht gerufen. Das brachte er nicht über sich. In seinem Leben war die Polizei nie ein Freund und Helfer gewesen.
„Eh, Alter, hast du gesehen, was da draußen abgeht?" Er drehte sich um und sah Cora in der Tür stehen. Sie gehörte genauso lange zur Gruppe wie Zora.
„Ja, ich weiß, warum die Bullen hier sind. Es hat Zora erwischt."
„Fuck!" Cora wurde blass, ihre dunkel geschminkten Augen dominierten das Gesicht. Blind tastete sie nach einem der Stühle, die um den großen Tisch in der Mitte des Raumes arrangiert waren, und ließ sich darauf fallen. Michael setzte sich zu ihr. Mit fahrigen Fingern nestelte er eine Zigarette aus einer verknitterten Packung, die neben dem überquellenden Aschenbecher auf dem Tisch lag, und zündete sie an. Tief inhalierte er den ersten Zug und ließ den Rauch mit zurückgelegtem Kopf zur Decke aufsteigen.
Cora spielte mit einer schwarzen, langen Haarsträhne und schaute ihn unsicher an. „Voll krass. Was ist passiert?" Ihre Stimme zitterte.
„Überdosis."
„Wie beschissen ist das denn! Bist du jetzt völlig meschugge? Sie war doch so gut drauf! Hatte es geschafft! Unmöglich!" Cora schüttelte den Kopf, dass die Haare flogen.
„Ist aber so. Ich habe sie draußen liegen sehen. Die Spritze war noch in ihrem Arm. Irgendwann erwischt es eben jeden von uns."
„Fuck, nein, nicht Zora!" Cora sprang so heftig auf, dass der Stuhl umkippte. „Sie war clean! Echt! Und wenn sie sich einen Schuss gesetzt hätte, dann never ever eine Überdosis. Sie war ein Pro!" Michael zuckte müde mit den Schultern und nahm einen weiteren tiefen Zug.
„Irgendetwas ist da oberfaul." Cora wanderte aggressiv durch den Raum. „Vielleicht hat ihr so ein Spacko schlechten Stoff untergejubelt. Aber das kann nicht sein. Sie hat nur bei Amdi gekauft. Der hat ihr sogar manchmal was auf Pump gegeben. Der hätte sie nie beschissen."
Michael stellte mit schwerfälligen Bewegungen den Stuhl auf, streckte die Hand aus und zog sie an ihrem dünnen Arm zum Tisch zurück. „Setz dich, du machst mich ganz kirre. Die Polizei wird gleich vorbeikommen und mit uns reden wollen. Wir sollten aufpassen, dass wir keine wilden Anschuldigungen machen. Wir wissen ja auch nichts. Warst du nicht gestern Abend mit Zora unterwegs?"
Cora nickte. „Wir haben in der City abgehangen. Unten am Rhein, am Bahnhof und auf der Domplatte. Haben ein paar Biere gezischt, geguckt, was so abgeht, ob wir was drehen können, du weißt schon", sie warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. „Aber Zora war ok. Nicht auf Droge. Echt."
„Ich weiß. Aber vor einem Rückfall ist man nie sicher. Du nicht und ich nicht. Und Zora auch nicht. Keiner von uns. Deshalb müssen wir der Polizei gegenüber vorsichtig sein und dürfen keine wilden Vermutungen anstellen."
Es klopfte an der Tür. Die beiden zuckten zusammen und sahen sich angespannt an. Ohne auf eine Antwort zu warten, traten zuerst zwei uniformierte Polizisten, dann ein kräftiger Mann mittleren Alters im ausgebeulten Anzug und abgestoßener Lederjacke ein.
„Guten Tag, die Herrschaften. Kripo Köln. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen. Auf dem Vorplatz wurde eine Frau tot aufgefunden. Könnten Sie bitte mitkommen? Sie ist wahrscheinlich keine Unbekannte für Sie."
Michael winkte ab. „Ich habe sie gesehen. Es ist Zora, sie gehört zu unserer Gruppe."
„Ach ja?" Die Augen des untersetzten Mannes starrten ihn argwöhnisch an. „Sie haben uns aber nicht benachrichtigt. Das war jemand anders. Das können wir nämlich sehen."
Michael senkte den Blick und drückte seine Zigarette aus.
„Ist Rauchen hier nicht verboten?" Der Dicke zeigte auf die Din-A-4-großen Verbotsschilder, die an den Wänden klebten. „Wenn Sie es mit den Zigaretten nicht so eng sehen, nehmen Sie es mit der Drogenabstinenz wohl auch nicht so ernst?"
„Doch." Michael wand sich. „Natürlich nehmen wir das Thema Drogen ernst. Deshalb gibt es uns ja. Aber es ist nicht leicht für die Leute, davon loszukommen. Vielen fällt es schwer, auf alles zu verzichten. Deshalb erlaube ich bei den Gruppensitzungen, dass geraucht wird."
Der Kommissar schaute Michael missbilligend an, verfolgte das Thema aber nicht weiter. „Was können Sie mir über die Tote sagen?"
„Als ich heute zur DROBERA kam, lag sie auf den Kirchenstufen. Die Spritze steckte in ihrem Arm. Ich wollte die Polizei rufen, aber dann sind Sie ja schon gekommen. Und keine Sorge, ich habe nichts angefasst."
Der Kommissar starrte ihn an, dann nickte er und zückte ein Notizbuch. „Wie ist der volle Name der Toten?“
„Sie heißt Soraya. Wir haben sie wegen ihrer roten Haare Zora genannt. Den Nachnamen weiß ich nicht auswendig, wir reden uns nur mit Spitznamen oder Vornamen an. Manche möchten anonym bleiben, wir respektieren das. Zora hat aber an einem Spezialprogramm teilgenommen, dafür musste sie ein Formular mit vollem Namen ausfüllen. Ich sehe in den Unterlagen nach."
Michael stand schwerfällig auf, ging zu einem Regal an der Stirnseite des Raums, zog einen Ordner heraus und blätterte darin. Dann schüttelte er den Kopf, sah hoch und suchte weiter. „Merkwürdig, ihr Antragsformular ist nicht mehr da. Ich weiß genau, dass ich es abgeheftet habe. Aber ich kann auf der Liste nachsehen, die wir zusätzlich führen. Einen Augenblick."
Er schlug einen anderen Ordner auf und fuhr mit dem Finger über eine Tabelle. „Ihr Name ist Soraya Kandikili. Sie ist neunzehn Jahre alt und seit sechs Wochen in dem Projekt."
„Genau", schaltete sich Cora ein, „sie hat nicht mehr gespritzt. Die kriegen so ein Zeug, damit sie von der Droge runterkommen."
„Methadon?", fragte der Kommissar.
Michael Ehrling schüttelte den Kopf. „Nein, eine ganz neue Therapie. Es sind spezielle Medikamente zur Linderung der Entzugserscheinungen und zur körperlichen Kräftigung. Das Projekt beinhaltet auch psychische Unterstützung, Fitness und die Vorbereitung auf eine berufliche Ausbildung. Die Kandidaten werden rund um die Uhr betreut. Es ist nicht leicht, einen Platz zu erhalten. Wir haben Glück, dass die DROBERA den Zuschlag für die Kooperation bekommen hat." Michael stellte den Ordner zurück und schlurfte mit hängenden Schultern zum Tisch.
„Eben." Cora gestikulierte wild mit den Händen. „Sie war total heiß auf den Platz. Es kann nicht sein, dass sie sich einfach ins Jenseits geschossen hat."
„Sind sie auch in dem Projekt?" Der Kommissar musterte Cora zum ersten Mal eingehend, sein Blick blieb an den Piercingringen in ihrer Nase hängen.
„Nein, noch nicht. Aber ich krieg das hin." Sie zupfte an dem viel zu großen, schwarzen Pulli herum.
„Jedenfalls hatte Zora gestern Nacht einen Rückfall. So erfolgreich war das Projekt nicht." Aus dem letzten Satz des Kommissars war die Häme nicht zu überhören.
Michael presste die Lippen zusammen. „Wir haben beachtliche Erfolge mit dem Projekt. Professor Martin ist sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Wir haben ihm viel zu verdanken."
„Professor Martin? Von der Suchtklinik für Schöne und Reiche draußen in Marienburg?"
„Genau der!" Michael straffte den Rücken und nickte. „Er hat viel für uns getan. Er hat mit Pfarrer Zieten die DROBERA ins Leben gerufen. Uns gibt es seit dreißig Jahren."
Der Kommissar schaute sich geringschätzig um. „Das sieht man. Der betuchte Herr Professor hätte ruhig mal ein paar Euro für Farbe und neue Möbel lockermachen können. Wie auch immer, es sieht nach einer Überdosis aus, allerdings müssen wir die Ergebnisse der Gerichtsmedizin abwarten, bevor wir den Fall abschließen können. Sollte es Ungereimtheiten geben, kommen wir auf Sie zu, um die Punkte zu klären. Halten Sie sich zu unserer Verfügung." Michael nickte und atmete auf, als sich die Tür hinter den Ordnungshütern geschlossen hatte.
„Wir müssen Prof Martin Bescheid sagen!" Cora war ans Fenster gelaufen und sah den Polizisten hinterher.
„Das mache ich. Er wird nicht begeistert sein. Zora war eine seiner Vorzeige-Exemplare. So hat er sie immer genannt. Jetzt bleiben nur noch Eddie, Nico und Nastja. Hoffentlich schaffen die es und bleiben standhaft, sonst sind wir die Kooperation los und können den Laden über kurz oder lang dichtmachen."
Cora kam zum Tisch, schenkte sich einen Kaffee ein und griff beherzt zur Wodka-Flasche.
„Halt, das ist meiner!"
Ohne auf seinen Protest zu achten, goss sie einen ordentlichen Schluck in die Tasse, gab drei Löffel Zucker hinzu und rührte um. „Das brauche ich jetzt, ich bin total durch. Die arme Zora. Ich kann es nicht fassen. Weißt du, sie war so gut drauf. Hatte alles gecheckt, wusste genau, was sie wollte. Sie hatte irgendetwas in der Hinterhand und meinte, das wäre ihr Sechser im Lotto. Und jetzt das."
„Was für ein Sechser im Lotto?" Michael schaute alarmiert auf.
Cora zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Sie wollte nichts rauslassen. Hat sich wichtig gemacht damit. Meinte, dass sie sich jetzt keine Sorgen mehr um ihre Zukunft machen müsste."
Er lachte bitter.
„Das hat ja gut geklappt. Sorgen muss sie sich jetzt keine mehr machen."
4
Es war Mittagszeit, als Laura die Tür ihres Büros öffnete und zu Gilda in den Vorraum trat.
„Zeit für eine kleine Pause!" Genervt strich sie sich eine dunkle Haarsträhne zur Seite, die sofort wieder ins Gesicht fiel.
Vor einigen Monaten hatte sie sich in einem Anfall von Depression die Haare kurz schneiden lassen und es nach dem ersten Blick in den Spiegel sofort bereut. Mittlerweile hatten die Haare zwar wieder eine halbwegs akzeptable Länge erreicht, waren aber immer noch nicht lang genug, um sie zusammenbinden zu können.
„Hast du Lust, mit mir nach Godesberg zu gehen? Wir könnten Döner oder Hamburger essen."
Zwanzig Minuten später wanderten die beiden Frauen mit ihren Snacks durch die Godesberger Innenstadt und sahen sich die Schaufenster an.
„Lecker!" Gilda leckte genüsslich einen Klecks Ketchup von ihrem Zeigefinger.
„Ja, nicht schlecht", stimmt Laura mit vollem Mund zu. „Hast du schon Informationen gefunden zu unserem Fall?"
Gilda nickte und signalisierte mit dem halb gegessenen Cheeseburger, dass sie erst fertig kauen musste, bevor sie antworten konnte. „Ich habe mich über unseren Auftraggeber schlaugemacht. Er ist tatsächlich ein bekannter Politiker und tritt auf vielen Veranstaltungen auf. Ansonsten unverheiratet, keine Familie, keine Kinder. Vielleicht hat er eine Freundin, aber darüber habe ich nichts gefunden. Über seine Vergangenheit gibt es auf den ersten Blick keine Informationen. Aber ich werde bei Gelegenheit tiefer graben."
Laura nickte zustimmend.
„Dann habe ich das Internat angerufen, um die Namen der früheren Mitschüler zu erfragen. Die waren zuerst nicht sehr kooperativ. Eher das Gegenteil. Aber ich habe den Namen von Bernd Schlüter erwähnt und ziemlich übertrieben, wie viel er für den guten Ruf der Schule tun könnte. Oder dass er ihnen auch schaden könnte. Schließlich haben sie zugestimmt, dass wir die Information bekommen können."
„Gut!" Laura lächelte. „Darauf gönnen wir uns einen Glühwein!" Sie zog Gilda an der Jacke zu einem Bistro und kurz darauf standen sie unter einem Heizpilz und wärmten ihre Hände an den heißen Tassen.
„Es gibt noch einen Aspekt." Gilda blies unschuldig in ihr Getränk.
„Der da wäre?"
„Die Unterlagen vermodern bei denen im Keller und müssen erst gesichtet werden. Natürlich haben sie keine Lust, das für uns zu machen. Das bedeutet, einer von uns muss ins Sauerland fahren und vor Ort recherchieren."
„Oh nein! Das sagst du mir, nachdem ich den Glühwein spendiert habe? Aber im Ernst", Laura verzog das Gesicht, „wir haben so viel zu tun. Das Internat liegt nicht gerade um die Ecke. So viel Aufwand, nur um ein paar Adressen zu finden?"
„Hallo, die Damen! Machen die Detektivinnen eine Pause, oder seid ihr in einem verdeckten Einsatz?"
Barbara Hellmann, Pianistin und Lauras beste Freundin, stand strahlend mit ausgebreiteten Armen vor ihnen, um sie zu umarmen.
„Selbst bei dieser Kälte, wo jeder nur vermummt herumläuft, siehst du glamourös aus! Wie machst du das nur?" Laura zog in gespieltem Unverständnis die Augenbrauen hoch.
Barbara lachte, strich sich durch die schulterlangen, blonden Locken und sah an ihrer goldenen Daunenjacke, den schwarzen, engen Jeans und den Fellboots hinunter. „Glamourös ist wohl etwas übertrieben. Wie ich sehe, seid ihr beim Glühwein. Da schließe ich mich an."
Kurz darauf kam sie mit einer Tasse zurück und stellte sich zu den Freundinnen. „Was gibt es Neues? Verfolgt ihr eine geheimnisvolle Spur?"
Die beiden Detektivinnen schüttelten den Kopf.
„Nicht wirklich", sagte Gilda. „Wir suchen die Adressen ehemaliger Mitschüler eines Politikers aus Düsseldorf. Er möchte ein Schultreffen organisieren."
„Ihr hattet schon spektakulärere Fälle", stimmte Barbara zu. „Aber Düsseldorf ist relativ weit weg. Wie seid ihr an den Auftrag gekommen?"
Laura trat gegen die Kälte von einem Bein auf das andere. „Unser Klient möchte nicht, dass in seinen Kreisen bekannt wird, auf welche Schule er gegangen ist. Deshalb wollte er den Auftrag in eine andere Stadt geben. Er kennt Anwalt Herckenrath, der uns empfohlen hat." Dass Schlüter sie unbedingt hatte engagieren wollen, weil sie auf 'Bagatellfälle' spezialisiert waren, ließ sie weg.
„Was ist das für eine Schule?"
„Sie heißt Waldheim und liegt in Waldheim im Sauerland. Ein Internat für Schwererziehbare." Gilda stellte die Tasse ab und malte mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft.
„Verstehe. Für einen Politiker natürlich keine gute Empfehlung. Waldheim ..." Barbara tippte mit dem Zeigefinger nachdenklich auf die Unterlippe. „Das habe ich schon mal gehört. Allerdings in keinem schönen Zusammenhang. Kann es sein, dass die früher nicht gut mit den Schülern umgegangen sind?"
„Ja, das kann sein. Unser Klient hat erzählt, dass einige Ehemalige Ansprüche an den Fonds für Heimkinder stellen möchten. Irgendetwas könnte also vorgefallen sein." Laura nippte an ihrem Glühwein.
„Genau, jetzt weiß ich es: Bei dem Empfang nach meinem Konzert in Köln hat einer der Gäste über Waldheim gesprochen." Eine zarte Röte stahl sich in ihr Gesicht, sie schaute zu Boden.
„Weißt du, wer?" Laura sah Barbara neugierig an.
„Ich kenne ihn nicht. Ein hagerer Mann, ein bisschen älter als wir. Er sah irgendwie schlecht aus, als wäre er krank, und war mit einem Pfarrer da." Barbara schaute immer noch zu Boden, die Röte auf ihren Wangen hatte sich verstärkt.
„Schade. Was für eine Veranstaltung war das?"
„Eine Wohltätigkeitsgeschichte, aber vom Feinsten. Professor Martin von der Suchtklinik in Marienburg hat sie organisiert. Nach meinem Konzert gab es einen schicken Empfang mit einer Wahnsinns-Tombola. Du glaubst gar nicht, was für Preise da gestiftet worden sind. Eine Reise in die USA, ein Kleinwagen und ein Einkaufsgutschein von Dior. Die müssen unheimlich viel Geld eingenommen haben. Ich hätte gern ein Los gekauft, aber dann wäre meine Gage gleich wieder weg gewesen. Und die ganze Nacht wurde getanzt." Barbara sah weiter hartnäckig zu Boden.
„Wofür wurde gesammelt?", fragte Gilda mit glänzenden Augen.
„Es ging um ein Projekt, das Jugendliche beim Drogenausstieg unterstützt."
„Das könnte der Schulfreund von unserem Klienten gewesen sein, den du da getroffen hast." Laura schaute Gilda nachdenklich an. „Der arbeitet bei einer Drogenberatungsstelle. Wir müssen ihn noch befragen. Am Telefon wird das kaum möglich sein, also steht uns noch eine Reise bevor."
Gilda lachte. „Laura, Köln ist um die Ecke. Ich fahre da abends hin, wenn ich ausgehen möchte. Das ist keine Weltreise."
„Welche Reise habt ihr denn noch vor?", schaltete sich Barbara ein.
Laura seufzte. „Wir müssen ins Sauerland fahren, um Einblick in die Akten der ehemaligen Schüler zu nehmen. Das ist ein ganzes Stück zu fahren, man muss wenigstens einmal übernachten. Ich kann mir im Moment wirklich Besseres vorstellen."
„Das ist doch toll! Solche Örtchen können sehr malerisch sein. Vielleicht liegt dort sogar Schnee? Das ist total romantisch."
Barbaras Begeisterung steckte Laura nicht an. „Dann solltest du fahren."
„Weißt du was? Das mache ich. Ich begleite dich. Zusammen ist es viel lustiger und helfen kann ich dir auch, dann geht es schneller."
Lauras Gesicht hellte sich auf. „Würdest du tatsächlich mitkommen? Das wäre super. Aber ich möchte morgen starten. Kannst du dir so kurzfristig Zeit nehmen?"
Barbara nickte. „Klar, zwei, drei Tage sind kein Problem, das kriege ich hin. Es wird mir gut tun, mal rauszukommen und den Kopf freizukriegen."
„Wunderbar!" Laura freute sich. „Dann starten wir morgen in aller Frühe. Gilda, meldest du uns bei der Internatsleitung an? Und kannst du uns zwei Hotelzimmer buchen? Hoffentlich gibt es in dem Kaff überhaupt eine Übernachtungsmöglichkeit."
Gilda sammelte die mit Weihnachtssternen verzierten Steingut-Becher ein. „Ja, das erledige ich gleich als Erstes, wenn wir im Büro sind. Und dann fahre ich nach Köln und spreche mit dem Mann von der Drogenberatung, sonst ist die Agentur morgen verwaist. Wir können ja schlecht Justin an den Empfang setzten."