Kitabı oku: «Mrs. Lewis», sayfa 6
Wir klammerten uns aneinander, bis Bill verkündete: „Machen wir es nicht schlimmer, als es ist. Du musst jetzt los.“
Noch zwei Küsse auf die Wangen meiner Söhne, dann sah ich zu, wie Bill ihre Hände nahm und die vier zurück zu Bobby und Rosemary gingen, die am Ende des Bürgersteiges warteten. Nur Douglas schaute noch einmal zurück und winkte. Ich rührte mich nicht von der Stelle, bis sie außer Sicht waren. Erst dann hob ich langsam meinen Blick auf zu dem Ozeandampfer. Mit baumstammdicken Seilen war er fest am Kai vertäut und rührte sich nicht, obwohl rings um ihn her die Wellen schaukelten, tanzten und gegen seinen Rumpf klatschten. Riesige weiße Buchstaben an seiner glatten Hülle verkündeten seinen Namen: SS United States.
An Bord wehte ein warmer Wind, und ich konnte beinahe schon die süß-salzige Mitte des offenen Meeres erahnen, wo die Wärme verfliegen würde. Ich stand auf dem Achterdeck, mein Kleid flatterte wie ein Vogel, der nicht vom Boden hochkam. Dort blieb ich, bis die Freiheitsstatue so klein war wie ein Spielzeug in einem Souvenirladen, bis das letzte Stück Land meinem Blick entschwand und mich nur noch die weite, offene See umgab.
Teil II
ENGLAND
„… man kann ihn nicht halten. Es ist ja nicht so, als ob er ein zahmer Löwe wäre.“
„Die Reise auf der Morgenröte“, C. S. LEWIS
9

Love is this and that and always present
„Sonnet III“, Joy Davidman
August 1952
Ich ging in Southhampton von Bord der SS United States und blinzelte durch meine Brille in die fremde, in Küstennebel und Kohlenstaub gehüllte Umgebung. Das Land und die üppig-grüne Pracht, die es für mich bereithielt, warteten irgendwo da draußen.
Vermutlich bot ich einen ziemlich sehenswerten Anblick, als ich mein Gepäck energisch hinter mir her zerrte, denn trotz des Nebels und des Drecks fühlte ich mich so leicht und fröhlich, dass das Unwohlsein, das ich seit Jahren mit mir herumgeschleppt hatte, von mir abfiel wie eine alte Haut. Es hätte mich nicht überrascht, wenn jemand hinter mir hergerannt wäre und mir zugerufen hätte: „Sie haben da hinten eben etwas fallen gelassen!“
Meine Familie hatte ich in Amerika zurückgelassen, und ich wusste, dass manche meiner Nachbarn und Freunde dafür kein Verständnis hatten. Die Leute in unserer Kirchengemeinde runzelten die Stirn. Andere Frauen redeten über mich. Starben nicht doch auch ihre Seelen in ihnen ab? Spürten sie nichts von jener Unruhe, die wie ein inneres Licht in einem aufleuchtet und schreit: „Lass mich leben!“?
Vielleicht hatte unser Schöpfer jede von uns so geschaffen, dass das nicht für alle Frauen zutraf. Ich hätte weiter auf dem Weg bleiben können, auf dem ich ging, leer und verbittert, krank und innerlich verzweifelt. Ich hätte mir noch mehr Mühe geben können, den Whiskygestank meines trunksüchtigen Mannes auszulöschen, die Böden noch sauberer zu schrubben, mein betrübtes Herz zum Schweigen zu bringen. Natürlich hatte ich das tun können, aber welchen Preis hätte mich das gekostet?
Eine komplexe Sinfonie von Akzenten – von Cockney und melodischem Irisch bis hin zu gehobenem Queen’s English – begleitete mich auf dem gepflasterten Weg, als wäre sie eigens für meine Ankunft geschrieben worden. Ich bestieg einen Zug und fuhr nach London, wo ich ausstieg und ein Taxi nahm. Die Schönheit der Stadt zog an mir vorbei: Kopfsteinpflaster und rote Doppeldeckerbusse, Laternenpfähle, die sich so majestätisch über die Straßen beugten, dass es aussah, als bewachten sie die Stadt. Männer in Anzügen auf Fahrrädern, Frauen in eleganten, taillenbetonten Kleidern, die auf hohen Absätzen daherstöckelten. Kathedralen mit Türmen, die sich dem Himmel entgegenstreckten. Kirschrote Telefonzellen an den Straßenecken, deren Türen oft offen standen wie eine heimliche Einladung. Schließlich erreichte das Taxi Phyls Wohnung in der 11 Elsworthy Road – einer von Birken und Ahorn gesäumten Straße, die verlockend wie ein Geheimgang war.
Ich glaubte immer noch die Meereswogen unter meinen Füßen zu spüren, als ich auf den Stufen stand und mit der zuversichtlichen Hoffnung auf einen neuen Anfang an die Tür klopfte. Phyl riss die Tür auf, und im ersten Moment erkannte ich sie nicht. Das letzte Mal hatte ich sie zu Hause in Staatsburg gesehen, blass und von Selbstmordgedanken geplagt – doch nun stand sie mit roten Wangen und einem strahlenden Lächeln vor mir, begrüßte mich überschwänglich und drückte mich fest an sich. „Da bist du ja!“
Transformation. Ja! Das war es, was ich suchte. Indem ich es beim Namen nannte, machte ich es mir zu eigen – eine Transformation meines Herzens und meines Leibes.
Und beginnen würde es hier in London.
Heute werde ich Jack treffen. – Dieser Gedanke ließ mich in Phyls Gästezimmer mit einem Lächeln erwachen. Ich war nun schon seit einem Monat in England. Es war mir wichtig gewesen, bevor ich meinem Brieffreund begegnete, zu Kräften zu kommen, mich ein wenig zu sammeln und mir den Frieden und die Ruhe zu gönnen, die ich dringend benötigte. Heute nun war es so weit.
Der Teekessel pfiff. Es war Zeit aufzustehen.
In den letzten Tagen war ich Englands Charme erlegen. Die Zeit war verflogen und hatte mir bewiesen, wie relevant sie ist, dass sie schneller vergeht, wenn man glücklich ist. Sie rann an mir herunter wie Wasser von einer hohen Klippe. Die Neugier hatte mich gepackt, alles über die 900 Quadratmeilen große königliche Stadt zu lernen und zu erfahren, was ich nur konnte. Schließlich musste die lange Trennung von meinen kleinen Jungen die Reise wert sein, und ich setzte alles daran, dass es so war.
Als Phyl und ich über den Trafalgar Square schlenderten, schnaufte sie atemlos: „Du musst mittlerweile durch die ganze Stadt gelaufen sein. Bist du es noch nicht leid?“
„Leid?“ Ich breitete die Arme aus und lachte. „Beim Laufen konnte ich schon immer am besten die schwermütigeren Anteile meiner Persönlichkeit abstreifen. Und ich bin einfach überwältigt von der Schönheit dieser Stadt.“ Ich setzte mich auf den Rand des Brunnens und winkte sie zu mir. „Was ich faszinierend finde, ist die Art und Weise, wie ich jetzt die Dinge sehe. Es kommt mir vor, als hätte ich durch den Glauben an Gott neue Augen bekommen; die Welt steckt voller Möglichkeiten und Faszination. Sie ist nicht mehr bloß Natur oder einfach Schönheit – sie ist eine Offenbarung.“
Sie blinzelte in die Sonne und gab mir einen Rippenstoß. „Für mich sieht sie genauso aus wie immer.“
„Oh, Phyl!“ Ich streckte meine Hände zum Himmel. „Erkennst du nicht, dass alles möglich ist? Alles! Die Welt verändert sich, wenn man die Liebe versteht, die dahinter, darüber und darunter steckt.“
„Du schnappst dir das Leben mit beiden Händen, Joy.“ Sie klopfte anerkennend auf mein Knie.
Wir gingen wieder nach Hause. Während der verbliebenen Wochen wurde ich von den Zahnärzten und Ärzten, die ich besuchte, durch die Mangel gedreht – meine Genesung war ein Hauptzweck dieser Reise. Außerdem verbrachte ich tagsüber viel Zeit mit Lesen und Recherchen, Schreiben und Unterwegssein. Ich lernte neue Freunde kennen und fand eine Schriftstellergruppe.
Viele Briefe gingen hin und her zwischen Bill, den Kindern, Renee und mir. Ich wollte ihnen von jeder Einzelheit meiner Reise berichten.
Joy:
Oh Renee, ich wünschte, du wärst mit mir am Trafalgar Square gewesen, wo ich ein spanisches Restaurant entdeckte, das du geliebt hättest. Aber eins ist mir klar geworden: Die Londoner müssen halbe Enten sein. Ohne die Kreppsohlen an meinen Schuhen hätte ich durch die Straßen schwimmen müssen.
Bill:
Ich freue mich sehr, zu hören, dass alles „eitel Freude und Sonnenschein“ für dich ist und dass du wunderbar glücklich bist, aber wir machen hier eine schwere Zeit durch. Das Geld ist knapp. Verzeih, dass ich dieses Mal nicht mehr schicke.
Joy:
Liebster Poogle,
es tut mir sehr leid, dass das Geld zu knapp ist. Ich werde hier mein Möglichstes tun, zu schreiben und zu verkaufen und das Kleingeld zusammenhalten. Ich denke oft an dich: Ich wünschte, du hättest hier bei mir sein können, als ich ein Freilufttheater besuchte und ein mächtiges Gewitter das Zelt durchschüttelte, so wie damals in Vermont! Einen Ausflug nach Hampstead Heath habe ich auch gemacht und dort sehr günstig drei Kunstwerke erstanden, darunter ein Aquarell für nur fünfunddreißig Schillinge. Es ist ein wunderschönes Viertel, mit allen möglichen Künstlern und Schriftstellern. Vielleicht sollten wir das Haus verkaufen und hierherziehen. Alles Liebe, Joy
P. S. an Davy: Im Aquarium hier gibt es einen anderthalb Meter langen Salamander aus Japan!
Davy hatte mir geschrieben, dass Bill ihm endlich erlaubt hatte, eine Schlange anzuschaffen – er nannte sie Mr. Nichols. Ich musste immerzu an meine Jungs denken, und als ich den Londoner Zoo besuchte, vermisste ich sie sehr und kaufte Souvenirs, um sie ihnen zu schicken.
Ich besuchte Madame Tussauds und jede Kapelle, jede Kathedrale und jede Kunstgalerie, die mir offenstand. Dann machte ich mich auf eigene Faust auf den Weg nach Canterbury, wo ich das Gefühl hatte, in ein Buch einzutauchen, das ich als Kind gelesen hatte. Noch nie hatte ich ein Land gesehen, das aus meinen Träumen entsprungen zu sein schien: die verführerischen, sanft geschwungenen Hügel in ihren vielfältigen Grüntönen, durchzogen von Steinmauern und übersät mit Schafen.
Immer wieder aufs Neue verliebte ich mich in England. Mit jedem neuen Anblick verwandelte sich meine Seele ein wenig mehr. Ich wollte stark und fest gegründet sein, bevor ich Jack persönlich kennenlernte.
Ich reiste durch Kent, eine Landschaft voller Kühe und gewundener goldener Hügelketten. Ich versuchte sie in meinen Briefen zu beschreiben, aber wie nur sollte ich ihr gerecht werden? Meilen über Meilen voller Apfel-, Birn-, und Pflaumenbäume. Haselnusssträucher und Ebereschen mit roten Beeren, lodernd wie ein Feuer, das nicht verzehrte. Kastanienbäume und Hopfenfelder flogen an mir vorbei wie Bilder von Renoir. Ich saugte alles in mich hinein, was ich sah. Unter den Bombenkratern aus dem Zweiten Weltkrieg kamen antike römische Straßenpflaster und Mauern zum Vorschein. Wohin ich auch sah, gab es eine Geschichte. Wie provinziell und langweilig kam mir im Vergleich dazu Amerika vor.
Und dann die Freunde, die ich fand. Nach zwei Tagen Aufenthalt klopfte ich auf Jacks Drängen hin an die Tür von Florence Williams. Ihr verstorbener Mann Charles Williams hatte sie immer seine „Michal“ genannt, und obwohl er nun nicht mehr lebte, war der Name geblieben. Er war ein Dichter, Theologe und Schriftsteller gewesen und hatte gemeinsam mit Jack und J. R. R. Tolkien den Inklings angehört. Ein Zufall, über den wir beide herzlich lachen mussten, war die Entdeckung, dass Bill ein Vorwort zu einem der Bücher ihres verstorbenen Mannes, Die Trumpfkarten des Himmels, geschrieben hatte. Wir wurden nicht nur enge Freundinnen, sondern sie brachte mich auch mit einer Schar von Schriftstellerinnen und Schriftstellern in London zusammen – eine Gruppe von Science-Fiction-Autoren, die sich an den Donnerstagabenden in einer Querstraße der Fleet Street in einem alten Pub mit niedriger Decke namens The White Horse trafen. Sie nannten ihre Gruppe den „London Circle“, und ich barg mich in ihrer Mitte und schloss diesen Kreis um mich. Bei Starkbier und Würstchen ließ ich mich berieseln von ihren Geschichten, Debatten und Neuigkeiten aus der Verlagswelt. Nach Gemeinschaft hatte ich gesucht, und Gemeinschaft hatte ich gefunden, als wäre ich schiffbrüchig auf einer Insel gestrandet.
Bill:
Schön zu hören, dass du schon beim Arzt und beim Zahnarzt warst. Ich hoffe, es geht dir zunehmend besser. Den Jungs geht es gut, aber sie vermissen dich mehr, als sie zugeben wollen.
Renee:
Danke für den Liberty-Schal! Ich trage ihn jetzt ständig. Sei Bill bitte nicht böse, dass er nicht viel Geld schicken kann; wir sind so pleite, wie man nur sein kann – tut mir leid, dass ich so schwermütig bin, aber es ist einfach die grauenhafte Wahrheit: Bill hat Mühe, irgendetwas zu verkaufen.
Joy:
Lieber Poogabill,
es tut mir leid, dass du kein Geld schicken kannst und dass du tatsächlich so pleite bist, „wie man nur sein kann“. Ich schreibe jeden Tag, und sobald ich etwas verkaufe, werde ich dir etwas Geld schicken. Bis dahin komme ich schon irgendwie durch – Gott sei Dank habe ich ja bei Phyl ein Dach über dem Kopf. Du wirst begeistert sein, wenn du hörst, dass ich eine Schriftstellergruppe gefunden habe. Die meisten von ihnen schreiben Science-Fiction, viele von ihnen kennen deine Werke. Und weißt du, wen ich getroffen habe? Arthur C. Clarke! Ich weiß, dass du ein großer Fan seiner Science-Fiction bist. Was meine Gesundheit angeht, so habe ich mich noch nie besser gefühlt. Warte nur ab, mein süßer Bill, wenn ich nach Hause komme, werde ich die netteste Poogle sein, die du je erlebt hast.
„Joy!“, rief Phyls Stimme aus dem Flur. „Wir müssen los, sonst verpassen wir den Zug nach Oxford.“
Ich hatte mich schon dreimal umgezogen und verschiedene Hüte probiert. Beinahe hätte ich mich für den schwarzen Jaeger-Wollpullover entschieden, den ich mir gerade gekauft hatte, aber dann erschien er mir doch ein wenig zu trostlos, und ich hatte ihn beiseitegelegt. Ich hatte mir die Haare hochgesteckt und dann wieder heruntergelassen, um sie dann doch zu meinen gewohnten Knoten zusammenzustecken. Michal Williams hatte mir gesagt, dass Jack es mochte, wenn Frauen sich mit ihrer Kleidung Mühe gaben.
Phyl steckte ihren Kopf ins Zimmer und legte sich die Hand auf die Brust. „Du siehst wunderschön aus. Ich liebe dieses Tartankleid.“
„Oh, Phyl!“ Ich zog meine Strümpfe hoch und befestigte sie an den Strumpfbändern. „Ich frage mich, worüber wir reden werden. Ich bin nicht besonders gut darin, neue Menschen kennenzulernen. Dafür ist im Königreich unserer Ehe Bill zuständig. Er ist verbindlich und charmant, er lacht laut und erzählt Witze, er spielt Gitarre und beteiligt sich an Spielen. Ich stehe meistens in irgendeiner Ecke und diskutiere über Politik oder Religion oder Bücher.“ Ich setzte mir die Brille auf die Nase und lächelte Phyl an.
„Aber du kennst diesen Mann doch schon.“
„Ich glaube schon. Aber er bringt einen Freund mit, wir werden also zu viert sein.“ Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel und steckte meine Haare unter den Hut aus gerippter Seide mit dem blauen Band. „Danke, dass du mitkommst.“
„Das tue ich gern“, versicherte sie mir. „Schließlich will ich ihn auch kennenlernen. Und überhaupt, Oxford – wer wäre bei einem Ausflug nach Oxford nicht dabei? London gefällt dir? Warte nur ab. Und du wirst Victorias kleines Gästezimmer lieben. Es ist ebenso praktisch wie gemütlich.“
Ich nahm mein Gepäck und straffte meine Schultern. „Dann lass uns aufbrechen.“

Phyl und ich saßen nebeneinander, als der Zug sich ruckelnd in Bewegung setzte. Sie las einen Roman, und ich beobachtete ihr Gesicht. Ihre langen Wimpern wanderten auf und ab, als plötzlich eine furchtbare Erinnerung in mir aufstieg: ein schrecklicher Streit mit Bill im Dezember des letzten Jahres. Er hatte Phyl in unserem alten Chrysler zum Pier 88 in Manhattan gebracht, wo sie ihre Rückreise nach London antreten wollte. Ich war nach dem Eingeständnis seiner Untreue in den vergangenen Nächten krank, unglücklich, in mich verschlossen und argwöhnisch gewesen und hatte meine Sinne nicht beisammen gehabt. Als Bill anrief, um mir zu sagen, dass der Motor unseres Autos muckte und er die Nacht im Hotel Woodstock verbringen würde, beschuldigte ich ihn, Phyl zu verführen. Ich schrie und fluchte und machte mich lächerlich. Er wiederum beschimpfte mich wütend. Ich erinnerte mich nicht mehr genau an die Worte, aber sie hatten klaffende Wunden in meine Seele geschlagen, die noch nicht vernarbt waren.
Phyl hatte sich als überaus loyale und wohltuende Freundin erwiesen; ich fragte mich, wie ich je hatte auf den Gedanken kommen können, sie würde sich derlei Unsinn von meinem Mann gefallen lassen. Und Bill hatte geschworen, mit seiner Untreue sei es vorbei … aber für eine Ehefrau ist es nie vorbei. Niemals.
„Phyl“, sagte ich, als der Zug eine kohlefarbene Dampfwolke ausstieß und in Richtung Oxford losrollte.
„Hmmm?“
„Ich bin nervös. Ist das nicht komisch? Warum sollte ich nervös sein, nur weil ich einen Mann und seinen Freund in einem Restaurant treffe? Ich habe in meinem Leben schon Hunderte von Schriftstellern kennengelernt, und die meisten von ihnen waren die Ehrfurcht nicht wert, die ich ihnen entgegenbrachte.“
„Weil du diesen Schriftsteller so sehr respektierst. Ich glaube, du hast einfach Angst davor, dem wirklichen Menschen zu begegnen. Vielleicht ist er gar nicht so toll, wie du ihn dir vorstellst.“
Ich musste lachen – wie immer zu laut, sodass zwei Frauen in der Reihe vor uns sich mit missbilligenden Blicken zu uns umdrehten. Ich schenkte ihnen mein strahlendstes Lächeln. Ein bisschen Freundlichkeit ist die schärfste Waffe. „Ach Süße“, sagte ich zu Phyl. „Kannst du nicht noch ein bisschen deutlicher werden?“
„Es ist immer das Beste, sich der Wahrheit zu stellen, Liebes.“ Sie streckte sich und klappte Die große Scheidung zu, die sie vor dem Treffen mit Jack hatte überfliegen wollen. „Es macht doch keinen Sinn, so zu tun, als wäre es dir egal. Ist doch klar, dass du jede Menge Schmetterlinge im Bauch hast.“
Ich dachte einen Moment lang nach, während draußen grün und golden die Landschaft vorbeihuschte. „Was mich nervös macht, ist nicht der Gedanke, dass ich den Respekt für ihn verlieren könnte; da habe ich keine Befürchtungen. Es ist eher die Achtung, die er mir entgegenbringt – oder auch nicht. Weißt du, Liebes, Juden sind hierzulande nicht besonders beliebt. Nicht einmal ehemalige Juden. Was ist, wenn er diese in der Bronx geborene ehemalige Atheistin und Kommunistin schockierend findet?“
„Schockierend vielleicht, aber eher ein bisschen fesselnd. Es ist wie in einem guten Buch, du musst einfach abwarten, was passiert.“
Der karierte Stoff, mit dem die Sitze bezogen waren, juckte auf der Haut, aber ich lehnte mich dennoch zurück und schob das Rollo über dem Fenster höher. Grüne Felder zogen draußen vorbei, Sümpfe und Flüsse, Bootshäfen und Buchten. Es kam mir so vor, als ob wir etliche Flüsse überquerten, aber vielleicht war es auch nur einer, der in Schlangenlinien zwischen London und Oxford dahinströmte. Auf einer hohen Erhebung rauschten wir an einer kleinen Ortschaft vorbei, wo die Sockel der Schornsteine wie Grabsteine aussahen. Dann durchfuhren wir den kohlegeschwärzten Ort Slough und weiter durch Reading. Das sanfte Schaukeln des Zugs ließ mich schläfrig werden, während ich mir Möglichkeiten ausdachte, was ich als Erstes zu Jack sagen könnte, wenn ich ihn sah.
- Es ist mir eine Ehre und ein Vorrecht.
- Sie haben mein Leben verändert.
- Ich verehre Sie, seit ich beim Lesen von „Die große Scheidung“ auf Ihren Satz stieß: „Niemand sonst findet einander so absurd wie zwei Liebende.“
- Hi, ich bin Joy, und ich bin ein Nervenbündel.
Aber am Ende sagte ich dann nichts von alledem.
10

I’ll measure my affection by the drachm
„Sonnet I“, Joy Davidman
Die Ziegelfassade des Eastgate Hotels, einer großen alten Dame unter den Oxforder Bauten, hatte dieselbe gelbbraune Farbe wie das Fell meiner Katze. Auch nach einem Monat noch überraschte mich die verlässliche Altertümlichkeit Englands. Die Häuser waren so gebaut, als hätte man schon immer gewusst, dass ihre ätherische Schönheit für Jahrtausende würde halten müssen. Die Fenster waren eingesetzt wie schläfrige, halb geschlossene Augen. Vier breite und geschwungene Stufen führten zum Eingang hinauf. Zu unserer Rechten war ein Gebäude, das man für eine mittelalterliche Festung hätte halten können. In Wirklichkeit handelte es sich um das Merton College, eines der vierunddreißig Colleges der Oxford Universität, eingefasst von einer langen Steinmauer, die der Biegung der Straße folgte wie eine Liebhaberin.
„Phyl“, sagte ich, und wir blieben in dem dunklen Eingang stehen, „ich vermisse zwar meine Poogle-Bande, aber ich bin sehr froh, hier zu sein.“
Sie kniff ihre blauen Augen gegen das Sonnenlicht zusammen und sah mich gelassen und vielsagend an. „Das wird interessant, Liebes. Genieße es.“
Ich nickte ihr zu und legte mir die Hand auf den Bauch, um meine Nerven zu beruhigen. Ich tupfte mir mit einem Taschentuch am Lippenstift herum. Schon seit Jahren hatte ich gehofft, Jack eines Tages zu begegnen, ohne je recht daran zu glauben, und nun stand ich hier in Oxford auf dem Bürgersteig vor dem Restaurant, in dem er sich gerne mit Freunden zum Mittagessen traf.
Wir betraten das Hotelfoyer, wo er uns erwarten wollte. Ich rief mir die Fotografien in Erinnerung, von denen Bill sagte, Jack sehe darauf aus wie ein gemütlicher alter Basset. Auf diesen Bildern trug Jack manchmal eine runde, schwarzrandige Brille, und er zeigte sich stets in Anzug und Krawatte. Zog er sich so auch an einem ganz gewöhnlichen Werktag an, um in einem Hotel zu Mittag zu essen? Oder würde er seine akademische Robe tragen? Eine Pfeife zwischen seinen Lippen? Eine Zigarette im Mundwinkel?
Meine Gedanken flatterten hin und her wie Vögel in einem Käfig.
Stimmte mein Aussehen? Schön, aber klug? Freundlich, aber intelligent? An sich hatte ich meine Erscheinung nie besonders bewundert, bis auf ein wunderschönes Foto auf der Umschlagrückseite von Weeping Bay. Und wann immer ich versuchte, genau diese Pose wieder einzunehmen, misslang es mir irgendwie, und ich war enttäuscht. Ich spielte an meiner Perlenkette herum und ließ meinen Blick durch die Bar wandern. Jetzt zur Mittagszeit war sie gut gefüllt: Männer in dreiteiligen Anzügen und mit Krawatten, Frauen mit Perlenketten und Hüten, ähnlich dem, was ich trug. Der Raum wirkte wie ein Schleier aus Chintz und Samt, spärlich beleuchtet von Lampen über den dunklen Wandtischen. Die Wände waren von grünen Damasttapeten bedeckt; an den Decken zogen sich dunkle Holzbalken entlang, dick wie Eisenbahnschwellen. Alles wirkte sehr stattlich und gediegen, ich richtete mich unwillkürlich höher auf und nahm meine Schultern zurück.
Mein Blick durchstreifte den Raum, bis ich ihn gefunden hatte.
Jack.
Da war er, angeregt ins Gespräch vertieft mit dem Mann, der ihm gegenübersaß. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen hörte er ihm aufmerksam zu.
Ich musterte ihn, als hätte ich eine Ewigkeit Zeit, ihn anzustarren, ohne dass er es bemerkte.
Seine Haare waren schon gelichtet, und die verbliebenen dunklen Haare waren straff nach hinten gekämmt. Sein Lächeln sprühte vor Leben. Seine Augen lagen hinter einer randlosen Brille im Schatten seiner schrägen Augenlider, als wäre er gerade erst erwacht und froh darüber. Entspannt saß er da, und hatte seine mit einer Cordhose bekleideten Beine übereinandergeschlagen.
Die Art und Weise wie sich die Landschaft seines Gesichts unter den kräftigen Augenbrauen bewegte, hatte etwas Leuchtendes an sich. Seine Lippen formten einen vollen Mund. Diese Eigenschaften – sein Verstand, den ich aus seinen Briefen kannte, und nun das Licht seines Geistes zu sehen – verbanden sich in mir zu einem einzigen Wort: schön. Die Vögel in meinem Kopf flatterten erwartungsvoll hinunter in meine Brust.
Und dann, als hätte jemand ihm die Hand auf den Mund gelegt, brach er plötzlich mitten im Lachen ab. Er sah mich an, als hätte mein Blick ihm auf die Schulter getippt.
Unsere Blicke begegneten sich und hielten einander fest. Seine Lippen verformten sich zu einem Lächeln, und meine taten es seinen unwillkürlich nach.
Ich gab mir einen Ruck und schlenderte auf ihn zu. Er stand von dem Sofa auf, und ich blieb vor ihm stehen. Seine braunen Augen funkelten freudig.
„Na so was! Meine Brieffreundin Joy ist endlich in England.“ Seine Stimme klang wie ein Gesang: Englisch mit einer unverkennbaren irischen Färbung. Er war nicht ganz so groß, wie ich erwartet hatte, einsachtzig vielleicht, doch seine Ausstrahlung reichte bis zu den Balken unter der Decke. Er trug ein abgetragenes Tweedjackett mit braunen Lederflicken an den Ellbogen und ein weißes Hemd mit hellblauer Krawatte.
„Und Sie“, sagte ich mit einem nervösen Lächeln, „müssen mein berühmter Freund Jack Lewis sein.“
Er lachte schallend, streckte seine Hand aus und ergriff meine, um sie kräftig zu schütteln. „Berühmt? Berüchtigt vielleicht, in ganz kleinen Kreisen.“
Meine Stimme hörte sich belegt und albern an. Ich versuchte, tiefer zu sprechen. „Ich bin wirklich froh, Sie zu sehen. Nach jahrelanger Freundschaft und nachdem ich schon einen ganzen Monat hier in England bin, lernen wir uns endlich persönlich kennen.“ Ich hielt seine Hand fest, und wir lächelten einander an. Wahrscheinlich waren es nur ein paar Sekunden, aber die Zeit schien stehen zu bleiben. Er ließ meine Hand erst los, als Phyl zu uns trat. „Oh, wie unachtsam von mir! Darf ich Ihnen meine Freundin Phyl Williams vorstellen?“
Der Mann neben Jack zog die Augenbrauen hoch, und ich wusste sofort, was ich falsch gemacht hatte – ich hatte laut in meinem New Yorker Akzent gesprochen.
Jack schüttelte Phyl die Hand und erwiderte in seinem irisch gefärbten Ton: „George Sayer, darf ich dir Joy Gresham und ihre Freundin Phyl aus London vorstellen?“
George nickte uns beiden zu, und Jack erklärte: „George ist ein guter Freund und ehemaliger Student von mir am Magdalen College.“
Ich schaute George an. „Es ist mir ein Vergnügen.“ Ich hielt ihm meine Hand hin, er schüttelte sie wortlos. Nervös presste ich meine Lippen zusammen und hoffte, dass der Lippenstift hielt und sich nicht in die kleinen Fältchen um meinen Mund verteilte.
„Kommen Sie“, sagte Jack, „setzen wir uns. Sie haben uns einen Tisch reserviert.“
Zu viert bahnten wir uns unseren Weg zu dem dämmerig beleuchteten Tisch, der in der Mitte des Restaurants für uns freigehalten war und auf dem uns vier Kristallgläser mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit erwarteten.
Wir ließen uns nieder, und während wir die Servietten über unsere Beine breiteten, musterte ich George rasch. Er hatte ein langes Pferdegesicht mit einer tief gefurchten Stirn, die davon zeugte, wie viel Zeit er mit zusammengezogenen Augenbrauen verbrachte. Seine großen Ohren schienen zu seinen Augen hin kippen zu wollen, und seine lange Nase endete in einer runden Knolle, von der aus er auf mich herabzusehen schien, als er meinen Blick auffing. Ich schaute weg.
„Sherry“, sagte Jack und hob sein Glas. „Willkommen in Oxford.“
Wir alle hoben unsere Gläser und nahmen gemeinsam einen Schluck. „Hmmm“, sagte ich, „köstlich. In Amerika hätten wir mit Whisky angefangen und wären dann zu Wein übergegangen und betrunken gewesen, bevor das Essen serviert wäre.“ Ich schüttelte den Kopf. „Und noch vor dem Ende der Mahlzeit hätte ich einen fürchterlichen Kater gehabt. Aber hier ist alles ausgesprochen … zivilisiert.“
Jack lachte, und George sah mich mit seiner gerunzelten Stirn an. Ich schenkte ihm mein bestes Lächeln. „Mr. Sayer, Jack sagt, Sie haben bei ihm studiert? Was machen Sie heute?“
„Ich unterrichte am Malvern College.“
„Oh, Sie Glückspilz! Hier in Oxford“, fuhr ich fort, „frage ich mich unwillkürlich, wie anders mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich es in einer Stadt wie dieser mit Männern wie Ihnen beiden verbracht hätte.“
„Ich vermute, Sie haben viel mehr davon, Ihr Leben mit anderen Männern als uns zu verbringen.“ George hob sein Glas. „Wir können ziemlich langweilig sein.“
„Aber das intellektuelle Leben hier – seit, warten Sie, neunhundert Jahren?“ Ich beugte mich vor. „Das muss doch ungemein stimulierend sein.“
„Ja“, sagte Jack. „Ist es. Aber zuweilen kann das ständige Lehren, Prüfen und Vorlesungen halten auch ganz schön eintönig werden.“
„Nun, ich hätte mich gerne mal darin versucht.“
Dann erzählte Phyl irgendeinen Witz, an den ich mich nicht mehr erinnern kann, und wir begannen, ungezwungen und unter viel Gelächter zu plaudern. Es gab ein Lachspüree, so leicht wie Schlagsahne, und ich wusste schon bald nicht mehr, wie oft uns Wein nachgeschenkt wurde. Infolgedessen nahm die Heiterkeit sprunghaft zu. Witze wurden schlecht erzählt und Geschichten mit allerlei Ausschmückungen versehen. Wir unterhielten uns über die bevorstehende Krönung der neuen Königin und über die Teerationierung. Es war ein langes Mittagessen, aber es fühlte sich an, als wären es nur fünf Minuten. Oft trafen Jacks und meine Blicke aufeinander, und wir lächelten uns schüchtern an. Wir kannten einander so gut wie alte Freunde – er hatte von meinen Geheimnissen und Ängsten gehört –, und doch konnten erst jetzt unsere Augen sich begegnen, wie es unsere Gedanken längst getan hatten.
„Wie sind Sie an die Werke unseres Freundes geraten?“, fragte George schließlich, als das Trifle zum Dessert serviert wurde.
„Wie Jack bin ich von Gott überrascht worden. Wir haben uns beide in der Mitte des Lebens bekehrt.“ Ich lächelte zu Jack hinüber und sah dann wieder George an. „Als ich acht Jahre alt war, las ich die Outline of History von H. G. Wells und marschierte geradewegs ins Wohnzimmer, um meinen jüdischen Eltern zu erklären, ich sei nun Atheistin.“