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Kitabı oku: «Hüter der Freude», sayfa 8

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XVI. KAPITEL

EINE WELTANSCHAUUNG
DIE IM HEMD ÜBER-
RASCHT WIRD

Das Fest der Dionysier war gerüstet. Nach vierundzwanzigstündigem Reisefieber, Debatten, Temperamentausbrüchen, fuhr das Ehepaar Kuhschleim mit dem Sonntagsfrühzuge nach Beneschau, sie in beständiger Sorge um den im Gepäcknetz verstauten Gugelhupf, er im Unmut über den unerledigten Stuhlgang. Benjamin, der um die Stunde des Aufbruchs noch festgekeilt im Bette ankerte, fühlte beglückt unter das Kopfkissen. Eine ruhelose Nacht war schwer auf der zerwühlten Decke gelegen. Verheißungsvolle Bilder marterten den Schläfer, badeten ihn in Schweiß, trieben ihn buhlerischen Wünschen entgegen. Hastige Ängste hetzten ihn in ein überschwengliches Entzücken. Er röchelte wie weiland der Hauswirt des Mynheer Schnabelowopski, der für die Untreue mit den biblischen Weibern von seiner Gattin im Schlaf mit dem ledernen Bruchband gezüchtigt wurde. Der Widerhall, mit dem die Türe hinter seinen Eltern ins Schloß fiel, klang ihm wie das Signal einer Zeitwende in den Ohren.

Die Vormittagsstunden verbrachte er in dem zerwälzten Bette. Er beherrschte eine Manier, in blumigen Phantasien zu schwelgen, die er mit Recht als sein geistiges Eigentum ansprach. Die Umwelt, in der er lebte, umfriedete er unbedenklich mit wollüstigen Gedankenketten. Da war kein Weiblein vor ihm sicher, das er kannte, die einmal im Vorüberschreiten seinen Appetit gereizt hatte. Mit sadistischem Vergnügen büßte er an spröder Wirklichkeit seine Rache. Wie Fliegen im Netz verzappelten sie in seinen Träumen. Die Scham der Jungfer, Anmut und Lieblichkeit fanden keine Gnade. Gerade die Tugendsamen befahl er zur unanständigsten Arbeit, demütigte die Damen für ihren Stolz, nötigte die Keuschen zur Gemeinheit. In endlosen Scharen pilgerten sie herbei, streuten Dunstwolken der Begehrlichkeit über den Weg, bangten entsetzt um die Ehre ihres Geschlechts. Mütter, deren unbewachte Reize er heimlich erlauerte Schwangere, die seine Neugier verletzten, Schnippische, die ihn hatten abfahren lassen, als er sich auf der Straße an sie drängte. Die Frauen seiner Lehrer, die Freundinnen seiner Schwester meldeten sich zu Frone. Er behandelte alle nach ihren Fähigkeiten, gab jeder zweiten neue Vorschläge preis, wußte für jede dritte eine besondere Sünde.

Ein Brandgeruch kroch zudringlich durchs Zimmer und jagte ihn aus den Federn. Die Zigarette, die er ekstatisch ins Gekröse der Steppdecke gestoßen, hatte einen schwarzgeränderten Trichter in die Watte gebrannt. Zerstreut, mit einem Fuß noch in schwüleren Provinzen, besah er den Krater.

Rosine! – Ro–si–ne!

Der verbuckelte Messingleuchter mit den Stearinklumpen flog gegen die Türe und reklamierte das Frühstück.

Ungekämmt, in einem schlampigen Kimono verwickelt, brachte die Gerufene den Kaffeetopf. Auch sie hatte nach dem Abgang der Eltern noch einen Nachtrag geschlummert, bis sie der kleine Willy in den Trubel der Wirtschaftspflichten beförderte.

Benjamin stippte begierig das Kipfel in die rotbraune Tunke.

Da ist wohl ein Fußball drunter? – fragte er anerkennend und beklopfte die feisten Formen der Schwester, die der Schlafrock nicht zu zügeln vermochte.

Rosine, an solche Zwischenfälle seit Kindesbeinen gewöhnt, befreite sich aus seinen Griffen.

Wenn du lieber lernen würdest! – grollte sie schlechtgelaunt, echote folgsam an Stelle der Mutter das geläufige Zitat.

Die Frühstunden gehörten den Vorbereitungen. Benjamin, ein knallgelbes Trikot unter der Weste, markierte in den zerlatschten Filzschuhen des Vaters die resolute Geschäftigkeit eines modernen Religionsstifters. Unermüdlich durchmaß er den Flur, der das Mietzimmer von den übrigen Wohnräumen trennte, legte Hand an, rollte Teppiche über die Fliesen, bohrte Löcher in die Wand, prüfte, verschönerte. Die geöffnete Hosenspange schlenkerte hinter ihm drein, schepperte zwischen Tür und Angel, gab seiner Eilfertigkeit etwas affenartig Geschwänztes. Das goldene Gebrumm der Mittagsglocken kam zum Fenster herein, als er eben sein Werk vollendete. Die Möbel waren gerückt, die Mauern mit den Farbendrucken benagelt, die er im Kaffeehause heimlich aus den illustrierten Zeitschriften gerissen hatte, und seitwärts wartete ein Sofa auf die Gelüste des Fleisches. Benjamin band eine alte Nummer der »Neuen Freien Presse« an einer Besenstange fest, entzündete sie an einer Kerze und kokelte mit der Flamme. Verbranntes Papier verscheuchte die Dünste und seit dem Abgang des alten Fräuleins war ein saurer Geruch nicht aus dem Zimmer zu bringen.

Beim Mittagessen löffelte er sinnig die Suppe. Sein Kiefer schob sich bedeutungsvoll vor, zermalmte die Brotrinde, kaute gebieterisch:

Ich erwarte Gäste – Mach dich dünn mit dem Fratzen!

Rosine, die mit Herrn Schwänzlein einen Spaziergang nach Krtsch verabredet hatte, nickte gefügig. Der kleine Willy strampelte mit den Beinen und machte eine Pfütze unter den Mittagstisch. Benjamin hob gravitätisch die Tafel auf, gähnte mit Würde, zog sich in seine Gemächer zurück, während die Schwester versonnen mit dem Daumen in der Nase schaufelte, ungewiß, ob es praktischer sei, den Ausflug mit oder ohne Korsett zu unternehmen.

Gegen fünf Uhr kamen die ersten Heiden. Im Gesellschaftsrock, von der Treppe erhitzt, schleppte Herr Bumberlik sein Körbchen. Die giftroten Glacés krachten in den Gelenken und sein blatternarbiges Gesicht glühte vor Eifer. Der Hausherr empfing den Dicken mit einer zustimmenden Verbeugung. Er hatte Vorhemd und Kragen vor das Trikot geknöpft und paradierte gleichfalls in einem verängstigten Schwenker. Ursprünglich für die Doktorprüfung bestimmt, ward dieser bei Hochzeiten und besonderen Anlässen aus dem Schranke gefischt. Ein zerlaufener Fleck über den wulstigen Schößen entstammte dem letzten Freisuff.

Den mitgebrachten Schnäpsen Bumberliks folgten nahrhafte Dinge. Bloch schaffte eine Flasche mit eingelegten Zwiebeln zur Stelle und die Muck, die Benjamins Gefräßigkeit noch von früher her kannte, kam mit einer Batterie von Sardinenbüchsen und Gurken. Der Dichter Bondy spendierte Käse und eine Forelle in Öl und das Schwesternpaar Lea und Ria, dem Kuhschleim nach seiner Heimfahrt aus Monte Carlo näher getreten und das sich heute zum ersten Male im Kreise der Künstler präsentierte, hatte eine selbstgebackene Torte mit Schokoladenüberguß gestiftet. Das Picknick war im Gange und die geübten Augen Benjamins machten den Überschlag.

Römerstern, der mit starker Verspätung eintraf und einen Dienstmann mit Vöslauer Rotwein vor sich hertrieb, schnüffelte nachdenklich an der Schwelle.

Hier stinkt's! – entschied er dann freudig, im Gefühl der Erleichterung, sein Mißbehagen entlarvt zu haben.

Knapp hinter ihm beschloß Mimi Bomba den Reigen. Ihr Röckchen schwirrte, ihre Brüste drängelten verführerisch, während sie verzuckerte Mandeln und Kaffeenüsse in die Freßecke streute. Ihre verwandtschaftlichen Gefühle hatten durch die Gerüchte über einen geplanten Geheimbund eine Auffrischung erfahren. Sie schob dem Vetter ein Plätzchen aus türkischem Honig in den Mund und duldete seine eingehende Begrüßung.

Langsam, nur ganz allmählich kam zwischen dem Essen eine Unterhaltung in Fluß. Kuhschleim schmatzte den Saft von den haarigen Schwimmhäuten seiner Hände. Ein gesättigtes Glänzen feuchtete seine Wangen, die ihm schlaff und faltig über den Hemdkragen flossen, wie die Hautbeutel eines Hamsters. Die Kaffeehausliköre kratzten in seiner Gurgel und er genoß sie wohlig in großen Schlucken. Die Sardinen der Muck und Doktor Blochs Zwiebeln schossen den Vogel ab.

Wo bleibt die versprochene Voluptas? – fragte Bondy. Seine Augengläser funkelten kritisch und die Haare umstanden wie Binsen seine gewaltigen Ohren. Schießen Sie los, Kuhschleim! – mahnte auch Römerstern, der sich beharrlich an seinen eigenen Rotwein hielt.

Benjamin erhob sich beflissen. Der Schnaps, den er getrunken hatte, nahm allen Ballast von seinen Plänen und beflügelte seine Entschlüsse.

Ich stelle den Antrag, von den anwesenden Damen zwei zu bestimmen, die wir gewaltsam entkleiden werden.

Ein tumultuöses Gemurmel brandete um den Vorschlag. Lea und Ria, die ihre Wäsche zu zeigen wünschten, waren begeistert. Herr Bumberlik, dessen Phantasie in einer zwanzigjährigen Ehe restlos verkümmerte, verlor allen Halt und applaudierte bei offener Szene.

Nicht übel! bestätigte Römerstern und rollte dem Sprecher eine Belobungszigarette.

Schön, aber polizeigefährlich! – ängstigte sich Doktor Bloch, bei dem das juristische Gewissen bockte.

Benjamin zerstreute gönnerhaft alle Bedenken.

Hierher kommt kein Polyp! – Laßt uns beginnen! –

Der findige Bumberlik hatte bereits aus zerbrochenen Streichhölzern ein Orakel gezimmert.

Ungrad gewinnt! – schrie er mit verkniffenen Fäusten, wirbelte die Röllchen um die Handgelenke, wischte den Schweiß mit dem Rockärmel von der beuligen Stirne.

Aufgewühlt, im Innern erschüttert, wehrte die Muck sich gegen das Zittern. Kuhschleims Ideen brachten seit jeher dumpfe Keime in ihr zum Treiben, zerrten ungesunde Wurzeln ans Licht, trübten ihr qualvoll die Sinne. Sie hatte sich eben an ein Buch erinnert, das den Aufstand der Schwarzen in den Kolonien behandelte, das ihr vor Jahren einmal in die Hände geriet. Da war ein herkulischer Neger, mit dem Blut und Gehirn der Erschlagenen bespritzt, in einer geplünderten Farm einem weißen Mädchen auf die Spur gekommen und fing sie mit ungeheuren Tatzen. Unklar, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, hatte sie die Überfallene damals beneidet. Jetzt, wo Ihr ein ähnliches Erlebnis winkte, wußte sie die Gründe. Konnte man etwas Beseligenderes ersinnen, als von angetrunkenen Männern entkleidet zu werden? Das Schicksal, das Bumberlik in den Fäusten zerdrückte, entschied sich zu ihren Gunsten. Sie und die schweigsame Ria gerieten dem Lose anheim. Ungesäumt, vom Schnaps und vom Rotwein zur Kühnheit verpflichtet, vollzog man die Opferung. Ria, von der enttäuschten Schwester maßlos beneidet, kam zuerst an die Reihe. Die Bomba und Bondy hielten sie an den Händen fest, während Kuhschleim sich ihrer Füße bemächtigte. Von Gelächter gerüttelt wurde sie auf den Tisch gehoben, widerstrebte geziert noch ein Weilchen und ließ sich dann willig ausziehn. Herr Bumberlik, dessen eheliche Freuden zwischen Barchent und Flanell recht kläglich versauerten, berauschte sich an der berühmten Wäsche. Ria, aus ihren Umhüllungen geschält, hatte den hellen Hautton reifer Blondinen. Gepufft und gequetscht entwand sie sich endlich dem zwängelnden Halbkreis und sprang auf die Füße. Mit gesenkten Wimpern stolzierte sie unbefangen, bastelte mit erhobenen Armen ihren Haarzopf zurecht, was, wie sie wußte, ihrer Figur zustatten kam. Fast hätte man über der Splitternackten die jählings verstummte Muck vergessen, wenn Römerstern, ihre Unrast begreifend, die Saumseligen nicht befeuert hätte.

Aber sei es, daß die Protektion des ergebnislos Angeschwärmten ihrem Zartgefühl wehe tat, oder daß das Geschehnis durch das verkostete Vorspiel seine Urkraft eingebüßt hatte, oder fürchtete sie, durch die rundlichen Formen ihrer Vorgängerin endgültig in den Schatten gestellt zu werden, die entfesselte Meute stieß auf ihren ehrlichen Widerstand, Ihre Stimmung, die eben noch in den Ausschweifungen afrikanischer Greueltaten schwelgte, schlug plötzlich um und entlud sich in schrillenden Hilferufen. Gerade als Bondy mit verbissenem Eifer einen Schuh mit dem Strumpfe ihrem Beine entstreifte, während sie kratzend und speichelnd mit ihm um die Beute sich balgte, während die Bomba mit gerafftem Röckchen auf einem Stuhle stand, um das Ereignis perspektivisch zu genießen, während im Hintergründe Herr Bumberlik sich der kreischenden Ria bemächtigte und Doktor Bloch vor Vergnügen wie ein echter Tiroler jodelte, während die Ausgelassenheit wie eine Windhose durch das Zimmer fegte und das Gebrüll der Muck mit dem Klirren der Likörflaschen zu einem tosenden Taumel kuppelte, tat sich die Türe auf und das Ehepaar Kuhschleim stand auf der Schwelle.

Der pensionierte Steueramtsoffizial, der sich so unvermutet einer neuen Situation gegenüber sah, hatte zeitlebens ein Herz für sexuelle Ausschreitungen besessen. Noch heute, wenn er beim Abendbier im Familienkreise seine Fünfheller-Zigarre schmauchte, gab er zuweilen seinen verschämten Zuhörern die Erinnerung zum Besten, daß er seine Frau im Grunde genommen nur wegen ihrer schönen Waden geheiratet habe, die sie ihm als junges Mädchen auf den steilen Stufen der väterlichen Treppe entschleierte. Aber die haltlose Orgie, mit der er hier in den Grenzen seiner Behausung als entsetzter Augenzeuge zusammenstieß, raubte ihm die Besinnung. Arglos, erfreut über die Aussicht, infolge des geänderten Programms den Strapazen des Übernachtens in einer verwandtschaftlichen Kanapeeschublade entronnen zu sein, hatte er mit seiner Gattin den Abendschnellzug zur Heimreise benützt. Durch die Erregungen der letzten Stunden zum Schwatzen verleitet, wollte er eben vor der Türe des Schlafzimmers die Segnungen einer geordneten Hauswirtschaft auseinandersetzen, als die irrsinnigen Angstschreie der Muck sein Blut erstarren machten. Jetzt stand er ungläubig, mit kraftlosen Kinnbacken vor der verstörten Gesellschaft und hielt den Regenschirm wie eine zum Angriff gefällte Lanze stoßbereit unter dem Arme.

Frau Kuhschleim, die mit weiblichem Scharfsinn Zusammenhänge leichter erfaßte, fand endlich die Sprache wieder. Ihr unheilverkündender Zorn ging fürchterlich über die Walstatt. Ihre Augen, in denen das kalte Blendlicht züchtiger Grundsätze flackerte, spießten die Verworfenheit jedes Einzelnen mit stahlharten Blicken fest, spannten die Nacktheit Rias auf die unbefleckte Fläche ihrer Vergangenheit, brandmarkten die Zuckungen der Muck mit verächtlichem Hohne, spreizten eine Distanz zwischen sich und die zerzauste Nichte, nagelten sich zum Schluß drohend und unversöhnlich in das Gesicht ihres Sohnes hinein.

Bagage! – Bagage! –

Vor der anklägerischen Wucht dieses Wortes bestand nur die Flucht. Eine regellose, strudelnde Flucht, die in den eigenen Untiefen untertauchte, sich selbst den Weg verstellte, sich selber zu Boden riß. Eine Springflut, die Kleider und Hüte, Gläser und Sardellenbrötchen durcheinanderkehrte, die glühende Ria in ihre Röcke wickelte und atemlos, von panischer Wirrsal erfaßt, an dem gezückten Regenschirm des Herrn Kuhschleim vorbei nach der Türe hetzte.

XVII. KAPITEL

EINE HIMMELFAHRT
UND EIN HISTÖRLEIN

Das Krankenhaus ist ohne Geheimnis. Wie eine graue Schnur läuft die Fassade durch die halbe Gasse und der Portier ist der alte Jawurek, von dem die Kinder in der Stadt einen Kehrreim wissen. Vor der Aufnahmekanzlei steht eine ratlose Gruppe. Ein Mann mit einem rosafarbenen Pflaster unter dem Strohhut, ein Kind und ein paar Weibsen mit Kopftüchern und blaugewürfelten Hucken. Ein Glöcklein scheppert und auf der Steinbank im Hofe sitzen die Kranken in der gestreiften Anstaltswäsche. Eine Wärterin kommt durch die Einfahrt, weht blond und vollbusig mit ihrer weiften Schürze und zeigt unterm Kleide die Florstrümpfe auf den drallen Waden.

In dem getünchten Saale sind die Fenster offen. Die warme Luft kommt herein und bringt die träge Unruhe des Sommers zu den Betten, Ein Taubenschwarm wandert langsam über die Kamine und der Wind läßt den Himmel draußen wie einen blauen Vorhang flattern.

Die Besuchsstunde ist bald vorüber. Es ist niemand mehr da, nur der Raunzebart bleibt bis zum Torschluß und dreht mit den großen Pfoten schwermütige Würste aus seinem Taschentuch.

Erzähl' mir was – bettelt das kleine Stimmchen, das unter der borstigen Zudecke liegt.

Der Raunzebart brummt. Er zerbricht sich den Kopf, etwas recht Schnurriges zu erfinden, aber er wischt vergeblich seine betrübte Nase.

Das Stimmlein ist fiebrig und müde. Seine Hände jagen über den Bettrand hin, seine Augen sind unstät. Sie schauen in den Rauch hinein, der hinter den Moldauhügeln brodelt.

Ein Leben ist kurz, ein Kinderherz süß und begehrlich. Es sinnt den Stunden nach, die am schönsten waren – – – Schaumzucker und Schulhefte strudeln darin, ein Kuß hinterm Haustor, ein Abend Psylander. Das Stimmlein lächelt gerührt, seufzt wie ein Kätzchen.

Der Raunzebart schickt inzwischen den Astralleib auf Suchschau. Ausgemergelt läuft er die Straßen lang, rempelt Passanten an, hält Eilige an den Schößen.

– Ach, bitte recht schön – Ein Histörchen – fürs Stimmlein – –

Aber niemand will dem Dürrebein Rede stehn. Er galoppiert, macht Windräder aus den Armen. Ein gelber Fleck glimmt zwischen den Plakaten, wächst näher, schreit. Er stößt wie ein Habicht, blättert den Fetzen von der Tafel und rennt. Mit dampfenden Lungenflügeln kriecht er in sein Gehäuse.

Die großen Augen blicken noch immer nach der Sonne über den Hügeln. Sie schwärmen, stehn tief wie ein Licht, das hinter gedunkelten Gläsern brennt. Die Haare leuchten und machen einen Kranz über der Stirne.

Der Knurrbart schnaubt, dreht wacker sein Schneuztuch und beginnt das Histörlein.

Wunderlich, in Samtflaus und Pluderhosen geistert der Löwenmensch aus der Plakatwand. Seine Beine sind schlank, lavendelfärben, aber sein Antlitz ist schrecklich. Das Raubtierfell deckt seine Züge zu, zottelt um seinen Mund, hängt ihm zur Mähne gebürstet bis zu den Hüften. Unter der Nasenwurzel, zwischen fahlweißen Brauen grinst schon der Scheitel. Halb Mensch, halb Tier, ein Budenmonstrum, das unerhört ist.

Er redet sich warm, tischt Anekdoten auf, putzt sie mit grellen Wimpeln.

Auf der Straße wittern die Hunde das Ungetüm. Die Pferde scheuen, die Engländer aus den Hotels belagern die Kassa. –

Das Stimmlein staunt, lauscht dem Histörchen.

Hast du ihn selbst gesehn, den Mann? –

Er zaudert, lügt rot wie ein Knabe. Aber das Stimmlein sieht's nicht. Ihm graust und es zieht die Decke über das Hälslein. Es ist so dankbar, daß es kein Löwenmensch geworden ist. Es rückt sich das Polster zurecht, guckt nach dem Taubenschwarm über den Dächern, Ein kleines Herzeleid drückt ihm das Brüstchen, aber tut ihm nicht weh. Stilläugig, freundlich entgleitet das Leben. Heimliche Tränen Rackern darin, ein Kuß im Hausflur, ein bischen Psylander. Da lächelt das Stimmlein, daß es so glücklich sein durfte,

Aber wie es dem Knurrbart zublinzeln will, beschämt und vergnügt, weil die Geschichte so schön war, kriegt es den Schrecken. Zwei dicke Tränen kollern ihm los, rutschen ihm kinnwärts, zwei erbsrunde Tropfen.

Bubi, du heulst? –

Es braucht seine Antwort nicht, es hat schon begriffen.

Ach ja – zirpt es leise, ganz fein wie ein Grillchen. – Ach ja –

Dem Stimmlein ist bange. Ein häßliches Ding sitzt am Fußrand des Bettes, hebt den Schnabel hoch, meckert, plauscht. Der hölzerne Papagei aus der Kindheit ist wiedergekommen. Er wohnte einmal auf dem Schrank neben der eierlegenden Henne, war stolz bemalt, rot, grün und blau. Jetzt hockt er da und plappert vom Sterben.

Das Stimmlein schluckt, als ob ihm die Kehle drucke. Ein furchtsames Händchen kriecht unter der Decke hervor, wie ein ganz armseliges, mageres Mäuslein. Es fackelt erschrocken, stuppst dann den Knurrbart. Willst du was, Weiblein?

Die Augen sind groß, klarblau und trocken. Aber fernher, aus der Tiefe, schwimmen die Wolken herauf. Bleifarben kommen sie näher, schieben Silberkähne ans Licht, tragen Sturzbäche, Scherben, Bitterkeiten.

Gott ist doch gut – – Bubi? – – Gott ist doch gut? – –

Ein Minutchen gibt sich das Stimmlein zufrieden, während der Raunzebart nickt und die Fliegen verjagt, die von draußen hereinbrummen. Aber die Pulse trommeln und der Haarkranz liegt feucht auf der blassen Stirne.

Glaubst du, daß er mich in die Hölle schickt? –

Der Bartmensch wettert und sein Grollen weckt den Husten in den Nachbarbetten auf. Sein Kinn baumelt böse, onkelhaft vorwurfsvoll.

Geh, kusch dich, Weiblein. –

Er reibt seine Nase mit allen fünf Fingern.

Du kommst in den Himmel! – Verstanden? – Punktum! –

Das Stimmlein schweigt, äugt ungläubig hin, kann nicht zur Ruhe kommen.

Ach ja –

Ganz flügellahm schleicht schon der Seufzer.

Aber ich war doch schlecht – war eine Hure? –

Irgendwo auf der Strafte fährt ein Wagen vorüber. Der Fußboden schaukelt und der Tisch an der Saalwand gerät ins Zittern. Die Glasröhren in den bauchigen Flaschen machen Musik und klimpern. Ein kleines Bekenntnis huscht zum Fenster hinaus, duckt sich jämmerlich in der Sonne. Da nimmt es der Wind, wirbelt es wolkenhoch bis hinauf in die Bläue.

Der Bärtige beugt sich über das Bett. Er späht in die Lichter hinein, die unter dem Blondzopf schummern. Sein Gesicht ist fromm, wie das der Weihnachtshirten in den Bilderbüchern.

Gott ist gut, Weiblein, gut und – weise.

Er sagt es feierlich, schnaubt ernsthaft die Nase.

Dem Stimmlein wird's komisch, wie in der Katechismusstunde.

Weise –

Es geht um das Wort herum, schnuppert ängstlich und schüchtern. Schulstuben Wahrheiten, jahrlang vergessen, scheuern sich blank. Der Knurrbart ist ungewöhnlich, unirdisch anzuschauen und wühlt beschwörend in dem biblischen Haupthaar.

Weise –

Es ist ein köstliches, nie gekanntes Gefühl. Die Zimmerdecke geht aus den Fugen, rollt in den Weltraum, öffnet sich glanzbereit. Der liebe Gott kommt herein und breitet den großen Mantel.

Das Stimmlein friert. Demütig neigt es den Kopf und wird kleiner und kleiner. Zuletzt ist es wieder der erbärmliche Frosch im verwaschenen Rock, mit den Wassersäcken in den gestopften Strümpfen.

Du bist es? – wundert sich Vater Gott und betrachtet das Knirpslein.

Da kommt es aus der Tiefe herauf, aus den bleigrauen Wolken. Alles Schwere wird fortgespült, löst sich in sanften Quellen. Balladen, die das Leben im Schutt begrub, Sturzbäche, Scherben, Bitterkeiten.

Stoßweise schüttert das Schluchzen. Das Bächlein purzelt, macht das Kopfkissen schlapp, netzt die zersprungenen Lippen. Vergrabener Kummer schwärt wie ein Gift auf der blaßroten Zunge.

Das Stimmlein weint. Durch alte Schmerzen, wunderliche Finsternis sickern die Tränen. Das heiße Leben schnellt sprudelnd auf, wie der Spiritus in der luftleeren Kugel. Ein verliebtes Küßlein torkelt zu oberst, ein Kinoabend, ein furchtsames Wispern. –

Aber unten siedet das Dunkle. Gefängnisse tun sich auf, Korridore hallen. Stimmlein, wo bist du? – Ist das alles dein, was in dem Bächlein schwimmt? – Selbstmördernächte, Wust, Gelächter? – Hoffnungslose Straßen, in die der Regen fällt? – Musik, die dich foltert? – Der Schlaf der Betrunkenen? – – – Was sind das für Türen, die so fürchterlich schlagen? –

Das Stimmlein ist schrecklich kaput, matsch wie ein seidenes Tüchlein. Das Flennen tut gut, macht ihm heller und leichter. Der Knurrbart ist wieder da und hält die Mäusepfoten in seinen Flossen. Der hölzerne Papagei ist verdattert, wagt nicht zu mucksen.

Die Wärterin kommt auf den weichen Filzsohlen, schielt nach der Uhr, zuckt dann die Achseln. Die Besuchsstunde ist durch, aber das macht nichts. Der Assistent tritt die Runde an, bleibt vor den Betten stehn, sammelt die Wünsche. Sein Gesicht ist energisch, flammt munter von jungen Schmissen.

Das Zimmer ist wieder wie sonst, die Decke hängt niedrig, Gott ist verschwunden. Nur sein ewiger Mantel weht noch zum Fenster herein, schleift schwer und kostbar über die Hügeldünste. Ist dir sehr kalt, kleines Tier? – Dein Schnäuzchen ist weiß, deine Füße schlottern – –

Da bringt die Frau schon die Wärmeflasche. Das Stimmlein streckt sich, biegt die erstarrten Gelenke. Ihm ist so wohl und es hat keine Furcht mehr. Im Himmel wird's schön sein, bei den Engeln und kleinen Kindern.

Der Doktor geht weiter. Er sieht fröhlich aus, streicht zufrieden sein Bärtchen. Er denkt an die Schwalbe, die heute am Morgen hereinflog und im Saal sich verirrte. Sie zappelte unentschlossen, flitschte im Zickzack, suchte verdutzt wieder das Weite.

Zu wem sie wohl mochte? – rieten die Kranken –

Eine Schwalbe bringt Glück –

Wundervoll, wie Kerzen um einen Kindergeburtstag, scheint draußen die Sonne. Die Tauben gleiten, baden im Licht. Der Geruch des Sommers schleicht sich noch einmal zärtlich zum Stimmlein. Das liegt mit geschlossenen Augen, atmet heftig und selig.

Zerrupfte Gedanken zaubern Märchen ins Herz. Der Holländermichel und der Kohlenmunkpeter gehn darin um und die Buleman-Mäuse tanzen im Mondschein. Wer war's doch, der ihm die Geschichte erzählte? – War's nicht damals einmal, als es selber noch tanzen konnte? – Strohgelb, wie ein verwunschener Prinz, steht dann der Löwenmensch in seinem Traumbild – –

Der Knurrbart ist niedergekniet. Er hält das zerknüllte Sacktuch noch immer in seinen Händen und kramt geduldig in dem ungebärdigen Kopf nach einem Vaterunser.