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Kitabı oku: «Hüter der Freude», sayfa 9

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XVIII. KAPITEL

EIN HOCHZEITSESSEN, DAS
EINEN VORBILDLICHEN
VERLAUF NIMMT

Herr Schwänzlein, der in der Devotionalienhandlung »Porges, Schulhof und Comp.« seit zwanzig Jahren die kümmerliche Nachfrage befriedigte, konnte den Augenblick nicht vergessen, wo er der bewußtlosen Rosine hilfreich die Schnürjacke geöffnet hatte. Niemals war ihm vorher, in der weltfremden Zeit des Hagestolzen, der Gedanke gekommen, daß die Natur das Weib mit Reizen begabte, welche die Ruhe des Mannes gefährden können. Was er da unversehens in dem diskreten Halblicht des Stiegenhauses unter den Händen fühlte, verblüffte ihn über die Maßen. Sein Leben war ihm bis jetzt in ungetrübter Geruhsamkeit verflossen. Die Politik, die in den Spalten seines Leibblattes rumorte, eine Sammlung schweinischer Anekdoten, die ihm am Stammtisch einen Nimbus verschaffte, und seine Hämorrhoiden erfüllten es gänzlich. Manchmal, wenn er vom Biere erhitzt um verbotene Triebe scharwenzelte, wenn im Theater die Ballerinen ihre Beine schmissen, wenn Musik ihn drangsalierte oder wenn er auf dem Klosett seinen sentimentalen Zeitungsroman in Fortsetzungen las, dann kündigte der Seismograph seiner Seele ein Fernbeben an. Aber es waren immer nur kurze, unfruchtbare Minuten, wo ihn die Ahnung arger, noch ungenossener Gefühle angenehm übergruselte.

Nun stak er unvermutet in einem Fangeisen drin, das ihn boshaft umklammerte. Schlafhungrig und zerschunden fuhr er am Morgen von der Lagerstatt auf und stürzte kopfüber in die Waschschüssel. Das kalte Wasser vermochte ihn nicht mehr zu retten. Er tat sein Tagewerk, nistete hinter dem Ladentische, aber ein dumpfer Druck in der Gegend des Kleingehirns machte ihn denkfaul und schwerblütig. Greise Frauen in zerschlissenen Mantillen schlurften herein, wühlten mit knöchernen Fingern zwischen den Rosenkränzen. Junge Weiber feilschten um das Glasbild des heiligen Antonius, der irgendwie in den Verruf geraten war, verlorene Versatzzettel und verlegte Monatsbinden wieder zur Stelle zu bringen. Herr Schwänzlein zog Schubfächer auf, stöberte in den Regalen, bediente die Kundschaft. Er trocknete die feuchten Hände an seinem Hosenboden und das angefrorene Lächeln auf seinen Lippen zuckte unheilig und lüstern.

Frau Kuhschleim buchte den Eindruck, den ihre Tochter auf den Junggesellen machte, mit beifälligem Frohsinn. Ihr mütterlicher Instinkt erblickte in dem Unfall, der die Bekanntschaft vermittelte, den Auftakt naher Ereignisse. Ihr Tatendrang, der oft zum Leidwesen des Gatten eine unerfreuliche Energie auslöste, trat in Erscheinung. Unnachsichtlich war sie dem Zufall auf den Fersen, half unwilligen Gelegenheiten auf die Stelzen, schob und verkuppelte. Der Ausflug nach Krtsch, welcher mit Schwänzlein auf ihren Befehl hinter dem Rücken der Mutter unternommen wurde, gab endlich den Ausschlag. Rosine hatte, einer Eingebung folgend, zu guter Letzt sich richtig besonnen und ihr Mieder daheimgelassen. Die Früchte dieser Voraussicht folgten dicht auf dem Fuße. Am nächsten Sonntag machte Schwänzlein ihren Eltern die Aufwartung. Die Vormittagssonne blinkte auf den ausgekämmten Schuppen auf seinem Rockkragen, während er seine Werbung vortrug. Die Stellung bei Porges und Kompagnie war eine leidlich bezahlte und er besaß auch ein stattlich Erspartes. Nur die eine Bedingung stellte er in den Vordergrund, daß die Hochzeit tunlichst beschleunigt werde.

So hatte der Dunstkreis der beleidigten Aftermieterin, die übrigens immer noch mit dem Zinsgroschen säumte, neben vielfachem Ungemach auch einen Bräutigam ins Haus gezogen. Rosine war überglücklich. Das ältliche Mädchen hatte bislang nicht den Mut besessen, ihr Temperament, das zu Hause in versalzenen Tunken überschäumte, durch illegitime Maßnahmen zu beschwichtigen. Zwar hatten die Väter der zahlreichen Zöglinge, die sie jeweilig betreute, eine Musterkarte galanter Versuchungen zu ihrer Verfügung gestellt. Ein cholerischer Sanitätsrat, dem die nutzlosen Mastkuren seiner Gemahlin die Besinnung verschlugen, verstieg sich sogar zu einem Gewaltakt. Diese Vorfälle hatten zunächst die Folge, daß wutbleiche Ehefrauen der Erzieherin kündigten. In den ererbten Besitzstand vorsichtiger Grenzschutzwälle schlugen sie keine Bresche. Nur die Referenzen Rosinens verflauten bedenklich.

Die Verlobung, die über sie hereingebrochen war, überwältigte sie völlig. Alle Weibssehnsucht, alles Wirrsal in ihr wurden rebellisch. Sie flatterte wie ein Kanarienvogel, der zu spät zur Paarung gebracht wird, winkte mit nassen Taschentüchern Willkomm und Abschied, schmachtete mit schwimmenden Blicken nach ihrem Erkorenen, wenn dieser der Mittagstafel der Schwiegereltern die Ehre antat und die saftigen Hühnerknochen zwischen den Zähnen zermalmte. Auch Frau Kuhschleim, die der Kaukunst des Gastes mit geheucheltem Wohlwollen zusah, drängte zur Hochzeit. Von den Wünschen der Brautleute beflügelt, von der Gattin kategorisch beeinflußt, bestimmte der Vater das Datum.

Der Morgen der Trauung versammelte die Nachbarsleute in der Wohnung. Mit verweinter Nasenspitze, perplex und gemütvoll, ließ sich Rosine bewundern, und duftete aufgeregt nach Pappelpomade. Ihr weißes Kleid knirschte verfänglich und schloß sich in straffen Falten um die gepanzerte Taille. Eine Platte mit Knoblauchbrötchen und saueren Fischen verlockte zum Imbiß. Die Kranzeljungfern, die Schwestern Bomba, hatten daneben Posten gefaßt, schmatzten mit vollem Munde und spuckten die Petersilie auf den geliehenen Läufer. Frau Bomba war ungern mit der Erlaubnis herausgerückt, den verstopften Verkehr mit dem Schwager so unverblümt zu erneuern. Die schöne Gelegenheit, sich mit dem Heiratsgeschenk zu drücken, plumpste damit ins Wasser. Doch mußte sie schließlich ihren ehrgeizigen Menschern den Sieg überlassen und sagte sich selbst zum Brautschmause an.

Allgegenwärtig, mit knallroten Backen schuftete Frau Kuhschleim in der Küche. Sie keifte mit der Bedienerin, schnitt eigenhändig die Zwiebeln und schwitzte in ihrem Staatskleid. Benjamin, für den die kirchliche Zeremonie keine Interessen aufwies, hatte Bauchschmerzen vorgeschützt, lag noch im Bette und besah sich den Rummel aus der Froschperspektive. Vater Kuhschleim begrüßte die Ankömmlinge. Er war frisch rasiert, hatte Blutflecken auf dem neuen Hemdkragen und genehmigte sich manchmal einen Bittern.

Der Bräutigam, kahlgeschoren und ledern, war ohne Anhang. Er brachte von seiner Stammtischgesellschaft zwei Freunde als Trauzeugen mit, von denen der eine dem dritten Napoleon, der andere dem General Kanimuhra ähnelte. Sie lächelten beide verbindlich, rückten an ihren Krawatten und sagten beständig: O bitte sehr – – danke – – das macht nichts. Die Auffahrt zur Kirche machte gebührendes Aufsehn. Herr Schwänzlein, der bedeutsamen Handlung bewußt, knöpfelte weltmännisch an den Handschuhen. Die Hausmeisterin und die Milchfrau, die das Spalier der zugelaufenen Rangen krönten, schossen zum Schluß noch ihre Glückwünsche ab. Rosine, die es vermied, das neue Taschentuch mit den Lochstickereien zu benützen, kämpfte mit ihrer Rührung. Frau Kuhschleim strahlte und der Brautvater schäkerte mit den Kranzeldamen. Die Trauung verlief ohne besondere Ereignisse. Die Schwestern Bomba bewahrten auch während derselben eine ungeminderte Lachlust und die zwei Trauzeugen, unentwegt höflich, änderten nicht ihre Taktik. Als alles schmerzlos vorüber war und die Gäste sich wieder im Hause sammelten, trank man auf die Gesundheit des Paares eine kräftige Runde.

Den Gipfel der Lustbarkeiten bildete dann der Festfraß. Frau Kuhschleim war von der Stunde an, wo die Torheit der verstorbenen Schwägerin ihre Sippschaft verunglimpfte, ihres Lebens nicht froh geworden. Die Gans, die im Herdrohr der Toten im Gestanke verbrannter Federn und geborstenen Geschlinkers gequalmt hatte, warf dunkelrünstige Schatten auf die Ehre ihrer Familie. Sie geisterte spukhaft durch die Gedächtnistage, lastete auf der Kindheit des kleinen Willy, war das verschwiegene Skelett im Hause. Heute, vom Hochmut gestachelt, wollte Frau Kuhschleim das Gespenst beschwören. Sie hatte auf dem Markte einen Vogel erstanden, der eigens zu ihrer Rechtfertigung erschaffen schien. Jungfräulich und gewichtig, vollbrüstig und fett, schmorte er in der Pfanne zu einem Gansbraten zusammen, wie er zarter, saftbrauner, herzstärkender nicht gedacht werden konnte. Noch ehe die Hausfrau das Kunstwerk hereintrug, als schwelgerischer Geruch durch die Türritzen schwärmte, war der Makel von ihrem Namen genommen.

Gleich hinter dem Braten kam Frau Bomba herein und gleißte vor Edelsteinen. Sie brachte Kamilla geschleppt, die sie als alte Freundin bezeichnete. In Wahrheit war diese zu einer Mariage bestellt, die der Hochzeit halber entfallen mußte. Um ihre Kundschaft nicht vor den Kopf zu stoßen, beschloß sie sie kurzweg mitzunehmen. Frau Bomba befand sich in imposantester Aufmachung. Der falsche Zopf war majestätisch gerollt und auf dem Vorbau strotzten die Schmelzperlen. Sie grüßte gnädig, ließ sich die Kranzelherren vorstellen und belegte den Ehrensitz. Für Benjamin, der fast gleichzeitig anschwirrte, mimte sie kaltes Befremden. Der gemaßregelte Neffe nahm es nicht schwer, ließ sich ein Flügelstück schmecken und lotste Kamilla, die er richtig taxierte, an eine zweisame Tischkante.

Nach dem Gänserich, der gebührend beansprucht wurde, folgte ein Heringssalat als Erholungsspeise. Der Bierkrug wanderte und zwischendurch, vom Hausherrn fleißig in Fluß gebracht, kreisten die Schnäpse. Die Stimmung, die anfangs bedächtig zurückhielt, begann zusehends zu steigen, Herr Schwänzlein, der in Gesellschaft gern ein verfluchter Kerl war, zückte das Anekdotenbüchlein.

Neben den Bombatöchtern hatten die beiden Heiratshelfer die Zelte aufgeschlagen. Sie prosteten steifleinen mit den Damen, klappten höflich zusammen, stotterten automatenhaft. Siddy und Mimi, an ein flottes Gesprächstempo gewöhnt, versuchten es mit den Füßen. Die beiden Ritter, zuerst verdutzt, begriffen den Vorfall. Sie verneigten sich vor den Brautjungfern, lächelten süßlich und lispelten aufmerksam: – Danke –

Allmählich war man so weit, daß Herr Kuhschleim die väterliche Rede steigen lassen konnte. Er trug die Serviette noch hinter dem Hemdkragen und ließ beim Sprechen die Finger knacken, wie er es einmal bei einem Dienstjubiläum bei seinem Bürochef gesehn hatte. Seine Stimme bröckelte, als er die eigene Ehe erwähnte. Er luchste vergnügt mit geröteten Augen, als er erzählte, wie er seine Hälfte auch nur ihrer Waden wegen geheiratet habe. Die losen Röllchen schoben sich zudringlich vor und klemmten sich vor die Rockärmel. Das unvermeidliche Hoch, das man stehend ausbrachte, beendigte den Schwefel. Die Gattin, die während des Toastes vernehmlich gehustet hatte, war gutgelaunt und versöhnlich. Der Duft des genossenen Gansels, der noch immer mit Bierdunst vermischt über dem Zimmer lagerte, lullte ihre Seele in Milde. Frau Bomba saß neben der Schwester, hatte von Schwänzlein die Anekdotensammlung geliehn und blätterte gravitätisch. Kamilla auf der zweisamen Kante ließ sich vom Söhnlein bedienen, das ihr gerade den Schmierkäse putzte. Nur Rosine war schweigsam in sich gekehrt, atmete schwer in ihrer Umschnürung und erwog schon seit Stunden bei sich das Problem, wie man im Brautkleid ohne sichtbaren Schaden die Notdurft verrichtet. Ein geratenes Gebräu von Hausmutters Gnaden war zum Abschluß gespart worden. Die eingelegten Schnäpse, die Frau Kuhschleim erzeugte, entstöpselten biederen Stumpfsinn. Der Hausvater, der das entfesselte Vorhemd mit wachsendem Unmut unter die Weste bugsierte, schwankte auf seinem Stuhle. Frau Bomba, mit den Anekdoten zu Rande, senkte das Kinn auf die Schmelzperlen und riskierte einen Schlummer. Nur ihre Töchter, die sich begossene Nasen nicht anfechten ließen, übten mit ihren Tischherren noch immer die Konversation.

Der dritte Napoleon, der am Stammtisch als Saufbruder galt, spießte der fügsamen Siddy seine Knie in die Weichen.

O bitte! – kratzfußte er schwungvoll und haschte nach ihren Hüften.

Das macht nichts! – meinte Herr Kanimuhra, griff der beschwipsten Mimi hinter den Brustausschnitt und holte sich, was er brauchte.

Rosine, die von dem nutzlosen Grübeln ganz fahl im Gesichte war, fand endlich den Mut zum Geständnis und verschwand mit dem rülpsenden Schwänzlein. Die Mutter, gewillt, ihre sämtlichen Ratschläge loszuwerden, gab ihnen ein Stück das Geleite.

Wollen Sie sich nicht mein Studierzimmer ansehn? – fragte Benjamin seine Nachbarin und fletschte die grünen Zähne. Die Luft war rein, Vater Kuhschleim erledigt, der kleine Willy bei der Milchfrau in Obhut. Kamilla, die nach der ausgiebigen Fütterung einem Finale nicht abgeneigt war, sah sich listig im Kreise um. Die Situation war befriedigend.

Sie flammte ihn halbschläfrig an, streckte zustimmend die gewaltigen Beine.

Das Studierzimmer Benjamins war noch in dem Zustand, in dem er es mittags verlassen hatte. Die Luft war sauer und unter dem zerwühlten Bette trauerte noch der Nachttopf.

Erklären Sie mir ein bissel den Hedonismus! –

Sie kreuzte die Arme im Rücken und lehnte mit aufgerichteten Brüsten an der Türe.

Sogleich! – entgegnete Benjamin und ließ die Holzgardinen herunter.

XIX. KAPITEL

DER LÖWENMENSCH
BLUTWOLKEN
AUSKLANG

Als Sturmfenster aus dem Krankenhause auf die windstille Gasse trat, überkam ihn ein Taumeln. Ein garstiger, unruhiger Hunger plärrte in seinem Leibe, bog ihm die Knie heraus, hängte sich schwer an den Schoßrock. Jenseits des Fahrdammes, in dem einspringenden Winkel des Garnisonsspitals, saß eine Öbstlerin. Er kaufte ein paar von den wurmstichigen Äpfeln, die der Staub schon grau und glanzlos gefärbt hatte. Von den Kokosnußklexen auf dem beschmutzten Papiere flogen die Wespen auf und umkreisten ihn drohend. Er schlug mit dem Taschentuche nach ihnen, aber sie folgten ihm aufgescheucht bis zur Straßenecke.

Ein verwundertes, vielstimmiges Brausen, das mit ihm mitging, machte ihn aufhorchen. Der Nachmittag war spät und geräuschlos, nur in ihm war der Wirrwar. Er biß in den Apfel, den er mit dem Ärmel wieder rotbäckig gerieben und betrachtete lange und aufmerksam einen holzfußigen Bettler, der den durchlöcherten Hut demütig schwenkte. Sturmfenster suchte in seiner Tasche nach den zehn Kronen, die er am Morgen zu sich gesteckt und gab sie dem Lahmen.

Die Firmenschilder buchstabierend, schlug er die Richtung zur innern Stadt ein. Ein heißes Gefühl kratzte auf seiner Zunge, machte sie blättrig und trocken. Der Spiegel in einem Auslagekasten fing die zerknitterte Linie seiner Gestalt ein, mit dem unzeitgemäßen Schlapphut. Seine schäbigen Hosenbeine bauschten sich weitläufig und die ausgetretenen Stiefel sträubten die Strupfen. Er blickte an sich hinunter, prüfte das Bild im Glase. Eine ziellose Begierde erfüllte ihn, die er schmerzhaft durchwühlte.

Ein stampfendes Humpeln kam hinter ihm drein, überholte ihn keuchend.

Gnädiger Herr!

Es war der Bettler, der ihn atemlos anrief. Jetzt, ohne die Gebärde des Bittenden, sah er aus wie ein Stromer. Die Haut unterm Barte war rot, aufgetrieben von Pusteln. Die Haare klebten, und Sturmfenster sah, was er vorhin nicht hatte entdecken können, daß das Gesicht des Menschen seinem eigenen glich, das ihm der Spiegel gezeigt hatte. Eine dankbare Großmut schlürfte in der verschnapsten Stimme:

Gnädiger Herr!

Er kam zutraulich näher, faßte nach einem Knopf, den er eindringlich drehte.

Sie müssen nicht ungehalten sein, ich meine es ehrlich. Wollen Sie meine Frau besuchen? Sie ist noch jung und hat Brüste wie Steine. Kommen Sie mit, Sie dürfen sich überzeugen –

Er speichelte und das Blut stieg in seine verquollenen Pusteln. Sein Stelzfuß klopfte und die Brust hinter dem offenen Hemde war feucht und haarig. Sturmfenster stand eine Weile, ohne zu begreifen. Ein Blutbach kam weither, sauste wie ein Bahnzug im Tunnel. Er nahm die Hand, die seinen Rock befingerte und drückte sie heftig.

Du! – sagte er und sein Herz schlug laut wie ein Hammer.

Der Tag stieg ihm auf, wo er mit Römerstern in dem dunklen Zimmer geweint hatte. Eine Traurigkeit vor der unzulänglichen, schmierigen Aufwallung des Bettlers machte ihn ehrfürchtig.

Bruder – dachte er und es war ihm wie damals, als er dem andern die Hände geküßt und das Kielwasser der Ewigkeit rauschte. Ein ungeheurer Schmerz über die Wandlungen der Liebe fiel ihn rücklings an und drückte ihn nieder.

Geh! – Geh! – schrie er plötzlich von Sinnen und eine gräßliche Furcht vor dem Antlitz des Krüppels verjagte ihn.

Ein kleiner Tumult, der aus der nächsten Querstraße rollte, geriet ihm wüst in die Flanke. Ein Menschenknäuel, um eine wandernde Achse im Schwünge, stieß ungeschlacht vor, von pfeifenden Kindern umwickelt. Von schimpfenden Weibern umkreist, ragte der Hahnenschwanz eines Schutzmanns. Sturmfenster trat in die Stufennische einer Haustür und ließ den Krakeel vorbeiziehn. Ein junger Herr, den rotbandigen Panama am Schnürchen, den modischen Schlips unterm Umlegkragen, schritt neben dem Polizisten. Die viereckige Faust des Bewaffneten nahm ihn stramm überm Ellbogen, während er höhnisch von sich blies, trotzig die Schnauze faltete. Nur einen Augenblick lang tauchte die nackte Visage vor Sturmfenster auf, blähte sich bubenhaft, verschwand dann im Trubel.

Dieb! – Dieb! – lärmten die Gassenkinder.

Ein Straßenräumer, der hinter dem Trupp seinen Mistkübel führte, gab ungebetene Auskunft. In der Elektrischen war der Kerl erwischt worden, als er grad einer Frau das Handtäschchen mauste.

Er holte den Stummel, an dem er kaute, mit dem Daumen hinter die Zähne und spritzte entrüstet den Tabaksaft in den Kehricht.

Sturmfenster wandte sich wortlos und ging seines Weges. Eine Welt, die er beinahe versunken glaubte, kam ihm zurück, spektakelte durch die Stadt, war unbeseligt durch die letzten Stunden. Er grübelte, suchte Zusammenhänge. Ein Lichtbündel tastete zitterig vor, Stuart Webbs durchsuchte den Keller. Er entsann sich des Films, den man damals in dem großen Spielhause geleiert hatte, als Kamilla noch ihm gehörte, als der Pomadenkopf in der Loge seine Liebesgeräusche lieferte, als er den Ärger über den Jungen in einer Hamletszene verkapselte. Wie seltsam, daß er ihm jetzt zwischen keifendem Volk und popelnasigen Kindern wieder begegnete! – Er wähnte sich vor der Umwelt gefeit, ging keusch aus einem Erlebnis. Nun mußte der Schatz der reichen Frau Blau, der gewesene Kellner und Lüderjahn, als Taschendieb ins Gefängnis!

Ein robustes Bedauern rührte ihn an, trieb unbekümmerte Blasen. Er hob die Beine, schnallte den Riemen fester, lief mit gespreizten Schößen ins profane Leben. Wo die bunten Papiere auf den Schaufenstern klebten, war wieder ein Auflauf. Er stutzte, sah gradaus in die Luft, lachte bitter und lustig. Das gelbe Plakat, vor dem die Leute sich quetschten, begrüßte ihn höflich. Nur hereinspaziert – – die Vorstellung wird beginnen – –

Ach du, da war ja das Ding, da war sein Histörchen –

Halb unbewußt ließ er sich zu dem Schiebefenster drängen. Ein häßlicher Tanzsaalgeruch entströmte dem Vorraum, hing ungelüftet und faul in den wollenen Portieren. Sturmfenster zahlte den Nickel, den er aus der Weste geklaut hatte, hob das Vorhangluch auf, trat in die schummrige Klause.

Eine Weile lang fand er sich erst zurecht, probierte den Gartensessel, wartete auf das Klingelzeichen. Eine sanftmütige Neugier verlangsamte die Gedanken, rieselte lauwarm durch sein Blut. Rührsam, mit kreisrunden Augen besichtigte er seine Nachbarschaft. Da waren Drohnen mit Reiherhüten, die wulstige Schultern unter Spitzen verbargen, Realschüler, die auf den billigen Plätzen wie Hirsche röhrten, Zopfliesen mit Stickrahmen und Geographieatlas. Ganz vorn in der ersten Reihe thronte die Muck, den entblößten Hals mit Warzen benagelt. Ihr schwächliches Fleisch zuckte vor Ungeduld, ihre Absätze hackten das Stuhlbein. Der Impresario, der sich tänzelnd verneigte, haspelte Quatsch mit eingelernt welscher Betonung. Unvermutet, noch ehe er zu Ende war, schnarrte die Türe im Hintergrunde. Der Löwenmensch hopste aufs Podium, Adolar, der Liebling der Damen.

Sturmfenster putzte sich, während er staunte, mit dem mächtigen Tuchlatz die Nase. Er hatte ein Tier erwartet, vor dem einem bange wurde, einen gräßlichen Klotz und Homunkulus. Statt seiner erschien da ein Knäblein.

Kaum achtzehnjährig, der sich schämig verknixte, magere Waden vorwies, kniebohrige Beinchen. Ein mißgestalteter Bart, langstielig und grüngelb, gab ihm daß Aussehn einer gebadeten Katze.

Der Impresario nahm ihn beim Ohr, tat lümmelhaft freundlich.

Hupf Adolarchen!

Er fuchtelte mit der Peitsche herum, patschte die Lacklederröhren.

Der Löwenpintsch funktionierte. Er preßte die Hand auf sein Herz, schickte den Zuschauern Küsse. Die Mähne staubte, als er den Kratzfuß machte, und sein fettsteifer Bart wankte erbärmlich. Dann stand er gelehrig und lächelte blöde.

Die Peitsche knallte, die Vorführung war beendet. Adolar stieg zu den Leuten hinunter, um Ansichtskarten loszuwerden.

Er grinste kokett, hausierte betörend. Im Nu war die Brandung um ihn, schleppte ihn mit, schüttelte seinen Körper. Weiberarme streckten sich aus, wühlten in seinen Haaren. Geränderte Augen feuchteten sich, vorwitzige Kühnheit zerlupfte sein Samtkleid. Dünn, armselig, glücklich hielt er dem Ansturme stand. Es war die Revolte besinnungsloser Röcke, ausgeschämter Werberinnen, wo eine der andern den Vorrang ablief, zerlaufene Schminke die Gesichter vermalte, Schirmstöcke brachen und die Reiherfedern der Drohnen in verzweifelten Kämpfen knickten.

Allen voran siegte die Muck auf der Walstatt. Ihre Haarnadeln ragten wie Stacheln aus der zerstörten Frisur, ihre Warzen am Nacken schwitzten, als sie den Liebling zu greifen bekam. Sturmfenster sah, wie ihre Hand seinen Hosenboden umschmeichelte, wie der Löwenknabe den Brief, den sie hinterm Hemde verwahrt hielt, empfing und im Gürtel versteckte. Er spie in den Dielenschmutz, es war ihm leid ums Histörlein.

Aufatmend trat er ins Freie.

Die Straßen, durch die er jetzt kam, gruppierten sich schon um das Zentrum. Eine flutende Unrast fiel darin auf, eine ungewohnte Bewegung, Ein barfußer Schlingel brüllte ein Extrablatt aus, quirlte schreiend im Wirbel, heimste die Kupfermünzen. Sturmfenster nahm den Bericht, ohne die Aufschrift zu lesen.

Vor den Redaktionen der Stadt strandete das Gedränge. Die Hitze nahm zu, gor über geballten Haufen, gurgelte Rufe aus, die sie wieder verschluckte. Sturmfenster bog in die Seitengasse, wo er auf Löwenthran prallte.

Krieg! – rief der Meister, mauschelte hingebungsvoll, eilte aufgeschreckt weiter.

Krieg? – zweifelte Sturmfenster und griff nach dem Zeitungsblatte. – Aber er war zu traurig, es zu entfalten.

Auf dem Graben schäumte der Strom. Studenten hatten sich untergefaßt, stampften im Rhythmus, sperrten den Fahrweg. Aus jungen Kehlen sprang manchmal das Lied vom Prinzen Eugenius.

In der Türe, mit frischgewaschenen Kitteln, standen Meermann und Scheibenhonig und rafften die Servietten.

Krieg! – riefen beide zugleich, wetzten tobend das Messer.

Krieg! – Nieder mit Serbien!

Zwischen wechselnden Gruppen erspähte Sturmfenster ein Gäßchen. Er schlüpfte durch, ließ sich die Füße zertrampeln, gewann eine Lichtung. Der Dichter Bondy kam auf ihn zu, grüßte korrekt mit der Dohle.

Sind Sie Soldat? – fragte er, maß seinen Wanst mit knöchernem Ernste.

Nein. Aber Sie?

Wachtmeister bei den Mosesdragonern.

Allmählich wurde es freier um ihn und die Straßen alltäglich. Der Abend brach an und lud ihn zum Flusse. Sturmfenster trat aus dem Häusergewirr, stand geblendet am Ufer. Ein feuriger Brand, kirschfarben gesäumt, überflammte den Himmel. Große Wolken barsten im Licht, kohlten langsam wie Scheite. Zwei Menschen, vom Geleuchte umfunkt, hielten einander die Hand, schauten ergriffen der Glut nach. Ihre Gesichter waren ihm abgekehrt, aber er kannte die Beiden. Sein Herz, überirdisch verzaubert, strebte mit Heimweh nach seiner Erde.

Römerstern.

Schwesterlein Bine.

Es war ihm, daß er hingehn müßte und sagen: Die Eva ist gestorben.

Aber im Augenblick fühlte er, wie klein seine Nachricht war neben der andern, die man in den Gassen ausrief. Er lächelte fein, nickte versonnen Abschied, nahm sein Erlebnis mit, ohne es herzuzeigen. Die himmlische Liebe, die ihn so lange genarrt hatte, verklärte sein Angesicht. Er ging, wandelte weiter am Ufer, bis es zu dämmern begann, bis das Abendrot über dem Flusse verlöschte –