Kitabı oku: «Sie über sich», sayfa 6

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3.1.3.2. Notger Slenczka

So knüpft z.B. Notger Slenczka an Luther und den Gedanken der Selbsterschließung der Schrift an: Die „Schrift erschließt sich selbst, wenn ein Mensch sie befragt, bei ihr anklopft. Dann wird sie zum Ausleger ihrer selbst, dann setzt sie selbst ihren Sinn aus sich heraus und erweist sich demjenigen, der sie in der Hoffnung auf Antwort befragt, als keiner Auslegungsinstanz bedürftige Quelle von Verständnis und Erleuchtung; und so weist sie sich als Wort Gottes aus.“1 Es muss also „über den Schriften geschwitzt“ und diese müssen der Mühe „eines beharrlichen Studiums“2 unterzogen werden, damit sie sich erschließen. Erschließt sich aber eine Stelle, dann wird sie zum Zugang für die ganze Bibel. Die Schrift ist also insofern klar, als „dass sie sich dem Menschen, der sie unter Anfechtung und Gebet unermüdlich meditiert, erschließt auf ein Zentrum hin, das sich im weiteren Lesen der Schrift als hermeneutischer Schlüssel für die ganze Schrift erweist.“3 Die Pointe dieser Position liegt aber nicht darin, dass die Schrift einen Informationsgehalt, etwa eine theologische Lehre oder ein Wissen über Gott, erschließt, sondern dass damit auch – und in erster Linie – eine existentielle Wirkung verbunden ist.4 Der Text wird zum „Medium“ der Heilsvermittlung: „Der Text schafft Glaube.“5 Im Gegensatz zur römisch-katholischen Theologie, die die Kirche „gleichsam“ als Sakrament ansieht,6 kann deshalb die Schrift „als Sakrament der Selbstvermittlung Gottes“7 bezeichnet werden. Somit rekurriert Slenczka auf die „efficacia“-Vorstellung der altprotestantischen Theologie: „Die Schrift ist klar, weil sie ihr Zentrum wirksam erschließt.“8 Aufgrund dieser Wirkung, die sich – sieht man vom methodisch bedeutsamen „Schwitzen“ über den Texten ab – ohne menschlicher Mithilfe vollzieht, ist „sie höchste und letzte Norm in der Kirche. Und weil sie so wirkt, hat sie normative Autorität, ist sie Wort Gottes.“9

3.1.3.3. Jörg Lauster

Mit dem Hinweis auf die efficacia zeigt Slenczka die Bahn an, auf der sich weitere protestantische Theologen bewegen. Jörg Lauster, der sich intensiv mit der vorliegenden Thematik beschäftigt hat,1 geht z.B. davon aus, dass „die biblischen Texte den Einbruch von Transzendenz in die Lebenswirklichkeit von Menschen“ artikulieren,2 und diese damit transportieren. In Aufnahme von Gedanken, die schon bei Richard Rothe anzutreffen sind,3 bestimmt Lauster die Texte als Ausdrucksmedien der göttlichen Offenbarung bzw. als „Ausdrucksgestalten religiöser Erfahrung“4: „Aus einem historischen Ereignis heraus und an einer geschichtlichen Stifterpersönlichkeit entstehen unter Aufnahme vorhandener religiöser Wirklichkeitsdeutungen ‚innovative’ neue Perspektiven auf die Wirklichkeit.“5 Autorität gewinnt in seiner Konzeption die Schrift dadurch, dass sie als „Ausdrucksgestalt religiöser Erfahrung“6 in der Lage ist, eine „Wirkungskraft als eine Vermittlungsleistung“7 zu entfalten.8 Ähnlich wie Slenczka bestimmt Lauster die Schrift damit als wirksames „Medium religiöser Erfahrungsvermittlung:“9 „Die Vermittlungskraft der biblischen Schriften besteht dann also darin, im Horizont der das Christentum prägenden Transzendenzerfahrungen originäre Symbolisierungen und Ausdrucksformen bereit zu stellen, die es späteren Generationen ermöglicht, diese Deutungen in ihre lebensweltlichen Erfahrungen zu übersetzen und damit religiöse Erfahrung aufzubauen.“10

Die Berechtigung zur Normativität kann demnach aus der über die Jahrhunderte bewiesenen Kraft der Texte gewonnen werden, Wirklichkeit gewinnbringend zu erschließen.11 Wenn Religion dann als „ein Welterleben [bestimmt wird], das sich durch eine Perspektive auszeichnet, die Menschen als Transzendenz oder konkret als Gottesbegegnung deuten“,12 besteht die Bedeutung der Bibel darin, die Gottesbegegnung zu ermöglichen, indem Deutungskategorien offeriert werden, mit denen der Mensch sein Leben in einer gelingenden Weise bewältigen kann.13

Für Lauster stellt die Bibel also „ein Universum religiöser Gestimmtheiten“14 dar: „Die biblischen Schriften vergegenwärtigen und repräsentieren so erfahrene Gottesbegegnung und zwar in einer Art, die ganz von der ‚Macht der religiösen Stimmung’ geprägt ist.“15 Die Autorität der Schrift erwächst also nicht aus ihrem Sein (als inspirierte Quelle) und nicht allein aus ihrem historischen Standort, vielmehr muss nach ihrer Funktion gefragt werden.16 Weil die Bibel also als „ein literarisches Ausdrucksuniversum religiöser Erfahrung“17 anzusehen ist, das „das spezifische ‚Lebensgefühl‛ der ersten Christen“18 wiederspiegelt und jede weitere theologische Lehrbildung somit „an einen originären Erfahrungshintergrund“19 zurückgebunden werden muss, darf sie Autorität beanspruchen.

Obwohl also die Autorität deutlich an der Wirkungskraft hängt, verzichtet Lauster nicht auf eine historische Herleitung. Für ihn scheint wichtig, dass die Texte auch „historische Ereignisse“20 reflektieren, das „Sich-Erschließen Gottes in der Welt“.21 Bei dieser Bedeutungsbestimmung scheint vor allem die Nähe zu den Geschehnissen, auf die die Schriften reagieren, entscheidend zu sein. Nach Lauster „spielen Zeitzeugen und Quellen, die möglichst nahe an dem Ereignis sind, eine große Rolle. Nach Ausbildung des neuzeitlichen historischen Bewusstseins spielt das Argument der Ursprungsnähe tatsächlich auch eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, theologisch den religiösen Wert der biblischen Schriften zu erklären.“22 Es scheint, als ob Lauster hier eine historische Vergewisserung der Autorität anstrebt, wenn er „das gute alte Argument der Ursprungsnähe“23 ins Feld führt: „Denn zum modernen Wahrheitsbewusstsein gehört es unausweichlich, den Texten einen historischen Bezugs- und Haftpunkt zuweisen zu können. Es gibt ein religiöses Erleben, das in den Texten seinen Widerhall findet.“24 Gegen ein verkürztes Verständnis von historischer Wahrheit, das nur das als wahr anerkennt, was sich auch so zugetragen hat, betont Lauster, dass viele biblische Texte, um ihre Aufgabe erfüllen zu können, eine „religiös notwendige Fiktionalität“25 an den Tag legen: „Fiktion ist ein Modus, Wirklichkeit semantisch aufzuladen, d.h. auf der Ebene der Narration einer besonderen Deutung zuzuführen.“26 Über diesen Gedanken kommt Lauster zu dem Schluss, dass die biblischen Texte keine „historischen Tatsachenwahrheiten weitertransportieren wollen, sondern Ausdruck von religiösen Gestimmtheiten und Lebensgefühlen sind.“27 Während Lauster also einerseits auf die Ursprungsnähe der Texte zu den Ereignissen verweist und somit beantworten kann, warum gerade diese Texte für den christlichen Glauben unhintergehbar sind, geht es bei dieser Einsicht eher um die Aufgabe der Schriftauslegung. Ihr geht es darum, „das Deutungspotential der biblischen Texte aus ihrem Erfahrungszusammenhang plausibel zu machen.“28 Seiner Meinung nach entspricht diese Aufgabe „dem Wesen der Texte selbst“, da die Bibel „als Sammlung von Texten religiöser Sinnproduktion“29 anzusehen ist. Mit dieser Wendung bewegt sich Lauster auf der Linie der vorliegenden Untersuchung, da auch sie aus den Texten selbst erheben will, welche Autorität sie beanspruchen. Lauster beantwortet die Frage der Autorität aus seinen Überlegungen heraus: „Autorität kommt den biblischen Texten vielmehr deswegen zu, weil sie den Einbruch göttlicher Transzendenz mit all den Möglichkeiten verarbeiten, repräsentieren, darstellen und veranschaulichen, die ihnen als literarischen Texten zur Verfügung stehen.“30 Ähnlich wie Slenczka kommt Lauster damit letztlich dazu, die Autorität der Texte auf ihre Vermittlungsleistung zu gründen. Mit R. Rothe lässt sich formulieren: Indem die biblischen Texte den Eindruck der göttlichen Offenbarung festhalten, bringen sie ihn gleichzeitig zum wirkungsvollen Ausdruck.31

3.1.3.4. Michael Roth

Diese Linie verfolgt auch Michael Roth, der die Bedeutung der Schrift in Abgrenzung zur römisch-katholischen Linie entwickelt. Während römisch-katholisch der „Glaube auf Autorität gegründet und als Gehorsam begriffen“1 werde, verdanke sich evangelischerseits der Glaube „dem Erleben von Evidenz, dem Gefühl der Wahrheit“.2 Roth bindet somit die Autorität der Schrift in das Entstehen von Gewissheit ein und verknüpft ihre Bedeutung mit der Frage nach Offenbarung: „Die Wirkung der Offenbarung besteht in der Schaffung von Evidenz, sie erfüllt den Empfänger der Offenbarung mit Gewissheit.“3 Der Empfänger bekommt dabei keine Informationen über Gott und die Welt mitgeteilt, sondern die Offenbarung „versetzt den Menschen in eine neue Möglichkeit seines Selbstverständnisses, sie ermöglicht dem Menschen, sich neu zu verstehen.“4 Erst unter diesen Voraussetzungen ist die Frage der Schriftautorität sachgemäß zu beantworten,5 weil daher klar ist, dass sie nur dann richtig gestellt ist, wenn sie lautet: „Welche Stellung hat die Schrift im christlichen Erschließungsgeschehen? Anders formuliert: Welche Bedeutung der Schrift für die christliche Daseinsgewissheit ergibt sich aus der christlichen Daseinsgewissheit?“6 Da Offenbarung die Schaffung von Evidenz bedeutet, ist folgerichtig, dass die Bedeutung der Schrift für den Glaubenden darin liegt, „dass sie diejenige Daseinsgewissheit artikuliert, die dem Glaubenden durch das Wort der Verkündigung gewiss geworden ist.“7 Die in der Schrift also zur Sprache kommende Gewissheit wird zur eigenen Gewissheit des Glaubenden und deshalb hat die Schrift Bedeutung für ihn. „Und insofern die in ihr artikulierte Gewissheit zur Gewissheit des Glaubenden wird, erschließt sie sich ihm – wie das äußere Wort der Verkündigung – als Mittel, das Gott in Dienst nimmt, um sein Heil zu erschließen.“8 Ähnlich wie Slenczka bestimmt Roth damit die Schrift als medium salutis, das dem Menschen allerdings – im Gegensatz zur Kirche, die diese Funktion im römisch-katholischen System einnimmt – bleibend zumutet, „durch das eigene Verstehen und Denken diejenige Verifikation leisten zu müssen, derer die biblischen Schriften bedürfen.“9 Der „Geltungsgrund der Schrift“ liegt also für den Glaubenden darin, dass die in ihr „bezeugte Gewissheit den Glauben des Glaubenden wirkt.“10 Es geht also nicht um die Wirkungsgeschichte der Bibel, sondern „die Geltung der Schrift für den Glaubenden ist darin begründet, dass sie sich bei dem Glaubenden durchgesetzt hat bzw. sich ihm imponiert hat.“11

3.1.3.5. Fazit

Härle, Slenczka, Lauster und Roth stimmen demnach cum grano salis darin überein, dass die Autorität der Schrift gegenwärtig vor allem über ihre Kraft im Erschließungsvorgang göttlicher Offenbarung bestimmt werden kann. Von den Kriterien der altprotestantischen Orthodoxie bleibt somit lediglich die efficacia bestehen. Die evangelische Position zeigt dabei, dass der Verweis auf Erschließungsvorgänge, auf Deutungsgeschehnisse oder auf Evidenzerfahrungen letztlich beim Gläubigen selbst, beim glaubenden Individuum zu verorten ist. Wenn der einzelne Mensch die Verifikation leisten muss, die in den Texten artikulierte Gewissheit selbst als seine eigene erkennen zu müssen, wenn er sich also „inspiriert“ fühlt,1 dann liegt es in seiner Verantwortung den Text als Wort Gottes zu deuten. Es scheint also in der Tat so, als entscheide der Mensch darüber, ob und wann die Bibel Wort Gottes ist. Dass hier sofort sowohl der Vorwurf der Beliebigkeit wie auch der der Hybris2 im Raum stehen, ist leicht einsehbar. Allerdings übersehen beide Vorwürfe, dass die skizzierten Positionen sehr gut mit der Vorstellung des testimonium spiritus sancti internum verknüpfbar sind. Denn wenn „Glaubensgewissheit entsteht“,3 ist dies ein Werk des Geistes,4 also gerade nicht eine „individuelle Subjektivität“.5 Gewissheit entsteht dort, wo der menschliche Geist „zugunsten des Geistes Gottes ausgetrieben“6 wurde. Deshalb ist hier keine menschliche Hybris am Werk, sondern der Text ist das „Medium des wirkenden Gottes“,7 der das menschliche Verstehen erleuchtet.

Diese an sich nachvollziehbare Einzeichnung der Schriftautorität in den exegetischen Prozess lässt weiterhin die Leerstelle offen, die seit der Ersetzung der päpstlichen Lehrautorität durch die Selbstauslegungskraft der Schrift im Rahmen protestantischer Lehre von der Schrift zu beobachten ist. Dort, wo die römisch-katholische Lehre im besten Fall immerhin eine Notinstanz der Letztauslegung bewahrt hat, muss sich die evangelische Tradition in der Tat auf die Selbstevidenz der Schrift in ihrem Diskussionsprozess innerhalb der Interpretationsgemeinschaft verlassen. Eine weitere Instanz der Bestätigung – abgesehen vom Testimonium-Gedanken – kann die evangelische Kirche nicht anführen und auch nicht anerkennen. Dies bleibt ein gravierendes Problem im ökumenischen Kontext.

3.2. Die römisch-katholische Perspektive

Die Frage nach der Bibel, ihrem Sein und ihrer Bedeutung, kann in der Moderne – wie gesehen – nicht mehr eindeutig beantwortet werden, sondern hängt entscheidend von ihrem jeweiligen Kontext ab. Ganz besonders gilt dies im Rahmen der konfessionellen Theoriebildung. Hier zeichnet sich der heute weithin vorhandene Umstand ab, dass die Bibel im Kontext der bibelwissenschaftlichen Fächer zumindest zwischen evangelischer und römisch-katholischer Theologie kein Streitpunkt mehr ist. Lediglich die dogmatischen Grenzziehungen sind hier zuweilen noch spürbar. Diese verhindern allerdings in letzter Konsequenz unter anderem in ihren differenten Zuordnungen von Bibel und Kirche ein weiteres Vorankommen auf dem ökumenischen Weg. Es ist deshalb sinnvoll, im vorliegenden Rahmen knapp die Probleme zu skizzieren, die zwischen den Konfessionen diskutiert werden. Das Augenmerk liegt dabei vor allem auf dem römisch-katholischen und evangelikalen Bereich, da die Orthodoxie die grundlegende Fragestellung dieser Arbeit nur schwer nachvollziehen kann.

3.2.1. Die römisch-katholische Position nach „Dei Verbum“

Im Rahmen der römisch-katholischen Theologie gilt der Grundsatz: „Das Wort Gottes ist der bleibende Ursprung von Christentum und Kirche.“1 Der Kirche kommt dabei die Aufgabe zu, dieses Wort zu überliefern und auszulegen. Als Orte, an denen das Wort Gottes anzutreffen ist, werden im Anschluss an Melchior Cano gegenwärtig als loci proprii die heilige Schrift, die mündliche Überlieferung Christi und der Apostel, die gesamte Kirche, die Konzilien, die Päpste, die Kirchenväter und die Theologen genannt. Davon unterschieden werden als loci alieni zusätzlich die menschliche Vernunft, die Philosophen und die Geschichte der Menschheit zu diesen Orten gezählt. Insgesamt ist damit „ein interaktives Regelgefüge“2 entworfen, das zusammen das Wort Gottes bezeugt. Innerhalb dieses Gefüges kommt aber der Bibel eine besondere Rolle zu.

Seit der Öffnung der römisch-katholischen Kirche für die historische Methode3 ist „ein unbefangener Umgang mit der Heiligen Schrift möglich.“4 Grundgelegt ist dieses Verständnis in der Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung (Dei Verbum; DV) des 2. Vatikanischen Konzils.5 Zwar kann auch diese nicht umfassend gewürdigt,6 sondern nur auf die hier interessierenden Passagen konzentriert besprochen werden, doch muss sie als Grundlage der katholischen Lehre wahrgenommen werden. Die Konstitution beschäftigt sich mit der Frage, „was die Funktion der Heiligen Schrift in der Kirche, was im Verhältnis zu ihr die Funktion des kirchlichen Lehramtes und was im Verhältnis zu beiden die Aufgabe der Theologie sei.“7

Im zweiten Kapitel „De Divinae revelationis transmissione“ bestimmt das Konzil die Aufgabe der Kirche mit der Weitergabe der Offenbarung.8 Es blickt in die Kirchengeschichte zurück und sieht die Apostel durch Christus selbst damit beauftragt, seine Offenbarung weiterzugeben (DV 7). Die Überlieferungstätigkeit der Apostel umfasst nicht nur die mündliche Predigt, sondern den ganzen Lebenszusammenhang der Apostel, also nicht nur das, was sie sagen, sondern auch, was sie tun. Damit sprengt das Konzil einen engen Begriff von dem, was überliefert wird, z.B. also die Lehre der Apostel, und erweitert das Überlieferungsgut. Dies hat für die Art der Überlieferung dementsprechend Folgen.9 Denn diese ist demnach nicht nur wortgebunden, sondern umfasst die gesamte Lebensführung der Apostel, in der Folge also das ganze Leben der Kirche. Die Kirche in all ihren Lebensvollzügen wird demnach zur Trägerin der apostolischen Überlieferung (DV 8). Dabei umfasst der Inhalt dessen, was sie überliefern, nicht nur das, was Christus ihnen durch Lehre und Leben offenbart hat, sondern auch das, was sie durch den Heiligen Geist lernen.10 Der Geist lässt schließlich einige Apostel und apostolische Männer die Schriften des späteren Neuen Testaments verfassen (DV 7).11

Abgesehen davon, dass das Konzil mit dieser Formulierung die historische Frage nach der tatsächlich apostolischen Verfasserschaft der neutestamentlichen Schriften im Grunde umgeht, ist interessant, dass nicht die Schriften die Unversehrtheit der Offenbarung garantieren, sondern die Bischöfe. Ganz deutlich sagt das Konzil, dass das Lehramt der Apostel, das sie den Bischöfen hinterlassen, die sie wiederum selbst eingesetzt haben, letztlich der Garant dafür ist, dass die Kirche ihre Aufgabe erfüllen kann, nämlich die Offenbarung so weiterzugeben, dass sie auf ewig fortbestehen kann (DV 7). Bemerkenswert ist aber gleichzeitig auch der nächste Satz, indem die Heilige Schrift der Überlieferung an die Seite gestellt wird.

Da Konzilstexte sehr bewusst gestaltete Dokumente sind, darf man allerdings schon bemerken, dass die Tradition zuerst genannt wird (DV 7). Dies legt den Gedanken nahe, dass in erster Linie die Tradition genannt werden muss, wenn es darum geht, die Offenbarung zu finden.12 Dies ist logisch verständlich, wenn – wie gesehen – die Kirche durch den Beistand des Heiligen Geistes der Fülle der Wahrheit entgegenstrebt (DV 8). Da dies ein über Jahrhunderte währender Prozess ist, in dem die Schrift immer weiter unter dem Beistand des Geistes von den Amtsträgern ausgelegt werden muss, kann es nicht verwundern, dass die kirchliche Tradition im Vordergrund steht.13 Einsichtig ist diese Vorordnung der Tradition vor allem durch den Hinweis, dass der Kanon selbst ein Produkt der Überlieferung ist (DV 8).14 Daraus ergibt sich für das Verhältnis von Schrift und Tradition, dass sie zwar eng miteinander verbunden sind und demselben göttlichen Quell (DV 9)15 entspringen, aber trotzdem unterschieden werden müssen. Von daher ist wichtig zu notieren, dass das Konzil „nur eine einzige Quelle der Offenbarungswahrheit an[nimmt], das Evangelium, das allen Formen der Überlieferung vorausliegt und mit der Schrift als einem Traditionszeugnis nicht einfach identisch ist.“16

Mit der Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition kommt das Konzil dann aber zum „eigentlichen Brennpunkt der Kämpfe“.17 Die Schrift ist demnach Gottes Rede, die unter der Inspiration des Geistes verschriftlicht wurde. Die Überlieferung gibt Gottes Rede dann unversehrt weiter. Durch die Überlieferung wird das Wort Gottes demnach zunächst lediglich treu bewahrt. Die Weitergabe der Botschaft scheint dieser also zunächst nichts hinzuzufügen. Dies würde den bereits gemachten Ausführungen, wonach die Überlieferung einen dynamischen Prozess darstellt, widersprechen. Doch fügt sich dieses Verständnis gut ein, wenn die weiteren Aufgaben der Überlieferung betrachtet werden. Durch das Erklären und Ausbreiten der Botschaft wird die Dynamik der Überlieferung wieder ausgesagt, insofern der Vorgang des Erklärens und Ausbreitens etwas zu Tage fördern kann, was bislang in der Tradition zwar vorhanden war, aber nicht zur Sprache gebracht wurde. Deshalb kennt zumindest die Überlieferung einen Fortschritt.18 Von daher ist die folgende Konklusion, die das Konzil zieht, völlig richtig: „so ergibt sich, daß die Kirche ihre Gewißheit über alles Geoffenbarte nicht aus der Heiligen Schrift allein schöpft“ (DV 9). Was wie ein Widerspruch innerhalb der Konstitution anmutet,19 kann sachlich ausgeglichen werden. Konform zu der Auffassung, wonach Gott mit der Kirche ständig im Gespräch bleibt (DV 8), stellt das Konzil fest, dass entsprechend der Hochschätzung der Überlieferung die Kirche ihre Gewissheit des Heils nicht allein aus der Schrift gewinnen kann.20 Gerade weil die Überlieferung in ihrer Dynamik Einsichten gewinnt, die zwar mit den Heilswahrheiten der Schrift übereinstimmen sollen, aber nicht durch die Schrift allein gewonnen werden können, kann die Schrift nicht allein die Glaubensgrundlage der Kirche bilden. Nur gemeinsam bilden Schrift und Tradition die Grundlage, auf der die Kirche basiert (DV 10). So wehrt die Konstitution zwar die Rede von den zwei Quellen der Offenbarung ab,21 indem sie Schrift und Überlieferung eng aneinander bindet, doch hält sie fest, dass die Schrift allein nicht hinreichend ist.22

Diese Verhältnisbestimmung wirft die Frage auf, wie und wer beurteilt, was innerhalb der Überlieferung als Glaubensgrundlage anzuerkennen ist.23 Die Konstitution ist hier eindeutig: „Die Aufgabe aber, das geschriebene oder überlieferte Wort Gottes authentisch auszulegen, ist allein dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut, dessen Vollmacht im Namen Jesu Christi ausgeübt wird.“ (DV 10) Das Lehramt nimmt also eine Art „Notfunktion“ wahr und füllt die Lücke im theologischen Erkenntniszirkel, die im Rahmen der evangelischen Dogmatik offen bleibt: die Funktion der letzten richterlichen Instanz über die Schriftauslegung, die Luther der Schrift selbst zuweist.24

Dabei ist die Einsicht entscheidend, dass das Wort Gottes ausgelegt werden muss – sowohl als Schrift als auch als Überlieferung. Die Überlieferung bildet also lediglich den Rahmen, in dem die Schrift zu verstehen ist. Sie bildet keine Instanz, die über die richtige Auslegung der Schrift entscheidet. Schrift und Tradition sind dementsprechend einander nicht über- oder untergeordnet, sondern bilden gemeinsam das Depositum der Kirche.25

Dabei führt Dei Verbum aus, dass das Lehramt dem Wort Gottes untergeordnet ist. Es steht nicht über ihm und auch nicht auf gleicher Stufe: „Das Lehramt steht also nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm, indem es nur lehrt, was überliefert ist, da es ja dieses Wort Gottes nach göttlichem Auftrag und mit dem Beistand des Heiligen Geistes ehrfürchtig hört, heilig bewahrt und treu erklärt und all das, was es als von Gott geoffenbart zu glauben vorlegt, aus dieser einen Hinterlassenschaft des Glaubens schöpft.“ (DV 10). Das Lehramt dient dem Wort Gottes. An dieser Stelle ist immerhin zu notieren, dass dies eine gewisse Selbstbescheidung des Lehramts darstellt.26 Indem es ausdrücklich das Wort Gottes als übergeordnet anerkennt, versteht es seine eigene Rolle eher als Ordnungsinstanz, der keine eigene Offenbarungsqualität zu eigen ist,27 sondern die sich lediglich dann aufgerufen weiß, wenn es innerhalb von Schrift und Offenbarung zu Unklarheiten kommt. Allerdings sollte die programmatische Bescheidenheit der Konstitution auch nicht überbewertet werden: „Denn die Schrift ist als Wort Gottes nicht einfach objektivistisch greifbar. Sie erweist sich als Wort Gottes allein in ihrer lebendigen Relation zum Glauben und zur Glaubensgeschichte der Kirche, die die adäquate Hörerin und Zeugnis des Wortes ist.“28 Ohne die Kirche, hier verkörpert im Lehramt, scheint es die Schrift also als Wort Gottes gar nicht zu geben. Dem Lehramt kommt deshalb nicht nur die Aufgabe zu, das Wort Gottes verbindlich darzulegen,29 sondern die Kirche lässt die Bibel erst zur Schrift werden, indem sie hört und auslegt. Zwar soll dabei das Lehramt nur das lehren, was überliefert ist, doch kommt ihm immerhin das zu, was bereits der Überlieferung (DV 9) zugeschrieben wurde: ein dynamisches Element. Indem es hört, bewahrt und erklärt, kann das Lehramt Einsichten in die göttliche Wahrheit zur Sprache bringen, die in Schrift und Tradition vorhanden waren, aber bislang nicht erkannt wurden.30 Damit entscheidet das Lehramt letztverbindlich über die richtige Interpretation nicht nur der Schrift, sondern auch der Tradition, folglich über die Offenbarung selbst. Damit kommt dem dienenden Lehramt de facto eine ungeheure Machtfülle zu.31 Das sich selbst bescheidende Lehramt ordnet sich demnach in das Wechselspiel zwischen Schrift und Tradition so ein, dass es unverzichtbar wird:32 „Es zeigt sich also, daß die Heilige Überlieferung, die Heilige Schrift und das Lehramt der Kirche gemäß dem überaus weisen Ratschluß Gottes so miteinander verknüpft und einander zugesellt sind, daß das eine nicht ohne die anderen besteht und alle zusammen, jedes auf seine Weise, durch das Tätigsein des einen Heiligen Geistes wirksam zum Heil der Seelen beitragen“ (DV 10). Ohne Lehramt können demnach Schrift und Tradition das Wort Gottes nicht weitergeben, ohne es können diese zum Heil der Seelen nichts beitragen.33

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Frage, wer über die Interpretation der Schrift entscheidet, durch das Konzil mit dem Verweis auf das Lehramt eindeutig beantwortet wurde. Die Schrift legt sich nicht selbst aus und wird auch nicht von der Tradition ausgelegt, sondern Schrift und Tradition bilden nur zusammen mit dem Lehramt das Fundament, auf dem die katholische Kirche ruht.

Dabei kommt dem Lehramt die Aufgabe und das Recht zu, die Glaubenswahrheiten der Kirche verbindlich darzulegen, die sich aus der durch den Heiligen Geist unterstützten Interpretation der Schrift und einem dynamischen Verständnis von Tradition erheben lassen. Die Interpretationshoheit über Schrift und Tradition und damit auch die Autorität in der Kirche sind letztlich dem Lehramt zugewiesen.34

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