Kitabı oku: «Memoiren einer Grossmutter, Band I», sayfa 10
II.
Ein Sabbath
Mit der Übersiedlung von der alten Stadt Brest in Litauen nach der Neustadt nahm das Leben in meinem Elternhause eine ganz andere Form an. Während das alte Heim, vom Gastzimmer bis zur Wagenscheune, vornehm eingerichtet war, waren hier die kleinen Räume ärmlich. Zwar waren es noch die alten, mit Goldbronze imprägnierten Mahagoniholzmöbel, die diese kleinen Räume erfüllten, aber ach, in welchem Zustande! Verblichen, schäbig. Von mancher Garnitur fehlten schon Stücke, mancher Tisch hinkte auf einem Fuß, die Lehnen der Stühle boten keinen sicheren Halt mehr, von den Rahmen der großen Spiegel war das Gold abgeritzt. Aber die Wohnung ist immer ein Spiegelbild ihrer Bewohner! Beiden sah man an, daß sie einst freundliche Tage gesehen. Das Material war im Kerne solid und hatte seine guten Dienste geleistet; und hätte jetzt noch das Schicksal einen gütigen Blick auf Menschen und Möbel geworfen, so hätten sie noch den alten Glanz annehmen können! Aber das Schicksal war unhold für lange, lange Zeit.
Jedoch war jene Periode für meinen Vater eine der inhaltsreichsten. Sie brachte den Adel seiner Individualität zum Vorschein. Er hatte mehr als früher Zeit und Gelegenheit, seinen Nächsten mit Rat und Tat beizustehen, sich durch seine großen, talmudischen und sonstigen Kenntnisse in der hebräischen Literatur Liebe und Verehrung in der jüdischen Gesellschaft zu erwerben.
Nachdem er alle seine Geschäfte liquidiert hatte, widmete er sich dem Talmudstudium vollends und lebte »Al hatauro w'al hoawaudo« (der Lehre und dem Gottesdienst)! Der Tag war in unserem Hause so eingeteilt, daß für Talmudstudien so viel Zeit wie für Essen und Schlafen gelassen wurde. Auch hier in der kleinen Wohnung war sein Kabinet mit vielen Fächern versehen, wo zur früheren Bibliothek noch viele Bücher hinzugekommen waren, und dort schrieb er im Anfange der vierziger Jahre die beiden Werke, von denen ich schon vorher berichtet habe.
Auch in dem neuen Heim pflegte mein Vater um 4 Uhr früh, im Sommer wie im Winter, aufzustehen und seine Morgengebete singend zu verrichten. Diese Gebete hatten keine zusammenhängenden Weisen. Es waren mehr Rezitative; aber meinem liebenden Kinderherzen schmeichelten sie sich wie die schönsten Melodien ein. Unter diesen Tönen pflegte ich aufzuwachen und in einer tiefen, religiösen Stimmung bis zum Tagesanbruch zu träumen. Man könnte aber glauben, daß die Lebensweise meinen Vater von uns Kindern entfernte und von ernster Erziehung abhielt. Dem ist jedoch nicht so. Er hatte immer noch Zeit und Lust, den Gemeindeangelegenheiten sein größtes Interesse entgegenzubringen und mit seinen zärtlichen, väterlichen Augen, seinem weisen Worte Sitten und Gehaben der Kinder zu überwachen.
Wohl war unter den neuen Verhältnissen vieles anders geworden, aber unser Betragen, unser gemessenes Selbstbewußtsein aller Welt gegenüber veränderten sich nicht, wenn auch mit dem Verlust des großen Vermögens in der Altstadt, d. h. mit dem Niederreißen unseres Hauses und der Ziegelei der Wohlstand meiner Eltern schwer erschüttert worden war. Viele der kostbaren Sachen verschwanden aus dem Hause, aber die kostbarere Persönlichkeit aller im Hause blieb erhalten. Unser Haus blieb auch jetzt der Sammelpunkt der intelligenten Gesellschaft. Jeder vornehme Gast, der in die Stadt Brest kam, kam zuerst zu uns, wo er sicher war, herzlich willkommen zu sein. —
Unsere Kleidung war unter den gegenwärtigen Umständen einfach, jedoch war keines der Kinder auf die teuren Kostüme der Freundinnen neidisch. Das Leben im Hause floß auch jetzt regelmäßig, gemütlich dahin. Die sechs Wochentage vergingen ohne Sonderheit. Der Freitag jedoch zeigte ein anderes Gesicht, wurden doch schon vor Tagesanbruch in der Küche die Vorbereitungen zum Sabbat getroffen, die herrlichen, großen Strietzeln und mancherlei Kuchen gebacken, wobei ich der Köchin bereitwillig half und dafür das erste Süße zu essen bekam. Ich zählte damals schon 14 Jahre. – Schon früh am Tage standen die Hausgenossen auf. Wir frühstückten warmes Weißbrot mit Butter und Kaffee. Ich schrieb einen Zettel, auf dem alle Besorgungen für den Sabbat, alle Einkäufe auf dem Markte verzeichnet waren, bewaffnete mich mit einem Handkorb und Serviette, und begab mich auf den Marktplatz, wo meine vornehmlichste Aufmerksamkeit der ersten Besorgung, den Fischen, galt, den Fundamenten eines richtigen Sabbats! Auf gute Fische legte mein Vater großen Wert. Ich kaufte den allerfrischesten Hecht, der bei uns Juden in besonderer Gunst steht, machte mich dann an die Obstgestelle und ging raschen Schrittes nach Hause, wo ich meine Mutter, den Sabbatabschnitt lesend, fand. Bei meinem Erscheinen jedoch legte sie die Bibel zur Seite und betrachtete meine Einkäufe. Mein Vater kam auch aus seinem Kabinet, besichtigte den Fisch, blieb meistenteils zufrieden, ermahnte mich, viel Pfeffer beim Kochen zu geben, versprach sich guten Appetit dabei; und nachdem ich den Fisch der Köchin zum Reinigen übergeben, band ich mir eine lange Schürze um, machte mich rasch an die kleine Wäsche der Taschentücher des Vaters, der Kragen und Musselinärmelchen, welche noch bis vor Abend zur Sabbattoilette der Eltern getrocknet und geplättet werden mußten. Dann kam der Fisch an die Reihe. Mein Vater liebte es, der Prozedur zuzuschauen, und schmunzelnd lobte er meine Fertigkeit, kostete von der Sauce, und mahnte nochmals, noch mehr Pfeffer zu zugeben. Nach vielem Probieren und Schmecken wurde der Fisch fertig. Ich legte diesen auf die Schüssel, stellte sie auf einen Topf heißen Wassers, damit die Sauce nicht eintrockne. Noch einmal wurde das Gemüse gekostet, das Fehlende zugegeben, und dann der Köchin der Platz am Herde geräumt. Von da ging ich zum Teetisch, wo ich für die Eltern und meine Geschwister den Tee bereitete und einschenkte. Am Freitag wurde er früher als gewöhnlich eingenommen und in aller Eile getrunken. Hernach ging ich durch alle Zimmer, um die letzte Hand an das Reinigungswerk zu legen, bald eins, bald das andere von den Möbeln zurechtzustellen, den Staub in den Winkeln zu entfernen usw. Unterdessen war die kleine Wäsche getrocknet. Ich machte mich ans Plätten. Hernach verteilte ich an die Eltern und Geschwister die große Wäsche. Alle im Hause machten Sabbattoilette. Die meine bestand im Winter in einem wollenen Kleidchen blauer Farbe, meiner Lieblingsfarbe; im Sommer in einem steif geplätteten Kattunkleidchen. Die Jugend mußte mir Samt und Seide ersetzen.
Meine Eltern begaben sich in den nur für den Sabbat bestimmten Kleidern in die Synagoge, meine Mutter freilich erst, nachdem sie mit einem weißen Tischtuch den Tisch bedeckt, auf den oberen Sitz die zwei Sabbatbrote gelegt, die sie mit eigens dazu hübsch gesticktem Deckchen verhüllte, dann wurden die Kerzen mit einem Segensspruch angezündet, wobei sie der übrigen zwei Gebote für jede jüdische Frau gedachte. Sie dankte in diesem Gebete Gott, daß es ihr bestimmt ist, die Gemächer zum Sabbatfest zu beleuchten. Während sie in der Synagoge war, hatten wir drei Mädchen auch die Pflicht, jede zwei weitere Kerzen am Freitag Abend im Kronleuchter des Eßzimmers anzuzünden. Auch in den übrigen Zimmern wurden die Kerzen in den Wandleuchtern angesteckt. Und bald strahlte das ganze Haus im Kerzenglanze. Wir Mädchen in frischer Sabbattoilette fühlten uns in den geputzten Räumen in jener Stimmung, von der die Chassidim sagen, daß der Himmel für Sabbat die »Neschome Jessaire«, die zweite Seele verleihe. Diese Zeit war die einzige in der Woche, wo wir Mädchen, ohne gestört zu werden, unsere russischen, polnischen, deutschen und jüdischen Lieder mit ganzer, voller Stimme singen konnten. Ein anderes Mal wurde getanzt, wozu sich unsere Nachbarskinder einfanden. Auch das Beten wurde nicht vergessen! Unterdessen deckte der Bediente den Tisch zum Abendessen. Auf Vaters Platz stellte ich den großen, silbernen Becher mit der Karaffe Wein. Wir erwarteten die Eltern von der Synagoge. Der Vater kam, und schon wenn er mit seiner kräftigen Stimme »gut Sabbat« rief, kehrte die ganze Sabbatgemütlichkeit bei uns ein. Er breitete seine Hände aus, und wir Kinder empfingen, die älteren zuerst, den Segen. Des Vaters Gesicht strahlte in glücklicher Sabbatruhe, in seinen lachenden Mienen ruhte der Frieden der Seele. Sorgen und Kummer, von denen er die letzte Zeit so reich geplagt war, waren verjagt, vergessen – von ihm und seinem Hause. Er betete über unser vor Liebe und Verehrung gebeugtes Haupt, während er es oft in seine Hände drückte und streichelte. Zu einem Kuß jedoch und ähnlichen, zärtlichen Äußerungen durfte es nie kommen, da Religiosität und sittliche Anschauungen sie nach damaligem Begriff als Leichtfertigkeiten verpönten.
Nachdem wir alle des Vaters Segen erhalten, wurden vom Vater und den übrigen Herren Verse, die man »Scholem Alechem« – Friede mit euch – nennt, gesungen, mit denen jeder Jude seinen Sabbatfriedensengel empfängt. Darauf folgt der Lobgesang auf die arbeitsame Hausfrau (Psalm 18), die »Esches Chajil«, die Heldenfrau. Der Frau, die aufsteht, wenn es noch Nacht ist, und die Speise für ihren Mann und Kinder und Gesinde bereitet, ihren Handarbeiten und rot gewebten Gürteln gilt das Lob in den Stadttoren. Sie ist eine Krone für ihren Mann. Doch Schönheit und Anmut ist eitel Tand, vergänglich, und nur der gottesfürchtigen Frau gilt alles Lob. Diese Gesänge pflegten die Männer, im Zimmer auf- und abgehend, in einer schönen Weise zu singen. Ich war damals Backfisch und pflegte mich bei diesen Gesängen, da ich sie zur Hälfte verstand, ordentlich stolz zu fühlen, und nahm mir vor, des Lobes selbst würdig zu werden. – Mein Vater machte »Kidusch«, trank zur Hälfte den Inhalt des Bechers und gab ihn der Mutter, die davon nippte, und ihn uns Kindern der Reihe nach reichte. Dann ging es, ohne ein Wort zu sprechen, ans Händewaschen; und ein Gebet beim Abtrocknen wurde gesprochen. Diese Handlung, die trotz der vielen Anwesenden, doch so still verrichtet wurde, reizte uns Kinder oft zu leisem Flüstern, noch öfter zu einem ganz verführerischen Kichern. Aber ein strenger Blick des Vaters verjagte allen Mutwillen. Der Vater sagte ein Gebet über die zwei Brote, die man »Lechem Mischne« nennt, schnitt das eine in zwei Teile, aß davon einen Bissen und sprach, bis er ihn verzehrt hatte, kein Wort. Wir alle am Tisch bekamen auch eine Scheibe. Der Fisch wurde aufgetragen, eine fromme Sabbathymne mit lieblichen Melodien gesungen. Dann folgte die fette, schmackhafte Nudelsuppe; dann ein zweites Lied, bei dem wir Mädchen leise mitsummten. Laut durften wir es nicht tun, da es als eine Sünde für die Männer galt, weibliche Stimmen singen zu hören! Mit einem Gemüse endete die Mahlzeit. Zum Schluß wurde ein Dessert gereicht das aus Äpfeln, gerösteten Nüssen, abgekochten Erbsen bestand. Die Mützen wurden aufs Neue aufgesetzt, Wasser über die Finger gegossen, das »Majim Acharaunim«, d. h. das letzte Wasser genannt wird. Mit der Rezitation des Tischgebetes wurde einer der Herren der Tischgesellschaft beehrt, dem ein Becher mit Wein gefüllt wurde, und alle fielen mit einem Amen an bestimmter Stelle ein. Nach dem Abendbrot blieb man nicht mehr lange beisammen; schon um zehn Uhr lag das ganze Haus in tiefem Schlaf.
Mein Vater, seiner Gewohnheit treu, wachte um 4 Uhr früh auf, da er jedoch des Sabbats wegen, selbst kein Licht anzünden konnte, rief er den Bedienten und befahl, daß er dem christlichen Nachtwächter auftragen solle, Licht ins Haus zu bringen. Der Bediente brachte auch bald »Michalka«, den bewährten Nachtwächter, der die Kerze in Vaters Kabinet und in der Küche für den Bedienten anzündete. Vater sang seine Morgengebete, blätterte ein wenig in dem großen Talmudfolianten, trank seinen Tee, der, gestern zubereitet, auf dem großen Küchenofen im heißen Sand bis zum Morgen heiß geblieben war. (Der Samowar wurde in meinem elterlichen Hause nie am Samstag aufgestellt, auch kein Kaffee oder sonst eine Speise gekocht oder gewärmt.) Und nun begab sich mein Vater, in finsterer Nacht, im Winter des tiefen Schnees, des Frostes nicht achtend, nach dem sogenannten »Chewra-thillim-bethamidrasch«, die ihren Namen herleitet von der Übung, jede Woche alle Psalmen von Anfang bis zu Ende zu sagen. Jeden Tag wurde ein Teil im Chor gesungen, wobei einer von der Gemeinde mit dem ersten Satze im Kapitel anfing und die Gemeinde ihm folgte. Mein Vater gehörte zu diesem Verein, beteiligte sich jedoch an dem Gesange nur am Samstag. Die Mitglieder dieses Vereins bestanden größtenteils aus Handwerkern, denen es die ganze Woche unmöglich ist, sich in früher Morgenstunde diesen seelischen Genuß zu gönnen. Heute aber ist der heilige Sabbatruhetag, der schon von gestern vor Abend begonnen hat. Jeder Jude hat schon um 9 Uhr abends gestern in tiefem Schlaf geruht, ist um 4 Uhr nach Mitternacht physisch und geistig gestärkt erwacht und hat mit Wonne seiner Gemeinde im »bethamidrasch« gedacht, wohin er unverzüglich sich begab, und wo er im hell beleuchteten, gut durchwärmten, geräumigen Bethause seine Kameraden traf. Es ist keine bestimmte Weise zu diesen Psalmen vorgeschrieben, aber ein jeder Jude gibt den Worten der Psalmen, die er ganz versteht und tief empfindet, und in denen er seine eigenen Erlebnisse findet, die passende Melodie selbst, weil sie ihm aus innerster Seele kommt; und mit diesen individuellen Tönen preist er und singt seinem Schöpfer Hallelujah. So ging es bis Tagesanbruch, wo dann das Morgengebet »Schachariß«, das Mittagsgebet »Musaph« gebetet wurden, und dazwischen der Wochenabschnitt aus der Thora gelesen ward. Gegen 11 Uhr vormittags ging dann jedes Mitglied der Gemeinde in der besten Stimmung nach Hause, nicht zuletzt, weil es wußte, daß seiner schon von gestern her ein schmackhaftes Mittagessen harrte. Jeder ergötzte sich an »Schalet« und »Kugel«, den der Sabbatengel so prächtig abgekocht hat. Dieser Schalet, von dem Heinrich Heine behauptet, daß die Bewohner des Olymp Griechenlands nur deswegen Ambrosia speisten, derweil sie von Schalet nichts wüßten! – Wir Kinder waren schon in vollem Sabbatputz. Der Vater segnete uns und machte Kidusch über einen Becher Wein. Wir mußten auch davon nippen. Darauf wurde mit Honigkuchen und Konfitüren in Honig und Zucker »angebissen«.
Unterdessen trug der Bediente gesalzene, kalte Fische auf, hartgekochte Eier mit Zwiebelsalat, Gänseleber, Gänsefett, Rettig, Kalbsfüße mit Eiern und Knoblauch; die bitteren, pikanten Kräuter, an denen sich unsere Vorfahren schon in der Wüste erlabten, ergötzen noch bis heute die Nachkommen Jacobs. Nachdem die Tischgesellschaft den ersten Hunger gestillt hatte, wurde der Schalet aufgetragen. Er schmeckte vortrefflich! Obwohl die Speisen mehr als 20 Stunden im Ofen gestanden hatten, bekamen sie jedem gut. Die damaligen, jüdischen Magen waren gut. Je fetter der »Kugel«, das Symbol des Sabbatmittagmahles war, um so schmackhafter erschien er den Tischgenossen und er fand Gnade! Auch heute wurden fromme Lieder, Hymnen auf die Sabbatruhe, mit munteren Weisen im Chor gesungen. Am Sabbat nach Tisch zu schlafen, ist eine »Mitzwa« und – wir waren fromm! Nur wir Kinder konnten uns jetzt austoben, im Eßzimmer während des Winters, auf Wiese, Berg und Tal im Sommer.
Am Spätnachmittag gingen die Männer wieder ins Bethaus zum Vorabendgebet. Es war in der Dämmerung. Daheim mußte dann die dritte Sabbatmahlzeit gegessen werden. Auch die Kinder hatten nach ihrem Umhertollen Wolfsappetit. Bei dieser »Schalssude« im Halbdunkel vor Abend mußten Fisch und Fleisch nach Vorschrift gegessen werden. Auch jetzt wurden schöne Hymnen gesungen und dann das Tischgebet verrichtet. Darauf ging alles wieder in die Synagoge zum Abendgebet, und es war schon dunkel, als die Männer zurückkehrten. Alsdann betete mein Vater bei einem Becher Wein »Awdole«.
Dann wurden weiter wohlklingende »Smiraus« gesungen d. h. Verse, die sich auf die kommende Woche (Werkeltage), auf Sonne, Mond und Sterne beziehen. – Der Abend war noch ein halber Feierabend, an dem nichts gearbeitet wurde. Gegen 11 Uhr wurde aufs neue eine Mahlzeit eingenommen, die sich »reb Chidkes Ssude« – Melawe Malke – Abschiedsgebet für die Königin Sabbat nannte. Für dieses Mahl wurde ein »Borscht«, eine aus Geflügel und roten Rüben bestehende Brühe, gekocht, die erst um 11 Uhr fertig wurde, da man Feuer erst dann anmachen durfte, wenn es vollständig Nacht war. Alle, selbst wir kleinen Kinder, mußten zu dieser späten Mahlzeit zu Tisch kommen. Mit dieser späten Mahlzeit endete erst die Sabbatfeier.
III.
Evas Hochzeit
Ich war 15 Jahre alt, als meine zwei Jahre ältere Schwester verlobt wurde. Ja, sie wurde verlobt und nicht (wie es jetzt bei den Mädchen heißt) sie haben sich verlobt. Unsere Eltern und die des Bräutigams unterhandelten durch den Heiratsvermittler »schadchen« miteinander und besprachen, wieviel Mitgift, Kleider und Schmuck von beiden Teilen der Heiratspartei gegeben werden solle. Meine Schwester bekam ihren Bräutigam, ihren Lebensgefährten, vorerst überhaupt nicht zu Gesicht und konnte sich nicht überzeugen, ob sie ihn lieben könnte, und ob er ihrem Geschmack und den Idealen entspräche, die sich ein Mädchen von ihrem Zukünftigen heimlich bildet. Unsere Eltern teilten ihr nur mit, daß ein gewisser Herr F. aus der Stadt S. um sie werbe. Und da er aus gutem Hause, reich, nicht häßlich, und schon ein selbständiger Kaufmann (zwar schon einmal geschieden) wäre, fanden unsere Eltern diese Partie zweckmäßig und gaben ihre Zustimmung. Nun sollte es auch meine Schwester tun. Weit entfernt, den mindesten Zweifel in die Worte der Eltern zu setzen, machte meine Schwester keinerlei Einwendungen. Mit dem, was die Eltern bestimmten, war man eben einverstanden! Daß sie mit der Wahl zufrieden war, war selbstverständlich; war es doch üblich, in dieser Form die Töchter zu verheiraten und – sie waren in der Ehe glücklich. Die Mädchen von anno damals wußten, daß der Mann, den ihnen die Eltern bestimmten, von Gott bestimmt war. Gott wollte, daß er ihr Lebensgefährte wurde, und so fügte man sich vom ersten Augenblick in alle Schicksale des Ehelebens mit Geduld und Ergebung, richtete danach Sinn und Tun ein. So wurde die damalige Ehe von Frau und Mann als ein heiliges Band betrachtet, das nur der Tod trennen kann, und nicht wie jetzt, wo die Ehe lediglich auf dem guten Willen der Ehegatten basiert ist. Bei einer auf die alte Weise geschlossenen Ehe kamen selten Zwist oder Uneinigkeit unter den Gatten vor; meistenteils haben sie ein glückliches, zufriedenes Leben bis zum hohen Alter geführt, und ein solches war auch meiner Schwester vom lieben Gott beschieden.
Meine Schwester wurde also Braut, bekam von ihrem Bräutigam hübsche Brillanten zum Geschenk geschickt und sehr oft Briefe, auf die sie sofort antwortete. Der Briefwechsel war zwar nicht ohne gewisse innere Anteilnahme, Anhänglichkeit und Liebe, aber durchaus nicht schwärmerisch. Immerhin kam doch darin zum Ausdruck, daß man sich nacheinander sehnte und mit Herzenslust einen Brief erwartete und empfing.
So vergingen fünf Monate. Eines Morgens, da meine Mutter mit uns allen beim Frühstückstisch saß, sagte sie zu meiner Schwester: »Ich hoffe, daß deine Hochzeit nach drei Monaten stattfinden wird.« Meine Schwester wurde bei den Worten der Mutter blaß. Die Mutter fing an, sie mit einschmeichelnden Worten zu beruhigen. Mit lächelnden Mienen, aber doch ganz ernst, sagte sie: »Es ist schon Zeit, du bist bereits achtzehn Jahr!« Meine Schwester aber antwortete nichts, stand rasch vom Stuhl auf, ging in ihr Zimmer, wo sie heftig zu schluchzen anfing. Welche Gefühle ihr diesen Tränenstrom erpreßt haben, konnte man wohl erraten. Unsere Mutter legte jedenfalls weiter kein Gewicht darauf. Meine Schwester selbst konnte sich über ihre Tränen wohl keine Rechenschaft geben. Vielleicht hat verletzter Stolz sie erpreßt; sie kannte nicht einmal ihren Bräutigam persönlich und sollte ihn erst zur Hochzeit zu sehen bekommen.
Nun fingen die Vorbereitungen zur Hochzeit an. Zuerst Garderobe! Es wurden von den Geschäften Stoffe, Zeuge, Leinwand usw. gebracht. Meine Schwester aber kümmerte sich scheinbar nur wenig darum. Sie wurde nachdenklich, still, und ging in sich gekehrt herum. Meine Mutter und die älteren Schwestern bestellten die Näharbeit. Die Braut aber schrieb jetzt öfter an ihren Bräutigam, wohl um ihre erschütterte Ruhe wiederzufinden. Die Antworten waren sehr liebenswürdig.
Unsere Eltern und die des Bräutigams setzten bei der Verlobung als den Tag der Hochzeit einen Donnerstag im Septembermonat des Jahres 1848 fest. (Es war ein Rausch Chaudesch.) Ich sollte schon ein langes Kleid zu dieser Hochzeit bekommen – als älteres Mädchen im Hause, folglich auch Kandidatin der Ehe. Die Wirtschaft und Vorbereitung zur Hochzeit nahm mich sehr in Anspruch. Tagelang hatte ich in der Küche mit Backen, Braten, Kochen zu tun. Aber ich liebte diese Beschäftigung, während meine Schwester das Lesen und Nähen vorzog. Meine älteren Schwestern besorgten den Hausrat und die Kleidungsstücke für die Braut. Sie bekam ein hell-lila Seidenkleid, mit weißen Blendenspitzen besetzt, zum Brautkleid, einen Myrtenkranz und langen Schleier dazu. (Der Anzug war im Vergleich mit den damaligen Sitten auffällig modern!) Sonnabend vor dem festgesetzten Termin war Polterabend, damals nannte man ihn »smires«. Alle Freundinnen und Bekannten kamen, und wir waren lustig und tanzten uns müde, da wir Mädchen auch die Kavaliere vorstellen mußten. Mit einem Mann zu tanzen, verbot unsere religiöse Erziehung. Vater und die bekannten Herren sahen zu und ergötzten sich an dem schönen Anblick des Solotanzes der russischen »Kasatzke«, der so reich ist an künstlerischen Tanzfiguren, an graziösen Bewegungen und Schwenkungen. Bald war die im raschen Tempo getanzte Galoppade an der Reihe, die zu zweien in der Runde des Salons getanzt und wobei in jeder der vier Zimmerecken für einen Moment Halt gemacht wurde. Dazwischen kam auch das lustige Tänzel Bègele, eine Art Rundtanz, dann »chosidl«, zu dem eine höchst muntere Weise mit Fanfarenmusik und Tamburin gespielt wurde. Endlich wurde auch der Contredanse gar zierlich-manierlich getanzt. Der Walzer aber war nicht sonderlich beliebt.
Die Tage von Sonnabend bis Donnerstag waren unruhig und reich an Arbeit. Aber an jedem Abend dieser Tage kam die Musik, um der Braut einen »guten Abend« aufzuspielen, einen »dobri weczer« und an jedem Morgen hörten wir ein »Guten-Morgen-Ständchen«, »dobri dsen«, wobei wir Mädchen ein lustiges Tänzchen machten. Es herrschte ganz die patriarchalische Sitte, die fordert, daß die jüdische Hochzeit vier Wochen dauern soll. Meine Schwester hoffte, daß ihr Bräutigam wenigstens zwei Tage vor der Hochzeit kommen würde und war in den letzten Tagen munterer geworden. Als jedoch schon der Mittwoch der letzten Woche nahte, und ihre Hoffnung sich nicht erfüllte, wurde sie verstimmt und weinte im Geheimen oft, und ihr ganzes Wesen sprach von Ungeduld. Die Vorbereitungen zur Hochzeit nahmen ihren Fortgang, und der festgesetzte Hochzeitstag, ein Donnerstag, ließ sich mit prächtigem Wetter und Sonnenschein an – ohne jedoch den Bräutigam in unsere Stadt zu führen.
Doch kaum war es 11 Uhr geworden, als eine Estafette die ungeduldig erwartete, frohe Nachricht brachte, daß der Bräutigam und seine Begleitung auf der letzten Poststation angelangt seien und weiterreisten. Eilig kleideten wir uns an; das Frühstück wurde bereitet. Ich mußte helfen und wurde darum nur zur Hälfte mit der Festtoilette fertig. Die Braut aber wollte sich nicht eher ankleiden, bis sie erst ihren Bräutigam gesprochen hätte – ein Verlangen, das uns heute nur recht und billig klingt. Allein ein strenger Blick unserer Mutter und ein Wort der Schwestern waren hinreichend, diese Forderung aufzugeben. Bald erschien die Schwester bräutlich gekleidet; in den Spiegel freilich hatte sie kaum geschaut! Ihre Seufzer ließen den Sturm ihrer Gefühle ahnen! Es lag in der Wucht der Sitten jener Zeit, daß sie ruhiger wurde und sich damit abfand, erst im Trauungskleide zum ersten Male ihren Lebensgefährten zu Gesicht zu bekommen.
Es war 12 Uhr geworden. Die Einladungen zur Trauung an die Freunde und Bekannten waren in der Frühe desselben Tages verschickt worden, und einige Gäste fanden sich schon ein. Musik erklang und unsere Eltern traten mit ernsten Gesichtern, bewegten Herzens und tränenvollen Augen in den Hochzeitssaal, in ihrer Mitte die jugendliche, hübsch geschmückte, erregte Braut am Arm haltend. Meine Schwester war keine ausgesprochene Schönheit, aber ihre hohe Statur, ihr stolzes, hochragendes Haupt, die hohe Stirn und klugen Augen ließen auf ihren Verstand schließen. Der Ernst dieser Stunde war bei ihr, wie es schien, von einem romantischen Glanz umleuchtet und goß über ihre strengen Gesichtszüge die milde Hingebung und Ergebung, die wir in der letzten Zeit bei ihr vermißten. – Mein Vater hatte inzwischen den Bräutigam in seinem Logis begrüßt, und er konnte meine Schwester mit Überzeugung versichern, daß der junge Mann ein liebenswürdiger Mensch sei. Unter den Klängen einer zu Tränen rührenden Musik, wie es bei ähnlichen Gelegenheiten üblich und passend ist, führten unsere Eltern die Braut bis in die Mitte des Hochzeitssaales, wo auf einem Teppich ein Armstuhl mit einer Fußbank stand, und mit tränenerfüllten Augen ließen sie die Braut aus ihren Armen darauf nieder. Sie blieb nachdenkend, in sich gekehrt, sitzen. Bange Erwartung, freudige Erregung, der Gedanke, sich fürs ganze Leben zu fesseln, durchtobten sie..... Ach! Ein Frauenleben!… Wieviel sagt doch dieses eine Wort … Der Vater entfernte sich, die Mutter aber und wir alle, reich geschmückt, blieben in ihrer Nähe. Es dauerte auch nur kurze Zeit, als wir aus dem Vorzimmer den Bedienten melden hörten, daß der Bräutigam vorgefahren sei. Meine Mutter erhob sich und warf einen unruhigen, aber von mütterlichem Stolz erfüllten Blick auf die Braut, die blaß und starr vor sich hinsah. Sie sprach ihr nochmals mit zärtlichen Worten Mut zu und begab sich dann in den zweiten Salon, um die willkommenen Gäste zu empfangen. Der Vater trat ihnen schon im Vorzimmer entgegen, umarmte und küßte den Bräutigam und führte ihn ins zweite Zimmer zur Mutter, die nach damaliger Sitte weder durch einen Händedruck noch durch einen Kuß ihre Freude oder Zufriedenheit äußern durfte. Aber ihre Augen und ihre hastigen Worte sagten, daß sie zufrieden war. Der Bräutigam schien der zärtlichen Umarmung des Vaters und der freundlichen Worten der Mutter nur wenig zu achten; seine Augen suchten gierig und gespannt die, nach der sein Herz sich sehnte. Er sah über alle, die neben ihm standen, hinweg in den zweiten Salon, von wo ihm der Stern seines künftigen Lebens entgegenleuchtete. Die Festgenossen, geleitet von unserm Vater, gingen nun in das Hochzeitzimmer. Meine Schwester hatte sich von ihrem Stuhl erhoben und stand in ihrer ganzen Würde dem Bräutigam gegenüber, das Auge beharrlich auf ihn gerichtet, vor dessen Blick er die seinigen, wie ich denke, senken mußte, da sein Charakter nachgiebig, mild und friedfertig war und der ihrige zwar nur wenig Sentimentalität besaß, aber kernig gesund, kalt, hell wie der Wintertag war. Auch zwischen Braut und Bräutigam durfte selbst bei dieser feierlichen Gelegenheit kein Händedruck gewechselt werden. Ihre ganze Erscheinung jedoch wirkte auf ihn elektrisierend; er konnte sich kaum fassen und murmelte einige unverständliche Worte, worauf meine Schwester eine maßvolle Antwort gab. Es wurde dem Brautpaar gestattet, sich ins zweite Zimmer zu begeben, zunächst in Begleitung der beiderseitigen Eltern, die sich übrigens bald entfernten, damit die jungen Leute endlich ohne Zeugen miteinander sprechen könnten. Wenn das Dictum: »Gekommen, gesehen, gesiegt« irgendwo berechtigt ist, so hier! Es verging kaum eine halbe Stunde, da traten die jungen Leute freudestrahlend in den Hochzeitssaal zurück.
Man beeilte sich zu frühstücken; es geschah in großer Gesellschaft und in sehr munterer Weise. Schon sammelte sich die Menge der geladenen Gäste; und da es im späten Herbst war und der Tag kurz, so mußte man eilen. Unterdessen war es drei Uhr geworden. Im Hochzeitssaal wurde getanzt, und die Braut auch in den Wirbel hineingezogen, was nach den damaligen Begriffen ganz in der Ordnung war. Der Bräutigam bat sich die Erlaubnis aus, im Tanzsaal zu bleiben; es wurde erlaubt, aber nicht für lange! Unsere Mutter zeigte sich bei ähnlichen Gelegenheiten viel milder als der Vater. Sie setzte sich in einen Winkel des Hochzeitssaales und bat ihren künftigen Schwiegersohn, neben ihr Platz zu nehmen.
Eine Stunde mochte in Tanz und Lust vergangen sein, da mahnte meine Mutter den Bräutigam, daß es Zeit sei, zu gehen. Er tat es mit einer sehr langen Verbeugung und einem Lächeln gegen die Braut. Und nun fing die Zeremonie des sogenannten Besetzens und Bedeckens an, die darin besteht, daß man Brautkranz und Schleier vom Kopfe der Braut herunternahm, und die Frauen und die Freundinnen die Haare der Braut, die eigens heute zu kleinen Zöpfchen geflochten waren, auflösten und über Hals und Nacken breiteten, wobei die Musik nur stille Töne anschlägt. Die noch vor einer kleinen Weile so lustig tanzende Hochzeitsgesellschaft wurde still. Eine traurige Stimmung umhüllte alle. Der Batchen oder Marschalik – wie man diese Kasualienredner damals nannte – erinnerte die Braut, daß der heutige Tag für sie einen Lebensabschnitt markiere; sie trete in ein neues Stadium und dieser Tag solle ihr heilig wie der Versöhnungstag sein. Sie sollte Gott anflehen, ihr die Sünden zu vergeben. Der damalige Jude glaubte, daß die Eltern die Sünden eines jeden Kindes bis zu seiner Vermählung vor Gott zu verantworten haben. Nach der Hochzeit ist aber jedes Kind selbst für sich verantwortlich. Bei meiner Schwester bedurfte es keiner Ermahnung! Ihre Tränen flossen reichlich und innig. Nach dieser Rede kam, in Begleitung der Eltern und Gäste, geführt von dem Ortsrabbiner, der Bräutigam in den Hochzeitssaal, nahm von der vorbereiteten, mit Hopfen und Blumen gefüllten Platte den Schleier, und auf die Aufforderung des Rabbiners bedeckte er damit das Haupt der tiefbewegten Braut. Bei dieser Handlung bestreuten ihn alle Umstehenden mit Hopfen und Blumen, und unter lauten Glückwünschen, Umarmungen und munterer Musik verging noch eine gute halbe Stunde, in welcher man die Braut von der schweren Brauttoilette befreite, ihr ein leichtes, lichtes Kleid anlegte, eine leichte Mantille überwarf und den Schleier auf dem Kopf zurechtlegte und befestigte. Nun ging es in die Synagoge, jedoch nicht wie jetzt in Equipagen, sondern zu Fuß durch die oft sehr schmutzigen Gassen. – Die Trauung wird von den Juden als öffentlicher Akt betrachtet und muß daher unter freiem Himmel vollzogen werden. Das Volk soll Braut und Bräutigam sehen können, vielleicht weiß jemand, daß einer der Brautleute schon verheiratet ist!