Kitabı oku: «Memoiren einer Grossmutter, Band I», sayfa 11
Der Bräutigam wurde bald nach dem »Bedecken« mit Musik – ein Marsch wurde gespielt – vor die Synagoge geführt, wo er unter den dort aufgestellten Baldachin gestellt wurde. Und die Musikanten begleiteten nun auch die Braut unter die »Chuppe« mit demselben Marsch. Die Braut wurde von den »Unterführerinnen« (Brautschwestern) an die linke Seite des Bräutigams gestellt; die Musik schwieg. Die Zeremonie der Einweihung des Brautpaares begann. Der »Schammes« (Synagogendiener) füllte ein Glas mit Wein, über den den Segen zu sprechen, ein geachteter Mann beehrt wurde. Bei einem bestimmten Satze hielt er inne. Der Synagogendiener übergab dem Bräutigam den Trauring, den dieser in die Höhe hielt, und mit den gesetzlichen Worten in bestimmtem Rhythmus: »Hare ad mekudesches li betabas sukedas Mausche w' Isroel« steckte er den Ring auf den Zeigefinger der rechten Hand der Braut. Dann rezitierte der den Wein segnende Mann die sogenannten »schiwo broches« – die 7 Segenssprüche – auf die schönsten Tugenden und edelsten Regungen des Menschenherzens, wie Liebe, Freundschaft, Treue, Bruderschaft des Ehepaares. Dann wurde die »ksube« (Heiratsurkunde) vorgelesen. Diese lautete wie folgt: »Dieser Herr N. heiratet dieses Frauenzimmer N. Er verpflichtet sich, ihr Mann zu sein, sie zu ernähren, standesgemäß zu kleiden und sie zu beschützen. Sie bekommt von dem Herrn N. dreißig Goldmünzen.« Die »ksube« wird der Braut hier unter der »chuppe« überreicht. Nachdem das Gebet über den Wein zu Ende gesprochen war, mußten Bräutigam und Braut aus dem Glase trinken. Das Glas aber legte man auf die Erde, und der Bräutigam mußte es mit dem Fuße zerstampfen! Die Hochzeitgesellschaft rief »Masel tow« (Gut Glück), und das Brautpaar trat Arm in Arm den Heimweg an, von der rauschenden, betäubenden Fanfarenmusik und dem gesamten Publikum begleitet, wobei besonders die älteren Weiber einen Reigen dicht vor dem Brautpaar tanzten, denn als größte »Mizwe« (d. h. gottgefällige Tat) galt: »M'ssameach chosen wekalo« (d. h. Braut und Bräutigam belustigen!). Sie tanzten bis zu unserem Hause. Dort schwieg die Musik und nun galt es, zu sehen und zum Teil zu bewirken, daß die Braut zuerst über die Schwelle trete. Ein alter Aberglauben lehrte nämlich, daß, wer von dem Ehepaare zuerst über die Schwelle tritt, durchs ganze Leben die Oberhand im Eheleben behalten würde. Sämtliche Frauen nahmen ihren Schmuck ab und legten ihn hier auf die Schwelle; darüber sollte das neuvermählte Ehepaar schreiten. Hier bei uns vollzogen sich alle diese Bräuche in gemütlicher Ordnung, während es bei dem einfachen Volk bei dieser Gelegenheit sehr oft zu einem Handgemenge kam, in dem bald die Verwandten der Braut ihrem Schützling den Vortritt zu erkämpfen suchten, während ihrerseits die Verwandten des Bräutigams dasselbe Manöver übten.
Man denke sich diesen ganzen »Chuppegang« (Trauungszug) mit allen oben geschilderten Szenen bei Regenwetter unter freiem Himmel, wo wenige von den Tanzenden Schirme besaßen. Da gab es schlumpige Weiberröcke und Pantoffeln, und die arme Braut mußte laut die bittersten Vorwürfe hören, da sie, wenn es zu ihrer »chuppe« regnete, wohl naschhaft gewesen sein und aus den Kasserollen geleckt haben mußte. —
In großem Gedränge kamen die Brautleute zu Hause an, wo das junge Paar in sein Zimmer geführt wurde und bei Tee, Bouillon und Leckerbissen sich von den Strapazen des Chuppeganges erholte. Es war auch hohe Zeit! Denn das Brautpaar fastete bis nach der Trauung. Man nannte die erste Bouillon, die man dem Brautpaar gab, die »goldene Suppe«. Nur die intimeren Freundinnen und die Brautschwestern wurden in das Zimmer der Brautleute hineingelassen. Die übrigen Gäste verabschiedeten sich, um sich zwei Stunden später zum Abendbrot, das sich »chuppewetschere« nannte, einzufinden. Bei diesem Mahle führte die Gesellschaft allerlei leichtsinnige Gespräche, die nicht der Frivolität entbehrten. Nach der luxuriösen Mahlzeit, die mit einer grossen Zecherei endete, blieb die Gesellschaft noch bei Tisch sitzen. Es war Brauch, dass der Bräutigam das Mahl durch eine talmudische Rede (Drosche) würzen musste. Nun wurden die »Droschegeschenke«, d. h. Hochzeitsgeschenke, von den Verwandten, Eltern und Freunden den Neuvermählten dargebracht. – Der »batchen« trat wieder in Aktion. Aber er zeigte sich jetzt von einer gemütlicheren Seite. Er mußte das Publikum mit allen möglichen Possen und improvisierten Anekdoten in Versen unterhalten, auf jeden Gast, je nach der Spende, ein launiges »Wörtchen« sagen, und endlich auch dem Brautpaar Scherze, aber auch bittere Wahrheiten in humoristischer Form erzählen. Unter diesen Batchonim gab es oft geniale Leute. Einer, Sender (Alexander) Fiedelmann, hat eine köstliche Sammlung seiner launigen Verse hinterlassen. Fiedelmann hat in Minsk »gewirkt«, während in Wilna ein gewisser Motche Chabad und Elijokum Batchen beliebt waren.
Der »batchen« stellte sich auf einen Stuhl und rief mit lauter Stimme, das ihm eingehändigte Hochzeitsgeschenk in die Höhe haltend, den Namen des Gebers und pries mit vielen Übertreibungen den Wert und die besonderen Qualitäten des Geschenkes. Seine »Chochmes« brachte er in singenden Rezitativen vor, wobei die angeheiterte Tischgesellschaft herzlich lachte. Diese Possen dauerten bis spät in der Nacht. Das Tischgebet wurde gesagt, das mit den »schiwo broches« über einem Becher Wein endigte, von dem man dem Brautpaar zu nippen gab. Dann kam der sogenannte Koschertanz an die Reihe. Die Braut unter ihrem Schleier setzte man in die Mitte der Brautschwestern, von denen eine ein seidenes, viereckiges Taschentuch in der Hand hatte. Der »batchen« forderte einen der Herren auf, mit der Braut zu tanzen, wobei die Brautschwester einen Zipfel des Tuches der Braut in die Hand gab und den zweiten Zipfel dem Tänzer reichte. Auf diese Weise machten sie zweimal die Runde und der Batchen rief: »Schon getanzt!« und die Braut setzte sich wieder zwischen die Brautschwestern. Auf solche Weise tanzte die Braut mit allen anwesenden Herren. Das dauerte bis spät nach Mitternacht. Die arme Braut aber durfte den Schleier nicht lüpfen.... Endlich, vor Tagesanbruch, mahnte die große Müdigkeit zur Ruhe. Ein jeder suchte sich irgend ein Plätzchen und nickte selig ein. Am nächsten Morgen wurde es spät Tag. Die Braut blieb in ihrem Zimmer, bis meine Mutter und die älteren Schwestern in Begleitung einer einfachen Frau, der sogenannten »Gollerke«, kamen. Diese Frau war mit einer großen Schere bewaffnet und nahm auf der Mutter Geheiß dreist den armen Kopf meiner Schwester in Besitz, lehnte ihn gegen ihre Brust, und unter ihrer mörderischen Schere fiel bald eine Strähne des schönen Haares nach der andern vom Kopf meiner Schwester – wie das Gesetz es befiehlt! Nach kaum 10 Minuten war das Lamm geschoren. Man ließ ihr nur ein wenig Haar über der Stirn, um es besser nach hinten streichen zu können. Denn es durfte keine Spur von ihrem eigenen Haar zum Vorschein kommen. Dann bekam sie eine glatt anliegende seidene Haube, an der sich vorn ein breites, seidenes Stirnband in der Farbe des Haares befand, wodurch nach damaligen Begriffen das Haar sehr gut imitiert wurde. In den frommen jüdischen Häusern, wie dem meiner Eltern, hat man die altjüdischen Bräuche, die mit der Zeit als Gesetz betrachtet wurden, möglichst streng beobachtet. Der Braut wurde ein hübsches, kokettes Häubchen aufgesetzt, wenn auch darunter das jugendliche Gesicht bedeutend älter erschien. Man führte sie in den Salon, wo bereits alle Herren des Hauses und viele Gäste versammelt waren. Die Brautschwestern bedeckten ihr Gesicht mit einem weißen, seidenen Tuch, und wer ihr Gesicht zum ersten Male unter der Haube sehen wollte, mußte ein Almosen für die Armen geben; auch der Bräutigam und die beiderseitigen Eltern mußten es tun. Da gab es verschiedene Meinungen über ihr verändertes Aussehen, und bald war ein gemütlicher Streit im Gange. —
Meine Schwester blieb auf Kosten der Eltern mit ihrem Manne bei uns wohnen. Seine Eltern reisten, nachdem sie ihr viele hübsche Präsente zurückgelassen hatten, nach ihrer Heimatsstadt Saßlaw zurück.
Und ein junges Paar lebte das alte Leben....
Nur noch diese Schwester wurde in der hier geschilderten Weise verlobt und verheiratet. Schon meine Verlobung, zwei Jahre später hatte ein wesentlich verschiedenes Gepräge, hatte doch die Reform unter der Regierung Nicolaus I. die jüdische Lebensweise stark beeinflußt.
Die Veränderung der Tracht
Es will mir scheinen, daß es kein Zufall sein kann, wenn heute das Wort »Tracht« fast ganz aus dem Wortschatze verschwunden ist. Es ist eigentlich nur noch in der Schriftsprache üblich. In der Umgangssprache ist es kaum noch zu hören. Es hat dem Worte »Mode« weichen müssen. Darin scheint mir aber mehr zu liegen als ein nur rein äußerlicher Ersatz des einen Wortes durch ein anderes. Es liegt Psychologie, Zeitpsychologie in diesem Wandel. Sollte es wirklich nur ein Zufall sein, daß das Wort »Mode« zumeist in einem ganz prägnanten Sinne gebraucht wird? Bezeichnet es ursprünglich nur, daß irgendein Etwas – ein Kleidungsstück, ein Buch, ein Kunstwerk zu einer bestimmten Zeit besonders beliebt ist, so hat es jetzt seinen Hauptsinn in der Vorherrschaft einer besonderen Kleidung! Die Frühjahrsmode schlechtweg bezeichnet die neue Form, die die Kleidung im Frühjahr hat. Und wenn wieder »eine neue Mode herauskommt«, so denkt man lediglich an eine neue Tracht. Mit dem Begriff Mode ist uns wie durch eine feste Ideenverbindung der Begriff des schnellen Wechsels verknüpft. Was modern ist, will nur den Erfolg eines Tages haben. Mode und Tracht stehen zueinander wie hastige Abwechslung und Dauer.
In einem Punkte freilich finden die Begriffe »Mode und Tracht« eine gewisse Einigung! Sie haben beide einen imperatorischen Charakter. Sie zwingen unter ein Joch. Und wenn auch dem einzelnen Menschen ein Spielraum für die Betätigung seines individuellen Geschmacks bleibt, so fordert das Gesetz der Tracht doch Einheitlichkeit und Uniformiertheit.
In früheren Zeiten hatte die Tracht freilich auch die Aufgabe, bestimmte Gruppen von Menschen voneinander zu differenzieren. Die Pariser Mode hatte noch nicht alle feineren und gröberen Nuancen verwischt. Jeder Volksstamm, jede scharf abgesonderte Klasse von Menschen hatte ihre eigene Tracht; man wollte nicht in den großen Menschheitsbrei untertauchen, sondern sofort erkannt werden als das, was man ist. So bekam die Tracht den Charakter des Zähen, Stabilen, Traditionellen, und die Gloriole der Ehrwürdigkeit umleuchtete sie.
Nur so kann man verstehen, wie der im Jahre 1845 veröffentlichte Ukas der russischen Regierung auf die russischen Juden wirkte, welcher die Juden zwang, ihre alte Tracht abzulegen und sich der modernen zu fügen.
Die Wirkung auf die große Masse war so furchtbar wie die einer Katastrophe. Eine wilde Erbitterung war die Folge. Und nur das Gefühl der eigenen Ohnmacht, der Wehrlosigkeit, die Golusangst ließ diese Erbitterung nicht zu rasender Wut sich steigern. Wären die Juden damals stark, organisiert, mächtig gewesen, so hätte die Veränderung der Tracht zu Aufständen und Revolutionen geführt. So aber blieb es bei schmerzhafter Resignation. Man trauerte um die eigene Tracht wie um einen lieben Toten. Und tiefer blickende Geister begriffen bald, daß die Anpassung an die modische Kleidung nur der erste Schritt sei auf dem Wege tiefer greifender Assimilationen, die nicht nur die Lebenshaltung, sondern auch Kulturanschauungen und die überlieferten Lehren einer spezifischen Religion, Sitte, Gewohnheit und der Bräuche des jüdischen Volksstammes würden ummodeln müssen. Der Ukas wurde als »Gesere« bezeichnet; nicht als eine von den vielen Geseraus, die das jüdische Volk überfielen, sondern als die »Gesere« schlechtweg. Viele waren der Ansicht, daß das jüdische Gesetz – Jehorek wéal ja'wor (man muß sich opfern) – unter diesen Umständen erfüllt werden müsse. Allein die russische Regierung kümmerte sich wenig um jüdische Gesetze, um die erregten Debatten in den Gemeinden, um die Trauer und das Wehklagen der Frommen, sondern setzte kurzerhand eine Frist fest, nach deren Ablauf alle Juden in Rußland, Männer und Frauen, sich nur in europäisch-russischer Tracht durften sehen lassen. Und diese Frist war natürlich sehr kurz bemessen. So mußte denn die jüdische Bevölkerung von ihrer liebgewordenen Tracht lassen. Und wer wie ich den hastigen Wandel der Moden durch viele Jahrzehnte miterlebt hat, und wie ich oft hat erkennen müssen, daß die Tyrannin Mode nicht immer gerade die Ästhetik als Genossin hat, der muß gestehen, daß das Opfer der alten Tracht in manchem Belange die Aufgabe einer nicht nur hygienischen, sondern auch recht kleidsamen Tracht war.
Die Männer trugen ein weißes Hemd, dessen Ärmel durch Bändchen geschlossen wurden. Am Halse lief das Hemd in eine Art Umlegekragen aus, der aber nicht gesteift und gestärkt wurde. Auch am Halse war das Hemd durch weiße Bändchen geschlossen und es wurde in der Art der Schleifenbindung besondere Sorgfalt aufgewandt, wie auch ein gewisser Luxus bei der Auswahl des Stoffes für diese Krawatten ähnlichen Bändchen entfaltet wurde. Selbst ältere Herren aus vornehmen Häusern ließen eine leise Koketterie bei dem Schlingen dieser Schleifen häufig erkennen. Erst später kamen breite, schwarze Halstücher auf. Aber in den Familien, die Gewicht auf die Tradition legten, waren diese Binden verfehmt, und daß sie als »goijisch« bezeichnet wurden, zeigt schon die starke Empfindlichkeit an, mit der selbst so kleine und doch eigentlich recht harmlose Abweichungen von der üblichen Tracht aufgenommen wurden.
Die Beinkleider reichten nur bis zum Knie und waren gleichfalls durch Bänder unten verschnürt. Die Strümpfe waren von weißer Farbe und ziemlich lang. Den Fuß bekleideten niedrige Lederschuhe, die aber keine Absätze hatten. Die Stelle des Rockes vertrat der lange Chalat – der aus kostbaren Wollstoffen bestand. Die niedere Klasse trug an Werktagen Kleider aus Demi-cotton, an Festtagen aus Rissel – einem billigen Wollstoff – , während sich die Armen im Sommer mit Nanking, einem Baumwollstoff mit schmalen, dunkelblauen Streifen, im Winter mit grauem, dickem Tuch bekleideten. Dieser Chalat war sehr lang und reichte fast bis auf die Erde. Allein der Anzug wäre nur unvollständig gewesen, wenn nicht über die Hüften ein Gürtel herumgeschlungen wäre. Auf diesen Gürtel wurde besondere Sorgfalt verwandt; galt er doch für die Erfüllung eines religionsgesetzlichen Gebotes. Er sollte sinnfällig den reinen Oberkörper von dem mehr unreinliche Funktionen ausübenden Unterkörper scheiden. Besonders am Sabbath und an den Feiertagen wurde mit dem Gürtel ein besonderer Luxus getrieben. Selbst Männer niedrigen Standes pflegten zur Weihe der Feste einen seidenen Gürtel zu wählen.
Die Kopfbedeckung der Armen war an Wochentagen eine Mütze, die an beiden Seiten Klappen hatte, die meistens aufgeschlagen waren, im Winter aber über die Ohren heruntergezogen werden konnten. An der Stirnpartie hatten diese Mützen ebenso wie an den Seitenflächen dreieckige Pelzflecke. Diese Mütze nannte man »Lappenmütze«. Ich weiß nicht, woher dieser Name stammt; vielleicht gaben die Ohrenklappen diese Bezeichnung, vielleicht aber hat auch die Ähnlichkeit mit der Kopfbedeckung der Lappländer diesen Namen gezeitigt. Unter dieser Mütze trug jeder Jude, welchen Standes oder Berufes er auch sein mochte, ein Sammetkäppchen, das eigentlich niemals vom Haupte verschwand, galt es doch fast als ein schweres Vergehen, b'kalaus rosch, mit entblößtem Haupte umherzugehen. Natürlich wurde dieses Käppchen vom Kopfe auch nicht entfernt, wenn man bei Nachbarn zu Gaste war.
Sommer und Winter trugen die Wohlhabenden eine Zobelmütze, die »Streimel« hieß. Sie war hoch, lief spitz aus und war eine, wenn nicht immer mit Zobel, so doch mit teuren Pelzstreifen besetzte Sammetmütze. Unter diesen Mützen lugten die Pejes hervor, breite Haarsträhnen, die sich fast bis unters Kinn hinschlängelten. Als besonders schön galten gekräuselte Pejes und es war ein edler Ehrgeiz, nicht nur der glücklichen Besitzer von lockigem Haar, sondern auch der Straffhaarigen, lieblich geringelte Pejes zu besitzen. Die Pejes waren direkt ein Requisit des denkenden Menschen. Eine ernsthafte Diskussion war gar nicht möglich, ohne daß die Männer mit dem Zeigefinger die Pejes drehten. Und nun gar beim Lernen des Talmuds war dieses Spiel eine fast automatische Beschäftigung. Man zog die besten Gedanken gewissermaßen aus den Pejes. Und ich habe so manches Mal die Empfindung gehabt, als habe das Talmudstudieren seine Intensität, seine logische Schärfe deswegen verloren, weil die Pejes dem grübelnden Forscher nicht mehr zur – Hand sind.
Es gab Leute, die mit besonderem Wohlgefallen sich möglichst lange, bis auf die Schultern reichende Pejes wachsen ließen. In unserer Stadt gab es einen großen Gelehrten, einen Iluj, der den ganzen Tag die T'fillim schel rosch trug, freilich bedeckt von den darüber gestrichenen langen Pejes. So ähnlich trägt auch Reb Jankew Meyer aus Minsk die Pejes über den T'fillim schel rosch, dieser fromme Mann, der fast wie ein Heiliger verehrt wird und dessen Gespräche nie enden, ohne daß er mahne: »Kinder, gibt Geld far orme Leut«.
Der lange Rock aus Seide, der Gürtel, die Pelzmütze und die berühmten Pejes mußten nun entfernt werden. Schwer fanden die Männer sich in ihr Schicksal. Sie hätten es vielleicht leichter getragen, wenn man ihnen wenigstens die Schläfenlocken gelassen hätte. Sie erst gaben den Juden – in der damaligen Auffassung – die Gottähnlichkeit. Nun war das Zelem elohim dem jüdischen Volk genommen.
An die Stelle der alten Tracht trat nun eine modische. Die Männer mußten einen schwarzen Rock tragen, der aber nur bis zu den Knien reichen durfte. An die Stelle der kurzen Kniehosen traten lange Beinkleider, die bis über die Stiefel fielen. Im Sommer mußten die Männer einen Hut tragen, im Winter eine Mütze. Sie war aus schwarzem Tuche plump gefertigt und hatte vorne einen Schirm. Man nannte sie Kartus. Die strengen Befehle der russischen Regierung galten freilich nur den Straßenkleidern. Bis ins Haus drang das Kleider-Reglement nicht. Und man wird ohne weiteres begreifen, daß sich es sehr, sehr viele Juden nicht nehmen ließen, daheim die Kleidung zu tragen, die ihnen allein gefiel – die alte Tracht. Auch wenn es dunkel war, sah man oft Juden umherlaufen wie einst.
Dagegen wurden, scheints, von den russischen Behörden keine Einwendungen erhoben. Bei der elenden Beleuchtung, die in jenen Zeiten die relativ kleinen Städtchen abends und nachts hatten, konnte ja die Tracht ohnehin nicht auffallen. Daß Ausnahmen von den allgemeinen Bestimmungen möglich waren, kann bei der damaligen Verwaltungstechnik durchaus nicht Wunder nehmen; konnte man sich doch durch eine bestimmte Abgabe für die Dauer von zwei Jahren die Beibehaltung der alten Tracht erkaufen!
Ebenso tiefgreifende Änderungen wie die Tracht der Männer erfuhr die Kleidung der Frauen. Und man kann wohl behaupten, ohne daß man dem Vorwurfe eines Lobredners der alten Zeit zu verfallen braucht, daß der Tausch nicht gerade ein günstiger war. Die Tracht der jüdischen Frauen in litauisch Rußland wies bis dahin bis in viele Einzelheiten hinein orientalischen Charakter auf. Sie war bunt und bei den Reichen sehr kostbar, es wurden recht große Summen auf kostbare Stoffe und künstlerisches Geschmeide verwandt. Das sehr lange Hemd war hoch geschlossen und aus feinstem Linnen gefertigt. Unterröcke und Beinkleider waren selbst den Frauen der vornehmsten Familien unbekannt. Die langen Strümpfe der heutigen Mode waren damals nicht üblich. Sie reichten nur bis zum Knie herauf. Ihre Farbe war immer weiß und bei den Damen der reicheren Familien waren durchbrochene Strümpfe beliebt. – Gummiband war damals noch garnicht im Gebrauch. Und so hielt man denn die Strümpfe durch breite Atlasbänder, die sich oft an mit Kreuzstichen bestickten Strumpfbändern befanden. Auch gestrickte und gehäkelte Strumpfbänder wurden vorn mit solchen Schleifen geschlossen. Mechanische Verschlüsse aus bronziertem Blech oder anderm Metall stellte die damals noch kaum entwickelte Eisenkurzwarenindustrie den Damen nicht zur Verfügung. – Die Schuhe hatten eine große Ähnlichkeit mit Sandalen. Sie waren sehr niedrig und hatten keine Absätze. Am Fuß wurden sie durch schmale, schwarze Bändchen festgehalten, die kreuzweis verschlungen, oft bis zu den Waden hinaufgeführt wurden. Diese Schuhe waren aus schwarzem Wollstoff oder Saffianleder gefertigt und wurden zu allen Jahreszeiten getragen. Von hohen Stiefelchen und Galoschen hatte damals niemand eine Ahnung. So sehr auch bis in alle Einzelheiten die Fußbekleidung der alten Zeit verschieden war von den Formen, die man in den nächsten achtzig Jahren im Gebrauch sah, so hatten sie doch eine prinzipielle Übereinstimmung. Die weibliche Natur konnte sich auch damals nicht verleugnen und, dem Charakter jener Tracht entsprechend, die mit ihrem Goldschmuck die Eitelkeit besonders betonte, wählte man die Sandalen sehr klein und sehr eng und manche Frauen hatten einen etwas trippelnden Gang.
Über dem Hemd trugen die Frauen ein Mieder aus Seide. Rosa und rot waren hierfür als Farben besonders beliebt. Vorne war das Mieder zum Schließen. Durch große silberne Ösen wurde ein breites, seidenes Band geführt mit Hilfe einer oft bis 8 cm langen silbernen Nadel, in die das Band endigte.
Die Obertaille war sehr kurz. An ihrem unteren Rande waren drei Rollen angenäht, die aus Watte bestanden, welche mit steifem Kattun überzogen war. Auf diesen Rollen ruhte der Rock. Ruhte ist eigentlich falsch gesagt: er war vielmehr von einer bösartigen Unruhe und hatte die natürliche Tendenz, von diesen Rollen herabzugleiten. Und so wie bei der heutigen Mode die Frauen vielfach gezwungen sind, an ihren Blusen herumzunesteln, so mühten sich die damaligen Jüdinnen ab, den Rock auf die Rollen zu ziehen. Und es war nichts seltenes, daß die Geplagten sich bei dem ununterbrochenen Zurechtschieben des Rockes die Finger wund rieben. Die Ärmel waren sehr eng und so lang, daß sie oft bis an die Finger reichten. Die ganze Obertaille war ringsum mit Pelzwerk eingefaßt und es war natürlich, daß mit diesem Pelzwerk ein besonderer Luxus getrieben wurde. Vornehme Frauen wählten immer Zobel. Die Halspartie war abgeschlossen durch einen Stehkragen, der auch im Sommer niemals fehlen durfte.
Diese Obertaille hatte ungefähr die Form der heutigen Figaro- oder Bolero-Jäckchen. Sie war vorn offen, so daß das Mieder so weit zu sehen war, als es nicht von dem Brusttuch verdeckt war. Als Stoff für diese Obertaille diente das Karpo-Voluska (Karpfenschuppen). Dieser Name war durchaus zutreffend. Es waren silberne, mattvergoldete Schüppchen so dicht nebeneinander befestigt, daß das Wollgewebe fast garnicht mehr zu sehen war. Heut sieht man derartige Stoffe eigentlich nur noch an Maskenkostümen.
Auf das Brusttuch wurde ganz besondere Sorgfalt verwandt. Man wählte dazu silber- und goldgestickte Stoffe, die eine echt orientalische Zeichnung hatten. Halbmonde waren eigentlich am beliebtesten.
Die obere Partie war mit weißen Spitzen bedeckt, die aus Frankreich bezogen wurden. Diese Blonden waren meist aus Flock- und Cordon-Seide und wiesen außerordentlich künstlerische Muster auf.
Einen ganz besonderen Schnitt hatte der Rock. Er war außerordentlich eng, kaum einen Schritt weit und natürlich immer fußfrei. Am meisten bevorzugt für diesen Rock wurde der Atlas. In Zwischenräumen von etwa zwei Querfingern zogen sich Längsstreifen den Rock herab aus feinsten, golddurchwirkten Stoffen. Ich entsinne mich noch ganz genau des Kleides meiner Mutter. Da waren die Muster dieser Borte übereinandergereihte Ellipsen, die ein feines Blättchen einschlossen. Nur die vorderen Teile des Rockes waren nicht mit diesen kostbaren Goldborten versehen, soweit sie von der Schürze überdeckt waren. Die Schürze war ein unbedingtes Erfordernis für ein vollständiges Kostüm. Sie wurde auch auf der Straße und selbstverständlich bei allen Festlichkeiten getragen. Sie war lang und reichte bis zum Saum des Rockes. Die wohlhabenden Frauen verwandten bunten Seidenstoff oder einen weißen, kostbaren Battist, der mit Samtblumen und künstlerisch feinen Mustern und Goldfäden bestickt war. (Die Ärmeren begnügten sich mit Wollstoffen oder farbigen Kattunen.) Den Stoff des Rockes mit seiner Abwechslung zwischen bestickten Längsstreifen und Atlasstreifen nannte man ganz allgemein in Littauen »Güldengestick«.
Über diesem Anzug wurde eine Art Mantel getragen, die Katinka. Die Ärmel dieses Kleidungsstückes hatten eine weite Glockenform. Sie waren oben bauschig und unten schmal. Diese Katinka war sehr lang und hatte vorn ganz glatte Breiten. Der Rücken war in der Taille anschließend. Als Stoff wurde meistens Atlas verwandt, und da es sich bei der Katinka meist um ein Kleidungsstück für die kältere Jahreszeit handelte, war sie wattiert und mit Wollstoff gefüttert. Reichere Damen ließen sie mit Atlas füttern. Und ich entsinne mich noch, daß meine Mutter, die besonderen Wert auf sorgsame Kleidung legte, eine mit blauem Atlas gefütterte Katinka trug.
Dieser Mantel wurde aber nur selten wie ein Überzieher getragen. Wahrscheinlich, weil er den besonders kostbaren Anzug verdeckte und nicht zur Geltung brachte. So war es üblich, den Mantel einfach über die Schultern zu werfen, so daß die Ärmel auf dem Rücken herunterhingen. Manche Frauen, besonders die Gabbetes, diese Helferinnen der Armen, pflegten nur einen Ärmel überzuziehen, den andern aber über die Schulter fallen zu lassen. Wir würden das heute als recht leger und einer vornehmen Dame unwürdig bezeichnen. Damals galt es aber als standesgemäß. So ändern sich eben die Zeiten und so wandelt sich der Geschmack.
Weitaus die größte Aufmerksamkeit verwandten Reiche und Arme auf den Kopfputz. Bei den Reichen stellte er sogar eines der wesentlichsten Vermögensstücke dar. Dieser Kopfputz bestand aus einer schwarzen Sammetbinde, die dem Kokoschnik der Russinnen sehr ähnlich sah. Der Rand war in grotesken Formen ausgezackt und mit großen Perlen und Brillantsteinen reich besetzt. Dieser Kopfputz wurde oberhalb der Stirn getragen. Den Hinterkopf bedeckte eine glatt anliegende Haube, die man Kopke hieß. In der Mitte dieser Kopke war eine Schleife aus Tüllband und Blumen befestigt. Über den Nacken zog sich von einem Ohre bis zum andern eine Spitzenkrause, an der in der Nähe der Augen, an den Schläfen kleine Brillantohrringe angebracht waren. Natürlich fehlten auch Ohrringe nicht, und es war bei den vornehmen Frauen üblich, sehr große Brillanten in den Ohren zu tragen. Die hübschen Frauen sahen außerordentlich vorteilhaft in diesem Schmuck aus, aber man muß auch gestehen, daß die – sagen wir: weniger hübschen durch den Kopfputz recht schmuck erschienen. Diese kostbare Binde bildete einen Hauptbestandteil der Ausstattung einer Frau. Und man konnte niemals eine Frau ohne diesen Zierrat sehen.
Am Halse wurden Ketten aus großen Perlen getragen, die oft einen wundersamen, silbergrauen Schimmer hatten. Daß die Finger mit Brillantringen geziert waren, versteht sich nach alledem von selbst. Ja, man kann sagen, daß oft des Guten und Schönen beinah zu viel war: die Finger verschwanden ganz unter dem glitzernden, kunstvoll gearbeiteten Geschmeide.
Man wird sich vielleicht über dieses Prunken mit Edelsteinen, Perlen und kostbaren Metallen wundern und die jüdische Frau jener Zeit als geschmacklos eitel und unerträglich putzsüchtig bezeichnen. Gewiß, sie verstanden sich zu kleiden und zu schmücken. Aber die Überladenheit war gewissermaßen aus geschäftlichen Gründen geboten. Da die ungewisse Lage jener Zeit, dieses bohrende Gefühl der Unsicherheit und weiterhin die unsicheren Rechtsverhältnisse den Besitz von Immobilien fast ausschlossen, so wurde ein großer Teil des beweglichen Kapitals in leicht transportablen Wertstücken angelegt. Nach dem Reichtum an Schmuck, den die Frau trug, wurde die Kreditfähigkeit des Mannes eingeschätzt.
Festliche Gelegenheiten gaben den Anlaß, diesen ganzen Reichtum zu entfalten: Die hohen Feiertage und Hochzeiten. Am Lag b'omer, dem 33. Tage der S'fire-Zeit zwischen Pesach und Sch'wuaus, an dem die strenge Trauer der S'fire-Zeit unterbrochen werden konnte und an dem immer eine größere Anzahl sommerlicher Hochzeitsfeste begangen wurde, konnte man so recht die ganze Pracht bewundern. Und man kann vielleicht sagen, daß die Frauen den ganzen, leicht transportablen Reichtum des Hauses mit sich herumtrugen. Ich betone: die Frauen, denn bei den Männern war jeder Schmuck arg verpönt, war doch auch damals die Sitte im allgemeinen nicht in Übung, daß die Männer auch nur Trauringe trugen.
Der Kopfputz der jungen Frauen (»Schleier«) war natürlich ungleich bescheidener, aber auch recht bunt und fast abenteuerlich: Eine gelbe, grüne oder rote Haube aus Wollenstoff oder Kattun mit einem Tüll- oder Mousselin-Schleier bedeckt, der im Nacken zu einer Schleife gebunden war und dessen Enden lang herabhingen. Man nannte diese Enden Foches. Viele alte Frauen trugen große rote Wolltücher wie einen Turban um den Kopf gewunden. Dieses turbanartige Tuch hieß Knup.
Die Ohrenkrause fehlte am »Schleier« niemals. Gerade in der Mitte über der Stirn war mit Stecknadeln ein zu einer Spitze zusammengelegtes Seidenbändchen befestigt. Auf dem Scheitel waren Tüllspitzen in Form eines Körbchens festgesteckt, die man Koischel nannte. Auch bei den Armen fehlte weder ein haarfarbenes Band an der Stirngrenze, noch die beiden in der Nähe der Augen angebrachten Ringe.
Die Kopfbekleidung der Mädchen war nur unwesentlich von der Frauentracht verschieden, nur daß sich die Mädchen ihres schönen Haarschmuckes noch erfreuten. Auch sie trugen eine Art Binde aus schmalem, rotem Wollstoff mit einer Schleife aus dem gleichen Stoffe, den man Tezub nannte. Der Schnitt der Kleider und der Schürzen war ebenso wie bei den Frauen. Sie trugen auch die niedrigen Sandalen. Aber das Brustlätzchen und die Halsspitze, das sogenannte Kreindel schmückten sie nicht. Bei den reichen Mädchen war die Kopfbinde aus schwarzem Seidentüll, in den mit roter, blauer oder rosenfarbener Seide schöne Knospen eingestickt waren. In der Form unterschieden sich die Binden der Reichen und Armen nicht. Die einfachen nannte man »Greischel«, die Seidentüllbinden »Wilnaer Knipel«.