Kitabı oku: «Die ausgegrabene Demokratie», sayfa 3
AN DER KÖNIGSSTOA
Jenseits der Gleise, in der Adrianou-Straße, sieben Meter unter der Terrasse der Taverne Eridanos, liegt im Bahnschacht vergessen ein großer, länglicher Stein. Um ihn herum bilden Quadersteine ein rechteckiges Fundament – mit vier Säulensockeln in der Mitte, genau auf der Längsachse –, auf dem die Königsstoa errichtet war. Erbaut wurde sie, um jenem rätselhaften länglichen Stein einen Ort zu geben. Auf ihn wurde das Opferfleisch gelegt, an ihm legten aber auch die neun Archonten der Stadt ihren Amtseid ab, schworen die per Los bestimmten Würdenträger, ein Jahr lang die Ämter auszuüben, die noch aus der Zeit der alten Könige stammten. Es gab drei Hauptarchonten: den Archon eponymos, den Archon basileus und den Archon polemarchos. Die anderen sechs Archonten hießen Thesmotheten. Ein Sekretär komplettierte das Kollegium aus zehn gewählten Mitgliedern, die jeweils einen Stamm der Stadt repräsentierten.
Der Archon eponymos, der dem jeweiligen Jahr den Namen gab, ließ über einen Herold verlautbaren, dass kein Bürger sich auf Kosten eines anderen Bürgers bereichern dürfe, solange er das Amt innehabe. Die sechs Thesmotheten – Gerichtsherren, deren Aufgabe es war, Prozesse anzustrengen gegen korrupte Bürger und all diejenigen, die Gesetze zum Schaden des Gemeinwesens erließen – schworen einer nach dem anderen, ihr Amt redlich auszuüben, und verpflichteten sich, eine menschengroße Statue aus Gold zu errichten, sollten sie selbst Bestechungsgelder annehmen. Und als Letztes legte, ebenfalls an diesem Stein, der Archon basileus seinen Amtseid ab, die oberste Autorität in religiösen Angelegenheiten und allen Tötungsdelikten. Er war es auch, der seinen Sitz in der Königsstoa hatte.
Hier, in der Königsstoa, bewahrten die Athener die berühmten Gesetze Solons auf. Diese Gesetze, die der Kaufmann und Dichter verfasst hatte, um die Stadt zu befrieden, waren zunächst auf hölzernen Drehtafeln festgehalten und auf der Akropolis ausgestellt; später jedoch, in der goldenen Zeit der Demokratie, beschloss das Volk, sie hier auf der Agora in Steinstelen zu meißeln, damit jeder sie lesen konnte. Damit wollte man deutlich machen, dass diese Gesetze die Grundlage der Demokratie darstellten.
Eigentlich war es Drakon, nicht Solon, der die Gesetze Athens zum ersten Mal schriftlich festhielt; wenn auch »mit Blut, nicht mit Tinte geschrieben« – wie der Redner Demades später sagen würde21 –, war die Niederschrift eine mutige Tat, um der Vorherrschaft der Aristokratie über die Justiz ein Ende zu setzen, die auf einer tendenziösen Auslegung nicht schriftlich fixierten Gewohnheitsrechts basierte. Mit seinen Gesetzen – die zu Recht für ihre Härte getadelt wurden – gab Drakon den Athenern zum ersten Mal ein Instrument an die Hand, damit die Justiz eine objektive Gewalt sein konnte und nicht wie bisher ein Werkzeug der Mächtigen zur Ausübung von Willkür und Rache.
Solon schwang sich nicht zum Tyrannen auf und nutzte die geschriebenen Gesetze, allerdings so, dass er erneut zum Pionier wurde: Er sorgte dafür, dass sie nicht einfach mit Gewalt durchgesetzt, sondern aus Überzeugung eingehalten wurden. Daher nannten die Athener, die in den letzten Jahren des fünften Jahrhunderts vor Christus beschlossen, diese Gesetze hier, in der Königsstoa, festzuhalten, Drakon, Lykurg und die alten Gesetzgeber aus anderen Regionen Thesmotheten, »Stifter von Normen«, also Gesetzen, die durch ein Orakel oder von einem Rat der Götter diktiert worden waren; Solon hingegen behielten sie im Gedächtnis als Nomotheten, als einen »Verfasser von Normen« (νόμοι), also von Gesetzen, die das Volk überzeugt hatten und in die es sich fügte wie in eine »gute Ordnung«, eine Eunomia.
Solon schaffte Drakons eiserne Bestimmungen ab – mit Ausnahme derer zu Mord – und führte stattdessen Gesetze ein, die dazu dienen sollten, Missbrauch bei Schulden, Erbschaften, Aussteuern, Beleidigungen und anderen Dingen des alltäglichen Lebens zu verhindern; daneben nahm Solon aber auch strukturelle Reformen vor, die das Machtgefüge tiefgreifend veränderten. Er brach das Machtmonopol der adligen Familien, unterteilte die Gesellschaft in vier Klassen22 auf der Basis ihre Einkünfte und nicht ihrer Herkunft, gab über die Volksversammlung und die Volksgerichte allen Bürgern Teilhabe an der Macht und übertrug ihnen entsprechend ihres Vermögens Rechte und Pflichten. Darüber hinaus schuf er einen Rat aus vierhundert gewählten Mitgliedern – je hundert pro Klasse – und begrenzte damit die ausufernde Macht des alten Areopags. Außerdem erließ er ein Gesetz, das jeden Bürger verpflichtete, bei allen das Volk betreffenden Entscheidungen Stellung zu beziehen, andernfalls verlor er seine Bürgerrechte. Und zu guter Letzt eröffnete er allen Bürgern die Möglichkeit, Teil eines Geschworenengerichts zu werden, und verankerte das universelle Recht, jegliche Ungerechtigkeit vor einem Geschworenengericht zur Anzeige bringen zu können, in der Überzeugung, dass man so der Unmoral am besten Einhalt gebot.
Mit dieser und anderen Reformen gab Solon Athen nicht nur geschriebene Gesetze; er gab der Stadt auch zum ersten Mal eine echte Verfassung. Für den Dichter waren es nicht die besten Gesetze schlechthin, sondern nur »die besten, die sie sich gefallen ließen«.23 Weil sich im Anschluss trotzdem immer wieder Athener persönlich an ihn wandten wie früher an den Tyrannen, damit er ihre Streitigkeiten beilegte, entschloss Solon sich zu einem radikalen Schritt: Er zog aus der Stadt fort und ließ die Bewohner mit den Gesetzen allein.
Hier, vor der Königsstoa, stand jahrhundertelang eine Bronzestatue Solons. Von ihr hat sich jegliche Spur verloren; sehr wohl aber fand man unter den Trümmern, nur wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem seine Gesetze zur Schau gestellt waren, einen verstümmelten Torso der Themis, der Göttin der Gerechtigkeit, der Tochter des Himmels und der Erde.
AN DER STOA DES ZEUS ELEUTHERIOS
Ein Schauder durchläuft jedes Mal die Erde, wenn ein Zug mit hohem Tempo über die antiken Quadersteine rattert. Hier liegt das Fundament dessen, was einmal die Stoa des Zeus Eleutherios war, ein Bau, der um einiges größer war als die Königsstoa (wobei sein linker Flügel heute durch die Bahnlinie abgetrennt ist). Errichtet wurde er zu Ehren des obersten Olympiers als »Garanten der Freiheit«.
Eine efeuumrankte Pappel wirft ihren Schatten auf die Stelle, an der einst die Statue des Gottes stand. Als die Athener nach dem Sieg über die Perser bei Plataiai diesen Kult einführten, wählten sie als seine Stätte keinen Tempel, sondern lieber einen offenen Raum, nämlich diese Stelle der Agora. Später erbauten sie dort eine Galerie, in der sie auf Gemälden nicht nur die zwölf Götter, sondern auch Theseus, die Demokratie und das Volk darstellten. Es ist dieser nördliche Flügel – in dem Euphranor Theseus als Symbol für politische Gleichheit malte und die Demokratie, wie sie dem Volk die Hand reicht –, der unter den Zuggleisen begraben wurde. Heute bilden nur noch zwei Schäfte einer dorischen Säule einen Anhaltspunkt, um sich die Kolonnade vorzustellen, der Boden hingegen ist ein Teppich aus trockenen, von den Aleppokiefern abgefallenen Nadeln. Kaum zu glauben, dass einst Sokrates hierherkam, um sich mit seinen Schülern zu unterhalten, und Diogenes, um sich irgendwo in eine Ecke zu legen und in seinen Umhang gehüllt zu schlafen …
Diese elegante Stoa zu Ehren von Zeus dem Befreier diente auch zum Andenken derer, die im Kampf für die Freiheit Athens umgekommen waren: wie der junge Leokritos, der auf dem Musenhügel im Kampf gegen die Mazedonier gefallen war; oder der junge Kydias, dessen Schild an der Mauer hängt, darauf in Bronze gestochen die Inschrift: »Dem Zeus geweiht vermisse ich dich, des Kydias Schild, hier die strahlende Jugend des glänzenden Helden, der damals die Linke erstmals in die Armbeuge steckte, als der verderbende Ares gegen den Galater kämpfte.«24
Doch darüber hinaus war die Stoa des Zeus Eleutherios auch der Sitz jenes besonderen Organs, mit dem die Stadt – mit Klugheit, nicht mit Waffengewalt – die Freiheit gegen Korruption und Tyrannei zu verteidigen versuchte. Hier walteten die sechs Thesmotheten ihres Amtes, deren Aufgabe es nicht nur war, all diejenigen, die per Los oder Wahl für ein Amt bestimmt worden waren, einer Prüfung zu unterziehen, sondern auch das Verfahren zur Absetzung derjenigen einzuleiten, deren Verbannung von der Macht die Volksversammlung für klug erachtete, gleichgültig, ob es sich dabei um einen einfachen Beamten, den Förderer eines Gesetzes zum eigenen Vorteil oder einen in vielen Schlachten bewährten General handelte.
BEI DEN SCHUTZGÖTTINNEN DER IONIER
Geht man ein Stück weiter, stößt man, kurz vor dem Weg, der hinauf zum Theseion, dem Hephaistostempel, führt, auf Steine, die ihr Geheimnis nur zum Teil enthüllt haben. Oben auf dem Hang zum Beispiel ragen vier schiefe, zerbrochene Quader aus dem Boden wie die Stufen einer Treppe. Vermutlich gehörten sie zu einem Gelände, das Synhedrion genannt wurde. Genutzt wurde es für kleinere Versammlungen und weniger bedeutende Prozesse, als die Agora noch nicht der später so belebte Platz war. Gegenüber dieser Tribüne sind zwei Omphaloi zu sehen, wahrscheinlich Bestandteile der Apollonkulte, die in der Nähe abgehalten wurden, an der Stoa des Zeus, wo heute zwischen Ruinen wilder Lorbeer wächst.
Bis vor kurzem dachten manche Archäologen, dass diese Ruinen – das Fundament eines säulenbewehrten Gebäudes mit zwei kleineren Anbauten seitlich – die Überreste jener berühmten Königsstoa seien. Spätere Funde legen eine andere Deutung nahe – womöglich auch diese nur vorübergehend –, nämlich dass sie zum Tempel des Apollon Patroos und dem kleinen Heiligtum des Zeus Phratrios und der Athena Phratria gehörten, in ihrer Funktion als Schutzgottheiten der alten ionischen Geschlechter. Die schlanke Statue des Apollon kitharoidos, die Euphranor für diesen Tempel schuf, wurde eines Tages – ohne Kopf und ohne Arme – in einem Säulengang entdeckt, den man zwanzig Meter weiter südlich ausgegraben hatte, dort, wo auch die Omphaloi gefunden worden waren. Ebenfalls entdeckt wurde am anderen Ende der Agora, bei der Stoa des Attalos, ein Quaderstein mit der Inschrift: VON ZEUS PHRATIOS UND ATHENA PHRATRIA, der heute wieder hier liegt, an der Schwelle jenes Tempels zu ihren Ehren.
Phratrios und Patroos: so hießen die olympischen Götter, wenn ihre Rolle als Beschützer der Phratrien betont werden sollte, jener jahrhundertealten Bruderschaften, die aus untereinander verwandten Familienclans bestanden. Unter diesem Beinamen wurde Apollon in besagtem Tempel als Stammvater der Ionier verehrt, denn wie es hieß, hatte er dort oben, in einer der Höhlen des heiligen Felsens, Ion gezeugt, den Stammvater der Athener. Daher feierte die Stadt nach dem Äquinoktium im Herbst, im Monat Pyanopsion, die fröhlichen Tage der Apaturia: das panhellenische Fest des Ioniertums. Die Feier wurde damit eröffnet, dass alle Phratrien ein abendliches Festmahl der Verbrüderung abhielten; am nächsten Tag brachte man den Schutzgottheiten in den Tempeln ein Opfer; und am dritten Tag wurden dem Clan alle Kinder vorgestellt, die im Laufe des Jahres geboren worden waren, und neue Mitglieder zugelassen, wenn die Phratrie sich darauf einigte, mit ihnen das Opferfleisch zu teilen.
Gegen diese Phratrien und andere althergebrachte Clanstrukturen richteten sich im Sommer des Jahres 508 vor Christus die mutige Sozialreform von Kleisthenes, den viele für den wahren Vater der Demokratie halten. Phratrien und Clans waren durch und durch klassengebundene Strukturen, über die der Blutadel traditionell seine Macht ausübte und sicherte. Schon Solon hatte gegen diese Strukturen angekämpft, indem er das politische Leben um vier Klassen herum organisierte, die sich eben nicht auf Abstammung gründeten; indem er allerdings Besitz zum Kriterium dafür erhob, wie groß die Teilhabe war, blieb Macht weiterhin sehr stark an Abstammung geknüpft und damit an Klasseninteressen. Kleisthenes hingegen begriff, obwohl er selbst dem Adelsgeschlecht der Alkmaioniden entstammte, dass er auf Solons Weg zu wahrer politischer Gleichheit nur dann vorankäme, wenn er endgültig die Vorherrschaft des Blutes brach.
Als das Volk Kleisthenes das Vertrauen schenkte, nahm dieser eine tiefgreifende Strukturreform in Angriff, deren Grundidee darin bestand, in allen Institutionen die gesellschaftlichen Schichten möglichst gut zu durchmischen, damit nicht mehr nur Gruppeninteressen vertreten wurden, sondern das Gemeinwohl im Vordergrund stand. Seine Strategie war ein Geniestreich. Er nahm die einhundertneununddreißig Demos, in die die Region Attika aufgeteilt war, und teilte sie neu auf in dreißig Gruppen, sogenannte Trittyen, nach rein geographischen Kriterien: zehn Stadt-Trittyen, zehn Binnenland-Trittyen und zehn Küsten-Trittyen. Dann ließ er per Los in jeder Region eine Trittye bestimmen und formte daraus zehn neue Phylen (Stämme), damit sich eine möglichst ausgewogene Mischung aus unterschiedlicher geographischer Herkunft, unterschiedlichem Familiengeschlecht, unterschiedlichen Vermögensverhältnissen und unterschiedlichen Interessen ergab. Um Diskriminierung aufgrund von Abstammung zu verhindern, sollte jeder nur noch seinen Eigennamen, den seines Vaters und den seiner Trittye tragen: Inachos, Sohn des Satyros, Heracleota. Apollonides, Sohn des Menodoros, Deradiota …
Diese zehn neuen Phylen (Stämme) ersetzten die vier althergebrachten, die sich von den von Ion gezeugten Söhnen herleiteten: Geleon, Aegikoreus, Argades und Hoples. Des Weiteren ersetzten sie die vier von Solon eingeführten timokratischen Klassen: Vermögende, Reiter, Bauern und Pächter. Diese neuen Einheiten bildeten auch die Grundlage für die Wahl der Archonten, Prytanen, Mitglieder des Rats, Mitglieder der Volksgerichte, der öffentlichen Schatzmeister und Beamten jeglicher Art. Sogar die Organisatoren der Panathenäen, die Musiker und die Tänzer, die an den verschiedenen Spielen teilnahmen, sollten über das System der neuen Phylen ausgewählt werden.
Kleisthenes respektierte die heilige Funktion der Phratrien, aber er schuf mit seiner Reform eine neue Gesellschaft, die zu der Hoffnung Anlass gab, dass sich so etwas wie politische Gleichheit tatsächlich verwirklichen ließ. Seine Reform war ein Triumph der Gleichheit über die Identität, der Gleichheit der Rechte und Pflichten über die Identität von Blut und Stamm. Identität war etwas, das vererbt wurde, also willkürlich war, festgelegt und häufig ausgrenzend; Gleichheit hingegen war etwas, das erkämpft werden musste, und daher die einzig mögliche Grundlage für die Idee der Staatsbürgerschaft.
VOR DEM DENKMAL DER EPONYMEN HEROEN
Einige Meter südlich des Apollontempels befindet sich eine Reihe von Kalksteinen, in die einmal die Pfeiler einer Einfriedung eingelassen waren. Heute steht davon nur noch ein kleiner Abschnitt, doch einst umsäumte sie das Denkmal der Eponymen Heroen, errichtet zu Ehren jenes Gleichheitsgedankens der Demokratie. Die Reste, die noch zu sehen sind, stammen nicht aus der fernen Zeit des Kleisthenes, sondern datieren zweihundert Jahre später. Damals standen hier zehn lebensgroße Bronzestatuen. Sie stellten die antiken Helden dar, die den zehn Stämmen Athens den Namen gaben. Sicherlich waren diese Helden schon zuvor mit einem Denkmal geehrt worden, vermutlich etwas weiter südlich, an der Grenze zur Agora.
Als Kleisthenes seine Reformen in Angriff nahm, ließ er zum Orakel von Delphi ein Verzeichnis schicken, in dem die Namen von hundert Helden früherer Zeiten eingetragen waren. Apollon selbst wählte über Pythia die zehn Helden aus, die den neuen Stämmen ihren Namen geben sollten: Hippothontis, Antiochis, Aiantis, Leontis, Erechtis, Aigeis, Oineis, Akamantis, Kekropis und Pandionis. Dort standen sie, auf diesen Steinplatten, die noch immer die Spuren ihrer Füße aufweisen. Zu beiden Seiten des länglichen Podiums, auf dem sie sich reihten, ragten auch die bronzenen Dreizacke zu Ehren des Orakels hervor. Und auf dem Podium, zu Füßen der Eponymen Heroen, war festgehalten, wie sehr die Stadt all jene schätzte, die ihr dienten und sie mit ihren Taten ehrten. An gleicher Stelle wurden die Bürger über öffentliche Angelegenheiten informiert, wurden Aufrufe für die Geschworenengerichte angekündigt und einmal im Jahr, auf Bronzetafeln, die Einberufungslisten der Epheben ausgehängt. Und am wichtigsten: Einige Tage vor jeder Volksversammlung wurden auf mit Kalk geweißelten Tafeln die Gesetzesvorhaben vorgestellt, damit jeder Bürger über sie nachdenken konnte, bevor er das Wort ergriff und seine Stimme abgab.
Dieser Komplex mit seinen Statuen und Inschriften ist das bestmögliche Denkmal, um das Andenken an Kleisthenes in Ehren zu halten, um seine Fortschritte hin zu echter politischer Gleichheit zu würdigen, in einer Gesellschaft, in der bis zu zwei Drittel der Bürger nur über dürftige Mittel und begrenzte Teilhabe am politischen Leben verfügten.
Wie aber konnte ein Einzelner eine Reform durchsetzen, die die obere Klasse ihrer Privilegien beraubte und an den Grundfesten der Gesellschaft rüttelte? Es waren stürmische Zeiten damals. Auf Solons Eunomia war die populistische Tyrannis des Peisistratos gefolgt, und auf diese die noch viel despotischere seiner Nachfolger. Im Sommer des Jahres 508 vor Christus, angesichts der Gefahr, dass der Archon Isagoras und seine Anhänger eine autoritäre Oligarchie errichten könnten, beschloss Kleisthenes, sich auf unbekanntes Terrain vorzuwagen: Er ergriff auf der Pnyx das Wort und schlug tiefgreifende, nie dagewesene Reformen vor, die die Macht in vollem Umfang auf die Gemeinschaft aller Vollbürger übertragen sollte. Isagoras’ Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Er schloss einen Pakt mit König Kleomenes von Sparta – dem er freundschaftlich verbunden war –, woraufhin dieser mit einem Teil seines Heeres in Athen einmarschierte und Isagoras an die Spitze einer oligarchischen Regierung setzte, deren dreihundert Ratsmitglieder ein offenes Ohr für die Interessen Spartas hatten. Kleisthenes flüchtete aus der Stadt, und siebenhundert Familien, die Isagoras auf eine schwarze Liste setzte, wurden in die Verbannung geschickt. Der Oligarch versuchte sofort, den von Solon geschaffenen Rat der Vierhundert aufzulösen. Glücklicherweise begriffen die meisten Athener, was auf dem Spiel stand, und hatten den Mut, sich dagegen zu erheben. Sie belagerten die Akropolis, wo sich Isagoras, seine Anhänger und die spartanischen Helfershelfer zwei Tage lang verschanzt hielten. Am dritten Tag wurde ein Waffenstillstand vereinbart, und Isagoras, die Spartaner und ihr König durften frei abziehen. Die Verbannten kehrten nach Hause zurück, und das Volk, das die Macht an sich gerissen hatte, ernannte Kleisthenes zu seinem Anführer und Beschützer.
Wieder einmal ist es das Papyrusblatt der Athenaion Politeia, das diese Geschehnisse vor dem Vergessen bewahrt hat. Der Begriff selbst hatte sich noch nicht gebildet, aber jene Volksversammlung auf der Pnyx, auf der Kleisthenes seine mutigen Vorschläge zur Isonomia vortrug, der politischen Gleichstellung aller Vollbürger, war die Geburtsstunde der Demokratie.
AN DEN ÜBERRESTEN DES »BOULEUTERION« UND DES »METROON«
Kleisthenes schuf einen neuen Rat der Fünfhundert, der sich aus je fünfzig per Los bestimmten Mitgliedern jedes Stammes zusammensetzte. Er sollte als Verwaltungs- und Exekutivorgan einer gestärkten Volksversammlung agieren. Für diesen Rat der Fünfhundert wurde eigens ein Gebäude errichtet, hier am Fuß des Hügels, wo sich zuvor unter freiem Himmel oder einem wesentlich bescheideneren Dach der alte, von Solon eingesetzte Rat der Vierhundert versammelt hatte, bestehend aus je hundert Männern der vier traditionellen Stämme.
Dieses neue Gebäude namens Bouleuterion war viereckig und siebzig mal siebzig Fuß groß. Drei seiner Seiten wiesen Ränge auf, die den fünfhundert Ratsmitgliedern Platz boten, die vierte Seite war ein offener Säulengang, sodass jeder Bürger den Verlauf der Sitzung beobachten konnte. Mit anderen Worten: Der Rat der Fünfhundert war ein ausführendes Organ der Volksversammlung und unterlag der permanenten Kontrolle durch die Bürgerschaft.
Knapp ein Jahrhundert später wurde gleich daneben ein neues Bouleuterion gebaut, das alte Auditorium wurde zum Generalarchiv der Stadt unter der feierlichen Aufsicht Rheas, der Mutter der olympischen Götter. Die Ruinen, die heute vor diesem grünen Vorhang aus Zypressen, Olivenbäumen und Feigenkakteen stehen, sind ein wirres Amalgam aus den Überresten dieser beiden Gebäude und dem zerfallenden Mauerwerk anderer Bauten, die später hinzukamen. Es ist kaum zu begreifen, dass der Sitz des ausführenden Organs der Demokratie heute dieses Bild des Zerfalls bietet und nur noch einige literarische Fragmente seine einstige Funktion beleuchten. Keine einzige Säule steht mehr, keine noch so bescheidene Tribüne, auch kein Fass, wie es Diogenes an diesem Hort der Rhea als Wohnstatt gedient hat. Nichts erinnert mehr an den Glanz der frisch aus der Werkstatt des Phidias kommenden chryselephantinischen Statue der Göttin, mit ihren treuen Löwen und ihrer mächtigen Zimbel, der Hüterin der Gesetze und des Willens der Polis. Nun, immerhin ist da noch der Name ihres Heiligtums, Metroon, »Heiligtum der Göttermutter«, denn damit werden in Griechenland nach wie vor Melderegister bezeichnet.
Der von Kleisthenes eingesetzte Rat der Fünfhundert beaufsichtigte die Ausführung der an spezifische Beamte übertragenen Aufgaben. Er kontrollierte zum Beispiel Versteigerungen und die Vergabe öffentlicher Bauaufträge, das Eintreiben privater Schulden, die Auszahlung von Pensionen an Behinderte, die Anfertigung von Trophäen für die Panathenäischen Spiele und den Zustand der Pferde, die von Privatleuten mit öffentlichen Geldern gefüttert wurden. Direkt verantwortlich war der Rat für den Unterhalt der Flotte und die Bewachung der öffentlichen Gebäude. Zu Beginn durfte der Rat auch Sanktionen, Gefängnisstrafen und sogar die Todesstrafe verhängen, doch diese Befugnisse wurden ihm per Abstimmung schon bald vom Volk entzogen, das umsichtig die Mängel der Reform beseitigte. So hatte der Rat der Fünfhundert keine gesetzgebende Funktion, sondern nur die Aufgabe, die Angelegenheiten vorzubereiten, die dann in der Volksversammlung debattiert wurden. Die wahren Gesetzgeber waren die Bürger selbst, und zwar auf persönliche, direkte Art und Weise. So unglaublich es uns heute erscheinen mag, jeder Bürger konnte damals ein Gesetz einbringen, also von sich aus eine Gesetzesinitiative starten und sie der Volksversammlung zur Abstimmung vorlegen. Allerdings trug dieses Gesetz dann auch den Namen seines Initiators, und mit dem Recht, es einzubringen, ging auch die Pflicht einher, die Verantwortung dafür zu übernehmen.
Jeden Sommer, wenn der Rat der Fünfhundert seine Amtsgeschäfte aufnahm, wurden auch die alten, von der Bürgerschaft beschlossenen Gesetze und Dekrete einer Prüfung unterzogen. Wer ein neues Gesetz einbringen wollte, richtete seinen Vorschlag an die Volksversammlung; wenn er wollte, dass ein altes Gesetz modifiziert oder abgeschafft werden sollte, musste er ausdrücklich die entsprechenden Punkte erörtern. Nachdem ein Vorschlag den auf der Pnyx versammelten Bürgern vorgelesen worden war, musste er am Sitz des Archon eponymos ausgehängt werden, damit jeder Bürger ihn sich noch einmal durchlesen und sich ein eigenes Urteil bilden konnte. Im Anschluss wurde er dem Rat der Fünfhundert vorgelegt, der ihn begutachtete, den Text in juristische Sprache übertrug und zur Abstimmung an die Volksversammlung zurückreichte, stets mit einer nicht bindenden Empfehlung, die endete mit den Worten: »Was immer das Volk entscheiden möge, wird gut sein.«25 Später (403 v. Chr.) wurde diesem Prozess ein weiterer Schritt hinzugefügt: Eine gut bestückte Kommission von Nomotheten – 501 oder 1001 –, ausgewählt aus den Bürgern, die den Geschworenengerichten angehörten, debattierte ausführlich über jeden Vorschlag, bevor er an den Rat weitergereicht und schließlich in der Volksversammlung offen diskutiert und per Handzeichen gutgeheißen oder abgelehnt wurde. Nur so konnte ein Gesetz wirksam, aber ebenso von jedem Bürger wieder in Frage gestellt werden, sollte es sich als ungerecht oder unpraktikabel erweisen.
Das individuelle Recht, ein Gesetz vorzuschlagen, ging einher mit der Verpflichtung, sich nicht von Partikularinteressen leiten zu lassen oder gegen das Gemeinwohl zu handeln. Um sich in dieser Hinsicht abzusichern und alle abzuschrecken, die solches im Schilde führen könnten, richtete die Stadt zwei kluge Rechtsmittel ein: den »Prozess gegen das Gesetz« und den »Prozess gegen das für die Gemeinschaft nicht förderliche Gesetz«.26 Ersteres befasste sich hauptsächlich mit den Formalien und dem Prozedere und sah Strafen vor, die von einer einfachen Geldbuße in weniger schwerwiegenden Fällen bis hin zum Entzug von politischen Rechten für Wiederholungstäter reichten. Das zweite Rechtsmittel, das nur auf Gesetze, nicht auf Dekrete angewandt wurde, konnte sogar die Todesstrafe nach sich ziehen für diejenigen, die ein Gesetzesvorhaben durchsetzen wollten, das gegen die Interessen der Gemeinschaft verstieß. Beide Prozesse, zu denen es äußerst selten kam, wurden vor einem großen Geschworenengericht verhandelt.
εδοξε τηι βουληι και τωι δημωι (édoxe tê boulê kái tô démō) (»So haben es der Rat und das Volk beschlossen.«). Dieser Satz, der auf vielen aus der Erde geborgenen Stelen überliefert ist, stand über allen Gesetzen und Dekreten, über die in den Zeiten der Athenischen Demokratie abgestimmt wurden. Im Vergleich zu dieser Erklärung ist die Formel »Senatus populusque romanus« geradezu eine hohle rhetorische Figur, ja eine gefährliche Illusion. Seit der griechischen Antike hatte kein Volk mehr wirklich eine direkte Teilhabe – und Urheberschaft – an der Verfassung, Genehmigung, Anwendung und Abschaffung der Gesetze, mit denen es regiert wurde.
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