Kitabı oku: «Mamas Alzheimer und wir», sayfa 2
Angst um mein Leben
Ich hatte nicht nur Angst um meine Mama, ich hatte auch Angst um mich. Was würde aus mir werden? Ich wollte gerne ein zweites Kind bekommen. Konnte ich das jetzt noch? Durfte ich es? War da genug Kraft für zwei Kinder ohne die Unterstützung einer Oma? Hatte ich genug Kraft für zwei Kinder und eine kranke Mutter? Ich hatte eine Stelle mit mehr Verantwortung übernommen, würde ich das in Zukunft weitermachen können, wenn meine Mama Pflege bräuchte? Hätte ich genug Kraft und Zeit, um weiter so ehrgeizig arbeiten zu können? Wie sollte ich alles schaffen? Ich, die ihre Arbeit als Journalistin so sehr mochte, dass sie kaum in Elternzeit gegangen war und nun den täglichen Spagat zwischen Beruf und Kind lebte.
Meine Eltern wohnten weit weg, aber wenn ich Hilfe brauchte, hatten sie mir oft ihre Unterstützung gegeben. Wenn die Kita geschlossen hatte und ich arbeiten musste, kamen sie schon mal, um auf meine Kleine aufzupassen. Noch wichtiger war für mich jedoch immer gewesen, dass ich meine Mama um Rat fragen konnte, wenn ich nicht weiterwusste. Ob das nun ein Rezept für die Kohlrouladen war oder mein Gejammer über fehlende Krippenplätze, ich konnte sie anrufen und sie war für mich da. Wie sollte das jetzt werden? Sie brauchte mich doch, jetzt, wo der Alzheimer in ihr Leben gekommen war. Durfte ich da überhaupt noch ein Kind bekommen? Konnte ich tatsächlich weiterarbeiten? Würde ich Karriere machen können? Wieder einmal lange und weit weg reisen? Wie konnte ich mein Leben leben und gleichzeitig eine pflegende Tochter sein? Ich hatte all diese Fragen im Kopf und sie machten mir Angst.
Die große Panik befiel uns alle in den ersten Wochen und Monaten nach der Diagnose. Kopfschütteln, Tränen, Verzagen? Mir half das Weinen. Und es tat gut, dass wir als Familie zusammenkamen. Mein Bruder war da mit seiner Frau, ich mit meiner Familie. Wir saßen alle im Wohnzimmer, in stiller Erwartung, ein bisschen wie Heiligabend bei der Bescherung, bloß dass wir dieses Geschenk wirklich gerne zurückgegeben hätten. Ich saß neben Mama und hielt ihre Hand. Papa sprach. Meine Tochter turnte auf dem Sofa herum. Ich weinte, Mama weinte, bis auf meine kleine Tochter hatten wir alle Tränen in den Augen. ‚Wie soll es nun weitergehen?‘, das war die Frage, die wir versuchen wollten zu beantworten. Wir waren immer noch geschockt von der Diagnose. Wir weinten zusammen, aber doch jeder für sich. Wir sprachen nicht über die Gefühle, die uns zu Tränen rührten, und nicht über die Hoffnungen und Erwartungen, die wir damit begruben. Papa hatte sich darauf gefreut, mit Mama zu reisen, wenn sie in ein paar Jahren in den Vorruhestand gegangen wäre. Vielleicht hätten sie sein Traumland Island besucht, möglicherweise sogar wieder eine Lapplandwanderung gemacht und ganz bestimmt hätten sie Zeit in ihrem Lieblingsurlaubsland Schweden verbracht. Ich wünschte mir Unterstützung für meinen Alltag als berufstätige Mutter, mein Bruder wünschte sich eine eigene Familie. Und nun das: Alzheimer. Wir ließen unseren Gefühlen nicht so viel Raum, schließlich waren wir zusammengekommen, um meine Eltern zu unterstützen und mit ihnen über eine Lösung nachzudenken. ‚Wie soll es weitergehen?‘, diese Frage wollten wir beantworten. Aber wie will man Antworten auf eine Frage finden, wenn man keinen blassen Schimmer davon hat, wie genau die Umstände und Bedingungen sein werden? Was würde die Alzheimerkrankheit für Mama bringen? Die Zukunft war etwas, das hinter einem grauen Schleier lag.
In meinem Kopf tanzten die Gedanken Pogo. Soll ich zu meinen Eltern ziehen? Eine erfahrene Kollegin, deren Ratschläge ich sehr schätze, hatte gesagt: „Du darfst auf keinen Fall deinen Job aufgeben.“ Dieser Satz hämmerte in meinem Kopf. Ich hatte nicht ernsthaft daran gedacht, meinen Beruf aufzugeben. Ich lebte und liebte meinen Job als Journalistin: interessante Menschen treffen, Interviews führen und schreiben. Ich hatte immer selbstständig sein wollen. Ich wollte das nicht aufgeben. In meinem Kopf war aber auch der Wunsch und ein wenig die Verpflichtung: ‚Ich kann Mama nicht im Stich lassen, ich bin doch ihre Tochter.‘ Das Gedankenkarussell drehte sich in einem fort: Was ist mit meiner Arbeit? Was mit meiner Tochter? Was mit dem Leben, das ich mir in München eingerichtet habe? Ich kann doch nicht so einfach umziehen – und meiner eigenen kleinen Familie diese Entscheidung aufdrücken. Oder konnte ich doch? War es nicht sogar meine Pflicht als Kind?
Wir waren innerlich alle voller Panik und Sorge – und doch versuchten wir, einen Plan für das Ungewisse zu machen. Ich konnte mir nicht vorstellen, mein Leben aufzugeben. Und meine Eltern sagten klar, dass sie das auch nicht wollten. Aber ich wollte doch auch für sie da sein und ihnen zeigen, dass ich mich kümmern möchte und sie nicht alleinlasse. Aber mit der Distanz, die zwischen uns liegt, ist das natürlich nicht so einfach. Wir sprachen sehr vage über mögliche Lösungen. Sollten sie zu mir und meiner Familie ziehen? Oder zu meinem Bruder und seiner Frau? Keiner von uns hatte eine Wohnung oder ein Haus, in dem genug Platz gewesen wäre. Könnten sie weiter zu Hause bleiben, irgendwann mit entsprechender Unterstützung? Über einen möglichen Umzug in ein Pflegeheim sprachen wir nicht. Ich traute mich nicht einmal, das auszusprechen, und versuchte, diesen Gedanken zu ignorieren. Ich hatte kein schönes Bild von einem Pflegeheim im Kopf – und das, obwohl ich doch keine Erfahrung damit hatte. Wenn ich an ein Heim dachte, sah ich meine Mama vor mir, die alleine, hilflos und verwirrt im Gang eines Pflegeheimes umherirrte. Wir sprachen nicht über alternative Wohnformen wie ein Betreutes Wohnen oder Senioren-WGs, diese Möglichkeiten kannten wir damals noch nicht. Meine Mama war doch noch so jung. 55 Jahre alt – es wirkte absurd, dass wir über Altenheime entscheiden sollten. „Wir helfen euch“, versprachen mein Bruder und ich.
Papa wollte das Haus verkaufen, dann irgendwo in meine Nähe ziehen. Das hatten wir uns überlegt und es schien für alle eine Möglichkeit. Konkreter wurde dieser vage Plan nie, bis heute nicht. Vielleicht war das auch gar nicht wichtig in der Situation damals. Wichtig war, dass wir uns versichert hatten, dass wir eine Familie sind und uns unterstützen. Ja, die Diagnose Alzheimer war schrecklich. Aber: Mama war nicht allein und wir wollten sie unterstützen.
Angst um meine Tochter
Ich war in großer Panik – und versuchte sie doch von meiner Tochter fernzuhalten. Ich unterdrückte meine Tränen, wenn ich nachmittags mit ihr Duplo spielte oder wir auf dem Spielplatz waren. Meine Tochter war noch nicht ganz drei Jahre alt und hatte klare, kindliche Bedürfnisse. Sie wollte ihren kleinen Duplozug aufbauen, wollte hohe Türme mit den Bausteinen stecken und auf dem Spielplatz klettern. Sie brauchte Essen, ich kaufte ein und kochte und machte all das, was man für kleine Kinder macht. Diese Routine sorgte dafür, dass mein Leben weiterlief, dass ich mich nicht ins Bett legte und weinte und mich aufgab, weil die Welt um mich herum plötzlich so schrecklich gemein wirkte. Abends, wenn sie schlief, schlich ich manchmal in ihr Zimmer und betrachtete ihr zartes Gesicht. Da war die Welt mit einem Mal friedlich und ich etwas versöhnt.
Wie kann man einer Dreijährigen Alzheimer erklären? Was weiß ein kleines Kind über das Gehirn und über Nervenzellen, die nicht mehr so arbeiten, wie sie arbeiten sollen? Nichts. Viel zu kompliziert wären diese Erklärungen. Sollte ich sagen: ‚Die Oma ist krank‘? Das wirkte irgendwie unglaubwürdig. Wie kann die Oma krank sein, wenn sie weder Husten noch Schnupfen hat und auch nicht mit Fieber im Bett liegt, sondern lächelnd in der Küche steht und kocht? Und so sprach ich die Diagnose nicht an. Ich sagte meiner Tochter damals nicht die klaren Worte: ‚Oma hat Alzheimer.‘ Ich dachte, es wäre besser so. ‚Was sollte es bringen, meiner Tochter von etwas zu erzählen, das sie nicht verstehen kann?‘, das fragte ich mich und entschied, dass sie überhaupt nichts davon hätte. Vielleicht wollte ich es aber einfach immer noch nicht wahrhaben. Ich hoffte auf ein kleines Wunder. In jedem Fall konnte ich es immer noch nicht verstehen. Ich verstand nicht, was Alzheimer ist und was die Erkrankung mit sich bringen würde.
Ich sprach mit meiner sensiblen Tochter auch nicht über meine Gedanken. Ich zeigte ihr meine Gefühle nicht. Wenn ich mit ihr zusammen war, habe ich mich sehr zurückgenommen. Ich wollte meiner Kleinen keine Angst machen. Ich wollte ihre Unbeschwertheit nicht trüben. Aber in Gedanken war ich oft weit weg. Ich hatte Angst um meine kranke Mama und reiste Hunderte Kilometer, um sie zum Arzt zu begleiten. Aber meinem Kind sagte ich wie nebenbei: „Ich gehe mit der Oma zum Arzt.“ Ich hatte Panik, dass meine Mama bald stirbt. Ich traute mich nicht, das meiner Tochter zu sagen. Was wusste mein Kind vom Sterben und dem Tod? Sie wusste ja nicht einmal, dass es ihn gab. Ich fühlte mich hilflos, ob und wie ich das Thema Alzheimer ansprechen sollte.
Ich dachte, es würde sich ergeben und meine Tochter hineinwachsen. Ich nahm mir vor, dass ich ihre Fragen beantworten würde, wenn sie älter wäre und es die Situation erfordere. Aber ich wollte sie nicht unnötig besorgen.
Aber jetzt hatte ich Angst. Angst, etwas falsch zu machen. Angst, meiner Tochter wehzutun. Angst, mit ihren Tränen nicht umgehen zu können. Ich wollte mein Kind beschützen. Ich wollte sie vor meiner Trauer beschützen, ich wollte nicht, dass sie weint und sich sorgt. Aber es wäre vielleicht hilfreich gewesen, ihr zu sagen: ‚Ich bin traurig, weil es der Oma nicht gut geht.‘ Oder: ‚Ich mache mir Sorgen um die Oma.‘ Heute weiß ich: Das Schlimme waren nicht meine traurigen und wütenden Emotionen, sondern dass ich sie nicht ausgesprochen habe. Meine Gefühle waren da, auch wenn ich sie nicht zeigte. Sie schwebten wie eine Wolke über mir und verdunkelten meine Stimmung. Aber Kinder haben feine Antennen, sie kennen ihre Eltern so gut, weil sie sie immerzu beobachten, und natürlich spüren sie ganz besonders, wenn da eine dunkle Wolke über einem schwebt, und es macht ihnen ein komisches Gefühl. Ich weiß nicht, ob meine Tochter sich Gedanken dazu gemacht hat, sie war sehr rücksichtsvoll. Aber vielleicht hätte es ihr geholfen, wenn ich gesagt hätte: ‚Ich bin gerade traurig, weil die Oma eine Krankheit hat. Das hat nichts mit dir zu tun.‘
In diesen ersten sorgenvollen Wochen nach der Diagnose hatte ich seit langer Zeit wieder das Gefühl, dass ich eine Tochter bin. Aber ich sah mich nicht mehr als die kleine, liebe Tochter, die bei ihrer Mama Hilfe sucht. Mit einem Mal war ich erwachsen geworden. Ich fühlte mich als Tochter, die auf einmal eine Verantwortung hatte – und doch überhaupt keinen Plan, was sie tun konnte und sollte. Ich wollte für meine Mama da sein, aber ich wusste nicht wie. In meinem Kopf wummerte es noch immer und ich fragte mich immerzu: ‚Warum meine Mama?‘ Ich hatte Angst, weil ich doch gar nicht wusste, wie es nun weitergehen sollte. Was würde der Alzheimer mit meiner Mama machen? Würde sie mich jetzt alleine lassen? Schrecklich und gemein kam mir die ganze Welt vor. Ich fühlte mich schrecklich einsam. Die Krankheit machte mir Angst und ich wählte die Strategie des Überspielens. Ich wollte so viel Alltag und Arbeit wie möglich, um mich abzulenken. Bald lächelte ich wieder nach außen hin, ich war die fröhliche, liebe Peggy, aber innerlich hatte sich ein grau-trüber Schleier über mein Herz gelegt.
Infoteil: Wie wird die Alzheimerdiagnose gestellt?
Ärzte bedienen sich verschiedener Methoden, um eine Demenz zu diagnostizieren. Es gibt mehr als 50 Formen der Demenz – die Alzheimerdemenz ist die häufigste. Die Symptome der einzelnen Demenzformen sind verschieden und lassen sich nicht immer klar trennen. Wenn Sie eine Demenz bei sich vermuten, sollten Sie sich zuerst an den Hausarzt oder einen Neurologen beziehungsweise mit Überweisung an eine Gedächtnisambulanz wenden. Für Angehörige ist die Deutsche Alzheimer Gesellschaft eine gute erste Anlaufstelle. Für die Therapie ist es wichtig, die genaue Form zu kennen. Diese Verfahren werden zur Diagnose der Alzheimerdemenz angewendet:
Anamnese: Das Arztgespräch ist ein erster wichtiger Teil der Diagnose. Der Arzt informiert sich umfassend und fragt etwa Ihre Vorgeschichte ab: Welche Beschwerden haben Sie? Wie lange bestehen diese schon? Haben sie sich verändert? Beeinträchtigen sie den Alltag? Finden Sie manchmal nicht die richtigen Worte? Wie gut können Sie sich räumlich orientieren? Leiden Sie an Stimmungsschwankungen? Haben Sie sich zurückgezogen aus Ihrem sozialen Umfeld? Wie fühlen Sie sich? Können Sie gut schlafen? Damit er sich ein umfassendes Bild machen kann, sollten Sie möglichst ausführlich berichten. Wenn Sie möchten, kann Sie auch ein Angehöriger begleiten. Der Arzt wird auch ihn befragen, um sich einen detaillierten Einblick zu verschaffen. Für die Diagnose einer Alzheimerdemenz müssen die Symptome mindestens sechs Monate bestehen. Immer wieder werden Patienten mit depressiven Verstimmungen für dement gehalten (Pseudodemenz). Mit entsprechenden Methoden können Ärzte jedoch eine Depression von einer Demenz unterscheiden.
Körperliche Untersuchung mit einer Blutuntersuchung: Zusätzlich zu einem Gespräch wird der Arzt Sie untersuchen. Auch eine Blut- und Urinuntersuchung muss stattfinden. Dadurch erhält er einen Überblick über den körperlichen Gesundheitszustand und kann andere Ursachen ausschließen. Möglich ist etwa ein Vitamin-B12-Mangel oder eine Schilddrüsenunterfunktion, die ebenfalls zu Gedächtnisproblemen und Vergesslichkeit führen können, aber anders als eine Demenz behandelbar sind. Bei Alzheimer sind die Blutwerte normal, bei einer unbehandelten Schilddrüsenunterfunktion sind die Schilddrüsenwerte TSH, T3 und T4 verändert.
Psychologische Tests: Anhand verschiedener Untersuchungen kann der Arzt die Gedächtnisleistung, das Urteilsvermögen, die Beeinträchtigung im Alltag, den Wortschatz, mögliche Verhaltensauffälligkeiten sowie den Schweregrad einer Demenz einschätzen. Die häufigsten Tests zur Einschätzung kognitiver Veränderungen im Frühstadium sind folgende Verfahren: Uhrentest, Mini-Mental-Status-Test, Demenzdetektionstest. Bei dem Uhrentest soll eine Uhr mit Ziffernblatt und Zeiger gezeichnet werden. Dieser Test zeigt visuell-räumliche Orientierungsprobleme auf. Der Mini-Mental-Status-Test (MMST) ist ein Fragebogentest mit Fragen zu den fünf Bereichen: Orientierung, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit und Rechenfähigkeit, Erinnerungsfähigkeit und Sprache. Es ist ein kurzer, einfacher Test, bei dem etwa gefragt wird: ‚Welchen Tag haben wir heute? Wo sind wir?‘ Der Demenzdetektionstest (DemTect) wird bei leichten kognitiven Einschränkungen gemacht. Er enthält fünf Fragen zur Beurteilung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses, der Konzentration, Wortflüssigkeit, kognitiven Flexibilität sowie der Sprache. Zum Beispiel müssen Sie sich zehn Wörter merken oder Zahlenfolgen wiedergeben. Mithilfe von ADL-Skalen (,Activities of Daily Living‘) wird die Alltagskompetenz im häuslichen Umfeld gemessen, dazu gehören einfache Tätigkeiten wie Essen, sich Waschen oder Anziehen, aber auch komplexere wie das Zubereiten von Mahlzeiten, das Führen einer Unterhaltung oder das Einnehmen von Medikamenten. Für diese Einschätzung wird in der Regel eine Bezugsperson gefragt. Dazu kommen zusätzliche, ausführlichere psychologische Tests, die eingesetzt werden, um eine unsichere Diagnose abzuklären. Die Tests werden regelmäßig wiederholt, um den Krankheitsverlauf sowie Behandlungserfolge zu beurteilen.
Bildgebende Verfahren wie Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) werden in der Regel zur Diagnose eingesetzt. Damit wird einerseits die Vermutung einer Demenz bestätigt und andererseits kann so die genaue Form der Demenz herausgefunden werden. Dazu werden Bilder des Gehirns gemacht. Ärzte wenden CT- oder MRT-Bilder auch an, um andere, teils behandelbare Ursachen zu erkennen, etwa einen Hirntumor. Typisch für die Alzheimerkrankheit ist, dass sich das Hirngewebe verändert. Nicht zur Routinediagnostik, aber ebenfalls angewendet werden Verfahren wie die Positronenemissionstomografie (PET). Sie spürt der Stoffwechselaktivität im Gehirn nach und kann typische Alzheimerablagerungen (sogenannte senile Plaques) zeigen.
Liquordiagnostik: Der Arzt entnimmt bei dieser Untersuchungsmethode Nervenwasser (Liquor) im Bereich der Lendenwirbelsäule. Zeigen sich die typischen Amyloid- und Tauproteine im Liquor, so bestätigt das mit sehr hoher Verlässlichkeit die Alzheimerdiagnose.
2 Wissen wollen, was kommt
„Liebe Mama, ich schicke dir ein paar Broschüren und Zeitschriftenartikel. Darin geht es auch um Menschen, die Alzheimer haben. Es gibt sogar Betroffene, die leben weiter alleine zu Hause. Da kommt dann vielleicht mal der Pflegedienst, aber sonst haben die nichts in ihrem Alltag geändert. Schau mal, denen geht es sogar ganz gut. In den Broschüren stehen viele praktische Tipps. Ich habe ein paar Ratgeber von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft bestellt, die lasse ich gleich zu euch schicken. Darin geht es um die Krankheit und die Medikamente, aber vor allem auch um den ganzen rechtlichen Kram mit Vorsorgen und Vollmachten.
Ich habe mir ein Buch von einem amerikanischen Professor gekauft, der an Alzheimer leidet. Das fand ich beeindruckend. Selbst erkrankt sein und noch Bücher schreiben! Meine Kollegin hat mir auch zwei Bücher von zwei Betroffenen gegeben. Ich bringe das alles mit, wenn ich das nächste Mal zu euch komme. Ich habe in den vergangenen Tagen viel über Alzheimer gelesen. Am liebsten würde ich morgens aufwachen und der schreckliche Spuk namens Alzheimer wäre vorbei. Aber was jammere ich … Habe ich überhaupt ein Recht dazu?
Am Anfang war ich geschockt, momentan fühle ich mich einfach nur überfordert. Ich finde es schade, dass ihr so weit weg seid. Ihr fehlt mir und vor allem würde ich euch gerne mehr helfen. Papa kämpft sich durch das ganze bürokratische Zeug und schimpft die ganze Zeit. Aber wenn ich ihm dann anbiete zu helfen und ihn bitte, mir die Unterlagen zu schicken, dann will er nicht. ‚Ich will dich nicht noch mehr belasten, als du es sowieso schon bist‘, hat er gesagt. Wie kann ich euch denn helfen? Ich habe mal durchgerechnet, wie viele Urlaubstage ich für dieses Jahr noch habe. Es sind 14. Die werde ich irgendwie um die Wochenenden legen und die Zeit dann bei euch verbringen. Ihr fehlt mir sehr, und ich würde mich gerne um all die Dinge, die erledigt werden müssen, kümmern.
Ich hätte so gerne einen Masterplan, aber wie soll ich den aufstellen? Wer hilft mir dabei? Zu realisieren, dass du Alzheimer hast, ist immer noch schrecklich. Und die Tipps und Ratschläge von anderen helfen mir auch nicht. ‚Ihr könnt doch noch so viel Zeit zusammen verbringen‘, hat mir jemand gesagt. Ganz ehrlich: Das zählt null! Ich weiß nicht, wie lange diese Zeit ist und ich kann sie nicht genießen, ich habe immer den Zerfall vor Augen. Dieser schleichende Verlust, diese Ungewissheit ist einfach fürchterlich.
Ich freue mich wahnsinnig, dass ihr nächste Woche bei mir seid. Bei mir und meiner kleinen Maus. Ich wünsche mir ein zweites Kind. Trotz all der Trauer wäre das doch ein Hoffnungsschimmer. Ich hoffe inständig, dass ein Baby auch gedeihen kann, wenn seine Mutter manchmal sehr, sehr traurig ist.“
Auf der Suche nach Informationen
Ich wollte gerne einen Plan haben. Ich wollte wissen, was da auf uns zukommen würde mit der Krankheit Alzheimer. Ich wollte wissen, was wir tun konnten. Also tat ich das, was ich als Journalistin am besten konnte: Ich recherchierte. Und ich recherchierte so gründlich wie nie zuvor. Ich suchte im Verlagsarchiv nach Artikeln über Alzheimer und Demenz und las, wie sich die verschiedenen Demenzformen unterscheiden. Ich bestellte Bücher und las bis in die Nacht hinein. Ich lernte, was die Unterschiede sind zu der normalen Vergesslichkeit, die im Alter bei fast jedem Menschen irgendwann auftritt. Dass sich Alzheimer nicht nur durch den Verlust der Erinnerungen und der Merkfähigkeit zeigt, sondern auch durch Probleme bei der Orientierung und Konzentration. Ich wollte all das wissen und saugte die Informationen auf wie ein Taschentuch, das man auf einen Wasserfleck legt. Ich hoffte, dieses Wissen würde mir einen Halt geben. Je mehr ich wusste, desto besser würde ich helfen können – und umso sicherer fühlte ich mich.
Ich wollte wissen, wie Alzheimer verläuft. Ärzte teilen den Verlauf in drei Stadien ein – von leicht über mittel bis schwer. Ich suchte nach Angaben zur Dauer der Phasen und fand ganz unterschiedliche und vage Aussagen. Ich wollte wissen, wie lange meine Mama mit Alzheimer leben könnte. Wie viel Zeit würden wir noch miteinander haben?
Ich suchte im Internet nach Medikamentenstudien und wollte wissen, welche Arzneimittel es gibt. War das, was Mama nahm, wirklich gut? Die Frage war eigentlich nicht, ob es gut war, sondern eher die: Gibt es etwas Besseres? Und die winzige Hoffnung, die jeder Betroffene, jeder Angehörige hat: Gibt es nicht vielleicht doch ein Wundermittel, das Alzheimer heilen kann? Mamas Arzt war klar gewesen: Medikamente können nicht heilen. Aber zu schön war die Vorstellung von einer Erfindung, die den Alzheimer verschwinden lassen könnte. Ich hing diesem Gedanken nicht sonderlich nach, ich wusste, dass er nur eine Fantasie war. Die Anwendung von Mamas Mittel schien simpel: Nicht geschluckt wurde es – sondern geklebt. Jeden Tag musste sie das Arzneipflaster wechseln und entweder auf dem Rücken, einem Arm oder dem Oberkörper platzieren.
Ich telefonierte mit einem Arzt, dessen Nummer ich über drei Ecken bekommen hatte und der in der Forschung bei einem großen Pharmaunternehmen arbeitete. Vielleicht wusste er ja von Mitteln, die gerade in der Erprobung waren und bald auf den Markt kommen würden. Wir sprachen lange über Behandlungsmöglichkeiten, und er bestätigte, was Mamas Arzt auch gesagt hatte: dass sie ein gutes Medikament erhielt, das sich in Studien bewiesen hatte. Das war einerseits enttäuschend, weil ich doch einen kleinen Hoffnungsschimmer hatte in puncto Wunderheilmittel, andererseits bestätigte es uns, dass diese Therapie geeignet war. Wir sprachen auch über solche Themen wie Umziehen. Ich wollte wissen, wie wichtig es für meine Mama wäre, in ihrer Heimatstadt zu leben, oder ob ein Umzug doch die bessere Variante sein könnte. Ich erinnere nicht mehr so viel von diesem Gespräch, aber der Satz „Irgendwann ist es egal, wo sie wohnen – sie suchen ihr Zuhause, finden es aber nicht mehr, auch wenn sie zu Hause sind“ hat mich lange beschäftigt. War das die Aussicht? Bislang war ich davon ausgegangen, dass das Zuhause immer ein sicherer Ort sein würde. Aber was, wenn meine Mama sich da nicht mehr wohlfühlen würde? Könnte sie es dann woanders?
Ich las über die Erfahrungen von anderen Betroffenen. Das gab mir ein bisschen Zuversicht. Zum einen zeigte es, wie konkret Menschen mit ihrer Demenz leben, und dass es ihnen auch gut geht. Bücher, die von Betroffenen selber geschrieben sind, imponierten mir besonders, denn irgendwie zeigte das ja, dass die Alzheimererkrankung vielleicht doch nicht so schlimm war. In jedem Fall merkte ich, dass Alzheimer nicht sofort Pflegeheim bedeutet. Dass sich das Leben trotz Alzheimer einfach weiterdreht.
Aber wie würde es weitergehen? Was müssten wir planen? Wie viel gemeinsame Zeit würde uns bleiben? Wie langsam oder schnell würde die Krankheit voranschreiten? Müsste Mama in ein Pflegeheim? Während ich mir diese Fragen stellte, schien meine Mama gesünder als zuvor. Ihre Augenringe und ihr Ausschlag um die Augen waren verschwunden, die sie in den vergangenen Monaten begleitet hatten. Es waren die Symptome, die uns denken ließen, dass irgendetwas nicht stimmte. An Alzheimer dachten wir allerdings nicht. Mama hatte viel gearbeitet, sie schien uns erschöpft und überarbeitet. Sie hatte sogar die Sommerferien abgewartet, um sich gründlicher untersuchen zu lassen. Sie wurde für zwei Tage ins Krankenhaus aufgenommen, aber das beunruhigte mich nicht besonders. Ich war mir sicher, dass die Ärzte die Diagnose Burn-out oder Depression stellen würden. Und ich war überzeugt, dass Ruhe und Entspannung das Einzige war, was Mama brauchen würde.
Doch nun: Alzheimer. Auch Wochen später hatte ich es noch nicht verstanden. Mama war manchmal sehr traurig, aber sie hatte auch Phasen, da war sie gelöst und fröhlich. Sagte das irgendetwas über die Prognose aus? Ich hoffte es. Mamas Arzt hatte sich sehr zurückgehalten. Auch erfahrene Ärzte könnten kaum den individuellen Krankheitsverlauf vorhersagen, meinte er. Manche Patienten leben 20 Jahre mit Alzheimer, andere nur zwei Jahre. Mit dem Medikament, so hatte Mamas Arzt erklärt, schreite die Krankheit langsamer voran. Man könne „ein bis zwei gute Jahre gewinnen“, sagte er. Aber was hieß das genau? Müsste sie für den Rest ihres Lebens diese Medikamente nehmen, für „ein gutes Jahr“? Und was war eigentlich „ein gutes Jahr“, wenn man die Krankheit Alzheimer hatte und das Vergessen und Zerfallen die Zukunft war? Mamas Leben würde sich verlängern, aber um welchen Preis? Würde sie ein schönes Leben haben können, trotz Alzheimer? Ich hatte so viele Fragen – und versuchte für mich, Antworten zu finden.