Kitabı oku: «Schüchterne Gestalten», sayfa 5
Das Geld dafür kann sie sich wahrscheinlich sparen, dachte sich Remsen, während er darüber nachdachte, ob er gleich mit der Tür ins Haus fallen sollte. Zuvor wären ihm aber noch ein paar Informationen ganz lieb. Man muss immer abwägen, welche Taktik am besten greift.
„Gab es zwischen Ihnen beiden Streit? Schon länger? Intensiver? Hatte denn Ihr Mann einen Grund, offen für neue Freundinnen zu sein? Sie haben doch einen gemeinsamen Sohn?“
„Wissen Sie, Liebe ist eine Illusion für Schwächlinge. Ich spüre es, dass er mit mir und mit anderen Frauen seinen Spaß hat. Außerdem, was geht Ihnen das an? Das ist Privatsache.“
Die Frau kann ja richtig giftig werden. Trotzdem legte Remsen nach: „Frau Weilham, wo war ihr Mann genau. Mit wem hat er sich getroffen. Bitte helfen Sie mir, vielleicht finden wir ihn.“
„Warum hat eigentlich die Polizei Interesse an der Dienstreise meines Mannes? Können Sie mich mal bitte aufklären? Um was geht es hier eigentlich?“ Jetzt ging Eva Weilham in die Offensive; die letzte Frage schleudert sie fast aus sich heraus.
„Haben Sie noch nichts in den Nachrichten gehört?“
„Lieber Inspektor…“
„Hauptkommissar bitte.“ Remsen lächelte sie an.
„Wenn Ihre Frau die ganze Nacht nicht nach Hause kommt, dann hören Sie aufmerksam die Nachrichten, ja?“
Sie kämpft, das war augenscheinlich.
„Wahrscheinlich nicht, glaube ich zumindest.“ Bei mir kann keiner wegbleiben, kleiner Vorteil Lady.
„Gestern Abend gab es so gegen 22:00 Uhr einen Unfall mit Todesfolge. Da…“
„Ja, habe ich gehört. Und? Was hat das mit meinem Mann zu tun?“
„Das wollen wir rausfinden. Das Unfallauto war auf eine Firma CodeWriter zugelassen. Ein schwarzer Audi.“
„Wollen Sie sagen, dass mein Mann…?“ Das blanke Entsetzen stand ihr ins Gesicht. Jetzt war sie bleich und nicht mehr so rot; in Ihrer Haut möchte Remsen jetzt nicht stecken.
„Nein, wir haben eine Tote.“ Erstmal die halbe Wahrheit. „Und wer sind Sie denn?“ Remsen wandte sich an die Frau, die ihn ins Haus gelassen hat.
Sie nannte ihren Namen und konnte sich ausweisen. Eva rief nach einer durchweinten Nacht ihre beste Freundin heute Morgen an. Sie war sofort zu ihr gefahren, um bei ihr zu sein. Als beste Freundin von Eva Weilham stand sie im engen Vertrauensverhältnis zu ihr und wusste nur zu gut, dass Carsten Weilham nichts anbrennen ließ, wenn sich die Gelegenheit ergab. Das führte in den letzten Monaten zu viel Streit in der Familie geführt. Aber eine ganze Nacht war Carsten noch nie weggeblieben. Bis Mittag warteten sie. Dann rief Eva bei ihren Schwiegereltern an, erreichte aber nur Cordula. Georg war wie sonnabends immer nicht da, auch telefonisch nicht erreichbar. Sie konnte Eva kaum beruhigen, kein Wunder, wenn sie von ihrem Mann so enttäuscht wird. Immer und immer wieder versuchte Eva, Carsten auf dem Handy zu erreichen – vergeblich. Am Nachmittag haben sie sich in der Stadt etwas abgelenkt, sofern das überhaupt möglich war. Den Paul konnten sie dann bei einem Freund aus der Kita über Nacht unterbringen; der hat sich gefreut und die Eltern waren ganz unkompliziert. Wie es weitergeht, weiß sie auch nicht.
Oh doch. Remsen legte sich seinen Plan zurecht und arbeitete ihn jetzt genauso ab. Er entschied sich für einen Frontalangriff.
„Könnten Sie bitte uns kurz alleine lassen?“ Diese Bitte ging an Evas Freundin. Ihre Augen suchten etwas verzweifelt Eva, die aber nur kurz nickte und zu verstehen gab, dass es für sie okay ist.
Wieder allein nahm Remsen sich Eva vor. „Bitte antworten Sie genau: Wo war Ihr Mann? Wen hat er getroffen? Wer waren auf der Dienstreise seine Gesprächspartner?“
Eva beschlich ein ganz komisches Gefühl. So unsicher, so kotzelend fühlte sie sich noch nie. Hoffentlich war Carsten nicht in dem Unfall verwickelt. Trunkenheit am Steuer, Fahrerflucht. Oh Gott, wie schnell kann man in so etwas verwickelt sein. Sie hatte ganz tief im Inneren die leise Vorahnung, dass ihr Leben kurz davorstand, eine unselige Wendung zu nehmen. Jetzt durchhalten, Eva! Sie machte sich selbst Mut, soweit das in dieser Situation noch möglich war.
„Er ist am Dienstag zu einer Dienstreise nach Lemberg aufgebrochen. CodeWriter waren wohl schon länger dort in Kontakt zu neuen potenziellen Kunden. Carsten, Georg und ein, zwei andere der Firma waren im Laufe des Jahres auf einige Messen und Kongresse in Russland, Polen und der Ukraine. In anderen Ländern wohl auch; weiß aber nicht genau wo überall. Mit einem Interessenten aus der Sicherheitsbranche waren sie sich handelseinig; soweit ich das mitbekommen habe. Das ist eine Firma aus der Ukraine, aus Lemberg oder der Umgebung. Genaueres, kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Die Firma kenne ich nicht.“
„Aber Sie haben doch mit Sicherheit im Laufe der Woche mit Ihrem Mann telefoniert. Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie so gar nichts wissen wollen. Wer bei CodeWriter wusste was von dem geplanten Deal?“
„Vor allem Karl Hausmann. Der muss das eingefädelt haben. Hausmann war schon seit längerer Zeit drauf und dran, die Geschäfte in Richtung Osteuropa auszuweiten. Georg, mein Schwiegervater, stand deswegen dauernd mit ihm im Clinch. Ich gehe auch davon aus, dass der Herzinfarkt Anfang des Jahres auf den Dauerstreit zurückzuführen ist.“
Remsen wurde nun doch langsam ungeduldig. „Wer wusste noch was? Ich kann mir nicht vorstellen, dass vor so einem wichtigen Auftrag nicht die halbe Firma mitgefiebert hat, ob der Vertrag auch tatsächlich zustande kommt.“
„Das müssen Sie Georg fragen, wenn er von seinen Wochenendeskapaden zurück ist. Aber was hat das alles mit Carsten zu tun?“
„Sie gehen davon aus, dass er eine Bekannte hat, bei der er sich gerade vergnügt, richtig?“ Gegenfrage, das beliebte Rezept von Remsen, seine Gesprächspartner unsicher zu machen.
Eva war wieder kurz davor, die verlassene Ehefrau zu geben und loszuheulen: „Was glauben Sie denn? Gestern noch telefonierte er auf der Rückfahrt mit mir und erzählte etwas vom Stau auf der Autobahn. Als wenn in Polen alle genau am Freitagnachmittag dort unterwegs sind, wo mein Carsten gerade langfährt. Geglaubt habe ich ihm das sowieso nicht.“
„Wissen Sie, mit dieser Art von Glauben kann ich nichts anfangen. Wo ist Ihr Mann?“ Die Frage formulierte Remsen so, dass selbst Frau Eva Weilham aufwachen musste. Ein letzter Versuch, dann wird es ernst. Er musste noch mehr von ihr herausbekommen; allerdings erschien ihm das immer mehr aussichtslos.
Remsen ließ nicht locker. „Was ist mit Ihrem Mann, Frau Weilham? Sie wissen, wo er ist. Falsche Scham bringt uns hier nicht weiter. Wir ermitteln in einem Unfall mit Todesfolge und Sie geben hier die verlassene Ehefrau.“ Das kam jetzt nicht mehr so angsteinflüsternd rüber, da Remsen es auf die ruhige und sanfte Tour versuchte.
„Ich kann Ihnen nichts sagen. Gestern am späten Nachmittag rief von seinem Handy aus an und sagte, dass er auf der Rückfahrt sei und noch vor Mitternacht zu Hause sein würde. Ich habe aber an seiner Stimme gespürt, dass da was war. Sie klang anders, angespannter als sonst. Der war nicht allein im Auto, ganz sicher.“
„Hatte er öfters mal, na ja sagen wir, sich woanders ausprobiert?“ Höflicher ging’s für Remsen nicht.
„Hören Sie, wie können Sie annehmen, dass Carsten ein Frauenheld ist? Er liebt mich und seinen Sohn über alles.“ Innerlich brach in ihr etwas zusammen, wohl ihr letzter Mut an Widerstand. „Na ja, im letzten Jahr war er öfter geschäftlich ja in Osteuropa; da soll für etwas Geld alles zu haben sein. Vielleicht hatte Carsten sich da öfter…“, bedient, dachte sich Remsen.
Ihm war inzwischen jede Rücksichtnahme egal: „Frau Weilham, ist das ihr Mann?“ Er holte ein Foto vom Unfalltoten aus seiner Tasche, legte es vor ihr hin und fixierte die Frau.
Ein herzzerreißender Schrei. Sie riss die Augen entsetzt auf und sackte in sich zusammen. Remsen stand unschlüssig daneben: Was jetzt tun? Diese Entscheidung nahm die verbannte Freundin ab, die wie auf Kommando in das Zimmer stürzte und sich um Frau Weilham kümmerte. Die lag halb schluchzend, halb heulend und ziemlich verkrampft auf dem Zweisitzer. Ihre Freundin nahm sie in die Arme und versuchte sie zu beruhigen. Dabei sah sie das Foto auf dem Tisch und nickte Remsen zu.
Schöne Scheiße!
Er suchte die Küche, verlief sich dabei im dunklen Haus, fand sie aber doch. Nachdem er ein einem der Schränke Gläser fand, ließ er den kalten Hahn eine Zeitlang offen und vergewisserte sich mit dem Hausfrauenfingertest, dass das Wasser angemessen kalt war. Die ersten zwei Gläser gehörten ihm. Er füllte ein zweites Glas und wollte es der Frau Weilham zur Stärkung bringen.
Sein Handy hielt ihn davon ab. Auf halben Weg kehrte er um, stellte das Glas ab und nahm das Gespräch entgegen. Dr. Ansbaum.
„Es war vergleichsweise einfach: Es ist Carsten Weilham. Wir konnten eine auffällige Narbe am rechten Oberschenkel entdecken und damit die einschlägigen Krankenhäuser in Vesberg kontaktieren. Bei einer privaten Chirurgie mit angeschlossenem Bettenlager haben wir einen Treffer gelandet. Der Abgleich der Bilder brachte die Bestätigung. Carsten Weilham spielte in seiner Jugend recht professionell Fußball und erlitt dabei eine heftige Fleischwunde. Muss länger gedauert haben, bis er wieder laufen konnte. Er ist es, kein Zweifel.“
„Danke Dr. Ansbaum, seine Frau hat mir das gerade auch bestätigt. Das hilft mir weiter. Wissen Sie schon, wer die Tote ist? Haben Sie schon was rausgefunden?“
„Nein. Keine Auffälligkeiten; keine Fußballernarbe, kein Tattoo, Piercing am Bauchnabel und im Scharmbereich. Auch im Zahnbereich nichts Auffälliges festzustellbar. Sollte es tatsächlich eine Osteuropäerin sein, dann haben die bei der Zahnpflege jede Menge hinzugelernt.“
„Osteuropa könnte stimmen; wahrscheinlich war Weilham die letzten Tage dort und hat seine Gespielin gleich mitgebracht. Jetzt wissen wir aber, wo wir ansetzen. Vielleicht erfahren wir über den alten Weilham oder CodeWriter noch mehr. Danke Ihnen Doc.“ Remsen drückte das Gespräch weg.
Frau Weilham fing sich inzwischen wieder etwas; zumindest sah es so aus, als er wieder ins Zimmer eintrat. Mit ihrer Freundin führte sie eine Art stumme Kommunikation.
„Frau Weilham, ich hoffe es geht Ihnen wieder besser?“ Remsen schaute etwas genauer hin, um zu prüfen, ob er sie mitnehmen kann. Sie sparte mit Worten, legte ihre Antwort in einen besonderen Blick ihrer Augen. Remsen deutete das als ein ‚Ja‘.
„Bitte machen Sie sich etwas frisch. Draußen wartet ein Streifenwagen. Sie müssen ihn identifizieren. Bekommen Sie das hin?“ Er reichte ihr das Glas Wasser.
Ihre Freundin spielte nun ungefragt ihre Beschützerin: „Sie sehen doch, wie es ihr geht. Das kann doch bis morgen warten. Nehmen Sie doch Rücksicht.“ Etwas hysterisch die Frau, zumindest für Remsen.
„Nein, das kann nicht warten. Es muss schnell gehen; wir suchen jetzt immerhin einen Mörder, vielleicht auch zwei oder mehr. Und wir haben hier zwei Tote und müssen ganz schnell die Spur aufnehmen. Das werden Sie doch verstehen. Begleiten Sie Frau Weilham?“
Sie gab auf, nickte nur und wandte sich Eva Weilham zu.
Remsen holte einen Beamten aus dem Streifenwagen ins Haus, instruierte ihn und schickte ihn ins Zimmer. Er selbst hatte jetzt jede Menge zu tun und begann zu telefonieren.
„Dr. Ansbaum? Frau Weilham wird gleich von den blauen Chauffeuren zur Identifizierung zu Ihnen gebracht. Noch ist sie etwas durcheinander, aber in einer Stünde müsste sie spätestens da sein. Eine Freundin wird sie begleiten. Ich gehe nochmal zu seinen Eltern; vielleicht erhöht sich bei Ihnen heute Abend die Besucherzahl noch einmal.“
Die Ausbeute kann sich sehen lassen: Wir kennen den Toten, wissen dass er in der Ukraine und nicht allein im Auto war und das CodeWriter mit drinsteckte. Das nenn ich mal einen Faden. Remsen klopfte sich virtuell auf seine eigenen Schultern.
Er rief in der W36 an und teilte seiner Kollegin die neue Entwicklung mit. „Er ist es. Der Tote ist Carsten Weilham. Nöthe soll alles über ihn und seiner Familie rausfinden. Wo er studiert hat, welche Freunde und Geschäftspartner er hatte, welche Hobbys er pflegte, wo er sein Bier trank und ja, wenn es sein muss, wo er seinen Testosteronspiegel abgebaut hat. Ich will alles wissen.“
Remsen war in Fahrt gekommen und holte nur kurz Luft: „Machen Sie sich über die Firma schlau; wir müssen alles über CodeWriter rausbekommen. Irgendwelche Unregelmäßigkeiten, Rechtsstreit, Steuern usw. Und nehmen Sie mir mal den Hausmann unter die Lupe. Notfalls holen wir ihn aus den Anden oder vom Amazonas wieder zurück. Und vom Weilham dem Alten auch. Ich will von dem alles, aber auch alles wissen. Keine Ahnung wo der gerade steckt; Sie vielleicht?“ Blöde Frage dachte sich Remsen gerade noch, als er sie gestellte.
Kundoban schien alles mitgeschrieben zu haben, jedenfalls machte sie nicht unbedingt den Eindruck, als wenn der Schwall an diktierten Aufgaben sie überforderte. „Wir haben schon von beiden Weilham's die Handyverbindungslisten vom Provider angefordert. Hausmanns Nummer haben wir noch nicht. Bei CodeWriter ist am Sonnabendabend niemand erreichbar.“
„Der Provider muss das wissen, die Nummer kennen. Die Firmen haben doch meistens so was wie Firmenverträge und alle Nummern bei einem Provider. Fragen da doch nochmal nach.“ Und Schluss; er drückte das Gespräch einfach weg.
Auf dem Weg zurück zu den Weilham‘s und zu Ulrich checkte er noch kurz seine Mails. Kundoban teilte ihm inzwischen mit, dass der Audi der CodeWriter etwa kurz nach 21 Uhr gestern Abend den Grenzübergang nach Deutschland passiert hat. Hat sie mir gar nicht erzählt, dachte er sich beim Lesen. Auf der Überwachungskamera war nur zu erkennen, dass zwei Personen im Auto saßen. Wie üblich, ein Mann am Lenkrad, eine Frau auf dem Beifahrersitz. Der Grenzschutz will noch andere Kameras auswerten, die tiefer hingen und so angebracht waren, dass sie bei guten Lichtverhältnissen auch die Gesichter in den Autos erkennen konnten. Das dauert aber, da das nicht die neuesten Geräte waren und keine Remote Bedienung möglich war.
So langsam wurde das Bild von gestern Abend zumindest für ihn etwas klarer. Für seine Ermittlungen hoffte er, dass der Fahrer im Auto tatsächlich der junge Weilham war. Es würde passen und vieles erleichtern. Während er noch den Gedanken nachhing und sich die nächsten Schritte überlegte, klingelte sein Handy erneut.
„Jan, komm her, der Weilham ist jetzt da und brüllt hier rum. Seine Alte ist einem Nervenzusammenbruch nah.“ Hansi der alte Polizist hat die Flatter. Und Remsen dafür eigentlich kein Verständnis, aber das so dringend nach ihm gerufen wird, kam ihm, egoistisch gedacht, nicht gerade unrecht.
„Werde bloß nicht zum Terroristen; halt dich zurück, ich bin gleich da.“ Remsen beschleunigte seinen Schritt. Nebenbei beorderte er per Telefon einen weiteren Streifenwagen zum Anwesen der Weilham's. Wenn der Alte durchdreht, kann man jede Hilfe gebrauchen.
Er klingelte; sein Kollege öffnete ihn sofort; hat wohl an der Tür gelauscht.
Remsen stürmte ins Haus und hielt schon im Flur seinen Ausweis in der Hand. „Remsen. Sie sind Herr Georg Weilham?“
Derart überrumpelt nickte Weilham nur und wollte gleich wieder zu neuen Tiraden ansetzen. Remsen schnitt ihm das Wort: „Wir ermitteln in einem Mordfall, betreffend Ihrer Familie und Ihrer Firma. Ist Ihnen das klar?“ Fast brüllte er die Frage raus und den Firmenchef an.
Weilham schüttelte entsetzt den Kopf und bekam kein Wort raus. Vielleicht war es Atemnot, er ist ja vorbelastet, oder der Mann war einfach nur überrascht. Dafür sprang Frau Weilham ein: „Mord in der Familie? Was wollen Sie damit sagen? Was ist hier los?“ Ihr Temperament schien mit ihr durchzugehen und sie stürzte auf Remsen zu. Hansi kam ihm überraschenderweise zu Hilfe; hätte Remsen gar nicht gedacht, und hielt Frau Weilham zurück.
„Wir haben Grund anzunehmen, dass bei dem Unfall gestern Abend zwei Insassen zu Tode kamen; ermordet wurden. Einer der Toten war eine Frau, der andere …“ Jetzt schnürte Remsen die Kehle; sein Mund war ganz trocken. Einer der beschissenen Momente in seinem Job.
Ulrich nahm ihm die Bürde ab: „Der Tote ist höchstwahrscheinlich Carsten Weilham. Wir haben von der Kriminalmedizin recht verlässliche Hinweise und müssen jetzt sichergehen. Wir brauchen deshalb Ihre Bestätigung, ob er es wirklich ist. Könnten Sie…?“
Cordula Weilham brach in tiefes Schluchzen aus. Für eine Mutter recht gefühlsarm, aber nicht ganz echt, konstatierte Remsen, der sich inzwischen wieder im Griff hatte. „Kann ich ein Glas Wasser bekommen? Hole ich mir auch selbst.“ Als beide Weilham's instinktiv nickten, suchte er heute Abend zum zweiten Mal eine Küche.
Georg Weilham schien inzwischen so etwas wie einen Zusammenbruch zu erleiden. Ulrich trat auf ihn zu, nahm den linken Arm und fühlte seinen Puls. Schaut weniger schlimm aus, entschied er, als er sich sicher war, dass der Rhythmus halbwegs in Ordnung war.
„Herr Weilham, ich muss Ihnen einige Fragen stellen; wird es gehen?“ Weilham zuckte nichtssagend mit den Achseln, halb nickte er und schien sich innerlich auf die Fragen vorzubereiten.
„Ich muss Sie jetzt fragen, wo Sie gestern Abend waren?“
Weilham dachte kurz nach und antwortete langsam: „Nach dem Büro war ich zum Essen in der Innenstadt verabredet. Danach bin ich nach Hause gefahren und habe mich auf den Tag heute vorbereitet. Sachen gepackt, Fahrrad auseinandergenommen usw. So gegen 22:30 Uhr sind wir schlafen gegangen, stimmt’s Cordula?“
Frau Weilham nickte zustimmend.
„Wo waren Sie mit wem zum Essen?“ Ulrich hielt schon Notizbuch und Stift bereit.
„Bei L’Angelo in der Sonnenstraße.“
„Mit wem?“ Weil Remsen sich in das Gespräch mit einschaltete, schaute Weilham etwas irritiert. „Mit einem Kunden, der einer unser sensiblen ist.“ Scheinbar wollte er nicht so einfach mit den Namen rausrücken. Remsens Erfahrung aber sagte, dass Weilham gleich aufgeben wird; also nicht nachlassen.
„Der Kunde hat sicher einen Namen – oder gibt es diesen überhaupt nicht?“
Weilham stutzte tatsächlich nur kurz. „Igor Abtowiz, Inhaber der Safety Objects. Es war ein übliches Routineessen, um die Kunden bei Laune zu halten. Wasserstandsmeldungen abfragen; Kundenbindung – mehr war da nicht.“
Ulrich, korrekt und ordentlich wie immer: „Wir werden das überprüfen.“
„Machen Sie doch; Sie werden nichts finden. Wir waren dort, gestern Abend.“ Weilham kam das alles so bedeutungslos, gar sinnlos vor; es geht um seinen Sohn und eine unbekannte Tote an seiner Seite.
Bei Remsen allerdings schrillten derart die Alarmglocken, dass er fast ein Schädeltrauma bekam. Die Tote eine Osteuropäerin, vermutlich. Weilham ist mit einem Russen beim Essen. Sein Sohn macht in der Ukraine Geschäfte. Da stinkt was ganz gewaltig.
„Ist Safety Objects denn schon Ihr Kunde? Was für eine Art Kundenbeziehung haben Sie mit dem Herrn Abtowiz?“ Ulrich wollte es mal wieder; dieses Mal musste er es ganz genau wissen.
„Vor etwa 4 Jahren gab es die ersten Kontakte, dann irgendwann haben die unsere Software gekauft. Wir sind auf Sicherheitssoftware spezialisiert; besser für Software die Sicherheitsfirmen einsetzen. Seitdem gab es immer mal wieder Anpassungen, Ergänzungen, Zusatzaufträge. Aber das ist doch jetzt egal, oder? Wie geht’s denn jetzt weiter? Wo ist mein Sohn?“
Ulrich übernahm die Antwort: „Das klären wir noch. Ich würde Sie beide bitten, mitzukommen. Sie müssen Ihren Sohn identifizieren. Ich begleite Sie; in ein paar Minuten?“
Zusammen mit seinem Kollegen ging Ulrich vor die Tür. Da beide nicht rauchten, eine echte Seltenheit in diesem Beruf, gingen sie vor dem Haus etwas auf und ab. Zunächst wortlos, nachdenklich. Dann machte Remsen den ersten Zug: „Organisierte Kriminalität. Sicherheitsfirma; von einem Russen geführt.“
„Da ist was schiefgelaufen und der Junior musste dran glauben. Mittelpunkt oder Versehen?“ Ulrich spielte im Kopf einige Szenarien durch. „Geschäftemacher? Mittelpunkt! Und wer ist die Tote?“
„Fragen wir gleich mal nach, wenn die beiden da sind. Bin gespannt ob der Weilham weiß, dass sein Sohn nicht alleine unterwegs war; ob es eine Freundin, Geliebte oder was auch immer war.“
„Die verheimlichen uns was, das sagt mir meine innere Stimme.“
„Was meinst du: Zeugen oder Verdächtige die beiden?“
„Sowohl als auch. Der alte Weilham ist mit Sicherheit unser Hauptverdächtige, zurzeit zumindest; auch wenn es sein Sohn ist oder jetzt war. Das muss aber nichts heißen.“
„Mal ehrlich, geht hier bei euch Geschäft über Familie?“
„Mensch Jan, deine Vorurteile sind so was von hartnäckig. Wie lange geht das noch?“
Remsen zuckte nur mit der Schulter und wählte inzwischen schon wieder Kundoban‘s Nummer.
„Hallo, können Sie bitte mal alles über Safety Objects und einen Igor Abtowiz in Erfahrung bringen.“ Nein, das war keine Frage, eher die versteckte Form einer klaren Anweisung.
„Jan, wir stecken hier voll in Arbeit; mehr Leute sind nicht verfügbar. Wir tun, was wir können.“
„Okay. Okay. Ich bin gleich bei Ihnen; muss jetzt auflegen.“ Die Weilham's fingen sich leidlich und traten gerade aus dem Haus.
„Herr Weilham, noch eine Frage: Wo war Ihr Sohn gestern eigentlich?“
„Bei einem Kunden, in der Nähe.“ Kurz und knapp, aber tonlos und ohne nachzudenken gab Weilham seine Antwort. Trotzdem mit Kalkül, denn die Polizei muss ja nicht gleich alles wissen. Er aber wollte jetzt wissen, was ihr überhaupt los ist. Und natürlich, ob sein Sohn wirklich tot ist. Das wäre sein Ende. Und er würde es durchziehen.
„In der Nähe? Geht es auch genauer?“ Remsen deutete Ulrich, den Firmennamen und die Adresse zu notieren. Am Tatort und eigentlich immer bei Ermittlungen ist er der Chef. Hanns-Peter notierte, was Weilham ihm diktierte. Beide Kommissare waren sich einig: Wir fragen später nach. Zwischendurch lassen wir die Angaben überprüfen. Doch Remsen sah sich schon in dieser Nacht bei einem langen Verhör mit Weilham, denn jetzt war klar: Er greift zu Lügen.
Cordula Weilham zeigte sich langsam ungeduldig und drängelte zum Aufbruch. Die nasse Kälte an diesem dunklen Novembertag hat sicher genauso dazu beigetragen, wie die Sorge um ihren Sohn.
Remsen hatte aber noch nicht genug: „Wissen Sie, wer die Tote sein könnte? Die…“ Er brach den Satz ab, da er kurz davor war, gegenüber den Weilham's ihren Sohn als tot zu deklarieren und herauszustellen, dass Frau Weilham jun. sich bester Gesundheit erfreute.
Jetzt war es an Frau Weilham, etwas lauter nachzufragen: „Wieso eine Tote? Soll die auch im Auto gewesen sein? Carsten war doch alleine unterwegs. Georg sag du mal was.“
Der hatte nichts Besseres zu tun, als nur zu nicken und in den Streifenwagen einzusteigen, dessen Türen für die beiden inzwischen geöffnet waren.
„Dauert es länger?“
Frau Weilham bekam entweder nichts mit oder war tatsächlich unwissend: Sie soll ihren Sohn identifizieren und es unklar, wo der die letzten Tage war und wer die Dame an seiner Seite war. Mutmaßlich.
Remsen setzte seinen ahnungslosesten Blick auf, denn er anbieten konnte und drehte sich weg. Sein Buick stand einige Parklücken weiter vorne.
Auf dem kurzen Weg dahin sog er die frische Luft tief auf. Dann im Auto entschied er, nicht gleich loszufahren. Er musste nachdenken. Ausnahmsweise blieb seine Soundanlage still. Wer Remsen genau kannte, das war eigentlich niemand, wusste, dass er damit seine Energie kanalisierte. Nichts sollte ihn stören; nicht einmal sein einzigartiger Musikgeschmack.
In einem kleinen, typischen Backsteinhaus in einem Vorort von Delft klingelte ein Telefon.
Lange.
Recht lange.
So war es ausgemacht.
„Ja.“ Der Angerufene nahm nach quälender Dauer dann doch das Gespräch entgegen.
Er hatte es erwartet. Und er war sich sicher, dass keiner diesen Anruf verfolgen kann. Seine Techniker leisteten ganze Arbeit und entwickelten ein eigenes IP-Protokoll. Damit wird das übliche SIP überlagert. Nach einem zufällig zusammengestellten Verwirrkurs wird jede Einzelverbindung, jede Strecke mit differenten Anonymisierungsalgorithmen geschützt, bevor sein eigenes Telefon angewählt werden kann. Über eine Funkstrecke mit bisher ungenutzten Frequenzbereichen. Der Anrufer ruft keine Nummer an, sondern wählt ein Codewort. Mit den zurückgegebenen Sequenzen und speziellen Signaturen als ganz individuellen Key, muss der dann ein weiteres, gerade erst zusammengestelltes, neues Codewort anwählen. Erst dann startet der Verbindungsaufbau. So arbeitete er schon immer.
„Auftrag ausgeführt. Vollständig.“ Der Anrufer hatte es merklich eilig, seine Botschaft loszuwerden und das Gespräch beenden zu wollen.
Der Angerufene ließ sich Zeit, sehr viel Zeit. Seine Irritationen musste er verbergen; der Anrufer sollte seine Erregung, besser Erzürnung, keinesfalls spüren. Keine Schwächen zeigen.
„So manche Wahrheit geht von einem Irrtum aus. Oder Lüge.“
Der Anrufer war fassungslos. Keine Antwort, keine Reaktion, die ihm daraufhin einfiel.
Wieder verging eine unerträglich lange Zeit, bis der Angerufene erneut sprach: „Bis morgen früh ist es erledigt.“ Er brach das Gespräch ab.
Der Angerufene wandte sich seinen Monitoren zu. Er sah Georg Weilham und seine Frau in ein Polizeiauto steigen. Er sah den verfluchten Kommissar, der selbstsicher zu seinem Auto ging. Er sah, dass überhaupt nichts erledigt war.
Verdammte Scheiße!