Kitabı oku: «Schüchterne Gestalten», sayfa 4

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So musste mal wieder der Zufall nachhelfen und er traf auf einer Party einen Bekannten. Nein, eigentlich war es kein richtiger Bekannter – oder? Karl Hausmann, wer war er? Jedenfalls hatten beide das Gefühl, dass sie sich kannten: Wir haben uns doch schon irgendwann mal gesehen? So kamen sie ins Gespräch. Klar, dass das waren zwei gemeinsame Semester Systemtechnologie mit Schwerpunkt Mainframe-Infrastruktur. Stimmt, das waren doch die IBM-kompatiblen Maschinen, nichts anderes als geklonte Originale. Nur mit kyrillischer Schrift versehen. Das Betriebssystem war ein unerträgliches Kauderwelsch aus schlecht verstandenem übertragenem Englisch und viel Russisch.

Weit nach Mitternacht sprudelte es aus Weilham heraus. Sein Bauch sagte ihm: Es ist die Chance.

Zugreifen!

Weilham erläuterte Hausmann seine Geschäftsidee, schmückte alles überdimensioniert aus und infizierte ihn dann in der letzten Kneipe, die im Morgengrauen noch offen hatte. Das muss der Zeugungszeitpunkt für die CodeWriter gewesen sein. Zumindest erzählen seitdem beide überall die Geschichte herum.

Die Zeit war hart. Beide hängten sich überaus in die Aufbauarbeit rein. Sie kamen gut voran, der Schuldenberg war immer noch überschaubar, ließ sich sogar mit der Zeit drücken. Spätestens als die Astrophysiker ihnen den Auftrag zur Auswertung und Analyse von unendlichen Messreihen gaben, war das Gröbste erstmal geschafft.

Aber nach vielen Jahren des Erfolgs ging es einfach nicht mehr weiter. Weilham, der sich nie schonte und gerne auch mal unangenehm mit seinen Mitarbeitern umsprang, wurde anfälliger, unruhiger, sensibler. Immer öfter geriet er mit Karl Hausmann aneinander, auch wenn sie sich beim Guinness immer wieder aussprachen. Der Wurm war drin. Seit wann etwa? Weilham dachte nach und machte nach einigen Überlegungen den verlorenen Prozess vor knapp zwei Jahren aus. Ein Kunde fing gegen CodeWriter einen Rechtsstreit an, obwohl der aus seiner Sicht im Unrecht war. Trotz allem: Der Kunde hat gewonnen und CodeWriter Image und viel Geld verloren.

Zum letzten Jahreswechsel nahm er sich vor, mit Karl zu sprechen, um auszusteigen. Karl hatte ihm im Jahr davor immer wieder dazu angestiftet, mehr ins Ausland zu gehen. Besonders im Osten Europas herrscht Goldgräberstimmung; da muss doch für CodeWriter auch was zu holen sein. Weilham ist prinzipiell vielen neuen Überlegungen gegenüber offen eingestellt, aber der Osten Europas wehte für ihn immer noch den Hauch des Staatskommunismus. Und dort wo er definitiv nicht mehr zu finden ist, regiert die Mafia. Not oder Elend – was ist die bessere Alternative? Hausmann sah das alles nicht so eng. Schutzgeld, Erpressung, Korruption lassen sich umgehen. Reichlich naiv der Karl, dessen war sich Weilham sicher.

An einem dieser Tage, schon im neuen Jahr muss das gewesen sein, war es mal wieder recht laut zwischen Ihnen geworden. Irgendwann mal war Weilham soweit und sprach Karl auf einen Ausstieg seinerseits an. Der explodierte förmlich, denn faktisch war ohne Weilham die Firma am Ende. Wenn er jetzt Kasse machen will, kann die Firma gleich ganz aufgegeben werden. Ohne wirkliches Verständnis hat sich Weilham dann irgendwann spätabends auf den Weg nach Hause aufgemacht.

Innerlich aufgewühlt, richtig sauer auf Karl, stapfte er zum Auto. Mit der Zentralverriegelung öffnete er das Auto, legte die Tasche auf dem Rücksitz hinterm Fahrer und war gerade im Begriff, selbst einzusteigen. Ein stechender Schmerz im Brustkorb verhinderte zunächst weitere Bewegungen. Weilham zuckte und sackte zusammen. Vor Schmerz krümmend versuchte er sein Handy zu greifen. Die Kräfte verließen ihn.

Der Retter war Hausmann, wie er später erfuhr. Lange, sehr lange brauchte Weilham, um wieder fit zu werden. Karl besuchte ihn, er kümmerte sich um Weilham, wie der es nie vermutet hätte. Wie auf Verabredung vermieden beide, auf die Probleme in der Firma einzugehen. Karl gab ihm das Gefühl, dass mit CodeWriter alles in Ordnung sei und er das Geschäft im Griff hatte. Auch, dass er ihn, Georg Weilham, im Geschäft vermessen würde. Weilham‘s Sohn, der auch bei CodeWriter arbeitet, war und ist noch immer für Hausmann ein mäßiger Ersatz.

Das tat Weilham gut. Er erholte sich wieder und begann zunächst mit allgemeiner Routinearbeit, zeitweise. Nur nicht aufregen, schön langsam. Stück für Stück fand er wieder zurück und wurde immer mehr belastbar. In der Firma hatte jetzt Hausmann allein das Sagen. Karl war der ungekrönte König und bestimmte, wo es lang ging, welche neuen Funktionen die Produkte bekommen sollten und wie insgesamt die Softwareentwicklung künftig aussehen sollte. Vor allem trieb Hausmann den Aufbau neuer Kundenstrukturen voran, machte Kontakte, führte Gespräche.

Ein halbes Jahr nur und schon ist alles anders? Weilham fand sich nur schwer mit der neuen Situation ab, konnte aber nichts dagegen machen. Vorerst. Karl intensivierte in die Ausweitung des Geschäfts nach Osteuropa; eine Entwicklung, die Weilham nicht behagte. Er fand einfach keine Mittel, sich dagegen zu wehren und um Hausmann zu stoppen. Weilham hatte gelernt: Sein zum Glück leichter Herzinfarkt erinnerte ihn daran, dass er künftig nicht mehr grenzenlos belastbar sein wird und dass er sich Zeit nehmen muss.

Weilham änderte nach dem Kurzschluss auch privat viele Dinge. Seine ohnehin langweilige Ehe interessierte ihn schon lange nicht mehr. Warum also weitere Energie für etwas zu verwenden, um zu kitten, was nicht mehr hält? Einfach laufen lassen, tut ja nicht weh so eine Beziehung.

Das Zusammensein mit seiner Cordula funktionierte anfangs ganz gut. Mit der Zeit entwickelte sie sich aber zur Spießerin und verfiel immer mehr dem Kaufrausch. Überall wo sie beide waren, kaufte sie förmlich die Geschäfte leer. So was nannte sich mal Wissenschaftlerin. Was aus Menschen so alles werden kann…

So verfiel er immer mehr darauf, egoistisch seinen Interessen nachzugehen. Es kamen sogar Neue hinzu. Sport machte er schon lange nicht mehr; dass konnte er leicht ändern. Weilham kaufte sich ein tolles neues Fahrrad, ein ultraleichtes Trekkingrad, mit dem er regelmäßig unterwegs ist. Alleine natürlich. Die beste Medizin für sein Herz; davon war er erstaunlicherweise selbst und vor allem sehr schnell überzeugt. Sein Arzt freute sich, dass die Werte für Blutdruck und Kreislauf sich verbesserten und vor allem sein Fettgehalt immer weniger wurde.

Sonnabend wurde zu seinem Tag. Den Freiraum nahm er sich.

Als personifizierter Frühaufsteher war er meistens schon um fünf Uhr auf den Beinen. Besonders in den Sommermonaten verfrachtete er schon am Abend zuvor sein Fahrrad ins Auto, legte sich seine Sportsachen zurecht und freute sich auf eine großartige Radtour. Er war nicht wetterfühlig; ihn störten weder Regen noch die oft gegen mittags aufkommende Hitze. Mindestens 100 km sollten es am Tag werden, dann fühlte er sich richtig gut. Das zog er durch. Immer sonnabends…

Seine Touren verlegte er immer weiter in die Hügellandschaft rund um Vesberg. Es machte schlicht Spaß, sich nach einer Woche mit endlosen Meetings, mit viel zu viel Kaffee, Telefonaten und Entscheidungen, mal so richtig auszutoben. Vor allem war es für seinen Körper eine Wohltat. Im Laufe der Monate wuchs die Lust auf noch mehr Wohltaten. Ihm war im Laufe der Monate klar geworden: Wenn es schlecht für ihn lief, kann sein Leben viel zu schnell vorbei sein.

Was soll’s?

Auf der anderen Seite der Grenze war die Verlockung in Form wunderhübscher Frauen unübersehbar. Warum sollte er sich nicht was Gutes tun, bevor gar nichts mehr geht?

Wie in den letzten Wochen immer öfter, war er auch heute auf dem Rad unterwegs und ließ sich dann in einem Club, inzwischen seine regelmäßige Anlaufstelle, massieren. Auch heute wieder blieb es natürlich nicht nur dabei. Köstlich, wenn er in Gedanken an die Stunden dachte, die er sich vorhin dort gönnte.

An diesem grauen Sonnabendnachmittag saß Georg Weilham gedankenverloren in seinem Auto und auf dem Weg zurück in Deutschland. Er sollte sein Handy anmachen und seine Frau anrufen. Sein Sohn wusste ja, dass er sonnabends nicht zu erreichen war. Ihn müsste er dringend sprechen. Vor allem wegen den Verhandlungen in der vergangenen Woche, in Lemberg. Hoffentlich konnte er den Deal gut vorbereiten; CodeWriter brauchte das Geschäft. Die Telefonverbindung gestern in die Ukraine war mal wieder unbrauchbar. Ach, die Vertriebslady war mit dabei; vielleicht ist sie hübsch. Sicher warten ein paar angenehme Pflichten die nächsten Tage auf ihm. Aber wie er seinen Carsten kennt, hatte er die, wie hieß sie doch gleich … Larissa, ja Larissa, bestimmt schon flachgelegt, wenn sie hübsch war. Sein Sohn, das wusste er nur zu gut, ist keiner, der eine schöne Frau unberührt stehen lässt. Seine Gene…

Er grinste in sich rein.

Ja, den Carsten wird er gleich mal anrufen. Plötzlich hörte er genauer hin. Die Nachrichten brachten gerade eine kuriose Unfallmeldung von letzter Nacht. Den Anfang der Meldung nahm er nur halb wahr; jetzt sagte ihm eine Stimme aus dem Unterbewusstsein: Hinhören!

Einordnen konnte er das nicht, vielleicht ist das alles nicht so tragisch. Ein schwarzer Audi war zu Schaden gekommen. Ja, sie haben im Firmenpool einige davon, auch ein solches Auto, mit dem Carsten gestern aus Lemberg zurückgekommen war. Audis gibt es jede Menge und die Tote ist eine Frau; kein Mann; keine zwei Personen.

Weghören.

Er wählte die Handynummer seines Sohnes an und wartete auf das Rufzeichen. Recht schnell kam die Meldung, die er noch mehr hasste als … egal: "The person you have called is temporarily not available"!

Wo treibt der sich rum? Warum ist sein Handy aus? Das war nicht seine Art. Er suchte nach dem Eintrag mit dem Festnetzanschluss von Carstens Wohnung und drückte auf „Wählen“. Nach einigem Klingeln kam der Anrufbeantworter zu Wort: „Wahrscheinlich sind wir beim Entenfüttern oder machen gerade bei Aldi die neuesten Schnäppchen. Deshalb sprechen Sie bitte mit unserem Anrufbeantworter. Wir melden uns bei Ihnen, wenn wir Zeit dazu haben.“

Eine innere Unruhe beschlich ihn. Handy vom Sohnemann aus; zu Hause keiner erreichbar. Der letzte Versuch galt der Büronummer seines Sohnes. Vielleicht war Carsten mit Larissa in der Firma und zeigte ihr die Räumlichkeiten. So richtig glaubte er nicht dran; trotzdem wählte er die Durchwahl von ihm an. Niemand erreichbar. Schon komisch, denn normalerweise sind Eva, Carstens Frau, und Paul sein einziger Enkel um diese Zeit zu Hause. Das Wetter heute lädt nicht ja gerade zum Rausgehen ein.

Warum machte er sich solche Gedanken? Wo kam bloß diese Unruhe her? Es gefiel ihm überhaupt nicht. Er musste schnellstens nach Hause.

„Frau Weilham, ich kann nicht richtig glauben, dass Sie von den Geschäften der Ihres Mannes so gar nichts wissen.“ Remsen mochte die Art der Frau durchaus; sie war nicht unsympathisch. Dafür war sie überhaupt nicht auskunftsfreudig. Sein Instinkt sagte ihm, dass die Frau mehr weiß, also mehr verschweigt, als sie sagt und zugibt.

Remsen und Ulrich waren recht schweigsam zum Anwesen der Weilham‘s gefahren. Schon der konzertähnliche Hall der Thin Lizzy CD verhinderte jede Konversation. Besonders ‚Soldier Of Fortune‘ gefiel Remsen so gut, dass dieser Titel nicht nur einmal, sondern auch besonders intensiv im Buick zu hören war.

Der Mann wird nie mehr erwachsen; Hanns-Peter Ulrich war auf seinen Partner richtig sauer. So musste Ulrich auf das warten, was der Besuch bei Weilham bringt und Kriminalassistent Nöthe was ihm erzählen wird.

Das Haus der Weilham‘s war nicht allzu groß, recht nett für die Gegend und offensichtlich kürzlich umfassend modernisiert worden. Nicht schlecht, dachte sich noch Remsen, aber aufregend monströs war das Anwesen nun auch wieder nicht. In Blankenese…

Die Tür ging auf und Frau Weilham, wahrscheinlich war sie es, trat heraus.

„Ich bin Kriminaloberkommissar Ulrich, das neben mir ist Kriminalhauptkommissar Remsen.“ Parallel zur förmlichen Begrüßung seines Kollegen, Remsen machte es immer kürzer, nickte andeutungsweise mit dem Kopf, zeitgleich zuckten beide ihre Legitimationen. Das war es auch schon für Remsen. Frau Weilham bekam gerade noch Zeit, den Weg freizumachen, denn Remsen suchte seinen Assistenten. „Nöthe, draußen wartet Ulrich auf Sie, geben Sie ihm bitte ausführlichen Bericht und dann ab auf die W36. Ihre Kollegin wartet schon sehnsüchtig auf Sie.“

Die üblichen Formalitäten: „Frau Weilham, gestern Abend ist ein Auto der CodeWriter verunglückt. Wir haben eine Tote und ermitteln in der Sache. Wissen Sie wer mit dem Audi unterwegs war?“

„Nein, wirklich nicht. Mein Mann war die letzten Tage in Vesberg, ist mit seinem Wagen, kein Audi, gefahren und war gestern Abend so ab 22 Uhr etwa zu Hause. Er war nach der Arbeit bei einem Geschäftsessen in der Stadt und fuhr anschließend hierher.“

„Mit wem war er essen?“ Remsens zuckte sein Notizbuch. „Äh, haben Sie bitte mal was zu schreiben, irgendwie habe ich meinen Stift verloren.“ Hatte er nicht, denn er hatte die Vorliebe, seine Bleistifte, mit Vorliebe abzukauen. Den Stummel in der Jackentasche konnte selbst er nicht mehr als Stift bezeichnen.

Frau Weilham griff in eine Schublade und reichte ihm einen Kugelschreiber. Ein Werbegeschenk, wie Remsen erkannte.

„Ja, besten Dank. Name?“ Remsen konzentrierte sich auf seine Befragung.

„Das weiß ich nicht. CodeWriter gibt es jetzt schon seit 1995. Mein Mann kennt viele Leute, Geschäftspartner und solche, die es werden wollen. Außerdem sagt er immer, dass Kontakte das A und O für Geschäfte sind. Bis zu seinem Zusammenbruch war er abends fast immer irgendwie verabredet.“

„Was war das für ein Zusammenbruch? Zu viel Arbeit? Druck? Konflikte? Oder was anderes?“

„Heute sagt man glaube ich Burnout dazu. Besser passt: schlicht und einfach überarbeitet. Das passiert vielen in der Branche, die sich nicht einschätzen können. Georg geht in seiner Arbeit voll auf. Er denkt wohl, dass CodeWriter seine letzte Chance ist, zu einigermaßen Wohlstand, auch für später im Alter zu kommen. Aber was ist schon Geld, Haus und viel Schein gegenüber Gesundheit? Wissen Sie es?“

Remsen beachtete die Frage lieber nicht, denn der Zustand vom Weilham könnte ohne Probleme auf ihn übertragbar sein. Auch wenn er als Beamter auf eine einigermaßen gute Pension hoffen kann, gehen ihm viele Fälle oft sehr nahe. Privatleben und Gesundheit kommen dann bei ihm nicht mehr vor. Manchmal spielt er neben seinen Ermittlungen auch noch Weltverbesserer und hofft, dass seine Arbeit, seine Aufklärungsrate dazu beitragen kann.

„Burnout. Ihr Mann ist also ein Workaholic? Seine Droge die Firma?“

„Kann man so sagen. Ich habe ihm schon vor seinem Zusammenbruch immer wieder in den Ohren gelegen, kürzer zu treten und mehr an sich zu denken. Er hat einen Enkel, mit dem er gerne was unternimmt. Regelrecht gefreut hat er sich, als Carsten und Eva die Nachricht überbracht haben, dass er Opa wird.“

„Carsten und Eva?“ Wenn Carsten sein Sohn ist, äh war, der da draußen heute Morgen am Baum hing, dann bleibt ihm wirklich nur noch der Enkel.

„Carsten ist unser Sohn. Paul, sein Enkel, schon fast in der Schule. Die beste Zeit für Opas, da sind die Kinder noch frei, unbelastet und erfreuen sich ihrer Kindheit. Wenn dann erst mal die Schule anfängt, ändert sich auch das.“

„Frau Weilham, Ihr Sohn Carsten arbeitet doch bei CodeWriter?“

„Ja, ja, das tut er. Georg und Carsten hatten viel Streit miteinander. Georg wollte unbedingt, dass Carsten zu ihm in die Firma kommt, was von Nachfolgeregelung gesprochen, schleichender Übergang und so. Carsten wollte nicht. Der war schon immer ein schlaues Kerlchen, ein Einser-Abi hingelegt und ist danach nach München gegangen, um Bioinformatik zu studieren. Das Zeug dazu hatte er und für Molekularbiologie interessierte er sich schon früh. Mir schien, er besaß den Ehrgeiz, seinem Vater Konkurrenz zu machen und wollte sich mit biologischer Informatik profilieren. Junghirsch gegen Platzhirsch, ein völlig unsinniger Machtkampf.“

Frau Weilham trank von ihrem Kaffee und ließ sich nicht aufhalten, auch von Remsen nicht. Der schielte auf den Kaffee und entschied für sich, dass er dringend einen davon bräuchte. Schon wollte er danach fragen, da legte Frau Weilham nach.

„Carsten verfolgte die fixe Idee, die theoretische und die bisherige praktische Informatik zu verknüpfen und mit neu entwickelten Technologien im Bereich der Bioinformatik Fuß zu fassen. Georg verstand das alles nicht und blockierte Carsten, wo immer es ging. Sie redeten nicht viel miteinander, geistige Funkstille zwischen beiden. Viele Jahre.“

Remsen war inzwischen ausgestiegen. Für sich nahm er wahr, dass seine Gesprächspartnerin mal eben die Sprache gewechselt haben muss. Davon, was sie gerade sagte, verstand er nichts. Andersherum verstand die Frau sehr viel davon, zumindest tat sie so.

„Frau Weilham, bei allen Respekt: Ich verstehe nur Bahnhof davon. Wie es kann es sein, dass Sie sich so gut auskennen?“

„Ich habe bis vor einigen Jahren als Mikrobiologin hier an der Universität in Vesberg gearbeitet. Damals während der DDR-Diktatur haben die Kommunisten viel Wert daraufgelegt, dass alle eine gute Ausbildung erhielten. Mit der Datenverarbeitung, sagt man glaube ich heute nicht mehr, oder? … Mit den Rechnern hatte ich schon früh zu tun. Wir haben mit den Leuten vom Rechenzentrum viele Laborauswertungen gemacht. Etwas versteh ich schon noch davon.“

Remsen war beeindruckt. Doch, das passte zum Bild, was er von Anfang an von ihr hatte: Stil, Haltung und so etwas von feiner Dame, dabei aber nicht dumm und nicht nur bloß die Frau an der Seite eines Geschäftsmannes. Mit dieser Frau wird er noch einmal intensiver auseinandersetzen müssen, geschäftlich natürlich. Wieder ein Eintrag in seiner imaginären Taskliste.

Frau Weilham entwickelte offensichtlich ein überbordendes Mitteilungsbedürfnis: „Carsten lernte dann in München eine Freundin kennen. Ich habe die einmal, zweimal gesehen. Sie war nicht gut für ihn, nur Partys, nächtelang. Wahrscheinlich viel Alkohol, vielleicht auch Drogen, keine Ahnung. Irgendwann schmiss er das Studium; seine Freundin verließ ihn. Georg bekam Oberwasser und trieb Carsten förmlich vor sich her. Ja, man kann sagen er zwang ihn im Schwäbischen, in Furtwangen war das, Marketing und Vertrieb zu studieren.“

„Und das kann man so einfach, jemanden zwingen?“

„Georg hatte die Argumente auf seiner Seite und setzte Carsten unter Druck.“

Bevor Remsen mit einer vertiefenden Frage nachlegen konnte, ging sie selbst in die Offensive: „Georg machte ihm unmissverständlich klar, dass Carsten nicht einen Cent von ihm erben werde. Er hatte sogar entsprechende Dokumente von seinem Anwalt anfertigen lassen, die er Carsten vorlegte. Es fehlte nur noch seine Unterschrift.“

Vaterliebe grenzenlos … ‚Father and Son, Cat Stevens‘, als Cat Stevens noch Cat Stevens war. Den letzten Teil murmelte er fast vor sich hin. Ist doch schön, wenn es immer wieder Analogien zur Realität gibt.

„Was meinten Sie bitte?“ Frau Weilham schaute etwas irritiert drein.

„Nichts weiter. Mein Kollege ist ein ausgesprochener Kenner der Musikszene und sucht dort immer wieder Verbindungen mit der Wirklichkeit.“ Hanns-Peter Ulrich war inzwischen zum Gespräch hinzugekommen. Von Kriminalassistent Nöthe ließ er sich dessen Erkenntnisse kurz zusammenfassen; diese jedoch abgebrochen, weil er die Zeit dafür als Verschwendung betrachtete.

„Nach dem Studium, vor etwa drei Jahren, ist Carsten dann als Account Manager zu CodeWriter gegangen. Anfangs haben beide den Streit von damals weiter ausgetragen. Karl Hausmann, Georgs Partner, spielte den Vermittler, um zu schlichten. Als das nichts brachte und das Klima bei CodeWriter nicht besser wurde, fing er mit Georg an, über einen Verkauf der Firma zu sprechen und drohte dabei, dass das für beide ein schlimmes Verlustgeschäft werden würde. Irgendwie haben sie sich dann doch arrangiert; einige Abende im Red Rooster und jede Menge Guinness und Malts gingen wohl dafür drauf.“

Oh ha, mal lernt noch was bei der Arbeit. Remsen notierte sich eifrig den Namen des Pubs notiert. Gehört hatte er schon davon, er sollte in nächster Zeit den Laden mal testen. Klang auf jeden Fall verlockend.

„Gibt es denn zwischen Ihrem Mann und dem Karl Hausmann Konflikte?“

„Ich denke ja. Nicht offen, aber so latent, unterschwellig wie sagt man: Ein kalter Krieg mit freundlicher Maske? Spätestens seit dem Herzinfarkt hatte Georg auch nicht mehr die Lust, wahrscheinlich auch die Kraft nicht mehr, um sich gegen Hausmann zu stellen. Beide beschäftigten sich schon länger mit anderen Ideen, um die Firma weiterzuentwickeln. So richtig haben beide sich nicht mehr verstanden. Sagen wir mal so: Als Georg so nach und nach im Sommer mit der Arbeit wieder anfing, ließ sich Hausmann die Rolle des Tonangebers nicht mehr streitig machen.“

„Wo war Ihr Mann gestern Abend, Frau Weilham?“ Kriminaloberkommissar Ulrich wollte sich in das Gespräch einbringen; eher wichtigmachen, dachte sich Remsen, denn Fragen wiederholt man in einem Interview nicht.

So glich Remsen selbst diesen Fauxpas aus: „Hier zu Hause und ist heute früh zu seinem freien Tag aufgebrochen. Ist mit dem Auto und dem Rad unterwegs.“ Zu Frau Weilham gewandt: „Frau Weilham: Wissen Sie, wann er wieder hier ist? Ist er auf seinem Handy erreichbar?“

Jetzt schaute Remsen seinen Kollegen an, denn der müsste wissen, ob vorhin Nöthe und Frau Weilham ihn erreichen konnten. Gib wenigstens ein Zeichen Hansi! Er tat es tatsächlich, nickte kurz, nur für Remsen wahrnehmbar. Sein Grinsen im Mundwinkel signalisierte, dass er erkannte, in welche Situation sich Remsen selbst manövrierte. Der spekulierte und versuchte seine Wissenslücken vom Nachmittag zu überbrücken. Immerhin verfügte Ulrich von Nöthe Informationen aus erster Hand. Hätte Remsen geahnt, dass Nöthe nichts zu vermelden hatte und Ulrich auch nicht mehr als er wusste, wäre er sicher forscher vorgegangen.

„Meist am frühen Abend. Er schaut gerne die Sportschau und verfolgt die Bundesliga. Wird wohl bald hier sein; seine Bayern müssten heute wieder dran sein.“

„Nah dran, die spielen erst morgen gegen Nürnberg.“ Ulrich strahlte. In der Bundesliga kannte er sich auch; hatte ihm doch sein alter Herr zum Eintritt zum 50. ein Jahres Abo von dem Pay TV Sender geschenkt, der alle Spiele live überträgt. Seitdem ist Hanns-Peter ein wandelnder Statistiker.

Remsen war beeindruckt. Ja, gelegentlich schaute auch er Fußball. Seit St. Pauli wieder oben mitspielt, interessierte er sich etwas mehr dafür. „Könnte also noch etwas dauern?“

Das Gespräch war seltsamerweise ins Stocken geraten. Bisher wissen sie nur, dass ein Firmenwagen der CodeWriter gestern in den Unfall verwickelt war. Und dass die Insassen ermordet wurden. Mehr erzählten sie der Weilham auch nicht, man weiß ja nie. Wie es aussah, hielt Nöthe dicht und zerstörte nicht gleich mit einem Anfängerfehler die übliche Vernehmungstaktik.

„Frau Weilham, wir müssen noch mal auf ihren Sohn zurückkommen. Wissen Sie, ob er gestern unterwegs war, wo er jetzt ist? Wir müssen auch ihn vernehmen.“

„Das sollte kein Problem sein, er eigentlich ist er mit Eva und Paul zu Hause. Heute bei dem Wetter macht es draußen ohnehin keinen Spaß. Die wohnen zwei Straßen weiter unten. Ich kann ja mal anrufen…“

„Nein, nein – wir gehen dort gleich mal vorbei.“

Remsen liebte Überraschungseffekte, denn sie brachten ihm Vorteile. Gerade bei der Erstvernehmung kommt es darauf an, dass für die Betroffenen keine Zeit der Vorbereitung blieb. Selbst wenn der Befragte wenige Minuten Zeit fand, sich auf Vernehmungen einzustellen, könnten die Ermittlungen unendlich lange dauern. So seine Erfahrungen, auf die er auch dieses Mal bauen würde.

„Könnten Sie aber bitte noch meine Frage beantworten?“ Remsen war nicht gerade ein geduldiger Mensch und Frau Weilham war nur bedingt auskunftsfreudig, weshalb sie erneut die Abwehrhaltung einnahm. „Welche meinen Sie denn? Wo er gestern war oder wo er sich jetzt aufhält?“

Bevor Remsen in die Luft gehen konnte, kam ihm Ulrich zuvor: „Beide bitte, wenn es keine Umstände macht.“ Der Seitenhieb saß, denn Frau Weilham merkte, dass ihre Art des Zeitspiels bei beiden Kommissaren auf keine Gegenliebe stieß. Hoffentlich kommt der Georg gleich. Was interessiert mich das Firmenauto und eine unbekannte Tote?

„Soweit ich es mitbekommen habe, war Carsten in der letzten Woche zu einem Kundentermin unterwegs. Bitte nicht fragen, ich weiß nicht wo und habe auch keine Ahnung bis wann. Er müsste gestern oder vorgestern zurückgekommen sein. Warum auch nicht?“

Sie verzögerte die nächste Aussage, weil sie nicht nur Zeit gewinnen wollte, sondern weil sie natürlich nicht wusste, was Carsten und Eva heute machen. Manchmal fahren sie auch ganz spontan übers Wochenende zu Freunden.

„Ob Carsten zu Hause ist, kann ich nicht sagen. Wenn sie wegfahren, mal für ein, zwei Tage, fragen sie mich nicht extra – sie machen es einfach.“

Remsen und Ulrich schauten sich nur kurz an und wussten, was der jeweils andere dachte. Auch wenn beide sowas von grundverschieden waren und sich nur bedingt mochten; sie waren Partner und Profis bei der Arbeit.

Remsen stand auf: „Frau Weilham, mein Kollege bleibt bei Ihnen, er hat noch einige Fragen an Sie. Ich schaue mal bei Ihrem Sohn vorbei. Könnten Sie mir bitte die genaue Adresse geben und mir den Weg beschreiben?“

Frau Weilham ging mit Remsen zur Tür, nannte die Straße und Hausnummer und zeigte ihm den Weg dorthin. Remsen bedankte sich und war froh, einige Minuten frische Luft zu schnuppern und in Ruhe nachzudenken.

Er fand das Haus der jungen Weilham‘s dunkel vor. Eigenartigerweise empfand es das überhaupt nicht dramatisch, denn wenn keiner da ist, wird auch keiner vermisst. Remsen sinnierte über zwei, ihm logische Szenarien: Wenn Carsten Weilham gestern in dem Auto saß und hier zu Hause nicht angekommen ist, würde seine Frau doch hier sein und warten. Und wahrscheinlich wüsste, dass Cordula Weilham auch. Das für ihn wahrscheinlichere Szenario war demnach aber, dass Carsten Weilham gestern bei seiner Familie war und diese heute einen ganz normalen Sonnabend verlebte, irgendwo auf dieser Welt, nur nicht hier in seinem Haus.

Trotzdem klingelte er, einmal, zweimal, mehrmals. Inzwischen wurde es dunkel; an einem Tag, an dem es ohnehin nicht richtig hell geworden ist; kalt war es auch. Nichts regte sich, kein Licht ging an. Er schlich um das Haus, ein Hund war weder zu sehen noch zu hören; auf eine Begegnung mit einem Vierbeiner hatte er nun wirklich keine Lust. Auch von hinten sah das Haus ziemlich verlassen aus. Okay, wieder zurück zur Plauderrunde mit Hansi.

In Gedanken spielte er die Optionen durch, die ihn jetzt blieben. Solange der Weilham nicht wiederauftaucht, kommen wir nicht weiter. Hausmann ist im Urlaub, Südamerika, da wird sich vorerst auch nichts tun. Wir sollten das einmal überprüfen, ob der Mann wirklich dort unten ist.

„Kundoban.“ Gleich nach dem ersten Klingeln war sie dran.

„Haben wir schon überprüft, ob Hausmann wirklich in Südamerika ist. Visum? Flugbuchungen? Ausreisen, usw.?“

„Jan, wir sind dran, haben aber bisher noch nichts gehört. Kommt Ihr voran?“

„Nein, nicht wirklich. Die Weilham weiß fast nichts, zumindest tut sie so. Der Alte ist noch auf Selbstfindung und beim Junior ist das Haus dunkel. Haben wir schon Informationen von der Bundespolizei? Ist gestern Abend an eine der Grenzübergangstellen der Audi auf wenigstens einer Überwachungskamera aufgetaucht?“

„Fehlanzeige bisher. Wir haben erst von zwei kleineren Übergängen das Material von gestern Abend erhalten; vom Autobahnübergang dauert es leider länger. Die haben mehr Kameras, Schichtwechsel usw. Wir wurden auf heute Abend vertröstet.“

Kundoban war noch mitten beim Sprechen, als sie das Freizeichen in der Leitung wahrnahm. Remsen hatte bereits aufgelegt.

Komischer Kauz!

So komisch, dass Kundoban auch fand, Remsens Aufmerksamkeit war schlagartig verflogen, als ein schwarzer SUV auf das Haus von Weilham jun. zusteuerte. Im Auto saßen zwei Frauen, soweit das erkennbar war. Ausgelöst von der Fernsteuerung ging das Tor genau in dem Moment auf, indem der SUV recht zügig auf das Grundstück einbog und in der Garage verschwand. Das Tor schloss sich nach kurzer Zeit selbst wieder. Von außen war zunächst nicht zu bemerken, dass jetzt jemand im Haus war. Remsen wollte noch etwas warten; vielleicht ging im Haus das Licht an, sodass klar erkennbar war, dass sich jemand darin befindet.

So war es denn nach einigen Minuten auch. Gleichzeitig wurden an allen Fenstern gleichzeitig die Jalousien heruntergelassen. Remsen machte sich fertig, um wohl wieder eine der bedrückendsten Aufgaben in seinem Job zu erledigen: Die Übergabe einer äußerst schlechten Nachricht an einen nahen Verwandten. Ob der Tote im Wald wirklich Carsten Weilham ist, muss noch geklärt werden.

Nach mehrmaligen Klingeln wurde ihm geöffnet. „Frau Weilham?“ Die Frau in der Tür trat zur Seite und deutete auf eine zweite Frau, die weiter hinten im Haus stand. „Ich bin Kriminalhauptkommissar Remsen, darf ich kurz reinkommen?“ Noch während er die Frage formulierte, stand er bereits im Flur, zückte seinen Ausweis und ließ die zweite Frau an der Eingangstür stehen.

„Frau Weilham, ich würde gerne Ihren Mann sprechen.“

Eva Weilham machte nicht gerade den allerbesten Eindruck. Ihr Gesicht war gerötet, wahrscheinlich stressbedingt; sie hatte verweinte Augen. Auch jetzt war sie wieder kurz davor, in Tränen auszubrechen.

Remsen war durchaus irritiert. Es kann nicht sein, dass sie mehr weiß, als bisher in den Medien zu hören und im Internet zu lesen war. Wir haben keine PK abgehalten, kein Journalist kann bisher mehr wissen.

Ausgeschlossen!

„Der ist gestern nicht wiedergekommen. Wahrscheinlich liegt er in den Armen einer Schnepfe und macht sich ein schönes Wochenende. So ein Schwein, ich will die Scheidung!“

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Serideki Birinci kitap "Jan Remsens erster Fall"
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