Kitabı oku: «Ach los, scheiß der Hund drauf!», sayfa 2
Ohne Abitur zum „stern“
Mein erster Kontakt zur Welt der Medien hieß Erna und war äußerst beeindruckend. Sie war die Redaktionssekretärin des „Bochumer Anzeigers“ und eine sehr attraktive Frau um die 60, für damalige Verhältnisse auffallend geschminkt. Und sie rauchte, was ebenfalls ungewöhnlich war. Erna saß gleich hinter der Tür, an die ich geklopft hatte.
„Guten Tag, ich möchte fragen, ob ich hier mitarbeiten könnte.“
„Tja, da müssen wir mal sehen, ob Herr Schulte da ist.“
Erna, auf deren Tisch eines der drei Telefone stand, über die die Redaktion verfügte, rief bei Redaktionschef Schulte an. Dieser saß zwei Zimmer weiter und war der dickste Mann, den ich bis dahin gesehen hatte.Witzig war, dass dieser nette Typ das kleinste Auto fuhr, was in Westdeutschland auf dem Markt war: den sogenannten Leukoplastbomber Lloyd. Wenn Schulte einstieg, ging das Auto auf der linken Seite erst einmal mächtig runter.
Schulte hörte mich also an und fragte dann: „Was ist denn Ihr Spezialgebiet, wofür haben Sie besonderes Interesse?“
„Sport.“
„Da gehen wir mal zu Hänschen.“
Sportredakteur Hänschen Gräwe war alles andere als begeistert. Er hatte sehr viel zu tun, denn der Sportteil wurde weitgehend von Amateuren gemacht, die über ihre Vereine berichteten. Aufgabe von Gräwe war es, daraus Tabellen zusammenzubauen. Da ich nun aber in der Tür stand, bekam ich einen Auftrag.
„Am Wochenende finden die Hallenhandball-Bezirksmeisterschaften in der Radrennbahn statt. An diesen nehmen sechzehn Mannschaften teil, Schluss ist am Sonntag, 17 Uhr. Ich möchte, dass du mir um 18 Uhr sechzehn Zeilen ablieferst.“
Ich bekam einen Zettel, auf dem stand, dass ich die Meisterschaften für den Bochumer Anzeiger verfolge, und wurde damit in die offene Rennbahn eingelassen. Das ganze Wochenende schaute ich mir alle Spiele an und lieferte nach dem Endspiel pünktlich meinen Text ab, den ich auf der Schreibmaschine getippt hatte. Gräwe schaute sich das an: „Junge, du hast ja wirklich sechzehn Zeilen abgeliefert. Du kannst bleiben. Du kommst am Donnerstag und dann sprechen wir über das nächste Wochenende. Und dann gebe ich dir einen Auftrag.“
Diesen Gesinnungswandel Gräwes hatte ich dadurch hervorgerufen, dass ich genau die gewünschte Zeilenzahl geliefert hatte. Ich habe später als Chefredakteur nie erlebt, dass ein Mensch, den ich um 100 Zeilen gebeten hatte, mit unter 130 Zeilen angekommen wäre. Ich habe mein Leben lang, bei der „Neuen Revue“, bei „Quick“, „Natur“, „Globo“, „Geo“ und dem „ADAC-Reisemagazin“, Texte gekürzt.
Posieren vor dem populärsten Sportler Deutschlands: Max Schmeling, zwischen 1930 und 1932 Boxweltmeister im Schwergewicht, war für uns junge Sportreporter der „BILD“ ein Idol.
Die nächsten zwei, drei Monate schrieb ich jedes Wochenende über ein Fußballspiel. Hänschen Gräwe fand meine Schreibe gut, lediglich beim ersten Beitrag hatte er etwas zu beanstanden. Er deutete auf eine Zeile mit meinem Namen. „Friedhelm Braumann“ stand da.
„Was soll das denn?“
„Das ist mein Name. Ich heiße so.“
„Das ist doch kein Name für einen Sportreporter. Du heißt jetzt Randolph.“
Bei diesem Namen blieb es. Für jeden Artikel bekam ich vier Mark. Nach dem Abzug der Kosten für die Straßenbahn blieben mir 2,80 Mark. Vor allem aber machte mir diese Arbeit als Sportreporter Spaß. Das ist dein Leben, sagte ich mir. Du musst Journalist werden.
Und ich hatte Glück. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung begann zu diesem Zeitpunkt mit ihrer großen Expansion, an deren Ende der WAZ-Konzern stehen sollte. Auch der Bochumer Anzeiger wurde gekauft und ich bekam Kontakt zum sogenannten Hauptsport. Der wurde von Wilhelm Herbert Koch geleitet, der bereits in der Nazizeit eine Rolle gespielt hatte. Im Ruhrgebiet war er populär, weil er eine Kolumne erfunden hatte, die auch heute noch jeder kennt, obwohl es sie schon seit Jahren nicht mehr gibt. Diese war im Ruhrgebietsjargon geschrieben. Das ist kein Dialekt, sondern etwas Einzigartiges; entstanden durch das Zusammenleben so vieler Nationen im Ruhrgebiet und dass man versuchte, alles so einfach wie möglich zu formulieren. Der erste Satz der Kolumne war immer gleich und hieß: „Anton, sacht der Czerwinski für mich.“ Jeder Zweite hieß ja Czerwinski, Maschinski, Gabinski, weil die Hälfte der Bevölkerung polnischer Abstammung war. Und dann kamen Geschichten wie: „Gehsse auch mit die Strümpfe im Bett?“
Wilhelm Herbert Koch fragte mich eines Tages, ob ich nicht Lust hätte, zu ihm in den Hauptsport zu kommen.
„Das wär doch was für dich.“
„Sie meinen, richtig fest angestellt?“
„Ja, natürlich. Du musst allerdings zwei Jahre als Volontär arbeiten. Kriegst nicht viel Geld, aber da musst du durch, wenn du Journalist werden willst.“
Ich sagte zu und kündigte sofort bei Dr. C. Otto & Co. Das Entsetzen meiner Eltern war kaum zu beschreiben. Die hatten mich schon im weißen Kittel gesehen. Mir war aber längst klar gewesen, dass es mit einem Lebenszeitjob in der Kokerei nichts werden würde, weil ich nie die Abschlussprüfung bestanden hätte.
Mein Lehrbetrieb stellte mir eine Beurteilung aus. Im letzten Satz stand: „Herr Braumann hat seine Ausbildung in unserem Haus abgebrochen, um, seiner besonderen Neigung folgend, die journalistische Laufbahn zu ergreifen. Wir wünschen ihm für die Zukunft alles Gute.“
Frohgemut marschierte ich in das Verlagshaus und ging in den Hauptsport. Wilhelm Herbert Koch freute sich, mich zu sehen. „Schön, dass du da bist. Du musst jetzt noch schnell zu Herrn Dujardin, dem Personalchef, um die technischen Sachen klarzumachen. Das ist aber kein Problem.“ Es gab aber ein Problem. Und nicht einmal ein kleines.
„Schule?“
„Jakob-Meier-Realschule.“
„Was ist denn das?“
„Das ist eine Mittelschule.“
„Wo haben Sie Abitur gemacht?
„Abitur habe ich nicht.“
„Abitur haben Sie nicht? Das geht doch gar nicht. Abitur ist Voraussetzung. Sie können ohne Abitur kein Volontariat machen.“
„Ich habe kein Abitur.“
„Da müssen wir gar nicht weiter miteinander reden, dann ist das Thema erledigt. Das tut mir furchtbar leid, aber da gehen Sie mal wieder in Ihre Lehre zurück.“
Völlig niedergeschlagen fand ich mich auf dem Gang wieder. Was sollte nun werden? Bei Dr. C. Otto & Co hatte ich gekündigt. Ich schlich mich zum Hauptsport, um mich von Wilhelm Herbert Koch zu verabschieden. Der schaute mich erstaunt an.
„Was ist denn los?“
„Das war‘s jetzt. Der hat mich nach dem Abitur gefragt und das habe ich nicht.“
„Das darf ja wohl nicht wahr sein.“
Koch fing an zu schimpfen, beorderte mich auf einen Stuhl und verschwand in Richtung Personalverwaltung. Nach zehn Minuten war er wieder da und reichte mir die Hand: „Alles klar, mein Junge.“
Ich hatte das entscheidende Hindernis genommen und war Volontär. In meiner weiteren journalistischen Laufbahn hat mich nie wieder jemand nach dem Abitur oder irgendeinem Abschluss gefragt. Es zählten nur noch die Geschichten, die ich vorzuweisen hatte. Hätte sich damals aber der Personalchef durchgesetzt, wäre ich wohl doch zur Fremdenlegion gegangen und würde heute in einem Legionärs-Altenheim in Frankreich leben.
Kaum hatte ich den Volontärsvertrag, meldete sich der dicke Schulte. Er fände es besser, wenn der junge Mann nicht gleich in den Hauptsport gehe, sondern den Job von der Pike auf lerne, das heißt in der Lokalredaktion Bochum. Dort blieb ich zwei Jahre und verbrachte eigentlich den ganzen Tag in der Redaktion. Neben dem Schreiben kleiner Beiträge bestand meine Aufgabe darin, die Redaktion mit Alkohol zu versorgen. Unmittelbar neben der Redaktion gab es einen Schnapsladen und gegenüber lag die Brauerei. Abends ging ich in die Mettage und half, die Seiten zusammenzubauen. Dabei habe ich sehr viel gelernt, das Überkopflesen beispielsweise. Dieses Bleisystem war wunderbar. Da hat man gesagt: „Was, drei Zeilen zu lang? Lass mal eben gucken. Nimmst du hier eine Zeile weg. Und in dem Absatz kannst du auch kürzen. Hack ab.“
Das Verhältnis zu den Metteuren war gut, obwohl sie mir das letzte Geld aus der Tasche gezogen haben. Die Metteure waren Arbeiter und wir Journalisten waren was Edleres. Da wurde nicht gesagt, der kleine Kerl hat ja überhaupt noch kein Geld, sondern: „Egon, merkst du dat nicht auch, dat ist ja trocken hier.“ Und da sagte ich, ist in Ordnung, habe Bier geholt und dann haben sie gearbeitet.
Meine erste Geschichte war die Verabschiedung einer Studienrätin im Ratskeller „in den wohlverdienten Ruhestand“. Seitdem weiß ich, dass ein Ruhestand grundsätzlich ein wohlverdienter ist. Es gibt den Ruhestand in keiner deutschsprachigen Zeitung ohne das Adjektiv „wohlverdient“. Die zweite Geschichte führte mich in eine Straße der Bergarbeitersiedlung, die Stoodtstraße. Ich schrieb über einen Mann, der fünfzig Jahre unter Tage gearbeitet hatte. In dieser Zeit lernte ich meine spätere Frau kennen, Tochter eines polnischen Bergmanns, und um Dorothea etwas bieten zu können, arbeitete ich erst recht Tag und Nacht, am Wochenende zusätzlich für den Hauptsport. Die Themen konnte ich mir teilweise aussuchen. So schlug ich beispielsweise vor, über die in Belgien stattfindenden Kanu-Europameisterschaften zu berichten.
Nach zwei Jahren wurde ich zum Jungredakteur befördert. Die Bochumer Redaktion wollte mich gern behalten, aber ich wollte nicht länger den Essenholer spielen. Ich teilte der Zentrale in Essen mit, dass ich gern eine andere Lokalredaktion kennenlernen möchte und man schickte mich nach Duisburg. Damit war meine Existenz abgesichert, ich konnte bei meinen Eltern ausziehen und Dorothea heiraten. Wir zogen in die Einliegerwohnung eines gerade fertiggewordenen Eigenheims. Das Haus gehörte dem Ehemann von Dorotheas älterer Schwester und war vom Reichsbund der Kriegsversehrten errichtet worden. Von dort fuhr ich jeden Morgen ganz früh mit dem ersten Bummelzug die 60 Kilometer nach Duisburg. Trotzdem schaffte ich es nicht, ganz pünktlich in der Redaktion einzutreffen. Ich konnte mich noch so sehr beeilen, fünf Minuten kam ich jedes Mal zu spät. Der Lokalchef schaute, wenn ich die Tür öffnete, immer langsam von seinem Schreibtisch auf eine Uhr, die über der Tür hing. „Ach ja, guten Morgen.“ Ein Jahr ging das so, dann habe ich ihm die Sache mit dem Zug erklärt. Er schaute mich verwundert an: „Habe ich Ihnen jemals einen Vorwurf gemacht?“
Mir war klar, dass ich das tägliche Pendeln nicht lange durchhalten würde. Deswegen bemühte ich mich um ein kleine Wohnung in einem Hochhaus in Y-Form, das in Duisburg gerade fertig wurde. Um eine Wohnung zu erhalten, wurde ein Baukostenzuschuss von 3000 Mark gefordert. Ich setzte mich mit dem Personalchef in Verbindung und fragte, ob ich einen Baukostenzuschuss bekommen könne. Der teilte mir mit: „Nein, grundsätzlich nicht.“ Der Traum von der eigenen Wohnung zerplatzte. Aber am selben Tag rief mich ein Mensch aus Essen an, den ich auf dem Fußballplatz kennengelernt hatte: Hans Hornbach.
Er war der Chef der westdeutschen Ausgabe der damals gerade gegründeten „BILD“-Zeitung. „Hättest du nicht Lust, zu uns zu kommen?“, fragte er. Spontan wollte ich Nein sagen. Denn seltsamerweise hatte diese Zeitung von Anfang an, obwohl es ein harmloses Blättchen war, einen schlechten Ruf. Ernst genommen wurden damals nur die klassischen Lokalzeitungen. Ich dachte, wenn du bei „BILD“ anfängst, kannst du das niemandem in deinem Bekannten- und Freundeskreis sagen. Andererseits fühlte ich mich von meinem Arbeitgeber schlecht behandelt. Und hier bot sich eine Chance.
Ich sagte Hornbach also zu. Ich wurde in die „BILD“-Zentrale nach Hamburg zu einem Gespräch gebeten. Auf die Reeperbahn musste ich nicht – ich kannte Hamburg schon, weil ich in der Hauptsportzeit über die deutschen Hallenmeisterschaften der Leichtathletik in Kiel geschrieben und am Sonntagmorgen einen Ausflug nach Hamburg gemacht hatte. Ich konzentrierte mich also auf den Springerverlag, der in einem gerade fertiggewordenen hufeisenförmigen Haus saß. Der Sportchef war mir sofort sympathisch. Er war ein paar Jahre älter als ich, war noch Flakhelfer gewesen und ein aktiver Speerwerfer. Ali Flohr schien von mir auch angetan: „Wollen Sie nicht nach Hamburg kommen? Wir brauchen noch Leute.“ Die Sportredaktion bestand aus vier Männern: Werner Pietsch aus Leipzig, Jürgen Juckel aus Hamburg, Alfred Flohr und Jo Skolik aus Schlesien, der immer sagte, dass er die Polen hasste, weil die ihn verprügelt hatten.
Mein Schreibtisch bei „BILD“. Mit schwarzen Fingern und der frischen Zeitung zogen wir auf die Reeperbahn an unseren Stammtisch in der Washingtonbar“. Die Stimmung war immer sehr gut.
„Nach Hamburg?“, fragte ich entsetzt. Ich war zwar ein Typ, der permanent unterwegs sein wollte, aber aus Bochum wegziehen? Wo doch alle meine Verwandten in Bochum hängengeblieben waren? Das wollte ich erst einmal mit Dorothea besprechen. Die war ebenfalls entgeistert: „Wieso hast du nicht sofort Ja gesagt?“ Meine Frau wollte so schnell wie möglich von der westfälischen Sippe weg, und diese beschimpfte meine polnischstämmige Gattin und versuchte, mich mit ihren Krallen festzuhalten.
Wir flüchteten also nach Hamburg. Damals konnte ich schon einiges vorweisen, beispielsweise Berichte von Europameisterschaften. Dies wusste man in der Chefredaktion der „BILD“. „Was wollen Sie denn verdienen?“, fragte mich der Chefredakteur. Als Jungredakteur bekam ich 438 Mark. Dass das Leben in Hamburg teurer werden würde als in Bochum, war mir klar. Auf die Gefahr hin, rauszufliegen, erklärte ich mutig: „Naja, 600, 700 Mark.“ Der Chefredakteur schlug mir 900 Mark vor und erklärte, dass sie mir auch eine Wohnung besorgen würden. Tatsächlich wurden mir dann drei Angebote gemacht und ich zog mit Dorothea in eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in einem Klinkerneubau an der Alster ein.
Die Stimmung in der Redaktion war sehr gut. Wir haben hervorragend zusammengearbeitet, auch mit den Freien, die an den Wochenenden einschwebten. Am Sonntagabend gingen wir nach Redaktionsschluss in die Mettage und holten den Andruck. Mit schwarzen Fingern und der frischen Zeitung zogen wir auf die Reeperbahn an unseren Stammtisch in der „Washingtonbar“, wo Freddy Quinn seine ersten Auftritte hatte.
Es war eine schöne Zeit. Ich berichtete von internationalen Radsportereignissen, auch von den Olympischen Spielen in Rom. Irgendwann wurde mir aber klar, dass ich nicht mein Leben lang Sportredakteur bleiben konnte. Ausschlaggebend waren diese 50 und 60 Jahre alten Sportredakteure, die schon in der Weimarer Republik tätig gewesen waren und 17-jährige Schwimmerinnen interviewten. Das kam mir komisch vor und ich nahm mir vor, spätestens zu meinem 30. Geburtstag neue journalistische Herausforderungen gefunden zu haben.
Auf einer alkoholgeschwängerten Weihnachtsfeier kam der Schlussakkord von ganz allein. Durch einen später nicht mehr nachvollziehbaren Fehlgriff flog plötzlich meine Schreibmaschine als Wurfgeschoss durch den Raum. Ein Erlebnis, das der damalige Verlagsleiter und spätere Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Verlags, Peter Tamm, nicht vergessen konnte. Ich erstattete die Reparaturkosten und wechselte nach fünf schönen Jahren bei „BILD“ zum „Rheinischen Merkur“ nach Köln. Für die Wochenzeitung hatte ich zuvor schon ab und zu Geschichten geschrieben. Beispielsweise über Urlauber auf den Nordfriesischen Inseln. Ich kam in das Auslandsressort und hatte alle Freiheiten, die man sich als Journalist wünschen konnte. Nur eine Prämisse war einzuhalten: Es durfte nichts kosten. Das war aber kein Problem, denn viele unabhängig gewordene afrikanische Länder luden Journalisten zu Reisen ein. Es gab ständig Freiflüge und ich bin in einem Teil der Welt herumgeflogen und habe Reportagen gemacht. Die Bilder dazu lieferten Illustrierten-Fotografen, die ihre Aufnahmen an Zeitungen verkauften.
Einer dieser Fotografen, Thomas Höpker, machte die „stern“-Redaktion auf mich aufmerksam. Es gebe beim „Rheinischen Merkur“ einen Redakteur, der schreibe auffallend gute Reportagen. Als Beispiel zeigte er einen Bericht über eine Himalaya-Expedition. „Guckt euch den mal an.“ Der Chef des Auslandsressorts, Egon Vacek, zeigte sich angetan und rief mich an: Ob ich Lust hätte, nach Hamburg zu kommen und mir mal den „stern“ anzusehen? Das habe ich dann neun Jahre lang getan.
Vierzig Millionen
für Dr. med. Schumann
Die Meldung, die am 4. November 1966 aus dem Ticker lief, alarmierte die „stern“-Nachrichtenredaktion. Das höchste Berufungsgericht von Ghana hatte einstimmig entschieden, dass der frühere KZ-Arzt Dr. Horst Schumann, Jahrgang 1906, an die Bundesrepublik Deutschland auszuliefern ist. Damit war ein monatelanges Ringen zu Ende gegangen. Denn nicht nur die Westdeutschen waren an dem Fall interessiert, sondern auch die DDR. Bis dahin waren zwei Auslieferungsanträge abgelehnt worden. Schumann galt als Schützling des ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah. Er war inzwischen auch Staatsbürger Ghanas. Aber der Präsident war Anfang des Jahres gestürzt worden und eine der ersten Aktionen der neuen Regierung war die Verhaftung des Arztes gewesen.
Der Fall Schumann sollte mein erster großer Auftrag für den „stern” werden, bei dem ich im Oktober als Reporter angefangen hatte. Und wie immer in meiner weiteren Laufbahn spielten Kontakte eine wichtige Rolle.
Die tägliche Redaktionskonferenz war der Höhepunkt im Alltag der Illustrierten. Alle, die etwas zu sagen hatten oder glaubten, etwas sagen zu müssen, versammelten sich. Der Leiter der Nachrichtenredaktion trug die wichtigsten Informationen des Tages vor. Die Chefredaktion entschied dann, ob wir etwas unternehmen oder nicht.
An diesem Tag kam der Nachrichtenchef mit dieser Meldung aus Ghana und erläuterte, dass dieser Dr. Schumann einer der großen Verbrecher des Euthanasieprogramms der Nationalsozialisten gewesen sei.
Ich hatte zuvor noch nie etwas von einem KZ-Arzt Dr. Schumann gehört, wusste aber, dass es Konzentrationslager gegeben hatte und dass es dort nicht besonders freundlich zugegangen war. Über das Euthanasieprogramm wusste ich dagegen mehr, denn ich hatte den Krieg in einem katholischen Dorf verbracht, dessen Bischof als einziger in Deutschland öffentlich gegen das Euthanasieprogramm protestiert hatte: Das war Bischof Clemens August Graf von Galen, der „Löwe von Münster”. Aber Einzelheiten kannte ich nicht. Mit Geschichte und Politik hatte ich mich zuvor kaum beschäftigt. Das Hinterfragen der NS-Vergangenheit setzte erst mit der Studentenbewegung 1966/67 ein.
Die Chefredaktion war an diesem Dr. med. Schumann interessiert, aber man wusste nicht so recht, wie die Geschichte anzupacken war. Überdies war lediglich bekannt, dass er ausgeliefert werden sollte, aber nicht, zu welchem Zeitpunkt. Unklar war auch, wie es überhaupt in Ghana aussah. Im Januar war Kwame Nkrumah, einer der großen afrikanischen Staatsführer der ersten Jahre nach der Unabhängigkeit, gestürzt worden. Dieser hatte die Auslieferung Dr. Schumanns, der als Urwalddoktor arbeitete, nicht zugelassen, obwohl die Bundesrepublik als Gegenleistung 40 Millionen DM an zusätzlicher Entwicklungshilfe angeboten hatte. Sein Nachfolger, Kofi Abrefa Busia, dachte offenbar anders über die Sache. Er hatte großes Interesse an diesen zusätzlichen 40 Millionen DM und Dr. Schumann war für ihn ersetzbar.
In der Konferenz in Hamburg wurde das alles diskutiert. Auch dass in Ghana noch immer das britische Justizsystem galt, nach dem es für Journalisten verboten sei, ins Gefängnis zu gehen, um Interviews zu führen.
„Kann man da überhaupt etwas tun?”, fragte Nannen. Da meldete ich mich und sagte: „Ich bin mit dem Oberstaatsanwalt von Ghana bekannt.”
In der Runde wurden es totenstill. Bitte? Der kennt den Oberstaatsanwalt? Ich war damals erst 31 Jahre alt, hatte aber das Glück gehabt, für den „Rheinischen Merkur” außenpolitische Reportagen schreiben zu können. Zwar war das Gehalt niedrig, dafür aber waren die Freiheiten für einen Reporter groß. Die Redaktion saß damals in Köln und alles, was an Einladungen aus den Botschaften in Bonn und Köln eintraf, landete bei mir auf dem Schreibtisch. Mir war es überlassen, ob ich zu einem Empfang gehe oder nicht. Und bei einem dieser Treffen in Bonn hatte ich einen Menschen kennengelernt, der sich als Oberstaatsanwalt von Ghana vorstellte und mit dem ich mich später in Köln auf ein Gespräch traf.
Die Regierung der Bundesrepublik hofierte damals sehr die unabhängig gewordenen afrikanischen Länder. Das hing vor allem damit zusammen, dass man fürchtete, diese könnten die DDR diplomatisch anerkennen. Wenn afrikanische Regierungen Journalisten einluden, um von ihren Aufbauleistungen zu berichten, fand sich immer ein Weg für mich, hinfliegen zu können. So war ich drei- oder viermal an der Elfenbeinküste gewesen. Dort hatte ich mich mit dem Presseattaché angefreundet, einem Franzosen – in dieser Zeit waren noch viele Beamte Angehörige der ehemaligen Kolonialmacht. Zu dem habe ich eines Tages gesagt: „Lass uns mal nach Accra fahren. Ich kenne da den Oberstaatsanwalt.” Und so sind wir von Abidjan in die Hauptstadt von Ghana gefahren, haben den Oberstaatsanwalt besucht und gemeinsam zu Abend gegessen.
In der „stern”-Redaktion war man begeistert. Chefredakteur Nannen schaute mich an.
„Trauen Sie sich das zu? Wie wollen Sie vorgehen?”
Ich stotterte herum: „Das weiß ich noch nicht. Ich kann auch nicht garantieren, dass das klappt und ich wirklich an Dr. Schumann rankomme. Ich muss einfach vor Ort sein und schauen, was sich ergibt.”
Langsam kam ich in Fahrt und legte meine Vorgehensweise vor: „Als Erstes müssen Außen- und Justizministerium kontaktiert werden um zu erfahren, wann Dr. Schumann abgeschoben werden soll. Dann werden gewiss Beamte vom Bundeskriminalamt nach Ghana fliegen, um ihn abzuholen.”
Es stellte sich heraus, dass der Termin bereits Mitte November, also binnen einer Woche war. Am nächsten Morgen flogen der Fotograf Michael Friedel und ich nach Ghana. Wir haben die Botschaft kontaktiert und mit dem Presseattaché gesprochen. Dann sind wir zu meinem Oberstaatsanwalt gefahren. Der freute sich riesig, mich zu sehen. Ich erläuterte ihm unser Anliegen.
„Ja, aber ins Gefängnis dürfen Sie nach unserem Rechtssystem nicht. Vielleicht wäre es gut, wenn Sie erst mit dem neuen Ministerpräsidenten sprechen.”
Diesen Vorschlag griff ich gern auf. Es war immer gut, bei Recherchen ganz oben in der Hierarchie anzufangen. Hatte man die Chefs für sich gewonnen, lief alles andere auch. Überdies wirkte die Visitenkarte des „stern”, der damals eine Auflage von wöchentlich zwei Millionen Exemplaren hatte, als verlässlicher Türöffner.
Ich bekam sofort einen Termin beim Ministerpräsidenten. Im Interview ging es ausschließlich um politische Fragen. Erst hinterher fragte ich nahezu beiläufig nach Dr. Schumann und ob man diesen nicht vielleicht besuchen könnte. Kofi Abrefa Busia war einverstanden und wies den Oberstaatsanwalt an, das zu regeln. Der wiederum rief den deutschen Botschafter an, der mitteilte, in zwei, drei Tagen kämen Kriminalbeamte, um Dr. Schumann aus dem Ussher Fort Prison abzuholen und nach Deutschland zu bringen.
Jetzt ging es darum, den exakten Zeitpunkt herauszubekommen, zu dem Schumann abgeholt werden sollte, und kurz davor diese Kriminalbeamten kennenzulernen. Mein Ziel war es, nicht nur über den Abtransport des Arztes zu berichten, sondern mit ihm zu sprechen. Die deutsche Botschaft in Ghana war durch das Auswärtige Amt vorgewarnt und der Botschafter sagte klipp und klar, es bestünde keine Chance, ins Gefängnis zu kommen. Noch abweisender verhielt sich der Presseattaché. Aber das kannte ich von anderen afrikanischen Ländern. In den meisten Fällen half die Botschaft nicht, sondern versuchte eher, Dinge zu verhindern. Die Diplomaten hatten Angst, dass es Schwierigkeiten geben würde, die sie im Nachhinein ausbaden mussten. Und damit hatten sie aus ihrer Sicht durchaus recht.
Mit Hilfe des Oberstaatsanwalts erfuhren wir die Details, auch die von der Botschaft ausgearbeiteten Pläne für den Rückflug. Wir konnten also die Tickets so buchen, dass wir immer im selben Flieger sitzen würden wie Schumann. Mit Ghana-Airways sollte es nach Lagos in Nigeria gehen und weiter mit der Lufthansa nach Frankfurt am Main.
Pünktlich fanden wir uns am 22. November vor dem Gefängnis ein. Das befand sich in einem alten Fort, das die Holländer Anfang des 17. Jahrhunderts errichtet hatten. Wir lernten die beiden Kriminalbeamten aus Deutschland kennen und stellten uns vor. Der eine kam mir sehr bekannt vor. „Sie haben doch mal geboxt?”, fragte ich ihn. Der nickte. „Und Sie waren sogar mal Meister im Halbschwergewicht.” Das Nicken wurde noch freundlicher. „Sie sind ein bekannter Mann.” Das hat ihm geschmeichelt. Wir waren in den Kreis aufgenommen und hatten die erste Hürde gemeistert. Ohne das Wohlwollen der Beamten hätten wir nichts erreichen können.
Zusammen mit dem Oberstaatsanwalt und den Kriminalbeamten sind Michael Friedel und ich in das Gefängnis marschiert, in dem Dr. Schumann seit acht Monaten in einer Zelle saß. Zuvor hatte man uns genau instruiert, was fotografiert werden darf und was nicht. Streng verboten war es, in der Zelle Aufnahmen zu machen. Es war schnell klar, warum. Die Zustände in diesem afrikanischen Gefängnis waren schrecklich, davon sollte nichts nach außen dringen.
Es herrschte eine Temperatur von 40 Grad Celsius bei einer Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent. Im Trakt war es dunkel. Es gab keine Fenster nach außen und die Zellen waren zum Gang hin vergittert. Es war wie in einem Zoo, nur dass hinter den Metallstäben keine Tiere hockten, sondern Häftlinge.
Die Wärter steuerten auf eine Zelle zu, in der vier Leute saßen: drei Schwarze und Herr Schumann. Der spielte gerade mit einem der Männer Schach. Prompt entfuhr einem dieser deutschen Beamten der Satz: „Herr Dr. Schumann, das Spiel ist aus.” Der kippte seinen König um und sagte: „Ja, ist in Ordnung.” Einer der Beamten fragte ganz höflich, ob er auf Handschellen verzichten könne. Schumann, ein weißhaariger, schmaler, unglaublich charmant wirkender, vornehmer Herr, gezeichnet von acht Monaten Gefängnis, nickte. Er werde keinen Ärger machen.
„Wissen Sie, ich habe damit gerechnet, dass ich abgeschoben werde. Und ich bin froh, endlich aus dieser Kloake rauszukommen.”
Er verabschiedete sich von den anderen Häftlingen mit Handschlag. Die Männer fingen bitterlich an zu weinen. Auch Dr. Schumann hatte Tränen in den Augen. Immerhin hatten sie lange Zeit zusammen in dieser kleinen Zelle verbracht und wahrscheinlich hatte er ihnen als Arzt geholfen.
Die Abschiebung von Schumann wurde ganz britisch abgewickelt. Aus einem kleinen Köfferchen wurden die wenigen Sachen herausgeholt, die er bei seiner Verhaftung dabeigehabt hatte. Das durfte Michael Friedel fotografieren. Auch wie sich Schumann einen Schlips umband. Vom Gefängnis fuhren wir direkt zum Flughafen. Dort stiegen wir in eine kleine, zweimotorige DC3 und waren nach einer halben Stunde in Lagos, wo uns zehn Polizisten erwarteten. Diese begleiteten uns zum Flughafengebäude, in dem wir warten mussten, bis die Lufthansa-Maschine startbereit war.
Bis dahin hatte ich mit Dr. Schumann kein Wort sprechen können. Als es jetzt daran ging, die Transitformulare auszufüllen, sah er mir über die Schultern und las, was ich als Beruf eintrug. „Tja”, sagte er, „das ist Schicksal.”
Mir war sofort klar, woran er dachte. Der Auslöser dafür, dass Schumann sich jetzt in dieser Situation befand, war ein Artikel in der Wochenzeitung „Christ und Welt” gewesen. In diesem war der Arzt als zweiter Albert Schweitzer gefeiert worden, weil er im Grenzgebiet von Sudan, Kongo und Französisch-Äquatorialafrika eine Leprakolonie leitete und „an manchen Tagen fünf, an manchen Tagen sieben Stunden” operierte. Durch diesen Beitrag wurden das „Comité International des Camps” und die deutsche Staatsanwaltschaft auf den Mann aufmerksam. Dr. Schumann musste fliehen und gelangte über Nigeria nach Ghana. Hier wurde er erneut von Reportern, diesmal vom „Daily Express”, entdeckt.
Schumann wusste jetzt also, dass ich kein Kriminalbeamter war, sondern ebenfalls ein Journalist.
In der Maschine schaffte ich es, zusammen mit dem Fotografen in eine Reihe mit den Kriminalbeamten und ihrem Gefangenen zu kommen. Damals gab es noch keine vorgeschriebenen Sitzplätze und die Flugzeuge waren auch nicht ausgebucht. Ich schaute immer mal zu Dr. Schumann rüber und lächelte ihn ein bisschen an. Er lächelte zurück. Als nach dem Abendessen die Kabine abgedunkelt wurde, fragte Dr. Schumann den Boxer, ob er sich nicht zu dem jungen Mann – er meinte mich – setzen und ein wenig mit ihm plaudern könne. An Flucht sei in dem Flugzeug ja ohnehin nicht zu denken. Der Beamte war einverstanden. Und so tauschten Dr. Schumann und der Fotograf ihre Plätze.
Dr. Schumann fing an, mir aus seinem Leben zu erzählen. Anfangs habe ich viele Dinge nicht kapiert. Schließlich hatte ich bis dahin geglaubt, dass die Kriegsverbrecher unmittelbar nach Kriegsende verhaftet und in den Nürnberger Prozessen und den nachfolgenden Verhandlungen verurteilt worden waren. Dieser KZ-Mann aber war 1945 als Truppenarzt an der Westfront in amerikanische Gefangenschaft geraten, im Oktober entlassen worden und hatte in Gladbeck im Ruhrgebiet zunächst als Sportarzt für die Stadt gearbeitet und später eine Stelle als Knappschaftsarzt erhalten. In dieser Position hätte er wahrscheinlich als anerkannter Arzt in Pension gehen können, wenn er nicht auf die Idee gekommen wäre, seinen Jagdschein zu erneuern. Dafür benötigte er ein polizeiliches Führungszeugnis. Und dabei kam heraus, dass in seiner Heimatstadt Halle an der Saale, die in der sowjetischen Zone lag, ein Haftbefehl wegen der Euthanasieverbrechen gegen ihn vorlag. Kurz vor seiner Verhaftung wurde Schumann durch einen Justizbeamten gewarnt und konnte sich nach Japan absetzen. Dort erfuhr er, dass im Sudan Ärzte gesucht wurden, und er ging als Urwalddoktor in den Südsudan. Das alles wusste ich aus den wenigen Unterlagen, die ich über Dr. Schumann im „stern”-Archiv gefunden hatte.