Kitabı oku: «Ach los, scheiß der Hund drauf!», sayfa 4
Die Rache des
Bundespräsidenten Lübke
„Allah, das ist Deutschland“ – unter dieser Schlagzeile berichtete der „stern“ über die letzte Auslandsreise des Bundespräsidenten Heinrich Lübke 1968. Mit dem bundesdeutschen Staatsoberhaupt waren auch Fotograf Fred Ihrt und ich unterwegs, mit dem klaren Auftrag festzuhalten, wie Lübke Gastgeber und Protokoll zur Verzweiflung bringen würde. Und davon sollte es auch diesmal wieder genug geben.
Während seiner Amtszeit war der Sauerländer Heinrich Lübke ununterbrochen Gegenstand der kabarettistischen Belustigung. Es ging so weit, dass die Münchner Lach- und Schießgesellschaft mit Dieter Hildebrand nicht mehr im Fernsehen auftreten durfte, weil der Bayerische Rundfunk befürchtete, dass der Bundespräsident in diesen Sendungen beleidigt würde. Und je mehr Lübke in Deutschland Hohn und Spott ausgesetzt war, desto mehr schien er ins Ausland zu flüchten.
Trotzdem frage ich mich heute noch, warum haben wir Heinrich Lübke, Präsident der Bundesrepublik Deutschland, so unbarmherzig verfolgt? Er hatte uns Journalisten nichts getan. Er hatte auch dem deutschen Volk nie etwas Böses angetan. Und bei den Staatsbesuchen im Ausland, von denen es eine ganze Menge gab, ist er ausgesprochen gut angekommen. Jedenfalls haben mir Afrikaner oft gesagt, was für ein sympathischer Mann doch dieser ältere Herr mit den weißen Haaren sei. Andererseits wussten wir Journalisten, dass bei seinen Reden immer etwas Seltsames passierte.
Die Kampagne der deutschen Medien gegen Lübke ging bereits mit seiner Wahl zum Bundespräsidenten 1959 los. Er war bis dahin für Landwirtschaft und Ernährung zuständig und galt als einer der einfältigsten Minister in der Regierung. Bundespräsidentenkandidat wurde er nur, weil Konrad Adenauer, der eigentlich für diesen Posten vorgesehen war, sich plötzlich weigerte. Adenauer war klar geworden, wie nutzlos und politisch unbedeutend dieses Amt war.
Die CDU, die Lübke loswerden wollte, sagte, gut, dann wird er also Präsidentschaftskandidat. Ich kann mich noch an Zeitungsüberschriften erinnern: „Ausgerechnet Lübke!“ Es herrschte unter den Kollegen eine allgemeine Fassungslosigkeit, wie man auf die Idee kommen konnte, ausgerechnet diesen Menschen zu nominieren. Zumal Lübke gegen den populären Intellektuellen Carlo Schmitt antrat, den die SPD präsentierte – damals gab es tatsächlich noch richtig spannende Wahlen.
Was Lübke in den Augen vieler, auch in meinen, verdächtig machte, war, dass er Sauerländer und überdies in einer einklassigen Dorfschule großgeworden war. Sauerländer gelten im Westen als Hinterwäldler. Jeder Westfale erkennt den Sauerländer an seiner Sprache. Er kann nicht einfach „sch“ sagen, sondern spricht beispielsweise Schule als „Sch-chule“ aus. Die größte Stadt des Sauerlandes ist Meschede, da sagt der Sauerländer „Mesch-chede“, die Maschine ist die „Masch-chine“. Es kommt dann noch dazu, dass er kein „G“ wie Gustav sagt, sondern wie ein Holländer spricht: Er geht nicht, sondern er cheht.Letztlich wurde aber Lübke gewählt, weil die Koalitionsparteien CDU, FDP und der damals in der Regierung vertretene Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) eine Mehrheit hatten. Und er wurde 1964 sogar noch einmal wiedergewählt. Dagegen wehrte sich der Leiter des Präsidialbüros. Er sprach etwas aus, was wir in den Redaktionen auch schon diskutiert und geahnt hatten: Heinrich Lübke war schwer krank. Er litt unter Sprechstörungen und Gedächtnisverlust. Aber das wollte niemand hören. Der Büroleiter wurde als Botschafter nach Rom abgeschoben und Lübke sogar von der SPD gewählt. Zuvor hatte es ein legendäres Gespräch zwischen ihm und dem alten Kommunisten Herbert Wehner gegeben, dessen Inhalt eine Frage war: „Wenn wir jetzt mit in die Regierung einsteigen, werden Sie als Bundespräsident doch nichts dagegen haben?“ Natürlich hatte Lübke „nichts dachegen“. So liefen die Spiele in der Bonner Republik.
Lübke hat in seiner Amtszeit reihenweise Staatsbesuche gemacht. Er war beinahe ununterbrochen auf fernsten Kontinenten unterwegs und hat von den Philippinen bis Tschad jedes unabhängige Land besucht. Als ich 1966 zum „stern“ kam, waren seine Sprechweisheiten schon legendär. So nannte er beispielsweise bei einer Japanreise die Millionenstadt Osaka mehrfach in öffentlichen Reden Okasa. So hieß aber ein sehr populäres Potenzmittel. Die Frau des Staatsspräsidenten von Madagaskar, Justine Tsiranana, sprach er mit Frau Tananarive an. So hieß die Hauptstadt. In Liberia begann er 1962 seine Begrüßungsansprache mit den Worten: „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger.“ Das ist alles bezeugt. „Neger“ war damals noch kein Schimpfwort, aber Lübke hat schon einen Unterschied zwischen Negern und anderen Menschen gemacht.
Ich selbst erlebte Lübke beim Abschiedsempfang in Tunesien. Protokollgemäß hatte diesen die deutsche Botschaft organisiert. Eine tunesische Kapelle intonierte zu Ehren des hohen Gastes das Deutschlandlied. Die arabische Instrumentierung gab der ehrwürdigen Melodie Haydns einen orientalisch-melancholischen Klang und die Gäste des Staatsbanketts im „Hotel Tunis“ blickten gerührt auf den netten weißhaarigen Präsidenten jenes Landes, das eine so schöne Nationalhymne hat. Bundespräsident Lübke aber blickte nicht gerührt, sondern böse. Plötzlich drehte er sich zu seinem Dolmetscher um: „Sagen Sie ihm, dass die Musik schlecht ist.“ Dabei deutete er mit dem Daumen zu Tunesiens Präsidenten Burgiba. Dolmetscher Nikolaus Merten zog ein weißes Tüchlein aus der Frackweste, tupfte sich die Schweißperlen von der Stirn, straffte sich und wandte sich strahlend an Burgiba, der sich herüberneigte, weil er glaubte, Lübke hätte etwas Wichtiges gesagt: „Herr Präsident Lübke bemerkt zu Recht, dass die unterschiedliche Interpretation einer Hymne sehr reizvoll sein kann und dass ...“
„Sagen Sie ihm, die Musik spielt falsch.“ Bundespräsident Heinrich Lübke hat reihenweise Staatsbesuche absolviert. Mir gab er nur zögernd die Hand.
„Sagen Sie ihm, die Musik spielt falsch.“
„... Jawohl, also dass eine arabische Kapelle eine europäische Hymne ganz anders spielt, als es etwa eine deutsche Kapelle tun würde ...“
„Was erklären Sie eigentlich dauernd? Sagen Sie ihm, dass die Musik schlecht ist.“
Während er übersetzte, schrieb Dolmetscher Merten hektisch einen Zettel und reichte diesen dem ihm gegenüberstehenden Protokollchef: „Bitte sofort die Tafel auflösen.“ Der wusste, wie er auf den Hilferuf zu reagieren hatte. Schlimmeres war zu verhindern. Hans Schwarzmann setzte sein charmantestes Lächeln auf und sagte: „Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir bedanken uns herzlich. Es war sehr angenehm in Tunesien.“
Es war immer wieder der Dolmetscher, der Aussagen von Lübke geradebiegen musste. Mitunter griff auch Wilhelmina Lübke ein, zehn Jahre älter als ihr Mann, ihm geistig weit überlegen und gut in Fremdsprachen. Sie schnitt kurzerhand dem Dolmetscher das Wort ab und übersetzte an seiner Stelle. So verhinderte sie gleich zu Beginn des Staatsbesuchs in Tunesien einen Fauxpas. Der Mercedes 600 mit dem Ehepaar Lübke, dem tunesischen Präsidenten Habib Burgiba und dem Dolmetscher rollte samt Ehreneskorte vom Flughafen Karthago zur Hauptstadt Tunis. Der Weg führte am Gefängnis vorbei, in dem die Franzosen den Freiheitskämpfer Burgiba 1935 bis 1937 eingekerkert hatten.
„Da drinnen habe ich in den 30er Jahren lange genug gesessen.“
„Verhaftet?“
„Ja.“
„Dann wird er es verdient haben.“
Hier griff der Dolmetscher ein und übersetzte:
„Das war wohl eine schwere menschliche Prüfung für Sie, Herr Präsident.“
Daraufhin hat sich dann Wilhelmina Lübke eingeschaltet: „Heinrich, lass das jetzt. Wir können hinterher darüber reden.“
Als ihm der Präsident später in seinem Arbeitszimmer stolz Fotokopien jener Steckbriefe zeigte, mit denen die Franzosen in den 30er Jahren die tunesischen Freiheitskämpfer gesucht hatten, war auf einer Burgiba zu sehen. Dieser wurde wegen Landfriedensbruchs, Anstiftung zum Aufruhr und zum Rassenhass gesucht. Lübke, am Abend zuvor in Burgibas Bankettrede als „soldat de la liberté“ (Kämpfer für die Freiheit) gefeiert, fand in den Porträts der tunesischen Nationalhelden einen völlig neuen Aspekt: „Die sehen ja aus, als wenn man sie aus dem Keller gezogen hätte.“
Der Kerl hat sich mit seinen 74 Jahren aufgeführt wie ein störrisches Kind. Er wollte immer seine Meinung zum Ausdruck bringen. Mehrfach forderte er Schwarze auf, sich regelmäßig zu „wasch-chen“. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass er die dunkle Hautfarbe darauf zurückführte, dass da irgendwie zu wenig Seifenweißer zugeführt worden war. Das Protokoll hat verzweifelt versucht, ihn irgendwie zu leiten. Er bekam Sprechzettel mit ganz großer Schrift. Er konnte auch schlecht sehen. Aber er ist dann immer vom Manuskript abgewichen.
Beim Ehrenempfang für das Diplomatische Korps in Tunis riet er dem Botschafter der Wüsten-Republik Niger mit vorgehaltenem Zeigefinger: „Sie habe ja in Ihrem Lande so wenig Wasser. Da müssen Sie mal in den Flussläufen bohren.“ Während sich der Bundespräsident dem nächsten Diplomaten zuwandte, flüsterte der Niger-Botschafter dem neben ihm stehenden schwedischen Vertreter zu: „Allah, ca c’est l’Allemagne! – Allah, das ist Deutschland!“
Einer anderen Episode verdanke ich meine langjährige Freundschaft mit dem Präsidenten Togos, Etienne Guassingbe Eyadema. Ich hatte ihn bei einer Recherche kennengelernt, wir waren fast gleichaltrig und einander sofort sympathisch. Gegen Eyadema führte Heinrich Lübke einen privaten Rachefeldzug. Er hielt den 31-jährigen General für den Mörder seines Freundes Sylvanus Olympio. Dieser war als erster Staatschef Afrikas einem Putsch seiner Soldaten zum Opfer gefallen.
Olympio hatte etwas, was Lübke sehr angenehm empfunden hatte: Er sprach nicht nur ausgezeichnet Portugiesisch, Französisch, Englisch und Ewe, sondern auch Deutsch. Das brachte ihm die tiefe Freundschaft Heinrich Lübkes ein, der sich mit diesem Staatsmann wie mit kaum einem anderen Auslandsgast mühelos verständigen konnte. Als dieser Mann am 13. Januar 1963 vor der amerikanischen Botschaft getötet wurde, sann Lübke auf Rache. Den Initiatoren des Putsches sollte kein Deutscher mehr freundschaftlich die Hand drücken. Als dann Anfang 1966 der Staatsbesuch in Togo anstand, dachte sich der Bundespräsident etwas ganz Besonderes aus, um dem damaligen Oberbefehlshaber der Armee, Eyadema, nicht die Hand geben zu müssen. Auf dem Flug von Nigeria in die ehemalige deutsche Kolonie ließ er sich einen Verband um den rechten Unterarm legen und verkündete, sich diesen verstaucht zu haben. Man nahm ihm das auch ab und bei der offiziellen Begrüßung gab es nur ein gegenseitiges Kopfnicken. Enttäuscht waren einige Veteranen der früheren deutschen Schutztruppe, die dem deutschen Präsidenten gern die Hand gedrückt hätten.
Problematischer wurde es bei der großen Feier im Hafen, den die Deutschen bauten. Einige der Gäste, die nahe bei Lübke standen, begannen seine linke Hand zu drücken. Die war ja nicht verbunden. Auch Staatspräsident Nicolas Grunitzky gab Lübke die linke Hand und dann kamen alle Minister, und dann kam Eyadema. Da drehte sich Lübke um und steckte die linke Hand in die Jackentasche.
Die Togolesen empfanden das als anmaßend und beleidigend, schwiegen aber. Zwei Jahre später sollte Eyadema, der inzwischen Grunitzky gestürzt hatte und selbst Präsident geworden war, Deutschland besuchen. Noch immer war Heinrich Lübke Bundespräsident und sann auf Rache. Das hatte übrigens auch während eines Neujahrsempfangs der Botschafter des südafrikanischen Königreichs Lesotho, Kotsokoane, zu spüren bekommen, wie der „Spiegel“ damals genüsslich berichtete. „Mein alter Freund Olympio ist von Ihrem Präsidenten ums Leben gebracht worden.“ Der Botschafter zeigte sich fassungslos: „Nein, nein, das kann nicht sein. Mein Präsident lebt noch.“ Lübke korrigierte, er meine den Vorgänger. „Mein Präsident hat noch keinen Vorgänger, wir sind doch erst vor eineinhalb Jahren unabhängig geworden.“ Lübke soll den Einwand abgewiesen haben: „Ach was, das sind doch alles nur Ausflüchte.“
Vor Eyademas Staatsbesuch in der Bundesrepublik hatte ich ihm beim Bier die Sache mit der verbundenen Hand erzählt. Er konnte sich erinnern, dass ihm das aufgefallen war, aber was der Grund war, wusste er bis dahin nicht. Jetzt hielt er sich den Bauch vor Lachen. Dann heckten wir eine schöne Geschichte für den „stern“ aus. Wir waren ja dicke Freunde und jedes Mal, wenn ich in der Hauptstadt Lomé war, sei es auch nur für einen Tag, gingen wir ins Bayerische Bierhaus zum Essen. Bei offiziellen Terminen lud er mich mehrfach in den Präsidentenpalast ein. Es gibt Fotos, wie ich stramm im weißen Anzug neben ihm stehe, während ein ausländischer Botschafter seine Akkreditierung überreicht. Speziell erinnere ich mich an einen indischen Diplomaten. Der muss den Eindruck bekommen haben, in Togo gibt es wieder einen deutschen Gouverneur.
Im „stern“ erschien dann die Story „Der Streit um Lübkes Hand“. Und wie abgesprochen ließ die togolesische Regierung als Reaktion darauf dem Auswärtigen Amt mitteilen, dass ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen unvermeidlich sei, falls Lübke Präsident Eyadema noch einmal so brüskieren sollte.
Diese Drohung kam an. Als am 7. Mai 1968 Präsident Eyadema in Bonn eintraf, wurde er am Eingang der Villa Hammerschmidt von Bundespräsident Lübke mit Handschlag begrüßt. Nach dem Essen zu Ehren des Gastes wurde dieser demonstrativ zu einer zweiten, privaten Aussprache unter vier Augen für den kommenden Tag eingeladen – eine Ehre, die bis dahin noch keinem afrikanischen Bonn-Besucher widerfahren war. Eyadema sagte mir anschließend: „Der Artikel im ‚stern‘ hat die Luft gereinigt. Die deutsch-togolesischen Beziehungen sind jetzt besser als je zuvor.“
Wie kamen wir Journalisten nun an diese vielen kleinen Anekdoten beispielsweise aus Tunesien heran? Natürlich saßen wir nicht mit Lübke und dem tunesischen Präsidenten im Auto. Aber zumindest zwei aus der Journaille, Peter Koch vom „Spiegel“ und ich vom „stern“, saßen abends mit den Leuten vom Protokoll, vom Auswärtigen Amt und Außenminister Willy Brandt, dessen Kampfname „Weinbrand-Willy“ war, in der Hotelbar. Und dort erzählten alle völlig entnervt, was sich im Laufe des Tages so alles abgespielt hatte. Für alle Beteiligten war klar, dass über diese Peinlichkeiten nicht berichtet werden würde. Wir wollten auch Brandt nicht in Schwierigkeiten bringen, denn für vieles hätte allein er die Quelle sein können.
Als ich aber in Hamburg in der Redaktion saß und meine Geschichte schrieb, flossen mir diese Anekdoten automatisch in den Text. Und ich fand sie gut, als ich am Ende alles las. Mir war klar, dass das mein Chefredakteur toll finden würde. So war es auch. Kurz vor dem Druck klingelte plötzlich mein Telefon. Peter Koch vom „Spiegel“ war dran – es musste also Verräter bei uns gegeben haben – und beschimpfte mich heftig: „Du Sau, du hast die Sachen doch geschrieben. Jetzt bleibt mir gar nichts anderes übrig, als auch alles auszupacken.“ Er bezeichnete mich noch als einen außerordentlich unmoralischen Menschen. Mit Koch sollte sich auch nie wieder ein kollegiales Verhältnis einstellen, was später für mich tragische Folgen hatte. Denn Peter Koch war ausgerechnet zu einem Zeitpunkt Chefredakteur des „stern“ geworden, als ich einen Job suchte. Koch ist dann selbst ein Opfer der gefälschten Hitlertagebücher geworden. Von ihm stammt das berühmte Zitat, dass die Geschichte des Dritten Reiches in großen Teilen neu geschrieben werden müsse. Er starb schon 1989, gerade mal 50 Jahre alt.
Der Tunesienbesuch war die letzte Auslandsreise Lübkes. Im Oktober 1968 kündigte er aus Krankheitsgründen seinen Amtsverzicht zum 30. Juni 1969 an. Das war ein paar Monate vor dem offiziellen Ende der Amtszeit. Uns Journalisten blieb nicht einmal dieses Triumphgefühl, wie es die Kollegen der „BILD“ genießen konnten, als sie Bundespräsident Christian Wulff zur Strecke gebracht hatten. Lübke tauchte einfach unter. Die erste Nachricht, die man wieder von ihm hörte, war die seines Todes. Er wurde auf dem Dorffriedhof von Enkhausen im Sauerland begraben. Heute ist die Erinnerung an ihn vergangen, aber er hat zehn Jahre die Bundesrepublik erheitert.
Randy fehlt auf der Liste –
Wie der BND und der MI6 um
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Der Job von Journalisten ist es, neugierig zu sein, zu recherchieren, Fragen zu stellen. Schon deswegen sind Menschen, die Derartiges tun, für jegliche Geheimdienste der Welt interessant. Potenziert wird das, wenn sie als Reporter durch die Welt jetten und sich gar mit fremden Präsidenten und Diktatoren treffen. So wurde auch ich eines Tages von einem Kollegen angesprochen. Es war zu Zeiten meiner Tätigkeit beim „Rheinischen Merkur“ in Köln, wo man sehr förmlich miteinander umging: „Herr Braumann, Sie sind doch häufiger in Afrika. Ich habe da gewisse Kontakte zum Bundesnachrichtendienst, die würden gern mit Ihnen zusammenarbeiten. Hätten Sie etwas dagegen, wenn einer der Herren mit Ihnen demnächst Kontakt aufnimmt?“
„Ja, darf er“, meinte ich großzügig. Einen richtigen deutschen Schlapphut wollte ich schon immer einmal kennenlernen.
Es meldete sich tatsächlich ein BND-Mitarbeiter und wir trafen uns in der Redaktion. Das Erste, was mir auffiel, war dessen seltsame Kleidung. Die war überhaupt nicht elegant, sondern eher schäbig. „Die müssen eine Kleiderordnung haben, nach der man besonders durchschnittlich aussehen sollte, um als Agent dieses Dienstes in der Öffentlichkeit zu erscheinen“, dachte ich mir. Überdies schien dieser Agent ein durch und durch spießiger Mensch zu sein. Noch dazu stellte er sich auf eine amateurhafte Weise vor: „Schmidt.“ Einige Minuten später erzählte er, er heiße eigentlich Lehmann. Aber beim Geheimdienst sei es so, dass man bei Kontakten außerhalb unter einem Tarnnamen auftrete.
Irgendwie kam ich mir veralbert vor. Dieser Schmidt-Lehmann entsprach so gar nicht meinen Vorstellungen von einem Geheimdienst. Das waren offenbar Amateure. „Nein, mit denen möchte ich nichts zu tun haben“, beschloss ich innerlich. Trotzdem ließ ich mich auf ein weiteres Treffen eine Woche später ein. Mein Agent wurde diesmal von einem Kollegen begleitet, der zog die gleiche Nummer ab: Er heiße eigentlich Meier, trete aber heute unter dem Namen Fleischer auf. Das reichte mir. Ich sagte den beiden Herren ab.
Ein paar Jahre später, ich war inzwischen Redakteur beim „stern“ in Hamburg, wurde der BND erneut vorstellig. Diesmal in Form eines Mannes, den ich vom „Rheinischen Merkur“ her kannte und von dem ich wusste, dass er ein Resident war, also ein festangesiedelter Agent des Bundesnachrichtendienstes. In Hamburg trat er als freier Journalist auf. „Herr Braumann, vielleicht wird es ja diesmal etwas mit uns. Sie sind jetzt für den „stern“ tätig und kommen viel mehr in der Welt herum und können uns viel mehr liefern, wie sieht es mit einer Zusammenarbeit aus?“, fragte er mich. Ich willigte erneut in ein Gespräch ein. Wir trafen uns in der Wohnung des Residenten.
„Wie sieht das eigentlich finanziell aus, wenn ich Ihnen Informationen verschaffe?“, fragte ich gleich. Schließlich war das eine Sache, die nichts mit Moral zu tun hatte, sondern allein mit Geld. Der Agent eierte rum. Gewiss, sie würden mich natürlich bezahlen, aber eine konkrete Summe könne er nicht nennen. Und wieder war das Auftreten eines BND-Mitarbeiters ausgesprochen amateurhaft. Dazu kam, dass ich inzwischen wusste, dass der westdeutsche Geheimdienst von alten Nazis und SS-Leuten aufgebaut worden war und Hunderte hier noch ihre Arbeit versahen. Der Verein sagte mir überhaupt nicht zu und ich verneinte endgültig.
Wie richtig ich gehandelt hatte, zeigte sich ein paar Jahre später. In der Bundesrepublik hatten sich die politischen Vorzeichen geändert. Willy Brandt und Walter Scheel hatten zum großen Entsetzen von Bundeskanzler Kiesinger eine rot-gelbe Koalition gebildet. 1969 wurde Horst Ehmke Kanzleramtsminister und versprach in der Öffentlichkeit, mit eisernem Besen in den Ministerien und speziell in dem ihm unterstehenden Bundesnachrichtendienst zu kehren. Und das tat er. Der Dienst wurde neu organisiert und zahlreiche Leute wurden entlassen. Es geschah aber auch etwas, was Geheimdienste eigentlich nie machen: Es wurden Geheimnisse preisgegeben. So bekam Ehmke beispielsweise die Liste mit den Namen aller westdeutschen Journalisten, die für den BND arbeiteten. Der SPD-Mann war eng mit Manfred Bissinger befreundet, dem damaligen stellvertretenden Chefredakteur des „stern“. Dem sagte er eines Abends in gemütlicher Runde: „Da sind ja etliche aus deiner Redaktion für den BND tätig.“ Bissinger, der Revolutionär und führende Linke in der Redaktion, wurde sofort hellhörig. Das würde ihn schon sehr interessieren, wer da auf der Liste stünde. Und Minister Ehmke hat den Geheimnisverrat fortgesetzt und erzählt, wer von den „Gruner + Jahr“-Journalisten beim BND unter Vertrag stand. Darunter befand sich unter anderem ein Mann namens Steinmeier, der als Korrespondent für „stern“ und „Die Zeit“ in Moskau saß. Der bekam sage und schreibe 10.000 DM monatlich vom Bundesnachrichtendienst. Steinmeier kannte ich. Das war ein älterer Herr, kriegsversehrt, mit einem Holzbein. Wenn der dem BND so viel wert war, dachte ich mir, musste er ja heftig Informationen geliefert haben. Aber dies aus einem Land, dessen Geheimdienst in einer ganz anderen Liga spielte als der deutsche? Irgendwie bot sich die Vorstellung an, dass da jemand auf zwei Schultern getragen wurde.
Es gab eine herrliche Szene, als Manfred Bissinger zu mir ins Redaktionszimmer kam. Er legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: „Gratuliere, das hätte ich nicht gedacht, dass du nicht dabei bist. Du stehst nicht auf der Liste.“ – „Welche Liste?“, fragte ich erstaunt. „Auf der BND-Liste.“ Weil ich diesen Hype um Willy Brandt nicht mitmachte, galt ich als Faschist und ein solcher musste in den Augen Bissingers natürlich auch für den BND arbeiten. Nun räumte er ein, sich getäuscht zu haben.
Ich verzieh Bissinger und arbeitete weiter an meinem Bericht für den MI6, den britischen Auslandsgeheimdienst. Denn natürlich hatte ich den Verlockungen nicht widerstehen können. Das hing mit dem charmanten Geschäftsmann Anthony Divall zusammen. Kennengelernt hatte ich ihn während des Biafra-Kriegs. Als dieser begann, war Biafra noch von keinem unabhängigen afrikanischen Land anerkannt worden. Deswegen war es kompliziert, hinzukommen. Die Hilfsflugzeuge, die von Lissabon aus flogen, mussten entweder auf damals portugiesischem oder spanischem Gebiet zwischenlanden, also entweder auf Sao Tomé oder Fernando Po vor der afrikanischen Westküste. Erst im Laufe des Jahres 1967 verbesserte sich die Situation, weil die Elfenbeinküste diplomatische Beziehungen mit Biafra aufnahm und nun dort Station gemacht werden konnte.
Bei den Reisen nach Biafra übernachtete ich häufig im Hotel „Tivoli“ in Lissabon. Zur Übernachtung gehörte stets ein abendlicher Barbesuch, denn zu dieser Zeit war ich ein großer Anhänger des Barlebens. Es war für mich völlig unvorstellbar, in einem großen Hotel ins Bett zu gehen, ohne zuvor an der Bar gewesen zu sein. Auch war das für die Kontaktpflege wichtig. Schließlich war es nicht selbstverständlich, dass Reporter von einer der von Hilfsorganisationen gecharterten Maschinen mitgenommen wurden. Aber ich hatte enge Kontake zur katholischen Caritas Internationalis, die einen Großteil der Flüge nach Biafra bezahlte, weil dort vor allem Katholiken lebten. An der „Tivoli“-Bar lernte ich eines Abends den Engländer Anthony Divall kennen und bald auch schätzen. Für die nächsten 30 Jahre zählte er zu meinen besten Freunden.
Tony war Unternehmer und hatte ein eigenes Flugzeug, mit dem er Hilfsflüge in die Kriegsgebiete der ganzen Welt organisierte. Er hatte die Luftbrücke des eingetragenen Vereins „Fördergesellschaft Afrika“ nach Biafra organisiert sowie Flüge in den Südsudan, wo animistische und christliche Schwarze gegen die Vorherrschaft der mohammedanischen Nordsudanesen rebellierten. Und natürlich flog er auch Waffen nach Biafra. „Wir sind nicht auf Milchpulver-Transporte spezialisiert“, sagte er einmal. Ich selbst bin mit ihm mehrere Male nach Afrika geflogen.
Vor allem aber hatte Anthony Divall eine interessante Geschichte. Als 18-jähriger Royal-Marine war er nach Deutschland gekommen und hatte uns befreit. Als seine Einheit auf den Elbwiesen bei Lauenburg erfuhr, dass der Krieg zu Ende sei, wollte er in Deutschland bleiben und meldete sich zum militärischen Geheimdienst, dem Military Intelligence Service, Section 6 (MI6). Er wurde nach Berlin versetzt und arbeitete dort in den ersten zwei, drei Nachkriegsjahren. Dann aber machten die Briten die für sie schreckliche Entdeckung, dass der Berliner Büroleiter ein Doppelagent war und sie lösten das Büro komplett auf. Fortan war Anthony Divall als freiberuflicher Waffenhändler tätig und wurde vom MI6 immer dann eingesetzt, wenn Großbritannien irgendwelche Bewegungen mit Waffen unterstützen wollte, das aber nicht bekannt werden sollte.
Irgendwann fragte mich Tony, ob ich mir vorstellen könnte, ihm hin und wieder Informationen zu liefern. Er spielte gleich mit offenen Karten: „Ich bin eine Art Relaisstation für den MI6 und du, Randy, bist häufig in afrikanischen und arabischen Ländern unterwegs. Und was da passiert, interessiert uns Engländer sehr.“ Nun war mir Divall sympathisch und irgendwie auch der britische Geheimdienst. Ich wusste einiges aus Kriminalromanen und auch James Bond war schon erfunden. Das Ganze erschien mir seriös.
Ich lieferte Tony also die ersten Informationen und die waren offenbar gut, denn nach einiger Zeit wurde mir mitgeteilt, dass mich ein Geheimdienstmitarbeiter aus London kennenlernen möchte. Es war ein gewisser Donald, er kam nach Hamburg und ich habe mit ihm die Reeperbahn besucht. Der Brite war hin und weg. Hamburg war damals meines Wissens die einzige Stadt der Welt, wo auf der Bühne echter Sex gezeigt wurde. Das war eine Attraktion weltweit und das wollte man sehen. Donald kam bald öfters nach Hamburg und bat mich stets, mit ihm die Reeperbahn zu besuchen. Auch ich freute mich auf seine Besuche, denn er brachte immer einen Briefumschlag mit meinem Agentenlohn mit. Das war für mich sehr schönes privates Geld, über das ich mit meiner Familie nicht redete, das für mich privat zur Verfügung stand. Unter anderem auch für den einen oder anderen Besuch der Reeperbahn.
Die Zusammenarbeit mit dem MI6 lief sehr sauber und professionell ab. Die Geschichte endete erst Jahre später mit dem Falklandkrieg 1982. Ich arbeitete für das Reportagemagazin „Geo“, als die Briten zu mir mit einem sehr gut durchdachten Vorschlag kamen. Man habe gewisse Kontakte zu meinem Chefredakteur und es gebe die Möglichkeit, dass dieser mir vorschlage, eine mehrwöchige Reportagereise durch Patagonien zu machen. Dabei sollte ich die Küste entlangfahren und mir alles notieren, was mir an argentinischen Artillerie- und Raketenstellungen auffalle. Nun war aber auch in Deutschland bekannt, wie die Stimmung in Argentinien war und dass die dort regierende Militärjunta Jagd auf Spione machte. Einige waren schon geschnappt und zu Gefängnisstrafen von bis zu 30 Jahren verurteilt wurden. Dass ich mich einem solchen Risiko aussetzen sollte, behagte mir gar nicht. Das war mir wirklich zu gefährlich und ich beschloss, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, die Zusammenarbeit mit dem MI6 zu beenden. Die waren einverstanden. „Okay. Wir verstehen das. Sache erledigt. Mund halten.“ Es wurde ein Schlussstrich gezogen und es galt für beide Seiten das Schweigegebot. Wir trennten uns als Freunde. In summa waren unsere 15 Jahre Zusammenarbeit davon geprägt, dass beide Seiten profitierten. Ich jedenfalls kann mich nicht beklagen.