Kitabı oku: «Langeooger Dampfer», sayfa 4
8.
Inselbahn und Fähre waren nichts für Ungeduldige, das wusste Stahnke aus Erfahrung. Er war kein geduldiger Mensch. Gut, er konnte sich dazu zwingen, geduldig zu sein, wenn es sein musste. Das aber war eine rein rationale Angelegenheit. Von seinem Wesen her jedoch war er ein impulsiver Mensch. Tief in ihm drin brodelte ein Vulkan. Und der stand mal wieder kurz vor dem Ausbruch.
Noch in der Bahn hatte Lüppo Buss ihn aufgeklärt, worum es ihm ging und was ihn so eilig nach Bensersiel trieb. Während sie in der Schlange beim Abfertigungsgebäude darauf warteten, dass die Fähre sich endlich all der Urlaubermassen entledigt hatte und sie an Bord gehen konnten, hatte er ihm auf seinem Smartphone gezeigt, worauf er im Internet gestoßen war. Die Postings waren nur laienhaft anonymisiert. Stahnke hatte durch die Zähne gepfiffen: »Maik Schubert, aha. Mein lieber Mann, ganz schön heftig.« Der Inselpolizist hatte mit düsterer Miene genickt.
Die Fährtour zog sich dann hin, dass es körperlich schmerzte. Das erste Stück der Strecke ging ja noch; da ließ die dröhnende Maschine das Schiff vibrieren, da zerstampfte der Bug die Seegatt- und Wattenmeerwellen zu weißem Schaum und heller Gischt. Das gab ein gutes Gefühl, da kam man richtig voran.
Dann aber kam der Hafenschlauch. Das war das Stück der Fahrrinne, das zwischen Steindämmen verlief, damit das Fahrwasser nicht ständig vom nachdrängenden Schlick verstopft wurde. Je mehr die Flüsse vertieft wurden, um immer gewaltigere Containerriesen, Tanker und Kreuzfahrtschiffe aufzunehmen, desto mehr Schlick sammelte sich im Wattenmeer. Klar, dass man die Fahrrinnen davor schützen musste. Das Fahren in diesen Rinnen war nur in langsamem Tempo möglich. Und das zerrte gewaltig an den Nerven.
So richtig nervig jedoch wurde es, als sie endlich in Bensersiel angekommen waren und sich ausgeschifft hatten. Der Campingplatz war schnell gefunden – kein Problem, denn er war riesig. Was jedoch nicht zu finden war, war jemand, der ihnen die gewünschte Auskunft geben konnte. Wen immer sie auch zu fassen bekamen, kannte sich entweder nicht aus, hatte keinen Zugang zum Büro, kannte das Passwort für den PC nicht oder verstand schlicht kein Deutsch. Es war zum Verzweifeln. Vulkan Stahnke drohte jeden Moment auszubrechen.
Als sie endlich vor dem richtigen Wohnwagen standen, war schon der Abend angebrochen. Die Bewohner, nach denen sie gesucht hatten, waren anwesend. Und die des benachbarten Wohnmobils auch. Lauter junge Männer zwischen 25 und 30. Man hätte sie für Teile einer Fußballmannschaft halten können; was sich da unter den verblichenen Trikots wölbte, ließ jedoch eher auf Fußballfans schließen als auf Aktive. Ebenso die Tatsache, dass die zwei zusammengestellten Campingtische zur Abendbrotzeit mit vollen und leeren Bierdosen und Chips-Tüten bedeckt waren. Die Tischgespräche, laut und aggressiv geführt, verstummten augenblicklich, als die beiden Ermittler die Campingparzelle betraten. Kein Wunder, war Lüppo Buss doch wie stets in Uniform. Sechs Augenpaare starrten ihn und Stahnke an, die meisten blutunterlaufen.
»Guten Abend, die Herren«, grüßte der Inselpolizist betont korrekt. »Ich bin Oberkommissar Buss, das hier ist Hauptkommissar Stahnke. Wir würden gerne mit Herrn Schubert sprechen. Maik Schubert. Ich nehme an, das ist einer von Ihnen?«
Keine Antwort. Jedenfalls keine verbale. Dass sich Arme und Schultern anspannten, Augen zusammengekniffen und Unterkiefer vorgeschoben wurden, konnte durchaus als Antwort gewertet werden. Das Schweigen der Gruppe aber hielt an, und es wurde von Sekunde zu Sekunde bedrohlicher.
Was Lüppo Buss ganz betont ignorierte. Er zückte sein Smartphone und wischte kurz über das Display. »Maik Schubert, oder sollte ich sagen: MaityMaik?«, ergänzte er. »Ihr Profilbild zeigt zwar eindeutig eine Bulldogge, aber zum Glück haben Sie auch einige Partyfotos gepostet. Mit Begleittext. Demnach müssten Sie Maik Schubert sein, stimmt’s?« Er nickte dem jungen Mann zu, der ganz rechts saß, die Ellbogen auf den Tisch und das Kinn auf die Fäuste gestemmt.
»Wer will das wissen?«, fragte der zurück. Seine Worte klangen verwaschen, was an seinem aufgestützten Kinn liegen mochte. Vielleicht auch an den leeren Bierdosen.
»Oberkommissar Buss und Hauptkommissar Stahnke. Wie schon erwähnt«, erwiderte der Inselpolizist freundlich lächelnd.
Oha, dachte Stahnke. Lüppo provozierte. Wenn das mal gut ging!
Ging es nicht. Der Angriff kam sogar schneller als erwartet, und er kam überraschenderweise von links. Einer der Burschen, die den Ermittlern zunächst den Rücken zugewandt und sich dann zu ihnen umgedreht hatten, katapultierte sich förmlich aus seinem Campingklappstuhl hoch. Für einen Sekundenbruchteil nahm Stahnke ein hassverzerrtes Gesicht und gefletschte Zähne wahr, dann folgte der Schlag. Eine mörderische Rechte, unmöglich abzublocken.
Jedenfalls für ihn. Der Schlag jedoch galt nicht Stahnke, sondern Lüppo Buss. Vielleicht auch dessen Uniform. Der Kopf des Inselpolizisten zuckte im letzten Moment nach rechts; der Hieb verfehlte Kinn und Nase, streifte jedoch sein linkes Ohr und brachte den Inselpolizisten aus der Balance. Vom eigenen Schwung vorwärts getrieben, rauschte der Körper seines Gegners auf ihn zu, bestimmt zwei Zentner Muskeln im Speckmantel. Keine Chance mehr auf einen Konterschlag, registrierte Stahnke. Lüppo Buss drohte der Infight. Gegen solch ein Viech von einem Gegner kam das einem Glücksspiel gleich. Der Inselpolizist aber war kein Spieler. Im letzten Augenblick fuhr sein Kopf nach vorn, seine Stirn traf das Nasenbein des Angreifers. Mit unterdrücktem Schmerzgeheul taumelte der zu Boden, beide Hände auf sein Gesicht gepresst. Zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor.
Die Reaktion der Tischrunde ließ nicht auf sich warten. Als Erster schoss der Mann rechts von Stahnke in die Höhe. Günstig, dachte der Hauptkommissar, trat einen Schritt vor und rammte ihm seinen Ellbogen gegen die ungedeckte Stirn. Diesmal gab es kein Geheul. Der Mann sackte stumpf und stumm zu Boden.
Stahnke musterte die verbliebenen vier Männer am Tisch. Sie saßen da wie erstarrt.
Der Hauptkommissar wechselte einen Blick mit seinem Kollegen. Der hatte gerade sein Smartphone gezückt. Auf Stahnkes Wink hin stoppte er in der Bewegung, senkte seinen Daumen nicht auf das Anruf-Symbol. Fragend hob er die Augenbrauen.
Stahnke warf einen prüfenden Blick in die Runde. Die Doppelparzelle der Männerrunde war gut abgeschirmt, dichte Büsche und die Wände der umstehenden Campingmobile sorgten für Sichtschutz. Der allgemeine Lärmpegel um sie herum war hoch genug, um Kampfgeräusche und Schmerzlaute zu verschlucken. Bisher hatte offenbar niemand wahrgenommen, was sich hier abgespielt hatte.
»Also gut«, sagte Stahnke und fixierte dabei den Mann, der mutmaßlich Maik Schubert hieß. »Mein Kollege kann jetzt die 110 anrufen – oder die 112. In dem Fall haben die beiden Kollegen beim Bierholen nicht aufgepasst und sind mit ihren Klotzköpfen aneinandergerummst. Die anderen halten ihre versammelten Schnauzen, und wir drei Hübschen« – seine Handbewegung schloss Lüppo Buss, Schubert und ihn ein – »ziehen uns zurück und führen ein vertrauliches Gespräch. Mehr nicht, erstmal jedenfalls. Deal?«
Keine Reaktion. Die vier Männer am Tisch schienen dauerhaft eingefroren zu sein.
»Dann eben 110«, sagte Stahnke. »Dann weiß ich schon, wer heute Nacht härter schläft als sonst. Und wer weiß, vielleicht für länger.«
Der Mann mit dem gebrochenen Nasenbein richtete sich stöhnend auf, seine Augen über den blutverschmierten Fingern vor Schreck geweitet.
»Okay«, ließ sich Maik Schubert vernehmen. »Okay, einverstanden. Holen Sie den Krankenwagen, dann reden wir.«
Wie zur Bestätigung stöhnte auch der zweite Mann, der zu Boden gegangen war, und begann, sich hochzustemmen. Das dauerte eine Weile.
Stahnke nickte Lüppo Buss zu. Der drückte die Ruffunktion seines Handys und wandte sich ab.
»Ach, eine Sache noch, während wir warten«, ergänzte Stahnke. Er nickte zweien der jungen Männer zu, die sich bisher nicht am Geschehen beteiligt hatten. »Sie können mir noch etwas bringen.«
»Was?«, fragte einer der Angesprochenen. Ton und Haltung ließen keinen weiteren Widerstand erwarten.
»Die Klokassetten«, erwiderte Stahnke. »Die aus dem Wohnwagen hier und die aus dem Wohnmobil. Und ehe ihr fragt: Nein, ihr braucht sie nicht auszuleeren.«
9.
Der Mord an Robin Seefeld war Thema Nummer eins im »Dwarslooper« an diesem Abend. Längst waren die ersten Berichte in Funk und Fernsehen gelaufen. Da die Polizei sich partout nicht zur Art und Weise der Tötung äußern wollte, machten wilde Gerüchte die Runde.
»Bestimmt haben die ihn mit einem seiner Treibholz-Machwerke erschlagen«, tönte der dicke Schmidt, der in kleiner Runde das große Wort führte und beim Gestikulieren ständig Bier auf sein ohnehin schon fleckiges Hemd schüttete. »Was soll dieser Müll überhaupt darstellen? Ehrlich, da graust es doch den Kunstsachverständigen!«
»Und wer soll das sein, dieser Kunstsachverständige?«, fragte Ocko Onken scheinheilig. »Wohnt der hier? Bist du dem schon mal begegnet?«
»Immerhin hat Robin den Strand von dem angeschwemmten Zeug gesäubert. Das muss man doch anerkennen«, warf Klaas Reershemius ein. Er war schon im Gehen – vielmehr wurde er gerade gegangen, denn seine Gertrud schleifte ihn förmlich aus dem Lokal. Offensichtlich war sie der Ansicht, ihr Gatte hätte für heute genug gehabt, und ihre Ansicht war die, die zählte.
Sina nahm am Tresen ihr Alster entgegen und wühlte sich durchs Getümmel, weg von der ewig lästernden Viererbande, dorthin, wo sie Bea vermutete. An einem Abend wie diesem brauchte sie jemand Vertrautes. Stahnke war ja nicht hier. Und Marian konnte sie auch nirgends entdecken. In einer der Sitznischen nahm sie ein Pärchen wahr, das in ein intensives Gespräch vertieft war. Albern, diese Partner-T-Shirts, dachte sie und wollte sich weiter zwischen den anderen Gästen hindurchdrängeln. Dann fiel ihr ein, dass sie diese rot-weiß geringelte junge Frau heute schon gesehen hatte. Als die Frau sich vorbeugte, näher ans Ohr ihres Gesprächspartners heran, erhaschte Sina unauffällig einen Blick auf ihren Rücken. »Prinz Heinrich«, aha, alles klar. Das verheulte Mädel mit dem blauen Auge! Ihr Make-up hatte sie inzwischen restauriert, der dunkle Schatten rund um das Auge war nur noch zu erahnen. Und wer war dieser Kerl mit den breiten Schultern und dem trapezförmigen Oberkörper? Womöglich der, der ihr diesen Augenring verpasst hatte? Die beiden waren immerhin Besatzungsangehörige desselben Schiffes. Gehörte so etwas dort womöglich zum guten Ton? Unglaublich, wie vor hundert Jahren!
Jetzt legte der Typ seine Riesenpranke um den Hinterkopf des Mädels und zog sie zu sich heran. Wollte er sie etwa küssen? Ja, allerdings, und er tat es auch. Sie ließ es sich gefallen. Na ja, nicht so ganz, denn sie drehte ihr Gesicht so, dass der Kuss auf ihrer Wange landete. Aber echte Gegenwehr sah anders aus.
»Ach, die arme Tinka!« Unvermutet ragte Bea Wulf neben Sina auf, ein Weizenbierglas in der Hand. »Sie leidet natürlich doppelt.«
»Doppelt? Es ist aber doch nur das eine Auge, oder?« Sina verstand nur Bahnhof.
»Auge?« Völlig ungeniert musterte Bea die junge Frau in der Nische. »Stimmt, du hast recht! Ob Kante ihr eine gefenstert hat? Na warte, dieser Lump, dem sollte man …«
Sina kannte Beas aufbrausende Art ebenso gut wie ihren Beschützerinstinkt gegenüber Geschlechtsgenossinnen und schob sich ihr schnell in den Weg. Zum Glück beruhigte sich die Gastwirtin stets ebenso rasch, wie sie sich echauffierte. »Ja, schlimm, echt!«, stimmte Sina ihr zu. »Aber wieso denn eigentlich?«
»Wieso? Na, weil Tinka doch mit Karl zusammen ist!«
»Wer ist denn Karl? Und wieso ist das ein Grund?«
Bea stöhnte über so viel Uninformiertheit. »Karl Antes ist Kante, der Typ da mit den Schultern! Mit dem ist Tinka zusammen, ein halbes Jahr schon. Aber ich weiß aus sicherer Quelle, dass sie außerdem nebenbei was am Laufen hatte.«
»Deswegen das blaue Auge, aha.« Sina verzog das Gesicht. Was waren das nur für Kerle, die Frauen als ihr Eigentum betrachteten! Oder als Leibeigene, die man züchtigen durfte. Unglaublich, in welchem Land und in welcher Epoche lebten die denn! Dann endlich dämmerte ihr etwas. »Nebenbei was am Laufen? Du meinst doch nicht etwa …«
»Doch, das meine ich.« Beas Miene verdüsterte sich. »Mit Robin. Robin Seefeld. Unserem kleinen grünen Umweltkämpfer Robin Hood.« Ein tiefer Seufzer dehnte ihre Brust; Sina musste ihr Glas eilig in Sicherheit bringen. »Ich hab die beiden mal beobachtet, ganz zufällig natürlich. Total süß waren die zusammen. Das hat echt richtig gepasst mit denen.«
»Ach herrje.« Sina wurde sich bewusst, dass sie Tinka und Karl seit Sekunden anstarrte. Zum Glück hatte Karl, genannt Kante, nur Augen für Tinka, und die hielt ihren Blick gesenkt. »Und was hat dieser Kante dazu gesagt?«
»Na ja, Kante ist kein Freund vieler Worte, auch wenn das im Moment ganz anders aussieht«, sagte Bea. »Und ein Schnellmerker ist er auch nicht. Ist ja auch so, dass er an Bord seines Dampfers viele Arbeiten gerade dann erledigen muss, wenn das Schiff nicht in Fahrt ist, sondern im Hafen liegt. Während Tinka als Servicekraft arbeitet. Wenn die Gäste von Bord sind, kann sie auch an Land. So hatte sie ein gewisses Zeitfenster.«
»Ganz zufällig hast du die beiden mal beobachtet, ja?« Sina konnte nicht anders, sie musste breit grinsen. »Ganz zufällig! Donnerwetter, dafür bist du aber sehr gut informiert.«
»Na ja, man interessiert sich eben für seine Mitmenschen.« Völlig unbeeindruckt trank Bea einen großen Schluck aus ihrem Weizenbierglas.
»Aber irgendwann ist Kante den beiden Süßen auf die Schliche gekommen«, kombinierte Sina. »Dann hat er Tinka verkloppt. Und jetzt sind die beiden trotzdem zusammen. Muss ich das verstehen?«
»Was soll ich sagen, Sinchen, der Mensch braucht eben jemanden zum Anlehnen, nicht? Weißt du doch.« Wieder seufzte Bea. Sie hatte niemanden zum Anlehnen, und zwar schon seit geraumer Zeit, das wusste Sina. Schnell senkte sie ihren Blick in ihr Alsterglas. Bea klopfte ihre Taschen ab. »Ich geh raus, eine dampfen. Kommst du mit?«
»Eigentlich rauche ich nicht mehr.« Sina gefiel der Gedanke, für ein paar Minuten aus diesem Getümmel herauszukommen. »Aber wenn du eine für mich hättest, so ausnahmsweise …«
»Ich sagte dampfen. Nicht rauchen. Mensch, Sina, ich rauch doch nicht mehr. Werde mir doch meine schöne Lunge nicht mit Teer zukleistern.« Sie zog ein Gerät aus der Jackentasche, das entfernt an einen Akku erinnerte – mit einem kleinen Sauger seitlich oben dran. Sina nahm einen fruchtigen Geruch wahr, mit Spuren von Lakritze.
»Du also auch?« Sina zuckte mit den Schultern. »Egal, ich komme trotzdem mit raus. Frische Luft ist auch etwas Feines.«
Im Hinausgehen warf sie einen letzten Blick auf das rot-weiß geringelte Pärchen in der Nische. Auf die kleine Tinka, die sich in Robin Seefeld verliebt und ihren Freund betrogen hatte. Und auf Karl Antes, ihren Freund, nicht ohne Grund Kante genannt. Er war Tinka auf die Schliche gekommen. Jetzt hatte sie ein blaues Auge. Und Robin war tot.
Bea konnte es anscheinend gar nicht abwarten, vor die Lokaltür zu kommen; sie pflügte durch die Menschentrauben wie ein Dampfer durch Schönwetterwellen. Sina folgte in ihrem Kielwasser.
10.
Stahnke legte sein Smartphone auf den Dinettentisch. »Ich zeichne unser Gespräch auf«, konstatierte er. »Nennen Sie bitte Ihren Namen und Ihren Wohnort.«
»Ist das überhaupt zulässig?« Maik Schubert saß breit auf der Polsterbank, die dicken Arme verschränkt. Sein Ton klang schon wieder ganz schön aufsässig. »Dürfen Sie das so einfach, mich verhören? Ohne meinen Rechtsanwalt?«
»Sie haben einen Rechtsanwalt?«, fragte Lüppo Buss zuckersüß. »Wie ist denn wohl sein Name und wo ist seine Kanzlei?«
Schubert zog einen Schmollmund. »Nee, hab ich nicht«, murmelte er.
Dabei hatte er mit seiner Frage vollkommen recht, dachte Stahnke. Für eine Befragung wie diese gab es Regeln! Sie hatte in einem geeigneten Raum der nächstgelegenen Dienststelle stattzufinden, und natürlich war dem Verlangen nach einem Rechtsbeistand umgehend nachzukommen. Das und vieles mehr war einzuhalten, oder die gewonnenen Erkenntnisse konnten in einem eventuellen Gerichtsverfahren nicht verwendet werden. Ganz egal, ob sich dieser Maik Schubert als Zeuge erwies oder als Beklagter.
Was sich hier abspielte, war aber alles andere als der Regelfall. Statt in einer Amtsstube saßen sie zu dritt in einem abgeranzten Wohnmobil, und draußen flickten gerade ein Notarzt und drei Sanitäter zwei Verletzte zusammen, die von Polizeibeamten Prügel bezogen hatten. Von Polizisten, die davon nichts in ihren Berichten erwähnen würden. Und die hofften, damit durchzukommen, weil sie die Betroffenen und deren vier Kumpels unter Druck gesetzt hatten. Mein lieber Mann, dachte Stahnke, wir sind auf ganz dünnem Eis unterwegs.
Ausgeschlossen, jetzt umzukehren.
Der Hauptkommissar deutete auf sein Mobiltelefon. »Aufnahme läuft«, sagte er. »Das – oder doch noch die 110.«
Schubert seufzte. »Okay«, sagte er gedehnt und genervt. »Was wollen Sie wissen?«
»Diese Gruppe hier, Sie und Ihre Kumpels da draußen – was ist das für ein Verein?«, fragte Stahnke.
»Wir sind ein Fußballguckklub«, erwiderte Schubert.
Stahnke blieb ruhig. Der will mich doch auf den Arm nehmen, dachte er. Er schaute auf Lüppo Buss; der dachte offenbar dasselbe, keine Frage, und seine Miene blieb ebenfalls stoisch.
Maik Schubert seufzte; es klang enttäuscht, wohl wegen der überschaubaren Wirkung seiner Worte. »Wir treffen uns immer zum Fußball gucken«, erläuterte er. »Champions League, Länderspiele oder Bundesliga, je nachdem, was es gibt. Wir haben ja alle Sky.«
»Und das nennen Sie einen Klub?«, fragte Lüppo Buss.
»Na ja, nur so, zum Spaß. Immer da, wo wir gerade Fußball gucken, schmücken wir den Vorgarten mit Rum- und Colaflaschen. Und Whiskey. Und natürlich Wodka.«
»Natürlich.« Der Inselpolizist nickte so verständnisvoll, als wüsste er keinen besseren Platz für Leergut als einen Vorgarten.
Schubert zuckte mit den Schultern. »Wir arbeiten alle bei VW in Emden, am Band, in derselben Schicht. Und wir treffen uns regelmäßig im Fitnessstudio. Da brauchen wir einen Ausgleich.«
»Einen Ausgleich. Klar.« Stahnke nickte. Zum Ausgleich könntet ihr auch mal ein gutes Buch lesen, dachte er. Er schaute Maik Schubert ins Gesicht; schon bezweifelte er seinen eigenen Gedanken.
»Und das?« Seine Handbewegung schloss das Wohnmobil und den benachbarten Campingwagen ein. »Ist das auch Teil dieses Ausgleichs?«
»Na sicher.« Schubert nickte eifrig. »Wir wetten immer, auf jedes Spiel, das wir gucken. Spielausgang, klar, aber auch, wer die Tore schießt, wer vom Platz fliegt und so. Wenn’s keiner richtig hat, kommt der Einsatz in die Kasse. Da kommt einiges zusammen! Und als es diese außerplanmäßigen Werksferien gab, wegen Absatzkrise und Dieselskandal und so, da haben wir uns gesagt, jetzt gehen wir campen und hauen alles schön auf den Kopf.«
»Zum Beispiel bei einer Dünenparty auf Langeoog«, warf der Inselpolizist ein. »So richtig schön.«
Schubert stemmte seine Ellbogen auf die Tischplatte. Deren Aufhängungen knackten bedenklich. »Es war so heiß an diesem Tag, wir waren nur am Schmoren, da hat Helmut gesagt, fahren wir doch rüber, auf der Insel ist immer schöner Wind. Baden können wir auch. Und so. Also sind wir zur Fähre.«
»Mit Rucksäcken voller Getränke«, ergänzte Lüppo Buss. »Dosenbier und Schnaps. Außerdem paketweise Grillwürste.«
»Na klar!«, ereiferte sich Schubert. »Wissen Sie, wie teuer da drüben alles ist?«
»Weiß ich«, sagte der Inselpolizist.
»Damit sind Sie über den Strand direkt in die Dünen gestiefelt«, sagte Stahnke.
Schubert nickte.
»Und haben da Ihre Fete abgezogen. Obwohl dort das Betreten aus Gründen des Natur- und Küstenschutzes streng verboten ist«, stellte Lüppo Buss fest.
»Konnten wir doch nicht wissen«, nölte Schubert.
»Weil da ja auch nirgendwo Schilder stehen. Oder Absperrungen.« Lüppo Buss lächelte unbeirrt, und Stahnke ahnte, dass er nicht der einzige Binnenvulkan in dieser Campingbehausung war.
»Als Erstes haben Sie ein Lagerfeuer angezündet«, fuhr Stahnke fort. »Wegen der Würstchen. Und weil Ihnen ja auf dem Festland so heiß gewesen war.«
»Feuer ist immer geil«, sagte Maik Schubert. »Und Holz lag am Strand genügend rum.«
»Dort, wo Sie feierten, lagen dafür sehr bald leere Dosen und Flaschen herum«, warf der Inselpolizist ein. Seine Stimme zitterte nur ganz wenig.
»Hätten wir ja alles wieder mitgenommen!«, brauste Schubert auf. »Ist doch Pfand drauf, oder etwa nicht? Jedenfalls auf den Dosen. Da hätte sich dieser Blödmann gar nicht so künstlich aufregen müssen.«
»Mit Blödmann«, sagte Lüppo Buss, »meinen Sie Robin Seefeld, richtig? Hersteller von Kunstgegenständen aus Treibholz, der bei der Suche nach neuem Material für seine Objekte auf Sie und Ihre Kumpels gestoßen war.«
»Der hat sich aufgeführt, als ob er was zu sagen hätte!«, ereiferte sich Schubert. »Von wegen Feuer verboten, Betreten verboten, Müll entsorgen verboten! Aufgespielt hat der sich wie ’ne Tüte Mücken. Wollte uns sogar fotografieren.«
»Hat er auch.« Der Inselpolizist hob kurz sein Smartphone. »Die Bilder hat er mir geschickt. Ganz schön groß das Feuer, nicht? Bloß für Würstchen?«
»Och. Feuer an der Küste machen, das hat doch Tradition.« Maik Schuberts Blick huschte zwischen beiden Ermittlern hin und her. Worauf war der aus – auf Zustimmung etwa?
»Hier ist ein sehr schönes Foto von den Scherben.« Jetzt war das Beben in Lüppo Buss’ Stimme nicht mehr zu überhören. »Sie haben uns noch gar nicht erzählt, dass Sie ein Wettschießen auf die leeren Wodkaflaschen veranstaltet haben. Mit einer Luftpistole. Wer hatte die dabei? Sie?«
»Ja.« Maik Schubert schrumpfte ein wenig in sich zusammen.»Aber die ist ganz legal. Waffenscheinfrei, damit darf ich überall schießen.«
»Falsch«, korrigierte Stahnke. »Nur auf eigenem, umfriedetem Gelände, und auch nur dann, wenn dafür Sorge getragen ist, dass niemand geschädigt werden kann. Die Langeooger Randdünen gehören Ihnen aber nicht! Auch wenn Sie sich da so aufgeführt haben. Und transportieren dürfen Sie diese Waffe nur in einem geeigneten und verschließbaren Behältnis. Keinesfalls in einem Rucksack! Das bedeutet, Sie haben die Waffe in der Öffentlichkeit nicht transportiert, sondern geführt. Und das ist illegal.«
»Wollen Sie mir deswegen Ärger machen?« Schubert schmollte schon wieder. »Und alles nur wegen diesem Blödmann, diesem Meckerpott, Gutmenschen und Weltverbesserer!«
»Meckerpott?« Lüppo Buss wischte auf seinem Smartphone-Display herum, bis er gefunden hatte, was er suchte. Kein Foto offenbar. »Meckerpott ist neu. Sonst haben Sie allerhand nette Bezeichnungen für Robin Seefeld gefunden. Arschgeige und Wichser sind noch die harmlosesten.«
»Ach, ist doch wahr!«, platzte es aus Schubert heraus. »Was muss der sich auch ungefragt in alles einmischen! Wir haben doch ein Recht darauf, ein bisschen zu feiern. Schließlich arbeiten wir alle hart und zahlen Steuern. Und dann sowas! Nur wegen des Feuers und der paar Scherben hetzt der uns gleich die Bullen auf den Hals!« Anklagend glotzte er die beiden Polizisten an, empört wie die verfolgte Unschuld persönlich.
Stahnke wartete kurz. Aber vergebens, Schubert merkte nichts.
»Reden wir nicht über die Beleidigungen«, fuhr der Hauptkommissar fort, »reden wir über das, was Sie dann geschrieben haben. Auf Facebook. Und dann auf Instagram.«
»Das?« Maik Schuberts Augen wollten noch größer werden. Rosa Kreise wurden rund um die Pupillen sichtbar. »Ach Gott, das war doch nur … sowas ist doch … ich meine, da hab ich schon viel Schlimmeres gesehen, also online. Heutzutage ist das doch total üblich.«
»Ich darf zitieren.« Lüppo Buss räusperte sich. »Ich stech dich ab, du Schwein. Ich schlitz dich auf. Ich stopf dir deine Eier in den Hals. Ach ja, und das hier noch: Du sollst Scheiße schlucken.« Er zwinkerte Schubert zu: »Ganz normal, ja?«
»Na ja, vielleicht nicht ganz … aber ja. Ist doch typisch, dass der Kerl sich darüber so aufregt, dass er zu Ihnen läuft und sich ausheult. Anstatt das zu klären, wie es sich gehört, wie man das macht unter Männern.«
»Und wie macht man das so unter Männern?« Auch Stahnkes Stimme bebte.
Schubert zuckte mit den Schultern. »Ja wie. Reden?«
»Reden.« Stahnke schüttelte den Kopf. »Das kann der Herr Seefeld leider nicht mehr.«
Diesmal brauchte Maik Schubert nicht so lange, um zu kapieren. »Ach du Kacke«, murmelte er leise. »Deswegen also.«
»Ja, genau«, sagte Stahnke. »Deswegen.«
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