Kitabı oku: «Stahnke und der Spökenkieker», sayfa 3

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»Dann müsste der Sportredakteur aber ohne einen Laut gestorben sein«, sagte Kramer.

»Durchaus möglich«, erwiderte Stahnke. »Passen würde es zu ihm.« Dann klatschte der Hauptkommissar kräftig in die Hände: »So. Und jetzt schnappen Sie sich den Prollwitz, verpassen Sie ihm einen netten Handschmuck und buchten ihn ein.«

»Aber wieso das denn? Er hat es doch völlig unabsichtlich getan!«

»Na klar«, sagte Stahnke. »Er kommt ja auch nach vierundzwanzig Stunden wieder raus. Aber schaden wird ihm das nichts – und seine Kollegen haben wenigstens mal einen Tag Ruhe.«

Seite an Seite verließen sie den Raum. Der Kaffeeautomat gluckste leise. Sein rotes Lämpchen schien zu blinzeln.

DREI BRÜDER

Die Ziegelmauer war rau, so rau, dass Handflächen und Wange schmerzten, als er langsam daran herunterrutschte. Rote Flüssigkeit sickerte ihm in die Augen, und er legte den Kopf in den Nacken, folgte mit dem Blick der dunklen, feuchten Spur am Mauerwerk, die nach oben zu weisen schien, dorthin, wo über dem schwarzen Schacht des Innenhofs ein sternenlöchriger Deckel aus dunkelblauem Nachthimmel lag. Wie der Eingang vom Tunnel ins Nichts, dachte er, während er auf die Knie sank. Oder der Ausgang? Der geheime Gang, durch den das Nichts in die Welt kam, immer nur nachts, um sie nach und nach aufzulösen, auszulöschen. Da war Wind, der ihm von oben her in die brennenden Augen fuhr, ganz plötzlich und unangenehm kalt. Von dort? Der Luftzug kreiselte im Karree der Mauern, ließ eingesperrte trockene Blätter raschelnd tanzen, zupfte an seiner Jacke, auffordernd, einladend. Dorthin? Zog es ihn an, sog es ihn ein? Hatte er es bemerkt, hatte es ihn bemerkt, hatte es bemerkt, dass er bemerkt hatte, aber was, was? »Aber nein«, stöhnte er, mehr beschwichtigend als ängstlich. Das half. Vorsichtig stemmte er die Füße auf den Boden, erst den rechten, dann den linken, stand langsam auf, stand, ohne erneut das Bewusstsein zu verlieren Ganz automatisch wischte er sich über die Augen, betrachtete seine Handfläche. Sie war rot, aber das war kein Blut, überraschenderweise. »Wein«, murmelte er.

Sein Hinterkopf fühlte sich an wie eine pulsierende Blase aus glühender Lava, und er stellte sich vor, wie ihm das Gehirn durch diesen Brei hindurch auf den Anzug rutschte. Der Kerl musste eine Flasche auf seinem Schädel zertrümmert haben, eine volle. Ob er noch da war?

Er atmete tief ein, unterdrückte den Hustenreiz und horchte auf das Rasseln in seinen Bronchien. Im selben Moment klappte hinter ihm eine Tür. Unwillkürlich zog er den Kopf zwischen die Schultern, in Erwartung eines weiteren Schlages, eine Bewegung, die den Schmerz neu aufwallen ließ und ihn beinahe genauso betäubt hätte wie ein erneuter Hieb mit einer Weinflasche. Hinter ihm aber war niemand, da war nur eine Tür offen.

Vorsichtig drehte er sich um, schob die Schuhsohlen über das unebene Pflaster des Hofes, um nicht in der Dunkelheit zu straucheln und zu stürzen. Die unverschlossene Tür pendelte erneut im Luftzug und verriet ihm die Richtung. Er bekam die Klinke zu fassen und betrat einen schmalen Gang, in dem es durchdringend roch. War hier frisch lackiert? Das war ihm vorhin gar nicht aufgefallen.

Möglicherweise waren es aber auch gar keine Lösungsmittel, die er hier roch, sondern Alkohol. Dies hier war der Gang zum Lager, und dort musste etwas zu Bruch gegangen sein. Mehr als nur eine Flasche Wein. Er tastete über den Putz, bis er den Lichtschalter fand, einen dieser altmodischen zum Drehen. Er drehte. Unter seinen Füßen spürte er einen dumpfen Schlag, dann einen zweiten gleich hinterher. Hörte es grollen wie von weit entfernten, gedämpften Kanonen. Dann wurde es hell.

Seine Lippen formten sich zu einem »o«, und ehe er noch »Scheiße« sagen und die geblendeten Augen schließen konnte, rollte es auf ihn zu, gelb und gleißend, wie damals, als er und seine beiden Brüder Vaters alte Lötlampe ausprobieren wollten und ihm die wulstige Feuerzunge plötzlich übers Gesicht geleckt hatte. Nur ungleich größer. Und heißer. Und von allen Seiten.

*

Das Brennen wurde stärker, hatte schon den ganzen Leib erfasst und stieg jetzt hoch bis zur Kehle, nahm ihm den Atem. Er krümmte sich, röchelte, schluckte krampfhaft, schnappte nach Luft. Lodernde Flammen in seinem Magen, glühende Lava in seiner Kehle, dumpfe Detonationen in seinem Kopf. Sein Herz raste in Panik. Er warf sich herum, spürte stechenden Schmerz in beiden Seiten, stöhnte auf, rieb sich die verklebten Augen und tastete nach dem Lichtschalter. Lautes Poltern verriet ihm, dass er die Wasserflasche umgeworfen hatte. Zweimal entwischte ihm das glatte Ding, dann hatte er die Flasche zu fassen, schraubte sie mit prickelnden Fingern auf, setzte sie gierig an – ein Tropfen nur, sie war leer. Durch sein Husten und Räuspern hindurch konnte er selbst nicht verstehen, was er da fluchte.

Hauptkommissar Stahnke richtete sich mühsam auf, erhob sich, streifte den Bademantel über und schlurfte ins Bad. Ein feuchter, leicht modriger Geruch erinnerte ihn daran, dass einige seiner in Gebrauch befindlichen Handtücher ein kaum geringeres Dienstalter hatten als er. Ächzend hockte er sich auf die Kloschüssel.

Während er pinkelte, bahnten sich saure Rülpser ihren schmerzhaften Weg nach oben und ins Freie. Es gab Augenblicke, da war er heilfroh, wieder allein zu leben. An der Wand neben der Tür hing ein kleiner Frisierspiegel, der noch von Katharina stammte. Ein Blick hinein bestätigte seine erste Diagnose. Er fühlte sich nicht nur wie ein Wrack, er sah auch so aus.

Stahnke spülte, beugte sich dann übers Waschbecken, ließ kaltes Wasser in die hohle Hand laufen und trank. Es war, als wasche er offene Wunden, und wieder begann sein Magen zu toben. Manchmal sehnte er sich direkt danach, sich zu übergeben, sich inwendig zu reinigen. Er erinnerte sich, dass es Religionen gab, die das Kotzen zum Lebensprinzip erklärt hatten. Sein Körper aber tat ihm nicht den Gefallen, der behielt alles bei sich und machte Fett und Schmerzen daraus. Und für den Finger im Hals war er einfach zu feige.

Er richtete sich auf, stemmte die Hände auf den Waschbeckenrand und näherte sein Gesicht dem schlierigen Badspiegel. Ein rötlich-graues, aufgeschwemmtes Gesicht mit grober Haut, tiefrot geränderten Augen mit dunklen Schatten darunter, kurzen, weißblonden Haaren über einer schuppig-rauen Stirn, einer rotscheckigen, nicht gerade zierlichen Nase und einem leuchtenden Pickel zwischen den Bartstoppeln am runden Kinn. »Hauptkommissar Stahnke, Mordkommission«, sagte er und lachte, womit er einen Hustenanfall auslöste, der seine wasserblauen Augen vollends in pralle, rotweiß gemusterte Kissen bettete.

Während die Kaffeemaschine vor sich hin prustete, löste Stahnke schnell den ersten Fall des Tages. Tatwaffe: Zweieinhalb Flaschen Bardolino, aus dem Supermarkt, Stückpreis zweiachtunddreißig. Tathergang: Totalkonsum trotz Warnung des Kollegen Kramer (»Der ätzt Ihnen die Magenwände weg!«). Tatbestand: Körperverletzung in Tateinheit mit Zersetzung der höchstpersönlichen Wehrkraft. Täter: Stahnke. »Festnehmen und wegschließen, das wäre das Beste«, knurrte der Hauptkommissar, während er die leeren Flaschen in den Altglas-Eimer gleiten ließ. Das größte Modell, das es zu kaufen gab. Auch schon wieder fast voll.

Das Telefon klingelte, und Stahnke wusste schon vor dem Abheben, dass es sein Assistent war. »Der Supermarkt in Ihrer Straße«, sagte Kramer. »Abgebrannt, letzte Nacht. Haben Sie’s nicht mitgekriegt?«

»Nein«, sagte Stahnke. »Geschieht ihm recht, außerdem.« Der Laden war weder billig noch gut sortiert, und muffigeres Personal gab es vermutlich nirgends in der Stadt. Trotzdem hatte Stahnke schon so lange dort eingekauft, dass ihm jetzt auf Anhieb gar nicht einfallen wollte, wo der nächstgelegene Supermarkt war. Macht der schlechten Gewohnheit.

Der Laden gehörte drei Brüdern. Der eine war Schlachter, der zweite Bäcker und der dritte Weinfachmann. Angeblich waren sie sich untereinander spinnefeind. Kaufmann war keiner von ihnen, allenfalls auf dem Papier. Den Fleischstand hatte Stahnke als reichlich unappetitlich in Erinnerung und die Backwarenabteilung als sehr armselig. Die Weinregale aber waren noch das Beste an dem ganzen Laden gewesen. Den Bardolino hätte er wirklich nicht kaufen müssen.

»Und?«, fragte Stahnke.

»Brandstiftung«, sagte Kramer. »Versuchter Versicherungsbetrug. Und es hat einen Toten gegeben.«

Stahnke antwortete nicht, weil er vollauf damit beschäftigt war, einen Rülpser zu unterdrücken, der im Falle eines Ausbruchs wohl den kollegialen Kontakt zu Kramer beendet hätte. Der Mann war tüchtig, unverschämt tüchtig sogar. Warum Kramer trotzdem nicht einmal den Versuch unternahm, auf der Karriereleiter an ihm vorbeizuklettern, war ihm schleierhaft. Zumal doch gerade jetzt ein guter Zeitpunkt dafür gewesen wäre.

»Der Tote ist einer der drei Besitzer«, fuhr Kramer fort. »Der Schlachter.«

»Verbrannt?«, fragte Stahnke. Bis auf ein leicht zischelndes Nebengeräusch, das an brutzelndes Fett erinnerte, brachte er das Wort ganz annehmbar heraus.

»Ja«, antwortete Kramer. »Aber vorher hat man ihm noch den Schädel eingeschlagen. Von hinten. Mit einer Weinflasche.«

»Aha«, sagte Stahnke. Etwa Brudermord? Nach dem Hinweis mit dem Versicherungsbetrug lag das nahe. Ha, Wein-Bruder! Vielleicht sollte er sich wirklich mal selber in Gewahrsam nehmen.

»Kramer, Ihnen ist doch hoffentlich klar, dass ich heute frei habe«, sagte Stahnke.

»Ja.« Nichts weiter. Typisch Kramer. Stahnke seufzte, und diesmal entwischte ihm doch ein Rülpser, allerdings kein markerschütternder.

Schnell fragte er: »Gibt es schon ein Geständnis?«

»Ein Teilgeständnis. Der Bäcker und der Wein-Bruder haben die Brandstiftung zugegeben. Der Laden lief schlecht, ein ›warmer Abbruch‹ auf Versicherungskosten schien ihnen die einzige Rettung zu sein. Der Schlachter aber wollte dabei nicht mitmachen. Die beiden anderen sagen, er sei schon immer etwas komisch gewesen.«

Er hätte eben kein Hackfleisch aus eigener Produktion essen sollen, dachte Stahnke. »Inwiefern komisch?«

»Na ja, er soll an Ufos geglaubt haben. Und an Seelenwanderung.«

Stahnke lehnte sich zurück und betastete seinen geschwollenen Bauch. Die Lage der Leber war unangenehm deutlich zu spüren. »Unglaublich«, sagte er. »Ein esoterischer Schlachter. Aber wer hat denn nun seine Seele auf die große Wanderung geschickt?«

»Auf jeden Fall einer seiner beiden Brüder«, erwiderte Kramer. »Sie haben unmittelbar vor der Tat zusammen im Kontor gesessen und gestritten. Danach haben die beiden überlebenden Brüder literweise Lösungsmittel aus der Farben-Abteilung ausgekippt und angesteckt. Gemeinsam. Das geben sie zu. Was aber den Schlag mit der Weinflasche angeht – in diesem Punkt beschuldigen sie sich gegenseitig.«

»Saubere Brüder.« Stahnke konnte sich gut an die drei erinnern, schließlich war er ihnen oft genug im Laden begegnet. Der Schlachter-Bruder war der Jüngste des Trios gewesen, hatte aber mit seinem bleichen, schlaffen Gesicht wie der Älteste ausgesehen. Er hatte auf abweisende Art verträumt gewirkt, so dass man ihn kaum ansprechen mochte, und seinen weißen, faltigen Händen mit den langen, schmalen Fingern hatte man kaum zugetraut, ein Hackmesser wirkungsvoll zu führen. Ganz anders der Bäcker-Bruder: Klein, rundlich, lebhaft. Dunkle kleine Korinthenaugen in einem braunen Lebkuchengesicht, meist ein cleveres Grinsen um die Lippen, Marke bauernschlau. Aber ganz offensichtlich ebenso wenig wie sein Bruder in der Lage, einen Supermarkt ordentlich zu leiten. Mehr als einmal hatte sich Stahnke dort schimmeliges Brot andrehen lassen. Wie oft hatte er sich eigentlich darüber beschwert? Nie. Mit ihm konnte man es offenbar machen. Aber sicher nicht mit jedem.

Der dritte Bruder war ganz anders. Zurückhaltend, gelassen, höflich; seine rotgeäderten Wangen strahlten Kompetenz aus. Stahnke hatte sich mehrmals von ihm beraten lassen, und die Weine, die der Mann ihm empfohlen hatte, waren ihr Geld wert gewesen. Eine Menge Geld, zugegeben; dieser Bordeaux neulich, ein 96er Baron Philippe de Rothschild, über neun Euro die Flasche. Geschmeckt aber hatte der erstklassig, erdig und würzig, und vor allem war er ihm nicht auf den Magen geschlagen. Den blöden Bardolino hatte Stahnke fast heimlich gekauft, um seinen Ruf als Weinkenner nicht zu gefährden. Aber schließlich waren seine finanziellen Möglichkeiten begrenzt. Ganz im Gegensatz zu seinem Durst in letzter Zeit.

»Wo ist es denn passiert?«, fragte Stahnke. »Im Kontor?«

»Ja«, antwortete Kramer. »Das Opfer hat sich danach noch über den Innenhof bis ins Lagerhaus geschleppt. Jeder der beiden Verdächtigen gibt an, das Kontor als Erster verlassen zu haben. Der jeweils andere Bruder sei wenig später nachgekommen und habe behauptet, der Schlachter hätte seinen Widerstand aufgegeben und sei nach Hause gegangen. Danach haben die beiden dann gemeinsam das Feuer gelegt.«

»Und der Schlachter ist mitsamt dem Laden verbrannt«, ergänzte Stahnke. »Was meinen Sie: Im Affekt niedergeschlagen?«

»Weiß nicht«, sagte Kramer. »Von hinten und gezielt, das sieht mir eher wohlüberlegt aus. Heimtückisch.«

»Was war das denn für eine Flasche«, fragte Stahnke. Nachdenklich massierte er sich die Magengegend. »Ich meine die Tatwaffe. Was für eine Sorte Wein?«

Kramer wäre nicht Kramer gewesen, wenn ihn diese Frage überrascht hätte. »Rotwein. Ein Bordeaux, Baron Philippe de Rothschild. Jahrgang 1996.«

»Ach.« Stahnke richtete sich auf. »Standen denn da im Kontor mehrere Flaschen herum? Oder nur diese eine?«

»Diese und noch eine weitere«, sagte Kramer. »Die drei wollten über ein neues Sonderangebot entscheiden. Zwei Sorten standen zur Auswahl. Die andere war ein – warten Sie …« Es raschelte, Kramer blätterte in seinen Notizen. Stahnke erhob sich. »Da steht es«, sagte Kramer. »Ein Bardolino, und zwar …«

»Passen Sie auf«, sagte Stahnke. »Der Bäcker war’s. Sagen Sie es ihm auf den Kopf zu. Der klappt nach zwei, drei Stunden zusammen, darauf wette ich.«

»Aha«, sagte Kramer. »Und warum?«

»Heute habe ich frei«, sagte Stahnke. »Ich erklär’s Ihnen morgen. Aber bis dahin kommen Sie sicher selber drauf.«

Er legte auf, reckte sich ausgiebig und stellte erfreut fest, dass er Appetit bekommen hatte. Auf Brötchen. Aber wo sollte er jetzt welche herbekommen?

Unter der Dusche fiel ihm der Bordeaux wieder ein. Wirklich ein sagenhaftes Getränk. Leider etwas teuer.

Ob der Brand wohl die Weinabteilung verschont hatte?

SPÖKENKIEKER

»Alles Gute zum Fünfzigsten!« Die Kollegen vom dritten K drängten herein wie zu einer Razzia, streckten ihm ihre Pratzen entgegen, während ihre Blicke schon zum Aktenschrank an der Längswand irrten. Das Mett-Massiv neben dem Brötchenberg und dem Käse-Plateau inmitten der dichten Salzstangen-Gehölze sah vielversprechend aus, und sie mussten sich zusammennehmen, um das Geburtstagskind nicht aus dem Weg zu rempeln. Umweltdelikte schienen hungrig zu machen, sehr, sehr hungrig. Stahnke seufzte und trat beiseite.

Ein Sektkorken knallte, flog und hoppelte als ermattender Querschläger über seinen Schreibtisch. Schaum kleckerte auf den Boden, verdeckt zwar von dicht an dicht stehenden Kollegenkörpern, aber Stahnke wurde schon vom Klang ganz klebrig zu Mute. Avanti Spumanti, Dilettanti.

»He, Vorsicht mit dem Salz!« Natürlich, Möller zwo hatte den Salzstreuer wieder wie einen Rasensprenger eingesetzt, und das direkt unter Ingeborg Schlössers Augen. »Nun schau dir das doch mal an!« Stahnke sah nichts außer einer geschlossenen Reihe unterschiedlich hoher, dicker und behaarter Köpfe, deren unregelmäßige Wölbungen mit dem braunen Blasenmuster auf der verschossenen Tapete korrespondierten.

»Mein Gott, ich mach’s ja wieder weg.« Möller zwo griente friedfertig auf Ingeborg herab und wischte mit mächtiger Pranke das verstreute Salz vom halbhohen Schrank, der wie immer an Stahnkes Ehrentagen als Büffet herhalten musste. Die Körner verursachten ein prickelndes Geräusch auf dem Linoleum. Es klang wie weit entfernter, feiner Hagel. Stahnke stellte sich die Körnchen unter seinen Schuhsohlen vor und erschauderte.

Ingeborgs Stimme klang nach Gewitter. »Wie kann man nur! Salz verschütten bringt Unglück, das weiß doch jeder. Da muss man doch …« Sie wischte ein paar der verbliebenen Körner zusammen, klaubte sie auf und warf sie sich rücklings über die Schulter. Stahnke, der gerade hinter sie getreten war, um sich das Streitgespräch nicht entgehen zu lassen, bekam die Ladung aufs Revers.

»Über seine Schulter hättest du werfen müssen, nicht über deine.« Er hob den Salzstreuer: »Noch mal?«

Ingeborg warf ihm einen gepfefferten Blick zu und wandte sich ab. Nein, verziehen hatte sie ihm immer noch nicht, eindeutig.

Verflixte Büro-Affären.

Wieder öffnete sich die Bürotür. Der große Chef, Kriminaldirektor Manninga, gefolgt von der blassblonden jungen Kollegin, deren Namen Stahnke noch immer nicht wusste. Manninga war ein umgänglicher Mensch hart an der Pensionsgrenze mit großväterlichem Gebaren. Alle mochten ihn. »Stahnke, auch schon wieder ein Jahr älter. Alles Gute, mein Bester.« Er streckte ihm einen Satz nikotingelber Finger hin. Im selben Augenblick reichte Ingeborg der Neuen die Hand; ihr Unterarm überkreuzte sich mit Manningas. Mit einem erstickten Schrei riss Ingeborg ihren Arm zurück. Die Blassblonde zuckte zusammen.

Manninga lächelte milde. »Ach ja richtig, Arme über Kreuz bringt Unglück, nicht wahr?« Er zwinkerte Stahnke zu. »Früher hieß es dann: Jetzt stirbt wieder irgendwo ein Jude.«

»Na, dann muss das ja ein einziges Händegeschüttel gewesen sein in Deutschland vor ’45«, ließ sich Möller zwo vernehmen. Kaum jemand verstand ihn, da er sich mit einem halben Mettbrötchen wirkungsvoll geknebelt hatte. Ingeborg und Manninga blickten ihn strafend an. Stahnke ärgerte sich, dass er sich nicht zu lachen traute. Schließlich war der Spruch nicht schlecht.

Ein Schwall frischer Luft signalisierte, dass wieder jemand hereingekommen war. Aha, Kramer. Der schmale Mann mit dem ausdruckslosen Gesicht drängelte sich zur Garderobe durch und hängte seinen Mantel ordentlich auf einen Bügel, ehe er sich Stahnke zuwandte. »Tag, Chef. Volles Haus, was? Na, gratuliert habe ich Ihnen ja gestern schon.«

»Waaas?« Ingeborgs dunkelblonde Pilzkopf-Frisur schien sich nach allen Seiten zu sträuben. »Aber das darf man doch auf keinen Fall, wussten Sie das nicht? Das bringt doch Unglück. Wie kann man nur!«

Der schrille Ausruf hatte sämtliche anderen Gespräche von einer Sekunde zur anderen gekappt. Alle im Raum wandten sich ihnen zu, bildeten einen dichten, schweigenden Ring um das Geburtstagskind und seinen Assistenten. Stahnke schluckte trocken, bekam das so überraschend entstandene Unbehagen aber nicht hinunter, sondern erzeugte nur ein hartes, würgendes Geräusch, das in der plötzlichen Stille stand wie hingemalt.

Im selben Augenblick brandete das Stimmengewirr wieder auf, lauter und heftiger als zuvor.

»Meinem Onkel ist das auch mal passiert, und dann hat er sich ein Bein …«

»Das ist fast so schlimm wie ’ne schwarze Katze, aber von rechts, das ist gefährlicher …«

»Gefährlich für die Katze, oder was?!«

»Schwarze Katze oder unter einer Leiter durch, wenn du da die Wahl hast, ich kann dir sagen …«

»Oder ein Spiegel. Ihr kennt doch die Sache …«

»… bei Flaute ausgelaufen, und was tut der Mensch? Pfeift auf dem Vordeck! Und keine Stunde später fängt es mit Stärke acht zu kacheln an, Mann o Mann!«

»Auf keinen Fall darf man bei Gewitter das Dachfenster offen lassen, davon bekommt man einen feuchten Keller.«

»Und bei Vollmond niemals unter Eichen! Abends Eiche, morgens Leiche, so sagt man doch.«

War das zu fassen? Stahnke musste sich zwingen, den Mund wieder zu schließen. Waren das etwa die Menschen, mit denen er seit Jahren zusammenarbeitete? Aufgeklärte, in Maßen gebildete Menschen, die örtliche Ordnungsmacht eines in Maßen demokratischen Staates, Individuen, die er stets für vernunftbegabt gehalten hatte, nun ja, in Maßen, aber immerhin? Und genau diese Menschen entpuppten sich plötzlich als abergläubisch. Samt und sonders, offenbar ohne Ausnahme. Schwarzer Magie zugänglich. Jeder Scharlatanerie aufgeschlossen. Hexenhörig. Spökenkiekerig. Unmöglich. Unglaublich. Um nicht zu sagen unheimlich.

Plappernde Münder flatterten rings um ihn herum, selbst Manninga wusste von bösen Vorzeichen und schlimmen Folgen zu berichten, und dass Ingeborgs Kiefer noch nicht ausgehakt waren, konnte schon als Wunder für sich gelten. Halt, Moment, was hatte er da gerade gedacht? Stahnke fuhr sich mit der Hand über die Stirn: Kalt und feucht wie eine Hundenase. Hatte das womöglich auch etwas zu bedeuten?

Kramer. Gott sei Dank, dass es wenigstens Kramer gab. Der beteiligte sich nicht am allgemeinen Dämonen-Diskurs, stimmte nicht ein in den Chor der Chimären, hielt sich heraus aus dieser Apokalypse der Albernheiten. Kramers Verstand war ebenso scharf wie diesseitig, und seiner Vernunft war weder mit Holzpflöcken noch mit Weihwasser beizukommen. Mit verschränkten Armen stand er vor Stahnke, nur halb so breit wie dieser und doch unverrückbar wie ein Fels, und schwieg. Auffordernd, so wie nur Kramer schweigen konnte. Offenbar wusste er etwas Neues. Stahnke entschloss sich, seinem Assistenten den Gefallen zu tun.

»Nun, Kramer, haben Sie etwas herausbekommen?« Stahnke musste fast schreien, um das allgemeine Gebrabbel zu übertönen.

Kramer lächelte. Man musste ihn schon gut kennen, um das zu sehen. Kein Zahn wurde freigelegt, kein Mundwinkel angehoben, aber da war etwas um seine Augen. Undefinierbar, aber eindeutig, wenn man es zu lesen verstand. Kramer war zufrieden.

»Ja.«

Manninga hielt inne, bedeutete auch Ingeborg zu schweigen. Einer nach dem anderen wurden nun auch die nächststehenden Kollegen aufmerksam.

»Haben Sie ein Geständnis?«

»Ja.«

Donnerwetter. Das musste ein hartes Stück Arbeit gewesen sein. Kein Wunder, dass Kramer zufrieden war.

»Und das Motiv?«, fragte Stahnke.

Kramer schaute kurz in die Runde. Erneut erstarben die Gespräche. Einen Augenblick lang dröhnte Möller zwos Stimme noch durch die einsetzende Stille wie ein Nebelhorn: »… immer mit dem linken Fuß zuerst!«, dann bekam auch er etwas mit und verstummte.

Kramer öffnete den Mund. Schloss ihn wieder, räusperte sich. Dann sagte er: »Aberglauben.«

Vorher war es ruhig gewesen. Jetzt war es totenstill. Nur ein Salzkorn knirschte irgendwo unter einer Ledersohle.

»Erzählen Sie«, sagte Stahnke. Es klang wie ein Krächzen, aber das schien niemandem aufzufallen.

Kramer blickte zweifelnd in die Runde; als aber Manninga bestätigend nickte und dazu ungeduldig mit den Händen wedelte, ließ Kramer seine Bedenken fallen.

»Es geht um den Fall Mechthild«, sagte er. »Nur zur Erinnerung: Opfer Nummer eins war weiblich, achtunddreißig Jahre, vermögend. Todesursache: Schädelfraktur, hervorgerufen durch einen schweren Metallgegenstand, vermutlich einen sogenannten Schäkel.«

»Mechthild wer?«, fragte Möller zwo.

Kramer schüttelte den Kopf. »Kerstin, nicht Mechthild. Kerstin Biermann, geborene Scholl. Juniorchefin der Scholl-Kette. Farben, Lacke, Schiffsausrüstung und Bootszubehör, gibt es überall hier an der Küste.«

»Und warum dann Fall Mechthild?« Möller zwo ließ nicht locker. Er war bekannt für seine Ausdauer. Dafür und für seinen Mundgeruch. Zwiebeln.

»Mechthild heißt das Schiff, auf dem es passiert ist«, erklärte Kramer. »Sozusagen der Tatort. In doppelter Hinsicht, denn auch das zweite Opfer ist dort gestorben.«

Stahnke nickte versonnen. Opfer Nummer zwei hieß Uke Tanner, vierundfünfzig, Prokurist bei Weise-Papier, drüben auf der anderen Seite der Ems. Er hatte dem jungen Biermann die Mechthild verkauft. Ein schönes Schiff, holländischer Traditionssegler, ein so genannter Schokker von fast zwölf Metern Länge. Aber dieser Biermann hatte ganz schön dafür bluten müssen. Stahnke hatte den Kaufvertrag unter den Papieren an Bord gefunden. Donnerlittchen, hatte Tanner kassiert. Aber dieser Biermann hatte es ja, dank seiner Frau, der seligen.

Stahnke hatte die Leiche selbst gesehen. Auch Fotos von der Frau. Eine Schönheit war sie nicht gewesen, auch zu Lebzeiten nicht, mit unzertrümmerter Hirnschale. Eine Liebesheirat war das wohl nicht gewesen. Für Stahnke lag der Fall klar. Albert Biermann, siebenundzwanzig Jahre, athletisch und gut aussehend, abgebrochener BWL-Student hart an der Grenze zur gescheiterten Existenz, hatte sich vor gut einem Jahr eine goldene Gans geschnappt. Und sie geschlachtet, als sich die Gelegenheit bot.

Auf solch eine Gelegenheit hatte Biermann nicht etwa gewartet, er hatte sie herbeigeführt. Stahnke kannte diese Traditionssegelschiffe gut, hatte selbst einmal solch ein Schiff besessen, wenn auch nicht ein so großes und teures. Diese Dinger wogen weit über zehn Tonnen, und alles an ihnen war groß und schwer. Die Segel, das Tauwerk, die Spieren, sämtliche Ausrüstungsgegenstände und Beschläge. Wer auf solch einem Schiff segelte, musste ständig auf der Hut sein. Jede Menge Chancen, sich etwas zu klemmen, zu quetschen oder zu brechen. Auch die Hirnschale, durchaus, keine Frage.

Die Mechthild hatte in Bingum gelegen, der Marina gegenüber von Leer. Biermann und seine Frau wollten nach Delfzijl, ein Nachmittags-Törn auf der Unterems, kein Problem mit diesem Schiff, trotz des neuerdings störenden Emssperrwerks, auch nicht bei Windstärke sechs. Anlass war der erste Hochzeitstag des ungleichen Paares; ein ganz kleines, ein zartes Jubiläum also, richtig romantisch in Szene gesetzt.

Aber dann hatte Biermann plötzlich Mayday gefunkt, völlig panisch und aufgelöst, und nach einem Arzt verlangt. Die Kollegen von der Wasserschutzpolizei waren von Emden aus schnell bei ihm gewesen, konnten aber nichts mehr tun. Kerstin Biermann, geborene Scholl, war bereits tot.

Die Fockschot habe sich bei einem Wendemanöver verhakt, hatte der junge Gatte ausgesagt. Seine Frau sei aufs Vorschiff gegangen, um das wild schlagende Vorsegel zu bändigen, und sei dabei von dem schweren Schäkel, mit dem die Fockschot angeschlagen war, am Kopf erwischt worden. Nicht schlecht ausgedacht.

Uke Tanner aber musste ihm draufgekommen sein. Geldgierig wie er war, hatte er weitere Einnahmen gewittert und sich den jungen, nunmehr schwerreichen Biermann vorgeknöpft. Nur richtig nachgedacht hatte er offenbar nicht. Denn auch Biermann musste ein geldgieriger, skrupelloser Mensch sein, und seine Hemmschwelle war durch den Mord an seiner Frau auf Bodenniveau abgesenkt. Also hatte er auch Tanner erledigt, als der ihn erpressen wollte. Wiederum an Bord der Mechthild. Diesmal mit einem hölzernen Drei-Rollen-Block, der zur Großschot gehörte. Dreimal hatte er zuschlagen müssen, ehe Tanners harter Schädel brach.

»Biermann hat den Mord an Tanner gestanden«, sagte Kramer.

Stahnke nickte. Das hatte er nicht anders erwartet.

»Er gibt Tanner die Schuld am Tod seiner Frau.«

Das allerdings war eine Überraschung. »Wie soll denn das möglich gewesen sein?«, fragte Stahnke. »Die beiden waren doch allein an Bord, als es passierte. Oder hat sich Tanner vielleicht in einer Backskiste versteckt gehalten?«

Kramer schüttelte milde das Haupt, unempfänglich wie immer für Stahnkes Späßchen. »Als Biermann die Mechthild kaufte, wollte er das Schiff umtaufen«, sagte er. »Natürlich in Kerstin. Biermann liebte nämlich seine Frau. Ehrlich und innig, das sagt jeder, der ihn kennt.«

»Bloß gut, dass er das nicht gemacht hat«, sagte Stahnke. »Schiffe darf man nicht umtaufen. Es bringt Unglück, einem Schiff einen neuen Namen zu geben. Das weiß doch jeder.« Der Hauptkommissar runzelte die Stirn. Warum hatte Ingeborg plötzlich wieder diesen überlegenen Gesichtsausdruck? Er hasste es, wenn sie so guckte und er nicht wusste, warum.

»Das hat Tanner ihm auch erzählt«, sagte Kramer. »Und Biermann hat auch sofort von seinem Vorhaben abgelassen. Er ist nämlich ein extrem abergläubischer Mensch.«

Jetzt grinste Ingeborg unverhohlen. Stahnke war irritiert. Aberglauben, na schön. Aber man taufte Schiffe eben nicht um, basta. Tat man es doch, passierte bestimmt irgendetwas, und der neue Name war dann der Grund. Das konnte man sich hier an der Küste einfach nicht erlauben.

»Also hat Biermann den alten Namen am Schiff gelassen, obwohl seine liebe Kerstin davon nicht eben begeistert war«, erzählte Kramer weiter. »Dann passierte das Unglück. Biermann war verzweifelt, machte sich große Vorwürfe, seine Frau in dieser kritischen Situation aufs Vorschiff geschickt zu haben. Dabei konnte er doch gar nichts anderes tun, schließlich musste er ja achtern am Ruder bleiben. Als er dann gesehen habe, wie seine Kerstin an der vertörnten Schot riss und sich dabei rückwärts dem schlagenden Segel näherte, habe er sie warnen wollen und sie gerufen: Kerstin! Tja.« Kramer machte eine Kunstpause: »Sie schaute hoch, und im selben Moment traf sie der Schäkel. Sie war sofort tot.«

Wie anders das Schweigen plötzlich klang, dachte Stahnke. Wie von einer Trauergemeinde. Dann räusperte er sich und fragte: »Und was soll Tanner nun damit zu tun gehabt haben?«

»Tanner«, sagte Kramer, »hat Biermann verarscht. Er hat ihm das mit den Namen und dem Unglück erzählt und sich tierisch amüsiert, als er merkte, wie der darauf abfuhr. Dass Biermann ein richtiger Spökenkieker war, wie man so sagt. In Wirklichkeit …«

»Was?«, fuhr Stahnke ihn an. Er war diese Kunstpausen langsam leid.

»In Wirklichkeit hatte Tanner das Schiff doch schon selbst umgetauft. Mechthild war bereits der zweite Name, den es trug.«

»Ach du Schande«, sagte Stahnke. »Und Biermann hat das rausgekriegt?«

»Nein«, sagte Kramer. »Tanner hat es ihm selbst gesagt, als er an Bord kam, um zu kondolieren. Wohl in einer Aufwallung von Mitleid. Und in völliger Fehleinschätzung dessen, was er da angerichtet hatte.«

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Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
Hacim:
202 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9783839268407
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