Kitabı oku: «Agrarische Religiosität», sayfa 2
Literaturhinweise habe ich sparsam angebracht, sie beschränken sich zumeist auf spezielle Werke zum Untersuchungsraum. Die bis etwa 2004 erschienene, eher allgemeine Literatur zu vielen hier behandelten Themen wird ausführlich in den kommentierten Bibliografien meiner früheren Untersuchung «Musse und Verschwendung» erwähnt. Deshalb sind nur noch nach diesem Zeitpunkt erschienene wichtige Werke aufgeführt.
Der geografische Raum der Untersuchung wurde bereits mehrmals kurz umschrieben. Leitende Überlegung bei der Wahl der beiden Regionen Appenzell Innerrhoden und Obwalden war neben den praktischen Erwägungen zunächst die, dass in der Schweiz die Moderne in allen ihren Ausprägungen das Voralpengebiet (neben Teilen der Alpen) zweifellos am spätesten erreichte, dass dort politische, wirtschaftliche und kulturell-religiöse Traditionen noch am ehesten bewahrt blieben und die Resistenz gegenüber neuen Entwicklungen am ausgeprägtesten war. Der Entscheid für Appenzell war, wie bereits erwähnt, persönlich begründet; sachlich kam hinzu, dass – wie bereits die Reiseschriftsteller des 18. Jahrhunderts erkannten11 – hier geradezu das Muster einer konfessionell bestimmten verschiedenartigen Entwicklung in Wirtschaft und Kultur vorlag, eine Fragestellung, die mich schon länger interessierte.12 Deswegen habe ich hie und da einen Seitenblick auch auf Ausserrhoden geworfen.13 Dass daneben die Innerschweiz zu berücksichtigen war, schien mir selbstverständlich. Der Entscheid für Obwalden hat drei Gründe. Aus jeweils verschiedenen Ursachen gab es in den anderen Innerschweizer Kantonen zum Teil schon früh gewisse dynamische «fortschrittliche» Elemente (in Uri etwa die Gotthardbahn,14 in anderen die Nähe zum Grossraum Zürich), Obwalden erschien mir demgegenüber eher als ein in sich ruhender Pol. Entscheidend war allerdings, dass ich mich hier, wie bereits erwähnt, auf kundige Vertrauensleute stützen konnte.15 Schliesslich lag mir aber dieser Kanton auch persönlich nicht ganz fern, konnte ich doch in meiner Kindheit zweimal im Bruderklausendorf Flüeli-Ranft Ferien verbringen. Wenn im Text die Ausführungen zu Innerrhoden vergleichsweise etwas mehr Platz einnehmen, so liegt das nicht in erster Linie an der Herkunft des Autors, sondern einerseits an der besseren schriftlichen Quellenlage, andererseits daran, dass Obwalden durch die profunden Werke von Karl Imfeld für verschiedene Fragestellungen bereits gut erschlossen ist.
Die Absicht, auch das katholische Schweizer Mittelland zu berücksichtigen, gab ich bald auf. Nicht nur die politische (katholischer Liberalismus), sondern auch die wirtschaftliche Situation (vorwiegend Ackerbau, neben der ausgedehnten Industrie) war ganz anders als in den Voralpen, der Druck zur Modernisierung stärker und die mächtigen protestantischen Städte näher gelegen. Auch war es schwierig, Vermittler zu möglichen Interviewpartnern zu finden. Ergänzend habe ich jedoch anhand der reichhaltigen Materialsammlungen von Josef Zihlmann das luzernische Hinterland, geografisch zwischen dem Mittelland und den Voralpen liegend, mitberücksichtigt.16 Das Alpengebiet könnte man bei oberflächlicher Betrachtung zwar als ausgesprochenes Refugium der Tradition sehen. Das ist es sicherlich auch auf einigen Gebieten, aber gleichzeitig ist es durch Passverkehr und Tourismus äusseren Einflüssen stärker ausgesetzt als das mehr im Windschatten des Verkehrs liegende Voralpengebiet.17 Das schweizerische Alpengebiet ist etwa zur Hälfte protestantisch und fällt damit zu einem grossen Teil zum vorneherein aus. In Graubünden sind nur wenige Talschaften katholisch.18 Als grösstes zusammenhängendes katholisches Gebiet zeichnet sich das Wallis aus. Es ist eine Lieblingslandschaft der Volkskundler, und das Lötschental etwa geniesst eine gewisse Berühmtheit als Forschungsfeld für traditionelle Kulturen. Gerade auch deswegen habe ich das Wallis als mögliches Untersuchungsgebiet weggelassen, allerdings die verhältnismässig reiche volkskundlich-historische Literatur, soweit sie etwas zu meinen Fragestellungen beitragen konnte, berücksichtigt.19 Im Übrigen sei daran erinnert, dass gerade im Oberwallis der Passverkehr (Grimsel, Simplon, Gries) eine grosse Rolle spielt und schon früh auch eine spezifisch auf die Elektrizität aus Wasserkraft basierende Industrie entstand (Lonza, Aluminiumwerke Chippis). Die Landwirtschaft hat ebenfalls einen ganz anderen Charakter als am Nordabhang der Alpen. Schliesslich kommt man im Wallis auch an die Sprachgrenze, die eine direkte Vergleichbarkeit weiter reduziert. Dies war übrigens der Hauptgrund, den ganz klar dem italienischen (genauer lombardischen) Kulturkreis zugehörigen Tessin wegzulassen. Der am Rande erfolgte Einbezug des protestantischen Berner Oberlandes hat mehr persönliche als sachliche Gründe. Es diente mir, wie Ausserrhoden, als Folie, um zusätzlich einen Blick von «auswärts» zu bekommen.20
Der zeitliche Rahmen der Untersuchung ergab sich eigentlich von selbst. Das Problem war eher, die Interviewpartner darauf festzulegen und ausserdem da und dort eine offensichtlich falsche Chronologie zu korrigieren. Etwas ungenaue Datierungen blieben fast unvermeidlich, wie man auch aus eigener Erfahrung weiss. Das Jahr 1945 als Ausgangspunkt zu nehmen war selbstverständlich, weil der vorangehende Zweite Weltkrieg auch für die Schweiz eine Ausnahmesituation darstellte, die mich bei meinem Interesse für den «gewöhnlichen» Alltag nur gestört hätte. Auch war so die Gefahr gebannt, dass die älteren Männer ihnen liebgewordene Erinnerungen aus ihrem Aktivdienst auftischten. Nur ganz selten liess ich zeitlich vorangehende Entwicklungen, welche langzeitige Folgen hatten, in die Gespräche miteinfliessen. Den Zeitraum von 1955–1960 als Schlusspunkt zu wählen, fiel ebenfalls leicht. Nicht nur meine eigenen Erinnerungen (Jahrgang 1941), deren erste noch in die Kriegszeit hineinreichen, lassen mir die Dekade nach dem Waffenstillstand als eine verhältnismässig ruhige Zeit erscheinen, in der man zunächst noch mit den Folgen der vorangegangenen Auseinandersetzung fertig werden musste, ohne an viel Neues zu denken, das Leben somit ohne grössere Veränderungen wie bis anhin weiterging. Dieselbe Schlussfolgerung kann man chronikalischen Darstellungen, wie sie es für beide Untersuchungsgebiete gibt, entnehmen.21 Erst seit der Mitte der 1950er- Jahre zeigen sich dann die typischen Erscheinungen der Moderne gehäufter auch in den bis dahin relativ zurückgebliebenen Voralpenkantonen. Hier habe ich selber noch lebhafte Erinnerungen etwa an den ersten Einsatz eines Baggers für Aushubarbeiten (bezeichnenderweise für eine Fabrik), an die ersten Waschmaschinen (Marke Hoover) vor einem Elektroladen, an neue Produkte der aufkommenden Lebensmittelindustrie, an den zunehmenden Autoverkehr mit allen seinen Folgen, schliesslich an die ersten, in zwei Wirtshäusern als Sensation und Publikumsmagnet aufgestellten Fernsehgeräte. Speziell für die Religiosität bedeuten der Beginn des Pontifikats von Johannes XXIII. (1958) und das bald von ihm einberufene Zweite Vatikanische Konzil einen Einschnitt, auch wenn sich die Folgen erst in den 1960er-Jahren massiv bemerkbar machten. Allerdings gab es, wenn man genauer hinschaut, bereits zur Zeit Pius XII. unterschwellig einige kirchliche Neuerungen.22 Diese vorläufigen Feststellungen zum zeitlichen Rahmen werden im Folgenden noch an einigen Beispielen zu präzisieren sein.
Anmerkungen
1 Z. B. Fuchs; Vogler.
2 Dies ist die spezifisch volkskundliche Perspektive. Für meine Fragestellung sei in dieser Hinsicht exemplarisch auf das Werk von Hartinger verwiesen, das die Verschränkung von Religion und Brauch thematisiert.
3 Zu diesem Problem noch Bärsch; Forstner.
4 Teilweise sind die entsprechenden Erfahrungen der Geistlichen wohl in ihre Predigten, Schriften und Rechenschaftsberichte eingeflossen.
5 Zur Theorie und Methode der qualitativen Sozialforschung und der «oral history»: Forstner (für Geistliche); Girtler, Methoden; Göttsch; Lamnek; traverse; Vorländer; Wierling.
6 Für Appenzell: Bräuninger; Dörig; Inauen R., Charesalb; Lüthold; Neff A.; Weigum; Wyss, Potztusig; Zilligen. Für Obwalden nur Furrer und Ming H.; allerdings basieren die Werke von Imfeld auch auf einem reichen persönlichen Erinnerungsschatz. Für andere Gebiete (in Auswahl): Britsch (Wallis); Galli (Tessin); Jaggi (Berner Oberland); Witzig (Deutschfreiburg, Wallis, Tessin).
7 Appenzeller Volksfreund (zugleich amtliches Publikationsorgan). Systematisch durchgesehen wurden die beiden Eckjahrgänge 1946 und 1960. Die pfarrlichen Ankündigungen umfassen für das erste Jahr nur das Dorf Appenzell und Haslen, sowie teilweise Gonten. Die übrigen Pfarreien informierten damals noch durch Anschlag oder mündliche Mitteilung. Die Obwaldner Presse wurde ausgiebig von Imfeld benutzt, sodass ich hier auf weitere Recherchen verzichten konnte. Die in Frage kommenden diözesanen Amtsblätter sind: Diözesanblatt für das Bistum St. Gallen; Folia officiosa ab ordinariatu episcopali diocesis curiensis edita.
8 Vgl. Diözesanblatt 2. Folge, 151–153 (7. 4. 1941), dort auch die Liste der Fragepunkte. Ferner Bischof, 123.
9 In den appenzellischen Landpfarreien war dies häufig ein Einheimischer, nämlich Dr. Edmund Locher, bis 1943 Pfarrer in Appenzell, dann Domkustos und Professor in St. Gallen. Vgl. zur Person Stark, 113f.; IGfr 30 (1986/87), 177.
10 Die Frageliste publiziert in: SAVk 31 (1931) 101–142. Vgl. dazu auch Inauen R., Hitz, 48. Der Rücklauf der Fragebogen war offenbar enttäuschend gering und generell blieb wenig davon erhalten (so fehlt etwa OW). Zur Erarbeitung des Grundlagenmaterials für den in Aussicht genommenen Atlas der schweizerischen Volkskunde wurde deshalb ein stark reduzierter zweiter Fragebogen (Enquete II) erstellt. Einschränkend ist zu bemerken, dass der Fragenkatalog selbstverständlich die damaligen Forschungsinteressen der Volkskunde widerspiegelt und damit der christlichen Religiosität wenig Platz einräumt. Die spezifisch «Religiöse Volkskunde» steckte damals noch in ihren Anfängen.
11 Vgl. etwa Ebel; Deutsch (Zinzendorf); Hartmann.
12 Hersche, bes. 446ff., 474ff., 722f., 893f.
13 Allg. zu Ausserrhoden Schläpfer, für die Gemeinde Urnäsch Hürlemann.
14 Vgl. für das «traditionelle» Uri aber noch das 1946 erschienene Werk von L. von Matt.
15 Eine Hilfe war auch das von Imfeld verfasste Mundartwörterbuch. Für Appenzell gibt es das entsprechende Werk von Joe Manser. Dialektbegriffe habe ich in diesem Buch jedoch nur ausnahmsweise verwendet, nämlich dort, wo sie besonders aussagekräftig oder kaum mit einem einzigen anderen Wort übersetzbar waren.
16 Vgl. die in der Bibliografie aufgeführten Werke. Für das Entlebuch bietet das Werk von Kaufmann über die Mischehen auch viele allgemeine Informationen zu dieser Landschaft.
17 Dazu grundlegend Mathieu.
18 Vgl. etwa Schmid zum Lugnez. Naheliegend wäre es (gerade von Graubünden und dem am Ostrand der Schweiz gelegenen Untersuchungsgebiet Appenzell aus) einen Blick über die Grenze, ins Vorarlberg und Tirol, zu werfen. Das musste hier unterbleiben, abgesehen von der summarischen Benutzung eines «Klassikers», an dem niemand vorbeikommt, der sich mit den hier behandelten Fragestellungen abgibt: Das dreibändige «Bergbauernbuch» von H. Wopfner zum Tirol. Ergänzend zu dieser Region noch Hubatschek; Jäger. Vergleichend kann ferner die einzige grössere Untersuchung aus Deutschland zur Lebenswelt ländlicher Katholiken um 1950 herangezogen werden, nämlich diejenige von Fellner zu Bayern. Vgl. darin besonders die Abschnitte zu Ebersberg, 101ff., und Berchtesgaden, 176ff. Ebersberg ist von der Zahl der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung mit AI und OW vergleichbar, ebenso Berchtesgaden, wo allerdings der Tourismus eine ganz grosse Rolle spielt. Der Autor konstatiert einleitend zu recht ein enormes Forschungsdefizit zum gewählten Thema. Ein nahe der Schweiz gelegenes Gebiet (Oberschwaben) behandelt Kuhn.
19 Antonietti; Antonietti/Kalbermatten; Bellwald; Bellwald/Guzzi; Imhasly; Kuonen; Niederer; Pfaffen; Siegen Joh.; Siegen Jos.
20 Zum schweizerischen und bernischen Protestantismus allg. Guggisberg; Vischer; Weiss. Der «Atlas der schweizerischen Volkskunde» (ASV) behandelt die hier im Vordergrund stehenden, mit der Konfession zusammenhängenden Probleme eher am Rande. Auch das von P. Hugger hg. dreibändige «Handbuch der schweizerischen Volkskultur», gewissermassen das Nachfolgewerk der Synthese von Weiss, gibt zwar insgesamt einen umfassenden Überblick zum Thema, ist aber stärker gegenwartsbezogen und widmet der religiösen Kultur bloss verhältnismässig wenig Platz (explizit nur in den beiden Beiträgen von Heim, 1487–1500, und Campiche, 1443–1470). Eine nützliche neuere Datensammlung zum Vergleich katholischer und protestantischer Mentalität, aber auch zu anderen hier behandelten Fragekreisen, ist hingegen der von B. Fritzsche hg. «Historische Strukturatlas der Schweiz».
21 Für AI Steuble (die in der folgenden Darstellung gegebenen Daten sind in der Regel hier entnommen); für OW gibt Dillier nach Themenkreisen geordnet viele chronikalische Hinweise. Vgl. im Übrigen 10.5 und 10.6.
22 Zu diesen Entwicklungen und der schweizerischen Kirchengeschichte im 20. Jahrhundert vgl. in erster Linie die im Literaturverzeichnis angeführten Arbeiten vom Altermatt. Ferner Conzemius; Vischer.
1 Allgemeine Strukturelemente in Appenzell und Obwalden
1.1 Geografische Situation
Grundsätzlich sind die naturräumlichen, wirtschaftlichen, politischen und anderen Rahmenbedingungen beider Untersuchungsgebiete einander weitgehend ähnlich, bloss im Detail zeigen sich einige Unterschiede.1 Geografisch sind sie beide im schweizerischen Voralpengebiet gelegen, im Übergang vom hügeligen zum eigentlichen Berggebiet. Das wirkt sich besonders in Appenzell, an der Nordabdachung der Alpen gelegen, in häufigen Niederschlägen aus, wohingegen das fast rundum von Gebirgen umgebene Obwalden trockener ist. Das Appenzellerland liegt etwas erhöht südlich des Bodensees, am Fuss des Alpsteins, einer weit nach Norden vorgeschobenen Gruppe des Alpengebirges. Es ist rundum vom Kanton St. Gallen umgeben und von einem einzigen grösseren Fluss, der Sitter, durchflossen. Obwalden ist als einer der drei Urkantone Teil der Zentralschweiz. Es hat Anteil am Vierwaldstättersee, in den die Sarner Aa mündet, die das auf rund 435 bis 470 Meter über Meer gelegene Haupttal mit dem gleichnamigen See und dem Hauptort Sarnen durchfliesst. Wesentlich höher gelegen sind nur die Gemeinde Lungern sowie das abgeschiedene, seitlich gelegene Melchtal. Noch höher, auf rund 1000 Meter über Meer liegt die Exklave Engelberg. Dieser ehemalige Klosterstaat gehört geografisch eigentlich zu Nidwalden,2 schloss sich aber nach dem Ende der weltlichen Herrschaft der Äbte 1815 aus politischen Gründen Obwalden an. Appenzell Innerrhoden ist durchschnittlich höher gelegen, von 740 Meter über Meer an aufwärts. Eine Ausnahme bildet einzig der «Äussere Landesteil», die Exklave Oberegg, der im Ausserrhoder Vorderland gelegene, katholisch gebliebene Teil des alten ungeteilten Landes. Dieser ist stärker nach St. Gallen und dem Rheintal hin orientiert und auch wirtschaftlich etwas anders strukturiert; er wird daher in dieser Untersuchung im Allgemeinen nicht berücksichtigt. Der Hauptort Appenzell liegt auf 785 Meter über Meer, die kleinen übrigen Ortschaften meist auf etwa 900 Meter über Meer.
1.2 Siedlung, Bevölkerung, Verkehr
Nur die beiden traditionellerweise «Flecken»3 genannten Hauptorte Sarnen und Appenzell weisen eine einigermassen entwickelte Infrastruktur mit vielen Läden und Handwerkern auf und erfüllen in beiden Kantonen die zentralörtlichen Funktionen. Im Umland, in Appenzell noch stärker als in Obwalden und geradezu exemplarisch, herrscht bäuerliche Streusiedlung mit arrondiertem Landbesitz («Heimat») vor.4 In beiden Kantonen wurden die Höfe im geschlossenen Erbrecht an einen Sohn weitergegeben.5 In Appenzell bilden Wohnund Ökonomiegebäude eine Einheit (Kreuzfirstbau). In Obwalden sind sie, mit im Einzelnen deutlich anderer Bauweise, getrennt. Während beide Hauptorte eine minimale Grösse von einigen tausend Einwohnern haben, sind die übrigen paar Dörfer in Obwalden kleiner, weisen dennoch alle wichtigen Geschäfte auf (Läden, Handwerker, sogar mehrfach). Die Appenzeller Ortschaften ausserhalb des Hauptorts hingegen würde man besser Weiler nennen: Sie bestanden noch um 1960, bis der Bauboom auch dort einsetzte, nur aus Kirche, Pfarrhaus, Schule, eventuell einer Post, einer oder zwei Wirtschaften, sowie einer Bäckerei und allenfalls einem Gemischtwarenladen. Die Bevölkerung Obwaldens betrug 1950 22 125, diejenige Innerrhodens (ohne Oberegg) 11 230 Einwohner. Diese Zahlenverhältnisse gelten mit geringen Schwankungen auch für die Jahrzehnte unmittelbar vorund nachher. Auswanderung fand immer statt, denn in beiden Kantonen existierten in unserem Untersuchungszeitraum bei beschränkten Ressourcen noch sehr kinderreiche Familien.6 Einwanderer aus anderen Kantonen gab es vor 1960 verhältnismässig wenige, am ehesten bei ganz spezialisierten Berufen ohne lokale Tradition. Die Anbindung an den Verkehr war sowohl in Obwalden wie in Innerrhoden relativ schlecht, was sich unter anderem darin zeigt, dass sie nur mit Schmalspurbahnen erschlossen wurden, wobei allerdings der Brünigbahn in Obwalden überregionale Bedeutung zukam. Der Strassenverkehr war nach dem Krieg noch ziemlich unbedeutend, und bei den Einheimischen konnten sich damals nur die dörfliche Oberschicht oder bestimmte darauf angewiesene Berufstätige ein Auto leisten.7 Allerdings reisten die Touristen vermehrt damit an, was die beiden Kantone veranlasste, in den späten 1950er–Jahren eine vorher nicht existierende Verkehrspolizei ins Leben zu rufen.8 Gleichzeitig wurden umfangreiche Strassenausbauprogramme (Asphaltierungen, Verbreiterungen usw.) in Angriff genommen und wenig später wurde auch begonnen, die landwirtschaftlichen Siedlungen mit Flurstrassen für den motorisierten Verkehr zu erschliessen.
1.3 Wirtschaft
Die naturräumlichen Gegebenheiten bestimmten massgeblich die wirtschaftliche Tätigkeit, insbesondere im ersten Sektor, der zwischen 1945 und 1955 noch eindeutig dominierte.9 In Innerrhoden waren gemäss der Volkszählung von 1950 noch 51 Prozent der männlichen Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig,10 in Obwalden waren es 42 Prozent,11 also mehr als das Doppelte, beziehungsweise Dreifache des gesamtschweizerischen Durchschnitts.12 Diese Zahlen sind jedoch aus methodischen Gründen als blosse Richtwerte zu betrachten.13 Für den Getreidebau sind beide Gegenden nicht geeignet, nur in Obwalden gab es in der Ebene der Sarner Aa ein wenig Ackerbau. Auf staatlichen Befehl wurde zwar beiderorts im Rahmen des «Plans Wahlen» in der Notzeit des Zweiten Weltkriegs auf mehreren hundert Hektaren Getreidebau betrieben, aber gleich danach wieder aufgegeben. Einzig der im Krieg ebenfalls forcierte Anbau von Kartoffeln wurde vor allem in Obwalden für den Eigenbedarf noch eine Zeit lang weiter gepflegt. Grasbau und Milchwirtschaft herrschen bis heute vor und bilden neben der Kälbermast und der Aufzucht von Jungvieh das Haupteinkommen der Bauern in beiden Gegenden. Die Alpwirtschaft war beiderorts eine notwendige und wichtige, mit Liebe besorgte Ergänzung der Talbetriebe. Die Milch wurde zum kleineren Teil als Konsummilch weiterverkauft, vor allem aber wurden Käse und Butter daraus hergestellt. Das zweitwichtigste Nutztier, welches fast alle Bauern hielten, war das Schwein. Demgegenüber war die früher wichtige Ziegenhaltung schon damals stark zurückgegangen und reduzierte sich weiterhin. Auch die Schafhaltung war in unseren zwei Untersuchungsgebieten nie stark verbreitet. Pferde wurden beidenorts in der bäuerlichen Wirtschaft kaum eingesetzt, allenfalls dienten Kühe als Zugtiere. Hühner hingegen gehörten fast überall zu einem Hof. In Obwalden spielte in der Sarner Ebene der vor allem im Zusammenhang mit der früheren Umstellung auf die Graswirtschaft entstandene Feldobstbau noch eine grosse Rolle. «Wie ein Wald» sollen damals die Obstbäume gestanden haben.14 Die Ernte war nicht so sehr Tafelobst für den Markt, sondern wurde selber frisch verzehrt oder eingekellert, ausserdem zu einem grossen Teil zu Most verarbeitet, gedörrt, zu Birnenhonig eingekocht und die Abfälle schliesslich zu Schnaps veredelt. Ferner gehörte in Obwalden, ausgenommen in den höheren Lagen, ein Gemüsegarten fast obligatorisch zu einem Bauernhof und spielte wie das Obst eine grosse Rolle für die Selbstversorgung. Auch hier hatte der Zweite Weltkrieg impulsgebend gewirkt; auch Nichtbauern pflanzten damals Gemüse, um den mageren Speisezettel zu bereichern. In Appenzell hingegen gab es, abgesehen von dem tief gelegenen Gebiet um Haslen und vereinzelten sonstigen Apfelbäumen, keinen Obstbau, obschon er von Behörden und bäuerlichen Organisationen immer wieder propagiert wurde. Auch grössere Gemüsegärten fand man dort nach den Nöten der Kriegsjahre kaum mehr.15 Die Appenzeller bezogen Obst, Gemüse und Kartoffeln schon immer vorzugsweise aus dem St. Galler Rheintal;16 deren Konsum beschränkte sich bei den Bauernfamilien aber ohnehin auf ein Minimum. In Obwalden ging der Obstbau in den 1960er-Jahren massiv zurück. Gründe dafür waren die Mechanisierung (Mähmaschinen), der Arbeitskräftemangel, die Verwertungsprobleme und schliesslich die staatlich geförderten Rodungsaktionen.
Auf den zweiten Sektor wird später im Zusammenhang mit der Arbeitsethik und dem Nebenerwerb vor allem der Frauen noch einzugehen sein.17 Hier sei vorerst erwähnt, dass er, verglichen mit der übrigen Schweiz, in unseren beiden Untersuchungsgebieten eine geringe Rolle spielte. Selbstverständlich war das für den Bedarf der Bauern und der übrigen Bevölkerung notwendige Handwerk vorhanden, es konzentrierte sich aber vor allem in Appenzell auf den Hauptort. Insgesamt waren in der Nachkriegszeit die beiden Kantone vielmehr noch Musterbeispiele von weitgehend agrarisch strukturierten Regionen, besonders Innerrhoden. In Obwalden gab es immerhin schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert einige bedeutendere Betriebe des metallund holzverarbeitenden Gewerbes (Parkettfabriken und Möbelschreinereien), dazu eine grosse Hutfabrik, die zusammen einige hundert Arbeiter und Arbeiterinnen (die Heimarbeit nicht mitgerechnet) beschäftigten. Ab 1957 kam noch die Kunststoffindustrie dazu, schon durch die von ihr hergestellten Produkte ein Symbol des Umbruchs. Bereits 1952 wollte ausserdem die Regierung Obwaldens den nichtlandwirtschaftlichen Sektor durch einen besonderen Delegierten für Wirtschaftsförderung stärker entwickeln. In Appenzell wurde 1955 eine entsprechende Kommission ins Leben gerufen. Dort gab es bis dahin nur einige wenige kleine Textilverarbeitungsbetriebe, vor allem zur Herstellung von Taschentüchern, die Männer und Frauen beschäftigten. Die Heimarbeit der Handstickerei, die zwar schon in der Zwischenkriegszeit stark zurückgegangen war, dominierte vorderhand noch. Ferner existierte im Dorf Appenzell ein stark bäuerlich inspiriertes Kunsthandwerk (Weissküferei, Haarflechterei, Drechslerei, Bauernmalerei, Herstellung von Antikmöbeln und Schellenriemen).18
Im Dienstleistungssektor spielte der Tourismus in beiden Regionen schon länger eine gewisse Rolle. Dies obschon er von der herrschenden bäuerlichen Schicht nicht immer gern gesehen wurde, etwa wenn Touristen gedankenlos durch hohes Gras wanderten oder ihre Hunde frei laufen liessen.19 Auch die Geistlichkeit äusserte vielfach Vorbehalte, weil sie in der lockeren Kleidung der Fremden und ihren Wünschen nach Schwimmbädern und Tanzunterhaltungen ernste Gefahren für die Sittlichkeit sahen.20 Die Obwaldner Franz Josef Bucher und sein Schwager Josef Durrer waren industrielle Unternehmer, Bahnbauer, Hoteliers und Tourismuspioniere, wie sie sonst nur in den Städten und bei den Protestanten auftraten. Doch handelte es sich bei ihnen um Ausnahmeerscheinungen, wenn auch der Obwaldner im Allgemeinen immer als etwas regsamer als der benachbarte Nidwaldner geschildert wurde. Regsam war indes auch der Appenzeller, aber er betätigte sich doch in einem viel engeren Kreis, etwa durch den Verkauf von Stickerei in den berühmten Badeorten des In- und Auslandes. In Obwalden gab es in den höher gelegenen Ortschaften einige alte Kur- und Erholungshäuser. Erwähnt werden muss hier auch der religiöse Tourismus, der nach der Heiligsprechung von Bruder Klaus (1947) mit seiner Geburtsstätte und seiner Klause in Flüeli- Ranft und seinem Grab in Sachseln grössere Ausmasse annahm. Am wichtigsten war aber doch Engelberg, wo schon 1883 ein Kur- und Verkehrsverein gegründet wurde, und nach dem Bahnbau von 1898 das Dorf bereits um die Jahrhundertwende ein beliebter und mondäner Kurort und insbesondere einer der frühesten Plätze des sich danach stark entwickelnden Wintersports war.21 Diese massive Veränderung stand in einem gewissen Gegensatz zur Tradition des Klosterstaats und führte auch zu Konflikten, insbesondere weil die Touristen den strengen kirchlichen Moralvorstellungen nicht entsprachen. Andererseits profitierte das immer noch einflussreiche Kloster materiell vom Tourismus.22 In Appenzell hingegen waren die früher beliebten Molkenkuren schon vor dem Ende des 19. Jahrhunderts aus der Mode gekommen. Dasselbe Schicksal ereilte etwas später einige kleinere Bäder (Weissbad, Gontenbad, Jakobsbad). Nach 1945 herrschte vor allem Tagestourismus vor, war die Bergwelt des Alpsteins doch von den grösseren städtischen Siedlungen der Ostschweiz bis zum Bodensee aus relativ rasch erreichbar. Der im Laufe der 1950er-Jahre beginnende Bau von touristischen Infrastrukturanlagen (Skilift Sollegg, Ebenalpbahn, Campingplätze, Ferienhaussiedlungen usw.) markierte einen deutlichen Umbruch.
Die übrigen Dienstleistungsberufe fielen in beiden Kantonen zahlenmässig kaum ins Gewicht: Akademiker, Lehrer, Beamte, kaufmännische Angestellte, Post- und Bahnpersonal und so weiter beschränkten sich auf das notwendige Minimum. Die Lehrerschaft bestand zu einem grossen Teil aus geistlichen Personen beiderlei Geschlechter, worauf noch zurückzukommen sein wird.23 Besonders in Innerrhoden wurde ausserdem der Beamtenapparat der Verwaltung noch ausgesprochen schmal gehalten.24