Kitabı oku: «Fritz und Alfred Rotter», sayfa 3
DER GUTE RUF
Erfolg und jäher Absturz sind nur durch einen Wimpernschlag getrennt. Das erleben die beiden Brüder schon in der Frühzeit ihrer Karriere. Zu Beginn der Theaterspielzeit 1912 lassen sie sich, zusätzlich zum Engagement in der Kroll-Oper, auf ein neues Wagnis ein: Sie übernehmen wichtige Funktionen in der Komischen Oper – damals an der Friedrichstraße 104 gelegen, direkt an der Weidendammer-Brücke über der Spree. Direktor Adolf Lantz ist der Pächter, er sowie Fritz und Alfred benennen das Theater – durchaus programmatisch – in Deutsches Schauspielhaus um.
Die Kroll-Oper um 1924
Das zerstörte Gebäude, 1946
Sie kennen Lantz gut: An der Akademischen Bühne wie im Neuen Königlichen Operntheater – eben der Kroll-Oper – hat er als Regisseur gearbeitet. An einmal gefestigten, engen persönlichen Arbeitsbeziehungen halten Fritz und Alfred nach Möglichkeit fest – dieser Zug kennzeichnet ihre ganze Theaterlaufbahn.
Nun, von September 1912 bis Ende August 1913 im Deutschen Schauspielhaus, arbeiten beide für Adolf Lantz. An dem 1905 erbauten Theater, das 1150 Personen Platz bietet, wird Fritz Erster Regisseur und Alfred Chefdramaturg. Erstmals hilft ihr Vater mit einer nicht unbedeutenden Summe. Alfred entscheidet sich für den Künstlernamen Alfred Hansemann und verpflichtet sich per Vertrag, drei Jahre lang jährlich 60 000 Mark in vierteljährlichen Raten an Lantz als Darlehen zu zahlen. Fritz wählt den Vornamen des Vaters Hermann – was auf eine tiefere Identifikation mit ihm hinweist – und dazu erstmals den Namen Rotter: Im Neuen Bühnen-Almanach des Jahres 1913 erscheint er unter Hermann Rotter.
Ein halbes Jahr lang geht am Deutschen Schauspielhaus alles gut. Lantz nimmt später die Brüder ausdrücklich in Schutz: „Wie ich das Unternehmen des Deutschen Schauspielhauses ins Werk setzte, habe ich mich der Beihilfe der beiden Herren versichert. Ich würde ohne sie […] das Unternehmen überhaupt nicht begonnen haben. […] Mit den Gebrüdern Schaie war ich vollständig einig über die künstlerische Auffassung, insbesondere auch über die Auswahl der zu spielenden Stücke, und hatte an ihnen […] eine wertvolle Unterstützung und Hilfe.“19
Fritz inszeniert Goethes Egmont, von Strindberg die Stücke Gläubiger, Mit dem Feuer spielen und Ostern sowie vom aus Ungarn stammenden Schriftsteller Gabriel [ungarisch: Gábor] Drégely die Lustspiele Der König und Der gutsitzende Frack. Im Januar 1913 besorgen sie Hermann Sudermanns Schauspiel Der gute Ruf. Die Rotters haben sich auch die Rechte an den Stücken Strindbergs gesichert und sind mit Lantz überzeugt, „dass die Strindberg’schen Stücke neben ihrer künstlerischen Wirkung auch große Einnahmen bringen müssten“.20
Doch nach hoffnungsvollen ersten Monaten kommt es im Deutschen Schauspielhaus zu einer Intrige: Oskar Groteck, Schauspieler und Stellvertreter des Direktors, sowie ein später hinzugekommener Regisseur fühlen sich durch die Brüder „beengt“. Groteck bietet Lantz an, „die damals bestehende Schuldenlast hinwegzusanieren […], wenn die Gebrüder Schaie ihre überragende Stellung verlören“.21 In der Folge gibt Groteck dem Direktor 100 000 Mark.
Fritz und Alfred verlassen daraufhin das Theater und verabschieden sich mit einem „sehr bitteren Brief“ an Lantz. Alfred stellt die an sein Verbleiben geknüpfte Gewährung weiterer Darlehen ein. Die neue Theaterleitung ändert den Stückplan – statt Strindberg gibt es zunächst eine „Posse“. Neun Monate später, Ende Januar 1914, kommt der Konkurs. Ein Gerichtsurteil bescheinigt Alfred, dass ihn keine Schuld trifft und er zu keinen weiteren Darlehen verpflichtet ist.22
Zutage tritt allerdings die damals schon buchhalterische Nachlässigkeit des Bruderpaars. Die werden sie auch später nicht mehr los. Direktor Lantz als der eigentlich Verantwortliche für die Bilanzen hat sich nicht um die Buchführung gekümmert, Fritz und Alfred offenbar ebenfalls nicht – sie waren aber dazu auch nicht verpflichtet. 1913, nach dem frühzeitigen Ausscheiden des Brüderpaars, kann sich der hinzugezogene Bücherrevisor Bachmann in den Büchern „nicht zurechtfinden“ und hält fest, dass „die Bücher sehr unordentlich geführt“ sind. Lantz erklärt, „dass Schaies sich beliebige Gelder aus der Kasse genommen hätten“ – laut Vertrag gehören ihnen jedoch auch „35 Pfennig für jedes Billet“23.
Genau an diesem Punkt werden nur wenige Jahre später, 1917 und 1918, andere Gegenspieler ansetzen. Theaterzensor Curt von Glasenapp greift gegen Ende des Ersten Weltkriegs diese Affäre wieder auf, in blinder Entschlossenheit, das Bruderpaar zur Strecke zu bringen. Sein Hauptmotiv: 1914 haben sich Fritz und Alfred nicht eben vorgedrängt, um an die Front zu kommen. Nun unternimmt Glasenapp alles, was in seiner Macht steht, um sie als angebliche „Fahnenflüchtige“ zu überführen und ihnen nachträglich – wenn nicht die Schuld an der Niederlage des Kaiserreichs – eine Mitschuld am Zusammenbruch des Deutschen Schauspielhauses anzuhängen.
DER MISSLUNGENE VERSUCH, DAS THEATER STATT DAS DEUTSCHE REICH ZU RETTEN
Die dazugehörige Geschichte ist die folgende: Anscheinend lassen sich Fritz und Alfred bereits kurz vor Ausbruch des Krieges vom Wehrdienst zurückstellen, vermutlich mit Hinweis auf das – wegen ihrer Theaterarbeit – unabgeschlossene Studium. Beide sind als Jurastudenten eingeschrieben. Diese Genehmigung würde durch einen Kriegsausbruch ungültig, das wissen sie.
Später, bei seiner Festnahme 1915 in Dresden, versucht Fritz im Verhör klarzumachen, dass er lediglich noch nicht gemustert worden sei. Er habe sich am 2. August 1914 in der Polizeidirektion Charlottenburg in die „Kriegsstammrolle“ eintragen lassen, einen Tag nach der Verkündigung der allgemeinen Mobilmachung, sei aber „bei verschiedenen Regimentern in Berlin und Spandau nicht angenommen worden“, obwohl er „von einem Generalarzt für tauglich befunden“ wurde.24
Fritz Rotter meldet sich danach als Kriegsfreiwilliger in Leipzig bei der dortigen Train-Abteilung 19. „Train“ ist der Truppenteil, der für Nachschub sorgt und nicht an Kampfhandlungen teilnimmt. Warum in Leipzig? Schon vorher haben sie – als in Leipzig Geborene – erneut ihre sächsische Staatsbürgerschaft beantragt. Fritz hat die preußische erst am 28. November 1913 bekommen; die neue sächsische Aufnahmeurkunde erhält er am 4. Juli 1914.
Sie melden sich zum „Notexamen“ auch nicht in Berlin an, sondern in Naumburg – für den 4. September 1914. Jura studieren sie ohnehin „so nebenher“, wie sie später dem Neuen Wiener Journal erzählen – „mit dem Erfolg, dass der Bruder Fritz, am Vorabend seines Referendarexamens von Alfred über die Grundbegriffe des römischen Rechts befragt, nur mit tragischem Schweigen antworten kann. Zähneklappernd steht Fritz Rotter am anderen Morgen vor dem examinierenden alten Staatsrechtler Loehning im Prüfungssaal des Naumburger Oberlandesgerichts. Aber der fragt nicht nach römischem Recht, sondern redet den Kandidaten an: ‚Nehmen Sie einmal an, Sie wären Theaterdirektor und ich kaufe an Ihrer Kasse einen Parkettplatz. Welches juristische Verhältnis entsteht da?‘ Da ist Fritz Rotter gleich im Bilde. Er besteht das Examen mit Prädikat. Hinterher fragt er den Professor, ob er denn gewusst habe, was für ein Theaterhase er sei? Dass er gerade diese Frage gegen ihn gezückt habe? Der Alte schüttelt den Kopf, die Frage sei reiner Zufall gewesen. Aber dieser Zufall ist ebenso schicksalsbestimmend wie einst das unerwartete Wohlwollen Otto Brahms.“25 Auch Alfred besteht.
Wegen des Examens sind sie bis zum 1. Oktober 1914 vom Militärdienst befreit. Dann gewährt man ihnen einen weiteren Aufschub, weil sie sich entschließen, so Fritz später, „zunächst unsere Doktor-Arbeit zu machen und nicht sofort bei einem Gericht als Referendar einzutreten“. Als sie eine Aufforderung erhalten, sich in Charlottenburg zur Musterung einzufinden, verweisen sie darauf, dass sie bereits in Sachsen, genauer in Leipzig, als Kriegsfreiwillige angenommen worden seien.
Bis 1915 bleiben sie unbehelligt. Sie wohnen bis Ende Dezember 1914 in der Germania Pension in Leipzig „unter unserem richtigen Namen Schaie“, wie Fritz später angibt. Die Leipziger Polizei hat sie zwar vorgeladen und ihre Militärpapiere sehen wollen – doch sie weisen Bescheinigungen vor, wonach Alfred bei einem Regiment in Dresden bis Oktober 1915 als „überzählig“ zurückgestellt und Fritz in Berlin in der Stammrolle eingetragen sei.
Dann ziehen sie um in die Leipziger Pension Müller in der Gottschedstraße 22, wo sie bis Juni 1915 unter ihrem Familiennamen gemeldet sind. Die Miete wird durch Eilboten geschickt, „der Bote aber gibt keine Auskunft“, wo sie sich aufhalten. Die Inhaberin der Pension, Martha Glöck: „Die ersten 3 Monate sind sie immer spät nachts in die Wohnung gekommen und haben dann bis Mittag geschlafen. Sie sind dann stets ausgegangen. Was sie da getrieben haben, weiß ich nicht.“26 Nur für einen Monat, im Juli 1915, wechseln sie in die Pension Waldenberger. Der Inhaberin teilen sie mit, sie würden täglich „ihre Einberufung erwarten“27. Und sie wollen nicht polizeilich angemeldet werden. Darauf lässt sich die Wirtin nicht ein, sie gibt zu Protokoll: „Später haben sie in Hannover im Hotel Herzog Ernst und in Harzburg im Hotel Continental gewohnt, wohin ich ihnen die Postsachen nachgesandt habe.“28
Fritz Rotter beteuert später im Verhör: „Von den Kontrollversammlungen im April und Oktober 1915 haben wir keine Kenntnis gehabt. Wir haben die Anschläge nicht gelesen, auch nicht gesehen.“ Es wird ihm vorgehalten, dass das wenig glaubhaft sei, aber Fritz bleibt dabei: „Ich habe sehr viel zu tun gehabt und mich nicht viel auf den Straßen aufgehalten.“29
In Dresden werden Akten angelegt. Darin heißt es unter anderem: „Fritz Schaie wird dauernd gesucht“ und „Die Schaie sollen große Gauner sein“.30 Fritz wird am Morgen des 19. Oktober 1915 im Dresdener Hotel Exzelsior von einem Kriminalbeamten verhaftet und sein Bruder Alfred auf die Liste derjenigen gesetzt, über die es heißt: „Entziehen sich ihrer Militärpflicht. Dem nächsten Bezirkskommando zur Musterung als Heeresunsichere zuzuführen.“31 Nach eigener Aussage wird Fritz zuerst zur Polizei gebracht, dann militärisch eingezogen. Am 20. Oktober 1915 kommt er als „ungedienter Landsturmmann“ zum „12. Train-Ersatz-Bat. 2. Abt. 2. Eskadron, Dresden“. Er bleibt auf freiem Fuß, wird aber in Uniform gesteckt und kaserniert. Eine kriegsgerichtliche Untersuchung beginnt.
Ein knappes Jahr zuvor sind sie stille Teilhaber des Lessing-Verlags geworden, den ihr Geschäftsfreund Dr. Julius Blumenthal32 im November 1914 in Leipzig gründet. Für diese neue Tätigkeit haben sie sich den Namen Langenfeld zugelegt. Sie sollen auch mit Musiknoten gehandelt haben – einem späteren Gegner zufolge „mit den Noten von Kriegsliedern“. Das Dienstmädchen der Familie Blumenthal kennt nur ihr Pseudonym: „Wie ich ab und zu sah, arbeiteten sie Programme aus zu einem zu veranstaltenden Künstlerkonzert. Zwei derartige Konzerte haben sie auch im städtischen Kaufhaus und im Zentraltheater gegeben. Mir waren die Gebrüder Schaie nur unter diesem Namen bekannt. Es kamen aber öfters Leute, bevor die Konzerte gegeben wurden, und frugen [fragten] nach Gebrüder Langenfeld. In der ersten Zeit schickte ich die betreffenden Leute wieder fort, weil mir die Gebrüder Langenfeld nicht bekannt waren. Später erfuhr ich aber, dass die Gebrüder Schaie den Künstlernamen Langenfeld führten.“33
Fritz und Alfred Schaie besitzen eine „schriftliche Generalvollmacht“ und die Befugnis, die Firma zu vertreten. Doch der zweiundzwanzigjährige Blumenthal betrachtet sich als „alleinigen Inhaber“ des nach Lessing benannten Verlages, was später zu einem Gerichtsstreit führt.
Statt ihre Doktorarbeit voranzutreiben, haben sie auch wieder zu inszenieren begonnen. Im Frühjahr 1915 – ein halbes Jahr vor der Verhaftung im Oktober – bringen die Brüder Elektra von Sophokles auf die Bühne. Zwar gewinnen sie eine erstklassige Schauspielerin, doch es zeigt sich, dass Fritz und Alfred eigentlich auf der Flucht und die Aufführungen nur Tarnung sind: Sie pfuschen, reisen mit fast leeren Händen an. Blumenthal im Rückblick, 1918, lange nach dem Bruch: „Schaie haben in Frankfurt am Main ein Ensemblegastspiel mit Adele Sandrock in Elektra angezeigt. Unter Ensemble versteht man eine zusammen eingespielte Gemeinschaft von Künstlern. Das ‚Ensemble‘ wurde zum Teil erst in Frankfurt in letzter Minute zusammengestellt. Ergebnis: mäßige Kritik in der Frankfurter Zeitung. Bei der Abrechnung Differenzen mit Direktor Seeth. Noch heute Prozess.“ Zudem haben sich Fritz und Alfred nicht um Aufführungsrechte für die verwendete Übersetzung bemüht. Blumenthal: „Nur meine Beziehungen zur Vertriebsstelle haben eine Verfolgung wegen dieser Verletzung vermieden.“34
Das Stück wird am 20. Juni 1915 auch in der Stadthalle von Hannover gezeigt, aber erst, nachdem es Blumenthal gelingt, einen Streit mit dem Stadtmagistrat zu schlichten – zwischen letzterem sowie Fritz und Alfred kommt es fast zu einer „handgreiflichen Auseinandersetzung“35, als dieser den Mietvertrag für die eigentlich am 9. Mai 1915 geplante Aufführung wieder rückgängig macht. Auch Blumenthal kritisiert den „Widerstand der Behörde“, merkt aber an: „Es wären indessen meines Erachtens keinerlei Schwierigkeiten entstanden, wenn sich nicht Schaie von Anfang an dort unbeliebt gemacht hätten. […] Der Hannoversche Kurier schrieb eine sehr schlechte Kritik. Auch von Seiten des Publikums sind – soweit ich mich erinnern kann – Klagen gekommen.“36
Zu dieser Zeit sind die Brüder auch „als Alfred und Fritz Langenfeld bei der Direktion des Deutschen Theaters in Hannover tätig“, und zwar bis 15. August 1915.37 Aus Hannover geht die erste anonyme Anzeige ein, mit denen die Leipziger Akten über Fritz und Alfred Schaie am 12. August 1915 beginnen. Darin heißt es, „dass sie sich unter dem Namen Dr. Langenfeld im Deutschen Theater in Hannover aufhalten, um sich der Einberufung zum Heeresdienst zu entziehen; sie hätten sich ebenso wie Dr. Blumenthal im August vorigen Jahres freiwillig gemeldet, seien auch angenommen worden, aber teils infolge der Führung falscher Namen, des stetigen Wechsel ihres Wohnsitzes und durch die Bestechung der Feldwebel von der Einberufung verschont geblieben.“38
Besser läuft es beim Sommergastspiel 1915 am Intimen Theater in Nürnberg, für das Blumenthal selbst die Federführung übernimmt – und sich über „restlos ungemeine Erfolge“ freut. Die Rotters setzen auf den jungen Schauspieler Hans Albers – der ihnen zunächst wenig Beifall einbringt, nach dem Krieg aber wieder bei ihnen auftreten wird. Auch Fritz behält jenen Sommer 1915 in starker Erinnerung, wie 1933 in einem Interview mit dem 8 Uhr-Blatt Nürnberg deutlich wird. „Fritz Rotter“, so schreibt der Reporter, „hat heute noch in seinem Archiv eine Kritik über Hans Albers verwahrt, der damals mit Rotter in Nürnberg weilte und ganz jämmerlich verrissen wurde“.39
Im Oktober 1915, erneut in Frankfurt am Main, folgt ein Wagner-Abend. Aber die angezeigten Ernst Kraus und Eva von der Osten sagen ab. Auf den „erst ganz kurz vor Beginn zum Verkauf“ gebrachten Programmen werden zwar die „Namen der als Ersatz engagierten Künstler“ gedruckt, aber die Presse ist nicht informiert, und weder in der Zeitung noch „an der Tages- und Abendkasse“ wird die veränderte Besetzung angezeigt. Es gibt „polizeiliche Rückfragen, ob Kraus und Osten überhaupt verpflichtet gewesen waren“ – das trifft zu. Dennoch: „Starker Angriff der Frankfurter Zeitung. Flut von Zuschriften aus dem Publikum mit Verlangen zur Rückzahlung des Eintrittsgeldes“, so Blumenthal. Ihr Ruf ist dahin.
Derselbe Wagner-Abend geht in Hamburg ohne Hindernisse über die Bühne. Die Rotters wohnen im Hotel Vier Jahreszeiten. Sie bleiben ungefähr vierzehn Tage, dann soll die kleine Tournee nach Dresden weiterziehen. Dort wird Fritz, von Alfred am 19. Oktober 1915 vorausgesandt, schließlich verhaftet und ins Militäruntersuchungsgefängnis gesteckt.
Anfänglich sind Fritz und Alfred mit Julius Blumenthal gut befreundet, er weiß viel über sie und gilt ebenfalls als „unsicherer Heerespflichtiger“40. Später, nach der Trennung, gibt er sie preis. Unter Befragung des Berliner Theaterzensors Glasenapp, vermutlich im Februar 1918, sagt er aus: „Ungefähr folgendes Verfahren haben Schaie angewandt, um nicht einberufen zu werden. Sie wechselten häufig ihren Aufenthalt, nachdem sie sich wohl zuvor von Berlin abgemeldet hatten. Sobald sie im Begriff waren, abzureisen, meldeten sie sich auf dem Bezirkskommando an. Ihre Post ließen sie sich dann irgendwohin nachsenden. Dort aber – so äußerten sie – möge sie liegen. Sie sagen einfach, sie haben [den] Gestellungsbefehl nicht bekommen. So erhielt ich eines Tages einen Gestellungsbefehl für Schaie ins Feld hinausgesandt, weil sie meine Feldadresse als Nachsendungsort für ihre Post angegeben hatten.“41
Zirkus Sarrasani in Dresden, Postkarte von 1916
In den Tagen unmittelbar vor und auch nach der Festnahme und militärischen Kasernierung von Fritz arbeiten sie noch einvernehmlich zu dritt – Julius Blumenthal selbst ist bis dahin der Einberufung entgangen.
Für das „sogenannte Wagnerkonzert“ soll Fritz vor Ort in Dresden mit dem Verwalter des Zirkus Sarrasani-Gebäudes verhandeln, Johannes Winkler, Baumeister von Beruf, neununddreißig Jahre alt. Der überlässt dem Trio Schaie-Blumenthal gegen eine Pachtsumme von 1200 Mark am 31. Oktober 1915 das Gebäude des Zirkus Sarrasani für einen Abend. Gewisse Dinge machen den Verwalter aber stutzig. Sowohl Blumenthal als auch Alfred Schaie, beide kurzfristig aus Hamburg hergekommen, hätten sich für die beim Telefonamt bestellten Ferngespräche nur mit „Bl.“ für Blumenthal oder „L.“ für Langenfeld – dem damaligen Theaternamen der Brüder Schaie – angemeldet.
In seiner Kaserne hat Fritz offensichtlich Ausgang bekommen. Verwalter Winkler: „Am 31.10. wohl schon vormittags waren Blumental und die beiden Schaie da, zuerst kam Fritz, dem ein Trainsoldat einen Karton nachtrug; Fritz Schaie sagte mir selbst, es seien seine Zivilsachen drin. Fritz übernahm die Kasse, verhing die vier Kassenfenster alle so, dass nur eine Öffnung von etwa 30 zu 20 zum Durchreichen der Billette übrig blieb; er blieb auch dabei, obwohl ich dagegen protestierte. Außerdem stand er noch auf einer Kiste, so dass man seine Brust und seinen Kopf nicht sehen konnte. Er wollte sich offenbar unsichtbar machen.“42 Winkler wird misstrauisch: „Nach meiner Überzeugung haben sie alles mögliche getan, um ihren wahren Namen zu verschleiern […].“ Weiter: „Während des Konzertes, und während sich Fritz Schaie in der Kasse befand, ging ich mit Blumenthal und Alfred Schaie im sogenannten Reitergang, der hinter dem Zuschauerraum liegt, auf und ab, und dabei frugen sie mich, ob ich wohl geneigt oder in der Lage wäre, ihnen den Zirkus auf eine längere Zeit, wohl auch bis zu einem Jahr zu fortgesetzten Aufführungen zu verpachten […].“ Mit einem solchen Pachtvertrag hätten sie allenfalls vom militärischen Dienst freigestellt werden können. „Ich antwortete ihnen, dass das vielleicht nicht ganz unmöglich sein würde, um den Angestellten Brot zu schaffen, habe aber auch gleich hinzugesetzt, dass von einem ganzen Jahr dabei keine Rede sein könne.“ Sie einigten sich auf eine vorerst sehr viel kürzere Pachtdauer: „als Endtermin war anfangs der 28.11., bei den späteren Verhandlungen der 31.12. […] in Aussicht genommen“43 worden.
Da die musikalische Vorführung ausreichend Publikum anzieht, verhandelt Winkler weiter mit Alfred Schaie, der am 8. und 14. November 1915 erneut anreist und unter dem Namen „Rechtsanwalt Dr. Fränkel aus Hamburg“ in „Schillers Hotel“ absteigt,44 zusammen mit einer Frau. Vermutlich ist das schon seine spätere Gattin Gertrud, die Hochzeit findet knapp zwei Jahre später am 10. Juli 1917 statt. Währenddessen erlebt Fritz den Drill der militärischen Grundausbildung.
Alfred spricht mit Winkler über Theateraufführungen, aber auch über den Plan „eines Lichtspielprogramms im Zirkus Sarrasani“ – er will Kino machen. Winkler fällt aber an Alfred unangenehm auf, dass „er mir stets seine Wohnung verheimlichte und mir auf meine Frage nach seinem Militärverhältnis stets ausweichende Antwort gab“.45 Wie Fritz zuvor gibt sich auch Alfred dem Verwalter gegenüber nur unter dem Bühnennamen Langenfeld zu erkennen.
Im November 1915 bröckelt die Fassade des Lessing-Verlags. Blumenthal kann die Einberufung nicht länger vermeiden und muss sich am 13. November 1915 in Leipzig stellen. Alfred in Dresden versucht noch am Vorabend das Unmögliche – den Verwalter Winkler vom Zirkus Sarrasani dazu zu bewegen, beim verantwortlichen Major Schwannike zu intervenieren, das heißt die Freistellung von Blumenthal zu verlangen. „Als Begründung sollte ich anführen, sie hätten für die Aufführung das ganze Personal schon engagiert und ohne die Anwesenheit und Mitwirkung Dr. Blumenthals könnten die Aufführungen nicht stattfinden.“46 Der Pachtvertrag „für theatralische Aufführungen“ war abgeschlossen, aber vorerst bis 28. November 1915 befristet. Das Brüderpaar hätte sich eine „längere Dauer“ gewünscht, aber darauf geht Winkler nicht ein. Zwar verwendet er sich für Blumenthal, doch vergeblich.47
Alfred und Fritz scheinen Winklers wachsendes Misstrauen zu spüren. Sie wissen, dass er von Beruf Baumeister ist. „Mich frugen sie, was ein großes Theater in Berlin zu bauen koste, womit sie mich beauftragen wollten.“ Doch Winkler wendet sich innerlich von ihnen ab. Alfred indes ist bereits damit beschäftigt, Verträge für den Kartenvorverkauf im Zirkus abzuschließen, und zwar mit dem Kaufhaus Herzfeld in Dresden. Er und Fritz machen einem Kassierer mit Namen Liebe das Angebot, „ihn als Geschäftsführer mit einem ganz bedeutenden Gehalt und Gewinnanteil zu engagieren“.48 Sie sehen durchaus die Möglichkeit, das leerstehende Zirkusgebäude den ganzen Winter über zu bespielen. Es sind keine leeren Worte – nach dem Krieg stellen die Rotters regelmäßig genau auf diese Weise frühere Partner ein. Nur ein Theater in Berlin werden sie sich nie bauen lassen.
In eben diesem Kaufhaus Herzfeld in Dresden wird Alfred am 24. November 1915 verhaftet – fünf Wochen nach Fritz. Er hat Winkler noch erklärt, er werde „voraussichtlich in den Nachmittagsstunden an der Vorverkaufskasse von Herzfeld anzutreffen“ sein. Winkler erscheint inzwischen die „Heimlichtuerei“ von Alfred „in hohem Grade verdächtig“: „trotz wiederholter und dringlicher Fragen nach seiner Wohnung“ verweigert Alfred „deren Angabe […] mit allerhand Ausflüchten“. Zu den letzten Verhandlungen nimmt er sogar eigens seinen Bruder mit: „Fritz Schaie war in Uniform dabei. Ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, dass eine Hinterziehung der Militärpflicht vorliegen würde, weil Blumenthal und Alfred Schaie doch wiederholt von Reklamation vom Militär“ – erbetener Freistellung – „gesprochen hatten. […] Ich nahm deshalb die Hilfe der Polizei in Anspruch […]“.49
Die Denunziation nimmt der Dresdener Polizeiinspektor Fischer entgegen. Nach der Verhaftung wird Alfred von „Kriminalgendarm Töpfer“ verhört; diesem „soll er sein ganzes Geld angeboten haben, was er bei sich habe, wenn er ihn laufen ließe“50, will Winkler danach erfahren haben. Unter den Wertsachen, die Alfred „im Untersuchungsgefängnis abgenommen“ wurden, befinden sich 670 Mark – Betriebskapital des Lessing-Verlags, das die Bespielung des Zirkusgebäudes hätte sichern sollen. Erst nachträglich bekennt Fritz dem Verwalter Winkler in dessen Wohnung entschuldigend, „Langenfeld sei nur“ der „Künstlername, sie könnten doch ihres Berufes“ – als Juristen – „und der Familie wegen beim Theater nicht unter ihrem wirklichen Namen auftreten“.51 Damals sind solche Künstlernamen weit verbreitet.
Der Krieg fordert auch unter Theaterleuten seine ersten Opfer. Im Deutschen Bühnen-Jahrbuch 1915 werden auf einer „Ehrentafel“ die Namen von „Bühnen-Angehörigen“ genannt, die „auf dem Felde der Ehre“ fielen: es sind 42; weitere 113 sind verwundet und 77 „mit dem Eisernen Kreuz“ ausgezeichnet worden – von insgesamt 900, die „unter der Fahne stehen“. Ein Jahr später sind es schon 96 Gefallene, 181 Verwundete sowie 160 mit dem Eisernen Kreuz Geehrte unter den 1600 eingezogenen „Bühnen-Angehörigen“. Auch der spätere Ehemann der jüngsten Schwester Ella Schaie, Albert Ullmann, wird 1916 in Frankreich als Arzt im Krieg schwer verwundet und erhält dafür das Eiserne Kreuz. Später wird er Theaterarzt an den Rotterbühnen.