Kitabı oku: «Fritz und Alfred Rotter», sayfa 9
Alfred Kerr, der rund zwei Jahrzehnte älter ist als die Rotters und kurz nach ihnen ins Exil geht, sticht mit seinen literarischen Kritiken hervor und beantwortet die Rundfrage der Bühnengenossenschaft am 27. Juli 1924 aus Berlin-Grunewald – wo auch Fritz und Alfred Rotter leben – mit ungewöhnlicher Härte:
„Die Herren Rotter sind mir menschlich unbekannt. Ich habe gegen sie keine Voreingenommenheit. Aber ihr Wirken gibt mir die Gewissheit, dass sie die übelsten Schädlinge sind, welche die deutsche Theaterkunst seit Geschlechtern aufzuweisen hat. Ihr Wirken ist Spekulation auf tiefstehende Regungen einer gewissen Schicht. In dieser Tendenz treiben sie ‚Kunst‘ als Handelsgeschäft. Sie pflegen u. a. Kitzlich-Obszönes in der plattesten Form. […] Dazu kommt eine das Publikum peinlich irreführende Reklame: durch systematische Veröffentlichung von Zeitungsannoncen mit unwahren Angaben. Deutschlands Bühnenkunst, jahrzehntelang die erste der Welt (und noch heut im ganzen unerreicht), wird vornehmlich durch die Rotter-Praxis heruntergebracht.“154
Seltsamerweise verteidigt Alfred Kerr erst im Dezember 1932, kurz vor ihrem Untergang, endlich die Brüder: „Das Getu, als pfiffe Deutschland Theater auf dem letzten Loch (weil die Rotters ein paar Häuser pachten)“, schreibt er – wie nach einem Sinneswandel – im Berliner Tageblatt.
Siegfried Jacobsohn, Herausgeber der Weltbühne, schreibt dem Präsidium der Bühnengenossenschaft aus seiner links-oppositionellen Haltung heraus am 28. Juli 1924 ebenfalls unerbittlich: „1. Ich halte die künstlerische Tätigkeit der Direktion Rotter für so schädlich, dass ich sie als Kritiker von jeher aufs schärfste bekämpft habe. 2. Mit jedem Theater mehr, das der Direktion in die Hände fällt, vergrößert sich ihre Schädlichkeit, als dieses Theater sonst ja unter die Leitung einer künstlerischen Persönlichkeit kommen könnte, die das Niveau der deutschen Theaterkunst in dem Grade heben würde, wie die Direktion Rotter es heruntergebracht hat.“155
Und Herbert Jhering antwortet am 28. Juli 1924 aus den Ferien („Kampen auf Sylt“): „1. die ‚künstlerische‘ Tätigkeit der Direktion Rotter hat das Ansehen des Berliner und damit des deutschen Theaters untergraben. 2. […]. 3. Ein Theater von der Bedeutung des Lessing-Theaters braucht besonderen Schutz. Es geht nicht an, dass es beliebigen skrupellosen Unternehmern ausgeliefert wird. Es ist eine Frage der Reinlichkeit des öffentlichen Kunstlebens, dass das Lessing-Theater nicht an die Gebrüder Rotter fällt oder an einen von ihnen. 4. Es ist gerade deshalb in diesem Falle besonders notwendig, auf die künstlerische Eignung des Konzessionsbewerbers zu dringen. Es liegt ein bedeutendes öffentliches Interesse vor. Die Verantwortung ist groß.“156 Nur: Das Lessing-Theater war kein Staats- oder Stadttheater, sondern ein privates Haus.
Einzig der – republikanisch-demokratische – Montag Morgen in Person des Autors Stefan Großmann (der einmal Anarchist gewesen sein soll) rät als Warner in der Wüste davon ab, das Polizeipräsidium in einem „Denunziationskrieg“ zum Richter über eine Frage zu machen, die „nur uns Kritiker, uns Publikum“ angehe. „Man sage nicht, der Zweck heiligt die Mittel. Umgekehrt ist’s richtig: Diese Mittel entheiligen jeden Zweck!“157 In einem weiteren Artikel mahnt Großmann: „Ich halte freilich den Kampf, den die Bühnengenossenschaft jetzt gegen die Rotters führt, für eine der prinzipiell unglückseligsten Aktionen der Genossenschaft. Wir sind glücklich die Zensur losgeworden, und durch solche Aktionen, die der Polizei-Behörde neue Macht einräumen, sind wir im Begriffe, eine Überwachungszensur schlimmster Art einzuführen.“158
In einer Kolumne wendet sich Großmann unter dem satirisch gemeinten Titel Vorschlag zur Beseitigung der Rotters direkt an Gustav Rickelt, den Präsidenten der Bühnengenossenschaft und Anführer der Kampagne: „Sie wollen die Gebrüder Rotter beseitigen? […] Ich will Ihnen schnell das Mittel sagen, wie Sie die Rotters mausetot schlagen können. Ich will es Ihnen sagen, weil Sie ein so famoser zorniger Polterer für die Kunst sind, Ihr Poltern ist ja beinahe schon Kunst. […] Wenn ich nicht irre, Genosse Rickelt, sind Sie Sozialist. Oder waren Sozialist. Oder sind Beinahe-Sozialist. In den schönen kurzen Novembertagen schimmerten Sie jedenfalls rot.“159 Und dann weist Großmann auf die Sonntagsbeilage Weltspiegel des Berliner Tageblatts hin, auf dem die Rotters mit Theaterfotos stets exklusiv Werbung für ihre Bühnen machen:
„Sie brauchen […] den Rotters bloß diese Inseratenseite zu entziehen, und die Berliner Theater sind vor der Verrotterung geschützt. […] Auch die Autoren werden es euch danken. In der vorigen Saison ist es Ludwig Fulda passiert, dass er eine Generalprobe bei den Rotters mitmachte, in welcher der Hauptdarsteller, Herr Falkenstein, fehlte, er hatte Wichtigeres zu tun, er filmte. Fulda wollte daraufhin seine Premiere inhibieren [aufhalten]. Aber da sagten die Rotters: ‚Unmöglich!‘ – Fulda fragte, drang in sie, warum die Verschiebung denn unmöglich sei. – Endlich erhielt er das süße Geständnis: ‚Ja, das Bild im Weltspiegel mit dem großen stürmischen Erfolg ist schon im Druck!‘ Folgen Sie mir, Rickelt, […] mit meinem Rezept schlagen Sie die Rotters für immer tot!“
Schon Jahre zuvor mutmaßt Siegfried Jacobsohn in der Weltbühne satirisch, „die beiden Bindelbands“ könnten „eines Tages, um den störenden Widerspruch zwischen ihren Bildinseraten und den Kritiken zu beseitigen, den Verlag der wichtigeren Zeitungen auf ähnliche Weise an sich bringen“ wie ihre Bühnen.160
Doch was ihre vermeintlich amerikanischen Methoden betrifft, schreibt ausgerechnet der US-amerikanische Schriftsteller John Dos Passos in seinem 1925 erschienenen Roman Manhattan Transfer: „[…] die Reklame macht nicht den Erfolg … Wenn das ginge, wären sämtliche Theaterdirektoren in New York Millionäre […]. Die Reklame macht es nicht, auch die guten Kritiken machen es nicht, vielleicht ist es Genie, vielleicht ist es Glück, aber wenn man dem Publikum in einem bestimmten Augenblick und in einem bestimmten Theater das bieten kann, was es haben will, dann ist der Erfolg da.“161
DER VORWURF: „NACKTE SPEKULATION AUF DEN SEXUS“
„Eine nackte Spekulation auf den Sexus“ erblickt die Bühnengenossenschaft insbesondere bei der Werbung für das Lustspiel Galante Nacht des Leipziger Rechtsanwalts und Autors Hans Bachwitz, das nach der Berliner Aufführung auf große Tournee ging. Bachwitz stellt in einem Brief vom 26. Juli 1924 den Sachverhalt richtig:
„Wie ich erfahre, hat man der Direktion Rotter daraus einen Vorwurf gemacht, dass sie mein Lustspiel Galante Nacht in der ersten Anzeige des Leipziger Stadttheaters als ‚erotisches Abenteuer‘ bezeichnet hat. Da das Werk mit diesem Untertitel vorher in Wien zwei Monate und in Budapest gespielt wurde, ohne dass ich widersprach, konnte sich die Direktion Rotter wohl für berechtigt halten, das Stück mit diesem Untertitel auch in Leipzig zu versehen, zumal da, wie ich erst später erfuhr, für die Leipziger Aufführungen ein Wiener Soufflierbuch verwendet wurde. Ich für meine Person protestierte für Leipzig gegen den Untertitel, und die Direktion Rotter hat daraufhin […] loyalerweise sofort den beanstandeten Untertitel […] geändert. Der Erfolg der Galanten Nacht im Leipziger Stadttheater durch das Ensemble des Berliner Trianontheaters, d. h. der Direktion Rotter, […] war übrigens ein sensationeller, wie mir die Intendanz bestätigte, in Leipzig noch nie dagewesen […]. Dass mein Werk heute über alle Bühnen Deutschlands und fast des gesamten Auslands geht, ist in meinen Augen ein Verdienst der Direktion Rotter […]. Dr. Hans Bachwitz.“162
Ein Gerücht über Jhering, der sich wie kein anderer an den Rotters abarbeitet, behauptet damals, dass er in jungen Jahren einmal selbst ein Theaterstück verfasst und … es ausgerechnet den Rotters geschickt habe, in einer Zeit, als sie wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg noch das Akademische Theater leiteten. Als ihm das zu Ohren kommt, schreibt Jhering am 9. August 1924 „An die Direktion der Rotterbühnen“: Er erfahre, dass sie öffentlich davon sprechen würden, „im Besitz eines Stückes von mir zu sein“.
Fritz und Alfred Rotter lassen das am 16. August 1924 durch ihren Regisseur Oskar Kanehl dementieren.163
Die von linksliberalen Kreisen getragene Kampagne gegen die Rotters kippt endgültig im August 1924, als die Deutsche Zeitung den ehemaligen Rotter-Schauspieler Fritz Ebers unter dem Titel „Von der Verlotterung und Verrotterung“ einen Artikel schreiben lässt, der in offenem Antisemitismus „die fast allgemeine Verjudung der Berliner Theater“ als am „bedrohlichsten“ bezeichnet und ganz offen hetzt: „ […] dass die Rotters ein bescheidenes Talentchen und eine eiserne Ausdauer haben. Das waren von jeher die gefährlichsten Menschen!“ In derselben Zeitung heißt es am 10. August 1924, „in den Direktionen deutscher Theater“ hätten „uns völlig Stammes- und darum auch Wesensfremde ihren Einzug gehalten“.
„Und wir sagen jetzt schon voraus: […] es muss notwendig dahin kommen, dass auch der deutsche Schauspielerstand in seiner Gesamtheit die Aufhebung des königlichen Judenemanzipationsedikts vom 11. März 1812 fordert. Schädlinge am Volkswohl als solche erkennen und dann noch dulden, ist Hochverrat an der freien Majestät des Volkes!“
Fritz und Alfred Rotter müssen befürchten, dass das Lessing-Theater zur Eröffnung der neuen Spielzeit 1924/25 leer steht und die Beschäftigten arbeitslos werden. Maßgeblich für die Erteilung einer Konzession ist nach Gesetzeslage die „Zuverlässigkeit“. Wie schon einmal unter von Glasenapp zieht die neue Führung der Theaterabteilung von überallher Erkundigungen ein, angezweifelt wird auch die „ordnungsgemäße Buchführung“. Dies ist in der Tat der größte Schwachpunkt Fritz und Alfred Rotters – und wird es bleiben. Weder in den Studiums- noch den Kriegs- und Inflationsjahren haben sie sich an eine solide Buchhaltung gewöhnt.
Am 25. Oktober 1924 kommt die Ablehnung. „Die von dem Theaterunternehmer Alfred Schaie genannt Rotter […] beantragte Erlaubnis zum Betrieb eines Schauspielunternehmens gemäß § 32. R.G.O. in dem Lessing-Theater, Friedrich Karl-Ufer 1, wird versagt.“164
Das ist kränkend, aber die beiden haben lange genug Jura studiert, um zu wissen, dass dies noch lange nicht das Ende ist. Sie geben in einem entscheidenden Punkt nach – und nehmen drei Wochen später Rechtsanwalt Artur Wolff, den geschäftsführenden Direktor des Deutschen Bühnenvereins, „als Syndikus [Rechtsberater] in die Direktion Rotter“ auf, „für die Dauer der Konzession, aber mindestens für die nächsten fünf Jahre“. So berichtet die Berliner Börsen-Zeitung im November – und kann gleich als erstes Blatt vermelden, dass Alfred Rotter die Spielberechtigung im Lessing-Theater „unter sonst nicht üblichen Bedingungen“ schließlich doch noch erhalten hat.
Stefan Großmann zieht im Montag Morgen Bilanz: „In sehr lakonischen Notizen teilen die Berliner Zeitungen mit, dass die Gebrüder Rotter vom Polizeipräsidium die Konzession zum Betrieb des Lessing-Theaters erhalten haben. So endet dieser Krieg, wie es hier vor Monaten vorausgesagt wurde, mit einer beschämenden Blamage der Bühnengenossenschaft und der Berliner Kritik. Säßen in der Leitung der Bühnengenossenschaft keine blinden Hitzköpfe, sondern sachlich und klar überlegende Leute, so hätten sie dem Ansehen der Schauspielerorganisation diese klägliche Niederlage ersparen können. Künstlerische Einwände, nur solche lagen in der Hauptsache vor, können (und sollen) eben nicht durch den Polizeipräsidenten ausgefochten werden.“165
DIE „GEFÄHRLICHSTEN MENSCHEN“ IN DER „LUSTIGSTEN STADT DER WELT“
Das Ende der Inflation am 16. November 1923 hat alles verändert. Die Bühnen Berlins befinden sich in einer völlig neuen Lage. Geld ist knapp, die Leute geben es nur noch für das Nötigste aus. Eine Theaterkrise tritt ein.
Mehr aus Verlegenheit – Zeit für lange Proben ist keine – eröffnen die Rotters Ende November 1924 im Lessing-Theater mit einer Neuauflage des Stücks Das weite Land von Arthur Schnitzler, das sie bereits 1921 aufgeführt haben. Neu kommt die legendäre Adele Sandrock hinzu, die im Wien der 1890er-Jahre mit Schnitzler in einer kurzen Liebesbeziehung lebte. Oskar Kanehl führt Regie.
Nun aber, wo sie im ehrwürdigen Lessing-Theater alles scheinbar Anstößige unterlassen, wird ihnen ausgerechnet dies zur Last gelegt. Bedauernd äußert sich Franz Köppen in der Berliner Börsen-Zeitung: „Ich hätte gewünscht: Rotters hätten an diesem Punkt die Kritik (die zu 99 Prozent gegen sie ist) mundtot gemacht, vielmehr: zu sich herübergezwungen. Durch die Wahl eines neuen Stückes, das den Stempel unserer Zeit trägt. Durch Besetzung mit Schauspielern, die Neues zu sagen haben. Aber sie blieben im sicheren Port. Greifen wieder auf einen alten Schnitzler zurück. Und besetzen ihn mit einem Senioren-Konvent von Mimen. Die Folge: sie machen uns gleichgültig. Gegen sie zu wettern, den 99 Prozent wäre es eine Lust gewesen. Und ein paar Mutige (müde der schon mechanischen Rotter-Beschimpfung) wären zu ihnen gestanden; hätten allem Geheul gegenüber ohne Scheu bekannt: wir nehmen Gutes und Neues und Wagemutiges an, vom wem es auch kommt. Nun aber: kein Neuland; ein schlecht gelüftetes, dumpfes Museum.“166
Der Kritik missfällt das vermeintlich Brave nicht weniger als das vorher Freche. Danach bringen sie Mrs. Dot von W. Somerset Maugham unter der Regie von Georg Altmann. Fritz Engel im Berliner Tageblatt bezeichnet es als „Lustspiel für Tanten und sittige Backfische“: „Viele Beispiele gibt es, wie unsere Bühnen wieder ins Totgesagte zurückgleiten und auf den Friedhöfen vergessener Literatur herumschnüffeln. […] Denen, die einwenden: ‚Aber es war lustig! Und es wurde doch so herzig gespielt!‘, darf man sagen, dass, wenn es nur auf Lustigkeit ankommt, Berlin die lustigste Stadt der Welt, und unsere Zeit die lustigste aller Zeiten ist. Sie hat auch alle Veranlassung dazu. Und gespielt wird in Berlin immer gut, fast immer und überall. Wem das genügt, und es genügt dem Publikum von heute noch mehr als stets dem Publikum, dem werde bestätigt, dass sich unter Georg Altmanns Leitung sehr frische und amüsante Kräfte auftraten. […] Der Beifall? Fragt ihr noch?“167
Fritz und Alfred Rotter sehen ein, dass sie am Lessing-Theater vorläufig an ihre Grenzen stoßen – sich mit dem Haus verhoben haben. Sie müssen es pachtweise wieder aus der Hand geben: vorerst an die Direktion Arthur Hellmer, der aber „an derselben Bühne zusammenbrach“, wie Jhering rückblickend vermerkt,168 und dann an Heinz Saltenburg, der 1930 ebenfalls scheitert, worauf sie es dann, unter inzwischen gänzlich veränderten Umständen, selbst wieder zu bespielen beginnen.
Auch das Zentraltheater verpachten die Rotters jetzt bereits durch Vertrag vom April 1924 für die kommenden Spielzeiten. Vielsagend nimmt Jhering dazu Stellung: „Die Theater werden neu verpachtet, unterverpachtet, geschlossen, wiedereröffnet. Bewegung ist da. Aber die Bewegung der Verlegenheit.“169
Als hätte Alfred Rotter es gespürt, dass angesichts der Konkurrenz des Films sowie der gefestigten Staatstheater und der Hörspielsendungen im Rundfunk ein großes Haus auf die Dauer mit Schauspielen und Komödien nicht zu füllen ist, hat er, kaum im Besitz der Spielerlaubnis für das Lessing-Theater, die Theaterabteilung im Polizei-Präsidium am 1. Dezember 1924 darum ersucht, die erteilte Konzession „für musikalische Werke (Oper, Operette, Revue) zu erweitern“.
Doch die Umwandlung des Lessing-Theaters in ein Operettentheater wird verweigert. Dabei erklärt selbst ein Komponist der Moderne wie Kurt Weill 1925: „Seit Jahrzehnten ist die Operette die begehrteste und darum rentabelste künstlerische Unterhaltungsstätte, weil sie dem Geschmack weitester Volkskreise entspricht, weil sie alles enthält, was die Masse begehrt: Humor, Dramatik und Sentimentalität – Wort, Tanz und Musik.“170
Alfred, Gertrud und Fritz Rotter auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs, vermutlich im Sommerurlaub um 1930
AKT III
BÄLLE, MODE UND FILM – BERLIN 1925
Enttäuscht kehren die Rotter-Brüder im Sommer 1925 dem aktiven Theaterbetrieb den Rücken, um sich erst Ende 1927 wieder zurückzumelden – in einem inzwischen, wie sich zeigen soll, ganz und gar gewandelten Berlin der Moderne.
In den Jahren 1924 und 1925 kämpft die für ihr exzessivlaszives Nachtleben berühmte Stadt noch mit sich selbst. Carl Zuckmayer erinnert sich in Als wär’s ein Stück von mir (1966) an eine Tanzgesellschaft in Berlin im Februar 1924, wo als Spruchband „in großen Lettern um die Wände herum ein Satz angemalt“ ist: „Liebe ist die sinnlose Überschätzung des minimalen Unterschieds zwischen einem Geschlechtsobjekt und dem andern.“1 Auf den Bühnen der Hauptstadt locken Revuen mit Ketten tanzender, Beine schwingender Wunschbild-Frauen. Der Revue-Titel Das hat die Welt noch nicht gesehen von James Klein 1924 in der Komischen Oper wird zur stehenden Redewendung.
Fast scheint es, als seien Fritz und Alfred Rotter 1919 ihrer Zeit voraus gewesen – ihr Beitrag zum neuen Bild Berlins in der Weimarer Republik ist noch ungewürdigt geblieben, sie sind abgestraft worden. Ihre Komödien dieser Zeit enthalten gleichzeitig zu viel Vorkriegsvergangenheit und zu viel Nachkriegszukunft. Die Rotters haben sich dem allseitig eingeforderten Ernst entzogen – dem neuen radikalen Ernst der revolutionären Intellektuellen, dem verzweifelten Hell-Dunkel-Ernst des expressionistischen Stils sowie der Feierlichkeit der klassischen Tradition mit dem alten und neuen Heroismus und Anti-Heroismus. Ihre Unbekümmertheit – eine Spielart der Moderne – ist zwar beim Publikum angekommen, galt aber von links bis rechts als frivol.
Nun erst beginnt sich Berlin von der Katastrophe des Großen Krieges und der Großen Inflation zu erholen – sichtbarstes Zeichen dafür ist die Wiederkehr der Bälle. Am 10. Januar 1925 findet erstmals wieder Der große Metropol-Theater-Ball statt. Der Pianist, Komponist und Revuen-Produzent Rudolf Nelson spielt als einer der Kapellmeister an diesem Abend symbolischerweise auch den Titel Alles kehrt einmal wieder, wie’s schon einmal war. Die Reporterin Elsa Herzog erinnert sich, wie „die gute Gesellschaft“ zum letzten Metropol-Ball 1912 „wie zu einem Ausflug auf die Insel Cythere“ ging: „Man trug Masken, wenigstens die Damen, die etwas auf sich hielten. […] Man tanzte damals wenig, küsste viel und amüsierte sich ausgezeichnet, obwohl Jazz und Shimmy noch nicht regierten.“ Den neuen Ball nun, im Januar 1925, findet sie „vornehm, ruhig, korrekt“:
„Die leidige Politik und die letzten Skandalaffären nahmen jedenfalls vielen die Stimmung, dieses Fest zu besuchen. […] Und die Ballbesucher, wie das jetzt so üblich ist, besuchten sich mittels der endlich verbilligten Autos von Fest zu Fest. Eine drollige Welt. […] Über die Bubiköpfe waren viele weiße und auch andersfarbige, sogenannte Gabyperücken gestülpt, nicht immer gleich geschmackvoll […]. Soll man nun Vergleiche ziehen zwischen dem alten und dem neuen Metropol-Ball? […] Nein, man soll sich über diese aufkeimende neue öffentliche Geselligkeit freuen und hoffen, dass mit den besseren Zeiten auch die alte Stimmung wiederkehren möge.“2
Auch das 8 Uhr-Blatt verweist auf den „Wandel der Zeiten“: Die „schwarz-weiße Einheitsuniform der Herrenwelt“ sei „fast vollkommen in der bunten Farbenpracht, die von den Damen der Schöpfung zu Schau getragen und offenbart wurde“, untergegangen. Die „Farben feierten eine Orgie – was eigentlich ganz gut war, denn von Orgien anderer Art war nicht viel zu merken.“
Am 23. Januar 1925 feiert der Opernball der Staats-Theater in der Staatsoper eine „heitere Auferstehung“ nach dreißig Jahren.3 Margarete Caemmerer schreibt:
„[In] der ersten Reihe des Ranges saß hochgerichtet die ehrwürdige Gestalt des Lovis Corinth, und er sah mit brennenden Augen in dieses bunte Gewühl hinab und zu den girlandenumkränzten Rängen hinauf. Er sah und sah. Man plauderte, wandelte, tanzte. Aber immer noch fehlte uns die Bezauberung. […] Bis dann plötzlich in einer Loge Fritzi Massary sichtbar wurde. Sie leuchtete ganz still in Lila und Silber, aber sie war wie die Erfüllung eines Traumes von Schönheit, Eleganz und Geist. Sie braucht nicht immer zu singen und zu spielen. Es genügt, dass sie da ist, um Freude zu schaffen. Und diese sonderbare, leise klingende Sehnsucht, ohne die wir kein Fest feiern können – das Abenteuer.“4
Schon am nächsten Tag, ein Sonnabend, findet „in allen Sälen des Zoo“ der Filmball des Clubs der Filmindustrie statt, auf dem die Filmschauspielerin „Lilian Harvey in Blassrosa mit Spitzen und Chinchillacape“ gesichtet wird.5 In der Philharmonie steigt am 14. Februar der Ball der Karikaturisten: „Zwei Kapellen können die Tanzwut der mobilen Massen nicht stillen, Scheinwerfer bespülen sie unaufhörlich mit farbigen Lichtfluten […].“ Und das Nachtfest des Deutschen Bühnen-Clubs am 21. Februar im Metropol-Theater ist eine „Karnevalsnacht durch eine Tanzfortsetzung im benachbarten Palais de Danse und im Pavillon Mascotte“.6 Der „Höhepunkt des Spaßes wurde in einem parodistischen Gesangswettstreit erreicht. „Man kann nicht alle nennen, die hier den Boxring betraten.“ Es gab „Boxsekundanten mit dem Wasserkübel, die jeden Sänger massierten und frottierten.“ Max Hansen ersingt sich „als meisterhafter Coupletsänger“ einen Preis, nach ihm betritt Richard Tauber den aufgebauten Ring, „dessen herrliche Stimme Applaus entfesselte, der das Haus zittern ließ“.7 Am selben Abend gibt es im Großen Schauspielhaus mit „drei Kapellen“ und „Tanzflächen“ eine Nacht der Frauen mit „Maskenzwang“, in der sich „die Berliner“ und Berlinerinnen, die so lange die Freuden des Daseins haben entbehren müssen“, „mit naiver Ungehemmtheit dem Vergnügen [hingeben], […] die Konvention fallen lassen, sich duzen, verulken und amüsieren“8
Das Berlin der Bälle ist auch wieder ein Berlin der Mode. Im Hotel Kaiserhof gibt es am 28. April 1925 eine Schau des Pariser Couturiers Georges Doeuillet und damit nach zehn Jahren wieder „eine französische Modefirma und ihre Mannequins“ in Berlin – „die Arbeit für die Frauen“ sei „die verbindende Brücke zwischen den Nationen“ und „die Mode die einzige wirklich internationale herrschende Macht“, deutet der Berliner Börsen-Courier das Ereignis und sieht als neuen Pariser Modetrend: „Die männliche Frau wird unmodern“.9
Die Modejournalistin Julie Elias sieht zwar in der Tat „sehr weibliche, duftige, bauschige Gewänder“, hingegen auch „Matrosenkragen“ mit „Regattaknoten“ vorn: „Also wieder der männliche Typ.“ Sie folgert: „In Modedingen wenigstens hat die Zivilisation einen guten Schritt vorwärts getan: sie erlaubt dem Menschen, […] seine Denkart zu enthüllen.“10
Mode ist weit mehr als Kleidung. Sogar am Hausfrauen-Nachmittag in Berlin wird von Ullsteins Blatt der Hausfrau verkündet: „Ob Bubikopf à la garçonne, ob Pagenkopf, ob mit Herrenschnitt […], ob Scheitelfrisur oder glatt, auf jeden Fall müssen Sie sich einen Bubenkopf schneiden lassen!“ Eine „Modeschriftstellerin“ erklärt den anwesenden Hausfrauen die „Vorzüge des modernen Haarschnitts“, danach werden bei einer Modenschau verschiedenste Bubiköpfe gezeigt. „Alle Hausfrauen haben sich nach dieser wirksamen Demonstration nur noch gefragt: ‚Wie sage ich’s meinem Manne?‘“11
Im November 1925 wird der Sportpalast mit der „größten europäischen Halleneisbahn“12 eröffnet, am 12. Dezember findet dort der Modeball statt, bei dem nach einem „Kampf über drei Runden“ ein Mannequin zur „Modekönigin“ gewählt wird. Es zeigt sich, dass eine Russin „den deutschen Schönheitstypus“ verkörpert: „vollschlank, brünett, knapper Bubenkopf, linksseitig gescheitelt“, die Gesichtszüge aber „ausgesprochen weiblich betont, fraulich“13. Als die Preisträgerin gefragt wird, „was sie sich nun für das Geld kaufen wolle, ruft sie begeistert: ‚Einen Persianermantel!‘“
Bereits 1925 besprechen die Zeitungen in Berlin schon weit mehr Filmpremieren als Theaterpremieren, und es werden in Berlin gleich mehrere große Filmtheater eröffnet. Das neue Piccadilly in der Bismarckstraße gegenüber der Städtischen Oper soll Berlins Ruf nicht nur als deutsches, sondern auch als europäisches Kinozentrum“ beweisen.14 Und als Ende des Jahres das Capitol mit Der Dieb von Bagdad von Douglas Fairbanks eingeweiht wird, staunt man, dass das Orchester „bis zur Bühnenhöhe gehoben werden“ kann.15
Der bis um die Jahrhundertwende eher unbedeutende Kurfürstendamm, auf dem sich noch „die Dampfbahn gen Osten zur Stadtmitte“ gewälzt hat, verwandelt sich: „1925, Autos rasen, Signale hupen, unter den Füßen tobt die Untergrundbahn, eine Elektrische nach der andern windet sich um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Tauentzienstraße, Kurfürstendamm, Hardenbergstraße, da schlägt, pocht, jubiliert das Herz Berlins.“ Den letzten freien Platz im Häusermeer habe das Capitol eingenommen, Zeichen für „das Tempo der Zeit, dieser grausamen, dieser hinreißenden, dieser halt doch lebenswerten Zeit […]. Capitol, Capitol, Capitol, blau, rot gemischt, die Leuchtreklame flimmert, summt, surrt mit 7500 Glühbirnen, mit 70 000 Watt, mit 40 000 Meter Draht, […] sie bezwingt, sie bezaubert, sie schafft das Märchenband der Technik.“16
Der Stummfilm ist international und verbreitet sich schneller als dies den Theaterstücken je möglich wäre. Zum Film Feuer an Bord von Victor Sjöström protokollierte ein Berliner Kritiker am 18. August 1925: „Das Volk raste.“ Und Varieté – einem Zirkusfilm um Liebe, Trapezkunst und Eifersucht von E.A. Dupont mit Emil Jannings – wird sogar bescheinigt, dass er „in einer verwirrten Zeit, die vom Krisentaumel und von Nervositätsausbrüchen geradezu lebt“, eine ganz besondere Bedeutung hat, auch „weil […] der Film eine Sprache [spricht], die […] von Chicago bis Wladiwostok mit Verständnis gehört werden wird.“17 Filme werden Stichwortgeber für die Mode, wie Drei Frauen von Lubitsch, der im Ufa-Palast an der Schönhauser Allee anläuft. Trickaufnahmen von einem Raumschiff (Wunder der Schöpfung) oder sogar Dinosaurier sind zu bestaunen (Die verlorene Welt).
Denken die Rotters daran, sich doch noch dem Film zuzuwenden? Sieben Jahre zuvor hat die BZ am Mittag schon von solchen Plänen berichtet.18 Der erste Film aus den USA, der streckenweise in Technicolor gedreht ist, flimmert Ende November 1926 über die Leinwand: Die schönste Frau der Staaten von Frank Tuttl. Doch gute Kritiken erhält der Streifen nicht: „Amerikanische Bedenkenlosigkeit in Reinkultur. Der Film steht jenseits von Gut und Böse, er ist so naiv, dass er kritisch kaum noch zu fassen ist.“ Die farbigen „Szenen“ seien „kitschige, bunte Bilderbogen“.
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