Kitabı oku: «Waldheimat», sayfa 3
WIE DER MEISENSEPP GESTORBEN IST
In meinem Vaterhause fand sich die „Lebensbeschreibung Jesu Christi, seiner Mutter Maria und vieler Heiligen Gottes. Ein geistlicher Schatz von Pater Cochem“. Das war ein altes Buch; die Blätter waren grau, die Kapitelanfänge hatten wunderlich große Buchstaben in schwarzen und roten Farben. Der hölzerne Einbanddeckel war an manchen Stellen schon wurmstichig, und eine der ledernen Klappen hatte die Maus zernagt. Seit vielen, vielen Jahren war im Hause niemand gewesen, der darin hätte lesen können; was Wunder, wenn die Tierlein Besitz nahmen von Cochems „Leben Christi“ und aus dem „geistlichen Schatz“ ihre leibliche Nahrung zogen.
Da kam ich, der kleine Junge, verjagte die Würmer aus dem Buche und fraß mich dafür selber hinein. Täglich las ich unseren Hausleuten vor aus dem „Leben Christi“. Den jungen Knechten und Mägden gefiel der neue Brauch just nicht, denn sie durften dabei nicht scherzen und nicht jodeln; die älteren Hausgenossen aber, die schon etwas gottesfürchtiger waren, hörten mir mit Andacht zu „und das ist“, sagten sie, „als wie wenn der Pfarrer predigen tät’; so bedeut ausführen und so eine laute Stimm’!“
Ich kam in den Ruf eines Vorlesers und wurde ein gesuchter Mann. Wenn irgendwo in der Nachbarschaft jemand krank lag oder zum Sterben, oder wenn er gar schon gestorben war, so daß man an seiner Leiche zur Nacht die Totenwache hielt, so wurde ich von meinem Vater ausgebeten, daß ich hinginge und lese. Da nahm ich das gewichtige „Leben-Christi-Buch“ unter den Arm und ging. Es war ein hartes Tragen und ich war dazumal ein kleinwinziger Knirps.
Einmal spät abends, als ich schon in meiner kühlen und frischduftenden Futterkammer schlief, in welcher ich zur Sommerszeit bisweilen das Nachtlager hatte, wurde ich durch ein Zupfen an der Decke von unserem Knecht geweckt. – „Sollst fein geschwind aufstehen, Peter, sollst aufstehen. Der Meisensepp hat seine Tochter geschickt, er laßt bitten, du sollst zu ihm kommen und ihm was vorlesen! er wollt’ sterben. Sollst aufstehen, Peter.“ –
So stand ich auf und zog mich eilends an. Dann nahm ich das Buch und ging mit dem Mädchen von unserem Hause aufwärts über die Heide und durch die Waldungen. Das Häuschen des Meisensepp stand einsam mitten im Wald.
Der Meisensepp war in seinen jüngern Jahren Reuter und Waldhüter gewesen; in letzterer Zeit hatte er sich nur mehr mit Sägeschärfen für Holzhauerleute beschäftigt. Und da kam plötzlich die schwere Krankheit. Wie wir, ich und das Mädchen, in der stillen, sternenhellen Nacht so durch die Ödnis schritten, sagten wir keines ein Wort. Schweigend gingen wir nebeneinander hin. Nur einmal flüsterte das Mädchen: „Laß her, Peter, ich will dir das Buch tragen.“
„Das kannst nicht“, antwortete ich, „du bist ja noch kleiner wie ich.“
Nach einem zweistündigen Gang sagte das Mädchen: „Dort ist schon das Licht.“
Wir sahen einen matten Schein, der aus dem Fenster des Meisenhauses kam. Als wir diesem schon sehr nahe waren, begegnete uns unser Pfarrer, der dem Kranken die heiligen Sakramente gereicht hatte.
„Der Vater – wird er wieder gesund?“ fragte das Mädchen kleinlaut.
„Ist noch nicht so alt“, sagte der Priester; „wie Gott will, Kinder, wie Gott will.“
Dann ging er davon. Wir traten in das Haus.
Das war klein und nach der Art der Waldhütten standen die Familienstube und die Schlafkammer gleich in der Küche. Am Herd in einem Eisenhaken stak ein brennender Kienspan, von dem die Stubendecke in einen Rauchschleier gehüllt war. Neben dem Herde auf Stroh lagen zwei kleine Knaben und schlummerten. Sie waren mir bekannt vom Walde her, wo wir oft mitsammen Schwämme und Beeren suchten und dabei unsere Herden verloren; sie waren noch um etliche Jahre jünger als ich. An der Ofenmauer saß das Weib des Sepp, hatte ein Kind an der Brust und sah mit großen Augen in die flackernde Flamme des Kienspans hinein. Und hinter dem Ofen, in der einzigen Bettstatt, die im Hause war, lag der Kranke. Er schlief; sein Gesicht war recht eingefallen, das grauende Haar und der Bart ums Kinn waren kurz geschnitten, so daß mir der ganze Kopf kleiner vorkam als sonst, da ich den Sepp auf dem Kirchweg gesehen hatte. Die Lippen waren halb offen und blaß, durch dieselben zog ein lebhaftes Atmen.
Bei unserem Eintritt erhob sich das Weib leise, sagte eine Entschuldigung, daß sie mich aus dem Bette geplagt habe, und lud ein, daß ich mich an den Tisch setzen und die Eierspeise essen möge, die der Herr Pfarrer übrig gelassen hatte, und die noch auf dem Tische stand.
Bald saß ich auf dem Fleck, und jetzt aß ich mit derselben Gabel, die er hatte in den Mund geführt!
„Jetzt schläft er passabel“, flüsterte das Weib nach dem Kranken deutend. „Vorhin hat er allweg Fäden aus der Decke gezupft.“
Ich wußte, daß man es für ein übles Zeichen auslegt, wenn ein Schwerkranker an der Decke zupft und kratzt; „da kratzt er sich sein Grab“. Ich entgegnete daher: „Ja, das hat mein Vater auch getan, als er im Nervenfieber ist gelegen. Ist wieder gesund worden.“
„Das mein’ ich wohl auch“, sagte sie, „und der Herr Pfarrer hat dasselbe gesagt. – Bin doch froh, die Beicht’ hat der Seppel recht fleißig verrichten mögen und ich hab’ jetzt wieder rechtschaffen Trost, daß er mir noch einmal gesund wird. – Nur“, setzte sie ganz leise bei, „das Spanlicht leckt alleweil so hin und her.“
Wenn in einem Hause das Licht unruhig flackert, so deutet das der Glaube des Volkes: es werde in demselben Hause bald ein Lebenslicht auslöschen. Ich selbst glaubte daran, doch um die Häuslerin zu beruhigen, sagte ich: „Es streicht die Luft alles zuviel durch die Fensterfugen, ich verspür’s auch.“ Sie legte das schlummernde Kind auf das Stroh; auch das Mädchen, welches mich geholt, war schon zur Ruh’ gegangen. Wir verstopften hierauf die Fensterfugen mit Werg.
Dann sagte das Weib: „Gelt, Peter, du bleibst mir da über die heutige Nacht; ich wüßt’ mir aus Zeitlang nicht zu helfen. Wenn er munter wird, so liest uns was vor. Gelt, du bist so gut?“
Ich schlug das Buch auf und suchte nach einem geeigneten Lesestück. Allein, Pater Cochem hat nicht viel geschrieben, was armen weltlichen Menschen zum Troste sein könnte. Pater Cochem meint, Gott wäre gerecht und die Leute wären sündig, und die meisten Menschen liefen schnurgerade der Hölle zu.
Es mag ja wohl sein, dachte ich mir, daß es so ist; aber dann darf man’s nicht sagen, die Leute täten sich nur grämen und des weiteren blieben sie so sündig wie früher. Wenn sie sich bessern hätten können, so hätten sie’s längst schon getan.
Die schreckhaften Gedanken gingen durch das ganze Cochemsche Buch. Fürwitzigen Leuten gegenüber, die mich nur anhörten, der „lauten Predigerstimm“ wegen, donnerte ich die Greuel und Menschenverdammung recht mit Vergnügen heraus; wenn ich aber an Krankenbetten aus dem Buche las, da mußte ich meine Erfindungsgabe oft sehr anstrengen, daß ich während des Lesens die harten Ausdrücke milderte, die schaudererregende Darstellung der vier letzten Dinge mäßigte und den grellen Gedanken des eifernden Paters eine freundlichere Färbung geben konnte.
So plante ich auch heute, wie ich, scheinbar aus dem Buche lesend, dem Meisensepp aus einem anderen Buche her Worte sagen wollte von der Armut, von der Geduld, von der Liebe zu den Seinen und wie darin die wahre Nachfolge Jesu bestehe, die uns – wenn die Stunde schlüge – durch ein sanftes Entschlummern hinüberführe in den Himmel.
Endlich erwachte der Sepp. Er wendete den Kopf, sah sein Weib und seine ruhenden Kinder an; dann erblickte er mich und sagte mit lauter, ganz deutlicher Stimme: „Bist doch gekommen, Peter. So dank’ dir Gott, aber zum Vorlesen werden wir heut’ wohl keine Zeit haben. Anna, sei so gut und weck’ die Kinder auf.“
Das Weib zuckte zusammen, fuhr mit der Hand zu ihrem Herzen, sagte aber dann in ruhigem Tone: „Bist wieder schlechter, Seppel? Hast ja recht gut geschlafen.“
Er merkte es gleich, daß ihre Ruhe nicht echt war.
„Tu dich nicht gar so grämen, Weib“, sprach er, „auf der Welt ist’s schon nicht anders. Weck’ mir schön die Kinder auf, aber friedsam, daß sie nicht erschrecken.“
Die Häuslerin ging zum Strohlager, rüttelte mit bebender Hand am Schaub, und die Kleinen fuhren halb bewußtlos empor.
„Ich bitt’ dich gar schön, Anna, reiß’ mir die Kinder nicht so herum“, verwies der Kranke mit schwächerer Stimme, „und die kleine Martha laß schlafen, die versteht noch nichts.“
Ich blieb abseits am Tisch sitzen und mir war heiß in der Brust. Die Angehörigen versammelten sich um den Kranken und schluchzten.
„Seid ihr nur ruhig“, sagte der Sepp zu seinen Kindern, „die Mutter wird euch schon morgen länger schlafen lassen. Josefa, tu’ dir das Hemd über die Brust zusammen, sonst wird dir kalt. Und jetzt – seid all weg schön brav und folgt der Mutter, und wenn ihr groß seid, so steht ihr bei und verlaßt sie nicht. – Ich hab’ gearbeitet meiner Tag’ mit Fleiß und Müh’; gleichwohl kann ich euch weiter nichts hinterlassen, als dieses Haus und den kleinen Garten, und den Reinacker und den Schachen dazu. Wollt’ euch’s teilen, so tut es brüderlich, aber besser ist’s, ihr haltet die Wirtschaft zusammen und tut hausen und bauen. Weiters mach’ ich kein Testament, ich hab’ euch alle gleich lieb. Tut nicht ganz vergessen auf mich und schickt mir dann und wann ein Vaterunser nach. – Und euch, die zwei Buben, bitt’ ich von Herzen: Hebt mir mit dem Wildern nicht an; das nimmt’ kein gutes End’. Gebt mir die Hand darauf. So. – Wenn halt einer von euch das Sägefeilen wollt’ lernen; ich hab’ mir damit viel Kreuzer dermacht; Werkzeug dazu ist da. Und sonst wißt ihr schon, wenn ihr am Reinacker die Erdäpfel anbaut, so setzt sie erst im Mai ein; ’s ist wohl wahr, was mein Vater fort gesagt hat, bei den Erdäpfeln heißt’s: baut mich an im April, komm’ ich, wann ich will; baut mich an im Mai, komm’ ich glei (gleich). – Tut euch so Sprüchlein nur merken. – So, und jetzt geht wieder schlafen, Kinder, daß euch nicht kalt wird, und gebt allzeit Obacht auf eure Gesundheit. Gesundheit und gutes Gewissen, das ist das beste. Geht nur schlafen, Kinder.“
Der Kranke schwieg und zerrte an der Decke.
„Frei zuviel reden tut er mir“, flüsterte das Weib gegen mich gewendet. Eine bei Schwerkranken plötzlich ausbrechende Redseligkeit ist ja auch kein gutes Zeichen.
Nun lag er, wie zusammengebrochen, auf dem Bette. Das Weib zündete die Sterbekerze an.
„Das nicht, Anna, das nicht“, murmelte er, „ein wenig später. Aber einen Schluck Wasser gibst mir, gelt?“
Nach dem Trinken sagte er: „So, das frisch’ Wasser ist halt doch wohl gut. Gebt mir recht auf den Brunnen Obacht. Ja, und daß ich nicht vergess’, die schwarz’ Hosen legst mir an, und das blau’ Jöppel, weißt, und draußen hinter der Tür, wo die Sägen hängen, lehnt das Hobelbrett, das leg’ über den Schleifstock und die Drehbank; für drei Tag’ wird’s wohl halten. Morgen früh, wenn der Holzjodel kommt, der hilft mich schon hinauslegen. Schau aber fein gut, daß die Katz’ nicht dazu kommt; die Katzen gehen los und schmecken’s gleich, wenn wo eine Leich’ ist. Was unten bei der Pfarrkirche mit mir geschehen soll, das weißt schon selber. Nicht zu lang’ bimmeln (läuten); kostet Geld und hilft nicht viel. Meinen braunen Lodenrock und den breiten Hut schenk’ den Armen. Dem Peter magst auch was geben, daß er heraufgegangen ist. Vielleicht ist er so gut, und liest morgen beim Leichwachen was vor. Es wird ein schöner Tag sein morgen, aber geh’ nicht zu weit fort von heim, es möcht’ ein Unglück geschehen, wenn draußen in der Lauben das Licht brennt – Nachher, Anna, such’ da im Bettstroh nach; wirst einen Strumpf finden, sind etlich’ Zwanziger drin.“
„Seppel, streng’ dich nicht so an im Reden“, schluchzte das Weib.
„Wohl, wohl, Anna – aber aussagen muß ich’s doch. Jetzt werden wir wohl nicht mehr lang’ beisammen sein. Wir haben uns zwanzig Jahre gehabt, Anna. Mußt nicht weinen, Anna, mußt nicht weinen, du bist mein alles gewesen; kein Mensch kann dir’s vergelten, was du mir bist gewesen. Das vergess’ ich dir nicht im Tod und nicht im Himmel. Mich gefreut’s nur, daß ich in der letzten Stund’ noch was mit dir reden kann, und daß ich gleichwohl soviel bei Verstand bin.“
„– Stirb doch nicht gar hart, Seppel“, hauchte das Weib und beugte sich über sein Antlitz.
„Nein“, antwortete er ruhig, „bei mir ist’s so, wie bei meinem Vater: leicht gelebt und leicht gestorben. Sei nur auch du so und leg’ dir’s nicht schwer. Wenn wir nun auch wieder jedes allein ankommen, zusammen gehören wir gleichwohl noch und ich heb’ dir schon ein Platzel auf im Himmel, gleim (nahe) an meiner Seit’, Anna, gleim an meiner Seit’. Nur das tu’ um Gottes willen, die Kinder zieh’ gut auf.“
Die Kinder ruhten. Es ward still und mir war, als hörte ich irgendwo in der Stube ein leises Schnurren und Spinnen. –
Plötzlich rief der Sepp: „Anna, jetzt zünd’ die Kerzen an!“
Das Weib rannte in der Stube herum und suchte nach Feuerzeug; und es brannte ja doch der Span. – „Jetzt hebt er an zu sterben!“ wimmerte sie. Als aber die rote Wachskerze brannte, als sie ihm dieselbe in die Hand gab, als er den Wachsstock mit beiden Händen umfaßte und als sie das Weihwassergefäß vom Gesimse nahm, da wurde sie scheinbar ganz ruhig und betete laut: „Jesus, Maria, steht ihm bei! Ihr Heiligen Gottes, steht ihm bei in der höchsten Not, laßt seine Seele nicht verloren sein! Jesus, ich bete zu deinem allerheiligsten Leiden! Maria, ich rufe deine heiligen sieben Schmerzen an! Du, sein heiliger Schutzengel, wenn seine Seel’ vom Leib muß scheiden, führ’ sie ein zu den himmlischen Freuden!“
Sie schluchzte und weinte nicht; sie war ganz die ergebene Beterin, die Fürbitterin.
Endlich schwieg sie, beugte sich über das Haupt des Gatten, beobachtete sein schwaches Atemholen und hauchte: „So behüt’ dich Gott, Seppel, tu’ mir meine Eltern und unsere ganze Freundschaft (Verwandtschaft) grüßen in der Ewigkeit. Behüt’ dich Gott, mein lieber Mann! Die heiligen Engel geben dir das Geleit’ und der Herr Jesus mit seiner Gnad’ wartet schon deiner bei der himmlischen Tür.“
Er hörte es vielleicht nicht mehr. Seine blassen, halboffenen Lippen gaben keine Antwort. Seine Augen sahen starr zur Stubendecke auf. Und aus den gefalteten Händen aufragend brannte die Wachskerze; sie flackerte nicht, still geruhsam und hell, wie eine schneeweiße Blütenknospe stand die Flamme empor – sein Atemzug bewegte sie nicht mehr.
„– Jetzt ist er mir gestorben!“ rief das Weib aus, schrill und herzdurchdringend, dann sank sie nieder auf einen Schemel und begann kläglich zu weinen. Die wieder erwachenden Kinder weinten auch; nur das kleinste lächelte …
Die Stunde lag auf uns wie ein Stein.
Endlich richtete sich die Häuslerin – die Witwe – auf, trocknete ihre Tränen und legte zwei Finger auf die Augen des Toten.
Die Wachskerze brannte, bis die Morgenröte aufging. Durch den Wald war ein Bote gegangen. Dann kam ein Holzarbeiter. Der besprengte den Toten mit Weihwasser und murmelte: „So rücken sie ein, einer nach dem anderen.“
Dann taten sie dem Meisensepp festtägige Kleider an, trugen ihn hinaus in die Vorlauben und legten ihn auf das Brett.
Das Buch ließ ich liegen auf dem Tisch für die Leichenwachen der nächsten Nächte, zu denen ich der Häuslerin das Lesen zugesagt hatte. Als ich fortgehen wollte, kam sie mit einem grünen Hut, auf welchem ein weit ausgebürsteter Gemsbart stak.
„Willst den Hut mitnehmen für deinen Vater?“ fragte sie, „der Seppel hat deinen Vater gern gehabt. Den Gamsbart magst zum Andenken selber behalten. Bet’ einmal ein Vaterunser dafür.“
Ich sagte meinen Dank, ich tat noch einen unsteten Blick gegen die Bahre hin; der Sepp lag lang gestreckt und hielt seine Hände über der Brust gefaltet. – Dann ging ich hinaus und abwärts durch den Wald. – Wie war’s licht und taufrisch, voll Vogelgesang, voll Blütenduft – voll Leben im Walde!
Und in der Hütte, auf dem Bahrbrett lag ein toter Mensch.
Ich kann die Nacht und den Morgen – das Sterben mitten in dem unendlichen Lebensquell des Waldes – nimmermehr vergessen. Auch besitze ich heute noch den Gemsbart zum Andenken an den Meisensepp.
Wenn mich die Gier anpackt nach den Freuden der Welt, oder wenn mich die Zweifel überkommen an der Menschheit Gottesgnadentum, oder wenn mich gar die Angst will quälen vor meinem vielleicht noch fernen, vielleicht schon nahen Hingang – so stecke ich den Gemsbart des Sepp auf den Hut.
WIE ICH DEM LIEBEN HERRGOTT MEIN SONNTAGSJÖPPL SCHENKTE
In der Kirche zu Ratten steht links am Hochaltare eine fast lebensgroße Reiterstatue. Der Reiter auf dem Pferde ist ein stolzer Kriegsmann mit Helm und Busch und einem kohlschwarzen Schnurrbart. Er hat das breite Schwert gezogen und schneidet mit demselben seinen Mantel entzwei. Zu Füßen des sich bäumenden Rosses kauert eine Bettlergestalt in Lumpen.
Als ich noch so ein nichtiger Knirps war, wie er einem ordentlichen Menschen kaum zum Hosensack emporgeht, führte mich meine Mutter gern in diese Kirche. In der Nähe der Kirche steht eine Marienkapelle, die sehr gnadenvoll ist und in welcher meine Mutter gern betete. Als oft kein Mensch sonst mehr in der Kapelle war, und vom Turme schon die Mittagsglocke in den heißen Sommersonntag hinausklang, kniete die Mutter immer noch in einem der Stühle und klagte Marien ihr Anliegen. Die „liebe Frau“ saß auf dem Altare, legte die Hand in den Schoß und bewegte weder den Kopf noch die Augen, noch die Hände.
Ich hielt mich lieber in der großen Kirche auf und sah den schönen Reiter an.
Und einmal, als wir auf dem Wege nach Hause waren und mich die Mutter an der Hand führte, und ich immer drei Schritte machen mußte, so oft sie einen tat, warf ich meinen kleinen Kopf auf zu ihrem guten Angesichte und fragte: „Zuweg steht denn der Reiter allfort auf der Wand oben und zuweg reitet er nicht zum Fenster hinaus auf die Gasse?“
Da antwortete die Mutter: „Weil du so kindische Fragen tust und weil es nur ein Bildnis ist, das Bildnis des heiligen Martin, der, ein Soldat, ein sehr guttätiger frommer Mann gewesen und jetzt im Himmel ist.“
„Und ist das Roß auch im Himmel?“ fragte ich.
„Sobald wir zu einem rechten Platz kommen, wo wir rasten können, so will ich dir vom heiligen Martin was erzählen“, sagte die Mutter und leitete mich weiter, und ich hüpfte neben ihr her. Da wartete ich schon sehr schwer auf das Rasten und in einemfort rief ich: „Mutter, da ist ein rechter Platz!“
Erst als wir in den Wald hineinkamen, wo ein platter, moosiger Stein lag, fand sie’s gut genug, da setzten wir uns nieder. Die Mutter band das Kopftuch fester und war still, als habe sie vergessen, was sie versprochen. Ich starrte ihr auf den Mund, dann guckte ich wieder zwischen den Bäumen hin, und mir war ein paarmal, als hätte ich durch das Gehölz den schönen Reitersmann reiten gesehen.
„Ja, ’leicht wohl, mein Bübel“, begann meine Mutter plötzlich, „allzeit soll man den Armen Hilfe reichen um Gottes willen. Aber so, wie der Martin gewesen, traben heutzutag’ nicht viel Herrenleut’ herum auf hohem Roß. – Daß im Spätherbst der eiskalte Wind über unsere Schafheide streicht, das weißt wohl, hast dir ja selber drauf im vorigen Jahr schier die Tatzelein erfroren. Siehst du, völlig eine solche Heide ist’s auch gewesen, über die der Reitersmann Martinus einmal geritten an einem späten Herbstabend. Steinhart ist der Boden gefroren, und das klingt ordentlich, so oft das Roß seinen Huf in die Erden setzt. Die Schneeflöcklein tänzeln umher, kein einziges vergeht. Schon will die Nacht anbrechen und das Roß trabt über die Heide, und der Reitersmann zieht seinen weiten Mantel zusammen, so eng es halt hat gehen mögen. Bübel, und wie er so hinfährt, da sieht er auf einmal ein Bettelmännlein kauern an einem Stein; das hat nur ein zerrissenes Jöppel an und zittert vor Kälte und hebt sein betrübtes Auge auf zum hohen Roß. Hu, und wie das der Reiter sieht, hält er an sein Tier und ruft zum Bettler nieder: Ja, du lieber armer Mann, was soll ich dir reichen? Gold und Silber hab’ ich nicht und mein Schwert kannst du nimmer brauchen. Wie soll ich dir helfen? – Da senkt der Bettelmann sein weißes Haupt nieder gegen die halbentblößte Brust und tut einen Seufzer. Der Reiter aber zieht sein Schwert, zieht seinen Mantel von den Schultern und schneidet ihn mitten auseinander. Den einen Teil des Kleidungsstückes läßt er hinabfallen zu dem zitternden Greise: Hab’ vorlieb damit, mein notleidender Bruder! – Den anderen Teil des Mantels schlingt er, so gut es geht, um seinen eigenen Leib und reitet davon.“
So hatte meine Mutter erzählt und dabei mit ihrem eiskalten Herbstabende den schönen Hochsommertag so frostig gemacht, daß ich mich fast schauernd an ihr lindes Busentuch schmiegte.
„’s ist aber noch nicht ganz aus, mein Kind“, fuhr die Mutter fort, „wenn du es nun gleichwohl weißt, was der Reiter mit dem Bettler in der Kirche bedeutet, so weißt du’s noch nicht, was weiter geschehen ist. Wie der Reitersmann nachher in der Nacht daheim auf seinem harten Polster ruhsam schläft, kommt derselbige Bettler von der Heide zu seinem Bett, zeigt ihm den Mantelteil, zeigt ihm die Nägelwunden an den Händen und zeigt ihm sein Angesicht, das nicht mehr alt und kummervoll ist, das strahlet wie die Sonnen. Derselbe Bettelmann auf der Heid’ ist der lieb’ Heiland selber gewesen. – So, Bübel, und jetzt werden wir wieder anrucken.“
Da erhoben wir uns und stiegen den Bergwald hinan.
Bis wir heim kamen, waren uns zwei Bettelleute begegnet; ich guckte jedem sehr genau in das Gesicht; ich hab’ gemeint, es dürfte doch der liebe Heiland dahinterstecken. Gegen Abend desselben Tages, als ich mein Sonntagskleidchen des sparsamen Vaters wegen schon hatte ablegen sollen, und nun wieder in dem vielfarbigen Werktagshöslein herumlief und hüpfte und nur noch das völlig neue graue Jöppel trug, das ich nicht ablegen wollen und mir noch für den Tagesrest erbeten hatte, und als die Mutter auch schon lange wieder bei ihrer häuslichen Arbeit war, eilte ich gegen die Schafheide hinauf. Ich mußte die Schäflein, worunter auch ein weißes Lamm als mein Eigentum war, heim in den Stall führen.
Wie ich aber so hinhüpfe und Steinchen schleudere und damit die goldenen Abendwolken treffen will, sehe ich plötzlich, daß dort am Fels ein alter weißköpfiger, sehr arm gekleideter Mann kauert. Da stehe ich erschrocken still, getraue mir keinen Schritt mehr zu tun und denke bei mir: Jetzt, das ist aber doch ganz gewiß der lieb’ Heiland-Herrgott. Ich habe gezittert vor Furcht und Freude, ich habe mir gar nicht zu helfen gewußt.
Wenn es doch der lieb’ Herrgott ist, ja, da muß eins ihm wohl was geben. Wenn ich jetzt heimlauf’, daß die Mutter komme und gucke und mir sage, wie ich dran bin, so geht er mir die weilen davon, und es wär’ eine Schand’ und Spott. Ich denk’, sein wird er’s gewiß, just so hat derselb’ auch ausgeschaut, den der Reitersmann gesehen.
Ich schlich einige Schritte nach rückwärts und hub an meinem grauen Jöppel zu zerren an. Es ging nicht leicht, es war so fest über dem grobleinenen Hemde oben, und ich wollte das Schnaufen verhalten, ich meinte, der Bettelmann solle mich früher nicht bemerken.
Einen gelbangestrichenen Taschenfeitel hatte ich, nagelneu und just scharf geschliffen. Diesen zog ich aus der Tasche, das Röcklein nahm ich zwischen die Knie und begann es nun mitten auseinanderzutrennen.
Es war bald fertig, ich schlich zum Bettelmann, der halb zu schlummern schien, und legte ihm sein Teil von meinem Rock zu Häupten. – Hab’ vorlieb damit, mein notleidender Bruder! Das habe ich ihm still in Gedanken gesagt. Dann nahm ich mein Teil vom Rocke unter den Arm, lugte noch eine Weile dem lieben Gott zu und jagte dann die Schäflein von der Heide.
In der Nacht wird er wohl kommen, dachte ich, und da werden ihn Vater und Mutter sehen, und wir können ihm, wenn er bei uns bleiben will, gleich das hintere Stübel und das Hausaltarl herrichten.
Ich lag im Schiebbettlein neben Vater und Mutter, und ich konnte nicht schlafen. Die Nacht verging, und der, den ich gemeint hatte, kam nicht.
Am frühen Morgen aber, als der Haushahn die Knechte und Mägde aus ihren Nestern hervorgekräht hatte, und als draußen im Hofe schon der laute Werktag anhub, kam ein alter Mann (sie hießen ihn den Schwammveitel) zu meinem Vater, brachte ihm den verschenkten Teil von meinem Rock und erzählte, ich hätte denselben abends zuvor in meinem Mutwillen zerschnitten und ihm das eine Stück an den Kopf geworfen, wie er so ein wenig vom Schwammsuchen ausgeruht habe auf der Schafheide.
Darauf kam der Vater, eine Hand hinter dem Rücken, ganz leicht an mein Bett geschlichen: „Geh’, tu’ mir’s sagen, Bub, wo hast denn du dein neues Sonntagsjöppel?“
Das leise Schleichen und die Hand hinter dem Rücken war mir verdächtig vorgekommen, und jetzt ging mir schon das Gesicht auseinander und weinend rief ich: „Ja, Vater, ich hab’ gemeint, dem lieben Herrgott hätt’ ich es geben.“
„Bub, du bist aber so ein Halbnarr!“ schrie mein Vater, „für die Welt zu dalkert, zum Sterben zu dumm. Dir müßt’ man mit einem Besen die Seel’ aus der Haut schlagen!“
Es war halb spaßhaft gesagt, aber ich vermutete hinter seinem Rücken die Birkengerte.
Eilte sogleich die Mutter herbei, faßte des Vaters Hand und sagte: „’s Röckel flick’ ich ’leicht wieder zusammen, Alter. Geh’ jetzt mit, ich muß dir was sagen.“
Sie gingen beide hinaus in die Küche; ich denke, dort haben sie über die Martinigeschichte gesprochen. Sie kamen nach einer Weile wieder in die Stube.
Der Vater sagte: „Sei nur still, es geschieht dir nichts.“
Und die Mutter flüsterte mir zu: „Ist schon recht, wenn du das Röckel dem lieben Herrgott hast wollen geben, aber besser ist’s noch, wir geben es dem armen Talmichelbuben. In jedem Armen steckt der liebe Gott. So und jetzt, mein Bübel, hupf’ auf und schlüpf ins Höslein; der Vater ist noch nicht allzuweit mit der birkenen Liesel.“