Kitabı oku: «Aus dem Rahmen gefallen», sayfa 4

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Wie ich Kommunikation erlebe – wenn Grau
Rot oder Grün sein kann

Als Geophysiker habe ich im Wissenschaftsbetrieb weder von der Universität noch vom Arbeitgeber Unterstützung bei der Weiterentwicklung meiner Softskills erhalten. Offiziell wurde dies damit begründet, dass der Arbeitsvertrag ja befristet sei. Dies änderte sich erst, als ich als IT-Experte meinen ersten unbefristeten Arbeitsvertrag erhielt. Ich lieferte fachlich mehr ab als das, was man von mir erwartete. Mein Arbeitgeber schätzte meine Fähigkeiten, erkannte aber auch meine Defizite. Er hatte ein nachhaltiges Interesse, mich bei meiner menschlichen Weiterentwicklung zu unterstützen, um mein Potenzial noch besser nutzen zu können. So durchlief ich über etliche Jahre hinweg das volle verfügbare Programm an Seminaren rund um das Thema Führung und Zusammenarbeit unter besonderer Berücksichtigung von Kommunikation und dem Arbeiten im Team, das der Arbeitgeber im Angebot hatte.

Mein allererstes Seminar, das ich im Rahmen der personellen Weiterentwicklung zur Vorbereitung auf eine Karriere erhielt, hieß »Kundenorientiertes Verhalten«. In diesem Seminar behauptete der Seminarleiter, dass Kommunikation zu mindestens 80 Prozent auf einer Beziehungsebene und zu höchstens 20 Prozent, nach Meinung einiger Forscher sogar nur zu 7 Prozent, auf der Sachebene stattfinden würde. Als ich das hörte, schnellte mein Finger in die Höhe: »Einspruch! Das kann nicht stimmen. Weil, wenn das stimmt, dann wäre ich kommunikationsblind! Aber wir reden doch gerade miteinander. Außerdem kenne ich kein einziges Gericht, das nach so einer ominösen Beziehungsebene Urteile fällen würde! Da geht es so gut wie möglich immer um Fakten! Ohne Beweise keine Verurteilungen!«

»Herr Dr. Schmidt, das ist wie bei einem Eisberg. Das, was an der Wasseroberfläche sichtbar ist, entspricht der Sachebene, ZDF: Zahlen, Daten, Fakten. Der Großteil des Eisberges, das Wichtigste an der Kommunikation, das ist die Beziehungsebene, die liegt verborgen unter der Wasseroberfläche! Und die macht die Musik! Das können Sie mir glauben!«

So erhielt ich erschreckend erhellende Erkenntnisse zum Thema Kommunikation, ohne zu diesem Zeitpunkt zu ahnen, was in meinem Fall ganz genau dahintersteckt. Ja, es wurde im Jahr 2000 in einem Seminar sogar behauptet, ich sei dann wohl ein Autist. Aber diese Aussage kam nicht wirklich an mich ran, weil Autisten für mich zur damaligen Zeit Menschen waren, die nicht kommunizieren, was ich schlicht mit »reden« gleichsetzte. Heute weiß ich, wenn geschrieben wird, dass Autisten nicht kommunizieren können, dann meinen die Schreiber damit die Kommunikation auf der Beziehungsebene. Autisten können nicht so kommunizieren, wie dies von der Mehrheit der Menschen erwartet wird!

Als ich viele Jahre später die Autismus-Diagnose erhielt, wurde damit rückwirkend bestätigt, dass es diese Beziehungsebene tatsächlich gibt, ich diese aber nicht wahrnehmen kann und dass das damit genau eines meiner Kernprobleme in diesem Leben auf der Erde ist.

Ich fragte mich fortan, wie ich anderen Menschen plakativ erklären kann, worin ich mich kommunikativ von ihnen unterscheide. So begab ich mich auf die Suche nach einer Illustration, wie die für Autisten intuitiv unsichtbare Beziehungsebene auf Autisten wirkt. Schließlich entwickelte ich ein Modell für die Kommunikation, welches aufzeigt, was genau mein Problem ist und warum ich so autistisch, also selbstbezogen, auf andere Menschen wirke. Es verdeutlicht, wie sich die Kommunikation mit einem Autisten darstellt, welche Missverständnisse dabei drohen, die oftmals zu völlig unnötigen Konflikten führen.

Kommunikation sei ein Spektrum bunter Farben. Jeder Farbton entspreche einer Emotion, die nonverbal kommuniziert wird. Dieses farbige Spektrum, welches dann die auf der Beziehungsebene kommunizierten Inhalte wiedergibt, nehme ich in diesem Modell dann nur in »Schwarz-Weiß« wahr. Das bedeutet, dass ich die in einer nonverbalen Kommunikation verborgenen, aber dennoch gesendeten, farbigen Emotionen in verschiedenen Grautönen empfange. Ich erkenne zwar, dass es da verschiedene Emotionen, also verschiedene Gesichtsausdrücke gibt, aber ich kann sie nicht eindeutig so dechiffrieren, wie sie gesendet werden. Im Umkehrschluss sende ich nonverbale Informationen durch meine Mimik und Körpersprache, die nicht notwendigerweise nach dem Schema von anderen dekodiert werden können, welches die meisten anderen Menschen anwenden. Bei der Transformation von Farbe nach Graustufen findet ein Informationsverlust statt, bei der Transformation aus Graustufen in die Farbskala werden Dinge interpretiert, die so nie gesendet worden sind.

In diesem Modell werden viele bunte Farben auf denselben Grauton projiziert. So kann ich zum Beispiel nicht erkennen, ob jemand gelangweilt oder genervt ist, ob Ironie vorliegt oder nicht, ich kann andere Leute nicht trösten, selbst wenn ich es könnte und wollte, weil ich deren Angst oder Trauer gar nicht erkenne. Nur deutlich überzeichnet ausgelebte Emotionen erreichen mich. Trauer, die mit großen Tränenflüssen einhergeht, Wut, die durch großes Gebrüll gezeigt wird, und so weiter.

Ein Rot erscheint in Schwarz-Weiß genauso wie ein Grün. Wenn jetzt zum Beispiel Rot für Wut steht und Grün für Freude, dann kann es demzufolge sein, dass ein Mensch wütend auf mich ist, ich aber denke, dass er sich über mich freut. So verhalte ich mich dann auch, und mein Gegenüber interpretiert dann eine Provokation, die ihn erreicht, obwohl ich eine solche nie ausgesendet habe.

In vertiefenden, der Forschung dienenden Tests auf Autismus (unter anderem der Movie for the Assessment of Social Cognition (MASC), ein Filmtest) hat sich beispielsweise herausgestellt, dass ich die Emotion »Angst« kaum bei anderen Menschen identifizieren kann. Und übrigens können andere Menschen auch nicht erkennen, wann und wovor ich Angst habe, wenn ich mich nicht verbal mitteile.

Menschen setzen voraus, dass ich die farblichen Anteile, die ja mindestens 80 Prozent einer Kommunikation ausmachen sollen, erkenne und sind dann irritiert, wenn ich deren diesbezügliche Erwartungshaltungen nicht erfülle (»Der merkt aber auch gar nicht, was andere fühlen! Sieht nur immer sich selbst!«, »Sag mal, Peter, das musst du doch gesehen haben«, …). Die Folge ist eine aus fremder Sicht interpretierte »krankhafte Selbstbezogenheit«, womit wir wieder beim Autismus wären.

Es ist also ganz wichtig, dass mir andere Menschen ihre Emotionen verbal mitteilen, wenn sie sicherstellen wollen, dass ich ihren emotionalen Zustand verstanden habe. Nur dann ist gewährleistet, dass ich solche Informationen in meinem Verhalten berücksichtigen und auf andere entsprechend eingehen kann.

Finden Sie die Swimming-Pools! – was
Kompensation bedeutet

Liebe Leserin, lieber Leser, damit Sie ganz konkret nachfühlen können, wie sich das anfühlt und was passieren kann, wenn ein Autist für alle anderen sichtbare Informationen nicht sieht, habe ich für Sie nachfolgend ein Farbfoto als Schwarz-Weiß-Foto aufbereitet.


Das Bild zeigt den südtürkischen Badeort Ölüdeniz, wie er sich mir beim Paragliding tief unter meinen Füßen präsentierte. Das Bild illustriert, wie groß der Informationsverlust ist, wenn man die Farben, die die Inhalte nonverbaler Kommunikation repräsentieren, also die Beziehungsebene, nicht sauber dechiffrieren kann. Was das bedeutet, das spüren und verstehen Sie sofort, wenn Sie versuchen, folgende Aufgabe mit der Schwarz-Weiß-Aufnahme zu lösen: Finden Sie die Swimming-Pools! Wo liegen sie? Wie viele gibt es? Welche Form haben die? Welche Größe?

Und nun stellen Sie sich vor, liebe Leser(innen), während Sie sich die Schwarz-Weiß-Aufnahme anschauen, beobachten Sie mehrere Menschen, die sich auch dieses Motiv, allerdings in Farbe, anschauen und sich über die Zahl und das Aussehen der vielen Swimming-Pools unterhalten, die die einzelnen Hotels so haben. Und Sie fragen sich, hey, wo bitte schön sehen die da alle irgendwelche Pools? Wie machen die das bloß? In der Schwarz-Weiß-Aufnahme lassen sich immerhin Straßen, Häuser und Strand, also Strukturen, zügig ausmachen. Aber Pools? Fehlanzeige! Jedenfalls auf den ersten Blick!

Auf dem Schwarz-Weiß-Foto dominieren die Details der Strukturen des Straßenlayouts der Stadt, man erkennt auch die Lage von Gebäuden. Auf dem Farbfoto konkurrieren die Details mit dem Ganzen. Und die farblich auffälligen Merkmale, dazu gehören auch die blauen Pools, sind deutlich zu Lasten anderer Merkmale zu erkennen. Die Farben seien ein Ausdruck für die Informationen über das Gefühlsleben der gezeigten Gegend. Die Strukturen seien die nackten Fakten. Um die eigentlich blauen, aber in dieser Weltsicht eingegrauten Pools zu finden, braucht es viel Geduld und Erfahrung. Und selbst wenn man die hat, bleibt eine Fehlerquote beim Erkennen.

Das Finden der blauen Pools, ohne die Farbe Blau zu sehen, das ist eine Fähigkeit, die eine Kompensationsleistung erforderlich macht. Kompensation heißt, man muss auf alternativem Weg vorgehen, um das wahrnehmen zu können, was andere direkt sehen können. Wie Blinde, die mit den Ohren »sehen«. Kompensation bedeutet, durch verstärkte Nutzung und Ausprägung einer alternativen, verfügbaren Fähigkeit etwas anderes Defizitäres im Ergebnis so gut wie möglich auszugleichen.

Dies ist unbedingt zu unterscheiden von den Rollenspielen, denen die Menschen im Alltag ausgesetzt sind. Alle Menschen, so möchte ich behaupten, zeigen im Berufsleben unter Kollegen oder im privaten Leben, im Verein oder in der Familie, mitunter ein anderes Verhalten als das, was sie eigentlich auszeichnet oder was sie tun würden, wenn sie ganz allein wären. Sie passen sich an oder maskieren ihre wahre Identität, indem sie in eine Rolle schlüpfen. In Reinkultur trifft dies auf Schauspieler zu. Eine Rolle im Alltagsleben spielen, meint, eine Maske aufzusetzen und damit etwas vorzugeben, was man im Innersten eigentlich gar nicht ist, um Teil des Systems oder einer Gruppe sein zu können. Diese viele Menschen bereits erschöpfenden Rollenspiele sind jedoch streng zu unterscheiden von einer echten, zu leistenden Kompensation.

Kompensation ist im Gegensatz zu einem Rollenspiel oder einer Anpassung eine Ersatzhandlung für etwas, was man nicht leisten kann. Ich gehe davon aus, dass es Ihnen schwerfiel, auf dem Schwarz-Weiß-Bild Pools zu finden, geschweige denn alle und dann diese auch noch zu beschreiben. So bekommen Sie eine Ahnung von der geistigen Leistung eines Autisten bei der Emotionserkennung, wenn er vorgibt, dies zu können. Denn dann kompensiert er, was ihm aber eine deutlich erhöhte Prozessorleistung im Gehirn abverlangt, die dann an anderer Stelle nicht mehr verfügbar ist. Während man die Pools enträtselt, steht man für andere Aufgaben geistig nicht mehr zur Verfügung. Man ist mehr als ausgelastet.

Mit viel Therapie und Training kann also ein Autist rational durch Anwendung von Kompensation unter Einsatz von Intelligenz lernen, was andere emotional intuitiv erfassen. Aber der Autist wird nie selber das farbige Bild der Kommunikation sehen, also die Beziehungsebene wahrnehmen, sondern immer nur die Schwarz-Weiß-Aufnahme und sich daraus mühsam manuell das errechnen oder steuern müssen, was andere sofort sehen oder per Autopilot erledigen. Es ist und bleibt trotz aller Therapien oder Trainings eine zeitraubende Technik, die es kaum erlaubt, als Autist zwischenmenschlich stets zeitnah erwartungsgemäß und angemessen zu reagieren.

Ich betone noch einmal ausdrücklich, dies ist ein Modell für das Handicap in der Kommunikation, das als Muster allen Autisten gemein ist, welches sich in der einen oder anderen Ausprägung im Spektrum zeigt und manifestiert, je nach Intelligenz und sonstigen Persönlichkeitsmerkmalen individuell verschiedenartig.

Das Modell bedeutet nicht, dass ich als Autist keine Farben sehen kann! Ganz im Gegenteil! Ich sehe alle Farben, die es gibt, nur nicht in der Kommunikation! Da bin ich vollkommen farbenblind! Und das hat Folgen in einem als autistisch eingestuften Verhalten! Die Wirkung auf andere ist eine Ignoranz der Gefühle anderer und damit eine Ich-Bezogenheit, die ungewollt ist. Es handelt sich hierbei insofern um eine Form der Egozentrik, als dass ein Autist aus der Sicht anderer »um sich selbst kreist«. Dieses Verhalten ist eine direkte Folge der Symptomatik. Fälschlicherweise sehen andere auch eine Form von Egoismus. Dieser setzt jedoch voraus, dass der Betroffene sich in die Gefühlswelten anderer sehr gut hineinversetzen kann, um diesen bewusst zu schaden. Das charakterisiert egoistisches Verhalten. Egoismus bedeutet, bewusst auf Kosten anderer zu leben, indem deren Absichten ausgenutzt werden, um diese zu übervorteilen. Dies hat jedoch mit dem »Selbstismus«, wofür das Wort Autismus steht, nichts zu tun.

Die plattgebügelte Katze – Autisten haben alle Gefühle, die es gibt

Ich hätte keine Empathie, sagte man mir wiederholt – in der Schule, an der Uni, bei der Arbeit. »Autisten haben keine Empathie!«, heißt es auch aus der Sicht der meisten Menschen. Sie meinen damit das intuitive Einfühlungsvermögen aus einer sozialen Situation heraus. Genau diese Menschen haben aber auch keine Empathie für Autisten! So wie der Autist eine soziale Situation nicht so versteht wie sein Umfeld, ahnt das Umfeld nicht, was in dem Autisten aufgrund seiner Wahrnehmung vorgeht. »Autisten haben doch gar keine Gefühle!«, so lautet ein weit verbreitetes Vorurteil. Woher dieses Vorurteil letztendlich im Alltag kommt und dass Autisten sehr wohl alle Gefühle haben, die es gibt, das bringt die folgende Geschichte aus dem Leben auf den Punkt. Eine Anmerkung vorweg: Es geht dabei um das beschriebene Muster im Verhalten, um das Wie, um die soziale Interaktion. Es geht jedoch nicht darum, ob Autisten etwas für Katzen empfinden oder nicht. Das ist natürlich individuell verschieden! Es geht nicht um das Was!

Ein Mädchen und ein Junge, beide neun Jahre jung, gehen zusammen zur Schule. Die beiden warten dann an einer Straße, die sie auf dem Weg zur Schule queren müssen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich hinter dem dortigen Bürgersteig eine Hecke. Aus dieser kommt diesmal eine Katze geschlichen. Und die läuft plötzlich, ohne zu zögern, auf die Straße.

Ein kurzes, knappes Geräusch ertönt: Bubumm. Die Katze ist briefmarkenplatt an den Asphalt gebügelt. Von den Reifen des Autos, das genau in diesem Moment vorbeikommt, das die beiden Kinder abgewartet haben. Und das kleine Mädchen plärrt sofort laut weinend und gesichtsregnend los: »Die arme Katze! Neeeeeiiiiiinnnn. Jetzt ist sie toooooot!«

Das kommentiert der kleine Junge trostlos trocken: »Was haste denn, das war doch nur eine Katze. Die hat selber schuld. Die hat nicht links gekuckt, nicht rechts gekuckt, sonst wäre das nicht passiert! Geschieht ihr also recht! Wer so doof ist, wird eben aus dem Verkehr gezogen! Die Strafe Gottes kam prompt und hart!«

Diese Antwort quittiert das kleine Mädchen vorwurfsvoll an den kleinen Jungen gerichtet mit den kurzen, knappen Worten: »Sag mal, spinnst du? Du hast ja wohl überhaupt keine Gefühle!«

Bingo! Ganz genau da kommt es her, das Vorurteil, dass Autisten ja keine Gefühle hätten! Eine Situation aus dem Alltag, die vom Muster her typisch ist, denn der Junge ist ein Autist. Soziale Erwartungshaltungen des Mädchens bleiben unerfüllt! Dafür müsste der Junge entweder so fühlen wie sie oder sich zumindest in sie spontan hineinversetzen können. Das kann er nicht, geschweige denn sie gar noch von Herzen kommend trösten. Trösten könnte er sie vielleicht, wenn, dann nur rational, wenn er erkannt hat, dass sie traurig ist und er weiß, dass erwartet wird, dass man Menschen tröstet, die traurig sind. Auch tut es ihm natürlich in gewisser Weise leid, dass die Katze tot ist, aber das Geplärr des Mädchens ist für ihn noch viel unangenehmer und soll baldmöglichst abgestellt werden.

Die aus der Sicht des Mädchens zunächst naheliegende Feststellung, dass der Junge ja gar keine Gefühle habe, ist jedoch eine fehlerhafte Schlussfolgerung. Sein Verhalten hat nichts damit zu tun, ob er Gefühle hat oder nicht. Doch die Geschichte ist noch nicht ganz zu Ende!

Zwei Wochen später. Das kleine Mädchen ist beim kleinen Jungen zu Hause zu Gast. Stolz zeigt er ihr sein Lieblingsbuch, den Atlas. Beim Blättern rutscht dieser vom Tisch. Und beim Versuch, ihn am Fallen zum Boden zu hindern, packt sie ihn noch an einer Seite. Doch der Fall des schweren Atlas lässt sich nicht aufhalten, das Gewicht des Buches reißt diese Seite beim Fallen raus. Das Mädchen steht mit der ausgerissenen Seite in der Hand da, während der Atlas seinen Weg zum Fußboden fortsetzt und dort hartkantig aufschlägt. Und dann plärrt der kleine Junge laut weinerlich los: »Du hast meinen Atlas kaputt gemacht!«

Das quittiert das kleine Mädchen mit der Aufforderung: »Was haste denn, jetzt stell dich nicht so an, das ist doch nur ein Atlas.«

Liebe Leserin, lieber Leser, Sie brauchen nur die »Katze« aus dem ersten Teil der Geschichte durch den »Atlas« aus dem zweiten Teil austauschen, um zu erkennen, dass der Junge nun genau die gleichen Gefühle zeigt, die das Mädchen vorher an der Straße beim Anblick der gebügelten Katze zeigte. Damit hat der Junge genauso wie das Mädchen die Gefühle wie Trauer, Wut und Frust. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er nicht auch alle anderen Gefühle wie Freude und so weiter kennen sollte. Den Jungen übermannt ein Gefühlscocktail aus Trauer, Wut, Frust und Verzweiflung. Er wird von seinen Gefühlen regelrecht beherrscht. Seine Emotionen gehen mit ihm durch. Er erlebt den Verlust seines Buches offenbar sogar intensiver als das Mädchen den Tod der Katze. Zum einen ist er völlig fertig, zum anderen braucht er lange, um die Situation zu verarbeiten.

Was ist die Moral von der Geschichte? Der autistische Junge gilt als gefühllos, weil er selbst keine Trauer fühlte, als die Katze überfahren worden ist und überdies auch das Mädchen nicht getröstet hat. Die Situation wäre auf jeden Fall emotional für ihn eine andere gewesen, wenn es SEINE Katze gewesen wäre oder ihm die Katze aus welchen Gründen auch immer etwas bedeutet hätte. Aber dieser Ich-Bezug zum Geschehen fehlte.

Im weiteren Verlauf der Geschichte zeigt sich deutlich, dass der Junge selbst auch das Gefühl der Trauer kennt. Aber es wird anders getriggert als von vielen erwartet. Von SEINEM kaputten Atlas. Autisten kennen nach meinem empirischen Wissensstand alle Gefühle, die es gibt. Aber sie werden zum einen anders getriggert als bei den meisten Menschen und zum anderen in der emotionalen Kommunikation auch oft nicht zuverlässig erkannt. Außerdem spielt es für einen Autisten in der Regel keine Rolle, dass die Katze ein Lebewesen ist und der Atlas ein Gegenstand.

Wer nur glaubt, der Autist habe keine Empathie für die Gefühle des Mädchens, das Mädchen dagegen Empathie für die Gefühle des Jungen, irrt. Die Feststellung »Stell dich nicht so an!« weist daraufhin, dass sie den Schmerz des Autisten genauso nicht nachvollziehen kann, wie der Autist nicht mitfühlen konnte, was sie beim Anblick der briefmarkenplatten Katze empfand. Das mit der Empathie ist keine Einbahnstraße! Empathie zu haben oder nicht, beruht auf Gegenseitigkeit. Es besteht demzufolge immer Empathie in beide Richtungen oder keine! Wenn jemandem gesagt wird, er habe keine Empathie, bedeutet das immer, dass derjenige, der diesen Vorwurf ausspricht, selbst keine Empathie für sein Gegenüber hat!

Da die meisten Menschen die Form der Empathie so empfinden wie das Mädchen, gilt man als Autist aus Sicht der Mehrheit als empathielos und damit im Sinne der Duden-Definition aus der Sicht der anderen als selbstbezogen.

Im Gegensatz zum Autisten wäre das Mädchen nun aber in der Lage, den Jungen zu trösten, falls gewünscht und erforderlich. Ein Autist kann dagegen nur das nachfühlen, was er selbst bereits emotional in gleicher Konstellation durchlebt hat. Wenn er tröstet, obwohl er die Situation nicht nachfühlen kann, dann hat er rational einen emotionalen Zugang zur Situation erlernt.

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