Kitabı oku: «Mörderisches aus Sachsen», sayfa 3

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Adina dachte nach. Ihr war bekannt, dass Ostdeutsche mehr zwischen den Zeilen lasen als in den Zeilen. Vor allem herauslasen. »Sie meinen, da wollte jemand die Entscheidung für Chemnitz verhindern und den Titel nach Nürnberg holen?«

»Ganz so vielleicht nicht. Dafür wurde er zu spät umgebracht. Aber irgendwer hat ihm den Erfolg nicht gegönnt und war vielleicht sauer, weil es in Nürnberg nicht geklappt hat.« Es klingelte. Die Tochter von Frau Rosenkranz stand auf und betätigte den Türöffner.

»Frau Kievernagel. Ich habe gehört, Sie kennen sich bereits«, sagte sie zu Adina. »Ja, wir hatten schon miteinander zu tun, nur hatte ich damals nicht viel Zeit für meine privaten Forschungen.«

»Bevor ich es vergesse: Unser Historiker erwartet Sie um 13 Uhr am Friedhof. Ich werde Sie begleiten. Widerspruch zwecklos«, sagte Frau Kievernagel im Anschluss an die Begrüßung.

Nachdem Frau Rosenkranz die letzte Tasse mit duftendem Tee grusinischer Art, wie sie betonte, gefüllt hatte, begann sie über Adinas Urgroßmutter zu sprechen.

»Adina Pfefferkorn hatte nach dem Ersten Weltkrieg ein Lehrerseminar besucht. Sie sprach fließend Englisch. Eine Karriere blieb ihr jedoch verwehrt, und genauso ihrem Mann, einem Arzt. Der war katholischer Christ, durfte aber trotzdem nicht mehr praktizieren. In seiner Akte stand, dass er eine Frau mosaischen Glaubens hatte. Es half nichts, dass sich die beiden pro forma scheiden ließen. Damals lebten sie in Niederschlesien, nicht weit entfernt von Waldenburg, das heute Walbrzych heißt.«

Adina versuchte, ihr Herzklopfen zu unterdrücken.

»Wie kam sie nach Chemnitz?«

»Sie hatte hier Freunde, die ihr halfen, nachdem sie mit den Kindern allein war und die Ostgebiete geräumt wurden. Sie wissen sicher, dass ihr Mann frühzeitig starb und sie allein durchkommen musste. Da sie fließend Englisch sprach, konnte sie als Übersetzerin arbeiten, allerdings wurde Englisch vorerst im Osten nicht so sehr gebraucht. Da war man mit Russisch besser dran. Im hohen Alter gab sie Kurse an der Volkshochschule und Privatunterricht für Studenten. Bestimmt begeisterte sie ihre Tochter für Sprachen, also Ihre Großmutter Flora. Die wurde Dolmetscherin.«

»An sie kann ich mich gut erinnern. Sie wohnte damals bei uns in der Nähe, in Westberlin. Mein Großvater war schon tot. Lebt eigentlich noch jemand von ihren Freunden hier?«

»Es wurde etwas von einem Gönner oder Liebhaber gemunkelt, aber keiner von uns hat je erfahren, wer er war. Wir wissen nicht, ob er hier lebte oder nur ab und an zu Besuch kam. Ich glaube, er ist kurz vor Adina gestorben. Sie hatte mit einem Mal keinen Lebensmut mehr. Die Tochter war in Berlin, der älteste Sohn ging gleich nach dem Krieg in einen Kibbuz in Palästina. Der jüngere war ständig für seine Firma im Ausland unterwegs. Die Enkel hat sie auch nicht so oft gehabt wie andere, deren Kinder zu DDR-Zeiten in Karl-Marx-Stadt zu Hause waren. Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass sie einsam war.«

Adina überlegte kurz. Als Frau Rosenkranz weiter schwieg, sagte sie: »Vielleicht sind die unerfüllten Lieben die dauerhaftesten.« Dann blickte sie aus dem Fenster bis zur Kaßberg-Auffahrt ihren Gedanken hinterher.

»Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas«, riss Frau Rosenkranz Adina aus ihren Gedanken. Sie stand auf und ging durch den Flur in ein leer wirkendes Zimmer. »Das Bild hat sie für mich gemalt. Wussten Sie, dass sie künstlerisch begabt war? Bild und Text stammen von ihr.«

Adina las ein Gedicht, in schnurgeraden Lettern auf den Zeichenkarton gemalt, inmitten sich kunstvoll rankender Verzierungen.

»Das klingt sehr nach unerfüllter Liebe«, stellte Adina fest, nachdem sie die drei Strophen halblaut rezitiert hatte.

»Ich möchte Ihnen das Bild schenken. Ich würde mich sehr freuen, wenn es einen guten Platz bei Ihnen findet.«

Adina schaute Frau Rosenkranz überrascht an. »Aber das kann ich doch nicht annehmen.«

»Natürlich können Sie das. Meine Tage hier sind gezählt. Ich ziehe in eine Seniorenresidenz und habe nicht mehr so viel Platz. Und was meinen Sie, was meine Kinder mit dem ganzen Zeug hier machen! Da ist es mir viel lieber, wenn wenigstens einige Stücke in gute Hände kommen.«

Adina umarmte die Frau, ohne nur einen Moment zu zögern. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.« Ein Tränchen kullerte über Adinas Gesicht.

Frau Kievernagel schaute auf die Uhr, dann zu Adina. »Bei dem Wetter …«, begann sie. »Ja, ich weiß, wir müssen. In der Kälte ist es noch unanständiger als sonst, jemanden warten zu lassen. Soll ich Sie in meinem Auto mitnehmen? Ich könnte Sie anschließend zurückbringen«, bot Adina an.

»Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich wohne hier in der Nähe«, antwortete Frau Kievernagel.

Der Historiker stieg aus dem Auto, als Adina mit Frau Kievernagel am Friedhof parkte. Er hatte für Adina einen Umschlag mit Fotos ihrer Urgroßmutter mitgebracht. »Das ist alles, was ich im Moment gefunden habe. Bei mir stehen noch einige Kartons zur Auswertung. Wenn Sie mir Ihre Kontaktdaten dalassen …«

Adina hatte bereits nach ihrem Visitenkartenetui gegriffen und ein Kärtchen herausgenommen.

»Ich würde mich sehr freuen. Aber erst einmal herzlichen Dank für Ihre Mühe. Ich weiß gar nicht, wie ich das wiedergutmachen kann. Ich wurde heute so reich beschenkt.«

»Keine Ursache. Ich beschäftige mich ohnehin mit dem Thema. Und forschen ist eher eine einsame Arbeit. Es ist eine große Freude für mich, wenn ich jemandem eine Freude machen kann. Im Alter kommt man darauf, dass an dem Spruch Geben ist seliger denn nehmen tatsächlich etwas dran ist.«

Der Historiker hielt Adina einen kleinen Vortrag über die Geschichte der Juden in Chemnitz, während sie über den Jüdischen Friedhof schlenderten. Nicht alle Wege waren schneefrei, sodass sich der Rundgang auf die Hauptwege konzentrierte. Adina erfuhr etwas über die Stadt im Allgemeinen und das Leben ihrer Urgroßmutter im Besonderen. »Sie bieten viele Vorträge und Rundgänge an?«, fragte Adina.

»Ja, seit ich im Ruhestand bin, habe ich das Programm erweitert«, sagte der Historiker.

»Das ist gut, ich werde den Kontakt in mein Tourismusportal aufnehmen und zu den Terminen verlinken. Sind Sie damit einverstanden?«

»Aber natürlich. Vorträge ohne Besucher sind grässlich. Da kann man immer Unterstützung gebrauchen. Und kostenlose sowieso.«

Adina freute sich, dass sie dem Mann eine winzige Gegenleistung für seine Hilfe bieten konnte. Sie verabschiedete sich von ihm und fuhr mit Frau Kievernagel zum Kaßberg. Dann gab sie die Heinrich-Zille-Straße ins Navi ein. Einen Parkplatz fand sie gleich um die Ecke bei der hübschen Buchhandlung am Brühl.

Das Schalom war gut gefüllt. »Herzlich willkommen! Wir haben dir einen der besten Plätze reserviert. Und sicher bist du da auch, gleich neben unseren Chemnitzer Beamten«, begrüßte der Wirt Adina, nachdem diese das Restaurant betreten hatte.

»Hallo, Uwe, ich freue mich schon seit gestern, als ich den ersten Tag in Chemnitz unterwegs war.« Der Mann mit der dunkelroten Schürze und der Kippa auf dem Kopf führte sie zum Platz.

»Das ist Adina Pfefferkorn. Sie hat euch damals den Verrückten geliefert, der überall Beutekunstjäger gewittert hat. Die Sache in den Kunstsammlungen«, stellte der Wirt Adina den Männern vom Nachbartisch vor. Sie wusste für einen Moment nicht, wie sie sich verhalten sollte. »Wir kennen uns«, rief ein hagerer Mittdreißiger von der hinteren Stirnseite. »Ich habe damals die Anzeige aufgenommen. Kriminalhauptkommissar Müller, Sie erinnern sich sicherlich.« Damit war das Eis gebrochen, obwohl Adina den Mann nicht wiedererkannt hätte. Die Beamten boten ihr einen freien Platz an ihrer Tafel an. »Ich werde erst etwas essen, dann können wir an Ihrem Tisch schwatzen, wenn Sie nichts dagegen haben«, antwortete sie und setzte sich auf ihren reservierten Platz.

»Das ist schon mein zweites jüdisches Restaurant innerhalb einer Woche. Vor ein paar Tagen war ich im Feinberg’s in Berlin«, erzählte Adina, als Uwe ihr die Speisekarte reichte.

»Und?«

»Anders als hier, mehr sephardisch, Sabich, Shak­shuka, Kebab, Kibbeh, also alles, was man aus der orientalischen Küche kennt. Es gibt aber viele Sachen, die ihr hier habt. Natürlich Zackenbarsch in scharfer marokkanischer Soße, also Chraime, Hummus, Falafel und all die Mezze-Vorspeisen. Ich glaube, gefilte Fisch, Borschtsch, Kneidlach oder Tscholent und solche osteuropäischen Sachen haben sie nicht auf der Karte. Super lecker ist es aber hier wie dort.«

»Danke. Na, dann nimm doch heute etwas Aschkenasisches. Blinzes, Latkes, Hühnchen …«

»Erst bringst du mir ein Simcha. Ich muss heute zurück, da ist nichts mit viel Alkohol. Ein kleines Bier geht aber. Ich bin mehr als eine Stunde da. Und wenn du mit dem Bier kommst, weiß ich, was ich esse.«

Der Kellner brachte das Bier. Adina gab ihre Bestellung auf. »Hummus muss sein. Dann würde ich gern die jiddische Hühnersuppe probieren. Damit dürfte die Sättigungsgrundlage geschaffen sein. Lattkes mit Gemüse könnten gerade noch reinpassen.«

»Klar, du schaffst das. Es dauert ein wenig.«

Adina nahm einen Schluck Bier, wischte sich den Schaum von den Lippen und wandte sich den Beamten zu. »Ganz schön was los in Chemnitz. Der Rummel um die Kulturhauptstadtbewerbung, die ganzen dämlichen Störmanöver und jetzt ein Toter.«

»Das hat sich bis in die Hauptstadt herumgesprochen?«, fragte der Mann, den sie bereits kannte.

»Klar, Herr Müller. Wir Berliner Pflanzen sind immer gut informiert, und Journalisten sowieso. Aber ich wohne zurzeit im Erzgebirge. Ich war nur ein paar Tage in Berlin, mit meinem Auftraggeber sprechen, meine Eltern besuchen, nach meiner Wohnung sehen. Die Gegend hier ist mir so ans Herz gewachsen. Da zieht es mich immer schnell zurück.« Das ironische »vor allem im Winter« verkniff sie sich.

Kriminalhauptkommissar Müller setzte zum Sprechen an. Sein Tischnachbar kam ihm zuvor. »Ich bin der Harald. Und der Herr Müller, der heißt Steffen.«

»Ich bin Adina. Sorry, mein Essen.« Die Antwort fiel knapp aus, denn Adina wollte sich dem eben servierten Hummus widmen. Sie brach das Brot ab, tauchte es in den Kichererbsen-Sesampastenbrei und murmelte »himmlisch« vor sich hin. Die weiteren Gänge kamen auf den Punkt. Adina orderte ein Wasser und wechselte nach dem Essen zum Nachbartisch. Als sie saß, schaute sie demonstrativ auf ihre Uhr. »20 Minuten, dann muss ich weg. Haben Sie die Sache mit dem Auto schon aufgeklärt?«

»Nein, wir tappen im Dunkeln. Es gibt ein paar vielversprechende Spuren, aber keinen Durchbruch«, antwortete Kriminalhauptkommissar Müller. Adina überlegte kurz. Sie wusste, dass die Beamten alle Gesprächstricks kannten, und wollte nicht ganz so plump erscheinen. Doch die Flirtversuche von diesem Müller, die hatten Potenzial.

»Stimmt es, dass der Mann umgebracht und ins Auto gelegt wurde?«, begann sie.

»Ich würde dem nicht widersprechen«, antwortete der Kommissar und blickte Adina an.

»Und dass die Sache mit der Kulturhauptstadt zusammenhängt?«

»Wie kommen Sie darauf?«, hakte der Kommissar nach.

Die Salamitaktik schien zu funktionieren. Adina versuchte, ihn weiter anzufüttern. »Ich habe mich gestern und heute mit einigen Chemnitzern getroffen. Die sprachen davon. Einige vermuten einen Zusammenhang mit anderen Bewerbern für den Titel. Und schon bevor ich herkam, habe ich mir angeschaut, was in diversen Medien veröffentlicht wurde. Ich meine, vor allem in den sozialen Medien, die nur dem Namen nach sozial sind. Meldungen, Kommentare, Bilder …« Adina trank den letzten Schluck aus ihrem Glas. »Ich muss nach Annaberg. Man sieht sich vielleicht an der einen oder anderen Stelle. Oder irgendwann wieder im Schalom.« Als sie sich verabschiedete, bemerkte sie ein enttäuschtes Gesicht.

Während der Rückfahrt telefonierte Adina über die Freisprechanlage mit Oli. Er kam kaum zu Wort, so viel hatte Adina zu berichten. »Und stell dir vor, die Chemnitzer Beamten vermuten auch, dass der Tote mit der Kulturhauptstadt zu tun hat«, erzählte sie ihm.

»Ich bin bei der Übergabe. Medienbetreuung ist etwas anderes als Dienst an vorderster Front. Nimm dir für das Wochenende nicht zu viel vor. Ich glaube, ich will einfach relaxen«, erfuhr sie von Oli.

Adina war gerade in Olis Annaberger Wohnung angekommen, als ihr Handy vibrierte. »Hier ist Kriminalhauptkommissar Müller. Könnten Sie morgen ins Präsidium kommen und Ihren Laptop mitbringen? Wir würden uns gern die Bilder mit Ihren Beobachtungen vor Ort anschauen.« Das ging ja schnell, dachte Adina und hatte Mühe, ernst zu bleiben. Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit Oli, der ebensfalls ein forsches Tempo an den Tag gelegt hatte. »Klar, ich bin morgen ohnehin in Chemnitz. Ich denke, so ab halb zehn.«

»Ja, das passt. Melden Sie sich beim Einlassdienst – so wie damals bei der Aussage zum Beutekunstjäger. Ich hole Sie ab.«

»Ok, bis morgen.« Adina verabschiedete sich und ließ ein heißes Bad ein. So aufgewühlt, wie sie war, konnte sie ohnehin schlecht einschlafen. Immerhin schien sie auf Männer zu wirken. Vor allem auf Single-Beamte. Deshalb war sie jetzt hier in dieser sibirischen Kälte. Und hier wollte sie auch bleiben, obwohl sie gerade wieder einmal ihren Marktwert getestet hatte. Oder ihr der Test aufgezwungen worden war. In der Nacht träumte Adina von zwei Kriminalkommissaren, die Russisch Roulette spielten. Sie wachte auf, als der Schuss gefallen war – ohne zu wissen, wie das Duell ausging. Das flaue Gefühl im Magen begleitete sie während der Fahrt nach Chemnitz. Lange vor dem Ortseingang Harthau ging sie vom Gas und schaute auf den Tacho.

Punkt 9.30 Uhr öffnete Adina die Tür zum Polizeipräsidium. Es dauerte nicht lange, und Kriminalhauptkommissar Müller holte sie am Eingang ab. »Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte er nach einer kurzen Begrüßung.

Adina fuhr ihren Laptop hoch und klickte auf den ersten Link. »Schauen Sie, ich meine diesen Mann hier. Der taucht auf vielen Bildern auf, die mit der Kunst im nicht geschützten Raum in Verbindung stehen. Sogar, als das Auto aus dem Schlossteich gefischt wurde.«

Adina schaute zu den Beamten und folgte einem weiteren Link. »Sehen Sie, hier.« Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass der Mann, der sich ihr als Harald vorgestellt hatte, seinem Kollegen zunickte. Dann verließ er den Raum und kam kurze Zeit später mit einem weiteren Zivilbeamten zurück.

»Guck mal, Armin, ist das dein Kumpel?« Der mit Armin angesprochene Beamte trat näher an Adinas Laptop heran. »Klar, der war auch dabei, als der Skoda wegen mutwilliger Zerstörung abgefischt wurde. Nach der Reparatur wurde das Auto ja wieder versenkt. Jedes Mal versuchten ein paar Deppen, die Aktion mit sinnlosen Anzeigen zu stören. Ich kenne den.«

»Du kennst ihn?«, hakte Müller nach.

»Das ist doch dieser geschasste Schauspieler aus Nürnberg. Er hatte zwei, drei Engagements am Chemnitzer Theater. Warst du mit in der Premiere von diesem DDR-Stück, wo der sich so blamiert hat? DDR können halt nur Ossis«, sagte Armin. »Kannst du bitte ermitteln, wie der hieß und was aus ihm geworden ist?«, bat Steffen Müller.

»Den Namen habe ich. Schaut mal hier.« Adina hatte einen weiteren Link angeklickt.

»Ja klar, das ist er. Einmal gesehen, alles geschehen, äh, nie vergessen. Bin gleich wieder da«, verabschiedete sich Armin.

»Trinken wir noch eine Tasse Kaffee zusammen?«, fragte Kriminalhauptkommissar Müller, während Adina den Laptop herunterfuhr.

»Klar, ich musste heute zeitig aus dem Haus, da war nicht viel mit Frühstück«, gestand Adina.

»Ich lade Sie gern zum Frühstück ein. Es ist nichts Opulentes.Wir haben belegte Brötchen, Joghurt, Salat. Wenn Sie kein Veganer sind …« Er lächelte sie verführerisch an.

»Nein, in meinem Job wäre das ziemlich schwierig. So ausgeprägt ist das Angebot in Deutschland nicht, vor allem nicht im ländlichen Raum. Zwei halbe Brötchen und ein Joghurt wären schick. Und ein Milchkaffee. Dankeschön.«

»Das geht uns ähnlich. Wir sind nicht immer im Präsidium und brauchen manchmal zwischendurch etwas zu beißen. Ich bin gleich wieder da.« Während der Kommissar das Tablett mit Kaffee, Brötchen und Joghurt zum Tisch brachte und alles arrangierte, flog die Tür zum Besprechungszimmer auf.

»Das glaubst du nicht. Der hat den Nürnberger Bewerbungsprozess für die Kulturhauptstadt geleitet und verhindert, dass unser teurer Toter dort zum Zuge kam. Dieser wurde daraufhin in Chemnitz aktiv und trug maßgeblich zum Erfolg bei. Wenn das kein Motiv ist, fress’ ich einen Besen.«

»Vergiss den Stiel nicht. Und nun? Amtshilfeersuchen nach Mittelfranken?«

»Haben Sie Amtshilfeersuchen gesagt? Ich glaube, das Wort verfolgt mich.« Adina prustete los. Kriminalhauptkommissar Müller schaute sie verdutzt an.

»Mein Freund ist Kriminalhauptkommissar, genau wie Sie. Nur in Annaberg. Aber gerade hat er eine Schwangerschaftsvertretung in Dresden übernommen. Der wirft auch immer mit solchen komischen Begriffen um sich.«

»Annaberg, Dresden … Lars-Oliver? Kein Wunder, dass Sie so fit in Sachen Ermittlung sind.«

»Ja, Oli, Sie kennen sich? Und bitte, ich bin Journalistin, wir wissen, wie so etwas geht. Bei uns heißt es eben nur Recherche und nicht Ermittlung.«

»Wir haben zusammen studiert und telefonieren ab und an miteinander. Er erzählte mir von seiner Freundin, die ständig über Mord und Totschlag, Raub und andere Straftaten stolpert.«

»Bei genau so einer Sache haben wir uns kennengelernt. Am Waldgeisterweg. Aber das war bei Weitem nicht mein erster Toter hier in Sachsen.«

»Die verrückten Pilz-Opas. Ich erinnere mich. Das kursierte damals durch alle Gazetten.«

Armin, der sich unbemerkt aus dem Zimmer geschlichen hatte, kam zurück. »Erledigt. Die Nürnberger fühlen dem erfolglosen Mimen auf den Zahn. Ich glaube, unser Wochenende ist gerettet.«

»Dann darf ich mich jetzt verabschieden. Ich möchte mich ein bisschen in Chemnitz umschauen und mein Portal auf den neuesten Stand bringen. Es wäre nett, wenn Sie mich über den Ausgang der Ermittlungen auf dem Laufenden hielten. Journalisten sind halt immer furchtbar neugierig. Und die -innen noch mehr.«

Und nun hat sich das mit dem Flirten auch erledigt, dachte Adina, der Steffens Annäherungsversuche nicht entgangen waren.

»Klar, ich habe Ihre Daten. Oder ich rufe Oli an. Aber erst, wenn der Fall geklärt ist.«

3 Gestörte im Wald
Landkreis Mittelsachsen

Sonntagmorgen. Adina wälzte ihren Kopf auf dem Kissen hin und her. Ein Blick auf die Handy-Uhr verriet ihr, dass es viel zu früh zum Aufstehen war. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Oli ebenso wie sie aufgewacht war und die Decke anstarrte. Sie kuschelte sich an ihn.

»Hast du Lust, mit mir raus nach Blockhausen zu fahren? So früh ist bestimmt keiner dort. Sonnenaufgang über dem Erzgebirge. Und vom Sauensäger aus kann man den bunten Schornstein von Chemnitz sehen. Vielleicht ist die Beleuchtung noch an. Ich liebe diese Neonfarben. Nur bin ich viel zu selten nachts unterwegs, um sie zu genießen.«

»Dein Vorschlag klingt verlockend. Gib mir fünf Minuten zum Aufwachen, ja?«

Adina ließ nicht locker. »Wir können einen ausgedehnten Spaziergang über das Gelände und durch den Wald unternehmen. Das macht unsere Köpfe frei nach dieser anstrengenden Woche mit all ihren Veränderungen und emotionalen Herausforderungen. Auf dem Rückweg essen wir zu Mittag im Kalkwerk Lengefeld. Wir müssen vorher anrufen und uns einen Platz reservieren lassen. Es ist immer ziemlich voll. Am frühen Nachmittag sind wir zurück und haben genug Zeit, uns seelisch und moralisch auf die neue Woche einzustellen.«

»Überredet«, hauchte Oli. »Geh schon mal ins Bad.«

»Danke, dass du mich nicht für verrückt erklärst«, sagte Adina und drückte Oli einen Kuss auf die Stirn. »Den Rest vertagen wir auf heute Abend.« Adina sprang aus dem Bett. »Ich mach uns fix einen Kaffee. Vergiss bitte deine Stirnlampe nicht. Und feste Schuhe! Wir fahren mit meinem Auto, da ist meine Ausrüstung für alle Fälle drin. Licht, Wechselklamotten, meine Wanderschuhe.«

Der Kaffee lief, während Oli im Bad war. Adina füllte die Thermobecher und stellte sie in den Korb, wo bereits eine Notration mit Keksen, Mini-Salami und Brot wartete. Adina ergänzte das Sammelsurium mit einer Packung Nougatpralinen. Als beide fertig waren, verließen sie das Haus und gingen zum Auto. Sie nahmen die B101 und bogen kurz vor dem Großhartmannsdorfer Großteich in Richtung Mulda/Dorfchemnitz ab.

Für tiefschürfende Gespräche während der Fahrt war es zu früh. Oli döste auf dem Beifahrersitz vor sich hin. Adina kannte die Strecke, deshalb hatte sie das Navi nicht erst eingeschaltet. Knifflig war das letzte Stück, aber sie wusste von ihrem vorhergehenden Besuch, dass dort Schilder für Touristen standen.

Der Parkplatz in Blockhausen war leer. Oli schälte sich aus dem Auto. Adina wechselte die Schuhe, packte etwas Proviant in den Rucksack und steckte die Taschenlampe dazu. »Los geht’s. Wir laufen den steilen Steinbruchweg durch den Wald nach oben und entlang der Wiese mit den erotisch angehauchten Tierkreiszeichen und anderen Holzfiguren zurück zum Parkplatz. Ich bin gespannt, was alles neu entstanden ist.« Mit forschen Schritten nahm Adina den Berg unter die Füße.

Kurze Zeit später stoppte sie den Aufstieg. »Riechst du das? So früh am Morgen, wenn noch alles feucht ist und der Tau auf dem Gras liegt, hat der Wald einen besonderen Geruch, so nach Erde und Laub. Ich glaube, im beginnenden Frühling ist das besonders intensiv.«

»Ja. Im Herbst riecht es eher modrig und nach Pilzen. Aber hörst du die Vögel zwitschern? Und den Specht klopfen? Ich war noch nie bei einer Vogelstimmenwanderung, deshalb kann ich die Vogelarten nicht unterscheiden«, antwortete Oli.

»Der Specht trommelt wie verrückt. Der will sich bei den Weibchen bemerkbar machen. So ein Vogel ist auch nur ein Mensch«, lachte Adina und lief weiter.

Der Weg führte vorbei an ersten Holzskulpturen und einer Blockhütte. »Ups, wir sind wohl gar nicht so allein«, sagte Adina, als sie kurz vor dem Abzweig zum Sauensäger-Refugium fünf Autos in Fahrtrichtung bergabwärts geparkt stehen sah. »Vielleicht hatten sie eine Party und sind über Nacht geblieben. Man kann hier sogar heiraten. Im Wald ist ein Platz mit Bänken und einem Steinaltar unter einer Hochzeitsbuche mit lauter Initialen der Brautpaare. Nur ist das eher nichts für Berliner Pflanzen«, setzte sie fort. Oli reagierte nicht. Er schaute sich die Kennzeichen an. »Alles Freiberger. Die haben bestimmt gefeiert, und der harte Kern schläft noch. Bloß warum stehen die Autos dann nicht weiter oben auf dem Gelände, in der Nähe des großen Blockhauses mit dem Partyraum?« Er nahm sein Handy und schoss ein Foto.

Rechts von Adina knackte es laut im Wald, der sich in den Hang schmiegte. »Das sind bestimmt die Waldgeister aus Holz, die überall herumstehen«, neckte Oli seine Freundin, die ein wenig irritiert schaute. »Klang eher nach Wildschweinen«, antwortete sie.

»Oder nach Zweibeinern. Vielleicht sind die Leute aus den Autos auf der Jagd?«

»Oli, jagen ist etwas Einsames, kein Rudelsport. Ein Schuss, und die Beute ist weg. Es sei denn, es ist Treibjagd. Aber da wäre großflächig abgesperrt.«

»Du hast recht«, pflichtete Oli ihr bei. »Außerdem sind die Leute, die das geschaffen haben, bestimmt keine Jäger. Das ist mehr ein Walderlebniszentrum, sehr naturnah«, legte Adina nach. Inzwischen hatten sie die ersten Bauten erreicht. »Das ist ein sehr schöner Waldspielplatz mit Kletterfelsen und Kinderbude für den Nachwuchs. So eine gelungene Mischung aus Spiel, Spaß und Bewegungselementen. Lass uns ein paar Meter bis zu den Figuren aus der Hebammen-Saga hinter dem Blockhaus gehen. Dort biegen wir auf den Mordsteinweg ab«, forderte Adina Oli auf. Sie richtete die Taschenlampe auf Christian und Marthe, die mit ihrer Gruppe in Christiansdorf, dem heutigen Freiberg, siedelten. Ein heller Fleck tanzte in Marthes Gesicht. Dann schwenkte sie zum Markgrafen Otto und zur Markgräfin Hedwig, die ihren Reichtum dem Silberbergbau verdankten, und von da zu Christians Freund Lukas. »Hast du die Hebammen-Bücher von Sabine Ebert gelesen?«, fragte sie Oli.

»Klar, das war Pflichtlektüre für Erzgebirger, ein richtiger Hype, wie für meine Eltern Dallas oder Denver einst im Fernsehen. Ich vermisse den grausamen Randolf.«

»Auf dem Hügel stehen nur die Guten. Vielleicht begegnen wir ihm oben auf dem Mordsteinweg. Da würde er ganz gut hinpassen«, antwortete Adina.

»Mordsteinweg und meine Adina. Wieso wundert es mich nicht, dass du mich gerade hierher entführt hast? Hast du mich und unsere Beziehung satt?«

»Du hast ja seltsame Ideen, Oli! Was kann ich für den Namen? Außerdem existiert oben wirklich ein Mordstein. Oder eine Nachbildung. Der Stumpf war wohl noch vorhanden, der richtige Stein ist im Museum. So genau weiß ich das nicht mehr, aber das können wir gleich erkunden. Solche Steine gibt es an mehreren Orten, in Chemnitz oder im Erzgebirge und anderswo. Meist erinnern sie an ein Verbrechen. Früher war ein Menschenleben nicht so viel wert, vor allem das eines Tagelöhners oder Leibeigenen«, konterte Adina.

»Weißt du mehr über den Mord?«, hakte Oli nach.

»Das muss nach dem Dreißigjährigen Krieg gewesen sein. Zwei Dragoner überfielen einen Bauern. Er verblutete. Die beiden Delinquenten erwartete ein grausiger Tod, aufs Rad geflochten …«

Unterwegs erzählte Adina vom Husky-Cup. Der Kettensäge-Wettbewerb findet jedes Jahr mit wechselnder internationaler Beteiligung und stets zu einem anderen Thema statt. »Initiator ist der als Sauensäger bekannte Inhaber des Geländes, der Stück für Stück seinen Lebenstraum verwandelt, so mancher bürokratischen Vorschrift zum Trotz. Das begann schon mit dem Vorhabens- und Erschließungsplan. Ein äußerst langwieriges Verfahren mit einem sperrigen Namen. Fast wie Amtshilfeersuchen, nein, schlimmer«, lachte Adina und boxte Oli ganz leicht in die Seite.

»Schau, Gevatter Tod. Und das Hexenhaus.« Adina war es ganz recht, dass sie einen Moment verweilen konnte. Sie trat an das Pult mit dem aufgeschlagenen Buch, die Hexe mit Hänsel und Gretel und dem hübschen Holzhäuschen im Rücken. Dann begann sie zu deklamieren: »Wir haben uns hier und heute zusammengefunden, um … Ja warum eigentlich?«

»Um Adinas fortwährende Neugier zu nachtschlafender Zeit zu befriedigen«, erwiderte Oli.

»Ach komm, genieße die Ruhe und die frische Luft.« Nicht weit von ihnen entfernt knackte es erneut ziemlich laut. »Mit Ruhe war wohl nichts. Hast du diese Geräusche gehört? Klang wie ein Winseln.«

»Oli, willst du mir Angst machen? Ich bin so furchtlos wie der Ritter Lukas unten bei der Hebammen-Gruppe. Lass uns weitergehen.«

Die beiden spazierten ein Stück bergauf, vorbei an einer Klärgrube und einem alten Jägerstand. Gegenüber der relativ neuen Holzkonstruktion stand eine mannshohe Holzgestalt im Wald. »Der Stülpner Karl beobachtet uns, schau«, sagte Adina.

»Ich glaube nicht, dass der gerade am Mordsteinweg herumwildert«, spielte Oli auf den Robin Hood des Erzgebirges an. »Aber vielleicht hat er auch etwas gehört. Lausch doch mal, Adina!«

»Mmhhh, klingt wie der Wind in den Baumwipfeln. Ist es nicht wunderbar, wie das Licht zwischen den Bäumen durchscheint? Den versprochenen Sonnenaufgang kann ich dir leider nicht bieten. Dazu ist der Wald zu dicht und wir sind zu tief. Und jetzt dreh dich um: Tätä, der Schornstein von Chemnitz!«

Oli tat wie ihm geheißen. »Beeindruckend«, sagte er. Beide liefen ein paar Schritte rückwärts den Weg bergan und erreichten den Platz, der unter anderem für Hochzeiten genutzt wurde.

»Oh, Oli. Jemand hat die Volksmärchen der Gebrüder Grimm neu interpretiert«, spielte Adina auf das Motto des vergangenen Husky-Cups an. »Ich dachte, Schneewittchen konnte wegen der Reisebeschränkungen nicht realisiert werden. Dabei liegt es auf dem Steinaltar und die Zwerge stehen in Reih und Glied dahinter.«

»Bleib sofort stehen. Das ist kein Schneewittchen, Adina. Sie bewegt sich … noch.« Oli schaute sich um. Er rannte ein Stück in den Wald und erklomm die Stufen in Richtung Hochzeitsbuche.

Nach einem Blick auf die fixierte Frau holte er sein Handy heraus. »Sch… Funkloch! Keine Verbindung zur Polizeidirektion.« Er probierte den Notruf über die 112. Wenigstens das funktionierte. »Kriminalhauptkommissar Uhlig aus Annaberg, allerdings privat unterwegs. Ich bin gerade in Blockhausen beim Sauensäger. Im Wald liegt eine offensichtlich verletzte Frau. Die Situation ist mehr als dubios. Schicken Sie bitte Notarzt, Polizei, das ganze Programm … Ich weiß noch nicht, was gleich passieren wird.« Der Diensthabende in der Chemnitzer Leitstelle kannte das Problem mit dem Telefon. »Nichts Neues, dass da draußen kein Handy geht. Nennen Sie mir den genauen Standort.« Oli beschrieb den Platz. »Zwischen Blockhaus und Mordstein, ungefähr in der Mitte bei dem Altar mit den Bänken.«

»Bleiben Sie ganz ruhig, Hilfe ist schon unterwegs«, sagte Oli zwischendurch zu der Frau auf der Steinplatte. Sie bewegte ihren Kopf, konnte jedoch wegen des verklebten Mundes nicht sprechen. Oli wurde klar, dass das Gewinsel von ihr stammen musste. Und dass er keinesfalls allein mit ihr war.

»Ich schicke Ihnen einen Einsatzwagen vom Polizeirevier Freiberg«, hörte er, als ihm etwas um die Ohren flog. Er duckte sich hinter den Baum mit den Initialen der Verliebten. Der Diensthabende in der Leitstelle wurde Ohrenzeuge des Geschehens am Mordsteinweg.

»Pass auf«, schrie Oli Adina zu. Sie spürte einen kalten Luftzug an ihrer rechten Gesichtshälfte vorbeiziehen. Das Geräusch kannte sie. »Ein Pfeil. Pass auf, Oli«, rief sie.

»Bring dich in Sicherheit. Schnell, hinter den Holzstoß, geh nach unten und mit dem Rücken zu den Baumstämmen«, rief Oli ihr zu. Er hatte das Telefon weiter an. Der Diensthabende in der Leitstelle konnte die Szene zumindest akustisch verfolgen. Oli nahm eine Bewegung neben sich wahr. Er machte einen Satz und bekam einen Mann zu fassen, zuerst am Ärmel. Mit einem schnellen Fußtritt schlug er ihm den Bogen aus der Hand und zog ihn zu sich heran. Ein Handkantenschlag setzte den Angreifer endgültig außer Gefecht. Als Oli sich umschaute, entdeckte er einen Pfeil in der halbnackten Frau auf dem Altar.

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