Kitabı oku: «Die weise Schlange», sayfa 13
„Das Fass ist voll!“, brüllte er und seine rechte Halsschlagader schwoll gefährlich an.
„Was soll die traute Zweisamkeit?! Erst wälzt du mich wegen dieser Schindmähre platt und jetzt lobst du das Biest auch noch?! Bist du schwachsinnig, Weib? Oder bist du so irre wie das Vieh hier? Ich mach der alten Mähre den Garaus! Jetzt auf der Stelle!“
Wild mit den Armen fuchtelnd versuchte er, sich hochzuhieven, und wälzte mit seinem Hinterteil das Gras unter der Weide platt. Das war das Einzige, was er ‚jetzt auf der Stelle‘ hinbekam; Viviane musste ihr Gesicht in Arions Mähne verstecken, bis sie es schaffte, mit dem Grinsen aufzuhören.
„Was? War? Das?“, fragte sie einen Atemzug später mit drohendem Unterton und drehte sich langsam zu dem Schreihals um. Gut sichtbar ließ sie ihr Mienenspiel von erstaunt zu beleidigt wechseln, blieb bei ‚was für ein Trottel‘ stehen und wählte dazu die passende Stimmlage.
„Das ist ein Hengst und keine Stute. Bist du betrunken, du da unten, oder kennst du den Unterschied nicht? Oder siehst du schlecht? In diesem Fall lass dir sagen: Mein Arion ist ein Guter. Ab und an bekommt er gern leichte Allüren. Aber – wie du sehen kannst, falls deine Augen doch was taugen – ich habe alles im Griff.“
Provokant grinsend hob sie die Hand mit den Zügeln und reckte das Kinn. Wie erwartet, versuchte sich der Mann nun wieder auf die Füße zu stemmen, was diesmal auch gelang. Allerdings dauerte es reichlich lange, weil seine Augen ständig den tödlichen Blick suchten und sich dabei in die Quere kamen. Schließlich hatte er es geschafft, sich in voller Größe vor ihr aufzubauen, und konnte sehr gefährlich geradeaus gucken. Bestens. Er war nur etwas größer als sie, dafür dreimal so breit und von oben bis unten angriffslustig, wie erhofft. Die Finger um seine Schwertgriffe gekrallt, schäumte er regelrecht vor Wut und sein Gesicht war eine einzige Grimasse. Seine wässrig-blauen Augen zuckten wie irre zwischen vielen roten Flecken – seine Nase war der größte davon.
„Arion?!“, johlte er und spuckte ein bisschen. „Habe ich richtig gehört? Wie kann man so dumm sein und ein graues Pferd Arion nennen! Bist du betrunken oder kennst du den Unterschied nicht? Oder siehst du schlecht? In diesem Fall …“
Vivianes Augen wurden schmal. Sehr, sehr schmal.
„Willst – du – mich – beleidigen?! Du Rotnase, du Trunkenbold!“
Knurrend stemmte sie die Hände in die Hüften und trat an ihn heran. Jedes Wort betonend, fauchte sie: „Wer beim nächsten Lugnasad nicht mehr in den Maßgürtel passt, sollte keine großen Töne spucken. Ich an deiner statt würde weniger Met saufen und mich mehr bewegen, anstatt zu schlafen. Dann bleibt dir die Demütigung vor versammelter Mannschaft vielleicht erspart, du … du ranzige Speckschwarte!“
Angeekelt rümpfte sie die Nase und konnte gut erkennen, wie es in ihm brodelte. Sie musste ihm nur noch ein kleines bisschen mehr einheizen. Hochmütig warf sie die Haare zurück, drehte sich um und stolzierte mit Arion Richtung Ufer – gemächlich wohlgemerkt, sie wollte ja nicht im Wasser landen.
„Bleib stehen, du Furie! Steh, sage ich! Das wirst du mir büßen! Niemand beleidigt mich ungeschoren! Dreh dich gefälligst um, wenn ich mit dir rede, du hochnäsiges Weib! Du dürre Kuh! Du hässliche alte Meckerziege!“
Viviane hätte beinahe gekichert. Grinsend führte sie ihre Hände den Mantel hinauf zu der Stelle, wo die Filzwolle zusammengehalten wurde, nahe der linken Schulter, wie es für Rechtshänder günstig war. Ihre Finger tasteten über die große eiserne Fibel in Form eines Pferdes und sie dachte daran, wie ihr Vater diese Gewandschließe extra geschmiedet hatte, als sie von zu Hause wegging – damals, vor fast sechs Jahren. Mit einem Griff öffnete sie die Nadel und legte beides, Mantel und Fibel, auf den Sattel. Nun war sie bereit.
„Bleib“, befahl sie Arion und senkte bedeutsam den Zeigefinger. Abrupt drehte sie sich um, nahm ihre Beute ins Visier und ging langsam darauf zu.
„Du krakeelst wie ein alter Dachs mit Zahnschmerzen. Kein Wunder, wenn du sabberst.
Ja, guck dich an, wie du aussiehst … so gesund wie ein Fliegenpilz. Wisch endlich den Geifer ab, ist ja eklig.“ Viviane rümpfte die Nase und wedelte sich frische Luft zu. „Und wie du aus dem Maul stinkst … merkst du das nicht oder hast du keinen Putzlappen?
Bist wohl ein zahnloses Hutzelweib?!“
„Was bin ich?!“ Brüllend riss er sein Kurzschwert aus der Scheide und stieß nach ihrer Kehle. Bloß, da war nichts mehr zum Aufschlitzen.
Bevor er begriff, packte Viviane seinen Schwertarm, schlug ihm die Waffe ab und warf den Rest von ihm über ihre Hüfte. Dumpf landete er im Gras, doch zum Stöhnen blieb ihm keine Zeit. Viviane hielt immer noch seinen Arm umklammert und zog ihn übers Knie, ein grässliches Knacken ertönte und ein Schrei, der nichts Menschliches mehr an sich hatte.
„Sag ich doch, wie ein alter Dachs, jetzt allerdings mit Armschmerzen.“ Viviane trat zurück und wartete.
Dass er weiterkämpfen wollte, hatte sie nicht erwartet, aber sein Blick sagte genau das.
Natürlich war seine überschäumende Wut von Vorteil, sie durfte nur nicht seinen Kampfgeist unterschätzen. Sobald er sich auf die Beine gestemmt hatte und seinen nutzlos herabhängenden Unterarm befühlte, sprühten seine Augen förmlich Todesflüche zu ihr herüber. Wuchtig holte er mit dem rechten Bein aus.
In ihre Magengrube wollte er treten? Na, da musste er früher aufstehen.
Sie brauchte sich kaum bewegen, um sein vorstoßendes Fußgelenk zu packen und das dazugehörige Schienbein zu zerschmettern. Seitwärtsdrehungen mit Handkantenschlägen gehörten zu ihren Spezialitäten, egal in welche Richtung. Die Schlagtechnik hatte sie allerdings mit Holzstäben geübt, was mit einem echten Bein natürlich nicht zu vergleichen war. Das Wimmern des Mannes bezeugte das. Je höher sie das Bein hielt, desto höher fiepte er. Vielleicht hatte er nun endlich genug, und wenn nicht … Mit einem Fuß hangelte sie nach seinem Standbein und zog es weg. Er krachte auf den Rücken, krümmte sich seitwärts und würgte alles heraus, was sein Magen hergab.
Ihre Nase fand es widerlich, doch schnell geriet sie in ihren Arztmodus und fand es recht interessant, was er alles intus hatte. Met, Met und noch mehr Met klatschte ins Gras, dazwischen ein paar Brocken Fleisch, kaum verdaut. Zuletzt schwappte noch Kleinkram hinterher und … Blut? Wieso Blut? Sie hatte seinen Magen nicht mal angetippt! Beinahe hätte sich Viviane hinabgebeugt, um seinen Bauch zu untersuchen, doch sie konnte sich beherrschen.
Aus sicherem Abstand blickte sie auf den Mann herab, der jahrelang Frau und Sohn zusammenschlug. Sie hatte ihre Abscheu unter Kontrolle, ihr Atem ging ruhig.
Als er nicht mehr angriff, verbeugte sie sich knapp und wandte sich zum Gehen. Abrupt verharrte sie und lauschte.
„Du … bist tot“, röchelte er. „Du böses, hinterhältiges, rachsüchtiges Weib. Zu Lugnasad bringe ich dich vor Gericht. Dann werde ich als Gepeinigter die Strafe bestimmen und das Urteil ausführen. Wir beide, erst Schwertkampf, dann Ringkampf. Ich werde dich in Stücke hacken oder dir dein Genick brechen. Unabsichtlich, versteht sich. Darauf freue ich mich jetzt schon.“
Viviane zog die Augenbrauen hoch und drehte sich um. Hatte der Mann nicht begriffen, dass sie ihn hätte töten können, wenn sie nur gewollt hätte? Der hier war wohl von der besonders uneinsichtigen Sorte. Sie konnte sich gut vorstellen, was Usheen und seine Mutter unter ihm erleiden mussten.
Gemächlich kniete sie sich neben seinen heil gebliebenen Arm und sah ihm in die wässrig-blauen Augen.
„Du Narr. Du willst mich anzeigen? Du, der du mich vor so vielen Zeugen zuerst angegriffen hast?“ Demonstrativ schwenkte sie ihren Arm Richtung Fähre, wo alle Anwesenden völlig fassungslos zu ihnen herüberschauten. „Du hast dein Kurzschwert gegen meinen Hals gestoßen. Ich habe nicht mal ein Messer in der Hand. Aber kein Problem, wenn du es nicht lassen kannst … mein Name ist Viviane, Viviane Dar Arminius und Flora vom Clan des edlen Cernunnos. Merke es dir gut, denn ich werde zu Lugnasad da sein.
Ja, ich kann es kaum erwarten und garantiere dir einen ehrlichen Kampf, solltest du noch wissen, was das ist. Solltest du mich jedoch in irgendeiner Form hinterhältig überfallen, wo oder wann auch immer, mache ich Hackfleisch aus dir und nagele deine Ohren gut sichtbar an einen Pfahl gleich hinter deinen kopflosen Körper; das kostet mich keine Mühe. Ach, und übrigens …“ Sie griff nach seinem Kurzschwert, das unweit im Gras lag. „Meinen Siegespreis werde ich opfern, krumm gebogen wie Hermunduren das immer tun mit Waffen, die gegen sie erhoben werden. Aber was erzähle ich dir, du bist ja selbst ein Hermundure und wusstest, auf was du dich einlässt. Was du natürlich nicht wissen konntest – ich bin eine sehr, sehr eigenwillige Hermundurin und daher lasse ich mich nur einmal ungestraft beleidigen. Diese Chance hast du demnach vertan.“
Sie tätschelte seinen gesunden Arm, dann nahm sie den dazugehörenden Mittelfinger und knickte ihn kurz in die falsche Richtung. Schreien konnte er vor Überraschung nicht mehr, nur noch kraftlos hecheln.
„Damit du dich schön auf mich freuen kannst und deine Kräfte nicht an Wehrlosen auslässt; das tut man nämlich nicht als ehrbarer Krieger, Gatte und Vater. Ach, hier noch ein Rat: An Kampfgeist mangelt es dir nicht, aber dein körperlicher Einsatz – nun ja, wie soll ich es dir erklären – eine Schnecke bewegt sich geschmeidiger. Wenn du dich bis Lugnasad noch ordentlich trimmst, wird das von dir gewünschte Spektakel bestimmt lustig. Bis dahin!“
Viviane erhob sich und wollte gehen, da fiel ihr noch etwas ein und sie legte ihre Finger auf seine rechte Halsschlagader.
„Du solltest dir übrigens wirklich meinen ersten Rat zu Herzen nehmen“, murmelte sie und schob ihre Finger nun auf die linke Seite. „Höre auf zu saufen, sonst wirst du Lugnasad ohne mein Zutun nicht überleben, und damit meine ich nicht einen Kampf mit mir.
Entweder stirbst du an einem Magengeschwür oder dich trifft der Schlag. Je nachdem, wer diesen Kampf in deinem Inneren gewinnt, guckst du dir ein paar Monde früher oder später das Gras von unten an. Es sei denn, du nimmst endlich Vernunft an.“ Streng schaute sie ihm in die böse funkelnden Augen, doch auf eine Antwort hoffte sie vergebens.
Schulterzuckend ging Viviane zu Arion, der seinen Kopf leise schnaubend an ihren legte.
Beide schauten zur Fähre, wo Dina immer noch stur den Ausgang blockierte. Ein Pfiff durch zwei Finger – schon trabte sie los. Stürmisch war die Begrüßung zwischen ihr und Viviane, und auch Arion bekam ein paar Stupser ab.
Nun endlich konnten die Leute an Land. Sie waren mehr oder weniger bleich im Gesicht, nur Usheen war rot und verschwitzt.
In kindlicher Manier stürmte er auf Viviane zu, warf sich ihr an den Hals, so weit seine Arme hochreichten, und redete hastig auf sie ein: „Als der Hengst gebockt hat, habe ich gedacht, jetzt bekommt er diese Angstzustände, von denen du mir erzählt hast. Ich bin ganz ruhig geblieben und habe es den anderen erklärt, weil die nicht aus noch ein wussten vor lauter Sorge. Als du jedoch auf meinen Stiefvater gefallen bist, ist es auch mir ganz bange geworden. Er ist schlimmer als ein wütender Stier, musst du wissen, und ich wollte nicht, dass er dir wehtut, und …“
„Die Art, wie du dich aufgerappelt hast“, unterbrach Angus den Redeschwall und legte Usheen beruhigend eine Hand auf die Schulter, „das sah ziemlich komisch aus. Gestern Abend hatte ich nicht den Eindruck, du seist so ungelenk. Doch wie der Idiot dir hinterhergeschrien hat, war mir endlich alles so klar wie ein wolkenloser Himmel.“
Viviane hob die Augenbrauen und Angus lachte.
„Du hast gegrinst wie ein Breitmaulfrosch. Da war ich mir sicher, dass du den Mann mit Absicht schikaniert hast. Und ich muss schon sagen, ich bin total verblüfft. Deine Freundin Umia hat zwar viel von dir geredet, aber nie erwähnt, wie gut du kämpfen kannst.“
„Ich nehme das als Kompliment. Vielleicht auch den Frosch.“ Viviane schmunzelte und beugte leicht den Kopf. „Ich habe diese Art zu kämpfen erst gelernt, und ich habe dies auch gar nicht erwähnt, als ich kürzlich bei Umia weilte. Da waren wir zu sehr mit der Geburt ihres zweiten Sohnes beschäftigt. Der kleine Helge hat uns mächtig in Atem gehalten, aber letztendlich ist alles gut gegangen.“
Angus stutzte. „Ich bin wieder Onkel?! Ein Lütt?! Wieder ein Lütt!“ Er warf die Hände hoch und musste erst einmal einen Freudentanz aufführen.
Loranthus nutzte die Gelegenheit und trat an Viviane heran.
„Du bist eine ungewöhnliche Maid. Ich weiß, du bist eine Kriegerin, und ich habe gelesen, hierzulande würden die Weiber wie Männer kämpfen. Das an sich ist schon schlimmer als bei den Spartanern, aber mit so etwas hätte ich nie gerechnet. Das war spektakulär. Ich stelle mir lieber nicht vor, was Männer im Kampf anrichten.“
„Ich habe ein paarmal zugesehen“, warf Markus schüchtern ein. „Solch rasante Bewegungen hatte allerdings keiner zu bieten. Ich würde viel darum geben, wenn ich das auch lernen könnte.“
„So, jetzt bin ich wieder an der Reihe.“ Der grollende Unterton passte nicht so recht zu den strahlend blauen Schönwetteraugen von Angus. Er hatte sich beruhigt und sah Viviane streng an. „Nun will ich wissen, wozu das Spektakel gut war, schließlich hätte das auch anders ausgehen können.“
Diese Ermahnung erinnerte Viviane sehr an ihren Vater. Schmunzelnd legte sie einen Arm um Usheen und gab eine kurze Erklärung, dann sah sie den Jungen freundlich an.
„Nun kann deine Mutter ohne Angst die Scheidung bei eurem Druiden beantragen und in vier Monden, zu Lugnasad, ist sie wieder frei. Bis dahin wird dein Stiefvater gewiss keinen Schaden anrichten, er kann ihr nichts mehr tun. Das gilt auch für dich, mein lieber Freund.“ Viviane streichelte Usheen liebevoll über die geröteten Wangen und legte ihre Stirn kurz an seine, bevor sie ihm tief in die Augen sah. „Vor seiner Vergeltung seid ihr in den kommenden Monden sicher“, bekräftigte sie noch einmal. „Danach seid ihr beide frei.“
Usheen strahlte zu Viviane hoch und freute sich noch mehr, weil alle Umstehenden eifrig nickten. Angus schien jedoch an etwas anderes zu denken.
„Dein Arion … er ist etwa fünf Jahre alt, oder?“
„Genau. Zur Zeit der Pappel wird er fünf. Du hast ein gutes Auge für Pferde.“
„Er ist ein richtiger Schelm, viel Sinn für Humor. Guck mal, wie er mich mustert! Als hätte er jedes Wort verstanden.“ Gedankenverloren streichelte Angus die silberne Mähne und seufzte schwer. „Mein Urgroßvater ist vor fünf Jahren am Tag der Eiche gestorben.
Er war immer zu einem Scherz aufgelegt und der beste Geschichtenerzähler weit und breit. Er hat Pferde sehr geliebt. Als solch ein stattlicher Hengst wiedergeboren zu werden, das wäre eine besondere Ehre für ihn. Natürlich kann niemand sagen …“
Mitfühlend legte Viviane eine Hand auf Angus’ Schulter. „Keine Bange, mein Freund.
Ob dies hier nun dein wiedergeborener Großvater ist oder nicht, ich werde Arion immer ordentlich behandeln. Er wird es gut haben bei mir.“
„Wunderbar. Und jetzt wird es Zeit, den Fährmann zu entlohnen!“ Schwungvoll zückte Angus seine Geldtasche.
Bis auf Hanibu gab jeder Usheen eine kleine, gebogene Kupfermünze, nur von Viviane wollte er absolut nichts nehmen.
„Du hast mir und meiner Mutter einen unbezahlbaren Dienst erwiesen. Wir stehen tief in deiner Schuld.“
„Von Schuld will ich nichts hören, Usheen, mein Freund! Nutzt die Gunst der Stunde und beginnt ein neues Leben, dann habt ihr mir ein Gegengeschenk gemacht. Es ist schließlich meine Aufgabe, bedürftigen Menschen zu helfen.“
Usheen stutzte. „Es ist deine Aufgabe? Du hast gar einen Eid geschworen? Aber seit wann schwören Krieger, bedürftigen Menschen zu helfen? Ich meine, Krieger schwören einen Treueeid, ihren Clan und ihr gesamtes Königreich zu beschützen, das schließt ja sämtliche Menschen darin mit ein, direkt helfen jedoch … Was bist du genau in deinem Clan? Eine Kriegerin. Was noch?“ Lächelnd wiegte Viviane den Kopf und schaute so abwartend drein, als würde er gleich von allein darauf kommen.
Antwort suchend wanderte Usheens Blick von Viviane zu ihrem Gepäck und seine Augen weiteten sich überrascht.
„Was ist das für ein Schwertgriff?! Ich fasse es nicht, wie habe ich dieses Langschwert bloß übersehen können?! Natürlich, weil es in einer unscheinbaren Lederscheide steckt! Eine Schutzhülle, eine zweite Haut für alle Tage. Sehr stabil selbstverständlich, aber klobig und schmucklos – da schaut man nicht lange hin. Doch jetzt …“ Bittend deutete er auf die schlichte, armlange Lederhülle und den Griff, der daraus hervorlugte. „Darf ich es mir einmal ansehen?“
Viviane band das sorgsam verschnürte Schwert ab und reichte es ihm sehr langsam.
Ehrfürchtig prüfte er, ob er wirklich zwei ineinandersteckende Schwertscheiden aus Leder in Händen hielt. Er zog ein wenig an der äußeren, unscheinbaren, schob einen Finger in den Spalt, der sich nun auftat, und lugte hinein. Die innere Hülle war tatsächlich aus wesentlich besserem Leder, wie er bereits vermutet hatte, und sicherlich auch hübsch verziert. Usheen nickte zufrieden und vergewisserte sich mit einem raschen Blick zu Viviane hin, ob sie ihre Meinung noch nicht geändert hatte. Dann zog er ganz vorsichtig am Griff, und das Schwert glitt wie von selbst aus der inneren Scheide. Trotzdem hielt er nach dem ersten Stück inne. Er wusste, dass er es nicht weiter herausziehen durfte, denn das galt als Bedrohung eines Kriegers und er wollte Viviane keinesfalls zu einer Gegenhandlung nötigen. Im Gegenteil, er wollte sich des großen Vertrauens, das sie ihm hier offensichtlich entgegenbrachte, würdig erweisen. Das, was er entblößt hatte, reichte völlig, um seine Vermutung zu bestätigen: Zwei Drachen wanden sich um den Baum des Lebens, und es schien fast so, als ob sie Feuer spieen – just in dem Moment, da Sonnenstrahlen das Eisen trafen.
Geblendet riss Loranthus die Hände hoch, doch Usheen flüsterte gebannt: „Ich habe schon viel von diesen Schwertern gehört: Himmelseisen, geschmiedet von kundiger Hand. Es ist einfach wunderbar.“ Er strahlte zu Viviane hinauf. „Noch nie wurde mir eine so große Ehre zuteil wie heute durch dich. Danke, Viviane. Und Danke, dass ich dein Drachenschwert mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Händen berühren durfte.“
Behutsam ließ er die Klinge wieder in die Scheide gleiten und es sah fast so aus, als würde er dabei einem Gesang lauschen, den nicht viele hören durften. Ehrerbietig ging er vor Viviane auf ein Knie und reichte das Schwert mit gesenktem Kopf zurück.
Selbst Angus und Markus gingen auf ein Knie und neigten demütig die Häupter; Hanibu machte es ihnen eilig nach.
Loranthus starrte auf seine Sklavin, starrte auf Angus, Markus, Usheen und verstand nicht, was diese unerwartete Achtungsbezeugung gegenüber Viviane bedeuten sollte. Natürlich war sie schön und klug, und sie konnte meisterhaft kämpfen; gerade eben hatte sie ihren Mut unter Beweis gestellt, um andere zu beschützen, aber zum ‚Auf-die-Knie-Gehen‘ reichte das nicht, jedenfalls nicht bei ihm. Es musste etwas mit dem Schwert zu tun haben.
„Nun ist es aber genug, hört bitte auf damit!“ Energisch zog Viviane Usheen hoch, verstaute das Schwert wieder im Gepäck und sah sich um, um zu sehen, ob jemand die Szene beobachtet hatte. Sie war rot geworden. Das hatte nicht mal der Kampf von vorhin bewirkt.
„Tut mir bitte den Gefallen und erzählt das keinem, besonders nicht dem da hinten, sonst verpassen wir zu Lugnasad die zweite Runde. Ich habe ihm schließlich Revanche versprochen.“ Sie deutete über ihre Schulter auf den Mann, der mittlerweile ohnmächtig im Gras lag. „Nehmt ihn bitte mit auf die Burg, damit sich die alte Wisora um ihn kümmern kann. Sie ist die beste Kräuterfrau hierzulande, glatte Brüche hat sie schon oft geheilt. Und richtet ihr bitte meinen Gruß aus, hab extra präzise zugeschlagen, wusste nämlich nicht genau, ob sie hier einen Arzt haben.“
„Ich bringe ihn zu Wisora. Ich habe noch etwas Platz auf meinem Wagen“, erbot sich Marcus, machte jedoch sogleich ein Gesicht, als ob er diese Zusage lieber wieder rückgängig machen würde.
„Ich danke dir, mein Freund. Er wird dir auch nichts dreckig machen; er blutet nicht und sein Magen ist auch leer. Ach, und sag Wisora noch, sie soll sein Magengeschwür behandeln, ist extrem akut. Am besten gibt sie ihm auch ein paar Tropfen zur Beruhigung, sein Blut muss ruhiger fließen. Und es tut mir leid, dass ich ihn so zurichten musste, aber er war selbst schuld. Nun gut …“ Viviane schaute von Markus zu Angus und hob die Hand zum Abschiedsgruß. „Ich wünsche euch erfolgreiche Geschäfte. Wir sehen uns sicher bald wieder.“
Die beiden nickten eifrig und grüßten zurück, dann machten sie sich an Markus’ Wagen zu schaffen, um die neue Fracht noch mit verstauen zu können.
Usheen trat an Viviane heran und sah treuherzig zu ihr auf, die Worte schienen ihm im Hals stecken geblieben zu sein. Sie nahm ihn einfach in die Arme. „Viel Glück wünsche ich euch und einen schönen Geburtstag.“
„Den werden wir haben!“, jubelte Usheen und rannte, hüpfte, sprang davon; das Gewicht stets nur auf das gesunde rechte Bein verlagernd und den rechten Arm fest gegen den Bauch gepresst.
Viviane schaute nachdenklich zu, wie er mit seinen dürren Beinen im weiten Satz auf der Fähre landete, ihr noch einmal winkte und mit seinen noch viel dünneren Armen den Sitz der Halteleinen überprüfte. Unvermittelt begann sie zu strahlen. „Er soll bald die schlimme Zeit verwunden haben“, murmelte sie vor sich hin. „Dafür werde ich sorgen.“ Ihr Blick glitt über die Wiese, wo Angus und Markus den Bewusstlosen mit sich schleppten, als wären sie drei Saufkumpane auf dem Heimweg. Schnaufend und schwankend holten die beiden Schwung und hievten den Mann in ihrer Mitte über den Wagenverschlag, wobei er mit dem Kopf gegen ein Weinfass stieß und blöde grinste. Angus und Markus schauten auf ihn herab, als überlegten sie, noch ein paar Fässer obendrauf zu stellen.
Viviane konnte nur hoffen, dass sie ihre Fracht ordnungsgemäß abliefern würden.
„Heute nimmst du die Zügel, Hanibu. Dina freut sich schon, von dir geführt zu werden. Nicht wahr, mein Mädchen?“
Dina nickte übermütig und Viviane machte mit.
Wie konnte Hanibu bei derart viel Überzeugungskraft Nein sagen? Zaghaft ergriff sie die Zügel. Viviane war ja bei ihr, es konnte also gar nichts schiefgehen. Sie war jedoch nicht nur aufgeregt, sondern auch sehr glücklich, weil Viviane ihr so viel Vertrauen entgegenbrachte.
„Sag mal, du schwarze Perle, wie hast du es eigentlich geschafft, dass die Männer das Anlegen der Fähre verpassen?“, fragte Viviane, nachdem sie ein Stück geritten waren und sie Hanibu nichts mehr erklären musste. Sie konnte das breite Grinsen zwar nicht sehen, aber sie hörte es aus Hanibus Antwort heraus.
„Das war einfach. Erst habe ich Markus gefragt, ob er ein Weib habe. Er meinte, ja, er wäre seit Kurzem verheiratet. Da habe ich gefragt, ob es bei ihnen in der Hochzeitsnacht auch so zugeht wie bei uns. Prompt wollten alle von mir wissen, was eine Äthiopierin in der Hochzeitsnacht mit ihrem Mann macht. Weil ich nicht alles auf Griechisch ausdrücken konnte, habe ich noch mit Gestik und Mimik dargestellt.“
„Oh, sehr schlau. Das hat sie bestimmt in deinen Bann gezogen.“
Hanibu nickte übermütig. „Besonders Markus war ganz fasziniert.“
„Kann ich mir vorstellen, du scheinst ihm zu gefallen. Aber was macht denn nun eine Äthiopierin in ihrer Hochzeitsnacht?“
Hanibu kicherte. „Erst tanzt sie und dann lässt sie die Sterne tanzen.“
„Sehr aufschlussreich.“ Viviane zog die Augenbrauen hoch. „Danke für die gute Ablenkung.“
„Gern geschehen.“
„Tut dein Arm heute mehr weh als gestern?“
„Ein bisschen mehr, ja.“
„Und deine anderen Blessuren?“
Statt eine Antwort zu geben, seufzte Hanibu und wiegte den Kopf.
„Man sollte rechtzeitig vorbeugen.“ Viviane streckte sich zu einem Weidenbaum, an dem sie gerade vorbeiritten, schnitt ein Ästchen ab und reichte es Hanibu. „Salix. Einfach drauf herumkauen, dann wird es mit der Zeit besser.“
Schweigend ritten sie an vielen Feldern entlang, die rechts und links vom Weg lagen, alle durch dichte Haselnusshecken voneinander abgegrenzt. Auf manchen wuchs Gras und Kühe, Ziegen oder Schafe weideten darauf, andere waren sauber bestellt, und auf einigen wurde noch die Saat ausgebracht. Egal, wo sie vorbeikamen – die Bauern winkten ihnen schon von Weitem zu.
Fröhlich grüßten sie zurück und Viviane rief ein lautes: „Guten Morgen!“
„Es ist wahrlich ein guter Morgen – gar nicht kühl wie gestern.“ Loranthus atmete genüsslich ein und hielt sein Gesicht in die aufsteigende Sonne, während er sich in seinen neuen dicken Mantel kuschelte und die Kapuze gegen seine Wangen drückte. „Aber warum sind die Felder so klein und von Hecken umgeben? Ist das ein Sonnenschutz für heiße Tage oder soll das Gestrüpp das Viehzeug abhalten?“
„Deine Denkweise ist nicht schlecht“, gluckste Viviane. „Vorrangig sind die Hecken wegen Bruder Wind da.“
„Dein Bruder? Wo?“ Loranthus hielt die Hand über die Augen, um Vivianes Verwandtschaft ausfindig zu machen.
„Nicht so ein Bruder. Bruder Wind. Der Wind, Loranthus. Verstehst du?“
„Ach der.“ Loranthus war tatsächlich ein wenig enttäuscht. Rasch verzog er sein Gesicht zu einem nachsichtigen Lächeln und nickte. Beinahe hätte er auch etwas über ‚keltische Denkweisen‘ gesagt, doch er konnte sich gerade noch rechtzeitig auf die Zunge beißen.
„Die Hecken dienen vorrangig als Erosionsschutz“, dozierte Viviane, als hätte sie einen sehr wissbegierigen griechischen Schüler vor sich. Natürlich hatte sie selbst noch nie einen kennengelernt, dieser hier war der Erste. „So kann der Wind den fruchtbaren Mutterboden nicht abtragen. Vielleicht hast du noch nie einen rauen Wind hierzulande erlebt, aber ich versichere dir, Bruder Wind kann eine immense Kraft entwickeln. Mit Leichtigkeit wirbelt er die Erde auf, dann landet die gedüngte Schicht irgendwo, wo sie uns nichts mehr nützt, und unsere Erträge fallen geringer aus.“
„Ihr düngt eure Felder? Ach so.“ Loranthus nickte eifrig.
„Natürlich halten die Hecken auch Wildschweine, Rehwild und Rotwild ab“, redete Viviane weiter und gab ihrer Stimme einen lobenden Unterton, weil er artig lauschte.
„Und wenn viele Haselnüsse an den Hecken hängen, kann man sich schon mal auf einen strengen Winter gefasst machen.“
„Ganz schön schlau, wie ihr in diesen rauen Landen zurechtkommt.“ Gönnerhaft begutachtete Loranthus noch einmal die Felder, dann widmete er sich den kleinen Dörfern am Fluss. Auch sie waren, genau wie das Gasthausdorf, von Hagebuttenhecken umschlossen und hatten Gehege für die Tiere. „Diese separaten Umfriedungen für das Vieh, warum bestehen die immer aus Hainbuchenhecken? Könnte man da nicht auch Haselnusssträucher pflanzen? Nussöl soll sehr schmackhaft sein.“
Viviane schmunzelte.
„In den Gehegen werden vorrangig Schafe und Ziegen untergebracht. Nun musst du wissen, Loranthus, dass Hainbuchen ihr Laub im Winter nicht verlieren. Es wird zwar dürr, aber es bleibt dicht und hängt ganz fest am Zweig, selbst bei heftigen Winden. So schützen die Blätter der Hainbuche unsere Tiere vor der gröbsten Kälte und im Frühling werden die neu sprießenden Blattknospen zur ersten Nahrung.“
Viviane deutete auf die nächstbeste Hainbuchenhecke, wo selbst auf Entfernung dürre Blätter neben frischen grünen zu sehen waren, und fügte noch an: „Natürlich schützen sie auch sicher vor wilden Tieren. Schau mal, wie dick das Geäst ist.“
Loranthus nickte bedächtig. Er schürzte die Lippen, tippte den Zeigefinger dagegen und stützte sein Kinn mit dem Daumen ab. Seine obligatorische Denkerpose – das wusste Viviane mittlerweile und freute sich, wie aufmerksam er rundum blickte.
Auch Hanibu sah interessiert hierhin und dorthin. Plötzlich zeigte sie zu einem Berg, der einen Wachturm auf seiner Kuppe hatte. „Da oben blinkt es seltsam!“
„Das sind bloß Lichtsignale, die sich die Wachtürme senden. Wahrscheinlich hat Aodhrix von uns erfahren und verteilt die Neuigkeiten jetzt von Warte zu Warte im ganzen Land.“ Loranthus machte ein verständnisloses Gesicht, und Viviane erklärte geduldig: „Die Wirtsleute gehören zu seinem Clan. Der Wirt ist garantiert einer seiner Krieger und muss nicht mal auf die Burg, um ihm über jeden Gast Bericht zu erstatten. Bestimmt hat auch er einen Spiegel. Auf diese Weise ist Aodhrix immer bestens informiert, was es Neues gibt, wer hier durchkommt und in welcher Absicht. Das ist wichtig zu wissen, besonders wenn man an der Grenze zu einem anderen Großkönigreich liegt. Natürlich kann ein Reisender überall ein Obdach bekommen. Ob bei Bauern oder Handwerkern, er wird immer gut bewirtet und untergebracht, aber auch dann erfährt der jeweilige König davon. In unserem Land bleibt nichts geheim. Wartberge haben wir genug, manche mit richtigen Burgen, andere bloß mit Wachtürmen wie diesem hier. Und offensichtlich hält Aodhrix etwas, das er erfahren hat, für so wichtig, dass er es mit Lichtgeschwindigkeit weitergeben muss.“
Amüsiert schaute Viviane dem hektischen Blinken auf dem Berg zu, dann betrachtete sie Loranthus von der Seite. Er befand sich wieder in Denkerpose und seine Gedanken standen ihm förmlich auf der Stirn geschrieben, dick unterstrichen und noch schneller zu lesen als Lichtsignale.
„Deine Räuber wussten das, garantiert. Sie müssen sich stets in Wäldern versteckt gehalten haben und sind nur nachts über offenes Gelände geschlichen, sonst hätten unsere Wächter Alarm gegeben. Von den Warten aus überblicken sie weite Gebiete. Die können dir heute schon sagen, wer morgen zum Abendbrot vorbeikommt.“
Beim Gedanken an den Überfall sackte Loranthus traurig in sich zusammen. Er war nicht nur einfach ausgeraubt, sondern auch noch seines standesgemäßen Transportmittels beraubt worden, und hier, eingequetscht zwischen den großen Taschen, gab er ein jämmerliches Bild ab, das wusste er.