Kitabı oku: «Spannung und Textverstehen», sayfa 4
Füllwertkompabilität, Selektion, Füllwertrestriktionen bzw. kontext-sensitive oder bedingte Prototypikalität (auch variable constraints).33 Elemente eines Wissensrahmens müssen miteinander kompatibel sein. Um dies zu gewährleisten, gibt es bestimmte Selektionsbestimmungen für Füllwerte, die dazu führen, dass sich epistemische Einheiten rahmenintern beeinflussen.34 In einem SCHREIBEN-Wissensrahmen würden prototypischerweise PAPIER als Material und STIFT als Instrument ergänzt werden. Würde sich allerdings eines der beiden Elemente aufgrund des sensorischen oder textuellen Inputs ändern, so würde es zu einer alternativen Sättigung der jeweils anderen Leerstelle führen. Setzt man zum Beispiel TAFEL als Material ein, so würde KREIDE als Instrument instantiiert werden und umgekehrt, der Füllwert einer Leerstelle beeinflusst also den Füllwert einer anderen.35 Barsalou beschreibt diese rahmeninterne Beeinflussung am Beispiel von Transportmitteln. Mit steigender Geschwindigkeit erhöht sich der Preis. Zwischen Geschwindigkeit und Kosten besteht also eine rahmeninterne Beeinflussung.36
Statische und dynamische Rahmen. In der Literatur wird zwischen statischen und dynamischen Rahmen unterschieden. Erstere zeichnen sich dadurch aus, dass keine zeitliche Dimension involviert ist, während dynamische Rahmen ohne diesen zeitlichen Aspekt auskommen.37 Ein Beispiel für einen statischen Rahmen ist ZIMMER mit seinen prototypischen Elementen WAND, FENSTER, DECKE, BODEN, MÖBEL. Bei statischen Rahmen spielt die zeitliche Dimension keine Rolle. Daneben gibt es dynamisch strukturierte Wissensrahmen. Sie repräsentieren Handlungs- und Ereignisfolgen und werden Scripts genannt. Das klassische Beispiel ist das RESTAURANT-Skript, das sich aus der Perspektive des Gastes in verschiedene zeitlich und kausal aufeinander folgende Handlungen gliedert wie EINTRETEN, TISCH WÄHLEN, PLATZ NEHMEN, KARTE LESEN etc., die zum Teil in weitere Teilhandlungen zerlegt werden können. Dabei sind häufig auch Objekte, d.h. statische Elemente involviert wie TISCH, KARTE, SERVIETTEN. Prototypische Abläufe können in der Regel aus verschiedenen Perspektiven beschrieben werden. Neben dem Gast können zum Beispiel der Koch, der Kellner oder der Besitzer ins Zentrum der Handlungsfolge rücken. Dadurch können sich alternative Handlungsabläufe ergeben, die mit diesen zum Rahmen gehörenden Rollen verbunden sind.38 Zusätzlich gibt es verschiedene Spezialfälle wie den Besuch in einer Cafeteria oder in einem Imbiss, die eine Variation sowohl des zugrunde liegenden Ablaufs als auch der involvierten statischen Elemente darstellen.39
Universelle Anwendbarkeit. Dass sich Wissensrahmen zur Beschreibung statischer und dynamischer Entitäten anbieten, hebt ihr universelles Beschreibungspotential hervor. Deutlich wird dies auch durch die Aufzählungen verschiedener Autoren. Rumelhart nennt Objekte, Situationen, Ereignisfolgen, Aktionen und Aktionsfolgen.40 Van Dijk nennt daneben Personen, Rollen, Handlungen, Konventionen, Normen.41 Minsky beschreibt zusätzlich sprachbezogene Rahmen, die unter anderem grammatische Aspekte und den Aufbau von Geschichten einschließen.42
I use the word scene in a maximally general sense, including not only visual scenes but also familiar kinds of interpersonal transactions, standard scenarios defined by the culture, institutional structures, enactive experiences, body image, and, in general, any, kind of coherent segment of human beliefs, actions, experiences or imagings.43
Abstraktionsgrade von Schemata. Rumelhart und Ortony unterscheiden zwischen spezialisierten und generellen Schemata. Erstere unterstützen das effiziente Zuordnen von Variablen in kurzer Zeit. Generalisierte Wissensrahmen eignen sich dazu, eine große Anzahl verschiedener Datenpotentiale zu subsummieren und zu verarbeiten. Demnach könnte das Wissen ein allgemeines Konzept für WERFEN beinhalten, dass eine Spezialisierung erfährt, sobald man es auf ein Dartspiel anwendet. Dort wird WERFEN hinsichtlich der Wurftechnik spezifiziert,44 die anders ausfällt als zum Beispiel beim Diskus- oder Waschmaschinenwerfen. Der Abstraktionsgrad ergibt sich relativ zu anderen Konzepten, sodass ein Konzept im einen Fall als abstrakter gilt und im anderen Fall als spezieller. WERFEN zum Beispiel wäre ein Spezialschema von BEWEGUNG.
Weitere Beispiele für abstrakte Konzepte sind die thematischen Rollen, die unter anderem fest etablierte umfassen wie Agentiv, Instrumental, Lokativ etc.45 Sie werden nicht als idiosyncratic verstanden, es handelt sich um Rollen, die in einer großen Anzahl von Situationen zum Tragen kommen.46 In der Regel werden sie in verbzentrierten Ansätzen untersucht im Zusammenhang mit syntaktischen Strukturen. Der Kognitionslinguist Evans beschreibt diese Rollen als Leerstellen auf Satzebene.47 Neben intrasententialen Ansätzen greifen auch Studien zu transphrastischen Zusammenhängen auf diese Leerstellen zurück und zeigen, wie sie Satzgrenzen überschreitend gefüllt werden können (siehe zum Beispiel die indirekten Anaphern von Schwarz in Absatz 4.2.2). Von semantischen Rollen grenzt Evans participiant roles ab, die spezifischer sind und die auch mit Verben verbunden sind. Im RESTAURANT-Wissensrahmen wären dies zum Beispiel die Konzepte KELLNER, GAST, ESSEN etc. Thematische Rollen besitzen einen allgemeineren Status als diese Wissenselemente.48
Zum allgemeinsten und abstraktesten Wissen gehören auch Metaannahmen über kausale Zusammenhänge auf Ereignis- und Handlungsebene. Darunter könnten Wissensbestände fallen, die besagen, dass Handlungen Ziele verfolgen, dass alles eine Ursache hat, dass die Welt konstant bleibt und weitere logische, zeitliche etc. Zusammenhänge. (Welche Rolle dieses Wissen bei der Textrezeption spielt, wird in Absatz 4.2.2 bis 4.2.4, in Unterabschnitt 4.3.2, in Kapitel 5 und in Teil III deutlich.)
Quellen des Wissens und Expertise. Schemata ergeben sich aus Erfahrung. Aus einer Vielzahl an Situationen leiten sich abstraktere Einheiten ab, die auf als rekurrent erkannten Elementen und Mustern basieren.49 Ziem unterscheidet dabei zwischen der Verfestigung von Leerstellen und der Verfestigung von Füllwerten (neben Füllwerten spricht er auch von Prädikaten). Ersteres tritt dann ein, wenn eine Leerstelle häufig mit unterschiedlichen Füllwerten gesättigt wird. Ein Füllwert verfestigt sich, wenn er häufig die gleiche Leerstelle füllt. Auf diese Weise bilden sich Standardwerte heraus.50 Bei der Akquirierung von Wissen können neben der direkten sensorischen Wahrnehmung auch diskursive Übermittlungsformen eine Rolle spielen.51 Das gilt für nicht direkt erfahrenes physikalisches oder biologisches Wissen, wie zum Beispiel die evolutionäre Entwicklungen innerhalb der Jahrtausende umfassenden Menschheitsgeschichte etc.
Es lassen sich unterschiedliche Grade an Expertise bestimmen, wenn Schemata verschiedener Personen verglichen werden. Wissensstrukturen verschiedener Menschen variieren hinsichtlich des Grades ihrer Differenziertheit, ihrer Komplexität, hinsichtlich der Menge der mit einem Rahmen verbundenen Wissenselemente, dem Grad ihrer Vernetzung und ihrer Strukturierung.52
Das mentale Modell als Resultat der Einordnung sensorischen Inputs. Sobald ein mit dem sensorischen Input kompatibler Rahmen vorhanden ist, verschmilzt der bis dahin ungefüllte Rahmen mit den Daten zu einem mentalen Modell. Dabei werden Leerstellen gesättigt mit Daten, die sich einerseits ergeben aus dem Input der Wissensrahmen und andererseits aus dem Input empirischen und textuellen Datenmaterials53 – inklusive des vorangegangenen diskursiv aufgebauten mentalen Modells.54 (Wie das mentale Modell bei der Textrezeption konstruiert wird, beschreibt Kapitel 5, hier handelt es sich noch um eine modalitätsunabhängige Beschreibungsebene.) Standardannahmen führen dazu, dass ein mentales Modell informationsreicher ist als der sensorische Input. Rückblickend kann häufig nicht mehr rekonstruiert werden, welche Bestandteile sensorisch und/oder textuell gestützt sind und welche kognitiv elaboriert sind.55 Das erfolgreich konstruierte mentale Modell entspricht strukturell dem Weltausschnitt, den es repräsentiert.56
Bei der Konstruktion eines mentalen Modells kommt die entlastende und repräsentationskonstituierende Funktion der Wissensrahmen und Wissenselemente zum Tragen, die es ermöglicht, auf der Grundlage einer endlichen Menge an Wissensrahmen eine Vielzahl mentaler Modelle zu konstruieren.57 Aus einem einzelnen RESTAURANT-Skript lassen sich demnach konkrete mentale Modelle für jeden einzelnen Restaurantbesuch konstruieren.58 Der Unterschied zu Wissensrahmen ist also, dass mentale Modelle konkrete Anwendungsfälle von Wissensrahmen darstellen, was nicht bedeutet, dass alle Leerstellen mit spezifischen Füllwerten der Situation bestückt sein müssen.59 Mentale Modelle müssen auch nicht den prototypischen Strukturen entsprechen, da sie datengeleitet eine Variation darstellen können.
3.2 Textstrukturwissen60
In diesem Kapitel wird Wissen vorgestellt, mit dem Rezipienten an Texte herantreten. Dabei handelt es sich um Textstrukturwissen, das mit verschiedenen Spezialisierungsgraden einhergeht und in unterschiedliche Lesestrategien münden kann.
Allgemein: Textstrukturen als Schemata. Im Laufe ihrer Mediensozialisation stoßen einzelne Individuen auf eine Vielzahl unterschiedlicher Textstrukturen bzw. Superstrukturen, die durch rekurrente Elemente und strukturelle Kookkurenzen zu einer Reihe relativ homogener Schemata (zum Teil mit verschiedenen Spezifitätsgraden) verschmelzen und sich im Bewusstsein der Rezipienten einbrennen.
Eine Superstruktur ist eine Art abstraktes Schema, das die globale Ordnung eines Textes festlegt und das aus einer Reihe von Kategorien besteht, deren Kombinationsmöglichkeiten auf konventionellen Regeln beruhen.61
Die Wissensrahmen sind – wie andere Wissensrahmen auch – prototypisch strukturiert.62 Superstrukturen können Leerstellen eröffnen, sie limitieren die Möglichkeiten der textuellen Entwicklung.63 Und sie erlauben es dem Leser, Erwartungen an die im Folgetext situierten Einheiten zu bilden.64
Superstrukturen kondensieren Rezipienten für so verschiedene Bereiche wie journalistische Texte, Sachbücher, wissenschaftliche Artikel, studentische Hausarbeiten, argumentative oder narrative Texte.65 Das narrative Schema (auch Erzählschema oder Story-Grammar) soll hier als Beispiel im Mittelpunkt stehen.
Story-Grammars. Bei Story-Grammars (in der Terminologie Minskys narrative Rahmen, in der Terminologie van Dijks Superstrukturen) handelt es sich um Schemata, die Organisationseinheiten von Geschichten mental makrostrukturieren durch (zum Teil hierarchisch organisierte) Relationen und durch iterative Regeln. Die Elemente lassen sich teilen in optionale und obligatorische (siehe dazu Absatz 3.1). Werden obligatorische Elemente einer Geschichte ausgelassen, so verstößt sie gegen Kriterien der Wohlgeformtheit – ähnlich wie Auslassungen auf der syntaktischen Ebene, was einerseits die terminologische Anlehnung Story-Grammar begründet und andererseits die auf Texte übertragene Formulierung der nicht wohlgeformten Geschichte motiviert.66
Story-Grammars bieten ein Beschreibungsmodell auf der Tiefenstrukturebene an. Bei den Komponenten handelt es sich um Slots, die durch psychische Substrate aus den Textsegmenten der zugrunde liegenden konkreten Geschichte gesättigt werden.67 In der Regel dienen globale Einheiten als Analyseebene, bei denen umfangreichere Satzsequenzen zu psychologischen Einheiten verschmelzen.68
Es gibt oberflächenstrukturelle Indizien dafür, dass ein bestimmter durch das Wissen über eine Superstruktur vorgegebener Bestandteil realisiert wird. Komplikationen in einer Erzählung werden häufig durch plötzlich oder Aber dann eingeleitet.69 In Märchen übernimmt die Formulierung Es war einmal die Funktion, das Setting zu etablieren. Mit Eines Tages beginnt die eigentliche Handlung.70
Wie auch aus anderen Schemata ergeben sich aus Superstrukturen Erwartungen und Leerstellen, die mit dem vom Konstruktivismus postulierten Bedürfnis einhergehen, sie zu füllen. Demnach möchte der Leser unter anderem wissen, mit welchen Werten die Leerstellen zu sättigen sind.71 Legt man die Story-Grammar von Rumelhart zugrunde, so versucht der Rezipient, Füllwerte zu etablieren für die Hauptfiguren, Gründe, Motivationen, Ziele, Handlungen sowie den Zeitpunkt und den Ort einer Geschichte.72 Diese Einschätzung teilen auch Graesser, Li und Feng, wobei sie zwischen verschiedenen Stadien einer Geschichte unterscheiden.
In a narrative text, the relevant questions during the setting are who?, what?, where?, and when? but the questions shift to why? and so what? when the plot occurs.73
Das gewählte Textstrukturschema einer Geschichte schränkt das Erwartungsfeld auf der Ebene der Textwelt ein.74 Der Rezipient wundert sich nicht, wenn Zwerge, Riesen, Feen und andere transzendente Wesen tief im Wald hausen – Entitäten, die rein diskursiv Einzug in das Wissen des Rezipienten erhalten haben. Gleichzeitig geht der Rezipient davon aus, dass die Figuren in einem Märchen kein Mobiltelefon besitzen.
Während auf der einen Seite Diskursentitäten akzeptiert werden, die nicht der lebensweltlichen Erfahrung des Rezipienten entsprechen, kann es auf der anderen Seite zu einer textabhängigen Interpretation von Ereignissen kommen, die im Alltag des Rezipienten keine interpretatorische Relevanz besitzen. Wenn es regnet und blitzt, erwartet niemand, dass ein Mörder kommt und ein Massaker veranstaltet. In einem Roman oder einem Film dagegen kann die allgemeine Wetterlage erheblichen Einfluss auf die Erwartungen nehmen.
Darüber hinaus werden einzelne Ereignisse genresensitiv verarbeitet. Geht ein 20-jähriger Mann in einer Geschichte hinter einer jungen Dame her, so kann dies – je nach Textstruktur – unterschiedliche Effekte haben. In Horror- und Kriminalgeschichten tendiert der Rezipient wahrscheinlich eher dazu, eine mögliche Gefahr zu konstruieren als etwa in einem Liebesroman, wo er sich fragen könnte, ob die beiden Personen sich kennenlernen werden oder ob sich eine erotische Beziehung entwickelt. Die gleiche Szene löst also je nach Textstruktur unterschiedliche Inferenzen und Erwartungen aus.
Dabei muss die Zuordnung der Textstruktur vom Rezipienten nicht zwingend mit dem tatsächlichen Genre eines Textes übereinstimmen, sodass sich eine alternative Interpretation des Rezipienten ergibt. So kann ein Leser auf der Grundlage eines falsch gewählten Schemas mit nicht adäquaten Erwartungen an einen Text herantreten. In James Thurbers Kurzgeschichte „The Macbeth Murder Mystery“ liest eine Frau das Drama Macbeth mit einer Lesestrategie, die der tatsächlichen Textstruktur nicht entspricht, nämlich als Krimi. Deshalb bildet sich eine alternative Erwartungsstruktur der Figur heraus.
Werden Story-Grammars zur postrezeptiven Analyse von Geschichten benutzt, so ergibt sich ein Strukturbaum mit verschiedenen Hierarchieniveaus.75 In experimentellen Studien stellte Thorndyke fest, dass das Erinnern der Elemente von der jeweiligen Stufe abhängt. Höher angesiedelte Einheiten werden besser erinnert als tieferliegende.76
Über genrespezifische Erwartungen hinaus werden bei der Verarbeitung eines narrativen Textes auch weitere Annahmen bemüht, bei denen Diskursentitäten auf der Textwelt- und Produktionsebene allgemeine Eigenschaften zugeschrieben werden, die sich aus der lebensweltlichen Erfahrung des Rezipienten ergeben. Leser gehen davon aus, dass sich Menschen rational verhalten und prototypischen Problemlösungsansätzen folgen. Diese werden auf die Figuren projiziert, sie müssen dem Rezipienten selbst nicht bewusst sein.77 Diese allgemeineren Annahmen umfassen auf einer abstrakteren Ebene auch Annahmen über den Textproduzenten. Dieser kann in einer solchen unpersönlichen Kommunikation bei der Leser und Textproduzent sich nicht kennen als generell im Sinne von Busse angenommen werden. Dem Produzenten wird demnach unter anderem unterstellt, dass er in seinem Text bestimmte Aspekte berücksichtigt, wie sie zum Beispiel von Grice in seiner Implikaturtheorie entwickelt wurden. Beim Verstehen eines generellen Textproduzenten bleiben zum Beispiel Faktoren Außen vor, die ausschließlich aus einer persönlichen Gesprächsbiographie resultieren und die auf dem daraus hervorgehenden gemeinsamen Hintergrundwissen basieren.78
4 Lokale und globale Inferenzen beim Textverstehen
Die psycholinguistische Bestimmung von Inferenzen.
[T]he constructionist model assumes that readers have a rich background of declarative and experiential world knowledge in longterm memory that is activated during comprehension and that is recruited to fill in inferences. The model also assumes, along with other models, that there is a working memory that holds a limited amount of information and a discourse focus that holds prominent words or ideas in the mind’s eye.1
(8) | Wir bewunderten im Zoo die Vögel. |
In der Regel geht die mentale Repräsentation deutlich über die explizite Bedeutung hinaus.2 Wenn ein Rezipient (8) liest, so wird er den Ausdruck Vogel wissensgestützt durch EXOTISCHE VÖGEL konkretisieren. Bei dieser Spezifizierung handelt es sich um eine Inferenz bzw. um das Ergebnis einer interpretativen Operation.3 Angestoßen wird der Prozess durch Input, der sich ergeben kann aus epistemischen Desideraten und/oder aus einem physikalischen Stimulus wie zum Beispiel einem Beobachtungsdatum, einem situativen Datum, einem Wort oder einem komplexen Ausdruck (oder aus einer verarbeiteten Konstituente), die nach ihrer Epistemisierung auf ihre inferentielle Verwertbarkeit abgetastet werden. Während der Textrezeption wird Wissen aktiviert, wie es in Kapitel 3 beschrieben ist.4 McKoon und Ratcliff begreifen Inferenzen als rezipientenseitig konstruierte konzeptuelle Entitäten und beschreiben sie als any piece of information that is not explicitly stated in a text.5 (Diese Abgrenzung zwischen dem Expliziten und Inferenzen entspricht der herrschenden Meinung in der Psycholinguistk, in Absatz 4.1 wird sie kritisch hinterfragt.) Bei Clark sowie Klin u.a. handelt es sich bei einer Inferenz um eine Propositione.6 Und Trabasso, Broek und Suh sowie Singer und Ferreira sprechen von idea.7 Charakteristisch für eine Inferenz ist, dass sie in die mentale Repräsentation aufgenommen wird.8
Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen operieren mit verschiedenen Inferenztypologien, die Rückschlüsse auf die jeweils anderen Disziplinen zulassen. Im Folgenden werden Inferenzen aus der philosophischen Diskussion kompakt vorgestellt. Anschließend werden Inferenzen der kognitions- und psycholinguistischen Forschung behandelt und wechselseitig aufeinander bezogen.
Inferenzen in der klassischen Philosophie. Die Philosophie unterscheidet traditionellerweise drei Typen von Inferenzen. Bevor tiefer in den eigentlichen Teil eingetaucht wird, sollen zunächst diese klassischen Schlussprozesse referiert werden, d.h. deduktive, induktive und abduktive Schlüsse.
Deduktive Schlüsse wie in (9) zeichnen sich dadurch aus, dass aus wahren Prämissen (im Beispiel P) wahre Konklusionen (im Beispiel K) folgen und dass der Gehalt der Konklusion nicht über den Gehalt der Prämissen hinausgeht. Wenn die Prämissen wahr sind, muss auch die Konklusion wahr sein.
(9) | Deduktion | |
P: Alle Menschen sind sterblich | ||
P: Sokrates ist ein Mensch | ||
K: Sokrates ist sterblich |
Fügt man beliebige Prämissen hinzu, so ändert sich die Konklusion nicht – eine Eigenschaft, die Monotonie genannt wird.9 In dieser Arbeit spielen die deduktiven Schlüsse eine untergeordnete Rolle. Sie dienen primär dazu, die beiden folgenden Typen zu präzisieren.
Die beiden Hauptcharakterista der deduktiven Schlüsse gelten weder für abduktive Schlüsse wie in (10) noch für induktive Schlüsse wie in (11) (was der
(10) | Abduktion | |
P: Der Rasen ist nass | ||
P: Wenn es regnet, wird der Rasen nass | ||
K: Es hat geregnet |
Doppelstrich über der Konklusion signalisiert). In beiden Fällen lässt sich von der Wahrheit der Prämissen nicht sicher auf die Wahrheit der Konklusion schließen. Der Gehalt der Konklusion geht über den Gehalt der Prämissen hinaus. Deshalb nennt man diese Schlüsse auch gehaltserweiternd. Bei der Abduktion schließt man von dem Vorhandensein eines Phänomens (in (10), dass der Rasen nass ist) und der Annahme (dass Regen zu nassem Rasen führen kann) auf die beste Erklärung – nämlich, dass es geregnet hat.
Bei10 der Induktion, die unter anderem bei schemabasierten Prognosen zum Tragen kommt, schließt man von Einzelfällen auf die Gesamtmenge, indem man
(11) | Induktion | |
P: Tauben sind Vögel und können fliegen | ||
P: Amseln sind Vögel und können fliegen | ||
P: Spatzen sind Vögel und können fliegen | ||
K: Alle Vögel können fliegen |
zum Beispiel die Eigenschaften einer endlichen Menge an Individuen auf die Gesamtheit überträgt. Beim abduktiven und induktiven Schließen kann trotz der Wahrheit der Prämissen die Konklusion falsch sein. Bei der Abduktion können zum Beispiel alternative Erklärungen bestehen, bei dem Beispiel für Induktion kann ein konfligierendes Exemplar empirisch ausgemacht werden.11